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Erster Abschnitt.
Moses


Ich, der Herr, das ist mein Name. – Jes. 42. 8.

Die Bibel gebraucht mehrfach das Wort Gott im Sinne von Obrigkeit. Gott ist der Herrscher, und im Herrschen offenbart er sich persönlich; nicht in den von Menschen angestellten Herrschern, seien es Fürsten oder andere Beamten, sondern in den Berufenen, welche die Bibel Propheten nennt. Wie Gott die Kräfte der Natur beherrscht, in deren Schoße er sich offenbart, so beherrscht der Prophet das Volk, aus dessen Schoße er hervorgegangen ist; ja durch ihn wird es erst zum Volke, da es ohne ihn eine zerstreute Horde wäre. Indem er es unter Gesetze sammelt, die seine Leidenschaften regeln, ihnen ein Land anweist, wo es wurzeln kann, schafft er es. So war Moses Gottvater des jüdischen Volkes. Jeder berufene Herrscher hemmt die egoistischen Kräfte zum Wohle des Ganzen, das er vertritt, und zwar so, daß jede einzelne Kraft sich bis an die Grenze, wo sie den Bestand des Ganzen gefährden würde, entfalten kann.

 

Ich rufe einen Adler vom Aufgang, einen Mann, der meinen Anschlag tue, aus fernem Lande. – Jes. 46, 11.

Bei vielen Völkern, als sie in Not waren, ging die Sage um von einem Helden, der von fernher kommen werde, um zu retten. Das Volk, das aus sich selbst das Wunder nicht hervorbringen kann, wartet auf Gott, der es in weiter Ferne vorbereitet und plötzlich herbeiführt. Gustav Adolf kam aus dem Norden zu den verzweifelnden Protestanten Deutschlands, Napoleon kam aus Korsika nach Frankreich, Garibaldi nach Italien von der äußersten Grenze des Landes, wie auch die Jungfrau von Orleans aus umstrittenem Grenzgebiet kam.

Jeder Held, der berufen ist, die Tat Gottes zu tun oder das Wort Gottes zu sprechen, ist ein Sterbender, der den Lebensinhalt, das gesamte Erinnern, die auf einen Punkt gedrängte Geisteskraft einer Gruppe äußert, die er vertritt und die mit ihm stirbt; vielleicht ist es nur eine Familie, vielleicht eine Stadt, vielleicht ein Land. Mit Christus starb der Orient; Griechen trugen sein Wort nach dem Westen, wo das junge Volk der Germanen ihn zu ihrem Herzog und Helden wählte. Die Legende, die Moses von der Tochter des Pharao gefunden werden läßt, deutet darauf, daß er ägyptischer Abkunft war. Die Fülle der Weisheit, die in diesem Volke war, strömte durch ihn auf das junge Volk Israel über. So tragen die Göttersöhne die Flamme des Geistes über den wechselnden Völkern in die Unendlichkeit.

 

Denn der Herr tut nichts, er offenbare denn sein Geheimnis den Propheten, seinen Knechten. – Amos 3, 6. 7.

Wir lernen den Willen Gottes nur durch große Menschen kennen, denn Gott selbst wird nicht sichtbar; die genialen Menschen wissen seinen Willen und vollziehen ihn. Darum sind auch große Menschen aller Völker Sehnsucht, Ruhm und Stolz. Um die Wiege und die Asche der Heroen streiten sich Städte und Länder; jede möchte den Homer oder Kolumbus ihr eigen nennen. Ist dies Gefühl auch überall verbreitet, so ahnen doch viele nicht, daß Verehrung der Helden christliche Religion ist. Manche mögen sogar eine halbdunkle Vorstellung haben, als reime sich menschliche Größe nicht mit der Demut, von der in der Bibel oft die Rede ist. Vielmehr ist die jüdisch-christliche Religion ausgeprägter Heroenkult; denn sie lehrt, daß die genialen Menschen, Propheten, Helden oder Heilande, so nennt sie die Heilige Schrift, die Vertreter Gottes sind, die einzigen Mittel, die Mittler, durch welche Gott seinen Willen verkündet. Allerdings lehrt die Bibel, daß Genialität Demut vor Gott ist, die Fähigkeit nämlich, mit Ausschaltung seines Selbst Gott in sich wirken zu lassen. Weil die Griechen ebenso wie die Juden den Heroenkult hatten, mußten sie beide im gleichen Ziele münden. Indessen haben die Griechen von sich aus das Verhältnis des Helden zur Gottheit nie so rein erkannt wie die Juden.

Glaube an den persönlichen Gott ist der Glaube, daß Gott sich durch Personen vertreten läßt. Wenn Stockungen und Verwirrungen im Leben der Völker eintreten, können sie nicht durch Einrichtungen, Pläne, Systeme irgendwelcher Art gehoben werden, sondern nur durch Menschen, die den göttlichen Willen haben: sowie der Auserwählte erscheint, regeln sich die Lebensströme von selbst in seiner Hand.

 

Wenn der Prophet redet in dem Namen des Herrn, und wird nichts daraus, und es kommt nicht, das ist das Wort, das der Herr nicht geredet hat; der Prophet hats aus Vermessenheit geredet, darum scheue dich nicht vor ihm. – 5. Mos. 18. 22.

Der Prophet hat die Gabe der Weissagung; wir sagen: der geniale Mann ist weitblickend, er erkennt die Zeichen der Zeit, er führt neue Wege in die Zukunft. Von jeher ist nun die Frage erhoben worden, an welchen Zeichen man die wahren Propheten erkennen könne. Es gibt ja viele, die Wege in die Zukunft einschlagen und das Volk anführen möchten, und die sich untereinander widersprechen; welcher ist der Erwählte Gottes, dem sich das Volk vertrauen darf? Denn ob das Wort kommt, das er geredet hat, das erfährt man ja erst hernach, es ist die nachträgliche Beglaubigung des Erfolges, die Gott zuweilen erst nach seinem Tode ausstellt, kein Ausweis bei seinem ersten Auftreten. Dieser Ausweis liegt nur in dem Glauben, den der Prophet sich erringen kann. Als Kolumbus sich von den Fürsten Schiffe erbat, um den neuen Weg nach Westen einzuschlagen, wiesen ihn alle ab, bis endlich eine Frau ihm glaubte: Isabella, die Königin von Kastilien. Es war auch in ihrem reichen und tragischen Leben der größte Augenblick, als der wunderbare Fremdling vor sie trat und ihr seine erhabenen Träume vortrug. Von den Gründen, mit denen er seinen Plan stützte, konnte sie nichts verstehen, abgesehen davon, daß sie unzureichend waren; nichts konnte entscheiden als der Eindruck, den seine Person ihr machte, der Sieg, den sein von Gott durchdrungener Wille über ihre Seele gewann. Sie wagte es, sich ihm zu vertrauen, wie er es wagte, dem Dämon zu folgen, der ihn rief; Gott gibt keine äußere Bürgschaft. Merkwürdig und lehrreich ist auch das Auftreten der Bilderstürmer in Wittenberg, während Luther auf der Wartburg war. Weder der Kurfürst noch einer seiner Räte, nicht einmal Melanchthon fühlte sich imstande, zu unterscheiden, ob man es mit echten oder falschen Propheten zu tun hatte. Ja selbst Luther, als er nun erschien, um die dadurch entstandenen Wirren zu schlichten, war bei einer Zusammenkunft mit diesen Männern einen Augenblick lang unsicher, bevor ihm sein Gefühl unwidersprechlich sagte, daß er es nur mit herrschsüchtigen Leuten zu tun hatte, die nicht Gottes, sondern ihren eigenen Willen durchsetzen wollten. Brächte das Genie äußere Abzeichen mit auf die Welt, woran man es erkennte, so wäre die Menschheit nicht frei, und die Geschichte wäre ein Mechanismus.

 

Denn es ist noch nie keine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist. – 2. Petrus 1, 21.

Dennoch gibt es untrügliche Zeichen, an denen die echten Propheten zu erkennen sind, nur sind sie, entsprechend dem, daß die Quelle der göttlichen Gedanken von der der menschlichen verschieden ist, dem Verstande allein nicht zugänglich. Solche Zeichen sind die Sicherheit und Leichtigkeit, mit der der Prophet die Verantwortung für seine Idee trägt: er ist es ja nicht selbst, der sie ausgedacht hat, sondern Gott denkt sie durch ihn, er will sie nicht, er muß sie vertreten. Ferner schließt das Getriebensein vom Heiligen Geiste jede Rücksicht auf den eigenen Nutzen aus, vielmehr ist das Genie durch das, was ihm am meisten am Herzen liegt, am meisten gefährdet. Bewußtes Ausschalten des eigenen Nutzens ist dabei eher verdächtig: der Prophet kann in seinem Ziele den Standpunkt des eigenen Nutzens nicht kennen, weil es eben nicht seine Sache ist, sondern die einer höheren Macht, die ihn treibt.

