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Zweiter Akt: Im Taumel der Inflation

Nach zwei Monaten. Korridor im Krankenhaus. Die Oberin teilt einer tiefverschleierten Witwe den plötzlichen Tod ihres Gatten mit.

Witwe Ich kann es noch nicht fassen.

Oberin Gott gibt und Gott nimmt.

Witwe Vier Jahr stand er im Schützengraben und war nur zweimal leicht verwundet, aber jetzt, wo endlich Frieden ist, stirbt er an einer Erkältung, im Bett

Oberin Auch die Grippe gehört noch zum Krieg.

Witwe schluchzt: Oh Mann, Mann! – Sie faßt sich wieder. Kann ich ihn denn nicht sehen?

Oberin Zehn Minuten, liebe Frau. Wir ziehen ihn nur an – Sie nickt ihr freundlich zu und will nach links ab.

Don Juan kommt von links; er hat keinen Kragen an, ist unrasiert und sieht gelb und müde aus; zur Oberin: Schwester Oberin, ist die Post schon gekommen?

Witwe horcht bei seiner Stimme auf.

Oberin zu Don Juan: Ja.

Don Juan Und für mich wieder nichts?

Oberin fixiert ihn: Sagen Sie: auf was warten Sie denn schon seit acht Wochen?

Don Juan Auf eine Antwort. Aber, wenn ich sie nicht bekomm –

Oberin fällt ihm ins Wort: Was ist dann?

Don Juan grinst: Nichts. Dann bleibt alles beim alten.

Stille.

Oberin Sie sollten sich etwas ablenken – Ab nach links.

Don Juan sieht ihr nach: Ablenken? – Er lächelt leise und will an der Witwe vorbei nach rechts ab.

Witwe ergreift plötzlich seinen Arm.

Don Juan hält perplex. Sie wünschen?

Witwe langsam: Du bist es doch, nicht?

Don Juan begreift nicht: Wer? Wer soll ich denn sein? Er sieht sich etwas hilfesuchend um.

Witwe Wir kennen uns doch.

Don Juan Hm. Durch den Schleier seh ich nicht durch – Er lächelt.

Witwe hebt den Schleier; sie ist eine alte Frau.

Don Juan weicht etwas zurück; verlegen. Offen gestanden –

Witwe fällt ihm ins Wort: Wie gehts denn deiner Braut?

Don Juan zuckt zusammen und starrt sie an.

Ist sie glücklich mit dir? Oder hat sie dich genau so betrogen, wie du mich? Blieb sie dir treu? Sie ist doch ein Engel, nicht? Sie lacht.

Don Juan Jetzt weiß ich, wer du bist –

Witwe gehässig: Hast mich erkannt?

Don Juan An deinem Lachen. – Er faßt sich ans Herz und krümmt sich etwas.

Witwe beobachtet ihn; boshaft: Sticht es da drinnen?

Don Juan lächelt müde: Es blieb mir etwas auf dem Herzen, vom Krieg – die Grippe hats beschleunigt.

Witwe langsam, lauernd: Du hattest sie auch, diese Grippe?

Don Juan Sogar ziemlich.

Witwe Und du lebst noch?

Don Juan Ich bild es mir ein – Er grinst.

Stille.

Witwe Mein Mann ist tot.

Don Juan Das tut mir aber leid –

Witwe fällt ihm ins Wort: Halt den Mund.

Stille.

Er hat uns alles verziehen, mein Mann, mir und dir. Jetzt ist er tot und du lebst. Du – Sie fährt ihn an. Warum bist denn nicht du verreckt?! Was suchst du hier noch unter Menschen?! Bringst bloß Unglück und Unglück, wo du auftauchst, lauter Unglück!

Stille.

Don Juan langsam: Ich glaub, ich bin durch diesen Krieg ein Anderer geworden –

Witwe höhnisch: Bei deinen Talenten?

Don Juan Ich glaub, die hab ich verloren.

Witwe Nein. Du bleibst, wer du bist.

Don Juan Ich bin es müde.

Witwe Man sollte dich ausrotten.

Don Juan Ich weiß, ich bring den Damen nichts Gutes – Er lächelt leise.

Witwe Du wirst ihnen nicht entrinnen.

 

Im Nebenzimmer eines kleineren Großstadtcafés sitzen zwei Kunstgewerblerinnen. Draußen scheint die Sonne, aber die Gardinen sind dicht. Die Musik spielt einen Boston. Im Hauptraum wird getanzt.

Erste Dort steht ein Mann, der könnt mir gefallen.

Zweite Wo?

Erste Er hat etwas Bestimmtes.

Zweite Ich kann ihn von hier nicht sehen.

Erste Geh hinüber und schau ihn dir an.

Zweite Ich soll hinüber? Wegen einem Mann? Ach, Peter! Was wird mir die Zukunft noch alles bringen –

Erste Er findet keinen Platz –

Zweite Wir werden uns verlieren.

Erste Er kommt!

Don Juan kommt, gefolgt von der Kellnerin, die ihm aus dem Mantel hilft: Gibts denn nirgends ein Lokal ohne Musik?

Kellnerin Nirgends.

Don Juan Wird überall getanzt?

Kellnerin Wir haben vier Jahr nicht mehr getanzt, jetzt holen wirs nach.

Don Juan Schon am Mittag?

Kellnerin Schon in der Früh.

Don Juan Hm. Er setzt sich. Einen Kognak.

Kellnerin ab.

Don Juan beginnt einen Brief zu schreiben.

Zweite zur Ersten, die immer nach Don Juan schielt: Wollen wir tanzen?

Erste Ich werd mit dem dort tanzen –

Zweite Bist du von Sinnen?!

Erste erhebt sich: Ich werde ihn auffordern –

Zweite Wenn du das tust –

Erste fällt ihr ins Wort: Droh mir nicht, Charlie! Sie geht zu Don Juan. Darf man bitten –

Don Juan begreift nicht: Bitte?

Erste Ich möcht mit Ihnen tanzen.

