Annie Hruschka
Schüsse in der Nacht
Annie Hruschka

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XV.

Diese Wandtüre verschloß Hempels Geheimnis. Ein Geheimnis, das selbst Katas schlauer Spürsinn noch nicht zu ergründen vermocht hatte.

Und doch war dahinter nichts als ein finsterer kleiner Raum, der aussah wie ein Trödlerladen. Alte Kleider, Hüte, Wäsche, Taschen, Perücken, Tiegel mit Schminke und Schächtelchen mit verschieden gefärbtem Puder, Schuhe, Stiefel und eine Menge anderer Dinge, deren Zweck nicht klar war.

Mit kritischem Blick musterte Silas sein »Arsenal« und wählte endlich einen etwas aufdringlich karierten Anzug von schäbiger Eleganz. Dazu einen Zwicker, schwarze Perücke, eine Ledermappe und einen grotesken steifen Hut.

Zuletzt schleppte er einige Schachteln an seine Toilette, ließ sich lächelnd nieder und begann nun vor dem großen Spiegel sein geheimnisvolles Werk.

In weniger als einer halben Stunde stand ein gänzlich veränderter Mensch da, dessen gekräuseltes, rabenschwarzes Haar im Verein mit der Hakennase, den mandelförmigen Augen und blutroten, von kurz gestutztem krausem Vollbart umrahmten Lippen unverkennbar auf orientalische Abstammung hinwiesen.

Ueber der karierten Weste baumelte eine dicke silberne Uhrkette mit pompösen Anhängseln.

Hempel lächelte.

»Gott der Gerechte – nicht ämol Wasmut täte dich erkennen, Leb Rosenzweig« jüdelte er spöttisch, »werd dich de Alte auch nix kennen!«

Dann klingelte er und genoß im voraus Katas Schrecken, wenn sie einen wildfremden Menschen in ihres Herrn Schlafzimmer finden würde.

Aber draußen blieb alles totenstill. Selbst als Hempel Sturm läutete, rührte sich nichts.

»Ach so – sie wird einkaufen gegangen sein. Deshalb stellte sie mir wahrscheinlich das Frühstück so zeitig herein,« dachte Silas und wollte die Türe öffnen.

Sie war verschlossen wie die andere, die ins Nebenzimmer führte. Alles Rütteln und Rufen blieb erfolglos.

Zum zweitenmal brach Hempel in schallendes Gelächter aus.

»Das Frauenzimmer hat wirklich manchmal den Teufel im Leib! Aber warte nur, meine gute Kata, – wer zuletzt lacht usw.! Du hast das Fenster vergessen und daß daneben die Regenrinne läuft. Indessen wollen wir zuerst deinem Frühstück die Ehre geben.«

Er setzte sich auf den Bettrand und frühstückte ausgiebig. Dann öffnete er das Fenster. Das Haus lag am Ende der stillen Sackgasse, die an einer Gartenmauer endete.

Nichts als ein paar kleine spielende Kinder waren zu sehen und ein Sicherheitsposten, der gelangweilt an der Ecke der nahen Schottenfeldgasse stand.

Hempel nickte ihm zu, machte ihm ein kleines Zeichen und schwang sich dann behend zum Fenster hinaus, indem er die knapp nebenan laufende Dachrinne benutzte, um vom ersten Stock auf den Gehsteig herab zu gelangen.

Kata war nicht einkaufen gegangen. Seelenzufrieden saß sie in ihrer Küche, schälte Bohnenschoten und wand sich heimlich vor Lachen, als drinnen das Läuten und Türrütteln begann.

Nun es still war, triumphierte sie. Er hatte sich also ergeben müssen – endlich einmal behielt ihr Wille die Oberhand zu des Herrn eigenem Besten.

Da läutete es draußen. Mürrisch wie immer – denn etwas Gutes kam ja nie von da draußen – ging sie, um zu öffnen.

Ein säbelbeiniger grinsender Mensch mit rabenschwarzem Kraushaar lächelte ihr devot durch seinen Zwicker entgegen.

