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Straße. Hakenkreuzler prügeln Schminke aus einem Saale, in dem mit Musik eine rechtsradikale Versammlung steigt. (Präsentiermarsch) Nacht.
Ein Hakenkreuzler Raus! Raus mit dem roten Hund!
Ein Anderer Da! Da. Du Judenknecht!
Die Bundesschwester erscheint im Tor: Was hat der gesagt? Wir hätten den Krieg verloren? Solche Subjekte haben uns Sieger erdolcht und das Vaterland der niederen Lust perverser Sadisten ausgeliefert! Am Rhein schänden syphilitische Neger deutsche Frauen, jawohl, das deutsche Volk hat seine Ehre verloren! Wir müssen, müssen, müssen sie wieder erringen, und sollten zehn Millionen deutscher Männer auf dem Felde der Ehre fallen!
Die Hakenkreuzler Heil!
Schminke Sie! Woher nehmen Sie das Recht, das Volk ehrlos zu nennen? Woher haben Sie den traurigen Mut, zehn Millionen Tote zu fordern?! Sie sind kein Mensch, gnädige Frau!
Die Bundesschwester Novemberling! Novemberling!
Ein Hakenkreuzler Zerreißt ihm das Maul! Zerreißt es der bezahlten Kreatur!
Knorke erscheint im Tor: Halt! Bundesbrüder, beschmutzt euch nicht! – Sie sind doch der sogenannte Pazifist, der berüchtigte sogenannte Redakteur, das Schwein Peter Schminke –
Schminke unterbricht ihn: Ja.
Knorke Freut mich außerordentlich, Sie persönlich kennengelernt zu haben, Herr Schminke. Hätten Sie die große Güte, folgende kleine Anfrage zu beantworten! Ihre »große« Nation bricht den Versailler Vertrag, Ihren geliebten »Friedens«vertrag und besetzt mit Flammenwerfern die Ruhr. Sie proklamiert die rheinische Republik, sie wird das ganze wehrlose, verratene Deutsche Reich »erobern«, von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, trotz feierlicher Proteste mit verdorrter Hand!
Schminke Der Versailler Vertrag ist das Werk des Imperialismus, ist die Kriegserklärung des internationalen Kapitals an das Proletariat.
Ein Hakenkreuzler Juden aller Länder, vereinigt euch!
Knorke Sie wollen, daß das Vaterland französische Kolonie wird?
Schminke Sie wissen, daß ich das nicht will!
Die Bundesschwester lacht. Ich floh aus dem besetzten Gebiet.
Knorke Ich auch.
Schminke Der Friedenswille der Massen ist stärker als alle Bajonette der internationalen Reaktion!
Knorke Leitartikel! Tinte!
Schminke Der Militarismus wird an der sittlichen Kraft der schaffenden Arbeit zerschellen, ohne Gewehre, ohne Generäle, ohne Blut!
Die Bundesschwester Blut bleibt Blut!
Knorke Krieg ist Krieg! Der passive Widerstand ist die Ausgeburt jüdischer Niedertracht! Eine rote Feigheit! In Berlin feiern internationale Halunken den jüdisch-jesuitischen Fetzen von Weimar! Bundesbrüder! Bald marschiert die nationale Armee und rottet das pazifistische Gesindel aus! Rache für Straßburg! Rache für Schlesien! Für Schleswig!
Die Bundesschwester Für Schlageter!
Die Hakenkreuzler Heil!
Gesang aus dem Saal:
Drum Brüder schließt die Runde
Und hebt die Hand zum Schwur,
In unserem heiligen Bunde
Gilt eine Losung nur:
Das Hakenkreuz soll flattern
Uns führen in die Nacht
Bis unsere Schüsse rattern
Einst in der Freiheitsschlacht!
Knorke, die Bundesschwester und die Hakenkreuzler ab in den Saal; nur vier bleiben zurück.
Kam'rad reich mir die Hände,
Fest wolln beisamm wir stehn,
Mag man uns auch bekämpfen
Der Geist kann nicht vergehn!
Hakenkreuz am Stahlhelm
Schwarzweißrotes Band,
Sturmabteilung Hitler
Werden wir genannt!
Wir lassen uns, wir lassen uns
Von Ebert nicht regieren!