Don Juan perplex: Tanzen?

Erste Es wundert Sie, daß Sie eine Frau zum Tanz auffordert, aber die Welt hat sich gedreht, mein Herr, und warum sollen nur die Männer Don Juane sein dürfen? Was schreiben Sie da?

Don Juan Einen Brief.

Erste Geschäftlich?

Don Juan lächelt: Ja.

Erste Zeigen Sie mir Ihre Schrift –

Don Juan Warum?

Erste Ich versteh was davon.

Don Juan Genügt das Kuvert?

Erste Lang. Sie betrachtet das Kuvert und kriegt große Augen; murmelt. Himmel, tu dich auf –

Don Juan betrachtet die Erste; plötzlich: Sie wollen also mit mir tanzen?

Erste starrt ihn an: Ja.

Don Juan lächelt: Ich fürchte, ich habs schon verlernt –

Erste mechanisch: Das gibt es nicht.

Don Juan fixiert sie: Und die neuen Tänze kenn ich überhaupt noch nicht – Er erhebt sich.

Erste fast kleinlaut: Sie müssen nur gehen. Kommen Sie, ich führe Sie – Ab mit ihm in den Hauptraum.

Zweite allein; sie sieht den Beiden nach, erhebt sich dann, geht zu Don Juans Tisch und liest seinen angefangenen Brief: – »ich hab Dich gerufen, aber du antwortest nicht – gut, dann werde ich bleiben, wer ich bin« – Sie blickt nach dem Hauptraum. Wer sind Sie?

Kellnerin kommt mit dem Kognak; zur Zweiten, die sie nicht kommen sah: Ist das Ihr Brief?

Zweite erschrickt: Nein. Sie legt den Brief rasch auf den Tisch und lächelt verlegen.

Kellnerin Auf den Platz! Marsch!

Zweite Wie reden Sie zu mir?!

Kellnerin Marsch. Sonst erzähl ichs mal Ihrer Freundin, was Sie mir angeboten haben, Sie Haufen Unglück – Sie stellt den Kognak auf Don Juans Tisch und ab.

Zweite setzt sich wieder auf ihren Platz, vergräbt den Kopf in den Händen und weint.

Don Juan kommt mit der Ersten vom Tanzen, aber sie setzen sich nicht: Sie sind also eine Kunstgewerblerin?

Erste Ja. Sie zeigt ihm ein kleines Tuch. Solche Tücher, das ist mein Beruf – Sie steckt es ihm in die Brusttasche. Batik. Eigener Entwurf.

Don Juan Danke.

Erste Ich lerne auch zeichnen.

Don Juan So?

Erste Ich möchte Sie gern mal zeichnen.

Don Juan Was versprechen Sie sich davon?

Erste Ich hab noch nie einen Mann gezeichnet.

Don Juan Immer nur Landschaft?

Erste Nein. Immer nur Frauen.

Pause.

Don Juan Wollen wir tanzen?

Erste leise: Ja.

Don Juan Aber nur bis zum Einbruch der Dunkelheit – Er lächelt.

Erste verwirrt: Was verstehen Sie darunter?

Don Juan Ich war nämlich acht Wochen krank und heut ist der erste schönere Tag, da durft ich weg aus dem Spital, ich muß aber bald wieder zurück, damits keinen Rückschlag gibt, denn Rückschläge sind gefährlich. Mein Herz – Er lächelt.

Erste Was fehlt Ihnen?

Don Juan Ich hatte eine ziemliche Grippe.

Erste ängstlich: Sind Sie noch ansteckend?

Don Juan lächelt: Heut bin ich ungefährlich –

Erste Ich möcht nämlich noch nicht sterben.

Don Juan Ich auch nicht – Er starrt sie plötzlich an.

Erste wird unsicher: Was haben Sie?

Don Juan Du erinnerst mich. An jemand, der mir nicht geantwortet hat –

Erste starrt ihn an: Seit wann sind wir per du?

Don Juan überhört die Frage: Du siehst ihr zwar garnicht ähnlich – Er faßt sich ans Herz. Pause.

Erste plötzlich: Komm – Ab mit ihm in den Hauptraum.

Zweite allein; sie schreit plötzlich: Zahlen! Zahlen!

Kellnerin kommt: Ich bin nicht taub! Drei Millionen. Zweite zahlt und erhebt sich. Kellnerin grinst. Ihre Freundin wird, mir scheint, verführt –

Zweite tonlos: Kennen Sie den Mann? Kellnerin blickt nach dem Hauptraum. Wer ist das?

Kellnerin Bekannt kommt er mir vor, so irgendwie –

 

Ein Opfer der Inflation, die Witwe eines Professors, muß das eine ihrer beiden Zimmer vermieten. Sie ist die Mutter zweier Töchter, die Erste ist eine zwanzigjährige Angestellte, die Zweite ist fünfzehn Jahre alt und sitzt zuhause. Jetzt kramt die Mutter in einer Lade, während die zweite Tochter vor dem Schrankspiegel steht.

Zweite Hast du die Leuchter schon versetzt?

Mutter Ja.

Zweite Dann haben wir nichts mehr – Sie betrachtet ihre Beine im Spiegel.

Mutter Wir haben noch siebzehn Milliarden – Sie grinst und wird plötzlich ernst; tonlos. Ich häng mich auf.

Zweite Jammer nicht immer, Mama! Was sollt denn dann ich erst sagen? Du hast doch wenigstens noch eine schöne Zeit gekannt, warst an der Riviera, in Paris und in Norwegen, aber ich? Seit ich mich erinnern kann, hör ich dich nur herumjammern, ist ja zum Hinwerden!

Mutter Machst mir noch Vorwürfe?