»Komm ich zu fragen, ob Se nix wollen kofen scheene Geschichten? Geschichten von Prinzen und vornehmen Damen, von Geister, Gespenster – alles was Se wollen haben. Möcht ich raten der Dame zu nehmen de Totenhand um Mitternacht oder das Gespenst von Kastellamare.«

»Selber sein Gespenst,« unterbrach ihn Kata zornig, »und machen, daß fortkommen. Ich nix kaufen solche Dummheiten.«

»Dann vielleicht wird sein so gnädig de gnädige Herr und anschauen meine Ware –«

»Herr schlafen.«

»Werd ich warten, bis er wird sein aufgewacht!«

»Unverschämter Kerl – gleich fortgehen! Hier nix warten. Herr schlafen immerfort –« sagte Kata erbost und wollte die Tür einfach zuschlagen, als sie plötzlich wie zu Stein geworden auf den zudringlichen Besucher starrte, der in völlig verändertem Ton gemütlich sagte:

»Nein, meine liebe Kate, er schläft nicht ›immerfort‹, aber er wird sich zur Strafe für deine Tyrannei jetzt wohl eine Weile nicht blicken lassen in der Bernardgasse. Laß dir's also gut gehen inzwischen . . .«

Und ehe Kata sich von ihrem Schrecken erholt hatte, war der säbelbeinige Jüngling ihren Augen entschwunden.


Trine war selig. Sie saß neben Frau Baumer in deren wohlgeheiztem Stübchen, und beide lasen um die Wette in dünnen gelben Heftchen, von welchen noch viele zu einem Stoß geschichtet auf dem Tische lagen.

Draußen fiel der erste Schnee in großen wäßrigen Flocken nieder, obwohl man erst den 20. Oktober schrieb.

Frau Baumer legte das Heft, in dem sie gelesen hatte, seufzend zu den andern.

»Da hat man's: jetzt weiß ich nicht, ist er wirklich tot oder war er nur scheintot und spielt bloß den Geist? Wenn der Leb Rosenzweig heute nicht kommt und uns die Fortsetzung bringt, so werde ich heute nacht kein Auge zumachen können vor Neugier.«

Trine legte ihr Heft gleichfalls fort.

»Mich freut's nur, daß Sie endlich einsehen, Frau Baumer, wie wunderschön so ein Roman ist! Früher haben Sie mich immer ausgelacht und gescholten, daß ich solch ›dummes Zeug‹ lese.«

»Na ja – früher! Da hatte ich auch, weiß Gott, Gescheiteres zu tun als beim hellichten Tage zu lesen. Aber jetzt, wo man nicht weiß, was anfangen, um die Zeit nur totzuschlagen, da ist's wirklich ganz amüsant. Wenn der Rosenzweig nur sein Wort hält – heute ist Mittwoch und er sollte eigentlich schon da sein!«

Draußen wurden Schritte laut. Gleich darauf klopfte es an die Türe.

»Ah – gottlob, da ist er!« atmete Trine auf und erhob sich, – »nur herein, Herr Rosenzweig, nur herein, wir warten schon auf Sie!«

Es war wirklich Leb Rosenzweig, der, in einen langen kaftanartigen Mantel gehüllt, eintrat und seine mit Journalen gefüllte Mappe auf den Tisch legte. »Gott soll mich strafen, wenn's je um diese Zeit ä ärgeres Wetter hat gegeben! Möcht mer doch fast versinken in de kotigen Wege da draußen . . . hier freilich, die Damen haben's schön!«

Frau Baumer lächelte gönnerhaft.

»Setzen Sie sich nur, Herr Rosenzweig, Trine wird Ihnen eine Tasse heißen Kaffee bringen. Sie sind wohl schon weit herum gewesen heute?«

»Gott der Gerechte, wie werd ich nicht? Bin ich doch gekommen erst heute früh mit der Eisenbahn von Steiermark!«

»Was – gar in Steiermark waren Sie?«

»Ja. Und fein is es gegangen das Geschäft. Ausverkauft bin ich gekommen retour vom ›Goldenen Schwan‹ in Neuberg, wo mir hat de Frau Wirtin abgekauft alles, was ich habe gehabt bei mir . . . soll se leben hundert Jahr, die Frau Bumsmeier, was is gewesen so freundlich mit einem armen Kolporteur!« Er nahm seinen durchnäßten Hut ab und blickte gedrückt zu Boden.

»Da sind andere nicht so. Der gestrenge Herr hier, wie er hat mich erblickt vorhin, – Gott der Gerechte, wie hat er geblitzt mit seinen schwarzen Augen, als wenn er hätte gewollt erdolchen mich arme Kreatur! . . .

