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Der Kongreß beim Bankett mit diskreter Tafelmusik von Mozart.
Fressen und Saufen.
Der Generalsekretär erhebt sich nervös: Hochzuverehrender Herr Präsident! Mit ehrlicher Ehrfurcht, rein menschlichem Stolz und tatsächlich aufrichtiger Dankbarkeit dürfen wir im Namen unserer Nachwelt die überragenden Verdienste des Kongresses rühmend erwähnen und feiern. Ja!
Ein Lakai läßt eine Schüssel fallen, die klirrend zerbricht.
Der Kongreß zuckt nervös zusammen.
Das Unselbstische unserer Arbeit bietet die beste Gewähr für den endlichen Sieg unserer Ideale, den Triumph des An-sich-Seelischen über das An-sich-Körperliche, –
Ein Delegierter mit vollem Maul: Bravo! Bravo!
Eine Delegierte Hört! Hört!
Der Generalsekretär – die Herrschaft der gereinigten Liebe und die unwiderrufliche Ausrottung der käuflichen Fleischeslust. Ja! Und so erhebe ich nun im Namen des Kongresses mein Glas auf das geistige Wohl unseres hochverdienten Präsidenten, des Generaldirektors der Vereinigten künstlichen Ölwerke, des wirklichen Geheimen Rates Dr. Dr. honoris causae!
Der Kongress Hoch! Hoch! Hoch!
Fressen und Saufen.
Ein Delegierter leise zu seinem Nachbar: Wie heißt der Präsident?
Sein Nachbar Honoris Causae.
Der Delegierte Das klingt romanisch.
Der Nachbar Ist aber ein guter Deutscher.
Der Präsident erhebt sich: Mein Kongreß! Indem ich mir erlaube, für das mir dargebrachte seltene Vertrauen zu danken, begrüße ich vor allem den anwesenden Vertreter des Kriegsministeriums.
Hauptmann, der in dieser Eigenschaft am Bankett teilnimmt, verbeugt sich leicht.
Eine Delegierte Hurrah!
Der Präsident Hoffen wir auf die tatkräftige Hilfe der beteiligten Ressorts. Dann bin ich überzeugt, daß wir bis zum nächsten Kriege gewaltige Fortschritte erzielt haben werden. Danke meine Damen und Herren! Er setzt sich.
Der Kongreß erhebt sich, trinkt sich zu und setzt sich.
Fressen und Saufen.
Ein Lakai eilt herbei und überbringt dem Generalsekretär ein Telegramm.
Der Generalsekretär öffnet es hastig, liest und erbleicht.
Der Kongreß starrt ihn erwartungsvoll an.
Der Generalsekretär erhebt sich: Leider hat es Gott dem Allmächtigen laut seines unerforschlichen Ratschlusses gefallen, ausgerechnet den Vertreter des Wohlfahrtsministeriums soeben vom Schlage treffen zu lassen. Ja! Er setzt sich.
Ein Delegierter Bitte, dürfte ich noch etwas Gemüse –?
Ein anderer Delegierter Oh, bitte!
Der erste Delegierte Oh, danke!
Fressen und Saufen.
Ein dritter Delegierter Ja da nimmt man am besten etwas Sahne und röstet die Zwiebel – kennen Sie Mazzesknedl?
Eine Delegierte Ach! Betreffs der körperlichen Ertüchtigung unserer Jugend bin ich nämlich Laie.
Ein vierter Delegierter Wie interessant! Wie interessant!
Der erste Delegierte Bitte, dürfte ich noch etwas Gemüse –?
Ein fünfter Delegierter Da lob ich mir eine Weltanschauung. F. Nietzsche sagt –
Ein sechster Delegierter Warum? Nur darum?
Die Delegierte Genau so! Genau so!
Ein schwerhöriger Delegierter Ich zum Beispiel bin schwerhörig.
Ein kurzsichtiger Delegierter Ich zum Beispiel bin kurzsichtig.
Der dritte Delegierte Wa? Wie? Mayonnaise? Mayonnaise? Nicht möglich!
Eine altmodische Delegierte Stolz weht und treu die Wacht am Rhein!
Der zweite Delegierte Kennen Sie den? Zwei Radfahrer treffen sich in Czernowitz –
Die altmodische Delegierte Vater, ich rufe Dich!
Der vierte Delegierte Wissen Sie, was das Grundstück heute wert ist?
Der sechste Delegierte Nein, ich bin kein Antisemit.
Der erste Delegierte Jedoch. Bitte, dürfte ich noch etwas Gemüse –?
Eine dritte Delegierte Mein Vater war kommandierender General.
Die altmodische Delegierte Ach! Wo?
Die dritte Delegierte In Luzern.
Das Fräulein erscheint vor dem Kongreß.
