Ödön von Horváth
Die Unbekannte aus der Seine
Ödön von Horváth

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Epilog

Wieder in der Seitengasse vor dem Hause Nummer neun. Nur einige Jahre sind vorbei.

Wo früher die Blumenhandlung war, ist nun eine Wäscherei, und in dem Laden, in welchem der Uhrmacher erschlagen wurde, befindet sich nun eine bescheidene Buchhandlung. In der Auslage hängen Zeitschriften, Bücher, überwiegend antiquarisch und eine Totenmaske der Unbekannten aus der Seine. In der Auslage der Wäscherei hängen hingegen naturnotwendig Hemden und Unterhosen.

Die Buchhandlung gehört Emil, der nun schon längst verheiratet ist. Seine etwas korpulente Gattin Lucille sitzt auf einem Stuhl vor dem Geschäft in der Sonne und liest einen spannenden Roman.

1. Szene

Ernst kommt mit Lilly, einem Mädchen, vorbei.

Lilly Warum schaust du denn dieses Haus so an?

Ernst Weil mich verschiedene Erinnerungen daran knüpfen. Zum Beispiel dort droben im dritten Stock wohnte einst vor Jahren ein Ingenieur, und dessen Gattin –

Lilly  fällt ihm ins Wort: Hatte etwas mit dir? Sags nur!

Ernst  wollte eigentlich vom Studenten aus dem zweiten Stock rechts erzählen; lügt aber nun aus Eitelkeit und grinst: Kavalier schweigt. Und dort, wo jetzt lauter Bücher sind, dort war früher ein Uhrmacherladen, aber dann ist an dem alten Uhrmacher ein Raubmord verübt worden. Der ist bis heute noch nicht geklärt.

Lilly Daß so was vorkommt! Wozu haben wir denn unsere Kriminalpolizei?

Ernst Aber Maus! Gar vieles kommt nie ans Tageslicht! Auch in puncto Raubmord – zuerst forscht man fieberhaft nach, dann wird es zu den Akten gelegt und über die Akten wächst das Gras. Und der Mörder bleibt unbekannt, geht frei und frank herum – vielleicht sitzt man ihm gerade gegenüber.

Lilly Hör auf!

Ernst Man weiß doch nichts voneinander – was weißt denn du schon von mir? Vielleicht hab ich auch mal einen Raubmord –

Lilly Du, red nicht so unheimlich, sonst mußt du heut nacht wieder bei mir schlafen!

Ernst Beruhige dich nur. Ich will nicht unheimlich reden – Er wendet sich Lucille zu. Entschuldigen Sie bitte, jedoch soweit ich mich erinnere, war doch da mal in grauer Urzeit eine Blumenhandlung?

Lucille Stimmt, mein Herr. Aber die Inhaberin hat geheiratet, und die Leute haben jetzt eine Gärtnerei vor der Stadt. Es geht ihnen sehr gut.

Ernst So.

Lucille Komisch, daß Sie danach fragen. Ich erwarte die Frau nämlich jeden Moment – sie wollte heut hier vorbeikommen und müßte schon hier sein.

Ernst Na, dann wollen wir gehen. Sagen Sie nur noch: wohnt hier noch so ein Kleiner im dritten Stock rechts, ein gewisser Herr Emil –

Lucille  unterbricht ihn: Emil? Dritter Stock rechts? Na, das ist doch mein Gatte!

Ernst Ihr Gatte?

Lucille Sie kennen ihn. Er ist jetzt gerade droben und kocht, er kocht nämlich gern und gut – soll ich ihn rufen?

Ernst Oh nicht der Mühe wert! Wir haben uns nur ein paar Jahre nicht gesehen – wahrscheinlich wird er sich an mich gar nicht mehr erinnern.

Lucille Ja, er ist riesig zerstreut. Leider!

Ernst Wiedersehen, gnädige Frau!

Lucille Habe die Ehre!

2. Szene

Ernst will mit Lilly ab – da kommen aber gerade Irene und Albert mit dem dreijährigen kleinen Albert. Sie erkennen sich (außer Lilly und dem kleinen Albert natürlich) und grüßen sich reserviert.

Lilly Wer ist denn das?

Ernst Flüchtige Bekannte. Eine Gärtnersfamilie – Ab mit Lilly.

3. Szene

Irene  sieht Ernst nach: Die alte Zeit – aber was der für ein Frauenzimmer bei sich hat, ist ja unmöglich!

Albert betrachtet das Haus Nummer neun.

Irene bemerkt es und lächelt. Ja, dieses Haus. Noch steht es, nicht?

Albert nickt ja.