Zweite Jawohl mach ich dir Vorwürfe, denn du bist schuld, du und sonst niemand! Warum hast du mich denn voriges Jahr, wie unser Geld noch was wert war, nicht studieren lassen?! Jetzt könnt ich auftreten und wir müßten dein Zimmer nicht vermieten, doch dir war eine Tochter als Tänzerin nicht vornehm genug, was? Aber alles versetzen ist vornehmer, wie, Frau Professor? Das sag ich dir: ich werd hier nicht mit dir vermodern, Frau Professor –

Mutter Gretl, Gretl, wie gehässig du bist –

Zweite Papa hätt mich tanzen lassen. Papa war ein praktischer Mensch.

Mutter braust auf: Was weißt denn du schon von deinem Papa?! Als der in den Krieg zog, warst du noch keine zehn Jahr!

Zweite Du schweig! Ich hab seine Feldpostbriefe gelesen, die er an dich geschrieben hat –

Mutter fällt ihr ins Wort: Du?

Zweite Ja. Gestern. Ich war so frei und hab deinen Schreibtisch erbrochen, Frau Professor –

Mutter Schäm dich.

Zweite Schäm du dich! Du weißt, was Papa dir schrieb, und du weißt es auch, warum du es mich nicht hast lesen lassen – was stand denn drinnen, Frau Professor?

Mutter schreit: Sag mir nicht immer Frau Professor!

Zweite überschreit sie: Laß die Gretl lernen, was sie will, schrieb der Papa, es kommen andere Zeiten! Stille.

Mutter fährt sie plötzlich an: Schau nicht immer deine Beine an!

Zweite höhnisch: Warum nicht? Wer schöne Beine hat, soll sie ruhig herzeigen –

Mutter Oh, Mann, Mann – schau vom Himmel herab!

Es läutet.

Zweite Das wird der Herr Kohlenhändler sein.

Mutter Er soll morgen kommen – Sie will ab, um die Haustür zu öffnen.

Zweite spöttisch: Wirst du denn morgen zahlen können?

Mutter Gib acht, daß dich der liebe Gott nicht straft –

Ab.

Zweite allein; sie sieht der Mutter nach, zuckt mit den Schultern, summt einen Boston und tanzt.
Mutter tritt wieder ein, und zwar mit Don Juan.
Zweite hält überrascht mitten im Tanz und sieht ihn an.
Don Juan sah sie noch tanzen und lächelt.

Mutter zur Zweiten. Der Herr möchte mieten, er hat es durch die Schwester Oberin erfahren, daß ich zu vermieten gedenke – Zu Don Juan. Meine Tochter.

Don Juan verbeugt sich leicht.

Und dies wär das Zimmer. Es geht nach dem Garten und ist sehr still.

Don Juan sieht sich um.

Es ist alles da.

Don Juan blickt auf die Beine der Zweiten: Ja.

Mutter Wollen Sie nicht Platz nehmen?

Don Juan Danke – Er setzt sich mit der Mutter an den Tisch.

Zweite setzt sich abseits und betrachtet Don Juan etwas scheu.

Das Zimmer gefällt mir und ich will es haben.

Mutter Der Preis wäre –

Don Juan fällt ihr ins Wort: Das spielt keine Rolle.

Zweite tonlos: Fein.

Mutter zur Zweiten: Aber Gretl – Sie wendet sich lächelnd an Don Juan. Darf man fragen, was der Herr für einen Beruf haben?

Don Juan lächelt: Das frag ich mich auch ab und zu. Als noch Frieden war, hatte ich es nicht nötig, zu arbeiten, aber ich sollte durch diesen Krieg alles verlieren – und jetzt, jetzt bin ich ein Kunsthändler.

Zweite horcht auf.

Mutter Ach!

Don Juan Ja. Durch einen dummen Zufall kam ich vor kurzer Zeit mit kunstgewerblichen Kreisen in Berührung, so Batik – Er zeigt der Mutter sein Tuch, das ihm die erste Kunstgewerblerin schenkte – und Keramik, Graphik, auch Holzschnitte. Eine Kunstgewerblerin brachte mich auf die Idee, den Verkauf dieser Dinge zu organisieren – man kann sich zwar kein Schloß dafür kaufen, aber immerhin läßt es sich leben, denn die Leute wollen ihr Geld loswerden, bevor es überhaupt nichts mehr wert ist und du brauchst keine kaufmännische Ader. Gestern, zum Beispiel, verkaufte ich eine Briefmarkensammlung – lächerlich, nicht? Wenn Sie wollen, nennen Sie mich einen Schieber, eine Hyäne der Inflation – Er lächelt.

Mutter Oh nein! Sie sind keine Hyäne, Sie nicht –

Don Juan Wollen es hoffen.

Jetzt kommt die erste Tochter aus dem Büro.

Mutter zu Don Juan: Meine ältere Tochter – Don Juan erhebt sich. Zur Ersten. Unser Zimmerherr.

Erste zu Don Juan: Bleiben Sie nur ruhig sitzen. Zur Mutter. Ich muß gleich wieder weg.

Mutter Wohin?

Erste Das weißt du doch, Mama!

Mutter Wieder diese Partei?

Erste Immer und immer.

Mutter zu Don Juan; ironisch: Meine Tochter will die Welt verbessern –

Erste grinst: Erraten.

Don Juan lächelt: Respekt!

Erste verärgert: Danke. Zur Mutter. Ich möcht nur rasch was essen.

Mutter Es ist nichts da.

Erste Heut Mittag ließ ich aber doch extra was übrig –

Zweite frech: Das hab ich vertilgt.

Erste Schon wieder?

Mutter Ich bitt euch, den Herrn dürft doch das garnicht interessieren –

Erste fällt ihr ins Wort: Es ist möglich, daß es den Herrn nicht interessiert, ob einer satt ist oder nicht –

Mutter Aber Magda! Du hast dir einen Ton angewöhnt –

Erste unterbricht sie: Mein Ton ist richtig, glaub es mir!

Mutter zu Don Juan: Sie ist fanatisiert – Zur Ersten. Tu deine Pflicht im Büro, ehrlich, fleißig, treu und Schluß!

