Hans Hopfen
Peregretta
Hans Hopfen

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233 Dieß waren die Briefe, welche dem Schreiben meines Freundes beigelegt waren. Ihr Inhalt hatte mich überrascht, denn nimmer hatte ich gedacht, daß Heinrich's Beziehungen zu Natalien so inniger, vertrauter Art gewesen wären.

Als ich bei Heinrich's Hof endlich eine Stunde vor Mitternacht anlangte, bellten mir zwei riesige Köter entgegen, welche beim Herannahen eines jeden Fremden ihre laute Entrüstung vernehmen ließen. Der alte Diener kam an's Gitter, welcher mich vor etwa sieben Monaten im Garten ertappt hatte, wie ich entzückt auf die Stimme seiner Herrin gehorcht. Er erkannte mich sofort und bat mich einzutreten, der Herr sei nicht zu Hause, sondern ausgebeten, habe aber Befehl gegeben ihn heimzuholen, wenn ich erschiene.

Ich machte mir's bequem auf meiner Stube und ließ mich dann in's Speisezimmer hinabführen. Es sah Alles aus wie dazumal, nur daß die Fenster dicht verschlossen waren, und in einem mächtigen Kamin ein knatterndes Feuer loderte. Durch den Epheu an der Wand schien hie und da im Wiederspiel der 234 Flamme ein leises Bewegen zu geben. Die beiden Lampen brannten, Spiegel und Bild sahen sich einander an wie früher; auf dem einen Tisch stand eine Abendmahlzeit bereit, auf dem andern waren Bücher aufgestellt und aufgeschlagen vom selben Einband, wie ich sie vordem gesehen. Ich las an ihren Rücken die Namen Lessing, Schlegel, Vischer, Gervinus, Ulrici, Devrient, Dingelstedt u. A. In der Ecke des Sophas lag ein offenes Buch mit vielen Merkzeichen besteckt und mit Papier durchschossen. Dichter Staub lag auf seinen Blättern; doch erkannte ich es als ein Exemplar des Othello.

Es währte nicht lange, so trat Heinrich hastig in's Zimmer und streckte mir zitternd vor Schmerz und Freude beide Hände entgegen. Er drückte sein Gesicht auf meine Achsel, während er mir mit der flachen Hand leise die Schulter klopfte; so blieb er schweigsam eine kleine Weile, bis er sich aufraffte und mich neben sich auf das Sopha bat. Jetzt erst konnte ich beim Scheine der Lampe seine Züge genauer betrachten. Ich fand ihn wirklich sehr verändert. Ueber seine Wangen wie um die Mundwinkel liefen kleine, scharfe, tiefe Züge, die ich vorher nie an ihm bemerkt zu haben mich entsann. Seine Augen hatten unstäten Gang, und das braune Haar war an den Schläfen merklich mit grauem und weißem untermischt.

235 »Es ist mir recht schlimm ergangen, lieber Alter,« sagte er, indem er eine Flasche entkorkte, »recht schlimm, seit wir uns das letzte Mal gesehen. Wer hätt' es damals gedacht!«

Darauf brach er ab und erging sich in einem sachverständigen Gespräch über die jahreszeitgemäßen Eßwaaren und den Mangel an gelegentlichen Beischaffungsmitteln. Er sprach richtig und verständlich, aber ohne die leuchtende Freude des Feinschmeckers, die einst seine Züge so munter belebt hatte. Er sprach, wie ein Blinder spricht, was man ihn von den Farben gelehrt hat, und es schien mir, als habe er absichtlich dieses Gespräch mit Mühe herbeigezogen, um nicht gleich am ersten Abend der Geduld eines Freundes ein Opfer abzudringen.

Nur einmal und kurz vor Schlafenszeit befiel ihn die Erinnerung der Vergangenheit. Er war meinen Augen gefolgt, die auf dem Bilde über dem Sopha, der genannten Kopie Rembrandt's, haften geblieben waren.

»Ja, ja,« sagte er, mit dem Haupte nickend, »ich habe es gar lange nicht begriffen, was der Maler dargestellt mit seinem schreienden Nestquak, der die Früchte dieser Erde krampfhaft in den Fingern preßt, und nicht lassen will von seinem vertrauten Naschwerk und seinen alltäglichen Spielen, und den 236 Umarmungen seiner Lieben und den übrigen Gewohnheiten des Daseins. Weinen und bittere Angst, Sträuben mit Händen und Füßen, aber es hilft nichts, der gewaltige Aar des begehrenden Zeus, der ihn überschattet, hält ihn in unwiderstehlichen Fängen gepackt, er ist unerbittlich, unbestechlich. Er muß aufwärts, es hilft kein Widerstreben. Wen der Gott des Donners und der Blitze zu seinem Liebling erkoren hat und zum Genossen heischt, des irdisch Theil mag sich wehren wie es will; seine Heimat ist jenseits der Wolken, er muß hinauf, die scharfklauigen Griffe des Adlers sorgen dafür. Bei Nektar und Ambrosia kann er seiner Kirschen sich entwöhnen.«

