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Erster Akt

Das Stück beginnt mit einem lebenden Bild:

Im Hafen, links im Hintergrunde, ankert die Luxusgaleere des Bankiers. Zahlreiche Sklaven und Sklavinnen schleppen vom Ufer Gepäckstücke auf das Schiff, Kisten, Truhen, Fässer, Schläuche, Geschirr. Sie werden von einem Aufseher mit Nilpferdpeitsche in drohender Pose beaufsichtigt. Im Vordergrunde stehen von links nach rechts: Gloriosus, stolz auf den Knauf seines Schwertes gestützt; neben ihm kniet der Sklavenlausbub Paegnium und putzt einen Schild; dann Idiotima, umgeben von drei Kammersklavinnen, die noch etwas am Saum ihres Kleides zu nähen haben und ihr mit einer Brennschere auch noch Löckchen ins Haar brennen; dann K. R. Thago persönlich mit der achtzehnjährigen Hetäre Lemniselenis und deren Dienerin Matrosa, einer Person im gefährlichsten Alter, die sich nun etwas im Hintergrund hält, denn der Bankier tätschelt gerade der Hetäre Wange. Ganz im Vordergrunde steht Toxilus als Prologus, in einen feierlichen weißen Radmantel gehüllt, eine Pergamentrolle in der Hand. Es ist ein herrlicher Tag, ohne Wellen und Wolken.

Alle Personen tragen griechische Masken, die die wesentlichen Züge ihrer Charaktere, so wie man sich selbe landläufig vorstellt, darstellen sollen. So steht nun Toxilus mit der typischen Prologmaske vor dem Publikum. K. R. Thago, ein gütiger Börsianer, Lemniselenis, ein freches Dirnchen, Matrosa, eine alte Dirnchenmutter, Idiotima, gepflegt, versnobt, mit dem leeren Lächeln der Gesellschaftsdame, Gloriosus, eitel, dumm und aufgeblasen, Paegnium, ein pfiffiger Spitzbub, der Aufseher roh und niederträchtig, die Sklaven und Sklavinnen, niedergedrückt, bemitleidenswert armselig, so wie es sich eben gehört.

Toxilus  zum Publikum:

Als Prologus Beginne ich mit einem Zitat aus Plautus:

»Oh Publikum! Laßt Euch behaglich auf Euere Sitze nieder Bezahlt oder unbezahlt – das ist nicht die Frage
Die Frage ist vielmehr: Ob Ihr satt oder hungerig hierhergekommen seid.
Wer bereits genachtmahlt hat, der hat das bessere Teil erwählt
Doch wer hungert, esse sich an unseren Witzen satt –
Aber wem zu Hause das Nachtmahl steht
Der ist ein Narr
Ein großer Narr
Daß er uns zulieb nüchtern hergekommen ist!«

Er nimmt seine Maske ab und entledigt sich seines Mantels.

Huh, ist mir heiß! Verzeiht, daß ich mich demaskiere Doch hoffe ich, daß Ihr mich auch ohne Maske goutieren werdet – Erlaubt, daß ich mich vorstelle: Ich heiße Toxilus und bin hier der Oberkammersklave. Eigentlich bin ich zwar eine Herrennatur Die eben nur im Sklavenstande lebt Ein Mann voll geistiger Kraft und Gewandtheit Voll Witz und Gesundheit Dem sich seine Umgebung willig unterordnet Die Sklaven nämlich, deren Oberster ich bin – Jedoch auch – leise – meine Herrschaft!