Erste braust auf: Red keinen Mist, Mama! Du weißt ja garnicht, wie ein Büro aussieht, du warst ja nie angestellt, für dich hat Papa immer gesorgt und du hast dir keine Gedanken gemacht – wer war denn schuld an diesem Krieg? Deine Welt!

Don Juan lächelt: Kriege wirds immer geben, Fräulein –

Erste Meinen Sie?

Mutter Ja.

Mutter Selbstverständlich.

Stille.

Erste zu Don Juan: Waren Sie im Krieg?

Don Juan Ja.

Erste spöttisch: In der Etappe?

Don Juan fixiert sie: Nein. Ich war sogar mal schwerverwundet, aber der liebe Krieg hat auch seine guten Seiten – Er lächelt zynisch. Zum Beispiel, ich: ich bin durch diesen Krieg ein besserer Mensch geworden und erst jetzt im Frieden finde ich mich allmählich wieder –

Mutter lacht.

Zweite betrachtet ihre Beine.

Erste starrt Don Juan an: Ich versteh es nicht, ein Mensch mit solchen Ansichten, zuwas lebt denn sowas?

Mutter fährt die Erste an: Aber Magda! So nimm doch Rücksicht, bitt ich mir aus!

Don Juan zur Mutter: Pardon! Zur Ersten. Wozu ich lebe, das müssen Sie den lieben Gott fragen.

Erste Der liebe Gott ist nur eine Illusion, um die ausgebeuteten Massen auf ein Jenseits vertrösten zu können.

Don Juan Gott, wie arm – Er grinst.

Erste wird etwas unsicher: Was starren Sie mich denn so an?

Don Juan Sie haben Temperament.

Erste wütend: Ach! Rasch ab.

Mutter zu Don Juan: Sie ist verrückt. Lauter Ideale –

Don Juan Das geht vorbei.

Zweite zu Don Juan: Warum sind Sie eigentlich nicht beim Film?

Don Juan perplex: Beim Film? Ich?

Zweite Weil Sie ein Profil haben.

Mutter seufzt: Jetzt fängt die an! Zu Don Juan. Lauter Unsinn!

Don Juan Warum? Der Film hat sicher eine Zukunft.

Zweite zur Mutter: Hörst du den Herrn? Ich lach mich tot!

Sie lacht.

Don Juan starrt sie an.

Zweite verstummt plötzlich.

Don Juan zur Mutter: Merkwürdig. Wie Ihr Fräulein Tochter jetzt sagte: »ich lach mich tot«, da erinnerte sie mich plötzlich an jemand –

Zweite An die Asta Nielsen, nicht?

Don Juan Nein. Nur an Eine, die niemand kennt – Er faßt sich ans Herz.

Zweite lächelt: Aber Sie kennen doch jene Eine?

Don Juan ist unangenehm berührt.

Mutter zur Zweiten: Sei nicht so vorlaut! Geh jetzt, höchste Zeit, marsch!

Zweite grinst: Wiedersehen! Ab.

Don Juan denkt an seine Braut: Wiedersehen.

Stille.

Mutter Man merkts, daß der Vater bei der Erziehung gefehlt hat – Sie seufzt. Soviel Opfer, soviel Leid, und alles, nur damits schlechter wird. Mein Gatte war Universitätsprofessor.

Don Juan erhebt sich: Also dann komm ich morgen früh. Ich wohn jetzt in einer Pension, aber die ist mir zu laut.

Mutter erhebt sich: Ich wünsche Ihnen, daß Sie sich gut bei mir fühlen – Sie reicht Ihm die Hand und fixiert ihn plötzlich; langsam. Sagen Sie: kennen wir uns denn nicht?

Don Juan Möglich – Er verabschiedet sich.

 

In der Wohnung eines Inflationsgewinnlers trinken vier Damen Tee. Die Erste, eine ehemalige Gouvernante, ist die Frau des Hauses und zählt dreißig Jahre, die Zweite, eine Filmschauspielerin, dreiundzwanzig, die Dritte, die Freundin eines Pferdehändlers und Tochter einer Hausbesorgerin, achtzehn, und die Vierte, eine Dentistin, siebenundzwanzig.

Erste zur Zweiten: Zitrone oder Rum?

Zweite Nur keinen Zucker!

Dritte Ohne Zucker könnt ich nicht leben.

Zweite Von Zucker bekommt man einen Busen.

Dritte Pfui.

Erste Die Männer hängen aber halt doch noch daran. Geht eine Dicke durchs Café, glotzen sie auf Teufel komm raus.

Dritte Aber mit einer Dicken über die Straße gehen, das würden sie nicht!

Vierte Lauter Lügner.

Stille.

Erste Gestern las ich ein himmlisches Buch über die Psychologie der indischen Erotik, in Bütten gebunden. Es ist staunenswert, welch grandiose Erfindungsgabe die Völker des Fernen Ostens produzieren. Sie werden uns alle überflügeln mit ihrer uralten Kultur.

Zweite Auch wir beim Film sind zur Zeit mit Asien ganz verrückt. Wir drehen lauter exotische Motive, außer den Aufklärungsfilmen. Ab morgen bin ich eine Prinzessin in China –

Dritte fällt ihr ins Wort: Apropos Chines: wo bleibt er denn solang?

Erste lacht.

Vierte lächelt seltsam: Er verspätet sich manchmal –

Zweite Bei mir nicht.

Vierte wechselt mit der Zweiten einen gehässigen Blick.

Dritte ißt Zucker: Bei mir kommt er immer zu früh.

Erste wirft der Dritten einen gehässigen Blick zu; zur Zweiten: Ein originelles Persönchen.

Zweite zur Ersten: Was haben Sie da für ein himmlisches Tuch, Teuerste?

Erste Ein Geschenk von ihm. Batik. Der Holzschnitt dort ist übrigens auch von ihm –

Zweite Ach!

Erste Ein heiliger Sebastian.

Zweite erhebt sich und betrachtet den Holzschnitt: Sehr interessante Perspektive. Mir hat er zu meiner letzten Angina eine Keramik geschenkt. Einen flötenden Pan.

