Annie Hruschka
Schüsse in der Nacht
Annie Hruschka

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XXIX.

Mehr als ein Jahr war vergangen. Wieder standen die Bäume im Kreuzsteiner Park blätterlos da, und der Nordsturm fegte um die Mauern des Schlosses.

Innen aber war es noch stiller als vor einem Jahre. Vor vier Wochen hatte Yolanthe unter großer Prunkentfaltung Conte Almassa ihre Hand gereicht und war ihm nach Florenz gefolgt.

Und gestern ließ sich Frau Isabel in aller Stille mit Baron Weltenberg trauen. Das junge Paar wollte erst eine Hochzeitsreise nach England machen und dann auf Schloß Rosenbühl dauernd Aufenthalt nehmen.

Mara allein war auf Kreuzstein geblieben. Mit Frau Baumer und der Witwe eines verarmten Gutsbesitzers, die sie als Gesellschafterin engagiert hatte, wollte sie sich ganz Werken der Wohltätigkeit widmen, um in der liebreichen Sorge für andere einen Ersatz dafür zu finden, daß ihr vom Schicksal Eigenglück versagt blieb.

Sturm hatte sie nur zweimal flüchtig wiedergesehen. Einmal im Gewühl der Straße, das anderemal bei Fräulein Rehbein, wo er zu ihrem Schrecken unerwartet früh heimkehrte.

Sie hatten nur wenige gleichgiltige Worte gewechselt, aber es war etwas in dem melancholischen Blick des jungen Mannes gewesen, das Mara verwirrte.

Besonders das zweitemal hatte er sie so eigentümlich befangen und zugleich so wehmütig angesehen, daß ihr fast die Tränen in die Augen traten.

Was mußte er leiden bei ihrem Anblick, der ihm das Bild einer andern schmerzhaft in Erinnerung brachte . . .

Mara beschloß daher, lieber Fräulein Rehbein gar nicht zu besuchen oder doch nur, wenn Ernst verreist war.

So spann sie sich immer mehr in ihr einsames Leben auf Kreuzstein ein, das nur selten durch einen Besuch von auswärts unterbrochen wurde.

Die liebsten Besuche waren Mara diejenigen Silas Hempels, der zuweilen einen Abend draußen verbrachte und durch seine Unterhaltungsgabe, sowie durch seine vornehme gemütvolle Denkweise bald zu ihren geschätztesten Freunden zählte.

Auch heute saß er im kleinen Speisesaal zwischen Mara und ihrer Gesellschafterin Frau Rottmann, trank seinen Tee und erzählte allerlei lustige Geschichten.

Aber Frau Rottmann hatte furchtbare Kopfschmerzen und bat um neun Uhr, sich zurückziehen zu dürfen, da sie es nicht länger aushielte.

Mara erwartete natürlich, daß sich Hempel nun auch bald empfehlen würde, aber er schien gar nicht daran zu denken, sondern plauderte munter weiter.

Plötzlich sagte er: »Wissen Sie, daß Dr. Sturm ein unerhörtes Glück hat? Man übertrug ihm den Bau des neuen Volkshauses, das da irgendwo gegründet werden soll. Ueberhaupt – der Mann weiß sich vor Aufträgen kaum zu helfen. Er ist in die Mode gekommen und verdient ein rasendes Geld. Heute würde es Ihr Vater wohl nicht mehr als Frechheit angesehen haben, wenn er um Fräulein Yolanthe geworben hätte.«

Mara sah verwirrt vor sich hin. Wie auf Verabredung war bisher der Name Sturm zwischen ihnen nie erwähnt worden. Warum erzählte er ihr dies jetzt?

Hempel aber fuhr, ohne ihr Schweigen zu beachten, fort: »Schade um den prächtigen Mann, daß er trotz allen äußeren Erfolges innerlich langsam zugrunde geht. Aber so geht es – Weiberlaunen haben schon den besten Männern das Genick gebrochen!«

»Er kränkt sich also noch immer um meine Schwester?« murmelte Mara mit blassen Lippen.

»Um die Contessa? Bah – was fällt Ihnen ein? Ich glaube nicht, daß er ihr je viel Tränen nachweinte. Wenigstens nahm er damals, als man ihm ihr Verhalten erzählte, die Geschichte verdammt kaltblütig. Wissen Sie, was er sagte: ›Ich wußte, daß sie mich nie geliebt hat, sonst hätte sie eingewilligt, meine Frau zu werden, als ich sie bei unserer letzten Begegnung darum anflehte. Damals sind mir die Augen gründlich aufgegangen, so gründlich, daß ich ihr schon zwei Minuten später nacheilte und mein Wort zurückverlangen wollte. Leider war sie bereits im Haus und gleich darauf war mir, als hörte ich irgendwo Schüsse fallen. Ich eilte um die Ecke, sah in Herrn von Rittlers Zimmer Licht und wurde dabei vom Gärtnergehilfen überrascht. Hätte ich noch die geringste Aussicht haben können, Yolanthe mein eigen nennen zu dürfen, wäre ich wohl geblieben und hätte dem Burschen, der ohnehin um unsere Liebe wußte, meine Anwesenheit erklärt. So aber hatte ich nur mehr die Pflicht, ihren Ruf zu schonen, darum floh ich, um nicht erkannt zu werden. Wie richtig ich Yolanthes Gefühle taxierte, bewies ihre Unterredung mit dem Untersuchungsrichter, die man mir ja nun mitteilte. Bah – sie ist kein Weib, um das ein ehrlicher Mann sich selbst verlieren kann! Sie ist schön, aber eine Frau ohne Seele!‹«

Mara hatte in wachsender Erregung zugehört.