Als die Kaiserin Elisabeth von Rußland starb, waren die Freunde der damaligen Großfürstin Katharina in großer Sorge; denn man wußte, daß ihr Mann, der geisteskranke Peter III., die Absicht hatte, sich seiner Frau in irgendeiner Art zu entledigen. Mitten in der Nacht kam heimlich die junge Fürstin Daschkoff zu Katharina und fragte sie, was nun geschehen solle, welches ihre Beschlüsse wären? »Mich dem Strome der Ereignisse zu überlassen,« antwortete Katharina, »da ich unfähig bin, sie zu lenken.« An dieser Stimmung erkennt man das Genie. Zur Genialität gehört es, sein eigenes Selbst ausschalten zu können, nicht immer, aber im geeigneten Augenblick. Katharina hatte einen sehr ausgebildeten eigenen Willen; aber sie fühlte, wann sie diesen ausüben und wann sie Gott walten lassen sollte. Diese Kunst, warten zu können bis zum richtigen Augenblick, besaßen auch Gustav Adolf, Martin Luther, Garibaldi, kurz jeder echte Prophet hat sie. Wallenstein zum Beispiel besaß sie nicht; für ihn kam der rechte Augenblick nie; er war, wie das Horoskop Keplers es ausdrückte, allzu »wach und emsig«, konnte sich nie ganz vergessen und gehen lassen. Nietzsche spricht in einem Briefe einmal von einer »allzu feurigen Pressiertheit«, die hinderlich sei. Der wahrhaft Große verläßt sich auf seinen Stern, und was ist das anders, als daß er weiß, Gott werde ihn dahin tragen, wo er wirken solle. Neigt sich der Stern des Propheten, so sehen wir, zum Beispiel bei Napoleon oder bei Gustav Adolf, wie Unrast, Ungeduld und Unsicherheit an die Stelle der vorigen Gelassenheit tritt. Es ist ein Zeichen, daß seine Aufgabe getan ist, daß er seine Macht nicht weiter erstrecken soll. Da Gott nicht mehr durch ihn wirkt, ist er seinem irrenden, schwankenden Selbst überlassen.

Die Folge des Sich-von-Gott-getragen-Wissens ist die kindliche Heiterkeit, welche den tiefen Ernst, der die Grundstimmung des Genies ist, überstrahlt. Die eben erwähnte Fürstin Daschkoff erzählt von Katharinas Ausgelassenheit und Lust an kindlichen Spielereien, und ähnliche Züge werden aus Napoleons Glanzzeit berichtet. Kindlichkeit allein macht natürlich das Genie nicht, sondern auf die Kindlichkeit kommt es an, die geheimnisvoll verbunden ist mit hohem Selbstbewußtsein und leidenschaftlicher Willenskraft.

 

Da Israel jung war, hatte ich ihn lieb und rief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten. – Hos. 11.1.

Es konnte unmöglich Israels sittliche Tugend sein, um derentwillen Gott es in der Jugend liebte; Jugend hat bekanntlich keine Tugend, Jugend will wachsen und hat Machttrieb; Machttrieb ist nicht moralisch. Auch hat Gott es ausdrücklich gesagt: »Nicht daß du mich hättest gerufen, Jakob, oder daß du um mich gearbeitet hättest, Israel ... Ja, mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten ... Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht.« Da ist nur von Missetaten und Sünden die Rede, von keiner einzigen Tugend. Welche Eigenschaft mag es denn gewesen sein, die Gott lockte, sich das Volk Israel zu erwählen? Eben seine Jugend war es, die Tatsache, daß es noch kein ausgeprägtes Selbst war, sondern noch empfänglich, ein weiches Wachs, das dem Druck des göttlichen Gepräges sich anbot. Weil es noch keine eigene Stimme hatte, hörte es die Stimme Gottes, die in der Person Moses, des Propheten, es rief. Sein Vertrauen, seine Treue, womit es Moses gehorchte, den Gehorsam seines Glaubens rechnete ihm Gott zur Gerechtigkeit. Es war das Werkzeug, mit dem Moses, der Göttersohn, seine großen Taten tat. Gott ist, wo Befehl und freiwilliger Gehorsam ist. Wo Zwang ist, ist Gott nicht.

 

Und will euer Gott sein, so sollet ihr mein Volk sein. – 3. Mos. 26. 12.

In den Anfängen eines jeden Volkes erscheint ein Heros, der es aus einer wandernden Herde zum Volke macht: von allen diesen aus chaotischen Urnebeln sonnenhaft auftauchenden Halbgöttern ist Moses der größte, weil die Gesetze, die er gegeben hat, die Gesetze der Menschheit sind. Zur Begründung eines Volkes gehört dreierlei: daß man ihm feste Wohnsitze, daß man ihm Gesetze und daß man ihm eine Sprache gibt; die Propheten, durch die Gott den ersten Bund mit einem Volke schließt, sind Eroberer oder wenigstens Führer zum Gelobten Lande, Gesetzgeber und Dichter. Die Beziehung zwischen Führer und Volk findet ihr Vorbild in der Natur an den Herden, die sich unter Leittieren zu einem gemeinsamen Verbande gesellen. Hat eine Herde das Leittier verloren, so schließt sie sich einer anderen an.

Gott sammelt aber nicht nur das Volk durch einen Propheten, sondern er läßt sich dauernd vertreten, um es zu erhalten. Wie die Natur für sich allein immer zum Verwildern neigt, löst sich das Volk allmählich auf, wenn es ohne Haupt ist. Gott muß es immer wieder durch seine Vertreter neu zusammenfassen. In einem großen Manne findet das auseinanderfallende seine Einheit wieder; an den Namen eines großen Mannes knüpft es seine Einheitsträume, wenn die Gegenwart unfruchtbar ist. So richtete Mazzini den Namen Dantes als Symbol für das italienische Volk auf, während die Deutschen von dem wiederkehrenden Barbarossa träumten.

 

Was willst du denn für deinen großen Namen tun? – Josua 7. 9.

So mahnten die Propheten Gott, wenn er das Volk Israel im Zorn mit Vernichtung bedrohte. Gott bedarf eines Volkes, um sich zu offenbaren, wie das Volk eines Hauptes bedarf, um sich seiner Ziele bewußt zu werden und sie zu erreichen. Dio e popolo war Mazzinis Motto; diese beiden gehören unzertrennlich zusammen. Der große Mann ist dadurch groß, daß er viele vertritt, ja, daß er das ganze Volk vertritt, daß alle sich in ihm wiedererkennen, ihn lieben. Die Sonne ist das Bild des Gottessohnes: der feste Kern, der nach allen Seiten hin strahlt. Strahlen sind aber nur dadurch, daß sie widergespiegelt werden, das ist ihnen wesentlich. Es mag einer noch so tüchtig, noch so weise, noch so liebefähig sein, wenn die Liebe nicht angenommen wird, wenn er nicht in lebendige Beziehung zum Volke treten kann, ist er nicht groß. Gott für sich ist nichts; nur dadurch, daß sein Name genannt wird von allen Lippen, ist er der geoffenbarte Gott, ist er Gott und Herr für uns. Auch wir sind nur, insofern wir ein Name sind, den andere anrufen; nicht insofern wir in vieler Leute Mund, in der Welt berühmt sind; sondern insofern der Name Symbol für eine Wirkung ist, die von uns ausgeht.

 

Und er konnte allda nicht eine einige Tat tun, außer wenig Siechen legte er die Hände auf und heilte sie. – Markus 6. 5.