Hei Judenrepublik! Hei Judenrepublik!
Schlagt zum Krüppel den Doktor Wirth!
Knattern die Gewehre, tack tack tack,
Aufs schwarze und das rote Pack!
Schlagt tot den Walther Rathenau
Die gottverdammte Judensau!
Plötzlich Stille.
Schminke lehnt die Stirne an die Wand und spuckt Blut.
Erster Hakenkreuzler Der hat seinen Teil.
Zweiter Hakenkreuzler Noch lange nicht, Kamerad!
Dritter Hakenkreuzler Ein beschnittener Saujud ist ein anständiger Mensch neben einem arischen Juden. Dem blut ja bloß die Nase. Das ist nur Vorschuß.
Zweiter Hakenkreuzler Wenns losgeht, wird er sich verbluten.
Vierter Hakenkreuzler Wann gehts denn los?
Dritter Hakenkreuzler Bald.
Zweiter Hakenkreuzler Wenns losgeht, dann kommt ein Gesetz, daß sich jeder Jud einen Rucksack kaufen muß. Was er hineinbringt, das darf er mitnehmen nach Jerusalem. Was er nicht hineinbringt, gehört uns. Wißt ihr, wieviel polnische Juden in Deutschland wuchern? Zwanzig Millionen! – Träumst du?
Vierter Hakenkreuzler Nein. Ich hab nur nachgedacht über diese Judenfrage. –
Heilrufe und Musiktusch im Saal. Erster, zweiter und dritter Hakenkreuzler rasch ab in den Saal.
Gesang aus dem Saal:
Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten,
Er waltet und haltet ein strenges Gericht.
Er läßt von den Schlechten nicht die Guten knechten,
Sein Name sei gelobt! Er vergißt uns nicht!
Vierter Hakenkreuzler nähert sich langsam Schminke.
Schminke hört ihn und wendet sich ihm zu: Zurück! Das war eine große Heldentat.
Vierter Hakenkreuzler Ich hab dich nicht geschlagen.
Schminke Danke.
Vierter Hakenkreuzler Bitte. Sie hätten dich vielleicht erschlagen, aber das hätt mir leid getan, denn du hast recht gehabt, und ich hab die Gerechtigkeit lieb. Du hast sehr recht gehabt, wir haben unsere Ehre nicht verloren – aber darauf kommts nicht an. Man muß nur selbständig denken. Du bist ein sogenannter Idealist.
Schminke Wer bist du?
Vierter Hakenkreuzler Ich bin der Sladek. – Man muß nur selbständig denken. Ich denk viel. Ich denk den ganzen Tag. Gestern hab ich gedacht, wenn ich studiert hätt, dann könnt ich was werden. Ich hab nämlich Talent zur Politik. Ich bin ein sogenannter zurückgezogener Mensch. Ich red nur mit Leuten, die selbständig denken können. Ich freu mich, daß ich mit dir reden kann, – du bist auch allein, das hab ich bei der Diskussion bemerkt. Wir sind verwandt. Ich hab mir das alles genau überlegt, das mit dem Staat, Krieg, Friede, diese ganze Ungerechtigkeit. Man muß dahinter kommen, es gibt da ein ganz bestimmtes Gesetz. Ein ganz bestimmter Plan, das ist klar, sonst wär ja alles sinnlos. Das ist das große Geheimnis der Welt.
Schminke Und?
Sladek In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Das ist der Sinn des Lebens, das große Gesetz. Es gibt nämlich keine Versöhnung. Die Liebe ist etwas Hinterlistiges. Liebe, das ist der große Betrug. Ich hab keine Angst vor der Wahrheit, ich bin nämlich nicht feig.
Schminke Ich auch nicht.
Sladek Das weiß ich. Aber du hast da einen Denkfehler. Lach mich nicht aus, bitte.
Schminke Ich lach nicht.
Sladek Du denkst nämlich immer daran, das ganze Menschengeschlecht zu beglücken. Aber das wird es nie geben, weil doch zu guter Letzt nur ich da bin. Es gibt ja nur mich. Mich, den Sladek. Das Menschengeschlecht liebt ja nicht den Sladek. Und wie es um den Sladek steht, so geht es den Völkern. Es liebt uns zur Zeit niemand. Es gibt auch keine Liebe. Wir sind verhaßt. Allein.