»So schaudert der Gottbegabte, der Liebling der Unsterblichen, er möchte ein Mensch bleiben zu anderen Menschen, und Menschen lieben und von ihnen geliebt werden wie andere; er möchte thun und treiben und spielen und sich nähren wie seinesgleichen. Aber er hat nicht seinesgleichen, und ob sein irdisch Theil sich sträubt mit Händen und Füßen, mit Heulen und Zähneklappern, er kann dem übermächtigen Raubvogel nicht widerstehen, der ihn von dannen hebt über die Häupter gesellig wohnender Menschen, hinan, hinan zu den Füßen des Olympiers. Mächtig tief schlagen seine Krallen – die nagende Sehnsucht des schöpfungsbrünstigen Geistes; die Luft unseres 237 Athmens erschütternd, sinnebetäubend, himmelhochtragend rauschen seine Riesenfittige – die adlerdunkeln Schwingen der Phantasie. Auch sie hat sie empfinden müssen, empfinden müssen tief und schmerzlich die Uebergewalt des Götteraars; o gewiß sie wäre gerne geblieben, mir den Lieblingswein zu schenken an der traulichen Flamme des Herdes, und meine Küsse zu vergelten mit treuer Hingebung; ich weiß, sie hat sich gewehrt aus allen Leibeskräften, und geklagt und gejammert wie ein gestohlenes Kind. Aber es war keine Rettung, da die oberen Mächte mit eherner Stimme befahlen, und ich stand weinend und rufend auf dem Erdboden, die verlangenden Hände ausstreckend in die räuberische Luft, und ich sah sie verschwinden in den Wolken über meinem Haupte; doch sah ich immer, immer ihr nach, bis ich nichts mehr sah, und meine überspannten Augen die Kraft der Unterscheidung verloren, und für das richtige Maß der Dinge um sie her erblindeten.«

»Es ist eine grausame Allegorie das, aber sie taugt nicht zum Nachtisch und am wenigsten, wenn man einen Tag lang auf Eisenbahnen und Postkutschen geschaukelt worden ist. Ich kenne diese Annehmlichkeiten, drum laß' uns für heute das Gespräch unterbrechen und uns schlafen legen bis auf den andern Tag.«

238 Damit drängte er zu Bett.

Am anderen Tag aber schien der ergebene Geist, welcher ihm gestern die allegorische Deutung seines Ganymed eingeflüstert hatte, weit von ihm gewichen. Er schlug seine Kästen auf und zu, musterte seine Koffer und schüttelte seine Pelze. Dabei fluchte er und verschwor sich, wie er dieß und das thun wollte, wenn er Peregretten ereilt haben würde. Es war offenbar, daß er sich alles Ernstes mit Reiseplänen trug. Während des Mittagessens gingen aber auch diese dahin; er versank in elegische Wehmuth, klagte das Schicksal seines Lebens an, und erzählte mir mit vielen Abschweifungen die Geschichte der letzten sieben Monate noch einmal. Mit dem Ende derselben waren seine Gedanken auch wieder bei Natalien angelangt und er fand mit sichtlichem Vergnügen, daß die gewohnte Stunde seines tagtäglichen Besuches gekommen sei.

Er bat mich ihn zu begleiten, wozu ich mich sofort verstand. Bald darauf saß ich zwischen Natalien und ihrer Mutter, und unterhielt mich auf's Eingehendste und Sachverständigste über dieß und jenes, über die Manufakturen der Umgegend, über die verschiedenen Eigenschaften von Surinam und Mokka, über deutsche Sprüchwörter und englisches Pflaster.

239 Das Haus, welches die Familie von Püren gemiethet hatte, lag dem Gehöfte meines Freundes schräge gegenüber, von der Eingangsthüre aus, die auf die große Fahrstraße ging, konnte man Heinrich's Dach wohl noch mit einem kräftigen Steinwurf erreichen. Die Zimmer standen sehr einfach aber geschmackvoll ausgerüstet, insbesondere war die Gesellschaftsstube so recht heimlich bestellt und mit einem unvergleichlichen Schmollwinkel ausgestattet, von dessen engen Sophas aus man den schönsten Theil der jetzt verschneiten Gegend, auch die Wohnung meines Freundes, ohne nur den Kopf recken zu müssen, mit den Augen bestreichen konnte. Die alte von Püren, der das Sprechen auf die Dauer nicht wohl bekam, hatte wirklich die Zügel der Hausregierung in ihrer Tochter schöne Hände gelegt, und diese führte dieselben mit der Anmuth und der Würde einer geborenen Hausfrau.