Der Kongreß starrt sie verdutzt an.
Pause.
Das Fräulein Als ich acht Jahr alt war, starb mein Vater, während meine Mutter noch lebt. Aber wir wollen nichts voneinander wissen, denn sie hat meinen Vater nicht ausstehen können. Ich hab sehr bald verdienen müssen, weil nichts da war, aber die ersten Jahre hat es mir nirgends gefallen, weil ich boshaft behandelt worden bin. Ich lernte nähen. Pause.
Der Präsident Was soll das? Wer ist denn die Person?
Der Generalsekretär Pardon! Die Damen und Herren scheinen vergessen zu haben: diese Person ist jenes Fräulein, das nach Südamerika verkauft wird.
Der Präsident Achjaja –
Der Generalsekretär Laut Beschluß unseres achten Unterausschusses –
Eine Delegierte erhebt sich und unterbricht ihn: Ich führe den Vorsitz im achten Unterausschuß. Wir hatten einstimmig beschlossen, diese Person zu analysieren, um auch von der seelischen Seite her die Prostitution bekämpfen zu können.
Der Vorsitzende Achjaja –
Die Vorsitzende Wir legen dieser Person drei Fragen vor. Erstens: ob sie sich freiwillig oder gezwungenermaßen verkauft? Zweitens: wenn freiwillig, dann wieso? Drittens: wenn gezwungenermaßen, dann warum?
Der Generalsekretär Also, bitte, Fräulein, antworten Sie. Ja!
Das Fräulein Ich bin Kindergärtnerin.
Der Vorsitzende Lassen Sie das, wir sind unter uns!
Der Generalsekretär Hat man Sie gezwungen, Kindergärtnerin zu werden?
Das Fräulein schweigt.
Ja oder nein?
Das Fräulein schweigt.
So antworten Sie doch, bitte! Ja!
Der Präsident Na los! Los! Los!
Das Fräulein Ich habs mir überlegt.
Der Generalsekretär Geben Sie acht! Hat Sie jener Herr Alfred etwa gezwungen –?
Alfred tritt rasch vor den Kongreß: Halt! Ich verbitte mir jede Verdächtigung! Bitte, Fräulein, sagen Sie es dem Kongreß: hab ich Sie gezwungen oder sind Sie mir denn nicht direkt nachgelaufen? Antwort, bitte!
Das Fräulein Ich bin Ihnen direkt nachgelaufen.
Alfred Na also!
Der Generalsekretär Pardon, Herr, aber unsereins hört so mancherlei –
Alfred Es gibt überhaupt keinen Mädchenhandel. Es gibt lediglich Stellenvermittler und das gewaltsame Fortschleppen der Fräuleins ist Quatsch!
Ein Delegierter erhebt sich: Pardon, aber das dürfte stimmen.
Der Delegierte Ich bin Sanitätsrat in Santa Fé de Bogota und an Hand meiner reichen persönlichen Erfahrungen sehe ich die Ururursache der Prostitution in einer gewissen Degeneration.
Alfred Na was denn sonst!
Der Sanitätsrat In einer gewissen Entartung. Vor allem einzelner Muskelpartien.
Alfred Na klar! Er zündet sich eine Zigarette an.
Der Sanitätsrat In Santa Fé de Bogota ist das Wetter meistens schön. Er sieht in weite Fernen.
Der Präsident lacht über einen Witz, den ihm sein Nachbar erzählt hat: – wie? Und dann hat er gesagt sie wäre –
Sein Nachbar Kennen Sie den? Zwei Radfahrer treffen sich in Czernowitz – Er flüstert.
Alfred Sagen Sie, Herr Sanitätsrat, würde sich nach Ihrer Erfahrung der Export nach Santa Fé de Bogota rentieren?
Der Sanitätsrat Sicherlich! Ich kenne jedes Bordell in meinem Vaterlande und kann Ihnen daher mit dem besten Gewissen nur raten zu exportieren. Leider Gottes sind derlei Geschäfte ungemein vorteilhafte Kapitalsanlagen.
Alfred Hm. Er rechnet in seinem Notizbuch.
Der Sanitätsrat Meine sehrverehrten Kongreßkommilitionen! Meiner Überzeugung nach kann bei einem etwaigen Exporte, zum Beispiel nach meiner Heimat, von einer Zwangslage der Exportierten nicht gesprochen werden. Wir sind doch immerhin noch Menschen und haben unseren freien Willen. Ich wiederhole: es ist lediglich Degeneration. Er setzt sich wieder, frißt und sauft.
Alfred Lediglich. Er rechnet mit dem Finger in der Luft.
Lediglich.
Schminke erscheint.
Der Generalsekretär schnellt empor und starrt ihn an.
Schminke zu Alfred: Lediglich? Lügen Sie nicht, lügen Sie nicht.
