Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wohledler, ehrenfester Junker vom Wolfstein!
Tu' Euch kund, daß die Euren wohlauf sind, lasten fein grüßen.
Desgleichen, daß die Bauern rumoren, sind dem Herrn Grafen, Eurem Vater, aufsässig wegen des jungen Heinz. Reden unter sich: da er mit einem Kinde so hätte verfahren wollen, wie möcht' er mit den Alten umspringen, wenn er einen vorhätte? Wollen aber Euch, wohledler Junker, treugehorsam sein, um Eures wahren Christentumes willen. Worin sie nach meinem Bedünken auf dem rechten Wege sind.
Desgleichen, daß Euer Vater übel geplagt ist mit Grillen und Ängsten, disputiert ganze Nächte mit dem ehrwürdigen Vulpesius, sinnt darauf, daß er der Herrschaft entsage und ein erbaulich Leben führe.
Desgleichen auch, daß erwähnter Vulpesius wohlauf ist und Euch fein grüßen läßt.
Desgleichen, daß mein Herr Vater dem wohledlen Junker vermelden läßt, sei allenthalben ein seltsam Rumoren unter den Bauern, Ihr sollt bald kommen, sänftiglich mit unseren reden, auch einen Batzen Geld mitbringen, dem Stapelburger das Maul stopfen, wär' nicht die Zeit, Händel zu führen. Da es Eurem Herrn Vater gewiß Ernst sei, sollt Ihr die Herrschaft annehmen, dazu müßt Ihr, sagt mein Herr Vater, ein Edelfräulein ehelichen. Ehrenfester Junker, Ihr sollt nicht denken, ich wollt' Euch mit Weinen und Greinen beschwerlich fallen, will auch ein so helles Antlitz weisen, wie ich nur immer vermag. Sollt' wissen, daß ich Eurer Liebe froh gewesen bin und bis ans Ende sein werde.
Mein Herzallerliebster, ich wollt' ein Leberblümelein in den Brief tun, weht aber noch eine bitterkalte Luft, wagt sich kein Blümelein hervor. Wo Ihr seid, wärmt wohl die liebe Sonne kräftiger.
Mir ist der bleiche Mond lieber geworden als Frau Sonne, immerdar gedenk' ich, wie wir beim Mondschein im Burghof gewandelt sind. Ach Gott, wie ist doch unser Leben vergänglich, samt unseres Herzens Lust und Weh!
Des wohledlen, ehrenfesten Junkers Otto vom Wolfstein untertänige
Else Hausvogelin.
Da ich den Brief las, erschien mir dies ganze Rom wie Pest und Verwesung. Sehnte mich sehr nach dem Wolfstein. Bei dem Papst erreichte ich nichts Ernstes, er zog die Sache hin. Entschloß ich mich kurz und gut, zum Romanos zu gehen und ihm einen friedlichen Ausgleich zu bieten, daß er mir ein mäßiges Geld bezahlte und ich ihm das Erbe ließ. Nahm den Brief zu mir, denn ich dachte, er wäre ein Talisman, der vor dem Liebeszauber schützte.
Der Oheim hatte wohl eingesehen, daß er mir anders kommen mußte, empfing mich wie ein Weltmann und war bereit, mich abzufinden. Doch mußte er zuvor mit dem Agostino Chigi reden, der hätte seine Finanzen unter sich.
Da ich eben gehen wollte, trat Francesca herein. Sie war in ausgelassener Laune, neigte sich tief und bezeugte ihre Freude, daß ein so großer Herr bei Hofe gekommen wäre. Das hätte sie nicht gedacht, daß ein Ritter vom Hercynenwald ein wohlgelitten Schoßhündlein werden könnte.
Fraß mir der Spott wie Feuer am Herzen. Sah sie mich mit Blinzeln an und sagte: »Gefällt Euch das Schoßhündlein nicht, seid Ihr vielleicht lieber des Papstes Papagei. Das sind schöne bunte Vögel, die Papageien.«
Antwortet' ich trotzig, die plapperten nach, was die Leute ihnen vorsprächen, ich aber sagte, was ich für wahr hielte, auch wenn's dem Papste nicht lieb wäre. Rief sie mit Lachen: »Das ist ein edles Vorrecht, Ihr teilt es mit des Papstes Narren!«
Der Oheim sagte, sie solle ablassen; sie entgegnete, das hätte sie ohnehin getan, sie wäre mir ein Lied schuldig, weil ich ihr so schön gesungen hätte. Ließ ihre Laute bringen, warf sich wie jüngst in den Sessel und klimperte in der kurz gestoßenen Weise, die in Welschland staccato heißt. Klang wie Kichern eines Elfenkoboldes. Dazu sang sie:
Es war ein deutscher Rittermann,
Der pilgerte nach Rom,
Mit Schwert und Sporen angetan,
Der tapfre Ritter Odo.
Der muntre Papst sieht ihn und lacht:
»Den putz' ich mir heraus!«
Zum Spielzeug ward er da gemacht,
Der stolze Ritter Odo.
Das sollte noch weitergehen, aber der Oheim sagte: »Laß ab, sieh' ihn an!« Sie sprang auf, trat vor mich hin, sah mich scharf an und sagte: »Hab' ich Euch weh getan? Das wollt' ich!«
Da verlor der Talisman seine Kraft und ein Dämon flüsterte: Wenn sie dich nicht liebte, wollte sie dir nicht wehe tun.
Francesca trat ans Fenster und wandte uns den Rücken. Der Oheim sagte: »Neffe, ich billige die Art meines Mündels nicht, zumal wir nicht annehmen dürfen, daß Ihr unsere Meinung zu erfahren wünscht.«
Schürte der Dämon von einer anderen Seite und flüsterte: Gib acht, sie haben es fein abgekartet!
Sagt' ich, mir läge viel an der Meinung. Der Oheim antwortete voller Würde: »So darf ich Euch nicht verhehlen, als Euer Oheim und als Edelmann, daß ich wünschen möchte, Eure Stellung bei Hofe änderte sich. Sie entbehrt allerdings des rechten Ernstes.«
Francesca bewegte sich, wandte uns aber gleich wieder den Rücken.
Wird mir bänglich, wenn ich dieses Augenblickes gedenke, denn er hat mir kundgetan, was in mir liegt. Hätte nur eines Wortes bedurft, davon ich gereizt wäre, ich hätte das Schwert gezogen, und sie wären diesmal nicht lebendig entronnen, nicht der Oheim und nicht das Weib. Schwiegen aber beide durch Gottes Fügung.
So nahm ich Rache mit Worten und sagte: »Wir wollen's zu guter Stunde weiter bereden. Für jetzt muß ich meinen Urlaub nehmen, pflege um diese Tageszeit bei der Maria Adorna zu sein und will mich nicht verzögern.«
Francesca wandte sich jählings um, ich neigte mich und ging hinaus.