Ich sag es leise, denn sie steht hier hinter mir und soll es nicht hören! Sonst setzt es was ab auf meinen Buckel und das wollt Ihr mir doch nicht gönnen! Laut. Erlaubt nun, daß ich Euch die Szenerie erläutere: Ihr seht hier ein lebendes Bild. Rechts die Villa meiner Herrschaft und links im Hintergrunde das Meer – dort ankert die Luxusgaleere meines Herrn, des Präsidenten des Romanisch-phönizischen Kreditinstitutes, K. R. Thago – er deutet auf K. R. Thago – er ist ein gebürtiger Punier, hat sich aber in Rom naturalisieren lassen und allerhand Geld gemacht. Er verabschiedet sich soeben von seiner Fräulein Hetäre, namens Lemniselenis – die Alte dahinter ist ihre Dienerin Matrosa, ein treuer Schatten! Jawohl, mein Herr verabschiedet sich, denn er segelt mit seiner Tochter Idiotima und deren Gatten Gloriosus nach Kreta in die Sommerfrisch, denn Kreta ist zur Zeit der letzte Schrei. Die Herrschaften segeln noch heute, sie warten nur noch, bis die Sklaven das viele Gepäck auf die Luxusgaleere gebracht haben. Der Rüpel dort hinten mit der Peitsche, das ist der Aufseher, ein roher, niederträchtiger Mensch –

Aufseher  fällt ihm ins Wort: Was bin ich?!

Toxilus  Hast es nicht gehört? Zweimal sag ichs nicht.

Aufseher  Ich bin ein roher, niederträchtiger Mensch?!

Toxilus  Hab ich das gesagt?

Aufseher  Jawohl!

Toxilus  Dann wirds schon stimmen –

Aufseher  Es stimmt aber nicht! Da, schau her – Er reißt seine Maske herunter, ein rundes, gutmütiges Gesicht wird sichtbar. Ist das das Antlitz eines Peitschenkulis?!

Toxilus  perplex: Sieh da! Komisch, daß ich dein Gesicht noch nie gesehen hab – hm. Nein, roh und niederträchtig sieht es nicht aus, eher ein bisserl blöd –

Aufseher  braust jähzornig auf: Ein solches Wort noch und – Er hebt drohend seine Peitsche.

Toxilus  herrscht ihn an: Schäm dich, immer nur die Peitsche, die Peitsche, die Peitsche! Bist doch selber nur ein Sklav!

Aufseher  Sklave her, Peitsche hin! Ich erfüll ja nur meine Pflicht! Er knallt mit der Peitsche und brüllt die Sklaven, die die Gepäckstücke tragen, an. Vorwärts-vorwärts! Nur nicht getrödelt, gewurstelt, geschlafen, sonst weck ich euch auf, Sklavenpack!

Die Sklaven tragen ihre Lasten auf das Schiff.

Aufseher  zählt die an ihm vorbeigeschleppten Gepäckstücke.

– 84, 85, 86, 87 – los-los! Wir haben noch 164 Stück! Er knallt wieder mit der Peitsche.

Idiotima zuckt etwas zusammen.

Toxilus  zum Publikum: Nachdem ich Euch alles erklärt habe, darf ich nun wohl gehen – ich muß nämlich auf das Schiff, um nachzusehen, ob auch alles richtig verstaut wird. Ich komme wieder, wenn ich muß! Rasch ab auf das Schiff.

Aufseher  brüllt einen alten Sklaven grimmig an: Tempotempo! 107, 108, 109 – hast nicht gehört, altes Stück Elend?! Er knallt abermals mit der Peitsche.

Idiotima  zuckt abermals zusammen: Oh saget ihm, er knalle nicht so mit der Peitsche! Er schlage lieber, dann gibts nicht diesen schrillen Ton! Meine Nerven vertragen keine Disharmonien. Ich bin geschwächt –

Gloriosus  Paegnium! Wo bleibt mein Schild?

Paegnium  reicht ihm den Schild: Aufzuwarten, gnädiger Herr!

Gloriosus  blickt auf seinen Schild, wie in einen Spiegel: Ich kann mich in meinem Schild nicht sehen. Wo bin ich? Du sollst meinen Schild so putzen, daß ich ihn als Spiegel benützen kann – begreifs doch endlich, daß ich mit Mars verwandt bin! Er reicht ihm wieder seinen Schild. Putz ihn, sonst erledig ich dich, wie jene fünfhundert in Kappadozien im vorigen Herbst – fünfhundert mit einem Streich, obwohl mein Schwert abgestumpft war!