Alfred sieht ihn nicht, er hat noch den Finger in der Luft: Hat wer was gesagt?
Schminke Hier dreht es sich nicht um Degeneration.
Alfred Sondern?
Schminke Sondern lediglich um wirtschaftliche Not.
Alfred Natürlich. Aber als Kaufmann muß man doch mit der wirtschaftlichen Not rechnen. Mit der Bedürfnisfrage. Wo käm man denn hin?
Das Fräulein zu Alfred: Mit wem sprechen Sie?
Schminke Mit mir.
Das Fräulein starrt ihn ängstlich an.
Alfred Mir wars nur, als hätt wer was gesagt – was ganz blödes – Er rechnet weiter.
Schminke zum Fräulein: Fräulein, vielleicht finden Sie es eigenartig, daß ich Sie anspreche und daß es sich dabei um Prinzipielles dreht. Ich kenne Sie. Es dreht sich hier nicht um Sie persönlich.
Das Fräulein weicht scheu zurück.
Ich persönlich will nichts.
Das Fräulein Sie reden wie ein Buch.
Schminke Bitte bilden Sie sich ein, Sie wären ein Buch und existierten in Millionen Exemplaren. Allein Ihre deutsche Ausgabe hat bereits die hundertste Auflage überschritten. Ich kenne das Buch. Ich kenne die Leser. Ich kenne den Verfasser!
Das Fräulein Ich versteh Sie nicht.
Schminke Ich versteh, was Sie wollen, und weiß, was Sie müssen.
Der Generalsekretär hat sich gefaßt und schreit Schminke an: Raus! Raus! Augenblicklich raus!
Schminke Machen Sie sich nicht lächerlich!
Der Generalsekretär Ich pflege mich nicht lächerlich zu machen, Sie! Raus! Raus! Oder –
Schminke unterbricht ihn: Was oder? Wer mir droht, den lach ich aus! Sie vergessen: ich bin ja bereits ausgezählt. Hier steht eine Idee, Herr Generalsekretär! Lassen Sie es sich sagen: selbst wenn das Fräulein degeneriert sein sollte, so verkauft sie sich dennoch lediglich unter dem Zwange der wirtschaftlichen Not, als Folge der bürgerlichen Produktionsverhältnisse!
Der Generalsekretär wischt sich den Schweiß von der Stirne und setzt sich erschöpft.
Der Präsident zum Generalsekretär: Ist Ihnen schlecht?
Der Generalsekretär Zur Zeit –
Der Präsident Wohl noch die gestrige Affäre?
Der Generalsekretär Ja.
Der Vorsitzende Was war das für eine Affäre?
Der Sanitätsrat Unser lieber Herr Generalsekretär wurde gestern von einem Raubmörder überfallen.
Hauptmann Wir mußtn sogar von der Schußwaffe Gebrauch machn.
Die Vorsitzende Ah!
Schminke Das war kein Raubmörder.
Der Generalsekretär verzweifelt: So schweigen Sie doch! Schweigen Sie, ja! Stille.
Der Präsident Mit wem reden Sie denn da?
Der Generalsekretär Mit dem dort –
Der Präsident glotzt Schminke an: Wo?
Der Generalsekretär Sehen Sie denn nicht –?
Der Präsident Ich sehe überhaupt nichts.
Der Sanitätsrat zum Generalsekretär: Ich glaube, Herr Generalsekretär sind überarbeitet – darf ich Ihren Puls –
Er fühlt ihn. Ja, Sie opfern sich für uns.
Schminke grinst.
Der Generalsekretär Jetzt lacht er.
Der Sanitätsrat Wer?
Der Generalsekretär Dort. Jener.
Der Präsident nervös: Wer jener? Ich seh keinen jenen! Wer sieht hier jenen? Meine Damen und Herren! Wer jenen sieht, der erhebe sich bitte!
Niemand erhebt sich.
Niemand. Hier sieht niemand was. Zu Alfred. Sehen Sie vielleicht jenen?
Das Fräulein Ich hab was gehört.
Der Präsident Was denn?
Schminke Mich.
Hauptmann erhebt sich: Meiner Seel, jetzt hab ich auch was gehört. Er deutet plötzlich auf Schminke – dort! Jenen! Mir scheint gar, des is a Jud.
Der Generalsekretär Jener behauptet, er sei eine Idee.
Der Präsident Wie kommt hier der Jud herein.
Der Generalsekretär Er behauptet, daß mit der Aufhebung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse auch die aus ihnen hervorgehende Prostitution verschwinden wird. Schrecklich!
Der Präsident Ein Bolschewist!
Der Sanitätsrat Wie töricht!
Die Vorsitzende Die Prostitution ist zu tief in uns Menschen verankert.