»Ja, der Gnädige ist heute schlechter Laune,« nickte Frau Baumer etwas schadenfroh, »das macht, weil die Gnädige ihm gar nicht schreibt. Ich glaube, er weiß nicht einmal genau, wo die Damen sind.«

»Hab ich mir doch gedacht gleich, daß die Herrschaften hier nix müssen sein glücklich verheiratet, sonst wären sie wohl gegangen zusammen auf Reisen . . .«

»Ach was, die gehören ja gar nicht zusammen, Herr Rosenzweig! Der Herr Major ist nur der Vormund unserer Gnädigen gewesen und sie ist ihm viel Dank schuldig von früher her. Da glaubt er wahrscheinlich, sie müsse immer noch das kleine folgsame Mädchen sein, trotzdem sie inzwischen ja den armen Herrn von Rittler heiratete. Jetzt führt er halt hier die Oberaufsicht als Vormund unseres jungen Herrn Leo, dem einmal alles gehören wird.«

»Haben Se nicht gesagt, Frau Baumer, ›de arme‹ Herr von Rittler? Wie kann einer sein arm, dem gehört so ä Riesenbesitz und der hat eine Frau und ä Sohn auch noch dazu?«

»Jesus, Sie wissen's am Ende gar nicht, was hier vor vier Wochen geschehen ist?«

»Wie soll ich's wissen, wo ich doch bin gewesen um diese Zeit vor vier Wochen tief im Ungarischen drin?«

»Dann können Sie freilich nicht wissen, daß es hier ganz anders war früher, ehe man unseren armen Herrn ermordet hat,« seufzte Frau Baumer tief auf.

»Er – mor – det?« Leb Rosenzweig spreizte alle zehn Finger aus vor Entsetzen, »Reden Se mer nicht von solche Sachen! Ich kann nix hören von Blut . . .! Aber leid tut es mir um Sie! Das muß wohl ein grausam böser Mensch sein gewesen, der so etwas kann tun! Jetzt sitzt er gewiß schon hinter Schloß und Riegel –«

»Gar nicht! Bis jetzt haben sie ihn noch nicht erwischt. Er war früher Hauslehrer hier, und warum er's eigentlich getan hat, versteh ich bis heute nicht, denn er war immer ein ruhiger, ordentlicher Mensch . . .«

»Aber er hat's ja gar nicht getan,« fiel ihr Trine in die Rede, die mit dem Kaffee zurückgekommen war, »das ist alles noch viel schrecklicher zugegangen, als die Leute glauben wollen . . .« Ihr Gesicht nahm einen geheimnisvollen Ausdruck an, während sie flüsternd schloß: »Mit natürlichen Dingen ging's nicht zu, darauf lege ich ein Jurament ab!«

»Ach was, das ist Geschwätz, Trine. Geister gibt's nicht, und was tot ist, kehrt nicht wieder!«

Leb Rosenzweig schob die Kaffeetasse von sich und schüttelte ernst den Kopf.

»Wie haißt, gibt's nicht, Frau Baumer? Wo ich selber hab gesehen mit meinen bluteigenen Augen den Geist von einem jungen Frauenzimmer, das sich hat ertränkt aus unglücklicher Liebe? Vor zwei Tagen erst hab ich ihn gesehen . . .«

Trine bekreuzte sich und sah Frau Baumer an, die ein ungläubiges Gesicht schnitt.

»Haben Sie's jetzt gehört? So was gibt's!! Wie hätt' ich sonst den toten Kastellan dreimal leibhaftig vor mir sehen können, ehe unser Herr starb, und immer justament in seinem Zimmer?«

»Das ist's ja eben: niemand hat ihn noch erblickt, als Sie, Trine! Und was täte er im Herrn seinem Zimmer, wo er bei Lebzeiten kaum je den Fuß hinein setzte?«

»Niemand hat ihn gesehen, weil bloß ich dort aufzuräumen hatte. Und im Herrn seinem Zimmer war er, weil er keine Ruhe im Grabe finden konnte vor Haß und Rachedurst . . . ist er nicht mit einem Fluch gegen den Herrn auf den Lippen gestorben?«