Schminke Was verstehst du unter dem Wir?
Sladek Das Vaterland.
Schminke Was verstehst du unter Vaterland?
Sladek Zu guter Letzt mich. Das Vaterland ist das Land, wo man geboren wird und dann nicht heraus kann, weil man die anderen Sprachen nicht versteht. Nämlich alle Theorien über den sogenannten Marxismus, die kommen für mich heut nicht in Betracht, weil ich selbständig denken kann.
Schminke spöttisch: Du denkst zu selbständig.
Sladek Man muß. Man muß. Es kann ja sein, daß mal wieder alle armen Leut gegen die Reichen ziehen, aber das ist, glaub ich, aus. Sie haben ja viele Rote erschlagen. Damals hab ich ein Lied gehört, daß das Herz links schlägt, aber es gibt ja kein Herz, es gibt nur einen Muskelapparat. Bist du für diese Republik?
Schminke Das ist noch keine Republik, das wird erst eine.
Sladek Das ist nichts und wird nichts, weil es nämlich auf einer Lüge aufgebaut ist.
Schminke Auf welcher Lüge?
Sladek Daß es eine Versöhnung gibt.
Schminke Wenn es keine Versöhnung gäbe, so müßte man Sie erfinden.
Sladek lächelt: Du bist nicht dumm.
Schminke Wieso? Stille. Ich lüge nie.
Sladek In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.
Schminke Heute ist allerdings überall nur Blut und Dreck.
Sladek Ich denk nicht an morgen. Ich leb ja vielleicht nur heut. Heut sind alle Staaten gegen uns. Sie drücken uns zusammen. Weil wir wehrlos sind, das ist dann immer so. Es würde nichts schaden, wenn noch einige Millionen fallen würden, wir sind nämlich zu viel. Wir haben keinen Platz. Wir verbreiten uns, als hätts keinen Weltkrieg gegeben. Es wird bald alles eine Stadt, das ganze deutsche Reich. Wir brauchen unsere Kolonien wieder, Asien, Afrika – wir sind wirklich zu viel. Schad, daß der Krieg aus ist!
Schminke Du wagst es zu bedauern, daß der Krieg aus ist?
Sladek Wieso?
Schminke Bist du ein Mensch?
Sladek Ich bin ein Mensch, es ist aber immer Krieg.
Schminke Es gibt auch Frieden.
Sladek Ich erinner mich nicht daran.
Schminke So tust du mir leid.
Sladek Jetzt lügst du.
Schminke Zu blöd.
Sladek Ich hab nämlich keine Angst vor der Wahrheit.
Schminke Warst du Soldat?
Sladek Nein. Als der Krieg ausbrach, war ich zwölf Jahre alt. Ich seh nur älter aus.
Schminke Du gehörst verboten.
Sladek Daß ich mal verboten werd, ist schon möglich. Weil ich zuviel weiß.
Schminke Kennst du die schwarze Reichswehr?
Sladek Das darf man nicht sagen!
Schminke Aha! Warum? Sladek schweigt. Ich habe gehört, daß sich draußen auf den Feldern Soldaten sammeln. Sie haben Kanonen und Maschinengewehre und tragen die Kokarde mit dem Adler der Republik verkehrt. Abgeschossen. Stimmts? Sladek schweigt. Ich habe gehört, daß diese Soldaten siegreich nach Paris marschieren wollen, über die Leiche des eigenen Volkes.
Sladek Das geht dich nichts an!
Schminke Doch! Sogar sehr! – Sie nennen sich schwarze Soldaten, weil sie nur als Geheimnis existieren können. Und der es verrät, der stirbt.
Sladek In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.
Schminke Man sollt jede Armee verraten, du Soldat! Er will rasch ab.
Sladek ruft ihm nach: Du bist ein sogenannter Idealist, du Schuft!
Halef, Rübezahl, Salm und Horst erscheinen überraschend und versperren Schminke den Weiterweg; er hält und starrt sie an.
Gesang aus dem Saal:
Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd,
In das Feld, in die Freiheit gezogen!
Im Felde da ist der Mann noch was wert,
Da wird das Herz noch gewogen.
Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein!
Hauptmann erscheint im Tor: Herr Schminke!