Alfred Sehr richtig.
Die Vorsitzende Eine Änderung der Produktionsverhältnisse kann und kann die Prostitution nimmermehr irgendwie, mit Verlaub zu sagen, beeinflussen! Alles auf das Materielle zurückzuführen, das hieße doch die Seele leugnen. Schminke lacht.
Ein Delegierter springt erregt empor: Lachen Sie nicht, junger Mann! Ich bin Studienrat in Lissabon und wenn Sie mal zwanzig Jahre älter sind, dann denken Sie auch anders darüber!
Schminke Über was?
Der Studienrat Über Gott.
Schminke Kaum.
Der Studienrat Abwarten! Er deklamiert. Rasch tritt der Tod den Menschen an –
Schminke unterbricht: Ich bin kein Mensch, ich bin doch eine Idee. Sie Idiot!
Der Studienrat brüllt: Zur Geschäftsordnung!
Zurufe Bravo! Sehr wahr! Richtig!
Der Generalsekretär erhebt sich: Zur Geschäftsordnung. Er setzt sich.
Der Vierte Delegierte erhebt sich: Wir lassen uns nicht beirren. Der Kongreß läßt sich nicht nehmen, an der Zusammenarbeit der Völker symbolisch mitzuwirken. Ich würde mich ehrlich freuen, wenn das schöne Zusammenarbeiten der kommerziellen Kreise –
Der Präsident unterbricht ihn: Der Wirtschaft!
Der Vierte Delegierte Natürlich der Wirtschaft.
Schminke Das Kapital.
Der Präsident Natürlich das Kapital! Ich verbitte mir diese ständigen Selbstverständlichkeiten!
Der Vierte Delegierte Wer würde sich nicht freuen über das völkerversöhnende Hand-in-Hand-Arbeiten des Kapitals, wo es gilt Kulturgüter zu schützen?! Zur Geschäftsordnung! Er setzt sich und leert hastig sein Glas.
Der Erste Delegierte Bitte, dürfte ich noch etwas Gemüse –
Der Sanitätsrat Oh, bitte!
Der Erste Delegierte Oh, danke!
Fressen und Saufen.
Schminke Ich ersuche den Kongreß, das Fräulein nicht zu vergessen.
Der Studienrat wirft wütend seine Gabel auf den Boden.
Fressen und Saufen.
Die Vorsitzende erhebt sich: Erlauben Sie mir nun zur zweiten Frage überzugehen, da wir bereits festgestellt haben, daß sich diese Person aus freien Stücken verkauft.
Schminke Lügen Sie doch nicht!
Die Vorsitzende kreischt: Keine Kritik! Keine Kritik!
Schminke Sie wissen es doch, daß das Fräulein lediglich ein Opfer der bürgerlichen Produktionsverhältnisse ist!
Die Vorsitzende kreischt: Für die Allgemeinheit zu wirken ist Mannespflicht. / Einen Dank dafür erwart Dir nicht. / Faulpelze und Quertreiber können Erfolg nicht leiden. / Um deren Gunst bist Du wahrlich nicht zu beneiden! Sie bricht auf ihrem Stuhl zusammen und schluchzt.
Der Präsident zu Schminke: Was wollen Sie hier eigentlich?!
Schminke Beweisen, daß Sie Betrüger sind!
Der Präsident Zur Geschäftsordnung!
Die Vorsitzende kreischt: Zur Geschäftsordnung!
Der Generalsekretär erhebt sich: Wir hörten soeben ein schlimmes Wort. Das Wort ›Betrüger‹. Selbst wenn wir uns die Argumentation verantwortungsloser Berufshetzer zu eigen machen, daß sich nämlich dies Fräulein ausschließlich unter dem Zwange ihrer wirtschaftlichen Not verkauft, so entkräftigen wir dennoch jede Gemeinheit mit der frommen Feststellung, daß es in keines Menschen Macht liegt, die, zu guter Letzt auch über dem Kongreß lastende wirtschaftliche Not zu beseitigen. Er leert sein Sektglas.
Zurufe Hört! Hört!
Schminke Sagen Sie nur nicht ›Erbsünde‹ statt ›Kapitalismus‹!
Alfred Was mich betrifft, so glaub ich an Gott.
Schminke Sie müssen es ja wissen.
Alfred Dem einen hilft der liebe Gott und dem anderen hilft er nicht.
Schminke Man müßte den lieben Gott besser organisieren.
Alfred Halt ich für ausgeschlossen.
Schminke Hat er Ihnen geholfen?
Alfred Gottseidank!
Schminke grinst: Der liebe Gott wird mir immer sympathischer –
Der Präsident Zur Geschäftsordnung!