Nach Mittag bekam ich an diesem Tage den zweiten Frauenbrief. Das Papier hatte zwischen feinen Tüchern gelegen, die waren mit wohlriechenden Essenzen gesprengt. Duftet noch heute gar stark und seltsam. Soll hier aber nicht angeheftet sein, denn es ist nie kein Heil in ihm gewesen. Das Blatt vor allem sollt' ich ins Feuer werfen. Gott wolle mir die Kraft dazu verleihen.
Es stand aber das Folgende darin:
Der edle Herr Odo möge verzeihen, daß ich ihn an sein ritterlich Wort gemahne. Ihr verspracht mir, mich bei der Maria Adorna einzuführen. Ich bin wahrhaftig neugierig auf dies Wunderwerk des Schöpfers. Mir ist, als hättet Ihr sie so genannt, oder sollte ich das verwechseln? Ich bin so vergeßlich wie neugierig, das ist gewiß auch der Grund, weshalb ein so christlicher und dem Heiligen Vater nahestehender Ritter wie Ihr die Gesellschaft der frommen Adorna vorzieht.
Wollt Ihr mich heute um die sechste Stunde abholen, so will ich Euch dankbar sein bis an mein Ende. Es ist nicht meine Schuld, wenn meine Dankbarkeit von kurzer Dauer sein sollte.
Für den Augenblick müßt Ihr mit meiner Ergebenheit vorliebnehmen, woran Euch so viel und so wenig liegen mag wie an meinem Danke.
Francesca Marcellini.
War nicht mehr Zeit, Maria Nachricht zu geben, doch wußt' ich, daß sie um diese Stunde oft Besuch hatte, das war mir lieb. Wir trafen sie aber im Garten allein, denn so stand es in den Sternen.
Da die beiden Frauen einander sahen, war ihr Blick, wie ich deutlich wahrnahm, kalt. Das wurde aber gleich anders. Ich sagte: »Maria, diese Dame wünscht Euch kennen zu lernen, man hat ihr von Euch berichtet.«
Neigten sich die Frauen gar zierlich und lächelten einander holdselig an.
Maria hielt sich nun auch weiter ganz wie eine Dame von Welt, führte uns in die Laube und wollte uns mit Speise und Trank erfrischen. Sagte Francesca mit Lächeln: »Fräulein, wir wollen Euch nicht in Versuchung führen. Man hat mir berichtet, daß Ihr nach Eurem strengen Gesetze nur grünen Salat und Rosenblätter genießen dürft.«
Maria sagte ebenso heiter: »Fräulein, darüber macht Euch keine Gedanken, ich habe kein Gesetz. Mir schmeckt kein Essen, außer ungekochten Blättern, das ist alles.«
Francesca meinte: »So schmecken Euch wohl auch die Freuden der Welt nicht? Ich will Euch nicht beleidigen, aber dabei sehe ich kein Verdienst.«
Da ich von Anbeginn besorgt war, es könnte aus dieser Begegnung eine Feindschaft erwachsen, sprach ich dazwischen: »Maria nimmt kein Verdienst in Anspruch, sie tut, was ihr heilsam erscheint.«
Francesca wandte sich rasch um, wie ihre Art war, und sagte mit Lachen: »Herr Odo, Ihr müßt in Wahrheit ausnehmend gut mit dieser Dame bekannt sein.«
Maria schien beleidigt, ich sah, daß ich nur zu dem Unheil beitrüge, wie ich es auch anstellte, und schwieg. Francesca wandte sich wieder zu Maria und sprach: »Ich täte auch gern, was mir heilsam ist, wenn ich es nur wüßte.«
Antwortete Maria: »Was ich dafür halte, würde Euch nicht anstehen.«
Francesca drängte sie, da gab sie nach und sprach:
»Fräulein, Ihr seid eine Dame der großen Welt. Wenn ich daran denke, was Ihr an Gastmahlen, Komödien, Festlichkeiten jeder Art besuchen mögt, wird mir bange. Ist nicht meine Seele Gottes und Gottes Seele mein? Da nun Gott nicht den Prunk liebt noch das laute Gelächter, sondern die Stille, müßt' ich fürchten zu jubilieren, wo Gott leidet und am Ende fast in mir zunichte wird.«
Sagte Francesca: »Fräulein, das sind gefährliche Reden, ich glaube nicht, daß die Kirche diese Lehre dulden könnte.«
Antwortete Maria: »Wenn Ihr Euch im Schoße der Kirche befriedigt fühlt, warum fragt Ihr mich, was Euch heilsam ist?«
Francesca entgegnete: »Ich sagte das, um Euch zu warnen. Ihr solltet Euch mit solchen Predigten vorsehen, wenn Ihr auch von mir und diesem Ritter keine Anzeige zu fürchten habt.«
Maria erwiderte mit Stolz: »Weder predige ich, noch bin ich gewillt, mich vorzusehen. Wer mich dem Ketzergericht überantwortet, der täte mir nichts Böses an, sondern meines Herzens Verlangen.«
Francesca sagte mit nicht minderem Stolz: »So gering achte ich mein Leben nicht, daß ich mich wollte lassen zu Asche brennen. Ich müßte Dinge verlassen, die mir wertvoller sind als Festlichkeiten: meine Bücher und meine Laute.«
Gedacht' ich abermals, es besser zu machen, und machte es abermals übler. Sagte, die beiden Damen ständen einander wohl näher, als sie glaubten, denn auch Maria wären diese Dinge teuer.
Die zeigte sich eigensinnig, was sie sonst nicht war, und sagte: »Ich wollte meine Laute und meine Bücher noch heute in die Tiber werfen, wenn ich glaubte, sie würden mir dereinst den Abschied von dieser Erde schwer machen. Die Weisheit der Weisesten und die Künste der Kunstreichsten sind nichts, die Liebe ist alles.«
Sagte Francesca: »Fräulein, wie sollten wir einander verstehen, bevor ich weiß, was Ihr unter Liebe versteht?« Maria blickte zum Himmel und sprach: »Noch glüht die Sonne. Wenn der Abendstern leuchtet, will ich antworten.«
Francesca rief mit Lachen: »Wie gut wir uns nun verstehen! Welches Mädchen wüßte nicht, daß die Nacht die Zeit der Liebe ist?«
Maria blickte mich scheu an, errötete und schwieg. Francesca stand auf und sagte: »Herr Odo, geleitet mich heim, ich bin befriedigt.
Da der Weg eng war, gingen die beiden Frauen nebeneinander, ich folgte.