Schminke wendet sich ihm ruckartig zu; fixiert ihn: Sie sind hier das Oberkommando?
Hauptmann spöttisch: Zu Befehl, Herr Schminke.
Stille.
Schminke Ich verlange vor ein ordentliches Gericht gestellt zu werden, Sie verstehen mich.
Hauptmann Wir verstehen uns. Sie werden nach einem ordentlichen Gesetze bestraft.
Schminke Ich verlange nach dem Strafgesetzbuch abgeurteilt zu werden.
Hauptmann Solange das Strafgesetzbuch von der Interalliierten Militärkommission zensiert wird, solange bin ich das ordentliche Gericht.
Schminke Dazu haben Sie kein Recht.
Hauptmann Machen Sie sich nicht lächerlich.
Stille.
Wir sind informiert. Sie haben Material über geheime Rüstungen – sogenannter Pazifist? Sie verraten aus Prinzip?
Schminke Aus Prinzip.
Hauptmann Die eigene Armee.
Schminke Jede Armee.
Hauptmann Nein, nur die deutsche. Den Verbrechern von Versailles.
Schminke Machen Sie sich nicht lächerlich.
Hauptmann Idiot.
Schminke Ich kenne keine deutsche Armee, ich kenne nur Landsknechte der Reaktion, deren Geheimnis ich enthüllen wollte – Sie zielen auf Versailles und treffen das deutsche Volk.
Hauptmann Idiot.
Schminke Danke. Sie haben nur fünftausend Mann. Glauben Sie, daß Sie ohne schwere Artillerie den Versailler Vertrag zerreißen können? Und Sie vergessen, daß Sie ein Geheimnis sind. Wie kann sich denn der Feind vor Soldaten fürchten, von deren Existenz er nichts wissen darf? Sie marschieren ja gegen das eigene Volk.
Rübezahl schlägt ihn mit einer Stange von rückwärts nieder; Schminke bricht lautlos bewußtlos zusammen. Horst lacht leise.
Hauptmann zu Horst: Kusch!
Rübezahl Nanana! Man wird doch noch lächeln dürfen –
Salm zum Hauptmann: Das Auto steht drüben.
Hauptmann Wer fährt?
Salm Ich.
Hauptmann Salm, also es bleibt dabei: Ihr schafft den jetzt in die Kiesgrube, aber, daß ihm nichts »widerfährt«, verstehst du?
Salm Nein, Kiesgrube ist Kiesgrube.
Hauptmann Später. Ich will ihn noch einmal verhören. Vorher. Ich glaub es nämlich nicht, daß der uns um Geld verraten wollte. Hinter dem steht eine andere Macht. Ich bin von lauter Verrätern umgeben, aber ich fange nur immer die Vorhut, an die Leitung komme ich nicht dran.
Horst lacht wieder leise.
Halef beugt sich rasch über Schminke und untersucht ihn: Quatsch! Wenn ich so gesund wäre, würde ich heiraten.
Rübezahl Was fehlt dir denn?
Halef Nichts.
Salm Keine Privatgespräche! Los!
Rübezahl, Horst, Halef schaffen Schminke fort.
Hauptmann zu Salm: Ist das wahr, daß dieser Rübezahl gedroht hat, mich, wenn er keine schweizer Franken von mir bekommen sollte, niederzuknallen?
Salm Er war besoffen.
Hauptmann Besoffen oder nüchtern! Du hast das gehört?
Salm Ich war dabei.
Hauptmann Ich muß darauf bestehen, daß mir dergleichen sofort gemeldet wird!
Salm Ruhe, Herr General! Ruhe. Wagst du einen derart verdienstvollen Mann zu bestrafen, und wenn ja, kannst du es denn? Nein, du kannst dich nur lächerlich machen. Sonst nichts.
Rübezahl erscheint: Majestät. Ich habe soeben gehorcht. Er grinst.
Salm ab.
Hauptmann Du bekommst deinen Teil.
Rübezahl Das klingt komisch.
Hauptmann Abtreten.
Rübezahl Drohst du mir? Du? Mir?
Hauptmann Nein. Denn ich habe Angst, daß du mich niederknallst.
Rübezahl grinst: Fürchte dich nicht, Liliputaner!