Paegnium putzt eifrig den Schild. Idiotima nimmt langsam ihre Maske ab; eine verhärmte, frühgealterte Frau wird sichtbar. Die Kammersklavinnen stürzen sich sofort eifrigst auf die Maske, schminken und pudern sie.

Idiotima    blickt zum Himmel empor: Ach, Wölklein in der Höh Nur Du erkennst mein Weh: Mein Gatte ist ein Berufsmensch. Er liebt nur sein Schwert, seinen Schild, seinen Panzer – Was gilt ihm der Venusberg neben einem befestigten Hügel?

Nichts, oh nichts!
Er fürchtet nur immer, ob seine Rüstung auch richtig glänzt.
Heut zieht er sich schon seit gestern an
Er legte sich garnicht zu Bett in der Nacht
Er zog sich nur an –
Ich frag mich oft:
Warum kennt mein Gatte keine Gemütlichkeit?

Gloriosus 

Ein böses Wort!
Viel lieber als in die Sommerfrische zog ich in einen flotten Krieg
Viel lieber würd ich blutige Dinge vollbringen
Als friedlich meine Brust in der Sonne bräunen –
Denn meine Brust sehnt sich nach der befreienden Tat!

Idiotima  einfach: Ich hasse den Krieg.

Gloriosus  Versündig dich nicht! Wenn das Mars hört!

Idiotima 

Laß mich aus mit deinem Gott!
Wenn mein Vater kein Krösus wär
Wäre mein Gatte ein friedlicher Hirte
Aber das Geld meines Vaters läßt ihn nicht arbeiten –
So langweilt er sich auf dem Felde der Ehre zu Tode.

Gloriosus  reißt sich wütend die Maske herab; ein feminines Gesicht wird sichtbar mit ängstlichen Augen; er fixiert unsicher Idiotima; plötzlich herrscht er sie an: Du nimmst den Mund voll, als hättest du mir einen Sohn geschenkt!

Idiotima will schreien, doch die Kammersklavinnen binden ihr rasch, fast gewalttätig, die frisch hergerichtete Maske um.

K. R. Thago  zu Lemniselenis:

Wohl begreif ich deine Trauer, mein süßes, teuerstes Geschöpf!
Du kostspieliges, du –
Denn ich fahr nun fort und laß dich da.
Doch sei beruhigt:
Ich laß auch mein Geschäft da, Handel und Wandel, die
Börs, das Kontor –
Mögen die Papiere fallen oder sich heben
Ich muß ruhen!
Der Arzt hats mir verordnet, der Weise
Er kennt mein Leiden.
Es ist nicht der Ausfluß des üppigen Lebens
Sondern der Erregung über das Leben in Geschäften.
Verlieren regt auf
Aber verdienen noch mehr –
Und viel verdienen, das legt sich aufs Herz
Denn viel verdienen ist Schmerz
Teuer erkaufter Schmerz, du Kind –

Lemniselenis 

Der Sommer mag kommen, der Herbst vergehen
Meine Lieb zu Euch wird immer bestehen
Denn Ihr habt mich gekauft.

K. R. Thago  Lieb, sehr lieb – Er tätschelt wieder ihre Wange.

Toxilus  erscheint rasch an Bord des Schiffes und springt auf den Kai: Euere Hochwohlgeborenen! Die Segel sind gesattelt, der Anker gelichtet, das Gepäck verpackt, und die Ruder sind ruderbereit – es schwimmt alles in Butter, schiffet Euch ein!

Idiotima  Endlich! Ab auf das Schiff.

Gloriosus  zu Paegnium: Her damit! Er nimmt ihm seinen Schild ab und betrachtet sich in ihm; entsetzt, denn er sieht sich ohne Maske. Was?! Das soll ich sein?! Er herrscht Paegnium an. Ich seh mich noch immer nicht! Wart nur, Bube, wenn ich heimkehr, laß ich dich blenden! Rasch ab auf das Schiff.

Paegnium  sieht ihm nach; leise: Idiot! Er nimmt seine Maske ab, ein mageres, trotziges Knabengesicht wird sichtbar; er fächelt sich mit der Maske und wischt sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirne.