In der That mußte ich bald Heinrich's Urtheil über Natalien zu dem meinigen machen. Ja, ich darf gestehen, daß es in manchen Stücken noch zu gering gelautet hatte. So war ihr Gesicht entschieden schöner als das Peregrettens, deren unregelmäßige etwas breite Züge mehr durch jenen zauberischen Glanz des alle Poren durchschimmernden Geistes, durch ihre leuchtende Lebendigkeit, durch die Schärfe 240 der Charakteristik, als durch die reine Anmuth der Linien entzückten. Jene aber zeigte ein Profil von seltenem Adel, eine ungemein zarte, mit leiser Rosenröthe überhauchte Haut, und ihre blonden Haare, die sie nach Art der englischen Schönheiten in wenigen, langen, dichten Ringlocken herabfallen ließ, hatten den dunkelgoldigen Glanz, welchen wir aus den Bildern der Venetianer bewundern. Ihr Auge war nicht groß, und ihre Blicke langsam und meist niederwärts gesenkt. Von dem verlegen vorlauten Wesen ihrer grünen Mädchenzeit hatte sie kein Wort und keine Bewegung erhalten. All' ihr Thun und Lassen schien von einem einzigen stillverschwiegenen Wollen diktirt. Wahrlich nimmerdar hätt' ich, ohne es zu wissen, in dieser schönen Entfaltung die farb- und duftarme Knospe wieder erkannt, welche vor vier oder fünf Jahren in der Pflege mütterlicher Obhut zu blühen beginnen durfte.

So hoch ich Peregretten schätzen gelernt hatte, so brauchte ich doch nur das frühgealterte Gesicht, nur die von der Last seiner Erfahrung gedrückte Gestalt meines einst so stattlichen, ja auf seine äußere Erscheinung nicht wenig eitlen Freundes zu betrachten, um ihr Gedächtniß mit einer großen Schuld zu verfinstern. Die gerichtliche Scheidung bei vorwaltenden Umständen in's Werk setzen und durchführen 241 zu lassen, konnte keinen Schwierigkeiten obliegen. Natalie schien die würdigste Frau für einen braven Mann, und mit dem besten Willen auch alle Fähigkeiten zu besitzen, glücklich machen und glücklich sein zu können. Trotzdem that ich Alles, um einen endgültigen Entschluß meines Freundes noch zu verzögern. Denn nicht nur, daß ich ihn vor einer Uebereilung zu bewahren suchen mußte, es schien mir auch, als sei eine Verbindung mit Heinrich für Natalien eine gewagte Sache. Noch wußte ich immer nicht, war ihr offenbares Bemühen, sein Herz und seine Hand zu gewinnen, wirklich von wahrer, verlangender Seelenhingebung oder doch mehr von jenem Eigensinn weiblicher Eitelkeit eingegeben, der einen einmal schon Verlorenen neuerdings in Pflicht zu fesseln willens ist. Zuweilen schien mir's auch, als sei Heinrich's Neigung zu ihr nicht die wiedererwachte Liebe aus vergangener Zeit, sondern ein krampfhaftes Erfassen seines zermarterten Wesens. Wie ein von den Wellen Getriebener den nächsten Baum, der ihm seine Zweige in die eilende Flut hülfreich entgegenstreckt, erhascht und ihn nicht lassen will, bis er an's Land gerettet ist, oder auch jenen entwurzelt und mit sich in's Verderben gerissen hat, so schien sich Heinrich mit Gewalt an Natalien zu klammern, damit der Kummer seines Herzens und die Angst seines 242 Hauptes ihn nicht dahinrissen in Trübsinn und Verzweiflung. Sein Herz hatte, seit es von Peregretten verwöhnt war, das Bedürfniß zu lieben, Peregretta aber durfte ihm seiner Liebe nicht mehr würdig däuchen, während selbst ein mäkelnder Forscher in Nah und Ferne kein liebenswertheres Wesen entdecken konnte, als Natalie war. So versuchte denn Heinrich sich in diese Neigung zu stürzen wie in einen Rausch, wie Andere in tosende Vergnügungen, in aufreibende Arbeiten sich werfen, um zu vergessen, was vordem gewesen. Er beschäftigte sich mit Natalien, um nicht an Peregretten zu denken, und merkte dabei nicht, daß er nichts Anderes im Schilde führte, als gerade dieser Verlorenen und der nimmersatten Leidenschaft zu ihr jene Wiedergefundene zum Opfer zu bringen. Denn konnte Heinrich vergessen, was die letzten drei Jahre mit tausend und abertausend unaustilgbaren Zügen seinem Herzen eingegraben hatten? Natalie war ein Muster von Häuslichkeit und dabei eine Meisterin in der Kunst zu gefallen; wer aber bürgte dafür, daß dieser Mann mit demselben Herzen in den düstern Stunden, die da kommen mußten, auch ein Auge haben werde, das da bemerken wollte, was gefallen sollte? Wußte sie, wo das Kräutlein Vergessenheit wächst, um ihrem Tischgenossen das Mahl zu würzen, wenn es der 243 Nachgeschmack verwichener Freuden zu verbittern drohte? War dieß der Gatte für dieß Weib?