Ich geh oft daran vorbei. Hier hat doch unser Glück begonnen – trotz mancher Unterbrechungen. Ach Albert, wie rasch eilen unsere Tage! Zum kleinen Albert. Siehst du, kleiner Albert, dort drüben verkauften mal Papa und Mama Blumen, schöne duftende Blumen – aber da war der kleine Albert noch nicht da. Komm – Sie putzt ihm die Nase.

4. Szene

Lucille Guten Tag, Frau Irene! Ich hab sie schon reserviert für Sie, die Skulptur.

Irene Oh sehr nett von Ihnen! Sie kennen doch meinen Mann –

Lucille Natürlich! Emil wird sich riesig freuen, er kocht zwar gerade – Sie ruft empor. Emil! Emil!

Stimme Emils  aus dem dritten Stock rechts: Was ist denn passiert?! Ach guten Tag, ist das aber eine Überraschung! Ich komm gleich runter!

Irene  zu Albert: Siehst du, das ist diese Totenmaske – Sie führt ihn vor die Auslage der Buchhandlung. Die möcht ich so gerne haben, weil sie so himmlisch ist.

Lucille Sie ist gar nicht von dieser Welt.

Stille.

Albert plötzlich: Wer ist das?

Irene Ich habe dir doch gesagt!

Lucille Eine unbekannte Selbstmörderin. Gleich kommt mein Gatte, er kann es Ihnen noch besser erklären – da ist er!

5. Szene

Emil  rasch durch das Haustor: Hocherfreut, hocherfreut! Na, das ist aber reizend, daß ihr mal wieder an uns denkt! Pa, Bubi!

Irene Sie sind ja heut so lustig, Herr Emil!

Lucille Das ist er neuerdings immer. Zuerst war zwar ich der leichtere Teil und er der schwerere, aber dann haben wir aufeinander abgefärbt – jetzt ist er der Optimist und ich seh schwarz.

Emil So hebt sich alles auf! Er lacht.

Lucille Emil, erklär doch mal bitte den Herrschaften die Geschichte dieser Totenmaske.

Emil  lacht immer wieder dazwischen hinein: Da gibt es keine Geschichten – man hat sie aus dem Wasser herausgezogen und weiß nichts von ihr. Irgendeine junge Selbstmörderin, allerdings mit einem verblüffend mysteriösen Lächeln. – Neulich hat mal wer gesagt, diese arme Seele war wahrscheinlich nur ein Menschenkind, gut und böse, fromm und verdorben, wie das ewige Leben – aber meiner Meinung nach ist das ein Engel gewesen, der zur Strafe auf unser irdisches Jammertal hat hinabmüssen und dann durch den Tod erlöst worden ist.

Lucille Wie schön er das gesagt hat.

Irene Für mich ist das auch ein Engel. Zu Albert. Ich möcht es so gern haben. Für unser Schlafzimmer.

Lucille Wir haben noch eine zweite Skulptur drinnen –

Emil Ich hab sie schon eingepackt!

Irene Sehr zuvorkommend! Und dann möcht ich bitte nur noch das Kochbuch – Ab mit Emil und Lucille in die Buchhandlung.

6. Szene

Albert steht nun mit dem kleinen Albert allein vor dem Haus Nummer neun.

Albert  zur Totenmaske: Bist du es? – Hm. Ich weiß nicht, es war damals immer so dunkel, ich hab dich eigentlich nie richtig gesehen –

Der kleine Albert weint plötzlich fürchterlich.

7. Szene

Irene kommt auf das Geweine hin mit Emil und Lucille herbei. Irene trägt die eingepackte Totenmaske, Emil und Lucille Kochbücher.

Emil Was hat er denn, der kleine Albert?

Irene Na, was weinst denn? Sie beugt sich zu ihm nieder. Ach er hat schon wieder mal Angst vor dem dunklen Hauseingang. Immer hat er Angst vor Hauseingängen –

Lucille Dann machen wir halt das Tor zu – Sie schließt es. So, jetzt wird er gleich nicht mehr weinen, der kleine Albert!

Der kleine Albert verstummt.

Emil  zu Irene: Sie haben mir einst gesagt bei meinem Brautbouquet: Rosen bringen Glück – und sie haben Glück gebracht. Zwar ist noch kein kleiner Emil da, aber jetzt ist einer unterwegs – ich weiß es selbst nicht wieso! Er lacht.

Lucille Aber Mann!

Emil So plötzlich über Nacht. Seit dem Nationalfeiertag.

Irene  hat den kleinen Albert auf den Arm genommen: Kinder sind doch die Zukunft.

Emil Was, kleiner Albert?

Lucille Ein herziges Bubi!

Irene Ganz der Herr Papa!

Emil Gratuliere!

Albert lächelt: Oh bitte danke –

Dunkel.


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