Dritte Was ist er denn eigentlich?

Zweite perplex: Das wissen Sie nicht?

Dritte Keine Ahnung! Ich kenn ihn nur so.

Zweite Er ist doch Kunsthändler – Zur Ersten. Übrigens: unlängst wollte er auch zum Film, ich weiß nicht, wer ihm das eingeredet hat, ich hab ihn zwar protegiert, aber die Probeaufnahmen sind radikal vorbeigelungen –

Erste lächelt: Jaja, der Beste wirkt nur direkt.

Dritte grinst: Das sowieso.

Erste seufzt ironisch: Die jungen Mädchen heutzutag, sie haben keine Ideale mehr –

Dritte Ideale, das ist was für Männer. Mir hat er immer erzählt, ich erinner ihn an eine Gewisse –

Zweite wegwerfend: Das hat er mir auch erzählt.

Erste Wir erinnern ihn eben alle. Bei der einen sinds die Augen, bei der anderen ists der Mund –

Dritte Bei mir die Beine.

Zweite boshaft zur Vierten: Und bei Ihnen, Teuerste?

Vierte schweigt.

Zweite zur Ersten. Bei ihr ists wahrscheinlich die Seele –

Erste lächelt: Jaja, er sucht sich seine große Liebe stückerlweise zusammen.

Vierte erhebt sich plötzlich: Ich halt das nicht mehr aus – Sie geht nervös auf und ab.

Dritte perplex zur Zweiten: Was hat sie denn?

Vierte hält ruckartig: Was ich hab?! Fühlt ihr es denn noch immer nicht oder wollt ihr es überhaupt nicht fühlen, daß er uns nur erniedrigen möcht –

Erste fällt ihr perplex ins Wort: Wer?

Vierte Er, er, er!

Zweite spöttisch zur Vierten: Aber Kind!

Vierte fährt die Zweite an: Ich bin kein Kind, ich bin eine Frau und er hat seine Freude daran, wenn er uns drunten sieht, aber das Furchtbarste ist, daß wir uns selber erniedrigen –

Dritte ißt Zucker; höhnisch: Das ist mir zu hoch.

Vierte Möglich.

Dritte Au! Mein Zahn –

Zweite Zucker!

Dritte Oh – Sie hält sich die Backe.

Erste lächelt: Tuts weh?

Dritte Hundsordinär –

Zweite Zum Glück haben wir ja eine Dentistin unter uns –

Sie deutet grinsend auf die Vierte.

Vierte zur Dritten: Zeigen Sie mal – Dritte öffnet den Mund.

Vierte sieht nach. Das hört gleich auf. Waren Sie mal rachitisch?

Dritte Ich? Was bilden Sie sich denn ein, Sie?! Ich hab immer zum Fressen gehabt, auch in der größten Hungersnot, ich stamm aus einem prima Haus und mein Freund hat Stacheldräht geliefert, capisco, Sie Zahnstocher?!

Erste Aber meine Damen! Ich bitte, es doch zu berücksichtigen, daß Sie sich im Hause eines Syndikus befinden, der seit vierzehn Tagen die rechte Hand der Regierung –

Dritte fällt ihr ins Wort: Wer hat ihn denn zur Regierung gebracht? Der Meine! Wer hat denn die beiden Minister bestochen –

Erste fällt ihr ins Wort: Nicht so laut! Sie sieht sich ängstlich um. Die Opposition liegt auf der Lauer.

Stille.

Vierte unheimlich kalt und klar: Sowie er jetzt kommt, sag ich es ihm ins Gesicht, wer er ist: das Letzte auf der Welt.

Zweite Warum? Weil er nichts mehr von Ihnen will?

Vierte zuckt zusammen: Wer sagt das?

Zweite Er selbst.

Dritte lacht.

Vierte fixiert die Dritte: Tuts noch weh?

Dritte grinst: Alles in Ordnung –

Vierte So – Hm, ich hab ihm mal einen Zahn gezogen und er hat nicht mit der Wimper gezuckt – Nein, was der aushält – Sie grinst und wirft sich plötzlich hysterisch weinend auf ein Sofa.

Das Telephon läutet.

Erste am Apparat: Hallo. Ja? – Sie bekommt ein langes Gesicht. So? Danke. Sie hängt ein. Er läßt es uns ausrichten, er könnte nicht kommen –

Zweite Was?!

Erste Er läßt uns sitzen.

Dritte Mich?!

Vierte lacht hysterisch: Bravo! Bravo!

Dritte zur Vierten: Kusch!

Vierte verstummt und stiert die Dritte an.

Zweite zur Ersten: Wo steckt er denn?

Erste Wahrscheinlich wieder bei dieser Kuh aus Bern. Er hat ihr gestern einen Daumier verkauft, angeblich echt.

Vierte erhebt sich und nähert sich langsam-drohend der Dritten.

Zweite Alles, was er erreicht, erreicht er durch uns arme Weiber.

Vierte hält vor der Dritten; leise: »Kusch«, hast du gesagt?

Dritte mißt die Vierte voll Verachtung: Pferd, hysterisches –

Vierte brüllt sie an: Raus!

Erste schreit die Vierte an: Keinen Skandal, bitte!

Stille.

Dritte Auf Wiedersehen im Massengrab! Rasch ab.

Zweite murmelt vor sich hin: Wiedersehen, wiedersehen –

 

Zwei Balkonlogen in der großen Oper. In der einen sitzt die Dame aus Bern, von der vorhin die Rede war. In der anderen sitzt eine immens dicke Frau, eine mit Brillanten behangene Fleischhauerin. Man gibt den »Don Juan« von Mozart, und zwar soeben das Duettino »Reich mir die Hand mein Leben«. Die Dame ist sehr nervös, immer wieder sieht sie sich um, während die Dicke durch ein winziges Opernglas regungslos auf die Bühne hinab stiert. Am Ende des Duettino betritt Don Juan die Loge der Dame. Er hat einen Frack an und küßt ihre Hand. Sie unterhalten sich sehr leise.