Der Generalsekretär leert noch ein Glas Sekt: Ich bin schon heiser, aber weiter! Nicht nur dieses Fräulein, sondern Millionen Fräuleins leiden unter akkurat derselben typischen Not, ohne sich dieserhalb zu verkaufen. Wir kommen jetzt zum psychologischen Kern. Wir fragen das Fräulein: warum verkaufen Sie sich? Warum bringen Sie sich nicht um?
Die altmodische Delegierte Wäre ich gezwungen, zwischen Tod und Prostitution zu wählen –
Die Vorsitzende schnellt empor und unterbricht sie kreischend: Meine Herren! Wir alle würden uns erschießen!
Zurufe Bravo! Bravo!
Das Fräulein Ich wollt mich schon mal umbringen, aber dann hab ich mir gedacht, ich verkauf mich doch lieber. Weil es leichter geht.
Pause.
Die Altmodische Delegierte Ist das noch ein Mensch?
Der Studienrat Ist denn diese schamlose Person bar jeder menschlichen Scham?
Der Präsident Bitte Herr Studienrat, nehmen Sie trotz Ihrer berechtigten Empörung Rücksicht auf die anwesenden Damen.
Der Studienrat An mir zittert alles –
Die Altmodische Delegierte zum Generalsekretär: Bitte fragen Sie doch die Person, ob sie den Begriff ›reine Liebe‹ kennt?
Der Generalsekretär Fräulein, kennen Sie –
Das Fräulein unterbricht ihn: Nein.
Der Generalsekretär Und warum nein?
Das Fräulein Weils das nicht gibt.
Hauptmann lacht hellauf.
Die Altmodische Delegierte Charmant!
Der Generalsekretär Geben Sie acht, Fräulein! Woher wollen Sie wissen, daß es keine reine Liebe gibt?
Das Fräulein Ich war mal verheiratet.
Der Studienrat Korrekt?
Das Fräulein Sogar kirchlich. Aber nicht lang.
Der Generalsekretär Weshalb nicht lang?
Der Präsident Bitte um eine zusammenfassende Darstellung!
Das Fräulein Mein Mann war sehr moralisch. Er hatte ein Zigarettengeschäft und ließ sich scheiden, weil ich mal mit einem fremden Herrn zu einer Gartenunterhaltung ging. Mein Mann hieß Ferdinand.
Der Präsident Weiter!
Das Fräulein Dann ließ mich aber auch der fremde Herr stehen, weil ich ihm auf die Dauer zu langweilig war. Ich glaub, er war ein Schuft.
Hauptmann So wird man zum Schuft, meine Sehrverehrten!
Der Studienrat Toll! Fürwahr!
Hauptmann Ein Cabaret!
Der Präsident höhnisch: Das gnädige Fräulein hofften wohl wieder kirchlich getraut zu werden?
Der Sanitätsrat kichert.
Das Fräulein Nein.
Der Generalsekretär Sondern?
Das Fräulein Ich hätt nur nicht gedacht, daß er mich hernach sofort stehen läßt. Heut bin ich ihm ja nicht mehr bös.
Der Präsident spöttisch: Was Sie nicht sagen!
Das Fräulein Er hieß Arthur.
Die altmodische Delegierte Weiter!
Das Fräulein Dann gings halt so dahin mit mir.
Der Präsident Wohin?
Das Fräulein Ich hatte halt nichts.
Der Präsident grinst: Keinen Arthur?
Das Fräulein Kein Geld.
Der Sanitätsrat Wer arbeiten will, der kann.
Schminke Verzeihung! Sie sind doch Sanitätsrat?
Der Sanitätsrat Ja. Und?
Schminke Ihr Vater war doch Fabrikbesitzer?
Der Sanitätsrat Wer arbeiten will, der kann.
Schminke Und Sie heirateten die Tochter eines Juweliers aus der Bremerstraße.
Der Sanitätsrat brüllt Schminke an: Wer arbeiten will, der kann!
Das Fräulein Ich konnt nicht.
Der Sanitätsrat schlägt mit der Faust auf den Tisch: Ich verbitte mir das!
Das Fräulein zuckt die Achsel.
Der Präsident Also das mit dem Nichtkönnen ist keineswegs zwingend.
Das Fräulein zuckt die Achsel.
Der Studienrat Faul und frech.
Der Sanitätsrat Und degeneriert.
Altmodische Delegierte zum Generalsekretär: Bitte, Herr Generalsekretär fragen Sie doch diese degenerierte Person, ob ihr die Ausübung ihres schändlichen Gewerbes besondere Lust bereitet?
Das Fräulein Pfui!
Alfred sieht auf seine Uhr: Darf ich den Kongreß darauf aufmerksam machen, daß sich das Fräulein bald einschiffen muß. Es wird allmählich Zeit. Ich bitte also die Fragen –
Der Präsident unterbricht ihn: Ich glaube, der Kongreß kann auf weitere Fragen verzichten. Wir haben soeben schaudernd einen Fall außerordentlicher Gefühlsroheit erlebt.