K. R. Thago  zu Lemniselenis: Kurz und gut, mit einem Wort: es wird höchste Zeit, daß ich einsteig und du – du kehrst morgen wieder zu Dordalus zurück.

Lemniselenis  entsetzt: Was sagt Ihr?! Wohin?! Zu Dordalus?!

K. R. Thago  Ja. Nach Pompeji.

Lemniselenis  wie zuvor: Ich soll wieder zum Sklavenhändler?! Ihr wollt mich abermals wieder weiterverkaufen?! Sie reißt sich die Maske ab; ein schönes Kind mit traurigen Augen und einem frühverbitterten Zug starrt K. R. Thago verzweifelt an.

K. R. Thago  stutzt unwillkürlich etwas: Warum so verzweifelt? Vielleicht kauft dich ein Besserer, Schönerer, Reicherer –

Lemniselenis  unterbricht ihn: Es gibt keinen Reicheren als Euch! Oh, bringt mich nicht wieder auf den Sklavenmarkt! Es folget so selten was Besseres nach!

K. R. Thago  Aber-aber, großes Kind! Was hast du dir denn vorgestellt? Und außerdem möcht man doch nur dein Gutes –

Lemniselenis 

Wollet lieber das Schlechte, mein Herr!
Gewährt mir weiter Euere Huld
Ich bleib Euch nichts schuld.
Wenn Ihr heimkehrt von Euerer Sommerfahrt
Wird von mir alles in bar bezahlt.
Jeder Groschen ein Kuß
Wenn ich nicht wieder auf den Sklavenmarkt muß –

K. R. Thago  Wer weiß, ob ich zurückkehr? Ob das Schiff nicht versinkt? Wer befiehlt dem Meer, dem Sturm – Neptun oder ich? Bin ich dem Neptun sein Vertrauter? Na also! Abgesehen davon, daß ich dich jetzt ein halbes Jahr umsonst ernähren müßt! Vorsicht ist die Mutter der Weisheit und Sparsamkeit ist eine Weltanschauung. Verkenne mich nicht, mein Kind!

Stille.

Lemniselenis  Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll, Herr Präsident.

K. R. Thago nimmt langsam die Maske ab; er hat überhaupt kein Gesicht.

Lemniselenis starrt ihn außer sich an.

K. R. Thago  feierlich:

Glaub nicht der Gosse
Glaube mir
Glaub nicht den Geldlosen
Ohnehosen
Glaube den Reichen
Sie haben Recht!
Das Armselige
Wird immer vertan
Das Ewig-Geldliche
Zieht uns hinan!

Lemniselenis  schreit auf: Nein!! Sie verbirgt ihr Gesicht in den Händen.

K. R. Thago  setzt sich langsam wieder seine Maske auf und streicht Lemniselenis über die Haare: Du bist unter Brüdern sechshundert Silberlinge wert. Verkauf dich nur ja nicht zu billig – Ab auf das Schiff.

Toxilus  zu K. R. Thago: Gute Erholung, frohe Fahrt! Ins Orchester. Darf man bitten, Herr Kapellmeister!

Musik erklingt.

Alle Sklaven  außer Lemniselenis, singen und winken dem verschwindenden Schiffe nach:

Keine Well auf der See
Und der Himmel blau
Frohe Fahrt!
Keine Wolk in der Höh
Und die Luft so lau
Frohe Fahrt!
Keine Sorg in der Brust
Und im Herz nur Lust
Frohe Fahrt!
Fahret hin, fahret her
Leise. Ertrinket im Meer!
Laut. Frohe Fahrt!
Ertrinket im Meer!

Aufseher  horchte perplex auf, das Schiff ist nun verschwunden; er brüllt: Was hör ich?! »Ertrinket im Meer«?! Was soll der Text?! Beim Jupiter, das halt ich nicht aus. Er hebt seine Peitsche.

Toxilus  Halt! Du wirst doch da nicht herumprügeln, wo wir Sklaven jetzt sozusagen untereinander sind?!