Hörte, wie Francesca leise sagte: »Fräulein, ich bin ein Weltkind, Ihr seid eine Heilige. Dennoch mögt Ihr gewiß sein, Francesca Marcellini kennt Euch.«
Zog Maria ihr Kleid dichter an sich, sah fast aus, als wollte sie mit der Marcellini nicht in Berührung sein.
Ich rief: »Seht euch vor, eine Viper!« Denn ich horte ihr Zischen. Suchte das Gebüsch und den Rasen ab, fand aber nichts.
Da wir Abschied nahmen, neigten sich die Frauen so zierlich wie vorhin und lächelten einander holdselig an. Wurde mir nicht wohl dabei.
Francesca wollte keine Sänfte, so gingen wir zu Fuße, sprachen dies und das. Francesca sagte zuweilen: »Ich habe diese Person gewarnt, sie solle sich vorsehen.« –
Dies und alles schreibe ich nach Aufzeichnungen, die ich an dem jeweils folgenden Morgen gemacht habe. So und nicht anders hat es sich zugetragen.
Nun weiß ich nicht, was es war, ich mochte in der nächsten Zeit keine von den beiden sehen. Der Papst hatte nicht wieder von meiner Dichtkunst angefangen, der Valentini meinte, er wäre über alle Maßen von Dichtern überlaufen, man sollte ihm das Gute bringen, so wüßte er es zu würdigen.
Die Kunst der Versmaße und des Wohllautes hatt' ich gelernt. Da das Italienische nicht meine Muttersprache war und das Deutsche von dem Papst für barbarisch verachtet wurde, sollte das Gedicht lateinisch sein. Das Blatt mit den Versen »Solitudini pulchritas« hat der Wind verweht. Will nichts von ihm wissen.
Kam der Valentini von einem Ausgange heim und sagte: »Wollt' Ihr die neueste Zeitung wissen? Die heilige Maria ist vom Ketzergerichte belangt, liegt im Kerker, ihre Sache steht übel.« –
Ihr, für die ich dies schreibe, mögt wohl sagen: er hätte sollen wissen, von wem dieser Streich fiel! Doch bedenkt ihr nicht, daß inzwischen eine Zeit vergangen war, und daß der Liebestrank in meinen Adern lief, desgleichen, daß nie kein Mensch weiß, wessen der andere fähig ist, ehe der seine letzte Tat begangen hat. Ist mancher schändlicher Dinge überführt, den jedermann hatte für einen Rechtschaffenen gehalten.
Ich wollte stehenden Fußes zum Papste. Der Valentini sagte, so ginge das nicht, wir müßten es politisch anfangen. Ich sollte dem Papste das Poem übergeben, er würde mir, wie gesagt, einen Beutel Gold anbieten, den sollte ich ausschlagen, statt dessen um die Begnadigung bitten. Der Medici würfe zwar mit dem Golde um sich, wäre und blieb aber einer aus dem Hause Medici, das wären heraufgekommene Geldwechsler, er würde sich freuen, wenn er das Geld ersparte. –
Ist ein eigen Ding, ein langes Gedicht vorzutragen, wenn die Gedanken bei einer zarten Jungfrau sind, der ein greulicher Martertod bevorsteht.
Die Poeten wußten gleichwohl ihres Beifalles keine Grenzen, denn ich war des Papstes Günstling. Waren aber vorschnell gewesen, der Papst sagte: »Mein Sohn, du hast deklamiert, als agiertest du den geblendeten Ödipus. So geht es auch deinen Versen, der Hexameter ist zu stark für den zarten Inhalt. Überhaupt scheint sich der Gedanke nicht wohl für die lateinische Sprache zu eignen, wie denn der Titel erwarten läßt, die Schönheit wollte der Einsamkeit Lob spenden, da sie doch viel mehr unter ihr leidet. Indessen ist Roma nicht so entartet, daß sie die Gabe des Apoll vom Hercynenwalde ohne Dichtersold empfinge.«
Da fiel ich ihm zu Füßen, was ich noch nie getan hatte, und sagte, ich wollte keinen Lohn, als daß er die Maria Adorna begnadigte.
Wurde sein Angesicht, das sonst immer hell war, finster, und er antwortete: »Du hast bis heute nie versucht, dich in Staatsgeschäfte einzumischen.«
Entgegnete ich, das hielte ich nicht dafür, daß ich eine Bitte für eine fromme Jungfrau täte.
Er sagte: »Du sprichst unbesonnen. Unser Gericht verfolgt nicht fromme Menschen, sondern verworfene. Die Untersuchung muß ihren Gang haben, danach wollen wir's weiter bedenken. Für jetzt sei die Sache abgetan und völlig in unseren Gedanken ausgelöscht. Diese Stunde, die unter dem Zeichen der Musen steht, ist schon zu sehr durch so häßliche Dinge wie Tod und Scheiterhaufen entweiht.«
Ich mußte, wie er das liebte, zu seinen Füßen sitzen. Hätt' es wahrhaftig nicht getan, wenn ich nicht gedacht hätte, ich könnte Maria helfen. Weiß auch nicht zu sagen, wie es kommt, daß ich das Folgende verstanden und im Gedächtnis bewahrt habe, da ich doch keinen Sinn hatte, als Maria zu erretten.
Der Papst fuhr aber fort: »Wir wollen einen kurzen Ausflug von dem Parnassus in das Gebiet der Minerva unternehmen. Wer von euch weiß eine Antwort auf die Frage, ob es ein Schönes gibt, das niemand sieht?«
Entstand ein Schweigen. Die Poeten gaben sich den Anschein des Nachdenkens. Der Kardinal Bibbiena, der wirklich nachgedacht hatte, sagte darauf: »Nein, denn Schönheit und Häßlichkeit sind nicht in den Dingen, sondern in unserm Fühlen. Darum nenne ich Philosophie ein unvergänglicheres Besitztum als aufgeschlossene Sinne und Wissen was schön und häßlich ist. Was hätte dem Boethius dieses Wissen geholfen, da ihn jener rohe und gewalttätige Gote Theodorich zu einer selbst unter Barbaren unerhörten Todesart verurteilt hatte? Da er aber Philosophie besaß, hat er uns aus dem fürchterlichen Kerker, wo ungebildete Geister die Tage mit Angstschauern ausgefüllt hätten, seine herrliche Schrift über den Trost der Philosophie hinterlassen.«
Ich dachte, daß es nie keine unerhörtere Todesart gegeben hat, als daß man einen Menschen lebendig verbrenne, verstand aber alles.
Der Papst lächelte und fragte: »Will sich unter so vielen Lieblingen der Muse keine Stimme für die Schönheit erheben?«
Die Poeten taten wiederum, als ob sie nachdächten und schwiegen.
Fuhr der Papst fort: »Ihr legt also diese Pflicht mir auf, dem sie als einem nicht vom Kusse der Musen Geweihten schwerer fällt als irgendeinem von euch.
