Ödön von Horváth
Sladek, der schwarze Reichswehrmann
Ödön von Horváth

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Dritter Akt

Kiesgrube. Schminke sitzt apathisch an der Wand, bewacht von Horst, Halef und Sladek. Sladek ist endlich in Uniform mit aufgepflanztem Seitengewehr. Am oberen Rande der Grube steht der Hauptmann und wartet auf Salm, Knorke und Kübezahl. Es wird allmählich Tag.

Halef Jetzt möcht ich mich rasieren.

Horst Es hat stark geregnet, zuvor.

Sladek Obs wieder regnen wird?

Stille.

Halef Zu guter Letzt sind die Dreckjuden selbst daran schuld.

Sladek Ich glaub eigentlich nicht, daß es eine Zukunft gibt.

Horst zu Sladek: Du hast dich für das Fräulein interessiert?

Sladek Sie hat keine Seele. Sie betrügt.

Halef Hast du eine Seele?

Sladek Was ist das: Seele?

Halef Du hast doch gerade gesagt, daß das Fräulein keine Seele hat!

Sladek Ich?

Horst Du!

Sladek Ich muß mich versprochen haben. Das ist sehr komisch.

Stille.

Sag: Du bist doch Türke?

Halef Ich?

Sladek Ja. Weil du Halef heißt. Ich kannte einen Halef, der hat türkischen Honig verkauft. Aber der hieß eigentlich auch nicht Halef.

Halef Ich verkaufe türkischen Honig und bin ein geborener Sachse.

Sladek Dresden soll schön sein.

Horst Wer war schon in Nürnberg?

Halef Nürnberg ist schön.

Horst Ja. Dort haben sie eine herrliche Folterkammer in der Burg. Ich habe nach der ersten Kommunion meine Großmutter besucht, die lebt in Nürnberg. Die kennt jede Daumenschraube, die hat mir das alles erklärt. Meine Mutter hat Krämpfe bekommen, ich und meine Großmutter haben lachen müssen. Zum Beispiel die eiserne Jungfrau –

Hauptmann ruft: Halef!

Halef Majestät!

Hauptmann Wo bleibt der Salm?

Horst lacht leise.

Wer lacht da?

Horst Der Sladek.

Schminke Nein, ich!

Stille.

Hauptmann steigt langsam in die Grube hinab; er spricht leise mit Halef und Horst.

Schminke lauscht.

Hauptmann Der Salm sollte doch schon hier sein.

Halef Schon längst.

Horst ironisch: Er wollte hier sein.

Hauptmann zu Horst: Wie alt bist du? – Ihr habt wieder gesoffen?

Halef Nur der Salm. Und unsere rechte Hand: Herr Rübezahl, das deutsche Märchen.

Hauptmann Ihr seid gefährlich großzügig. Holt mir den Salm. Und diese rechte Hand. Aber schleunigst! Es wird doch bald Tag.

Halef und Horst ab.

Hauptmann nähert sich langsam Schminke. Sie haben soeben gelacht?

Schminke Über diese Kiesgrube.

Hauptmann Sie kennen die Bedingung, unter der ich Sie begnadige.

Schminke Es gibt keine Bedingung, unter der ich begnadigt werden könnte. Machen Sie sich nicht lächerlich!

Hauptmann Ich pflege mich nicht lächerlich zu machen.

Schminke Pardon! Ich wollte Sie nur aufmerksam machen, daß Sie mich nicht begnadigen dürfen, weil Sie ja befürchten müssen, daß ich alle Ihre Geheimnisse verrate, sobald ich frei bin.

Hauptmann Sobald Sie frei sind, wird es keine Geheimnisse mehr geben. Ich warte nur auf das Signal der maßgebenden Stelle. Sobald ich marschiere, sind Sie frei. Allerdings unter der bekannten Bedingung, daß Sie mir Ihre Auftraggeber, auf deren Befehl hin Sie Geheimnisse verraten –

Schminke unterbricht ihn: Ich bin ganz allein.

Hauptmann Lügen Sie nicht, Feigling!

Stille.

Schminke Ist es nicht feig, mich hier in dieser Kiesgrube –?

Hauptmann Es geht um das Vaterland.

Schminke Sie betrachten sich als Vaterland?