Aufseher  Das ist mir wurscht!

Toxilus  Mir aber nicht!

Aufseher  Das ist mir erst recht wurscht!

Toxilus  ruhig: Halt den Mund.

Aufseher  braust auf: Was erlaubst du dir –

Toxilus  unterbricht ihn: Kannst du lesen?

Aufseher  perplex: Nein.

Toxilus  Dann schau her – Er zeigt ihm ein Dokument. Während der Abwesenheit unserer Herrschaft wurde ich, ich Toxilus, zum obersten Verwalter dieser Villa eingesetzt, verstanden?! Denn ich genieße das restlose Vertrauen meines Herrn, verstanden?! Und hier hat mir nun jeder zu gehorchen, denn ich bin die höchste Instanz, bitt ich mir aus! Also los-los, an die Arbeit! Rastet nicht, damit ihr nicht rostet! Tempo-Tempo! Aber geprügelt wird hier nicht mehr, du mazedonischer Büffel! Gib mir dein Werkzeug, auf der Stell, von heut ab prügel nur ich! Los, her damit! Vorwärts!

Aufseher  gibt ihm widerwillig seine Peitsche: Werd glücklich. Jetzt möcht ich nur wissen, zu was ich noch leb – ich kann doch nur strafen, sonst hab ich ja nichts gelernt!

Toxilus  Ich weiß – ich weiß! Du hast die Peitschenvolksschul mit lauter Einser bestanden, hast die Prügelmatura summa cum laudis absolviert und hast auf der Folterhochschul einige Semester studiert – ich weiß – ich weiß!

Aufseher  Jaja, ich hatte eine goldene Jugend!

Toxilus  Noch ist kein triftiger Grund zur Melancholie vorhanden –

Aufseher  unterbricht ihn: Ohne Arbeit kann ich nicht leben!

Toxilus  Kannst du reiten?

Aufseher  perplex: Reiten?

Toxilus  Ja.

Aufseher  Natürlich kann ich reiten! Ich bin sogar gewissermaßen auf dem Pferd geboren –

Toxilus  Man merkts noch immer! Also höre: Du reitest jetzt sofort nach Pompeji, und zwar zum Sklavenhändler Dordalus – Du kennst ihn doch?

Aufseher  Leider! Ich war ja selber mal seine Ware.

Toxilus  Ich auch. Ein schäbiger Geizhals!

Aufseher  Wenn ich kein Sklav wär, sondern ein freier Mann, dann tät ich dem Kerl was erzählen!

Toxilus  Vorerst beherrsch dich und erzähl ihm nur folgendes: einen schönen Gruß von unserem abwesendem Herrn und er hätt ihm ein Fräulein Hetäre zum Verkauf zu übergeben – in Kommission! Er möcht sich aber das Fräulein bald abholen, denn wir haben hier kein Eis, auf das wir es legen könnten, und da es heiß ist, verdirbts uns noch am End – Er grinst. Fahr ab!

Aufseher  Geht in Ordnung! Wird prompt erledigt.

Toxilus  Reit nur zu! Daß du mir aber dein Pferd nicht zu sehr schindest!

Aufseher  Ich? Ich sollt ein Tier mißhandeln?! Für was hältst du mich?! Entrüstet ab.

Während der vorigen Szene sind auch alle Sklaven, außer Lemniselenis und Matrosa, ab. Lemniselenis sitzt am Fuße einer Säule und weint still vor sich hin.

Toxilus  betrachtet sie; zu Matrosa: Was hat sie denn?

Matrosa  Sie weint.

Toxilus  Warum?

Matrosa  Es ist ihr hier so gut gegangen, und jetzt hat sie Angst vor der Zukunft.

Toxilus  Aber – aber! Einen solchen schiechen alten Kracher, wie meinen gnädigen Herrn, den wird doch solch liebliches Ding immer wieder leicht finden! Direkt über Nacht!

Matrosa  Unberufen!

Toxilus  Sie kriegt auch junge fesche stramme –

Lemniselenis  unterbricht ihn: Also nur das nicht!