Abseits von allem Erdenstaube liegt das Reich der Vollkommenheit. Es heißt Idee. Was hier auf Erden wandelt und blüht, alles Lebendige, alle Edelsteine, jede Blume ist nur ein nie ganz geglücktes Abbild seiner Idee. So lehrt der Weiseste aller Zeiten, der göttliche Platon. Einige haben gemeint, diese Ideen wären bloße Begriffe. Dem kann ich nicht beipflichten. Gewisse Stellen lassen sich nicht anders deuten, als daß Platon unter den Ideen etwas Wirkliches versteht, das freilich weder unsern Sinnen noch unserm Denken zugänglich ist. So lebt denn auch das ungesehene Schöne in seiner Idee. Ein Bild meines viel zu früh gestorbenen Raffaelo, ein Lied meines Accolti kommt aber der Idee so nahe, daß, wer einmal das eine gesehen, das andere gehört hat, ein Besitztum davonträgt, das ich für meinen Teil der Philosophie vorziehe.«
Damit winkte uns der Papst auf das freundlichste zu und ging rasch hinaus. Ich bin gewiß, daß er mich verhindern wollte, zu ihm zu sprechen. Nachdem er kaum hinaus war, brachte mir sein Kämmerer einen Beutel Dukaten. Wollte das Geld unter die Poeten werfen, daß sie sich darum balgten, aber der Valentini merkte es, hielt meine Hand fest und sagte mir ins Ohr: »Seid Ihr toll? Wenn Ihr der Fortuna überdrüssig seid, solltet Ihr doch an Maria denken!«
Das war richtig, die Poeten hätten dies dem Papst hinterbracht, und es hätte ihn beleidigt.
Draußen sagte ich voll Ingrimm: »Philosophie ist nicht Glaube, und Platon war ein Heide. Diese Menschen wollen Maria Adorna wegen Ketzerei verbrennen!«
Der Valentini antwortete: »Was hilft das, so rettet Ihr sie nicht. Sie muß Feinde haben, die viel bei dem Medici vermögen, wahrscheinlich solche, denen er Geld schuldet. Der Medici ist kein Heiliger, aber auch kein Tyrann, das Ketzerbraten ist nicht seine Liebhaberei. Man muß forschen, wer ihre Feinde sein mögen.«
Da ich im Hause eine Stiege hinaufging, die in mein Zimmer führte, schoß die alte Bianca wie eine Katze aus dem Dunkeln und sagte: »Was habt Ihr in dem Beutel? Rom ist unsicher, ich will ihn aufheben.« Ich antwortete: »Die Hälfte dieses Goldes gehört Eurem Herrn, er wird es bewahren.« Die Alte wandte sich um und ging hinunter, ich hörte sie vor sich sagen: »Die Hälfte gehört dem Valentini, die Hälfte gehört dem Valentini.«
Wir hatten verabredet, ich sollte zu dem Romanos gehen, ob ich da etwas erführe, der Valentini wollte anderwärts forschen. Als ich vor dem Hause stand, war oben ein Fenster offen, ich hörte, daß jemand die Laute spielte. War eine wilde Musik, zu hoch und zu tief, ganz ohne Zeitmaß und Wohlklang. Dacht ich, das könnte Francesca nicht sein. Kamen aber Töne, wie die, zu denen sie Spottverse auf mich gesungen hatte, nur schärfer und lauter. War also dennoch Francesca.
Als ich den Türklopfer heben wollte, drückte ein Unsichtbares auf meinen Arm, daß ich ihn sinken ließ. Wußte diesmal in meines Herzens Angst nicht, ob das mein böser Geist oder mein Engel war, flehte zu Gott, er sollte mir ein Zeichen geben. Da ich den Arm wieder hob und den Klopfer schon in der Hand hielt, ergriff mich ein Schauder, als sollt' ich ein Totenhaus betreten. Den nahm ich als Gottes Stimme.
Der Valentini kehrte eine Zeit nach mir zurück, hatte auch nichts erfahren, niemand wollte etwas wissen. Er grübelte in seiner Art, ob dies schon die erste Botschaft sei von dem, was kommen müßte, von der Herrschaft der Bußprediger und Ketzerrichter. Blieb zuletzt dabei, hier wären Mächtige am Werke, Maria wäre beliebt beim Volke, an solche machte sich der Medici nicht ohne Zwang. Morgen müßten wir weiter forschen.
Ehe wir schlafen gingen, gab ich ihm den Beutel des Papstes, sagte, die Hälfte käme ihm zu, die andere sollte er mir bewahren. Er dankte und nahm ihn an sich, dabei zitterten seine Hände.
Des anderen Tages machte er sich wieder auf die Suche, ich blieb im Hause. Hatte mir vorgesetzt, um die Mittagsstunde, wo sich der Papst anreden ließ, im Vatikan zu sein. Wenn ich aber nichts erreichte, wollt' ich in Gottes Namen versuchen, Maria auf ihrem letzten Gange loszumachen. Der Valentini hatte mir erzählt, daß solches schon einmal geschehen und nichts weiter danach gekommen war. Hoffte, dieser Welschen Herr zu werden, wenn ich mit Mathias wie ein Wetter über sie fuhr. Daß ich in die Strafgewalt des Hauptes der Kirche eingriff, machte mir keine Angst, derlei Skrupel waren mir vergangen.
Kam der Valentini zurück und sagte: »Seht zu, was Ihr vermögt, ich weiß nichts, als daß sie zum Scheiterhaufen verdammt ist.«
Setzte ich mein Barett auf und lief in den Vatikan. Der Papst wollte sich noch von keinem sprechen lassen, ich wußt' ihn doch zu finden. Er sagte, diese Dreistigkeit wollte er mir verzeihen, das wäre viel. An dem Schicksal der Adorna könnte er nichts ändern, fromme und gerechte Männer hätten diese Sache gerichtet.
Ließ ich dennoch nicht ab, sagte, er sollte ein einziges Mal den Arm, in dem doch wenig Gefühl wäre, an ein Feuer halten, wie weh das täte, und sie wäre eine zarte Jungfrau.
Er antwortete: »Ei was, so schlimm ist es nicht, sie sollen trocken Holz nehmen, da erstickt sie, ohne lange Pein. Ich weiß nicht, was du willst, du kehrst dich an mein Wünschen auch nicht.«
Da glaubte ich, daß ich tun müßte, was wider meinen Stolz ging. Fiel ihm zu Füßen und sagte, ich sähe ein, daß ich undankbar wäre, wollte um seiner Gnade willen diese Nacht den Apoll darstellen. Denn es sollte die Nacht, wie es oft geschah, ein Maskenzug durch die Gärten stattfinden.