Hauptmann fast etwas unsicher: Ich kämpfe für das Vaterland. Für seine Größe, seine alte Macht. Das verstehen Sie nicht. Ihr Weltreich ist Mist – vielleicht ein schöner Traum. Ich habe mich mit diesen Sachen nicht so beschäftigt. Ich bin Soldat. Ich hab einen traumlosen Schlaf.

Stille.

Sie sind verrückt. Gemeingefährlich verrückt. Glauben Sie denn, Sie Idiot, daß es jemals Frieden geben wird?

Schminke Nein, das glaube ich nicht. Er wankt etwas.

Hauptmann aust auf: Machen Sie sich keinen Narren aus mir, Sie!

Schminke Ich mache mir keinen Narren aus Ihnen. Ich glaube, wir verstehen uns. Sie haben ja von Ihrem Standpunkt aus vollständig recht – es kommt aber nur auf die Höhe des Standpunktes an und wie tief oder hoch man über dem eigenen Standpunkte stehen will – oder kann – Er faßt sich an den Kopf. Ich bitte, das Verhör zu unterbrechen – Ich habe einen zu schweren Kopf. Man hat mir nämlich auf den Kopf geschlagen, das kommt davon – Er lächelt und setzt sich. Werde ich wieder geprügelt?

Hauptmann wendet sich plötzlich ab und steigt langsam aus der Kiesgrube; wartet wieder oben.

Pause.

Sladek plötzlich: Sie werden dich nicht mehr schlagen.

Schminke sieht ihn erstaunt an; spöttisch: Ich danke sehr.

Sladek Ich dank auch sehr, daß du mich nicht verraten hast.

Die zwei fixieren sich.

Sladek lächelt. Ja, daß du nämlich nicht gesagt hast, daß du mich kennst. Ich hätt dadurch Unangenehmes gehabt, ich war nämlich leicht in einen Verdacht gekommen, der ja gar nicht stimmt, weil wir uns doch nur kennen, aber immer das Gegenteil denken.

Schminke Wieso?

Sladek Das weißt du doch.

Schminke Nein.

Sladek Das gibt es doch nicht.

Schminke Wer bist du?

Sladek Ich?

Schminke Ja, du.

Sladek Du kennst mich nicht?

Schminke Nein.

Stille.

Sladek Ich hab dich gleich erkannt. Ich bin der Sladek.

Schminke Sladek? Kenn ich nicht.

Sladek Du hast dich mal zur Diskussion gemeldet, man hätt dich fast erschlagen, aber das hätt mir leid getan, denn ich hab die Gerechtigkeit lieb, obwohl es sie nicht gibt. Wir haben debattiert, ich red nämlich nur gern mit intelligenten Menschen, die selbständig denken können, obwohl man das nicht soll. Ich bin nämlich ein sogenannter zurückgezogener Mensch. Ich erinner mich an jedes Wort. Wir haben über Weltpolitik debattiert. Deine Nase hat geblutet.

Schminke Ja, das war jene Diskussion. Aber an dich kann ich mich nicht erinnern.

Sladek Das tut mir leid, daß du mich vergessen hast.

Schminke fast etwas spöttisch: Ich bitte um Verzeihung, aber ich kenne so viele Menschen –

Sladek unterbricht ihn: Bitte, bitte! Der einzelne zählt ja auch nichts, das ist natürlich, obwohl man da komische Erfahrungen machen kann.

Stille.

Es freut mich, daß du zuvor gesagt hast, du glaubst nicht daran, daß es jemals Frieden geben wird, daß es also nur Gewalt gibt und sonst nichts. Daß du dich zu meiner Ansicht über den Sinn des Lebens bekehrt hast, das freut mich, denn du bist ein sogenannter intelligenter Mensch. Hörst du mich?

Schminke hatte den Kopf in den Händen vergraben; apathisch: Ja.

Sladek Der intelligente Mensch gibt seinen Denkfehler zu, ich denk heut auch etwas anders, obwohl ich immer recht gehabt hab, aber es war alles durcheinander. Ich hab mich mit dem Vaterland verwechselt.

Stille.