»Leider ja! Aber er litt am Säuferwahnsinn und wußte gar nicht mehr, was er sprach. Das war nämlich so« – wandte sie sich an Rosenzweig – »unser verstorbener gnädiger Herr war der beste Mensch von der Welt, nur konnte er gewisse Dinge nicht leiden und dann wurde er zuweilen arg böse. Und da war dieser Mensch, der früher unter den alten Herrschaften, die meist auf Reisen waren, als Kastellan hier saß und sich dabei, weil er nichts zu tun hatte, das Trinken angewöhnt. Später konnte er's nicht mehr lassen, obwohl unser Herr es nicht leiden mochte und es ihm oft verboten hatte. Zuletzt, als im Guten nichts mehr half, mußte der Kastellan drüben im Stallgebäude schlafen und durfte sich im Schloß gar nicht mehr blicken lassen. Schon das brachte den Alten furchtbar gegen Herrn von Rittler auf, obwohl's nur gerecht war vom Herrn. Dann gab's einmal einen häßlichen Auftritt, als der Kastellan volltrunken mit einem fremden Lieferanten im Hof Streit anfing und die gnädige Frau darüber zu Tode erschrak. Der Herr drohte jetzt, er müsse Kreuzstein überhaupt verlassen, wenn das noch einmal vorkomme. Am selben Tag brach der Kastellan sich bei einem Fall ein Bein. So konnte er nicht mehr heimlich um Schnaps gehen wie bisher, und der gnädige Herr verbot strenge, daß irgend jemand ihm Schnaps oder ähnliches besorgte. Darüber aber brach bei dem alten Säufer vor lauter Wut der Wahnsinn aus, und Tag und Nacht fluchte er laut, der Herr richte ihn zugrunde. Aber sowie er wieder auf den Beinen wäre, würde er's ihm vergelten. Dazu kam's nun freilich nicht, denn drei Tage später war der Kastellan tot und mit ihm der Skandal im Haus.«

»Aber sein Wort hat er doch gehalten,« sagte Trine hartnäckig, »dreimal ist er gekommen als Warnung und das viertemal hat er seine schreckliche Drohung wahrgemacht!«

Leb Rosenzweig sah Trine halb ängstlich, halb ungläubig an.

»Gott der Gerechte, was müssen Se haben gehabt für einen Schrecken! Habe Se ihn gesehen denn wirklich ganz deutlich?«

»So deutlich fast, wie ich Sie jetzt sehe. Das erstemal war's, als ich gegen Abend in des Herrn Arbeitszimmer wollte, um Feuer anzuzünden. Dann ein paar Monate später, wo ich ein vergessenes Staubtuch holen wollte, und wieder einmal, als man nach Paul verlangte und ich glaubte, er sei oben, um die Bücher, die der gnädige Herr für die Post bestimmt hatte, zu verpacken. Und jedesmal stand der Geist des toten Kastellans zwischen dem Schreibtisch und der Ecke, in der das große Bild des alten Ritters hängt –«

»Ein Urahne der Familie,« warf die Beschließerin ein, »vor dem sich Trine auch immer fürchtet, obwohl er, weiß Gott, fromm genug aussieht. Sie sieht eben überall Gespenster . . .«

»Und haben Se erkannt wirklich und wahrhaftig den toten Säufer in dem Geist?« fragte Rosenzweig.

»Natürlich! Das wilde graue Haar, das so struppig um das Gesicht stand zu Lebzeiten des Alten, und die häßlichen Hautsäcke unter den schwarzen bösen Augen – wer könnte denn das vergessen? Nur weißer war das Gesicht des Geistes, so weiß wie Kalk oder Leinwand. Aber das ist nur natürlich bei einem, der von Rechts wegen längst ins Grab gehört, nicht wahr?«

»Hat er denn nie gesprochen ein Wort zu Ihnen, Fräulein Katherine?«

»Gesprochen?« Trine war entsetzt. »Das fehlte noch! Geister sprechen doch überhaupt nur sehr selten . . . und glauben Sie denn, ich wäre stillgestanden? Einen Schrei hab ich jedesmal getan und dann bin ich wie wahnsinnig davon gelaufen. Das erstemal in die Gesindestube, aber da haben sie mich nur ausgelacht und keiner wollte mir glauben. Später sagte ich überhaupt nichts mehr, denn auslachen lasse ich mich nicht ungerechterweise. Erst wie das Schreckliche mit dem gnädigen Herrn passiert ist, fing ich wieder davon an, aber selbst da glaubte mir niemand.«

»Na, aber jetzt haben Sie dafür genug darüber geschwatzt, Trine, und ich meine, es wäre gescheiter, Sie ließen Herrn Rosenzweig in Ruhe seinen Kaffee trinken, damit wir nachher bald zu unseren Heften kämen.«


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