Dame atmet erleichtert auf: Endlich! Ich hatte schon Sorgen, wo du bleibst – mein Mann läßt mich auch immer warten.

Don Juan setzt sich und lächelt: Keine Angst.

Pause.

Dame Wo warst du denn?

Don Juan Auf dem Eislaufplatz.

Dame perplex: Wo?

Don Juan Die eine Tochter meiner Hausfrau hat heut Geburtstag und ich hab dem Kind Schlittschuhe geschenkt – sie wollt mir nur zeigen, was sie schon kann.

Dame So?

Don Juan Sie ist tänzerisch begabt. Vielleicht wird sie mal Weltmeisterin.

Pause.

Dame Wie alt ist denn dieses Kind, deine zukünftige Weltmeisterin?

Don Juan Fünfzehn.

Dame zuckt etwas zusammen.

Dicke ohne ihren Blick von der Bühne zu wenden: Pst!

Pause.

Dame Du hast mir doch gestern einen Daumier verkauft, einen echten Daumier?

Don Juan horcht auf: Ja. Und?

Dame Das Bild ist eine Fälschung.

Don Juan perplex: Was?!

Dame Ich hab mich erkundigt.

Pause.

Don Juan Ich hab es als garantiert echt erworben –

Dame fällt ihm ins Wort: Ich glaub dir alles und behalte dein garantiert Echtes in Ehren – Sie grinst.

Don Juan Ich werde dir alles zurück, jeden Groschen – Er kramt in seiner Brieftasche.

Dame Du wirst mir garnichts zurück, hörst du?

Dicke ohne ihren Blick von der Bühne zu wenden: Pst!

Don Juan hält der Dame einen Scheck hin: Hier hast du deinen Scheck. Nimm ihn. –

Dame Nein.

Don Juan Nimm ihn.

Dame sieht ihn groß an: Du hast keine Seele.

Don Juan Mich wirst du nicht erniedrigen – Er hält den Scheck über die Brüstung, läßt ihn hinabflattern und verfolgt seinen Flug. Jetzt ist er drunten. Adieu. Man hält ihn für nichts.

Pause.

Dame Zufrieden?

Don Juan laut: Ja.

Dicke Pst!

Don Juan zur Dicken: Pardon! Dicke erblickt ihn erst jetzt und stiert ihn regungslos an.

Dame zu Don Juan; sie deutet auf die Dicke und lächelt gebrochen: Deine neueste Eroberung –

Don Juan grinst: Mal den Teufel nicht an die Wand.

Der Akt ist zu Ende, es wird Licht, starker Applaus. Dame hält ihr Taschentuch vor die Augen. Dicke stiert Don Juan noch immer an. Don Juan erhebt sich und applaudiert.

 

Der Eislaufplatz wird geschlossen, denn es ist bereits spät am Abend. Auf einem Bänkchen im Freien sitzt die zweite Tochter mit zwei ihrer Schulkameradinnen, einer dunklen und einer blonden. Sie ziehen sich die Schlittschuhe aus.

Dunkle zur Zweiten: Ich beneid dich um deine neuen Schlittschuhe. Solche hab ich mir immer gewünscht.

Zweite Sie sind mein Geburtstag.

Blonde Schad, daß ich erst im Sommer Geburtstag hab, sonst ließ ich mir auch solche schenken. Das muß eine Wonne sein.

Stille.

Dunkle zur Zweiten: Wer war denn vorhin der elegante Herr, der dir zugeschaut hat?

Zweite Der wohnt bei uns.

Blonde Das wär mein Typ.

Zweite Mir gefällt er nicht.

Blonde Tu nur nicht so!

Zweite Nein, ich mag ihn nicht mehr.

Blonde Aber ich habs doch gesehen, du bist vorhin dreimal so schwungvoll gelaufen, nur weil er zugeschaut hat!

Zweite horcht auf: Komisch, und ich hab gedacht, ich komm nicht vom Fleck –

Dunkle Du warst todsicher!

Zweite Nein, unsicher –

Blonde fällt ihr ins Wort: So gut bist du überhaupt noch nie gelaufen!

Zweite lächelt spöttisch: Ihr müßt es ja wissen.

Stille.

Dunkle Was hat er dir denn getan, daß er dir nicht mehr gefällt?

Zweite Nichts. Ich hab nur neulich von ihm geträumt.

Blonde Ist das alles?

Zweite Er hat mich umgebracht.

Dunkle Wie denn?

Zweite Ich ging dort drüben durch das Wäldchen, wo der Weg eine Krümmung macht und der unheimliche Baum steht, es war finster, und da fühlte ich plötzlich seine Hand, aber die Finger waren lauter Messer – nein, ich mag nicht daran denken, es war zu schrecklich! Ich war schon lang wieder wach und dachte noch immer, ich wär tot.

Blonde lacht: Du lebst doch!

Zweite lächelt: Hoffentlich.

In der Ferne ein dumpfes Grollen.

Dunkle lauscht: Das Eis kracht.

Zweite Morgen wirds noch kälter.

Blonde Kommt! Das Tor ist schon zu, sie sperren uns ein!

 

Don Juan frühstückt in seinem möblierten Zimmer. Er trägt einen dunklen Pyjama. Die Mutter öffnet lautlos die Türe, schleicht sich von hinten an ihn heran und hält plötzlich mit ihren Händen seine Augen zu.

Mutter Kuckuck! Kuckuck! Wer bin ich?

Don Juan grinst: Keine Ahnung –

Mutter läßt seine Augen los: Du Gauner – schmeckts?

Don Juan Danke.

Mutter Es ist ein Brief für dich gekommen –

Don Juan fällt ihr ins Wort: Woher?

Mutter gibt den Brief: Warum bist du jetzt erschrocken?

Don Juan Das hab ich vergessen – Er lächelt, öffnet und liest den Brief.

Mutter Er ist von einem Weib. Darf ich ihn lesen?