Schminke Wann werden Sie Wohlfahrtsminister?
Der Präsident Zur Geschäftsordnung!
Der Generalsekretär erhebt sich: Herr Alfred! Es bereitet mir eine besondere Freude und Ehre, Ihnen für Ihre aufopferungsvolle Mitarbeit den tiefempfundenen Dank des internationalen Kongresses für internationale Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels aussprechen zu dürfen. Ihre solide Sachkenntnis lieferte dem Kongreß neue Waffen, neuen Mut, neue Ausdauer in seinem homerischen Kampfe gegen die Hydra der Prostitution, in einem mörderischen Schlachten, das zu guter Letzt schlechterdings den Sieg des Irrationalen über das Rationale erstrebt!
Schminke Bravo!
Der Generalsekretär Ich erhebe mein Glas auf Ihr ganz Spezielles – Er trinkt auf Alfreds Wohl.
Alfred verbeugt sich vor dem Kongreß.
Der Kongreß applaudiert.
Musiktusch.
Der Kongreß erhebt sich, weil es nun nichts mehr zu fressen und saufen gibt, da das Bankett zu Ende ist.
Die Kapelle spielt nun einen flotten Militärmarsch.
Der Generalsekretär tritt zu Alfred und drückt ihm die Hand: Bitte hätten Sie nur noch die Liebenswürdigkeit, diesen Fragebogen über die Technik des Mädchenhandels auszufüllen – Er überreicht ihm einen Bogen. Es ist ein gedruckter Fragebogen, weil wir ja ungefähr fünftausend Persönlichkeiten aus dem Bereiche des Mädchenhandels befragen wollen.
Alfred Zur Geschäftsordnung.
Der Generalsekretär Ich wollte ja soeben – Er überreicht ihm ein Kuvert. Hier das Honorar.
Alfred zählt das Geld nach und schiebt es befriedigt ein: Es bereitet mir eine besondere Freude und Ehre, mich in meinem Namen bedanken zu dürfen.
Der Generalsekretär verbeugt sich.
Alfred klopft ihm auf die Schulter. Wenn Sie mich wiedermal benötigen sollten: ich stehe dem Kongreß jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich wohl in vierzehn Tagen eine brünette Witwe nach Santa Fé de Bogota verkaufen –
Der Generalsekretär Sie hören noch von mir! Er schüttelt ihm die Hand, verbeugt sich, entdeckt Schminke und fixiert ihn.
Eine elegante Delegierte Herr Alfred! Ich würde mich sehr freuen, Sie Donnerstag abend bei mir begrüßen zu können. Darf ich Sie erwarten? Ich veranstalte ein kleines Privatkonzert zugunsten gefährdeter Mädchen. Mein Onkel erhielt bei dem letzten Autoschönheitswettbewerb den ersten Preis.
Alfred küßt ihr die Hand.
Hauptmann zur eleganten Delegierten: Pardon, Gnädigste! Darf ich Ihnen meinen Arm – es gibt nämli no a kalts Buffet – Ab mit ihr.
Alfred Das ist aber ein eifersüchtiger Soldat – Er füllt den Fragebogen aus.
Der Generalsekretär zu Schminke: Darf ich Sie fragen, ob Sie nun endlich den Platz räumen wollen?
Schminke Machen Sie sich nicht lächerlich.
Der Generalsekretär Sie haben mich das Bankett über in die größte Verlegenheit gestürzt. Es hat mir schon nichts mehr geschmeckt. Jetzt kommt das kalte Büffet. Wollen Sie mir noch immer den Appetit verderben?
Schminke So kleinlich bin ich ja gar nicht.
Der Generalsekretär Aber Sie wirken noch kleinlicher. Bitte lassen Sie mich jetzt aufatmen, es folgt der gesellige Teil.
Schminke grinst: Ich liebe die Geselligkeit.
Pause.
Der Generalsekretär grinst: So wird man sich an Sie gewöhnen müssen. Hoffen Sie nur nicht, daß ich an einem inneren Zwiespalt zugrunde gehen kann. Ich sage Ihnen das als Generalsekretär. Ja! Er läßt ihn stehen.
Der Kongress allmählich ab an das kalte Büffet.
Das Fräulein zu Alfred, der den Fragebogen ausfüllt: Wann kann ich denn fort?
Alfred Sofort.
Das Fräulein Es wird allmählich Zeit.
Alfred Ja.
Das Fräulein Zu so einer Sache bringen Sie mich aber nicht mehr. Da geh ich schon lieber mit einem, der Prothesen hat.