Er lachte, hob mich auf und sagte: »Du bist ein Schelm, glaubst du, ich triebe mit dergleichen Handel? Dein Gehorsam soll aber seinen Lohn haben, ich will die Adorna begnadigen. Sie ist mir bekannt, ich weiß, daß sie mehr eine Närrin denn eine Verruchte ist.«
Wollte ich gleich zu dem Kerker der Inquisition, Maria die Begnadigung verkünden. Er sagte mit Lächeln: »Willst du dir den Lohn für deine Fürbitte holen?« Da ließ ich ab. Er war ein großer Menschenkenner.
Mußte nun den Tag im Vatikan bleiben. Der Papst war voll Eifers, ordnete selbst mit seinen Künstlern alles an. Ich hätte in Deutschland nie gedacht, daß ein Mann, und gar das Haupt der Christenheit, solchen Ernst an solche Narretei setzen konnte. Ob ich den Dogen oder die Leier führen sollte, darüber hat er wohl eine Stunde mit dem Kardinal Bibbiena beraten, und ich weiß nicht, wie oft ich das erproben mußte. Zuletzt entschied der Papst für den Bogen, weil der besser zu dem Wagen und allem anderen paßte. Ich hatte einen Wagen wie die Alten, wenn sie in die Schlacht fuhren, den zogen bärtige Männer in Bärenfellen. Sollten wilde Riesen vom Hercynenwald sein, die Apollo gebändigt hatte.
Als es soweit war, und ich sollte mich der Menge zeigen in meinem Flattergewand, Weinlaub im Haar, überwältigte mich die Scham dermaßen, daß ich sagte, ich brächte es nicht über mich. Sie meldeten es dem Papst, der schon draußen war. Er kam nicht, ließ mir sagen, er hätte nicht gedacht, daß ein Wolfsteiner sein Wort bräche. Da fügte ich mich.
Allenthalben waren Leuchtkörper in den Büschen angebracht, warfen ein rotes Licht. Das machte mir Pein, ich glaubte, Blut zu riechen. Wohin mein Wagen kam, jauchzten sie, der Papst gebärdete sich, als wäre er von der Erde entrückt. Erschienen mir in dem roten Lichte wie Trabanten Satans.
Da es zu Ende war, kam der Valentini, das wäre mein großer Tag, der Papst verlangte, daß ich, wie ich war, an seiner Tafel säße, ich könnte von ihm erreichen, was ich wollte. Ich antwortete, meinen Lohn hätt' ich dahin, mir wäre übel, er sollte mich bei dem Papst entschuldigen und mir helfen, daß ich nach Hause käme. Er wollte nicht, da er mich aber ansah, war er bereit.
Weiß nicht, was mir die Nacht geträumt hat. Als ich erwachte, stand die Sonne hoch. Der Valentini saß neben mir und sagte: »Das ist gut, ich hätte sonst zu einem Arzt gesandt. Ihr habt um die sechste Stunde geschrien, daß es mich und die Alte geweckt hat. Seitdem habt Ihr gelegen wie ein Toter. Wollt Ihr klug sein, so gehen wir gleich in den Vatikan und betreiben Eure Erbsache, dieser Stern kommt nicht zweimal. Macht Euch bereit, ich schlendere solange in den Straßen.«
Da er wiederkehrte, war er bleich. Er sagte: »Was hilft es, Ihr müßt die Wahrheit wissen. Um die sechste Stunde ist die Adorna enthauptet worden.«
Ich mußte mir Luft machen, gürtete mein Schwert um. Er hinderte mich, sagte: »Ich weiß, was Ihr vorhabt.« Ich stieß ihn von mir, antwortete: »Das wird die Welt wissen.« Er sagte: »Hört mich, Ihr wißt, daß ich Euer Freund bin! Eure Tat ist Wahnsinn, mag sie gelingen oder nicht, man wird Euch richten mit einer Marter, wie sie unerhört ist in der ganzen Welt.«
Da ich ihn wirklich für meinen Freund ansah, gab ich ihm Antwort und sprach: »Valentini, es nutzt nicht, wiedereinander zu streiten, Ihr seid ein Welscher, darum nennt Ihr dies Wahnsinn.«
Erhob er seine Stimme und rief: »So beschwör' ich das Andenken der Maria! Wenn sie ein Engel ist und sieht Eure Tat, muß sie um Euch weinen.«
Das traf mich, daß ich mein Schwert abnahm und ging in meine Kammer. Da blieb ich.
Später pochte der Valentini an, der Papst hätte nach mir gesandt, ob er sagen sollte, mir wäre nicht wohl. Ich antwortete: »Sagt ihm das nicht, sagt ihm, ich will nicht kommen, sagt ihm auch, daß ich ihn als meineidig und infam verrufen will, soweit meine Stimme reicht!« Der Valentini antwortete, er wollte sehen, wie er's einrichtete.
Gegen Abend ging ich in den Garten der Adorna. Da ich zu der Laube kam, wo ich oft mit Maria gesessen hatte, verweilte ich mich und war still. Als ich ins Haus ging, bangte mir vor dem Jammern der Alten. Sie war aber nicht so gebrochen, wie ich dachte, klagte mehr über sich als über ihr Kind, daß sie nun in ihrem Alter verlassen wäre. Auch berichtete sie mir dienstwillig, wie alles verlaufen ist.
Man hat Maria angeklagt, daß sie gesagt hätte, wenn ihre Seele zunichte würde, könnte Gott nicht eine Stunde leben. Dergleichen Reden hätte sie mehr geführt. Es sollten Zeugen vor sie gestellt werden, sie hat geantwortet, die wären nicht nötig, sie hätte das gesagt.
Da man sie gefragt hat, ob sie ihre Ketzerei widerrufen wollte, hat sie geantwortet: »Der Wahrheit würde es nicht schaden, wenn ich sie verriete, Gott aber, der in meiner Seele lebt, würde unter meiner Schwachheit leiden.« Das haben die Richter für Halsstarrigkeit genommen und sie zu der schärfsten Strafe verurteilt.
Sie ist blaß geworden, und ein Schauder hat sie ergriffen. – Im Kerker hat sie sich zusammengenommen und der Mutter Trost zugesprochen, ihr geschehe nur, was sie sich längst gewünscht hätte, die Qual würde nicht lange dauern, so barmherzig würde man gegen ein schwaches Mädchen sein, daß man trocken Holz nehme.