Auch Christus konnte nur heilen, wo der Gehorsam des Glaubens ihm entgegenkam. Man hat erfahren, daß nicht alle Menschen hypnotisierbar sind, und zwar sind es gerade die sogenannten Nervösen am wenigsten. Der Eigensinnige, Eigenwillige, der an sich selbst Gebundene und auf sich selbst Beschränkte kann keine von außen ihm zuströmende Kraft aufnehmen. Gehorsam und Glaube ist Empfänglichkeit für von unserer Willkür unabhängige Kraft, ist die Fähigkeit, ein Nicht-Ich auf sich wirken zu lassen. Karoline Schlegel sagte einmal zu ihrem Manne, im Homer solle der Ausspruch vorkommen: »Die Herzen der Guten sind heilbar«, sie habe ihn im Homer nicht gefunden, wohl aber in ihrem eigenen Herzen. Die Herzen der Guten sind heilbar, weil sie sich selbst vergessen und Kraft von Gott, teils aus der Natur, teils durch andere Menschen, aufnehmen können. Darum ist die Erhaltung des Gehorsams bei Kindern und im Volke so überaus wichtig; denn er verbindet mit Gott, er schützt vor Absonderung und Auflösung des Einzelnen wie des Volkes. Erhaltung des Gehorsams ist gleichbedeutend mit Erhaltung der Kraft; ein gehorsames Volk ist ein kraftvolles Volk. Nietzsche, der von den Deutschen wenig gelten ließ, rühmte, daß das deutsche Volk gehorchen könne, und zwar ohne daß der Gehorsam herabsetze. Denn nicht Knechtschaft, nicht Drill und Dressur können Kraft mitteilen und aufnehmen, sondern gläubige Empfänglichkeit, freiwillige Hingabe an den auf Gerechtigkeit und Liebe gegründeten Befehl.

 

Denn Ungehorsam ist eine Zaubereisünde. – 1. Sam. 15. 23.

Wenn Gehorsam die wesentliche Tugend ist, die Gott vom Menschen verlangt, so ist Ungehorsam die wesentliche Sünde, die er verdammt; denn so wie Gehorsam die Fähigkeit ist, göttliche Kraft aufzunehmen, so ist Ungehorsam Sichverschließen vor dem göttlichen Willen, um den eigenen Willen durchzusetzen. Jemanden bezaubern heißt, jemanden seinem Willen, seiner Macht unterwerfen, sich jemandes bemächtigen, und zwar unmittelbar durch Einwirkung von Willen auf Willen. Ich bezaubere jemanden nicht, wenn ich ihn einfange und in Ketten lege, sondern wenn ich ihn durch Wort und Blick oder nur durch den Gedanken an mich zu fesseln suche. Nun empfinden wir den Einzelwillen immer nur als solchen, wenn er dem göttlichen Willen entgegengesetzt ist: was wir schon haben, oder was das Schicksal uns freiwillig gibt, brauchen wir nicht zu verlangen. Je entschiedener Gott verweigert, was der Einzelwille verlangt, desto lebhafter wird der Wille; von Zaubern sprechen wir, wenn der Einzelwille sich bewußt im Gegensatz zum göttlichen Willen durchzusetzen bemüht ist. In der Liebe zaubert man, wenn man jemand durch Willenseinwirkung an sich zu fesseln sucht, der einen entweder nicht liebt, oder der durch andere Pflichten gebunden ist. Gottes ausdrücklichen Willen durch eigenen Willen abwenden und nach eigenem Willen lenken wollen ist Zauberei und ist zugleich Ungehorsam, Eigensinn und Eigenwille, Vordrängen des eigenen Ich über die von Gott dem Einzel-Ich gesetzte Grenze. Man sagt Wetterhexe anstatt Hexe, weil das willkürliche Beeinflussenwollen des Wetters, eines Ausdrucks des göttlichen Willens in der Natur, für das Wesen der Hexe charakteristisch ist. Möglich ist das Sichverschließen vor dem göttlichen Willen durch den eigenen Willen sowie die Beeinflussung des göttlichen Willens durch den eigenen. Der Mensch kann zaubern; aber obwohl gegen den göttlichen Willen, kann er es doch nicht ohne ihn.

 

Aber ich will Pharaos Herz verhärten, daß ich meiner Wunder und Zeichen viel tue in Ägyptenland. – 2. Mos. 7. 3.

Es drängt sich die Einwendung auf: Wenn Gott Gott ist, allmächtig, wie kann dann überhaupt der einzelne zaubern? Und warum darf er nicht nur beten, sondern soll er beten? Ist nicht auch das Gebet ein Beeinflussenwollen Gottes?

Gott will allerdings Willen, denn er ist selbst Willen. Die Leiden der Israeliten in Ägypten erweckten in Moses den Willen, sie aus Ägypten fortzuführen und anderswo zu einem Volke zu versammeln; die Zweifel des Moses, ob das Volk ihm folgen werde, veranlaßten Gott, ihn Wunderzeichen zu lehren, durch die er sich beglaubige; die Widersetzlichkeit des Pharao suchte Moses durch Wundertaten zu überwinden. Widerstand gegen Gott reizt Gott, sich zu offenbaren; wenn ein Schlag ihn trifft, springt der Funken aus dem Stein. Wir sehen, daß Gott sich absichtlich Widerstände setzt, um sich zu offenbaren. Wenn Gott des Glaubens bedarf, so bedarf er auch des Zweifels und des Ungehorsams: er will durch Bejahung gelockt und durch Verneinung gereizt sein. Gott will, daß Satan sei, um ihn immer wieder zu überwinden; oder, Gott ist eine Kraft, die sich durch Überwindung von Hemmungen äußert.

 

Und ich mochte ihrer nicht mehr, so wollten sie mein auch nicht. – Sach. 10. 8.

Es wäre grausam, wenn Gott eines Menschen Herz verhärtete, damit er den Widerstand fände, dessen er bedürfe, um sich zu offenbaren. Gott verhärtet aber nur die Herzen, die sich von ihm abwenden, nicht die frommen, die sich ihm hingeben. Das Selbständigwerden des Menschen, die Ausprägung des eigenen Selbst ist die Abwendung von Gott, die Abwendung vom Lichte und von der Liebe, die zu vollständiger Erstarrung werden kann. Dieser Hang zum Selbstsein und damit zur Abwendung von Gott ist in der Natur, und wenn es eine Sünde ist, die zum Tode des Erstarrens führt, so ist es doch zugleich eine Lust. Das Bewußtsein seines Selbst als eines eigenen Ich, eines eigenen Willens ist das höchst erreichbare Menschenglück, ist Gottesglück. Tiefsinnig sagt das Sprichwort: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Sowie aber der Mensch, durch diese Lust verführt, sich in ihr befestigen will, ist er verloren; denn es ist nur Ein Gott. Wie auf den Tag die Nacht folgt, so muß das Ich, nachdem es seines Selbstseins bewußt geworden ist, wieder in Gott untergehen und sich selbst aufgeben. Gott ist immer gegenwärtig, er ruft auch den Abgewendeten; aber je mehr er sich abwendet, desto schwächer vernimmt er den Ruf. Es besteht eine lebendige Beziehung und Wechselwirkung zwischen dem All-Willen und dem Einzel-Willen. Etwas Totes könnte der lebendige Gott hierhin und dorthin wenden nach seinem Gefallen; das Lebendige, weil es aus ihm selbst ist, bewegt sich nicht ohne, aber auch gegen seinen Willen. Verhärtung ist eigenes Gepräge; wenn Todesstrafe darauf steht, so war es doch eine Lust, die böse Lust des Nicht-mehr-unter-Gott-Seins.

 

Denn ihr seid ungehorsam dem Herrn gewesen solange ich euch gekannt habe. – 5. Mos. 9. 24.

Die Geschichte des Moses ist ein fortwährender Kampf des Propheten gegen die Trägheit, Halsstarrigkeit und Widersetzlichkeit des Volkes. Die Leiden, denen es in der Wüste ausgesetzt war, ließen es die Leiden der ägyptischen Knechtschaft vergessen; sie sehnten sich nach den verlassenen Fleischtöpfen, nach Ruhe, Bequemlichkeit und Genuß. Einmal, als sie das Herrscherauge nicht auf sich ruhen fühlten, ließen sie sich durch Aaron das Goldene Kalb machen, den Götzen des sinnlichen Wohllebens. Moses selbst aber war nicht besser: wie das Volk sich ihm widersetzte, so widersetzte er sich Gott, der ihn berief. Er wandte ein, daß er nicht beredt sei, worauf Gott ihm den Aaron als Mund zugesellte; so weit ging die Verwegenheit seines Ungehorsams, daß er sagte: Mein Herr, sende welchen du willst! Er und alle anderen Propheten des Volkes Israel widersetzten sich Gott; aber Gott war ihnen zu stark und überwand sie. Moses strafte das murrende Volk, und Gott strafte die Auflehnung seines Propheten; aber gerade der Ungehorsam war es, der Moses und Gott zu immer mächtigeren Offenbarungen ihrer Kraft veranlaßte. Wegen des Gehorsams und des Ungehorsams zusammen erwählte Gott sich das Volk Israel. Die entgegengesetzten Kräfte des Selbstwollens und des Sichhingebens an Gott in einem Individuum oder in einem Volke machen den Auserwählten oder das auserwählte Volk.