Alfred Kusch, Fräulein! Das ist nämlich ein komplizierter Fragebogen.
Das Fräulein Diese ganzen Fragen haben doch gar keinen Sinn – was man den Leuten antwortet, das glauben sie ja nicht. Man regt sich nur unnötig auf.
Alfred Quatsch! Sie werden doch dafür bezahlt. Hier haben Sie Ihre zwo Mark.
Das Fräulein Sie sagten doch drei –
Alfred unterbricht sie: Irren ist menschlich!
Pause.
Das Fräulein Ich hab Hunger.
Alfred Beherrschen Sie sich, bitte! Ja?
Das Fräulein starrt plötzlich hinaus: Jetzt kommt er.
Alfred Wer?
Das Fräulein Unser Ferdinand.
Ferdinand kommt und verbeugt sich vor dem Fräulein.
Das Fräulein nickt.
Ferdinand unterdrückt: Alfred.
Alfred ebenso: Ha?
Das Fräulein horcht.
Ferdinand Ich hab es mir überlegt.
Alfred Was denn?
Ferdinand Das südamerikanische Geschäft.
Alfred Was heißt das?
Ferdinand Das heißt, daß ich dich bitte: gib mir meinen halben lieben Gott zurück.
Alfred Meschugge?
Ferdinand Nein, ich meine das nur rein menschlich. Ich habe doch nicht gewußt, daß wir dieses Fräulein verkaufen –
Alfred Rein menschlich darf man überhaupt kein Fräulein verkaufen!
Ferdinand Das ist zweierlei. Nämlich ich bin so menschlich, daß mir nichts Menschliches fremd ist, und deshalb versteh ich es ja auch, wie man ein Fräulein verkaufen kann, verdamm es nicht, sondern beteilige mich gegebenenfalls. Aber gerade dieses eine Fräulein – sie ist mir doch immerhin mal nahe gestanden.
Alfred Kusch! Geschäft ist Geschäft!
Ferdinand Ich verkauf jede, nur jene nicht. Ich weiß nicht, warum nicht. Das ist keine Sentimentalität. Weißgott, was das ist!
Alfred Kusch! Wenn ich dir jetzt deinen halben lieben Gott zurückgeben würde – wie steht es denn dann mit deinem Kännchen?
Ferdinand starrt ihn an.
Mit deinem Kännchen Kaffee?
Ferdinand ist sprachlos.
Du tust doch alles nur um das Kännchen –
Alfred Denk real und reell! Tasse oder Kännchen?
Pause.
Ferdinand nach innerem Kampf: Tasse.
Alfred Nimmermehr wirst du dein Kännchen –
Ferdinand unterbricht ihn; bösartig: Gut! Trink ich kein Kännchen!
Schminke Halt! Sie werden Ihr Kännchen trinken! Sie vergessen wohl, daß dem Fräulein persönlich nicht geholfen werden kann! Prinzipiell!
Das Fräulein Finden Sie?
Schminke Ja!
Ferdinand erkennt Schminke: Prinzipiell –
Schminke Nach den unerbittlichen Gesetzen der kapitalistischen Gesellschaft muß das Fräulein in Südamerika enden. Krank, verkommen und vertiert!
Alfred Na hörst du?
Ferdinand Prinzipiell –
Schminke Wir sehen einen typischen Fall –
Ferdinand unterbricht ihn: Wir wollen es doch sehen! Ich erkläre hiermit mit erhobener Stimme, daß ich auf die Hälfte meines lieben Gottes verzichte, daß ich das Fräulein wieder zu meiner Frau mache, daß ich mit der anderen Hälfte meines lieben Gottes abermals ein bescheidenes Zigarettengeschäft gründe und daß ich nie wieder in meinem Leben nach einem Kännchen Kaffee trachten werde!
Schminke zum Generalsekretär: Hören Sie sich das nur mal an, Herr Generalsekretär!
Der Generalsekretär Was soll ich denn hören?
Schminke Das Fräulein wird nicht verkauft, sondern geehelicht.
Der Generalsekretär Oho! Zur Geschäftsordnung!
Ferdinand Verzeihung! Ich bin nämlich fremd und kenn mich nicht aus. Wer ist denn das?
Der Generalsekretär Der Kongreß.
Ferdinand Zur Bekämpfung des Mädchenhandels?
Ferdinand So wird es Sie freuen, daß es mir gelungen ist, das Fräulein zu retten.
Der Generalsekretär Zur Geschäftsordnung!
Schminke Ich protestiere gegen diese Verfälschung der wirklichen Verhältnisse durch die sogenannte Menschlichkeit dieses Herrn!