Danach hat sie eine Unruhe ergriffen, sie hat gesagt: »Mutter, sie werden doch trocken Holz nehmen?« Das hat sie oft gesagt, und jedesmal angstvoller. Hat sich auch erinnert, wie sie in ihrem dritten Jahre die Hand an ein Feuer gehalten hat, wie die Mutter Salbe daran getan hat, und wie es doch ein Schmerz gewesen ist, daß sie ihn nie vergessen hat. Danach hat sie geschrien: »Mutter, sie werden doch trocken Holz nehmen?«
Hat es die Alte nicht mehr können tragen, hat gesagt, sie wüßte einen alten Apotheker, der hätte von ihrem Manne, Marias Vater, vielen Vorteil gehabt, er würde ihr Gift geben. Maria hat abgewehrt, auf den Knien gelegen, Gott um Standhaftigkeit angefleht. Die Alte hat sie in den Arm genommen, da hat sie den Kopf angebuckt und geflüstert: »Mutter, das Gift!«
Wie die Alte hat hinaus wollen, ist der Kerkermeister gekommen und hat verkündet, der Papst hätte Maria zum Beile begnadigt, um die sechste Stunde sollte sie gerichtet werden, nicht auf dem Richtplatze, sondern im Hofe des Kerkers. Die Mutter hat gejammert: »Das nennt er begnadigen, das er meinem Engelchen den Kopf abschlagen läßt!«
Maria ist aber voll Glückes gewesen, hat gesagt, sie fühlte das blanke Eisen schon wie eine Kühlung im Halse. Dann ist sie betrübt geworden, daß sie in Schwachheit gefallen ist, gerade da Gott ihr Gnade erwiesen hat.
So ist das gegangen, bis die Stunde herangekommen ist. Des Henkers Frau hat ihr Haar abschneiden wollen, sie hat gebeten, daß es die Mutter täte. Die hat dabei geweint, jeden Morgen hätte sie dies Haar gekämmt und das Herz an seiner Pracht gelabt. Maria hat mit Lächeln gesagt: »So spricht eine Mutter!« Sie hat im Eifer geantwortet: »So sprechen viele, so sprach Herr Odo, der hat mir gesagt, wenn er des Nachts aus einem schreckhaften Traume erwachte, sähe er im Geiste deine sanften Augen und dein goldbraunes Haar, so schwände das Grauen wie ein Dämon vor einem lichten Engel.«
Das hatt' ich gesagt, denn es war so.
Da hat sie die Augen groß aufgeschlagen und nichts mehr geantwortet. Als es soweit gewesen ist, daß man sie hat hinausführen wollen, ist sie aufgefahren, hat geschrien, sie wollte nicht, hätte sich's überlegt, wollte alles widerrufen, nur am Leben sollte man sie lassen. Hat sich an die Mutter geklammert, des Henkers Knechte haben sie losgerissen, und ist gleich alles vorbei gewesen. –
Des anderen Tages ging der Valentini in den Vatikan. Am Nachmittag war er wieder da und sagte: »Es ist aus. Die Poeten sagen, Ihr wärt ein Stümper, sie hätten sich von Eurem glatten Äußeren blenden lasten. Der Medici ist auf der Jagd. Der Romanos gilt als der nächste Kardinal, kann den Hut ja auch bezahlen. Gäbe er Euer Erbteil heraus, so müßte der Medici ablassen. Er hätte Euch vielleicht dennoch geholfen. Da er weiß, daß Ihr ihm verloren seid, rechnet er als Kaufmann, er ist und bleibt ein Medici. Er selbst wird nichts wider Euch tun, der Romanos aber hat freie Hand. Ich will sehen, ob ich Euch einen Teil Eures Erbes retten kann, bleibt nachts im Hause und seht Euch am Tage vor, die Bravi mordeten Satanas inmitten seiner Teufel.«
Packte mich eine Wut und ich rief: »Ihr seid wohl selbst ein Teufel! Ihr sollt mich nicht glauben machen, mein Oheim könnte Mörder wider mich aussenden! Lebt wohl, ich gehe zum Romanos!«
Er war außer sich, schrie: »Wollt Ihr sehend in Eure Grube springen?« Ich tat aber, was ich mir vorgesetzt hatte.
Der Oheim war mit dem Papste auf der Jagd. Francesca spielte die Laute, das klang wie ein Abschied vom Paradiese. Ich ging hinein, sie sah mich an und sagte: »Kommst du, mein Falke?«
Der Liebestrank hatte seit Marias Anklage stillgelegen, nun wallte er auf und rollte durch meine Adern, daß ich der Welt und Gottes vergaß.
Wir waren beisammen bis es dunkelte, da rief sie plötzlich: »Auf, mein Falke, wir fliegen zu Horst!«
Sie befahl, Pferde zu satteln. Inzwischen öffnete sie einen Schrein, nahm eine Tasche von Samt heraus, wie sie Frauen am Gürtel tragen, und sagte: »Perlen und Edelsteine! Schau, wie sie funkeln! Blut funkelt noch herrlicher.«
Ihre Laute nahm sie mit sich aufs Pferd. Ich mußte die Tasche nehmen, mit der Laute wüßt' ich nicht umzugehen.
Da wir aus der Stadt waren, ritten wir wie damals Schritt. Francesca hatte ihr wildes Wesen abgelegt, sagte still: »Dein Oheim ist seit Jahren tot für mich. Schade um ihn, unter Julius war er etwas, weil der selbst etwas war. Unter Leo ist er ein Schlemmer geworden.«
Ich antwortete: »Wollte Gott, der Papst wäre nichts übleres als ein Schlemmer. Des Meineids hat sich der schuldig gemacht, der das Gewissen der Welt sein soll. Die sind freilich noch tiefer verrucht, die ihn gehetzt haben, daß er diese Heilige dem Henker überantwortet hat.«
Sie fragte heftig: »Sprichst du von der Adorna? Ich habe sie gewarnt.«
Antworte ich: »Von der und von ihren Mördern, denn das sind sie vor Gott.«
Fragte sie weiter: »Würdest du sie ohne Gnade zur Hölle verdammen, wenn du befinden solltest?«
Ich antwortete: »Ja, bei Gott, in ihre tiefsten Schlünde!«
Da trieb sie ihr Pferd an, daß wir kein Gespräch führen konnten. Es war dunkel, so fand ich nichts dabei.
Nach einer Weile, da ich über ihr seltsam Wesen gesonnen hatte, wandte ich mich um und sah sie an. Sie war ein Weib, und ein über die Maßen schönes, ich mußte aber eines Blattes gedenken, darauf ein Maler aus Nüremberg, heißt Albrechtus Dürer, die Reiter aus der Offenbarung Johannis gezeichnet hat: Krieg, Hunger und Pest.
Kam mir wieder der Gedanke, sie wäre gewiß doch ein Dämon.
Ich sah, wie ihre Laute zu Boden flog. Wollte halten, sie rief mir zu: »Laß, die ist entzwei für immer!« Das tat mir weh.
So ritten wir schweigend zum Kastell.