 

Denn du kommst nicht herein, ihr Land einzunehmen, um deiner Gerechtigkeit und deines aufrichtigen Herzens willen, sondern der Herr, dein Gott, vertreibt diese Heiden um ihres gottlosen Wesens willen. – 5. Mos. 9. 5.

Kriege, sagt das Sprichwort, sind ein Besen Gottes, womit er Land und Leute ausfegt. Kriege sind Stoffwechselbewegungen, durch welche das Erstorbene aus dem Wege geräumt wird, das dem Neuen, Lebendigen den Weg versperrt; es sind Scheiterhaufen, auf denen Leichen verbrannt werden. Die kanaanitischen Völkerschaften waren zivilisierter als das Volk Israel, ebenso wie das Römische Reich weit zivilisierter war als die germanischen Völkerschaften, deren Ansturm es doch erlag; aber das Volk Israel und die Germanen waren derzeit jung, fähig, einem Ideal anzuhangen und darum entwicklungsfähig. Kriege sind das letzte, das gewaltsame Mittel, durch welches Gott das Tote, welches tot ist, weil es in seiner Eigenart bleiben und sich nicht mehr verwandeln will, zu sich zieht.

Das gottlose Wesen der Heiden, um dessentwillen Gott sie vernichtet, ist nicht etwa ein barbarisches oder unmoralisches Wesen, sondern geistloses, gegensatzloses, unproduktives. Sie hatten kein Ideal mehr, das sie im Gegensatz zu sich selbst und zu anderen verwirklichen wollten. Sie waren alt, weil sie schon etwas waren und nichts mehr werden wollten, sie waren fertig. Das Volk Israel dagegen war jung, und Gott ging vor ihnen her in einer Wolke bei Tag und im Feuer bei Nacht. Aus ihrer Mitte gingen Helden hervor: Sterne der Menschheit, leuchtende Vorbilder. Bedenkt man, was für gewaltige Reiche es im Orient gegeben hat, so erstaunt man, wie sie spurlos verschwanden, und wie das kleine Volk Israel unsterblich lebendig ist, durch das Wort, das in ihnen Fleisch ward.

 

Der Herr sprach zu Gideon: des Volks ist zu viel, das mit dir ist, daß ich sollte Midian in deine Hände geben; Israel möchte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich erlöst. – Richter 7. 2.

Nichts ist dem modernen Menschen fremdartiger als die Art der Tapferkeit in dem höchst kriegerischen Alten Testament, welche gar nichts von Selbstvertrauen an sich hat, vielmehr im Bewußtsein der eigenen Schwäche und Sichverlassen auf Gott besteht. Fern war dies Bewußtsein der eigenen Schwäche von Feigheit: nach den Gesetzen des Moses sollten diejenigen, die sich fürchteten, daheim bleiben, damit sie nicht der Brüder Herz feige machten, nur diejenigen sollten ausziehen, die getrost waren, im Glauben, daß Gott mit ihnen sei. Auf die Zahl kam es nicht an, einzig auf das Gefühl der göttlichen Bestimmung, mit anderen Worten auf die Ahnung der bedeutenden Entwicklungsmöglichkeit. Unsere modernen Kriege fußen auf der Masse und auf der Berechnung, wie es in der biblischen Zeit bei den Ägyptern und Babyloniern der Fall war; die Kunst des Feldherrn besteht nicht allein, aber doch größtenteils darin, im rechten Augenblick eine dem Feinde überlegene Anzahl Menschen am Platze zu haben. Der Held will nur so viel Masse haben, wie er mit seinem Geiste durchglühen, wie mit seiner Person eins werden kann. In der Entwicklung der Kriege läßt sich der Augenblick bestimmen, wo das Mittel der Masse oder des Verstandes über das Mittel des Geistes den Sieg davontrug. Nicht als ob jeder Held nicht auch Verstand hätte: man denke nur an Napoleon oder Friedrich den Großen; es fragt sich nur, welches der Ausgangspunkt ist: die sich selbst einsetzende Persönlichkeit mit dem ihr gehorsamen Volke oder die verstandesmäßige Berechnung und die Dressur und Organisation. Die großen Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte sind gegen eine Überzahl und Übermacht erfochten: die Griechen besiegten die gewaltigen Perser, die schweizerischen Bauern die Fürsten und Ritter, die niederländischen Geusen den spanischen Koloß. In allen diesen Fällen siegte die Zukunft über die Vergangenheit. »Verzage nicht, du Häuflein klein«, war Gustav Adolfs Lieblingslied, mit dem er in die Schlacht zog; der Held fühlte sich als Vertreter der siegreichen Idee, die des Stoffes Herr wird. In ihm lebte das demütige und stolze Bewußtsein des Auserwählten: »Nicht hat euch der Herr angenommen und erwählet, darum daß euer mehr wäre denn alle Völker; sondern darum, daß er euch geliebet hat.« Es ist bezeichnend, daß Bonaparte fiel, als gegen das Ende seiner Laufbahn der Krieg mehr und mehr Massenkrieg wurde; er wäre es aber wohl nicht geworden, wenn er selbst noch der gottgesandte Held aus seiner Jugend gewesen wäre.

Es soll nicht geleugnet werden, daß Organisation, Pflicht, Selbstvertrauen, Selbstüberwindung nicht rühmliche Kräfte wären, mit denen sich ungemein viel ausrichten ließe; vielmehr nur zu viel wird damit ausgerichtet. Es sind menschliche Kräfte, die Gott ausschalten, was zur Folge hat, daß das endliche Gottesgericht der Weltgeschichte weiter hinausgeschoben und desto furchtbarer wird. Schon Friedrich der Große bemerkte, daß, seit die Kriegskunst in Europa sich vervollkommnet und die Politik ein Gleichgewicht unter den Mächten geschaffen habe, die größten Unternehmungen nur selten den erwarteten Erfolg hätten. Bei gleichen Kräften auf allen Seiten müßten sich am Ende des Krieges ungefähr die gleichen Machtverhältnisse gegenüberstehen wie zuvor. Seitdem hat die Politik, das heißt die bewußte Berechnung in den Beziehungen der Völker, noch mehr Fortschritte gemacht. Die europäischen Staaten stehen ungefähr auf gleicher Stufe der Zivilisation, sind gleich tot oder gleich lebendig. Würde denn aber irgendein junges Volk, das sich nur auf seinen Gott verließe, gegen die hochentwickelte moderne Kriegskunst Europas etwas ausrichten können? Man muß gestehen, daß das nicht wahrscheinlich ist; aber es ist damit nicht gesagt, daß der Mensch dadurch seine Überlegenheit über Gott bewiese, denn es bliebe Gott immer noch das Mittel, die Staaten, die sich ihm entzogen zu haben glauben, sich durch sich gegenseitig zu zerstören. Irgendwann einmal kommt der Augenblick, wo Gott alles Menschenwerk richtet. Wenn der Ton überprägt ist, so daß er keinen neuen Eindruck mehr aufnehmen kann, muß er zerschlagen und zerschmolzen werden; Gottes schaffende Hand braucht jungfräuliche Erde, um sein Ebenbild daraus zu gestalten.

 

So setze nun einen König über uns, der uns richte, wie alle Heiden haben. – 1. Sam. 8. 5.

Dies ist der bedeutungsvolle Augenblick, wo an die Stelle der Gottesherrschaft oder der göttlichen Ordnung die Menschen- oder Königsherrschaft, Menschensatzung oder menschliche Ordnung tritt. Unter einer Reihe von genialen Führern hatte das Volk Israel das ihm verheißene Land erobert; nun war es tatenmüde, es kam die Zeit, wo es sich zur Ruhe setzen, wie Goethe sagt, etwas Gutes in Ruhe schmausen wollte. Das Verlangen nach Königen war das erste Zeichen der abnehmenden Glaubenskraft und des beginnenden Mißtrauens, Mißtrauens in sich selbst als Unbewußtes. Das Volk ist der Schoß, aus dem Gott die Propheten zeugt, es ist zugleich ihre Mutter und Magd; dunkel fühlt es nun, daß seine Kraft, Helden zu gebären, schwindet, daß es altert. Die vorgerücktere Zivilisation der heidnischen Völker mit ihren Königen fängt an, ihnen zu imponieren und ihnen beneidenswert zu erscheinen; sie bekommen einen Blick für die Vorteile der Organisation. Samuel, der geniale Mann, der Herrscher von Gottes Gnaden, widersetzt sich; aber er gibt nach, weil er einsieht, daß diese Entwicklung in dem Naturgesetz des Alterns liegt. »Sie haben nicht dich, sondern mich verworfen,« sagt ihm der Herr. Sie werden selbstbewußt und selbständig, sie glauben nicht mehr an den Heiligen Geist, der sich im Propheten offenbart, und schlagen den Weg ein, der endlich zum Tode führt.