Es wird zwar immer gemordet, weil man ja nicht anders kann, aber das darf der Einzelne nur als Teil, obwohl ja ganz zu guter Letzt alles für den Einzelnen ist. Es ist aber komisch, daß, wenn man sich als Teil selbständig macht, zum Beispiel beim Morden, man das Gefühl hat, als sollt man doch anders tun, obwohl man doch muß. Hörst du mich?

Schminke wie vorher: Ja.

Sladek Zum Beispiel für das Vaterland darf der Einzelne als Teil zum Beispiel jeden Mord begehen. – Ich war mal bei der Hinrichtung einer Landesverräterin. Das war eine Frau.

Schminke horcht auf.

Eine Landesverräterin gehört im Interesse des Ganzen erledigt, das ist doch klar. Es war auch alles in Ordnung, auch wenn sie unschuldig gewesen sein sollte, aber wir konnten nicht anders, wir mußten sie hinrichten, das sind manchmal so Umstände. Das ist jetzt nur für dich persönlich, weil, wie gesagt, du selbständig denken kannst und vielleicht das verstehst. Nämlich ich versteh alles, nur das nicht, daß es mir manchmal ist, als hätten die Leut, die diese Frau hingerichtet haben, obwohl sie doch vollkommen im Recht waren, weil sie nicht anders tun konnten, doch unrecht getan. Das ist sehr interessant.

Schminke Sehr.

Stille.

Wer war diese Frau?

Sladek Das ist Geheimnis. Dieses Ganze, verstehst du, ist nur unter uns –

Schminke Meinst du?

Sladek Das hab ich nur dir gesagt, bitte.

Schminke Warum?

Sladek Es ist nur unter uns. Unter uns beiden.

Schminke spöttisch: Ich danke dir für das große Vertrauen.

Sladek Du wirst mich nicht betrügen.

Schminke Wieso?

Sladek Bitte.

Stille.

Schminke Du betrügst dich selbst. Du denkst als Teil zu selbständig, davon werden deinesgleichen blöd. Jetzt weiß ich, wer du bist.

Sladek Jetzt erst?

Schminke Du bist der Sladek.

Sladek Ja.

Schminke Das ist sehr interessant.

Stille.

Sladek Das ist alles nicht wahr. Das ist alles ganz anders gewesen.

Schminke Das war alles für das Vaterland?

Sladek Ja, aber es gibt keine Gerechtigkeit. Es ist arg, daß man denken kann.

Hauptmann steigt wieder herab: Sladek! Was wollte er von dir?

Sladek Er hat nur gefragt, wann er wieder verhört wird.

Hauptmann Jetzt. Er tritt vor Schminke und fixiert ihn.

Schminke Sie verstehen mich, das habe ich Ihnen bereits gesagt. Denn Sie sind ja ganz meiner Meinung, nur können Sie es nicht vertragen zu hören, wie Sie eigentlich denken, und deshalb wollen Sie mich nun zwingen, das Gegenteil zu behaupten.

Hauptmann Verrückt.

Schminke lächelt: Vielleicht gemeingefährlich. Wir müssen ja bei einer bestimmten Grenze aufhören zu denken, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Ich habe kein Recht, das Hoffen des einzelnen Menschen auf den Frieden zu zerstören. Ich habe die Pflicht zum Betrug. Und ganz zu guter Letzt ist das ja gar kein Betrug, denn es dreht sich ja eigentlich nicht darum, wie es der Menschheit tatsächlich ergeht, sondern was sich der einzelne Mensch einbildet. Wir verstehen uns.

Hauptmann Finden Sie?

Schminke lächelt: Und was den ewigen Frieden anlangt, so glaube ich wirklich nicht daran, aber ich predige ihn, da ich zu guter Letzt an keinen Fortschritt glaube, weil ich weiß, daß es nur einen Fortschritt gibt, wenn man keine Rücksicht auf den einzelnen Menschen nimmt. Es dreht sich doch zu guter Letzt alles um den einzelnen Menschen, darum predige ich den radikalsten Fortschritt, das Recht der unpersönlichen Masse. Es gibt nämlich keinen Fortschritt, solange es die Einzelnen gibt. Das ist doch alles Betrug, nicht wahr?

Halef kommt rasch: Hauptmann!

Hauptmann Wo sind die anderen?!