Wochen waren so vergangen, und mein nothwendiger Wunsch, einmal mich mit Natalien unter vier Augen zu besprechen, hatte sich nicht erfüllen lassen. Da geschah's eines Tags, daß Heinrich in Wirthschafts- und Rechnungsangelegenheiten über Gewohnheit lange daheim gehalten wurde, und er deßhalb in meinen Vorschlag, allein vorauszugehen und seine Verzögerung bei Pürens zu entschuldigen, einwilligte.

Ich fand die beiden Damen über einem frisch angekommenen Briefe. Um diesen mit wenigen kurzen Zeilen zu beantworten, bat die gnädige Frau für eine kleine Weile ihre Abwesenheit zu entschuldigen.

Natalie ergriff das Wort und sprach:

»Mein Bruder benachrichtigt uns eben, daß er für die nächsten sechs Wochen Urlaub erhalten hat und denselben in unserer Häuslichkeit verbringen wird.«

»Sie scheinen nicht sehr erfreut darüber,« erlaubte ich mir zu bemerken.

»O doch!« war ihre Antwort. »Es ist nur Schade, daß mein guter Bruder die schlimme Gewohnheit besitzt, nie allein zu uns herauszufinden.

Es hat den Anschein, daß er sich auf dem 244 einsamen Ritt all' zu sehr zu langweilen fürchtet, so kommt's denn, daß, wenn wir das Vergnügen seiner Anwesenheit genießen, unser friedliches Haus immer mehr einer kleinen Kaserne gleicht. Dießmal ist's zwar lediglich ein einziger Kamerad, der ihm das Geleite gibt, aber ich kann Sie versichern, daß mir eben der Eine ungelegener kommt, als müßten wir den ganzen Stab seiner Garnison in Kost und Pflege nehmen.«

»Macht denn dieser Begleiter gar so große Ansprüche?« fragte ich.

»Wie man's eben nimmt,« fuhr sie fort. »Es ist ein ganz bescheidenes, zuvorkommendes, ja liebenswürdiges Ungethüm, und um wenig schlimmer oder zahmer als seine Kameradschaft. Offen gestanden, ich sehe ihn anderswo gar nicht ungern in meiner Nähe, und seine Unterhaltung ist die eines vernünftigen Menschen! Aber eben deßwegen! Ich will sagen, ich habe mir in den letzten Wintern seine ritterlichen Huldigungen mit halbem Ohr gefallen lassen, und ihn heute weniger, morgen wieder auffallend schlechter behandelt als seine Mitbeflissenen in meinem Dienste, so daß er gar nicht anders kann, als sich für den Bevorzugten zu halten, und nun kommt er hier heraus, wahrscheinlich um mich, welche die Gesellschaft meidet, in der Einsamkeit des 245 ländlichen Winters an alte Rechte und daraus möglicherweise folgende Ansprüche zu gemahnen, die er jenseits dieses verschneiten Waldes auf wachsüberzogenen Parkets im Glanze schwebender Girandolen sich erworben zu haben vermeint. Wenn ich schon nicht so gottlos bin, um ihm oder seinem Schimmel das Hals- oder Beinbrechen unterwegs anzuwünschen, so wollt' ich doch, er verlöre vor dem ersten Dorf alle vier Eisen, und es wären allen Schmieden die Hufnägel ausgegangen auf ein Vierteljahr.«

»Ich begreife nicht,« warf ich ein, »warum Ihnen denn hier und gerade jetzt das Erscheinen eines frommen Anbeters aus der Garnison gar so zuwider sein kann?«

»Was?« sagte sie rasch, »das begreifen Sie nicht; nun dann begreife ich Sie nicht.«

»Natalie,« sprach ich und rückte näher, »ich muß denken, daß Ihre Frau Mama jede Minute diese einzige Besprechung unter vier Augen aufheben wird. Beantworten Sie mir, dem Freund des Freundes, eine Frage, die mich und vielleicht auch noch Andere seit Wochen quält. Sie kennen Heinrich, kennen ihn seit Jahren, nun sagen Sie mir offen und ehrlich: Getrauen Sie sich mit ihm glücklich zu werden?«

»Das fragen Sie mich, fragen Sie mich, nachdem Sie einen langen Monat mich und ihn 246 beobachtet haben!« rief sie mit lautem Erstaunen und erhob sich rasch von ihrem Sitze. Sie wandte mir das Gesicht ab, als wollte sie mir eine Thräne verbergen, oder als erregte mein Anblick ihren Widerwillen. Eine Zeit lang blieb sie so am Fenster stehen, die Stirn an die kalten Scheiben drückend, und ich hörte ihren schweren Athem gehen. Auf einmal kehrte sie sich rasch um, trat vor mich hin und sprach mit thränenerregter Stimme:

»Muß ich es Ihnen denn sagen, daß Heinrich mein verlobter Bräutigam war vor Jahren, daß ich mich nur weinend, und weil es nicht anders sein durfte, von seinem Besitze losgerissen, daß ich aber auch dann nie an einen anderen Mann gedacht, als an den Einen, dem ich vor Sippen und Zeugen mein treues Jawort gegeben! Und o, gerade als er mir am fernsten war, ich wußt' es doch, daß er wiederkehren werde zu seiner rechtmäßigen Braut, und daß es auf einmal ein Ende haben werde mit der Landstreicherin, die ihn mir abwendig gemacht. Als seine Gattin hab' ich dieses Wesen nie erkannt, daß sie eine Zeit lang seine Geliebte gewesen – es hat mich wahrlich nicht gefreut, allein bei euch Männern muß man sich in so etwas in Gottes Namen fügen. Ich aber bin seine Braut und werde es bleiben, bis ich sein Weib werde. Als ich ihn wiedersah, als ich 247 später von seiner Verlassenheit, seiner Krankheit hörte, da war mit Einemmale alle Zagheit des unmündigen Mädchens von mir wie weggeblasen; ich fühlte, ich wußte, wem ich angehörte, was ich sollte, was ich mußte. Ich sprach es aus und wußte es durchzusetzen trotz der Einrede meines Bruders, trotz der Abwehr meiner Mutter. Ich habe ihm Opfer gebracht, ich habe ihn gepflegt, ich habe ihm meine Liebe viel hundertmal gezeigt, wie nur die Verlobte dem Verlobten. Daß er es nicht sah, nicht zu sehen schien, ich setzte es bis zum heutigen Tage auf Rechnung seines alten Leidens, seines getrübten Seelenzustandes. Daß aber auch Sie, der Sie aus gesunden Augen schauen, dessen Ueberlegungskraft keine kreischenden Erinnerungen betäuben, daß auch Sie eine Frage stellen können, deren Berechtigung längst ihre Zeit verloren, das nimmt mir den letzten Glauben an Sie. Mag es Sie kränken, immerhin! mich zwingt es, einem oft verdrängten Argwohn Worte zu geben: ich wäre schon seit Wochen Heinrich's vermählte Gattin, wären Sie nicht hier erschienen, der ihm das Zögern und Bedenken und Abwarten in die Seele flüstert, die arme Seele, die nur in raschem Entschluß, nur mit dem gänzlichen Bruch ihrer Vergangenheit gerettet werden kann.«

Es war ein Strahl jener verwichenen 248 mütterlichen Schlagfertigkeit und Einsicht, der mit diesen Worten auf ihrer Zungenspitze spielte, ein Strahl jener entsetzlichen Beredsamkeit des sich selbst verzehrenden und immer wieder neugebärenden Mißtrauens, die nimmerdar zur Freude des Männergeschlechts Allmutter Eva diesseits des Paradieses erfunden und ausgebildet hat.

Das Wiedererscheinen der Frau von Püren, welche am Arme meines Freundes in das Zimmer geschlichen kam, überhob mich einer unangenehmen Antwort.

Sobald es die Schicklichkeit gestattete, empfahl ich mich und ließ meinen Freund in ihren Händen. Es nachtete bereits, da ich auf die Straße kam, und schon aus der Ferne hört' ich die Hofhunde Heinrich's die breite Mauer des Gehöfts entlang ein lautes Gebell erheben. Erst bei meinem Eintritt wurden sie wieder ruhig, und ich schalt den Hofknecht wegen der Ungezogenheit dieser halbwilden Thiere, obwohl ich eben die Menschen nicht viel zahmer erfunden hatte.

Als mein Freund zum Abendessen kam, eröffnete ich ihm meinen Entschluß wieder abzureisen. Er aber wollte das nicht zugeben, denn gerade heute sei er unschlüssiger denn jemals.

Derweil kam die Lust zum Entschließen mit dem andern Tag.

249 Der Bruder Nataliens, welcher sammt seinem Kameraden, einem hübschen jungen Manne von Figur und Haltung, noch vor Mittag eintraf, säumte nicht, auch uns aufzusuchen.

Der Erstere war ein Musterexemplar jener Art von Brüdern, welche bei Lauheit oder nach dem Tode des Vaters die Gewalt des Familienoberhauptes mit beiden Händen zu ergreifen und festzuhalten wissen. Er befahl selten, dann aber unerbittlich, unabänderlich. Wenn auch getrennt von den Seinigen lebend, seine Sorgfalt wandte ihr Auge niemals von dem Vortheil seiner Familie, von dem, was er die Zukunft seiner heirathsfähigen Schwester nennen mochte.