Don Juan Nein.

Stille.

Mutter Du hast Geheimnisse vor mir?

Don Juan Ja.

Stille.

Mutter reißt ihm plötzlich den Brief aus der Hand.

Gib ihn augenblicklich her.

Mutter Fällt mir nicht ein – Sie liest ihn rasch und sieht Don Juan bestürzt an.

Don Juan lächelt: Bist du nun zufrieden?

Mutter deutet auf den Brief: Das bist du?

Don Juan Wird behauptet.

Mutter Ist das wahr?

Don Juan Ich lehne jede Verantwortung ab.

Mutter Eine Frau will wegen dir ins Wasser –

Don Juan fällt ihr ins Wort: Sie wird sichs noch überlegen.

Mutter Gott, wie du sprichst!

Don Juan Kann ich dafür, daß sie mir nicht mehr gefällt? Soll ich mich zu ihr zwingen?

Mutter Jetzt hab ich Angst.

Don Juan lächelt: Fürchte dich nicht – Er nimmt ihr den Brief wieder ab. Sie ist eine Kunstgewerblerin und forderte mich zum Tanzen auf. Sie ließ nicht locker und bekam, was sie wollte. Punkt. Wir trafen uns noch einigemal, doch dann sah ich es ein, daß ich mich in ihr getäuscht hab – Er grinst. Sie hat mich nämlich ursprünglich an jemand erinnert, aber es bestand keine Ähnlichkeit, ich hab das nur in sie hineingedichtet. Ja, so gehts einem immer wieder. Ich find es halt nicht, mein Ideal – Er lacht.

Mutter Du wirst es nie finden, denn du hast kein Ideal mehr. Es ist tot.

Don Juan stutzt: Tot? Er faßt sich ans Herz. Nein-nein, ausgeschlossen! Es lebt sicher irgendwo und hat einen ehrlichen Mann geheiratet, hat Kinder und möcht seinen Frieden, drum hat es mir auch nicht geantwortet – Er grinst.

Mutter Das kann ich begreifen.

Don Juan fährt sie plötzlich an: Was kannst denn du schon begreifen?! Was du siehst und hörst und schmeckst! Wer bist denn du? Eine brave Beamtenwitwe, die meint, wenn sie sich einem Mann hingibt, dann stürzt sofort ein Stern vom Himmel!

Mutter Vergiß nicht, daß ich auch nur ein Mensch bin!

Don Juan Ich will es aber vergessen! Ich will nicht mehr erinnert werden! Schluß!

Stille.

Mutter Wo du liegst, das war sein Bett – hörst du mich? Und es war sein Schreibtisch, wo du schreibst, und in diesem Schrank hingen seine Kleider, die ich dann verschenkte – ich hab ihn oft noch hier sitzen sehen, an diesem Schreibtisch, auch nachdem er gefallen war, und auch wenn ich ihn nicht sah, wußte ich, daß er im Zimmer ist und mich betrachtet, als gäbs keine Zeit – Du, du hast ihn erst von von hier vertrieben. Gib acht, daß er nicht zurückkommt, daß er nicht draußen im Gang steht, wenn ich jetzt hinausgeh – Sie nähert sich ihm. Du, ich möcht ihn nicht wieder sehen, nein, nie wieder – Sie preßt sich an ihn. Laß mich, bitte, laß –

Don Juan rührt sich nicht: Ich laß dich doch.

Mutter läßt ihn plötzlich los und faßt sich an den Kopf, als würde sie erst zu sich kommen müssen: Was ist das, was mich zu dir zieht?

Don Juan Nichts.

Mutter tonlos: Ja, es ist nichts – Sie schreit ihn an. Was machst du denn aus mir?!

Don Juan Nichts. Er schreit sie an. So laß mich doch endlich in Frieden!

Stille.

Mutter gehässig: Ich laß dich, ich laß dich – Ab.

Don Juan allein; sieht ihr nach: Höchste Zeit.

 

Die beiden Kunstgewerblerinnen betreten ihr kleines Atelier. Die Erste ist total betrunken, die Zweite dreht das Licht an, denn es ist bereits tief in der Nacht.

Erste singt: Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht –

Zweite unterbricht sie, unterdrückt: Ruhe! Leg dich ins Bett –

Erste Warum? Sie will sich Schnaps eingießen.

Zweite nimmt ihr die Flasche weg.

Ich bin nicht betrunken –

Zweite Du hast genug.

Stille.

Erste schreit die Zweite plötzlich an: Ich hab nicht genug!

Zweite Nicht so laut! Die Nachbarschaft –

Erste unterbricht sie brüllend: Ich will noch mehr, ich will noch mehr! Sie reißt ihr die Flasche aus der Hand. Die Nachbarschaft pocht an die Wand.

Zweite Hörst du? Wir fliegen noch raus.

Erste gießt sich ein; leise: Egal.

Zweite Mir aber nicht! Bei dieser Wohnungsnot –

Erste Ich schlaf auch am Mist. Sie trinkt und weint plötzlich bitterlich. Du bist schuld, daß er nichts mehr von mir wissen will, daß ich ihm nicht mehr gefall –

Zweite perplex: Ich?

Erste Er hat meine Briefe zerrissen, und ich hab gedacht, er würd mich erlösen –

Zweite höhnisch: Erlösen?

Erste Ja, von dir – Sie blickt sie ernst an und lacht sie dann leise aus.

Stille.

Zweite nickt ihr traurig zu: Du wirst noch nach mir winseln –

Erste schreit sie wieder an: Einen Dreck werd ich nach dir winseln! Du hast gesagt, Locken sind weibisch und Spitzen sind weibisch und hohe Absätze sind weibisch, und ich hab getragen, was du wolltest und wie du es wolltest, aber jetzt, jetzt ist damit Schluß! Sie reißt sich ihre smokingartige Bluse vom Leibe und wirft sie der Zweiten vor die Füße. Da hast du deine Mode!