Halef Verschwunden. Er nähert sich ihm; unterdrückt. Es stinkt, Herr General. Wir sind nämlich umzingelt.

Hauptmann Umzingelt? Wer? Wir?

Halef Wir. Glotz nicht.

Hauptmann Wer hat uns umzingelt?

Halef Die anderen. Sie sind in der Nacht gekommen, jetzt wird es Tag, da hat sie der Posten entdeckt. Sie haben Artillerie aufgefahren. Um unser ganzes Fort.

Hauptmann Was ist das für Artillerie?

Halef Reguläre.

Hauptmann Reguläre?

Halef Sie haben einen Parlamentär gesandt mit der weißen Fahne. Als hätten wir Krieg.

Der Bundessekretär erscheint am oberen Rande der Kiesgrube: Im Auftrage der maßgebenden Stelle habe ich Ihnen den Beschluß zu überbringen betreffs Ihrer zukünftigen Verwendung, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ihre sogenannte Armee wurde seinerzeit aufgestellt erstens als Grenzschutz, da ein etwaiger Einbruch irregulärer feindlicher Formationen befürchtet werden mußte, zweitens als eine Art Notpolizei, die die Aufgabe hatte, auf dem Lande versteckte Waffen zu sammeln oder im Falle eines bolschewistischen Aufstandes neben dem regulären Militär als Selbstschutz eingesetzt zu werden. Da sich aber nun die innerpolitische Lage überraschender Weise derart konsolidiert hat, daß zur Niederschlagung einer kaum zu erwartenden Linksrevolution die vorhandenen regulären Machtmittel des Staates vollständig ausreichen, andererseits die außenpolitische Lage –

Hauptmann unterbricht ihn: Das ist gelogen. Jedes Wort. Es ist eine Schande! Meine Soldaten sind keine Nachtwächter. Das ist die Armee der nationalen Revolution!

Der Bundessekretär – andererseits die außenpolitische Lage die Möglichkeit, wenn auch nicht einer Versöhnung, so doch der wirtschaftlichen Annäherung der Nationen erhoffen läßt. Wir Deutschen müssen trotz aller Demütigungen diesen Weg betreten aus nationalem Interesse, um die bürgerliche Wirtschaftsordnung zu festigen. Die maßgebende Stelle mußte sich also entschließen – dieser Entschluß fiel ihr nicht leicht – die sofortige Auflösung Ihrer, ich wiederhole: sogenannten Armee zu befehlen. Die maßgebende Stelle wird ihr Möglichstes tun betreffs Unterbringung Ihrer Leute in einem bürgerlichen Beruf.

Hauptmann Danke. Stille.

Das hab ich erwartet, daß ich wieder verraten werde. Wir verzichten auf den bürgerlichen Beruf, dazu muß man geboren sein. Ich denke nicht daran, Verbrechern an deutschen Gedanken, und nennen sie sich auch maßgebende Stelle, zu gehorchen! Sagen Sie es ihr, daß ich auf die Festigung der bürgerlichen Wirtschaftsordnung pfeife, daß ich an keine Versöhnung glaube und daß ich kämpfen werde, bis Deutschland wieder gefürchtet wird!

Der Bundessekretär Ich mache Sie aufmerksam: Falls Sie sich nicht freiwillig auflösen, so haben wir die Gewalt. –

Hauptmann unterbricht ihn: Mit Artillerie! Ich weiche nicht!

Der Bundessekretär Ich bitte Sie, nicht zu deklamieren. Ergeben Sie sich, oder Sie tragen die volle Verantwortung für ein völlig sinnloses Blutvergießen. Es ist deutsches Blut.

Hauptmann Lieber deutsches Blut vergießen als die nationale Wiedergeburt vernichten! Ich fürchte mich nicht!

Der Bundessekretär Ich mache Sie aufmerksam, daß die Inflation anfängt aufzuhören. Ergeben Sie sich –

Hauptmann unterbricht ihn: Nie!

Der Bundessekretär Falls Sie sich fügen, so kann ich Ihnen inoffiziell erklären, daß ich für meine Person alles dransetzen werde, Sie vor Strafe zu bewahren. Sie verstehen mich?

Hauptmann Strafe? Strafe? Wofür? Daß ich mich nicht verraten lasse?!