Auch zu dieser selbzweit unternommenen Besuchsreise hatte unseren Mann nichts Geringeres bewogen als die Absicht, das Schicksal etwas zu korrigiren. Die Zurückgezogenheit in die ländliche Winterstille erfreute sich zwar von der ökonomischen Seite seines vollen Beifalls, auch lebte der Herr Kapitän »ohne Familie« in der Garnisonsstadt viel ungenirter; allein die Unschlüssigkeit Heinrich's währte ihm denn doch nachgerade um vieles zu lange. Auf der andern Seite sah er seinen Kameraden, der ihm, falls jener versagte, auch gar keine üble Partie däuchte. Er hatte es verstanden, stets zur rechten Zeit in die 250 Flamme des Premierlieutenants zu blasen, so daß sie nie erlosch, sondern von der Abwesenheit des verehrten Gegenstandes nur noch mehr genährt wurde. Allen bisherigen Versuchen seines Freundes, einmal seinen Ritt zur Mutter begleiten zu dürfen, war er bisher wohlweislich ausgewichen, um die Lust dazu nicht vor der Zeit abzukühlen. Nun aber wollte er endlich einmal der Sorge um die Schwester los werden. Die Freier schienen ihm beide reif, und darum unternahm er es, beide einander unter die Augen zu postiren, um so die Lust des Einen mit der des Andern zu hetzen und umgekehrt.

Dieß Manöver war ganz richtig berechnet, und erwarb durch seinen Erfolg der Strategik und der Taktik des Herrn Hauptmann verdiente Anerkennung. Eifersucht, Ehrgeiz und wie sie alle heißen mögen die männlichen Dämonen des Wetteifers, sie hatten in kurzen Tagen die beiden Männer so in Athem versetzt, daß sie sich gegenseitig in ritterlichen Galanterieen gegen Natalien und in kleinen Malicen gegen einander mit verschiedenem Glück aber gleichem Fleiß und Eifer überboten. Zuweilen schien's, als schwebte jedem von ihnen die Bitte des Werbers schon zwischen den Zähnen, und warteten sie nur auf die erste schickliche Gelegenheit, um dieselbe ihrer Geliebten zu Füßen fallen zu lassen. War auch Heinrich, wie es 251 offenbar den Anschein hatte, der Begünstigtere vor Nataliens Augen, so hatte doch der Lieutenant den Vorzug, daß er als Kamerad des Bruders auf dessen im Familienrath so schwer wiegende Stimme mit sicherer Wahrscheinlichkeit zählen konnte, sowie den andern, meinen Freund sehr beunruhigenden Vortheil, daß er als Gast des Pürenschen Hauses mehr Gelegenheit finden mußte, mit der Angebeteten allein zu sein. Der Kapitän lief dabei fortwährend mit dem Blasebalg seiner Einflüsterungen zwischen den Beiden herum und sorgte aus besonderer Geschicklichkeit dafür, daß sie einander so viel als möglich unter den Augen behielten, und so Einer den Andern nicht zur Ruhe kommen ließ.

Ein zu diesem Behufe am glücklichsten von ihm eingeführtes und ausgebeutetes Mittel waren nachmittägliche Spaziergänge in der Umgegend, welche auch zur schneeverhüllenden Winterszeit gar reich an Reizen war, und verschiedene der schönsten Zielpunkte für kurzweilige Ausflüge darbot.

Auf dem Hügellande, welches sich südlich von der Stadt erhob, lagen in einer Entfernung von einer bis anderthalb Stunden mehrere Einödhöfe von freundlichen, wohlhabenden Landwirthen bewohnt. Jeder derselben bot eine andere Ansicht des malerisch gelegenen Ortes und seiner abwechslungsreichen 252 Umgebungen, und der Weg zu keinem war selbst in dieser rauheren Jahreszeit beschwerlich, da sie sämmtlich nahe an den beiden Heerstraßen lagen, und des fleißigen Verkehrs halber die Pfade dahin leicht wandelbar erhalten wurden. Nördlich in der Thalsenkung, etwa dreiviertel Stunden von unserer Wohnung entfernt, streckte ein großes Herrenschloß seine Thürme gegen den Himmel, dessen weitläufiger Renaissancebau zwar nur von einem Verwalter und dessen Familie und den Landwirthsknechten bewohnt wurde, den Besucher aber durch eine kleine Bildergallerie und eine prächtige Eisbahn auf dem weitgedehnten Teich im Garten herbeilockte. Der, weil der nächste, beliebteste Spaziergang der Gesellschaft führte auf ebenem windgeschützten Wege östlich zu einem vielgliedrigen Fabrikgebäude, welches vor seinem Umbau ein Kloster gewesen. Selbst die alte Frau von Püren unternahm es ein paarmal, diese Partie mit ihrer Gegenwart zu beehren; sie ließ sich alle Räder und Schrauben der sausenden Maschinen auf's Ausführlichste erklären, und horchte aufmerksam der sachverständigen Berechnung von Kosten wie Gewinn. Zu den übrigen Spaziergängen ließ sie sich nicht bewegen, da es bei der Kürze des Dezembertages kaum möglich war, vor einbrechender Dunkelheit zurück zu sein. Eine Fackel, ein Windlicht oder eine Laterne 253 leuchtete uns alsdann auf dem Heimweg. Natalie schritt munter und rüstig am Arm des Bruders über die harte Bahn, die unter dem entschiedenen Tritt ihrer zierlichen Sohlen knarrte; ein vergnügtes Gesicht voll frischer Farben blickte aus schwarzem Sammet und dunkelhaarigem Pelzwerk, der langersehnten Entscheidung sicher, in die weiße Nacht hinaus. Die beiden Nebenbuhler quälten sich fortwährend, einander den nächsten Weg an der Geliebten Seite abzulisten, ich als der Unparteiische, als der aller Absicht ledige, ich unterhielt mich – Natalien etwa ausgenommen – wohl am besten von Allen.