Ein erster Stillstand ist eingetreten, die Heldenzeit ist um. Die Hemmungen, die die großen Propheten zu überwinden hatten, bestanden in der Trägheit und Genußsucht des Volkes, sie blieben unter der Schwelle des Selbstbewußtseins. Jetzt erscheint die erste Spur der Hemmung an sich: des Selbstbewußtseins.

 

Wenn aber der Herr ihnen Richter erweckte, so war der Herr mit dem Richter und half ihnen aus ihrer Feinde Hand, solange der Richter lebte ... Wenn aber der Richter starb, so wandten sie sich ab und verderbeten es mehr denn ihre Väter. – Richter 2. 18. 19.

Der Prophet, Heiland oder Held erscheint, wenn es gilt, eine bestimmte Tat zu tun: ist sie getan, so zieht er sich zurück, so verschwindet er; denn der Held ist ein Befreier, Erretter und Richter, kein Regierer. Das Göttliche, das sich offenbart, ist auf einen bestimmten, räumlich und zeitlich begrenzten Punkt konzentrierte Kraft. Da Gott an sich aber allgegenwärtig und grenzenlos ist, kann dies nur dadurch geschehen, daß die dem Stoff angehörige Kraft, die Widerstandskraft oder der Machttrieb, das Göttliche herbeizieht. Es erscheint da, wo der Machttrieb so übermäßig ist, daß dadurch ein Schwächeres in seinem Leben gefährdet ist. Damit das Göttliche sich offenbare, muß zuvor eine Spannung entstehen, die auszugleichen das Göttliche hervortritt. Dies drückt die Spruchweisheit des Volkes mit dem bekannten Wort aus, daß Gottes Hilfe am nächsten, wenn die Not am größten ist. Dessen sind wir uns auch bewußt, wenn wir sagen, daß nicht nur die Begabung den großen Mann mache, sondern daß auch die Zeit dazu gehöre, die seiner bedürfe. »Die Umstände«, so lautet ein Ausspruch von Lammenaix, »offenbaren sozusagen das Königtum des Genies, der besten Hilfsquelle der erloschenen Völker. Die großen Dichter, diese Könige, die nur den Königsnamen nicht führen, aber die in Wahrheit durch die Kraft ihres Charakters und die Größe ihrer Gedanken herrschen, werden durch die Ereignisse gewählt, die sie beherrschen sollen. Ohne Vorfahren und ohne Nachkommenschaft, die Einzigen ihres Geschlechts, verschwinden sie, wenn ihre Aufgabe erfüllt ist, indem sie der Zukunft ihre Befehle hinterlassen, welche diese treu ausführen wird.« Hier ist das Wesen des Propheten geschildert: sein Vorauswissen der Zukunft oder Erfülltsein vom göttlichen Willen, sein Erscheinen, wenn die Not seines Volkes ihn ruft, sein Verschwinden, wenn seine Aufgabe erfüllt ist. Viele Helden der Geschichte wurden aus Helden Könige: so Cromwell, Napoleon, Calvin; andere blieben Helden und endeten tragisch, so Gustav Adolf, die Jungfrau von Orleans, Garibaldi, Luther. Die Propheten der Bibel waren alle Helden: seit es Könige gab, standen sie über den Königen oder ihnen entgegen, aber nie setzten sie sich an Königs Statt. Auch Moses gab zwar Gesetze und sprach Recht; übrigens aber überließ er das Volk sich selbst, daß es sich verwaltete, wie es wollte. Gerade der Umstand aber, daß die Propheten verschwanden, wenn sie die rettende Tat getan hatten, und daß das Volk, das sich eben in ihrer starken Hand geborgen gefühlt hatte, sich wieder auf die eigene Kraft angewiesen sah, erweckte das Verlangen nach erblichen Königen in ihm; sie wollten einen festen Mittelpunkt, einen organisierten, verweltlichten Gott. Das aber ist ein Widerspruch in sich, denn Gott wird nie fester Mittelpunkt. Der Mittler ist der Erretter, der von einer Hemmung befreit; der Regierer ist selbst eine Hemmung.

 

Und nehmet euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. – Lukas 3. 8.

Als Samuel alt wurde, wollte sich das Volk Israel, wie es natürlich schien, auf seine Söhne stützen; aber diese Söhne erwiesen sich als untauglich, und eben diese Untauglichkeit der Söhne des Genies brachte sie auf den Gedanken an erbliche Könige, die nicht durch Gott berufen wären, sondern kraft ihres Amtes regierten. Keiner von den Propheten Israels hatte hervorragende Söhne; denn der Geist vererbt sich nicht, Gott weht, wo er will. Vererben kann sich nur das Festgewordene, können sich nur körperliche und seelische Eigenschaften, und sie tun es, indem sie vom Vater auf die Kinder und von diesen wieder auf deren Kinder übertragen werden; der Geist hingegen vererbt sich mittelbar durch die Mutter auf das Kind, das ihn verschwendet. Geist ist Beziehung des Vergänglichen auf das Ewige, das Ausstrahlen einer Kraft in die Umgebung. Da das Genie ein Verausgaben, eine Äußerung ist, kann es sich natürlich nicht vererben, im Gegenteil; es ist oft bemerkt worden, daß das Genie eine große Anspannung der Natur zu sein scheine, der eine Erschlaffung folgen müsse.

Einer der wenigen originalen Gedanken Nietzsches ist der, daß das Erscheinen des Genies bisher immer vom Zufall abgehangen habe, daß man es aber züchten müsse, daß es sich also willkürlich erzeugen lasse. Es ist ein Gedanke, der menschlichem Größenwahn entspringt und menschlichem Hochmut schmeichelt, und der freilich, wenn er auf Wahrheit beruhte, die Heilige Schrift und unsere Religion mit eins zunichte machte. Es ist interessant, mit diesem Gedanken Nietzsches die Aussprüche Friedrichs des Großen über diesen Punkt zu vergleichen, der doch für irreligiös gilt. Immer wieder betont er, daß die Stärke der Staaten auf großen Männern beruhe, daß es aber in keines Menschen Macht liege, sie hervorzurufen. »Umsonst sage ich meinen Landsleuten, Leibniz brauche Nachfolger – er findet keine. Wenn Genies zur Welt kommen, wird sich das alles geben. Man muß abwarten, bis die Natur, die sich keine Vorschriften machen läßt, von selbst handelt. Wir armen Geschöpfe können weder Anstrengungen von ihr fordern, noch den Maßregeln vorgreifen, die sie zu treffen gedenkt, um die so erwünschten großen Geister hervorzubringen.« War es Nietzsche überhaupt Ernst mit seinen Gedanken? Er betonte ja selbst an anderer Stelle, daß das Unbewußte das Wichtigste im Menschen sei.

 

Doch bezeuge ihnen und verkündige ihnen das Recht des Königs, der über sie herrschen wird. – 1. Sam. 8.10.

Samuel warnte das Volk Israel, als es Könige verlangte, indem er ihnen vorstellte, in welcher Weise ein König regieren, und daß er sie, die Freien, zu Knechten machen würde, dadurch nämlich, daß er Männer und Frauen an seinen Hof ziehen und zu seinem Dienst brauchen werde. Der König bildet im Volke einen festen Mittelpunkt, welcher die Kräfte des Volkes an sich zieht: mit der Zentralisierung beginnt die Teilung des bis dahin einheitlichen Volkes in Stände. Das Volk Gottes ist ein Volk von Freien: Knechte waren nur die Schlechten, nämlich entweder die Besiegten oder die, welche wegen eines Verbrechens die Freiheit verloren hatten; nun aber werden aus einem Teil der Freien Diener des Königs und zugleich Stützen des Königs, die er deshalb über die Freien erhebt. Aus den Dienern des Königs entsteht der Adel, der den Stand der Freien zu entwerten trachtet. Denn der erbliche König muß sich mit künstlichen Stützen umgeben, die die fehlende Weihe des Geistes ersetzen. Sein Antlitz glänzt nicht wie Moses' Antlitz, als er vom Sinai herabstieg, so daß am Widerschein des göttlichen Feuers das Volk die Gegenwart Gottes erkannte; darum braucht er Krone, Zepter, Salböl und die Parteinahme eines Teils des Volkes, die er sich durch außergewöhnliche Belohnungen sichert. Der wahre Herrscher von Gottes Gnaden tritt gegenüber dem von Menschen gemachten immer mehr in den Schatten; das unsichtbare Siegel seiner Würde wird von dem sichtbaren des erblichen Königs überstrahlt. Wenn er sie geltend machen will, ist er in Gefahr, gekreuzigt zu werden.