Der Bundessekretär Sie sind ein Mensch, dem man ab und zu seine Lage klar machen muß –

Hauptmann unterbricht ihn: Ich verzichte! Ich sehe klar! Ich kenne Freund und Feind!

Stille.

Der Bundessekretär Ich gebe Ihnen Bedenkzeit.

Hauptmann Unnötig!

Der Bundessekretär Sollten Sie nicht die weiße Fahne hissen, so eröffnen wir, so weh es uns auch tut und so gerne wir es vermeiden möchten, das Feuer.

Hauptmann Machen Sie sich nicht lächerlich.

Der Bundessekretär Sie verkennen sich. Rasch ab. Pause. Morgenwind.

Hauptmann Diese Hunde. Die gemeinsten Verräter sitzen hinter den eigenen Kulissen! – Hast du gehört, daß sich die maßgebende Stelle versöhnen will?

Halef Ja, das hab ich auch gehört.

Hauptmann Glaubst denn du an den Frieden?

Halef Ich weiß nichts.

Hauptmann Es hat keinen Frieden zu geben, Halef! Jetzt fangen wir an zu existieren! Wir! – Lauf zu Salm, er soll sofort –

Halef unterbricht ihn: Salm ist samt seiner Puppe verschwunden. Unsere rechte Hand. Fort. Ausgerückt.

Hauptmann Ausgerückt.

Halef Hast du das gehört, was dieser Bonze sagte, das mit der Strafe?

Hauptmann Hast du Angst?

Halef Wir sind betrogen. Rein juristisch waren das nämlich korrekte Morde – und der Herr Staatsanwalt wird wohl nicht umhin können anzuklagen. – Vielleicht hat der Herr Staatsanwalt bereits eine Belohnung für die Ergreifung der Mörder ausgesetzt.

Hauptmann ist anderswo: Wieviel?

Halef Viel.

Stille.

Hauptmann Hast du Angst?

Halef Ja. Ich hab Angst.

Hauptmann So verschwind, feiges Vieh!

Halef Zu Befehl! Ich lös mich selbst auf. Das würd ich an deiner Stelle auch tun.

Hauptmann Halt das Maul! Noch bin ich nicht verreckt. Ich bin noch ich!

Halef Hauptmann! Ich bin Soldat. Ich hasse diese Republik, aber ich schieße nicht sinnlos auf deutsche Soldaten.

Hauptmann Das sind keine Soldaten, das sind Halunken!

Halef Das sind Deutsche wie wir.

Hauptmann Wenn das noch Deutsche sind, dann ist jeder Rote ein Deutscher!

Halef Vielleicht! Vielleicht!

Stille.

Hauptmann nähert sich ihm langsam und schlägt ihn plötzlich vor die Brust, daß er zurücktaumelt.

In der Ferne fällt ein Kanonenschuß.

Jetzt ist Schluß! Ich war vier Jahre im Feld, der Krieg ist aus! Aus! Ich fall nicht für dich! Auf dem Felde deiner privaten Ehre! Er flieht.

In der Ferne fällt ein Kanonenschuß.

Sladek Hauptmann!

Hauptmann verwirrt: Was ist das?!

Sladek Ich.

Hauptmann Wer ist das: »Ich«?

Sladek Ich. Er nähert sich. Hauptmann, du bist ganz weiß.

Hauptmann lächelt böse: So?

Sladek blickt empor: Was surrt da? Wie das surrt –

In der Nähe schlägt eine Granate ein.

Hauptmann Sie zielen hierher! Sie müssen mich treffen! Marsch, Sladek! Das gilt nur mir! Nur mir!

Sladek Mir auch.

Hauptmann Nur mir! Nur mir! Wer bist denn du?! Nichts! Nichts! Marsch, Sladek! Marsch!

Sladek Ich hab keine Angst. In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Es surrt.

Hauptmann Sie beschießen mich mit Artillerie! Nur mich!

In der Kiesgrube schlägt eine Granate ein. Hauptmann verschwindet im Pulverdampf. Sladek bricht getroffen langsam in die Knie. Schminke lacht.

Sladek Du lachst –? Du lachst, wenn ich getroffen bin –?