So waren uns zehn rasche Tage verstrichen; am folgenden – es war der Morgen vor Weihnachten – schlug der Lieutenant vor, auch einmal einen Spaziergang nach der Lerchenmühle zu machen, von deren Aussicht er bereits so viel Rühmens gehört hatte. Mein Freund und der Hauptmann wandten gegen diesen Vorschlag ein, daß der Weg etwas weit und wegen fortwährender Ungleichheit des Terrains nicht ohne Beschwerlichkeiten sei. Allein Frau von Püren, welche den Christbaum zu schmücken übernommen hatte, wünschte ausdrücklich, daß wir sie nicht zu frühe überraschen möchten, und der Wille Nataliens gab die Entscheidung im Sinne des Vorschlags.

254 Wir hatten herrliches Wetter, als wir uns bald nach Tische auf den Weg machten. Der Schnee war fest, kein hartes Wehen durchschnitt die Luft, und die Sonnenstrahlen brachen sich freie Bahn durch den winterlichen Himmel. Wie beim ersten Ahnen des kommenden Frühlings glänzten und glitzerten die kahlen, weiß überzogenen Baumzweige, und ließen bei unserm Vorüberschreiten einzelne Flöckchen auf den Boden fallen. Hinter uns in der Niederung brauten die Nebel, aber rechts und links und vor uns blitzten mit goldenen und silbernen Lichtern stechend die dichtverschneiten Hügel. Wohin man das Auge wenden mochte, sah man von verborgenen Höfen oder Mühlen oder Schmieden hinter den Höhenzügen dichte Rauchwolken in die rauhen Lüfte steigen.

Die Lerchenmühle lag wohl eine gute Stunde südlich von dem Städtchen auf einer sanft ansteigenden Anhöhe, von der aus man an klaren Tagen weit in's Land hinaussehen konnte. Aber selbst bei trüber Luft beherrschte das Auge von da aus die Hauptstraße, welche die kleine Häusermenge zu Füßen des Berges von zwei Seiten her durchschnitt. Auch von dem seitab gelegenen Gehöfte Heinrich's sah man noch das Dach und das letzte Fenster des oberen Stockwerks. An der östlichen Seite der Mühle fiel das Hügelland in zackiges Felsgeschiefer ab, durch 255 welches ein rauschender Gießbach unter den ächzenden, breitschaufeligen Rädern hinweg über Klippentreppen und ragende Eiszapfen schäumend, weitum seine kalten Tropfen versprengend, in die Tiefen schoß.

Da wir von Kälte wenig oder nichts zu leiden hatten, so ward der Weg mit aller Gemächlichkeit und unter vielen Verzögerungen zurückgelegt. Es fiel alsbald Heinrich wie mir auf, daß die andern drei von der Gesellschaft sich etwas außergewöhnlich anließen. Während der Hauptmann sich einer fast ausgelassenen Lustigkeit erfreute, und seinen schwarzen Zottelhund ein um's andere mal in dem tiefen Schnee herumzujagen abschickte, schien Natalien's Züge eine lästige Heimlichkeit zu quälen, eine beängstigende Ungewißheit, die sie nicht froh werden ließ, und ihr selbst bei den gelungensten Sprüngen des vierbeinigen »Ralph« und bei den schlechtesten Witzen unseres Gesprächs nur ein halbes fernabdenkendes Lächeln erlaubte. Der muntere, unternehmungslustige Lieutenant schien völlig umgewechselt. Er machte ein langes, sehr ernstes Gesicht, schien mehr in sich hinein als aus sich heraus zu hören, sprach nur, wenn er gefragt wurde, und auch alsdann nicht viel Erbauliches; was aber als das Auffälligste gelten mußte, war die höfliche Bereitwilligkeit, mit welcher er sich von unserer Winterkönigin verdrängen ließ, sobald 256 einer von uns nur entfernt die Miene machte, das Wort an sie richten zu wollen. Heinrich benützte diese Gelegenheit reichlich. Auf einmal aber merkt' ich, daß auch er sich in Haltung und Ton auffallend veränderte.

Ein kleiner Junge trug uns in einem Korbe etwas Trinkbares und einige kurze Eßwaaren auf die Mühle nach, welche eben nicht in dem Rufe aufdringlicher Gastfreundschaft stand. Als nun mein Freund, wie absichtlich, stille stand, um sich den Anschein zu geben, wie wenn er unserm kleinen Diener noch einige Aufträge ertheilen wollte, gesellt' ich mich zu ihm mit der Frage, was ihn denn so plötzlich überkommen sei.