Der Haushofmeister war noch wach, sie sagte: »Margano, wir wollen tafeln, tut Euer Bestes, Ihr wißt wohl, daß der Ritter von der Mutter her ein Romanos ist.«
Er sagte, er könnte zu dieser Stunde nichts beschaffen, außer gebratenen Tauben und Früchten, doch wüßte er noch etwas für mich. Da er ging, hörte ich, wie er sagte, indem er nach der Art alter Leute vor sich hinsprach: »Er soll das Bild sehen, das ist das köstlichste, er soll das Bild sehen.«
Francesca ordnete an, daß unser Tisch oben auf der höchsten Galerie gedeckt wurde. Man sah weit hinaus in die Ebene. Der Himmel war voller Sterne, doch war eine schwüle Luft, wir aßen wenig. Danach setzte der Haushofmeister eine Kanne Weines und zwei Becher auf den Tisch. Francesca wies ihn an, daß er einen dritten Becher holte und sich zu uns setzte. Da war er froh. Ihre Diener waren ihr ergeben, obwohl sie sonst eine herrische Art gegen sie hatte.
Sie schwang sich auf die Brüstung, saß da stolz und frei. Mir wurde schwindlig, denn der Burghof lag brunnentief unter uns. Das sagte ich ihr, sie antwortete mit Lachen: »Wie mag einem Falken schwindeln?« Setzte sich noch kühner, daß mir und dem Alten graute. Sie sagte aber trotzig: »Wenn ich hinabfiele! Was sollte man sich besseres wünschen, als ein rasches Ende? Margano, Ihr habt lange gelebt, erachtet Ihr das als ein Glück?«
Der Alte antwortete: »Herrin, ich habe darüber nie gesonnen, doch ist mir nichts so trauriges wie das begegnet, daß die Mutter dieses edlen Herrn hat sterben müssen, ehe sie zwanzig Sommer gesehen hat.«
Francesca neigte das Haupt und sagte: »So spricht ein treuer Diener. Wie spricht mein Falke?«
Gedacht ich, wie ich mir vor sechs Monaten gewünscht hatte, in einer Klause bei den Feuersteinen ein beschauliches Leben zu führen, und wie nun alles gekommen war. Ergriff auch mich ein Trotz, und ich sagte: »Das beste ist ein früher Tod in ehrlicher Fehde.«
Francesca sagte spöttisch: »Die Herzliebste aber mag die Spindel drehen! Nun sollt ihr hören, was ich mir wünsche, mir und allen, die Falken sind und keine Tauben. Schade, daß meine Laute zerbrochen am Wege liegt, zu ihrem Klange hätt' es lieblicher getönt. Zwei Becher sind es, die Freude gewähren, Himmel und Hölle haben sie gefüllt. Der Trank des Himmels ist Liebe, Rache heißt der Trank der Hölle. Wer diese Becher geleert hat, erwarte nichts mehr vom Leben. Den preise ich glücklich, der sterbend Rache nimmt, und den, der aus Liebesrausch nicht erwacht!«
Ich war betroffen, daß sie das in Gegenwart eines Dieners sagte. Sie sprang von der Brüstung herab und rief mit Lachen: »Margano, unserem Gaste schmeckt meine Gabe nicht. Sagtet Ihr nicht, Ihr hattet noch etwas für ihn?«
Der Alte nahm voll Eifers einen silbernen Armleuchter, der auf dem Tische stand. Francesca ordnete an, der Wein sollte stehenbleiben, sie wollte mir einen Schlaftrunk bereiten.
Margano führte uns in einen Saal. Er ging auf den Zehen, das taten wir auch. Die Fenster waren verhangen, es war eine Luft wie in einem Grabgewölbe. Er setzte den Leuchter auf einen Schrank und zeigte auf ein Bild, das an der Wand hing.
War ein holdselig Mägdlein und ein Bild, wie die Maler bei uns es nicht vermögen. Ihre Lippen zogen sich um ein weniges, daß sie zu lächeln schien, doch waren ihre Augen groß und ernsthaft.
Francesca und Margano hielten sich still. Mir schwoll das Herz, als hätten das Bild und ich einander etwas zu sagen, und vermöchten es doch nicht.
Sprach die Stimme eines Engels in meinem Herzen: Das ist deine Mutter! Da jammerte mich der Wirrsal meines Lebens. Wollte ihr alles sagen und brachte nichts heraus als: »Liebe Mutter.«
Das mag ich oft gesprochen haben. Danach blickt ich umher und verwunderte mich, daß ich an einem fremden Orte war. Francesca faßte mich bei der Hand und sagte mit einer dunkleren Stimme als ihr sonst eigen war: »Komm, Odo!«
Wir gingen hinab. Margano folgte uns. Francesca hieß ihn das Tor öffnen, ging mit mir hinaus und sandte ihn wieder nach oben. Ich war wie ein Schlafender. Sie ließ mich los und sagte: »Lebe wohl, du hast von dieser Burg und von Francesca Marcellini geträumt!«
Da erwacht' ich aus meiner Betäubung und rief: »Gedenkst du dich von mir zu scheiden? Das ist mein Wille nicht!«
Sie sagte: »Danke deinem Engel, er hat dich gerettet aus Todes Händen.«
Ich antwortete: »Droht eine Gefahr, wie magst du denken, ich entflöhe? Das tut kein Wolfsteiner, solange er sein Schwert führt.«
Sie sagte mit schwerer Stimme: »Fliehe, du Narr! Über dir ist ein Geier, dem Falken und Adler gleich Tauben erliegen.«
Rauschte der Liebestrank noch einmal auf, daß ich sie an mich zog und rief: »Und sollt' ich tausend Tode sterben, ich lasse dich nicht, du Bild aller Schönheit!«
Sie riß sich los und rief höhnend: »Schöner Ritter, ich mag Euch nicht, Ihr seht Eurer Mutter zu ähnlich! Soll mich ein Frauenbild küssen?« Sprang hinein und warf das Tor zu. Ich hörte sie drinnen lachen, wie ein Mensch nicht lacht, danach war alles still.
Mir graute, ich machte mich auf den Weg. War eine schlimme Nacht.
Ein Gewitter brach los, wie ich es in den Bergen nicht erlebt habe. Kann sein, daß da oben ein Engel und ein Dämon, beide von großer Stärke, widereinander gekämpft haben. Ich habe gebetet, aber mein Gebet hatte keine Kraft.
Es war Morgen, da ich im Hause war. Der Valentini sagte: »Was ist Euch begegnet, wart' Ihr im Inferno?«
Ich dachte, der braucht das nicht zu wissen, antwortete, ich hatte das Kastell besucht, weil es zur Hälfte mein gehöre. Er antwortete: »Ihr seid klug, daß Ihr das bei Nacht und Unwetter getan habt, Ihr habt wohl eingesehen, daß einer, der sich dem Papst verhaßt gemacht hat, vogelfrei ist in Rom. Ich war für Euch tätig, Ihr sollt nicht ohne Gold von hier. Wollt Ihr mir ein Recht wider den Romanos einräumen, so will ich Euch zweitausend Dukaten geben. Agostino Chigi leiht mir das Geld, ich habe es nicht.«
Ich sagte, ich wollte ihm wohl mein Erbe verpfänden.