Toxilus  perplex: Was hör ich?

Matrosa  zu Toxilus: Sie möcht von der männlichen Jugend nichts wissen. Wenns nach ihr ging, tat sie sich einen Herrn Gebieter aus dem Greisenasyl holen.

Toxilus  Aha! Capisco! Einen gichtigen Greis, wacklig, zittrig, hirnrissig, der mit dem einem Haxen bereits durch die Unterwelt hatscht und von dem sich gar federleicht allerhand erben läßt – schau – schau! Mit himmelblauen Pupillen blickt die Unschuld geschäftstüchtig in die Welt. Jaja, im Kontor der Tugend wird mit der Jugend gar häufig gewuchert!

Lemniselenis  Ihr versteht mich nur halb.

Toxilus  Möglich. Denn die eine Hälfte, daß Ihr nämlich von der männlichen Jugend überhaupt nichts wissen wollt – diese Hälfte kapier ich überhaupt nicht!

Lemniselenis  Diese Hälfte kann ich mir nicht leisten.

Darum:

Ich möcht einen Mann von hundert Jahren
Mit dem könnt ich dann Schlitten fahren
Ich tät ihn pflegen, tränken, füttern
Tag und Nacht nur ihn bemuttern –

Ich möchte einen Mann, der bald nimmer ist
Der bald verbrannt wird und zwar ganz gewiß
Ich opfer dann dem Pluto eins – zwei Gulden
Und bin sie los, alle Schulden –

Denn: was hat man von seiner Jugend ohne Freiheit? Nichts! Und wie wird man frei? Nur durch Geld! Auch die Freiheit ist nämlich nur ein käuflicher Artikel – und ohne Groschen pfeif ich auf meine Jugend! Denn Jugend ist Freiheit und Freiheit ist Geld!

Darum:

Ich möchte einen Mann von hundert Jahren
Mit dem würd ich dann in die Freiheit fahren
Ich tät ihn immer pflegen, hegen
Lang tät er ja nimmer leben –

Es lebe die Jugend!

Matrosa  zu Toxilus: Sie ist eine geborene Krankenschwester.

Toxilus  grinst: Allerdings.

Lemniselenis  Ihr dürft nicht annehmen, daß ich mit unerlaubten Mitteln, als da sind: böse Kräuter, Schlangengift, etcetera – das Ableben eines gebrechlichen Gebieters beschleunigen wollte. Ich würde auch nimmer ein maßgebliches Wort in seinem Testament fälschen, aber ich tät ihm die Schrecken der Unterwelt ausmalen, und das fiele mir leicht, denn ich müßt ihm doch nur vom Schicksal der Sklaven auf der Oberwelt berichten. Die Haare würden ihm alle gen Himmel stehen und er würd mich vor lauter Grauen garantiert freikaufen, um nicht in der Unterwelt als Sklave verhandelt zu werden, als ein Ding mit menschlichen Allüren – Oh Götter, es fällt mir immer schwerer an Euere Güte zu glauben! Sagt mir: gibt es Euch denn überhaupt? Und wenn es Euch gibt, warum seid Ihr denn so böse zu mir? Wie gern würde ich gut sein –

Toxilus  Das ist ein Traum.

Matrosa  zu Toxilus: Sie hat eine zarte Seele.

Toxilus  zu Matrosa: Was verstehst du unter Seele?

Lemniselenis  Was sich aus einem fortsehnt.

Stille.

Toxilus  zu Lemniselenis: Wo kommt Ihr her?

Lemniselenis  Mein Papa ist ein Parasit.

Er betreibt das gleiche Geschäft, das meine Ahnen
Von ältesten Zeiten her betrieben haben
Und er pflegt es mit viel Talent.
Ich kenne keinen meiner Vorfahren
Der sich nicht durch Parasiten-Kunst gemästet hätt.
Großpapa, Urgroßpapa, Ur-ur und noch ein Urpapa
Sie alle haben stets
Von fremder Kost gelebt
Und an Gefräßigkeit konnt sie keiner überbieten.
Meine Freiheit wurd ein Opfer ihrer Gier:
Papa verkaufte mich als Sklavenkind um ein opulentes Menü
Er konnt den Fasanen, Muränen und Hummern nicht widerstehen
Sie haben ihn überwältigt, die geschlachteten Tiere
Sie wohnen in ihm und sitzen auf seinem Willen –
Er kennt nur die Lust
Sonst nichts.