 

Sie machen Könige, aber ohne mich, sie setzen Fürsten, und ich muß es nicht wissen. – Hos. 8. 4.

Der erbliche König ist nicht aus Gottes Gnaden, vielmehr wider Gottes Willen. Er ist nicht durch seinen Geist Herrscher, sondern kraft seines Amtes, sei er so dumm oder so schlecht er wolle. Natürlich ist es nicht unmöglich, daß auch unter den Königen einmal ein Berufener sei; um so untauglicher werden dann seine Söhne sein, bis seine Enkel und Urenkel schließlich ganz entarten. Friedrich der Große schrieb gelegentlich, mit Ausnahme der Königin Maria Theresia und des Königs von Sardinien seien alle Fürsten Europas nur erlauchte Trottel; Napoleon spricht in bezug auf Fürsten und Adel schlechtweg von den erblichen Eseln. Am höchsten wertet man mit Recht diejenigen Fürsten, die das Genie, den von Gott berufenen Herrscher, erkennen und sich ihm beugen. So besteht die Größe Kaiser Wilhelms I. darin, daß er sich Bismarcks Willen unterwarf, Viktor Emanuels, daß er sich von den großen Männern seiner Zeit führen ließ, und so ist der Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen unsterblich geworden, weil er dem von Gott erweckten Propheten Raum gab. Ergreifend ist es, die Beziehungen der Herrscher von Menschen Willen mit den Herrschern von Gottes Gnaden zu verfolgen; wie die unglücklichen Menschenkönige den Hauch Gottes fühlen und sich ihm hingeben möchten, zugleich aber die Welt, in der sie fest verankert sind, ja die auf ihnen beruht, deren Mittelpunkt sie sind, von diesem Hauche wanken fühlen. Andere, die sich schon abwärts bewegen, spüren ihn nicht mehr; so Karl V., als Luther vor ihm stand, Karl Albert von Sardinien, als Mazzini und Garibaldi ihn anriefen. Andere spüren ihn und suchen ihn sich und ihren herrschsüchtigen Zwecken zu unterwerfen, so die Päpste, die den heiligen Franziskus von Assisi zum Ordensvater machten.

 

So er die Götter nennt, zu welchen das Wort Gottes geschah. – Joh. 10. 35.

Ein russischer Zar, ich glaube, es war der geisteskranke Paul, sagte einmal: »In meinem Lande gibt es keinen Adel; nur diejenigen sind adlig, mit denen ich gerade spreche.« Es ist ein für einen Geisteskranken, also an Größenwahn Leidenden, sehr charakteristischer Ausspruch; denn auch hier wieder äfft der Teufel Gott nach. Gott adelt diejenigen, an die er sein Wort richtet und die es vernehmen, er macht sie sich gleich, zu Göttern: das ist der Geistesadel. Zu den vielen Mißverständnissen über das Christentum, die sich eingeschlichen haben und die blindlings geglaubt werden, gehört die Annahme, vor Gott gebe es keine Rangordnung; darin besteht der jüdisch-christliche Glaube, daß die Rangordnung der Welt vor Gott nicht gilt, wohl aber die ursprüngliche, die natürliche. Die Rangordnung der Welt ist fest, erblich, äußerlich, die von Gott-Natur ist persönlich, frei und fließend wie alles Göttliche. Der Adel der Welt ist aus den Knechten des Königs entstanden; die Adligen im Reiche Gottes sind Göttersöhne. »Die Vorzüge der Geburt«, sagte Friedrich der Große, »und der Dunst von Größe, mit dem die Eitelkeit uns einwiegt, nützen nur wenig oder, richtiger, gar nichts. Es sind Unterscheidungsmerkmale, die nicht zu uns selbst gehören und nur unsere Außenseite schmücken.« So mochte ein König, der ein Genie war, zu sprechen wagen. Der sogenannte Uradel führt seine Titel allerdings auf die Abstammung von den alten Freien zurück; aber abgesehen davon, daß es zweifelhaft ist, ob es noch Nachkommen derselben gibt, so würden sie sich durch den Adel der Rechte der Freien selbst berauben, da ihre Würde als freie Männer eben darin bestände, daß sie das Volk wären. Volk in diesem Sinne gibt es nicht mehr, außer etwa in einigen schweizerischen Urkantonen; aber es kann nur noch bestehen als Überbleibsel, als Museumswunderwerk. Dem sich weiterentwickelnden Leben gehört es nicht mehr an.

 

Nicht als die da herrschen, sondern als Vorbilder der Herde.

Der Sohn Gideons, Jotham, erzählt eine Fabel von den Bäumen, die einen König wählen wollten. Der Ölbaum weigerte sich, indem er sagte: »Soll ich meine Fettigkeit lassen, die beide, Götter und Menschen, an mir preisen, und hingehen, daß ich schwebe über den Bäumen?« Ebenso entschuldigen sich Feige und Weinstock damit, daß sie ihre Süßigkeit und ihren Most nicht opfern wollen, um zu herrschen. Das Königtum der Propheten ist ein Opfer; denn ihr Herrschen ist ein Tragen des Volkes, wozu sie ihre ganze Kraft aufwenden müssen, und es folgt daraus, daß sie die Kraft nicht für sich selbst verwerten können. Moses und die Richter setzten ihre ganze Kraft für das Wohl des Volkes ein, ohne irgendeinen anderen Lohn zu haben als den Gehorsam und die Liebe des Volkes. Auch strebten sie nicht nach der Herrschaft, vielmehr zuweilen stöhnten sie unter dem Joch, das Gott ihnen auflegte. Etwas ganz anderes ist es mit dem von Menschen gemachten König, dem Zwangsmittel zur Verfügung stehen, um den Gehorsam zu erzwingen. Ist er ein natürlicher Mann, so wird er sein Amt als ein Mittel betrachten, um seinem Machttriebe oder seiner Genußsucht zu genügen; ist er moralisch, so wird er es als eine Aufgabe fassen, die er nach bester Einsicht und Kraft durchzuführen sucht, nicht ohne reichliche Entschädigung durch allerlei Rechte, die seinen Pflichten gegenüberstehen. Die Quelle seiner Macht ist nicht die vom Dämon des göttlichen Wortes geleitete Willenskraft, die das Volk einigt und stützt, die wirken muß, auch wenn ihr Träger anstatt des Dankes gesteinigt würde.

Die Tätigkeit des Moses und der Richter bestand darin, abgesehen von ihrer Führerschaft im Kriege, dem Volke das Recht zu sprechen, damit keiner den anderen schädige oder übervorteile; der König beginnt damit, für sich und die Seinigen ein besonderes Recht zu schaffen. Das Maß ist nicht mehr das Wohl des Volkes, seine Erziehung und Entwicklung, sondern das Wohl des Königs und derer, die seinen Thron stützen. Damit geht Macht vor Recht; wer Macht hat dadurch, daß er an der Macht des Königs teilnimmt, gewinnt Vorrechte vor den anderen. Die Macht wird böse, weil sie nicht mehr unter Gott ist. Das einheitliche Volk ist in Stände oder Parteien geschieden; es kann nur wieder eins werden, wenn zufällig ein großer Mann König ist, oder wenn ein großer Mann neben dem Könige oder trotz des Königs das zersplitterte Volk mit gewaltiger Hand zusammenschmilzt.

Es ist das höchste Wunder, wie die Lebensströme eines Volkes sich rühren und einem Punkte zuströmen, wenn die Stimme des genialen Herrschers es ruft. Sein Name ist das Zauberwort, die orphische Musik, durch welche die Steine lebendig werden und sich selbst zum Tempel zusammenfügen. Mit einem mystischen Staunen über sich selbst erzählte Napoleon auf St. Helena, wie die Sterbenden mit ihrem letzten Atemzuge ihm gehuldigt hätten. Es kam vor, daß Söhne selbst des beraubten und gestürzten Adels ihn nur erblickten und das Knie vor ihm beugten, um sich ihm zum Opfer darzubringen; die Jünglinge in der öden Zeit nach seinem Untergange nährten sich mit der Erinnerung seiner Größe. Aus einem Chaos schuf sein Dasein eine nach Liebe und Haß geordnete Welt; auch die ihn haßten, waren erst durch ihn belebt. Auch das Genie, das sich von der Welt verführen läßt, ist noch Genie: Gott ist verkehrt mit den Verkehrten. Es gibt keinen schlagenderen Beweis für das Dasein des persönlichen Gottes als die Macht des Genies, eine neue Mitte zu bilden, um die herum die durch menschliche Ordnung Entseelten sich plötzlich zu einem lebendigen Volke kristallisieren. Er stirbt, und sie fallen auseinander und lassen sich widerwillig, innerlich verödet, in die alten künstlichen Ordnungen reihen.