»Aber dann,« stammelte sie jetzt, »dann begreife ich nicht . . .«

»Woran er zugrunde geht? Ich werde es Ihnen sagen: es ist eigentlich eine komische Geschichte – er verzehrt sich in Reue und Selbstvorwürfen!«

»Mein Gott, worüber denn?«

»Ueber eine Verwechslung, die ihm ahnungslos passierte: er liebte in Ihrer Schwester die Seele einer andern Frau. Aber erst als er begriffen hatte, daß hinter der schönen Larve überhaupt keine Seele sei, kam ihm das Bewußtsein. Dann freilich fiel's ihm wie Schuppen von den Augen . . . nur war es leider zu spät. Die andere machte sich nichts mehr aus ihm.«

Mara stand auf und ging mechanisch ein paarmal auf und ab.

Er liebte eine andere! Und sie hatte ihn die ganze Zeit über bedauert, mit ihm gelitten . . .

Zum erstenmal stieg wild und brennend der Schmerz einer rasenden Eifersucht in ihr empor.

Wer war diese andere? Sie wagte nicht zu fragen. Aber sie sagte bitter: »Oh Sie erzählen mir da einen Roman, Herr Hempel . . . so etwas gibt es nicht . . . und selbst wenn es so wäre . . . was sollte Dr. Sturm hindern –«

»Ich sagte es Ihnen ja schon: sie macht sich nichts mehr aus ihm! Sie weicht ihm aus. Sie zeigt es ihm deutlich genug, indem sie sogar ihren früher recht lebhaften Verkehr mit seiner Tante abbrach. Und da er nun einmal töricht genug ist, sich kein Glück ohne diese Frau denken zu können, so wird er eben daran zugrunde gehen.«

Mara wandte sich langsam um und sah Hempel lange an.

»Warum sagen Sie mir dies alles?« murmelte sie bitter. »Mir . . . gerade mir!«

Auch er stand auf. Seine lächelnde Miene war plötzlich ernst geworden.

»Darum, weil ich es mir längst vorgenommen hatte und froh bin, daß Ihre Gesellschafterin uns endlich mal allein ließ. Weil ich mir einmal einbildete, Sturm sei Ihnen nicht gleichgiltig –«

»Herr Hempel!«

»Nun – ist dies etwa eine Beleidigung? Ich habe mich eben getäuscht. Gut. Aber deswegen sollen Sie es doch wissen, daß Ihre Kälte ihn mehr quält und ihn viel elender macht als der Verrat Ihrer Schwester.«

»Ich? Ich?« stammelte Mara außer sich. »Meine . . . Kälte . . .? Oh wie dürfen Sie so grausam sein mit mir?! Was gibt Ihnen ein Recht, mich so zu erniedrigen? Sich über mich lustig zu machen . . .«

»Aber wer tut denn dies, um Himmels willen? Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, die Sie hoffentlich nicht anzweifeln, daß Sturm seit Monaten keinen andern Gedanken hat bei Tag und Nacht als – Sie! Daß er leidet, weil Sie Ihre Besuche bei Fräulein Rehbein eingestellt haben, und dafür nur eine Erklärung findet – die, daß Sie seine Liebe nie erwidern würden.«

Mara sank auf einen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Ich – die ich ihn mehr liebe als mein Leben!« schluchzte sie. »Wie konnte ich ahnen? Was hielt ihn denn ab, sich mir zu nähern, wenn er wirklich –«

»Oh – machte er denn nicht den Versuch? Kam er nicht eines Tages, als er Sie bei seiner Tante wußte, nach Hause? Was war die Folge? Sie stellten Ihre Besuche ganz ein! War das nicht deutlich genug? Wie konnte er nach allem, was zwischen Ihrer Schwester und ihm vorgefallen war, es wagen, noch einen zweiten Schritt zu tun? Sie kennen Sturm. Er ist stolz und doppelt empfindlich, wo es sich um Fragen der Ehre handelt. Wurde er nicht schon einmal unter dem schmählichen Verdacht der Mitgiftjägerei von Ihrer Familie zurückgewiesen? Wenn er heute auch als gemachter Mann dasteht, so mag die Erinnerung an die Vergangenheit doch nicht tot sein . . . jedenfalls wartete er seit langem auf einen ersten ermutigenden Schritt von Ihrer Seite und dieser – blieb aus!«

Mara weinte still in sich hinein. Waren es Tränen des Glückes oder des Leids – sie wußte es selbst nicht . . .

Plötzlich aber richtete sie sich auf und sagte, Hempel mit lieblichem Erröten die Hand hinstreckend: »Ich will morgen zu Fräulein Rehbein gehen . . . aber nicht wahr, Ernst soll nie erfahren, was wir heute hier gesprochen haben?«

»Ich muß dies im Gegenteil von Ihnen erbitten, Fräulein Mara, denn wüßte er, daß ich mir auf eigene Faust die Freiheit nahm, Ihnen seine Gefühle zu verraten, so würde mich das vielleicht seine Freundschaft kosten, was mir wirklich sehr leid täte!«

Mara blickte traumverloren in die Weite. Vor ihrer Seele versank alles, was bisher gewesen war, und nur ein Bild erhob sich strahlend aus dem Dunkel vergangener Schmerzen: er, dessen Liebe sie nie zu erringen geglaubt hatte und der nun sehnend die Arme nach ihr ausstreckte.

Geblendet schloß sie die Augen.

Wie leuchtend und selig lag die Zukunft vor ihr!

 

Ende

 


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