Die Nachbarschaft pocht wieder an die Wand, diesmal bedeutend heftiger.

Zweite hört das Pochen gar nicht, sondern starrt nur die Erste an; tonlos: Peter, Peter –

Erste kreischt: Ich heiße nicht Peter! Ich heiß Alice!

Stille.

Zweite Adieu Alice – Sie will plötzlich ab.

Erste perplex: Wohin?

Zweite Spazieren.

Erste gehässig: Kannst noch nicht schlafen?

Zweite fährt sie an: Schlaf allein! Ab.

Erste allein; sie trinkt und zieht sich aus: Allein? Nein, ich schlaf nicht mehr allein – Sie sieht sich um. Wo bist du denn, Schuft? – Sie holt aus der Schublade Don Juans Fotografie hervor. Da bist du ja – Sie stellt die Fotografie auf den Tisch, setzt sich und betrachtet sie. Wie gehts? Gut? Mir auch – Sie lacht. Hör her: unser Kind ist weg, jaja, es ist weg, verschwunden, und ich werd nie wieder eines bekommen können, nie wieder, verstehst du? Pech – Ich hab dir geschrieben, daß ich ins Wasser geh, wenn du nicht kommst, tät dir so passen, was? – Schau mich nur an. An wen hab ich dich denn erinnert, du? So sags mir doch mal, wer ist das Tier? Wer? – Sie schnellt empor. Schau mich nicht so an! Na wart – Sie nimmt eine Nadel, sticht der Fotografie die Augen aus und stellt sie wieder auf den Tisch. So, jetzt schau, wenn du kannst – Was? Du schaust noch immer?! Sie brüllt die Fotografie an. Schau nicht, schau nicht! Sie ergreift einen Stuhl und schlägt wütend auf den Tisch los, auf dem die Fotografie steht, so daß Gläser und Teller zerbrechen. Da und da und da!

Die Nachbarschaft pocht sehr heftig an die Wand und eine weibliche Stimme ruft wütend: »Ruhe!«

Erste lehnt sich erschöpft an die Wand.

Nachbarin kommt im Schlafrock; sie keift: Was soll der Krach, wo man schlafen möcht? Was denn los, Fräulein?!

Erste lächelt stumpfsinnig; langsam: Ich hab jetzt jemand erschlagen –

Nachbarin Jesus Maria! Sie bekreuzigt sich.

 

Don Juan geht in seinem möblierten Zimmer auf und ab. Es ist Nachmittag und er erwartet Besuch. Ein Tischchen ist gedeckt. Er sieht auf seine Uhr, es klopft leise und die zweite Tochter tritt ein.

Don Juan ist überrascht.

Zweite sieht ihn ernst an: Ich hätt eine große Bitte.

Don Juan lächelt: Nur Mut.

Zweite Sie werden böse sein –

Don Juan fällt ihr ins Wort: Ich bin nicht böse.

Zweite Ehrenwort?

Don Juan Auch das. Nun?

Stille.

Zweite Bitte, kommen Sie nicht mehr auf den Eislaufplatz –

Don Juan perplex: Warum nicht?

Zweite blickt ihn groß an: Schauen Sie mir nicht mehr zu, bitte –

Stille.

Don Juan Warum soll ich denn nicht, wenn es mir Freude macht?

Zweite Weil ich noch nichts kann.

Don Juan Sie sind ein großes Talent, liebes Kind. Sie werden nochmal Weltmeisterin.

Zweite Wenn Sie mir zuschaun, sicher nicht.

Stille.

Don Juan Also das hat mir noch keine gesagt –

Zweite fällt ihm ins Wort: Sie versprechen es mir, daß Sie nicht mehr kommen?

Don Juan Ich werde mein Möglichstes tun, aber sowas verspreche ich nie.

Stille.

Zweite Soll ich Ihnen die Schlittschuhe zurückgeben?

Don Juan horcht auf und fixiert sie: Wer will das? Die Frau Mama?

Zweite Die will es auch, aber das zählt nicht.

Don Juan Was zählt denn? Darf ich denn niemand was schenken?

Stille.

Zweite langsam: Ich wird Ihre Schlittschuhe behalten –

Don Juan ironisch: Herzlichen Dank.

Zweite lächelt unheimlich: Aber wenn ich mal im Eis einbrech und untergeh, dann sind Sie daran schuld –

Don Juan Natürlich.

Es läutet an der Haustür.

Don Juan horcht auf, wirft einen Blick auf das gedeckte Tischchen.

Zweite Sie erwarten Besuch?

Don Juan lächelt: Ich nehm es an –

Zweite Wieder eine Dame?

Don Juan Sie hat sich selber eingeladen – Er will ab, um die Haustür zu öffnen.

Zweite Ich mach schon auf! Rasch ab.

Don Juan allein; er richtet sich vor dem Spiegel automatisch seine Krawatte; zu seinem Spiegelbild: Jaja, du bist schuld, immer – Er lacht kurz.

Zweite tritt wieder ein.

Nun?

Zweite Die Dame ist wieder weg.

Don Juan perplex: Wieso?

Zweite Ich hab sie weggeschickt.

Stille.

Don Juan Mir tun Sie damit nichts an – Er grinst.

Zweite schreit ihn plötzlich an: Sie sollen hier keinen Besuch mehr haben, die Wände sind dünn, ich halt das nicht aus, ich hör jedes Wort, ich geh noch zugrund!

Stille.

Don Juan gießt sich Kaffee ein und trinkt.

Beobachtet ihn; leise. In Ihrer Haut möcht ich nicht stecken.

Don Juan Soso – Er ißt Kuchen.

Zweite Wenn ich Sie wär, würd ich nicht mehr leben wollen

Don Juan verbeugt sich lächelnd: Zur Kenntnis genommen. Wollen Sie einen Kaffee?

Zweite Von Ihnen will ich nichts! Sie schluchzt auf und rasch ab.

Don Juan allein; er sieht ihr nach: Wart nur, bis du größer wirst – Er grinst.


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