Hauptmann Abtreten!
Rübezahl Bell nicht, Pinscher! Bell nicht; sonst schlag ich dir das Koppel um das Maul, daß dir das Gott-mit-uns in der Fresse steht!
Hauptmann fixiert ihn; beherrscht sich.
Salm StimmeRübezahl! Rübezahl!
Rübezahl ab.
Der Bundessekretär erscheint im Tor und verbeugt sich vor dem Hauptmann: Hauptmann! Ich habe Ihnen Beweise ehrlichster Bewunderung zu überbringen. Man ist begeistert. Ihre planmäßige Bearbeitung des flachen Landes, diese prachtvolle erhebende Stimmung in jeder Ihrer Versammlungen –
Hauptmann unterbricht ihn: Wer ist begeistert?
Der Bundessekretär Die maßgebende Stelle.
Hauptmann Sie kommen aus Berlin?
Der Bundessekretär lächelt hinterlistig: Von der maßgebenden Stelle.
Hauptmann Sie sehen: ich bin bereit.
Stille.
Schnarcht die maßgebende Stelle noch? Sie wird unter dem Sowjetstern erwachen.
Der Bundessekretär Die politische Verantwortung fordert, für die bewaffnete Aktion den günstigsten Augenblick abzupassen.
Hauptmann Ich warte.
Der Bundessekretär Wir haben zwar die Ministerliste, aber die Führer der Verbände müssen noch manche Frage bereinigen.
Der Bundessekretär Sie sind sich noch nicht einig, Nord und Süd.
Hauptmann Ich warte. Vorerst!
Der Bundessekretär Das wissen wir. Deshalb bin ich da.
Hauptmann Freut mich!
Der Bundessekretär Umso besser! Sie sind ein Mensch, dem man ab und zu seine Lage klar machen muß. Sie samt Ihren Soldaten unterstehen einer maßgebenden Stelle, die die geheime, gegen alle außenpolitischen Verpflichtungen erfolgte Aufstellung Ihrer Armee vor der Republik mit dem Schutze vor äußeren Feinden begründet, in Wahrheit aber die nationale Diktatur erstrebt. Offiziell muß die maßgebende Stelle republikanisch tun, um inoffiziell die Republik unterhöhlen zu können. Offiziell tragen Sie die Verantwortung, inoffiziell befiehlt die maßgebende Stelle. Sie können praktisch nur bestehen, weil und solange Sie offiziell nicht bestehen. Vorerst existieren Sie überhaupt nicht.
Hauptmann Danke. Die maßgebende Stelle ist feig. Sie betet um die nationale Revolution, aber drückt sich vor jedem festen Entschluß. Das liegt an der Berliner Luft.
Der Bundessekretär Und der preußischen Regierung.
Hauptmann Es muß kommen wie in Ungarn.
Der Bundessekretär Die Diktatur. Plebs bleibt Plebs. Gäbs keine Neger am Rhein und keine Inflation, fühlten sich unsere lieben Deutschen in Schwarzrotdreck sauwohl.
Hauptmann Nie. Ich glaube an den zweiten Befreiungskrieg. Mit dem Sturze der Republik stürzt auch Versailles.
Der Bundessekretär Kaum.
Hauptmann Oho!
Der Bundessekretär Kaum. Unsere Waffen reichen wohl zur Niederschlagung des inneren, aber niemals des äußeren Feindes. Die nationale Diktatur wird die Erfüllungspolitik der Rathenau und Genossen weiterführen müssen. Predigen wir das Gegenteil, so nur als Propaganda. Wir lügen dabei nicht, denn zu guter Letzt ist alles möglich.
Stille.
Hauptmann Ich sehe, man treibt mit mir wieder ein unehrliches Spiel. Ich glaube, die maßgebende Stelle wäre sogar imstande, mich dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik auszuliefern.
Der Bundessekretär Wenn Sie ohne Erlaubnis anfangen wollten zu existieren, ja.
Hauptmann Wenn alles mißglückt, jederzeit. Dann wird an meine nationale Treue appelliert, damit ich alles allein verantworten darf. Auch meine Justiz.
Der Bundessekretär Was für Justiz?