 

Wenn ihr dann schreien werdet zu der Zeit über euren König, den ihr euch erwählt habt, so wird euch der Herr zu derselben Zeit nicht erhören. – 1. Samuel 8. 18.

Welches ist die Ursache, daß, falls auch ein König untauglich oder schlecht ist, das Volk sich trotzdem unterordnen soll? Damit Unordnungen, Umwälzungen vermieden werden? Das kann unmöglich der letzte Grund sein, da es Gott auf Ruhe, Genuß, Ordnung um jeden Preis durchaus nicht ankommt.

Die Ursache, weshalb das freie Volk sich Könige wählte, waren beginnende Instinktlosigkeit und gleichzeitig zunehmender Eigensinn und Eigenwille, um einen gebräuchlichen Terminus anzuführen: Individualismus oder Negativismus. Der Machttrieb der Einzelnen oder der Parteien drängt über das Maß hinaus, an welches die Einheit des Volkes gebunden ist; erst jetzt kann man vom Individualismus im schlechten Sinne sprechen oder wird aus Individualismus Negativismus: er verneint die Idee des Volkes als eines Ganzen, dem das Einzelne sich unterordnen muß. Es ist in dieser Beziehung auffallend, daß während des Dreißigjährigen Krieges beständig die Partikularinteressen, wie man es damals nannte, als die Ursache des Unheils der Zeit angeführt werden. Sowie die Stärkeren anfangen, sich vom Volke abzusondern, muß eine dauernde höchste Regierungsgewalt da sein, welche, wenn es sein muß, mit Zwang das Ausschweifende zurückdrängt und ein Gleichmaß aufrechthält. Ein Volk, dessen Zusammengehörigkeitsgefühl stärker wäre als der Machttrieb seiner einzelnen Glieder, bedürfte der festen Zentralgewalt nicht; sowie der Individualismus das Zusammengehörigkeitsgefühl überwiegt, müßte das Volk ohne eine solche sich auflösen.

Da Gott auch diejenigen nicht verläßt, die sich von ihm abwenden, hat er ihnen einen Schutz mitgegeben: als ein Heilmittel der Natur liegt im Eigenwilligen selbst das Bedürfnis nach beherrschendem Zwange. An Kindern ist das leicht zu beobachten: das fromme Kind bedarf besonderer Strenge nicht und verhält sich eher ablehnend dagegen, es gehorcht ja freiwillig; je eigenwilliger dagegen ein Kind ist, desto wohler fühlt es sich in einer streng beherrschenden Hand. Wo der Eigensinn so weit geht, daß auch dieser Instinkt nicht mehr vorhanden ist, beginnt schon die Geisteskrankheit. Man kann sagen, daß das instinktlos und eigenwillig werdende Volk sich das Königtum wie eine Arznei verordnet; da sie Gottes Stimme nicht mehr vernehmen, nicht mehr auf den unsichtbaren Mittelpunkt des Ewigen bezogen sind, müssen sie einen festen Punkt in ihrer Mitte haben. Allerdings wird der Eigenwillige mit der streng beherrschenden Hand zuweilen unzufrieden sein mit mehr oder weniger Berechtigung; deshalb bedarf er ihrer aber nicht weniger, sondern eher mehr. Revolutionen werden tatsächlich durch die unerträglich aufgehäufte Ungerechtigkeit, die in der menschlichen Ordnung liegt, hervorgerufen; aber es zeigt sich stets, daß der Sinn, der selbst diese menschliche Ordnung begründete, sich nicht geändert hat. Der Mangel an freiwilligem Gehorsam, die Unfähigkeit, eine Einheit zu bilden durch eine Person, der von allen freiwilliger Gehorsam geleistet würde, macht die Rückkehr zu der eben gestürzten Regierung notwendig; sie wechselt vielleicht die Form, aber ihr Wesen bleibt: ein fester, äußerer Mittelpunkt zu sein, der die Macht hat, Gehorsam zu erzwingen.

Herrschsucht ist bedingt durch Ungehorsam und Eigensinn; Herrschsucht und Sklavensinn gehören zusammen wie göttlicher Befehl und freiwilliger Gehorsam. Die moderne sozialistische und anarchistische Richtung unterscheidet sich dadurch von den Revolutionen, die vor der großen französischen Revolution waren, daß sie nicht einen verhaßten Herrscher stürzen und einen anderen, etwa aus ihrer Mitte, sich selbst, an die Spitze stellen will, sondern daß sie Befehl und Gehorsam überhaupt aus der Welt schaffen und etwas Unpersönliches zum Gott machen will, ein Widerspruch in sich, da Gott sich nur durch die Person offenbart. Es ist die äußerste Stufe des Negativismus, das Sich-niemandem-unterordnen-Wollen oder Nur-sich-selbst-gehorchen-Wollen, das sich schließlich ad absurdum führt, da das Ich, welches nur herrschen und nicht gehorchen will, sich damit selbst abschafft.

Die Gottesherrschaft des Alten Testaments, das sei noch einmal zusammenfassend betont, war durchaus nicht etwa eine Priesterherrschaft, sondern die auf den freiwilligen Gehorsam des Volkes gegründete Herrschaft des Berufenen, oder die vielgerühmte Herrschaft der Guten, der Besten; Aaron, der Priester, war nur der Mund des Moses, seines Gottes, wie es in der Bibel heißt. Der Gottesherrschaft oder göttlichen Ordnung steht als Welt oder menschliche Ordnung jede Einrichtung gegenüber, die auf erzwungenem Gehorsam oder denn auf Ausschaltung des persönlichen Willens überhaupt beruht. Eine Republik ist nicht weniger weltlich als eine Monarchie und eine beschränkte Monarchie nicht weniger als eine absolute, ja eher mehr; denn die Beschränkungen des festen Mittelpunktes beweisen zwar das Mißtrauen, das man gegen ihn hegt, aber nicht, daß man Vertrauen zu dem wahren, göttlichen Mittelpunkt haben würde, wenn man seiner bedürfte und wenn er erschiene. Im Gegenteil erhält sich die Glaubens- und Gehorsamsfähigkeit eines Volkes je besser, desto mehr Raum die Verfassung einem persönlichen Willen läßt; je klüger hingegen eine Verfassung den Willen auf verschiedene Punkte verteilt, desto mehr unterdrückt sie den Glauben an den Berufenen, den sie doch niemals ersetzen kann. Im Altertum und Mittelalter gab es keine Republiken im heutigen Sinne; vielmehr waren gerade die Republiken groß durch die Führerschaft großer Männer, denen das Volk sich freiwillig unterordnete. Noch jetzt finden sich in der Schweiz Spuren von der Neigung im Volke, Vertrauensmännern die Führung der allgemeinen Angelegenheiten zu überlassen; ich könnte auch sagen, die Idee der Volkszusammengehörigkeit als Gefühl und Wurzel des Volkes ist kaum irgendwo noch so lebendig wie in der Schweiz. In diesem abgesonderten Winkel hat sich ein Überbleibsel des alten Römischen Reichs Deutscher Nation erhalten, der einzigen Gottesherrschaft im großen Stile in der nachchristlichen Welt.