Statt aller Antwort wies er mir zwischen den Fingern der rechten Hand ein kurzes, zusammengeknittertes Papier, welches ihm Natalie im Nebeneinandergehen zugeschoben haben mußte, dessen Inhalt ihm aber noch unbekannt zu sein schien. Um ihm Gelegenheit zu geben, unbeachtet von den Uebrigen sein Zettelchen genießen zu können, stellt' ich einen rüstigen Holzknecht, der, die Axt über der Schulter, sein kurzes Thonpfeifchen schmauchend, mit wuchtigen Schritten den Hügelpfad herab und uns entgegen kam. Heinrich, der den Hauer schon von früher her kannte, gab sich gleichen Anschein, kehrte den 257 Vorausgegangenen den Rücken zu und las die Botschaft seiner Neigung, während ich den Rüstigen um Weite der Entfernung, Beschaffenheit des Weges, Ausdauer der Witterung und Orts- und Häusernamen ausfragte.

»Kann sein, daß es heute noch mit der guten Luft aushält,« sagte der Gefragte, »kann sein auch nicht. Mir scheint alleweil, es drehe sich der Wind, und es riecht in der Luft wie Schnee. Die Müllerin hab' ich in der Früh' an meinem Häusel vorbei geh'n sehen; sie wollte zum Herrn Pfarrer nach Siebensee. Ihr kennt sie ja, Herr – damit wandte er sich zu Heinrich, der ein Gesicht zeigte wie der Schnee so weiß – Ihr kennt ja die alte Müllerskathrein, seit ihr Mann sich über'm Rad erfallen hat, ist sie gar fromm und gottesfürchtig geworden. Nu es schad't ihr eben auch nicht viel! Zum Fehlen ist der Weg nicht; nur alles gerade fort der Nas' nach, und dann links um's Kreuz am Axtstein. Adjes und auf Wiederseh'n, ich komm' bald des Wegs wieder retour.«

Ich ließ den Holzhauer für seine bereitwilligen Auskünfte einen tüchtigen Mannsschluck aus unserer Rumflasche ziehen, und während ich dieselbe wieder in den Korb zurecht stellte, nahm ich rasch das Papier, welches mir Heinrich zum Lesen anbot.

Mit flüchtigem Bleistift beschrieben enthielt es die wenigen Worte: 258

»Heute nach Tische hat der Lieutenant in aller Form um meine Hand angehalten. Mutter und Bruder drängen mich. Ich habe mir Bedenkzeit ausgebeten bis zum Abend Sylvester. Ich weiß nicht mehr, was ich Dir noch bin, und zwischen dem heutigen und dem letzten Tag im Jahre liegen nur noch sechsmal vierundzwanzig Stunden. Was soll alsdann aus mir geworden sein? seine oder

Deine Natalie?

 


 

259 Des Holzhauers Bedenken hatten sich bald bewährt. Noch ehe wir die Höhe ganz erreichten, war auch alle Erinnerung an einen nackten Sonnenstrahl aus der Gegend gewichen, von oben herab flog wirbelnder Schnee über die Straße weg, und schwer und lastend ballten sich nebelgegürtete Wolken über unsern sorglich nach allen Seiten spähenden Häuptern.

»Das gibt eine muntere Heimfahrt,« lachte der Hauptmann rückwärts gewandt, und ein Blick aus tiefster Seele drang fragend aus Nataliens betrübten Augen zu dem Freund an meiner Seite.

Wir bogen um das scharfe Eck am »Axtstein« – es war dieß ein Felsblock von sonderbarer Gestalt, dessen verschneites Ende wie das Eisen einer Haue vom Stiel seitab ragte – da sahen wir nur mehr ein paar Schritte weit über uns die Mühle liegen. Der Gießbach rauschte unfern uns zur Linken.

»Müllers Kathrein! Hollah hoh! Müllers Kathrein!« rief der Hauptmann in die sausende Luft einem Weibe zu, das hart an der Radschnelle stand und in die Sturzflut schaute. Sie trug ein dunkles Gewand und hatte über Haupt und Schultern einen 260 braunen Shawl geschlagen. Als sie, durch das Rufen aufmerksam gemacht, in den Weg hinabgesehen und unsere Gesellschaft bemerkt hatte, wandte sie sich ruhig ab und schritt langsamen Ganges in die Mühle hinein.

»Ei, Herr Hauptmann,« lachte nun Heinrich, »die kennt Ihr noch nicht; die ist gar eine spröde Schönheit, kurz und unfreundlich, und hält nicht viel Gutes vom Mannsvolk, nicht einmal vom Militair.«

»Ihr eigener Schaden!« erwiederte der Hauptmann, indem er seiner Schwester behülflich war, über etliche verschneite Steinblöcke hinweg zu steigen.

Während wir auf dem weißen Plan vor der Mühle die letzte Strecke zurücklegten, gab ich Heinrich seinen Zettel wieder und sah ihn fragend an.

»Ich bin entschlossen,« war seine ganze Antwort, und wir gesellten uns zu den Uebrigen.

 


 


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