Schminke gewollt spöttisch: Du hast mich belehrt: Du darfst ja nichts zählen, sonst kommt das »Ganze« nicht vom Flecke. Du hast mich belehrt. Ich danke dir.

Sladek Bitte.

Stille.

Es surrt. Immer nur für das Ganze geopfert werden – wo bleibt denn da der Sladek?

Schminke Ich lasse mich nicht mehr hindern. Hörst du?

Sladek Ja.

Schminke Du gehst mich nichts an.

Sladek Jetzt lügst du.

Schminke Meinst du?

Sladek Das ist nicht schön von dir.

Reguläre Reichswehr erscheint am oberen Rande der Kiesgrube.

Der Bundessekretär tritt vor: Peter Schminke! Schminke!

Eine Stimme Schminke: Hier!

Der Bundessekretär hält ihm ein Zeitungsblatt entgegen: Sie behaupten in diesem Artikel, daß eine maßgebende Stelle der deutschen Republik entgegen unseren außenpolitischen Verpflichtungen heimlich Soldaten geworben und ausgebildet hat, die unter dem Kommando eines ehemaligen Hauptmanns eine sogenannte schwarze Reichswehr gebildet haben. Sie schreiben fernerhin, daß diese Truppen zum Schutze ihrer Existenz Selbstjustiz übten – Sie reden von Ferne. Sie wagen die ungeheuerliche Behauptung, daß aus Angst vor Enthüllung Menschen zu Tode gemartert wurden und nicht nur verratsverdächtige, sondern auch vollkommen Unschuldige. Sie »enthüllen« hier auch ein Verbrechen, einen nachgewiesenermaßen ganz gewöhnlichen Mord, nämlich den Fall Sladek.

Schminke zu Sladek: Wagst du es zu leugnen, daß du es mir selbst erzählt hast, wie jene Bedauernswerte im sogenannten Interesse des sogenannten Vaterlands »hingerichtet« wurde?

Sladek Das ist sehr kompliziert –

Der Bundessekretär Jener Sladek ist ein verkommenes Subjekt, das die mütterliche Liebe einer alternden Frau in egoistischer Weise ausnützte. Ein arbeitsscheuer Lump, ließ er sich aushalten und trieb sich mit ihren kleinen Ersparnissen, die er ihr aus dem Schranke stahl, mit Huren herum. Und weil sie das nicht mehr mit ansehen wollte, hat er sie in bestialischer Weise ermordet.

Sladek lauscht: Es surrt. Es surrt –

Der Bundessekretär Ihr Artikel kann uns Wehrlosen nur schaden. Das ist Wasser auf die Mühle der gehässigsten feindlichen Propaganda. Sie hindern des Deutschen Reiches Wiedererstarkung, indem das Ausland kraft solcher Artikel an unserem aufrechten Verständigungswillen zweifelt. Es gab keine schwarze Reichswehr! Alle Ihre Behauptungen sind glatte Fälschungen! Landesverrat! Landesverrat!

Schminke Ich selbst sollte ermordet werden, weil ich der Republik dienen wollte! Daß Sie das als gerecht empfinden, darüber bin ich mir klar.

Der Bundessekretär Sie sind Pazifist?

Schminke Nein!

Der Bundessekretär Sie sind Terrorist?

Schminke Ich muß.

Sladek Das hab ich auch schon gehört. Das hab ich auch schon gehört –

Der Bundessekretär Sie bekämpfen den Staat an sich?

Schminke Ihren Staat!

Der Bundessekretär Es gibt nur einen Staat, und der wird sich zu schützen wissen! Auch der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird!

Sladek – auch der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird – Er bricht ganz zusammen.

Musik in der Ferne.

Der Bundessekretär Die furchtbaren Tage der Inflation haben wir nun gottlob überwunden. Das deutsche Volk befindet sich im kraftvollen Wiederaufstieg. Es hat Unglaubliches ertragen und Ungeheueres vollbracht.

Sladek Ich bitte mich als Menschen zu betrachten und nicht als Zeit – Er stirbt.

Gesang Männer, Frauen, Kinder:

Einigkeit und Recht und Freiheit
Für des Deutschen Vaterland!
Danach laßt uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand! Deutschland,
Deutschland über alles
Über alles in der Welt!


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