Toxilus  Und Ihr habt Euch so einfach verkaufen lassen?

Lemniselenis  Man muß seinen Eltern gehorchen. Außerdem wurd ich nicht gefragt und ich hätt auch nicht antworten können, denn ich war erst drei Jahre alt.

Toxilus  Seltsam sind die Schicksale der Sklaven! Sie sind sich alle gleich, auch wenn sie anders sind – Auch ich verlor meine Freiheit als dreijähriger Knirps. Ich wurd bei Babylon gefangen –

Lemniselenis  Ach, Ihr seid ein Perser?

Toxilus  Keine Ahnung! Ob Perser, Grieche, Inder, Ägypter – was weiß ich, woher ich stamm!

Lemniselenis  Schad! Denn Perser sind interessant –

Matrosa  Wieso?

Lemniselenis  Perser sind alle schwarz, und ich bin blond.

Stille.

Toxilus  zu Lemniselenis; er lächelt: Wenn Ihr es wünscht, dann bin ich ein Perser –

Lemniselenis  klatscht in die Hände: Fein!

Matrosa  Wie man freiwillig ein Perser sein möchte, das geht über meinen Horizont.

Lemniselenis  Warum?

Matrosa  Weil alle Perser böse Menschen sind.

Lemniselenis  lacht: Böse Menschen gibt's überall!

Toxilus  starrt Lemniselenis an: Mir tuts nur leid, daß ich noch keine hundert Jahr alt bin – Er lächelt.

Lemniselenis stutzt und schaut ihn groß an.

Weil ich Euch dann freikaufen würde.

Matrosa  Warum?

Toxilus  zu Lemniselenis: Weil Ihr mir gefallt.

Matrosa  erhebt sich; zu Lemniselenis: Kommt herein, gehen wir!

Lemniselenis  hört nicht auf sie, sondern fixiert Toxilus: Ihr würdet mich freikaufen?

Toxilus  Was kostet Ihr denn?

Lemniselenis  Soviel ich weiß, sechshundert Silberlinge.

Toxilus  Potz Pluto! Das ist ein Vermögen!

Lemniselenis  lächelt: Bin ichs nicht wert?

Matrosa  zu Lemniselenis: Los – los, Herrin! Das fängt sich immer so an: »Ihr gefallt mir« und »Bin ichs nicht wert?« Ich bitt Euch, macht keine Dummheiten, Ihr seid eine brave Hetär und jener ist ein Sklav – diese Verbindung schickt sich nicht, göttlich, menschlich, gesetzlich nicht – Ihr werdet Euch noch ins Unglück stürzen!

Lemniselenis  sieht Toxilus unbeirrt an: Wenn Ihr mich freikaufen würdet, würd ich immer bei Euch bleiben. Ohne Zwang.

Matrosa  verzweifelt: Schaut euch da nicht so an, ihr verliert ja noch die Köpf!

Toxilus  Ich schau nicht weg.

Lemniselenis  lächelt: Ich auch nicht.

Toxilus  zuckt plötzlich zusammen: Au! Er faßt sich ans Herz und windet sich etwas.

Lemniselenis  erschrickt: Was ist? Was habt Ihr?

Toxilus  leise: Mir scheint, ich bin verwundet – so ein stechender Schmerz –

Lemniselenis  Tuts weh?

Die Luft klingt.

Lemniselenis blickt empor und ruft. Amor, Amor! – Dort fliegt er, dort!

Matrosa  Um aller Götter Willen! Jetzt aber rasch in das Haus, Fenster und Türen versperrt, sonst schießt er sie auch noch an, dieser unberechenbare Bursch! Sie zieht Lemniselenis rasch mit sich in die Villa.


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