Die mittelalterlichen Kaiser waren geniale Männer, die die Not der Zeit und das Volk beriefen. Wenn die Untauglichkeit ihrer dekadenten Nachkommen sich erwiesen hatte, erhob sich ein neues, blühendes Geschlecht. Ein wunderbarer Bau von kleinen Kreisen, die durch selbstgewählte Führer vertreten waren, die wieder höheren Führern dienten, mit dem Gipfel des Kaisers, dessen Kraft im freien Volke wurzelte, war dies Römische Reich; nur möglich durch ebendies freie Volk, die freie Bauernschaft, die dem Kaiser die Kraft gibt, durch die er seinen Willen ausführt. Er durfte sich frei Mehrer des Reichs nennen; denn er wollte nichts für sich, er ließ nur wachsen. Unendlich assimilationsfähig vermählte sich das Reich mit den verschiedensten Völkern, eins gab und nahm vom anderen und entfaltete sich reicher im glücklichen Austausch. Es konnte Stämme und Stände geben, denn die Verschiedenen fanden im Kaiser, der die Quelle des Rechts und der Freiheit war, die Einheit wieder. Anders als in einem persönlichen Willen, der alle vertritt, können verschiedene Individuen nicht eins werden. Was allzu eigenwillig das Haupt erhob und nicht mehr unter dem Kaiser sein wollte, verlor, was es nur zu Lehen hatte und endlich auch die Freiheit, die auf dem freiwilligen Gehorsam beruht. Von Anfang an wurde das Römische Reich Deutscher Nation bekämpft durch die Kirche, die die Tradition des alten Römischen Reiches, der eigentlichen Welt, aufgenommen hatte; sie unterstützte den Individualismus des Adels, der sich gegen den Kaiser auflehnte. Schließlich wird aber auch die kaiserliche Gottesherrschaft weltliches Fürstentum: die Habsburger schufen sich eine erbliche Hausmacht. Seitdem gab es keinen Kaiser im eigentlichen Sinne mehr und auch keinen freien starken Bauernstand. Das Römische Reich ging zugrunde, weil der Adel die freien Bauern legte, der Kaiser, der nicht mehr Kaiser war, sie den Fürsten auslieferte, und diese wiederum sie dem Adel preisgaben. Der Eine war nicht mehr da, der die Idee der Volkseinheit in seiner Person vertrat.

Satan hatte Gott überwunden in dem ewigen Götterkampfe. Der Herrschaft der Stärkeren konnte nun nur noch durch Zwang entgegengearbeitet werden, dem wiederum durch Zwang entgegengewirkt wurde, so daß reines Recht auf keiner Seite mehr war. Revolutionen mußten von Zeit zu Zeit einen verhältnismäßigen Rechtszustand schaffen, der aber auch nur auf Zwang gegründet war.

Die Gottesherrschaft geht aus von gegenseitiger Treue und persönlicher Verantwortung des jeweils Höheren, es herrschen innerliche Beziehungen, die fließend, stets bewegt und wandelbar sind; die äußerlichen Beziehungen der Menschensatzung sind starr; sie beruhen auf dem Gesetz und suchen die Verantwortung zu teilen oder ganz auszuschalten.

 

Und er ratfragte den Herrn; aber der Herr antwortete ihm nicht. – 1. Sam. 28. 6.

Der erste König der Bibel, Saul, ist zugleich der erste Geisteskranke; sein Leiden äußerte sich als Melancholie. Wie man fälschlich in der Gottesherrschaft Priesterherrschaft gesehen hat, so hat man auch fälschlich in Saul den edlen König gesehen, der ein Opfer priesterlicher Herrschsucht wurde. Vielmehr ist es so, daß Saul und Samuel, später Saul und David, sich gegenüberstehen als der nicht geniale Mensch, der trotzdem herrschen will, und der berufene Herrscher, der Gottes Stimme hört. In der Geschichte haben sich öfter solche Paare gegenübergestanden, so Wallenstein und Gustav Adolf, so Karl Albert von Savoyen auf der einen Seite, Mazzini und Garibaldi auf der anderen Seite. Auch, an Bismarck und König Wilhelm I. muß man denken, mit dem Unterschied, daß König Wilhelm den Instinkt des Glaubens hatte, sich von dem leiten zu lassen, den die innere Stimme rief. Mit Recht rühmt man das an ihm; denn es wurde ihm durchaus nicht leicht, da er, wie alle vornehmen, nicht impulsiven Menschen, mißtrauisch und stolz war. Wer Gottes Stimme nicht in sich hat, dem bleibt nur, denen zu folgen, die den Ruf haben; Saul tat das im Anfange seiner Herrschaft, aber allmählich bildete sich der Trotz in ihm aus, nur sich selbst folgen zu wollen, obwohl er keinen Führer in sich hatte. Er bekam den Größenwahn oder die Cäsarenkrankheit, die man im siebzehnten Jahrhundert mit Bezug auf die Habsburger die Spanische Krankheit nannte. Es ist charakteristisch, daß Saul im Gespräch mit Samuel Gott »deinen Gott« nennt; er spürte eine neidische Feindseligkeit gegen diese Kraft, die er nicht leugnete, die aber nicht in ihm war, ein stolzes Widerstreben und eine geheime Lust, sie zu übertrumpfen.

Das Verhältnis Sauls zu dem Amalekiterkönig Agag kann man sich dadurch klarmachen, daß man sich an König Wilhelms Abneigung gegen den Krieg erinnert, wenn auch der Vergleich nicht in jeder Beziehung stimmt. Der Prophet, der die Berufung Gottes hat, trägt die Verantwortung für die Entfesselung eines Krieges, weil er in Gottes Namen handelt; weil er Gottes Stimme hört, glaubt er an Gott und tut Gottes Willen. Der Nichtberufene schaudert vor der Verantwortung, die er als Mensch für sich auch niemals tragen könnte. Weder Samuel noch Saul haßten den König Agag persönlich; aber Samuel wußte jedenfalls, wie gefährlich er, wenn er leben bliebe, seinem Volke werden würde. Dem menschlichen Verstande leuchtet oft das Verhalten des Nichtberufenen weit mehr ein, weil es eben menschlich verständiger ist; die Weisheit des Berufenen begreifen oft erst künftige Geschlechter ganz. König Wilhelm wollte den Krieg nicht, nach dem Siege aber wollte er weitgehende Ausnutzung des Sieges; Bismarck umgekehrt wollte den Krieg, nach dem Siege aber weitgehende Nachgiebigkeit, in der Meinung, daß den besiegten Feind zu gewinnen besser als jeder andere Gewinn sei.

Seit Saul sich nicht mehr von Samuel führen läßt, verfällt er in Schwermut. Um den bösen Geist, der über ihn gekommen ist, zu verscheuchen, wird neben den von Gott Verworfenen ein Berufener gestellt, David, der Liebling des Herrn. Saul spürt die göttliche Kraft in dem Knaben, die sich zunächst durch nichts als kindliche Unschuld und kindlichen Gehorsam beweist, und er fühlt sich gedrängt, ihn zu lieben.

Aber es ist sein Königsfluch, daß er niemanden mehr zu lieben vermag, weil er niemandem mehr traut, ja, daß er den hassen muß, dem er sich hingeben möchte, weil er ihn als den Mächtigeren fürchtet. Auch der bösen Stimme jedoch, die ihm rät, den Gefürchteten zu vernichten, kann er nicht mehr unbedingt folgen und flattert ohnmächtig, wollend und nichtwollend, zwischen Tag und Nacht. Ein herzzerreißender Kampf spielt sich ab: den bräunlichen Knaben mit dem furchtlosen, gehorsamen Herzen überschüttet bald die Liebe des kranken Königs, bald stellt ihm seine Eifersucht nach dem Leben. Mit der strahlenden Unschuld des Kindes geht der Auserwählte unverletzt durch die Gefahr; die Königskinder selbst, Michal und Jonathan, macht Gott zu seinen Engeln, die ihn beschirmen müssen.

In seiner höchsten Not, als die Philister den Krieg gegen ihn eröffnen, und keine innere Stimme ihm sagt, was zu tun sei, geht Saul zu einer Zauberin und heißt sie Samuel beschwören. Jetzt, da Samuel tot ist, seinem Stolze nicht mehr im Wege, möchte er ihm gehorchen; aber es antwortet ihm aus dem Grabe nur das Echo seiner eigenen Verzweiflung, die den nahen Untergang unabwendbar vor sich sieht. Wie sehr erinnert er an Karl Albert von Savoyen, der keinen tüchtigen Mann neben sich ertrug, selbst Feldherr sein wollte und, da er doch die Stimme Gottes in seinem Herzen nicht vernahm, vor der Schlacht eine Nonne befragte, die für gottbegeistert galt.

Der geniale Feldherr bleibt in der Nacht, die den großen Entscheidungen vorhergeht, allein mit seinem Dämon; nicht nur der Feldherr, jeder Seher, bevor er handelt oder redet. Diese Wechselrede mit dem inneren Gott ist es, die man Gebet heißt. In Jonathan führt uns die Bibel den Sohn einer frommen Mutter vor, in Michal die Tochter des stolzen, eigenwilligen Vaters. Diese Anlage war jedenfalls in Saul vorhanden; aber es läßt sich denken, daß ein anderer Schicksalsgang ihn anders entwickelt hätte; es scheint die Königseinsamkeit ein Klima zu sein, das nur für wenige Lieblinge Gottes nicht unheilvoll ist.


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