Hauptmann Spielen Sie nicht die unberührte Jungfrau, Feigling. Leute wie Sie sollten politisch links stehen. Sagen Sie der maßgebenden Stelle einen schönen Gruß, und wenn sich die vertrottelten Oberlehrer und verkalkten Exzellenzen in den Bünden und Verbänden, Orden und Parteien nicht bald einigen, dann fange ich an zu existieren. Die nationale Revolution bin ich. Der Landsknecht hat schon einmal einen Staat gerettet, wir haben Spartakus erschlagen, wir lassen uns nicht wieder vogelfrei verdrecken!
Der Bundessekretär lächelt sarkastisch; verbeugt sich steif und rasch ab.
Hauptmann allein; starrt ihm nach.
Gesang aus dem Saal:
Deutschland, Deutschland über alles
Über alles in der Welt!
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält. Deutschland,
Deutschland über alles Über alles in der Welt!
Hauptmann erblickt Sladek; nähert sich ihm langsam mißtrauisch; leise: Wer bist du?
Sladek Ich bin der Sladek. Ich will zu euch.
Hauptmann Wer sind denn wir?
Sladek Das darf man nicht sagen.
Sladek Vom Sehen.
Hauptmann Wer bin ich? Sladek Ich glaube, daß du richtig gehst. Ich habe nämlich die Gerechtigkeit lieb und kann selbständig denken.
Hauptmann läßt ihn langsam stehen, will in den Saal und trifft im Tor Knorke: Du. Wer ist denn das?
Knorke Der Sladek. Der gehört zu uns. Ich war mit seinem Bruder befreundet, als ich aus Tsingtau kam 1912. Es war mal eine bessere Familie.
Sladek Wann faß ich meine Uniform?
Knorke Bald.
Hauptmann ist anderswo: Sehr bald. Ab in den Saal.
Stille.
Sladek Du, Knorke. Ich muß mal austreten. Wo kann man hier eigentlich austreten?
Knorke Im zweiten Stock.
Sladek Im ersten nicht?
Knorke Nein. Nur im zweiten.
Sladek So hoch – Ab in den Saal.
Knorke liest in einer Zeitung im Haustorschein.
Anna Schramm kommt: Guten Abend, Herr Knorke.
Knorke Ach, Frau Schramm! Sie wünschen?
Anna Könnt ich den Sladek sprechen?
Knorke In fünf Minuten. Sladek ist pünktlich. Primadonna! Primadonna!
Anna Er hat keine Uhr.
Knorke Und singen kann er auch nicht.
Anna Woher kennen Sie Sladek?
Knorke Das weiß ich nicht mehr.
Anna Sie kennen ihn schon seit länger?
Knorke Sind Sie mit ihm verwandt?
Anna Nein.
Knorke Sie sind doch seine Wirtin?
Anna Ja.
Knorke Sonst nichts?
Knorke blickt in die Zeitung: Die Mark hat sich gefestigt. Zürich notiert zweiundzwanzig Milliarden. Zürich liegt am Züricher See. Er wirft wütend die Zeitung fort. Pensionierte Bürokraten würden revoltieren! Die Republik dieser Büttel der Botschafterkonferenz erfrecht sich, unsere letzten Waffen zu fordern. Auf einen Wink der Entente kastrieren wir uns selbst! Den Schuft, der nur eine versteckte Patrone verratet, den möcht ich massieren, bis ihm die pazifistische Seele zum großen jüdischen Gott fliegt! Ihr Herr Gatte ist doch auch gefallen?
Anna Nein.
Knorke Ich dachte, Sie wären Witwe?
Anna Er ist vermißt. Ich warte zwar nicht mehr, obwohl es noch vorkommen soll, daß ein Vermißter plötzlich erscheint. Rußland ist groß, Sibirien ist weit.
Knorke Apropos Rußland: Haben Sie die neue polnische Note gelesen?
Anna Ich lese keine Zeitung. Die liest nur Sladek.
Knorke Er liest viel.
Anna Nur die Zeitung.
Knorke Er weiß allerhand für sein Alter. Seine Ansichten sind zwar etwas verworren, aber zu guter Letzt gesund.
Anna Wenn er nur Zeit hat, grübelt er.
Knorke Die neue polnische Note ist der Gipfel der Verleumdung. Lauter Verbrecher!
Anna Wer?