Der Generalsekretär Im Namen des Kongresses schließe ich mich diesem Proteste an. Wo kämen wir denn hin, wenn wir für das Studium einer Prostituierten achtundvierzig Mark bezahlen würden und dann würde sich herausstellen, daß wir ja nur das Seelenleben einer kleinbürgerlichen Ehefrau durchleuchtet haben! Ich wäre die längere Zeit Generalsekretär gewesen! Sie mit Ihrer Menschlichkeit haben kein Recht den geschäftsordnungsmäßigen Gang der Bekämpfung des Mädchenhandels zu durchkreuzen! Ja!
Alfred Ganz Ihrer Ansicht, Herr Generalsekretär! Ich habe mit der Firma Ibanez in Parana bereits fest abgeschlossen. Abgesehen von der Konventionalstrafe würde auch mein kaufmännisches Renommee beträchtlich leiden, du Idiot.
Ferdinand zum Fräulein: Bin ich ein Idiot?
Das Fräulein Nein.
Ferdinand Ich war aber ein Idiot, als wir nämlich verheiratet waren. Ich war nämlich zu moralisch, wahrscheinlich weil ich aus einer verkommenen Familie stamm. Heut bin ich nicht mehr korrekt, heut bin ich menschlich. Komm. Komm, bitte.
Das Fräulein Nein.
Ferdinand Wie?
Das Fräulein Nein.
Schminke Richtig!
Der Generalsekretär Gottlob!
Alfred Bravo!
Ferdinand Nein –?
Das Fräulein Als ich dich zuvor im Café Klups gesehen hab, da hab ich geschrien, so bin ich erschrocken – über das Frühere, weil es wieder da war. Ich hab nämlich geglaubt, in mir ist alles kaputt, aber derweil ist noch was ganz in mir. Ich kann das nicht anders erklären. Die Herren hier haben sehr recht –: ich kann ja nicht mehr zurück, weil –: es wär ja alles anders und ich mags nicht mehr anders. Jetzt bin ich schon mal so weit.
Alfred sieht auf die Uhr: Es wird allmählich Zeit –
Ferdinand zum Fräulein: Komisch. Hast Du mir sonst nichts zu sagen?
Das Fräulein Trink nur dein Kännchen –
Ferdinand Kaum. Hab keine Freud mehr dran –
Alfred Na denn los! Höchste Zeit!
Ein Vertreter des Publikums erscheint: Halt! Ich protestiere gegen diesen Betrug!
Alfred Pfuschen Sie mir nicht ins Geschäft, Herr! Wer sind Sie denn überhaupt?
Der Vertreter des Publikums Ich sitze dort links in der siebenten Reihe! Ich habe mir eine Karte gekauft, weil auf dem Theaterzettel stand, hier steigt eine Posse in fünf Bildern! Und jetzt gehts auf einmal tragisch aus! Ich laß mir das nicht gefallen! Das ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen!
Schminke Das ist die Wahrheit! Die unerbittliche Wahrheit!
Der Vertreter des Publikums Ich verzichte auf Ihre Wahrheit! Ich bin ein müder abgearbeiteter Mensch und möchte abends meine Posse haben! Verstanden? Entweder gibt es hier augenblicklich eine Posse, oder ich laß mir mein Geld herauszahlen!
Schminke Bitte!
Der Generalsekretär zu Schminke: Halts Maul!
Der Vertreter des Publikums Ich will meine Posse! Ich schlage vor: das Fräulein fährt nicht nach Südamerika, sondern heiratet ihren Ferdinand, und beide leben glücklich, gesund und zufrieden in ihrem gemeinsamen Zigarettenladen!
Der Vertreter des Publikums Betrug ist eine Posse anzukündigen und derweil mit einem tragischen Klamauk zu enden.
Alfred zu Schminke: Schmink dich ab! Schmink dich ab!
Schminke setzt sich, zieht eine Zeitung aus der Tasche und liest.
Ferdinand zum Vertreter des Publikums: Verzeihung! Sie sind ein guter Mensch!
Schminke liest: »Escheloher Hanf sieben zwölf – Enttäuschender Abschluß: nur zehn Prozent Dividende –«
Der Vertreter des Publikums Na wirds bald?
Hochzeitsmarsch.
Ferdinand schließt strahlend das Fräulein in seine Arme und küßt sie.
So ists richtig!
Hauptmann erscheint und klopft Ferdinand auf die Schulter: Pardon, mein lieber Ferdinand!
Ferdinand läßt das Fräulein nicht los: Bittschön?
Hauptmann Es ist eine Dame draußen, die das junge Paar sprechen möcht.
Das Fräulein Wir lassen bitten, Herr Hauptmann!
Hauptmann winkt hinaus.
Luise Gift kommt in weißem Kleidchen und überreicht dem glücklichen Paar einen riesigen Strauß: Meine herzliche Gratulation – Sie rülpst.
Alle zucken ob des Rülpsers zusammen.