Er antwortete: »Ihr müßt es mir abtreten, verpfänden führt zu nichts gutem, Ihr seht es an dem Stapelburger. Die Advokaten in Rom sind schlauer denn Satan, die drehen mir Stricke daraus. Wäre nicht der Chigi bei der Sache, ließe es sich nicht tun, der allein vermag es durchzusetzen, daß der Romanos die zweitausend Dukaten zahlen muß, auch wohl einen mäßigen Lohn für das Risiko.«
Das war mir nicht recht, ich dachte aber daran, wie sich der Valentini als mein Freund erwiesen hatte. Dazu erschien mir dies Rom wie der Ort, den die Welschen das Inferno nennen. So erklärte ich mich bereit.
Der Valentini ging zu dem Geldmann, ich sandte einen Eckensteher zu Mathias, daß er mich abholen sollte.
Dauerte nicht lange, so kam der Valentini zurück, der Chigi würde gleich hier sein, den Notar und seine Zeugen mitbringen.
Danach sah er mich an, schwieg und sagte zuletzt: »Ich habe wieder eine Zeitung, die nach dem Grabe riecht. Die Marcellini ist auch hin.«
Ich wehrte mich unter seinem Blicke, wollte mich als ein Kriegsmann halten.
Er berichtete, wie es zugegangen ist. Francesca ist mit Margano wieder hinaufgegangen. Er hat sollen den Tisch abräumen. Sie hat eine Weile nach Rom hinübergeblickt, sich dann auf die Brüstung geschwungen. Der Alte hat ihr einen Becher Weines geben müssen, den hat sie langsam ausgetrunken. Danach hat sie mit lauter Stimme gerufen: »Das bring ich dem Hause Romanos!«
Hat den Becher hinter sich in den Burghof geworfen, hat den Halt verloren und ist hinabgestürzt. Unten hat ein Tisch gestanden, auf den ist sie geschlagen, der Kopf ist nicht zerschmettert. Margano hat sie aufgebahrt. Man hat dem Valentini gesagt, sie läge in großer Schönheit. –
Der Chigi bot mir einen Zettel, eine Anweisung an die Fuggers in Augsburg, eine Tratte nannte er sie, die sei wie Gold. Ich wollte sie nicht, verlangte gemünztes Geld. Sie sagten, das wäre gefährlich. Reiste ich mit anderen Pilgern, würden die mich umbringen, reiste ich allein, würde es mein Diener tun.
Darauf antwortete ich nicht, bestand auf meinem Verlangen. Der Chigi holte das Geld mit einem Diener.
Fiel mir auf, daß ihm der Valentini das abgetretene Erbe wegen dreitausend Dukaten verpfändete, da er doch nur zweitausend erhalten hatte. Sagte dazu nichts, weil es mich nichts anging, und weil ich nicht sprechen mochte.
Inzwischen war Mathias mit den Pferden gekommen. Ich gab ihm den Beutel, sagte in Gegenwart der Welschen: »Mathias, das sind zweitausend Dukaten, bringen wir die nach dem Wolfstein?« Er antwortete: »Ja, Herr, wenn einer von uns am Leben bleibt.«
Der Valentini fing von dem Golde des Papstes an, ich sagte, es wäre Judasgold, ich wollte nichts davon. Schenkte meinen Anteil der Bianca. Die Alte war greulich anzusehen in ihrer gierigen Freude.
Die Welschen sagten, wir sollten uns beeilen wegen der Bravi. Das taten wir nicht, wir ritten gemächlich. Mir war aber nicht gut zu Sinne, wollte mir vorkommen, als verstieße es wider Billigkeit und Recht, daß ich am Leben war.
Wir reisten über Genua, da wohnten wir bei einem Geldwechsler. Der sprach viel von Finanzen, war aber ehrlich. Zu dem Handel des Chigi sagte er, fünfzig von Hundert wären nicht zuviel. Da er von dem Handel des Valentini mit mir erfuhr, war er außer sich und schrie: »Ein Esau, ein zweiter Esau! Das reichste Erbe in Rom, ein wahres Fürstenerbe habt Ihr hingegeben! Was sind dafür zweitausend Dukaten? Ein Linsengericht! Weh, wie hat er Euch übers Ohr gehauen, Euer Freund Valentini!«
Ich merkte, daß er mich für einen Tölpel ansah. Packte mich mein alter Fehler, der Jähzorn, daß der Valentini, den ich für meinen Freund angesehen hatte, über mich lachte als über seinen Narren. Rief Gottes Fluch über ihn.
Danach ergriff mich eine Reue, dermaßen, daß ich in meine Kammer ging.
Ich blieb noch drei Tage in Genua, denn mich hatte ein seltsames Verlangen nach dem Meer ergriffen, gleich, als wäre das und nicht der Wolfstein meine Heimat. Von diesem Verlangen bin ich nicht wieder losgekommen.
Den dritten Tag sagte mein Wirt: »Habt Ihr den Valentini in Zeugengegenwart verlassen?«
Ich antwortete, es wäre ein Notar dabei gewesen.
Er sagte: »Das ist gut für Euch. Den andern Morgen hat man ihn erwürgt im Bette gefunden. Seine Schaffnerin hat ausgesagt, sie hätte in einem Totenschlafe gelegen, wüßte von nichts. Das mag nun sein, wie es will, der Papst hat angeordnet, man solle sie nicht foltern, wegen ihrer bewährten Treue gegen das Haus Valentini.« –
*
So bin ich nun in Rom gewesen, was einst meines Wünschens Anfang und Ende war. Meiner Seele Gewinn ist die Einsicht, daß kein Heil in der Welt ist, es sei denn in der Abkehr von ihr. Auch diese Brücke ist aber unsicher, denn Maria ist solcher Abkehr unerachtet eines unseligen Todes gestorben.
Verstört mir auch den Sinn, daß ein Mann wie der, den ich meinen Oheim nennen muß, in seiner Wüstheit fröhlich dahinlebt, ganz ohne ein menschliches Fühlen, und Gott läßt es geschehen, wie er es geschehen läßt, daß die Christenheit diesen Medici als seinen Vertreter hienieden verehrt.
Zuweilen ist mir auch, als wäre der Oheim in Wahrheit ein armer Mann, ja selbst der Papst wäre eher zu bejammern als zu verfluchen. Ist aber noch eine Wildnis in meiner Seele.