Knorke Diese Polen! Jeder einzelne Pole ist ein geborener Lügner!
Anna Ich glaube, der einzelne Pole lügt auch nicht mehr als der einzelne Deutsche.
Knorke Hoppla!
Anna Die Zeitungen sollen endlich aufhören, die Völker gegeneinander zu hetzen. Es hat doch keinen Sinn.
Knorke Was Sie nicht sagen!
Anna Ich finde es sehr richtig, daß die Regierung die Bevölkerung auffordert, alle Waffen abzuliefern. Das ist endlich ein gutes Gesetz. Wir haben uns vier Jahre lang gemordet, das reicht. Ich würde jede versteckte Patrone anzeigen. Sofort.
Knorke Das würde ich an Ihrer Stelle unterlassen.
Anna Warum? Wer der Regierung nicht folgt, der wird doch bestraft.
Knorke Zum Strafen gehört Gewalt. Die Regierung hat keine, kann ich Ihnen flüstern. Heutzutage ist oft das Gegenteil Gesetz. Sagen Sie: Was wissen Sie über versteckte Patronen?
Anna Ich weiß, wer Sie sind und was Sie wollen.
Knorke Wie war das?
Anna Ich kenne Sie. Vom Sehen.
Knorke Wer bin ich?
Anna Sie kommen manchmal in die Stadt. Im Auto.
Knorke Was für Auto?
Anna Das habe ich alles beobachtet.
Knorke Was alles?
Anna Sie wollen aus dem Sladek einen Soldaten machen.
Knorke So?
Anna Sie werben für die schwarze Reichswehr.
Knorke Es gibt keine schwarze Reichswehr!
Anna Doch.
Stille.
Knorke Ich warne Sie.
Anna Ich bitte Sie. Ich bitte Sie, lassen Sie mir den Sladek. Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Wenn sich eine Frau in meinem Alter an einen um fünfzehn Jahre jüngeren Mann hängt, so ist das immer mütterlich, und sie läßt ihn nicht aus den Augen. Sladek ist ja noch ein Junge, der sich an nichts erinnern kann als an Krieg. Er kann sich den Frieden gar nicht vorstellen, so mißtrauisch ist er. Er ist in der großen Zeit groß geworden, das merkt man. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, ich habe gehorcht und spioniert – mich kann man nämlich nicht betrügen. Was mein ist, bleibt mein.
Knorke Ist der Sladek Ihr Eigentum?
Anna Ja.
Knorke Nein.
Anna Wen ich liebe, der gehört mir.
Knorke Will er Ihnen gehören?
Anna Wie meinen Sie das?
Knorke Der Sladek ist ausgewaschen und denkt nicht daran.
Anna Das hat er Ihnen gesagt?
Knorke Fragen Sie ihn selbst.
Stille.
Anna Wollen Sie mir helfen?
Knorke Ich warne Sie.
Anna Ich bitte Sie. Bitte, sagen Sie dem Sladek kein Wort, daß ich weiß, daß er von mir will. Bitte, sagen Sie ihm doch, er wäre zum Soldaten untauglich, sagen Sie es ihm, bitte, lassen Sie ihn hier. Ihre Soldaten werden auch ohne Sladek marschieren, aber ich – Ich hab schon mal alles für das Vaterland geopfert. Ich laß mir nichts mehr rauben. Ich verrate die ganze Armee den Polen. Noch heut.
Knorke Kaum.
Sladek kommt; erblickt Anna.
Anna Wo warst du so lange?
Sladek Ich hab mich geärgert.
Anna Wer hat dich geärgert?
Sladek Freut dich das?
Anna Mich?
Sladek Laß uns allein, bitte.
Knorke Nicht nötig, Sladek. Frau Schramm hat mich soeben gebeten dir mitzuteilen, du seiest untauglich zum Soldaten, da sie sonst alles den Polen verrät.
Sladek Anna!
Anna Nein, so ein Schuft!
Knorke Ich weiß, daß du das Maul gehalten hast, aber Frau Schramm hat dir nachspioniert. Dadurch zwingt uns Frau Schramm, uns mit ihrer Persönlichkeit zu beschäftigen. Verstanden? Sladek, bist du tauglich?
Sladek Tauglich.
Knorke Nach wie vor. Wir treffen uns beim Fräulein. Auf Wiedersehn! Ab.
Sladek starrt Anna an: Auf Wiedersehn.
Stille.
Anna Was ist das für ein Fräulein?
Sladek Das Fräulein. Das ist ein Lokal.
Anna Lüg nicht!
Sladek Du wirst noch blöd vor lauter Eifersucht.
Anna Lieber blöd! Sladek! Ich hab ja so Angst um dich. Ich seh es ja, wie hungrig dich die Weiber anschaun –
Sladek unterbricht sie: Ich bin dir treu.
Anna Nein, du nimmst nur Rücksicht, aber dann wünschest du, ich soll nicht – mehr sein. Du, du wirst einfach weggehen, ich werde dich überall suchen und nirgends finden.
Sladek Anna, weißt du, was das heißt, eine Armee vor dem Feinde zu verraten? Weißt du, was die Soldaten mit dem Verräter tun?
Anna Sie sollen mich erschlagen.
Sladek Sie werden dich erschlagen.
Anna Es liegt an dir. Bleib, bitte, und ich verrate nichts. Nichts. Weißt du, was das heißt, wenn ich dich verliere? Bleib, bitte, bitte, bitte – schau, ich schäme mich ja schon gar nicht mehr, so hänge ich an dir. Was denkst du jetzt?
Sladek Was ich denk, langweilt dich, hast du gesagt.
Anna Nein!
Sladek Was ich denk, ist dumm, hast du gesagt! Hast du gesagt! Ich hab nämlich ein sogenanntes Gedächtnis, ein ausgezeichnetes Gedächtnis.
Anna Wie du dir alles merkst.
Sladek Alles.
Anna Daß du nur nichts vergißt!
Sladek Nichts. Glotz nicht.
Anna Ich glotz nicht. Ich hab nur gesagt, du sollst nicht so viel denken, weil ich nichts von Politik versteh. Ich komme nicht mit.
Sladek Man muß nur selbständig denken. Ich kam zu dir zerlumpt. Bei mir in der Familie haben sie sich um ein Stück Brot gehaßt. Du warst für mich ein höheres Wesen, du hattest eine Zweizimmerwohnung und hast Kriegsanleihe gezeichnet. Du hast für Kaufmannsfrauen geschneidert, ich hab mich waschen können. Du hast mir einen Wintermantel gekauft. Danke.
Anna Bitte.
Sladek Du bist meine erste Liebe.
Anna Sei nicht so boshaft.
Sladek Ich bin nicht boshaft. Ich wollt nur sagen, daß die erste Liebe eine riesige Rolle im Leben spielt. Hab ich gehört.
Anna Sladek. Du bist schon tot. Sladek Warum?
Anna klammert sich an ihn: So sag es doch! Sag, daß alles aus ist! Aus, aus –
Sladek Sag es du.
Anna Ich kann es nicht, – wie dumm ich bin, wie dumm –
Sladek Es ist nicht aus.
Anna Nimm keine Rücksicht! Quäl mich nicht! Sag es endlich, laß mich los!
Sladek Gut. Es ist aus.
Anna Schau mich an.
Stille.
Sladek So wirds nicht anders.
Anna Doch.
Sladek Du weißt immer alles besser.
Anna Du kannst nicht lieben, du kannst nur lieb sein.
Sladek Genügt das nicht?
Stille.
Anna lächelt: Schau mich nicht so an – du Riese. Du kleiner Riese. Du bleibst, du bleibst. Du Jung, du – es ist dunkel, die Erde ist noch kalt, aber die Sonne war schon warm. Das ist der zunehmende Mond.
Sladek Heuer gibts kein Frühjahr. Auf dem Ozean liegen lauter Wolken, ganze Berge. Das kommt alles noch über uns, steht in der Zeitung.
Anna Ist doch alles nicht wahr, ist doch alles anders –. Komm, gib mir einen Kuß –. Das war doch kein Kuß. So. So – Sie küßt ihn, reißt sich plötzlich los und taumelt zurück. Was tust du? Was fällt dir ein, wenn ich dich küsse?!
Sladek Ich küß nicht gern so, so sinnlich.
Anna Du Schwein. Du Schwein –
Sladek Ich bin ein Schwein. Ab.