Karl von Holtei
Ein Mord in Riga / 1. Kapitel
Karl von Holtei

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Sie kamen glücklich vor Sonnenuntergang in Schmollwitz an. Es ist sogar behauptet worden, der bewaffnete Diener der Gerechtigkeit habe den ermüdeten Iwan einige Strecken reiten lassen; doch da ihn das in Verdrüßlichkeiten mit seinem Brigadier verwickeln konnte, will ich es als ein unbegründetes Gerücht fallenlassen. In den Schmollwitzer Herrenhof zogen sie ein, wie sich gebührt: der Reiter zu Rosse, der Ausreißer zu Fuße. Der Landrat von P. stand im Gespräche mit seinem Zimmermeister, welcher gerade Feierabend gemacht hatte. Wie er die Ankömmlinge sah, rief der Landrat ärgerlich: »Bär, sind Sie denn rein des Henkers? Wissen Sie denn nicht, daß ich vom Dienste dispensiert, daß ich auf Urlaub bin? Wollen Sie mir denn durchaus keine Ruhe gönnen?«

»Siehst du«, sprach Bär, indem er Iwan am Ohrläppchen zupfte, »daß ich deinetwegen angeschnauzt werde? Jetzt sperre dein Maul auf und beiße dich selbst heraus, wenn du kannst.«

Iwan zeigte keine Furcht. Er begegnete dem strengen Blicke des Landrates mit offenem, festem Auge; denn in jenem Blicke lag so viel Edelmut, daß ein Naturkind ihn ahnen mußte. Er brachte sein Gesuch um Schutz deutlich genug vor und genügte dem an ihn gerichteten Befehle, frei und ehrlich zu sein, zwar ein wenig radbrecherisch, was den Sprachbau betraf, aber doch vollkommen verständlich. Der Landrat gab sich keine Mühe, um zu verbergen, wie sehr des Erzählers Lebenslauf ihn ergreife; die Zimmerleute, ihren Meister voran, schlossen einen Halbkreis und regten sich nicht; droben, aus den Fenstern ihres jungfräulichen Stübchens, lehnte des Herren Tochter, Auguste, ihr wohlwollendes Antlitz und begleitete jede Wendung in Iwans Geschick mit ängstlichem oder freudigem Lächeln.

»Was meinst du, Gustchen, zu dem Burschen?« fragte der Vater hinauf, als jener geendigt hatte und mit seiner Biographie bis in den Wirtschaftshof des Herrn Landrats von P. in Schmollwitz geraten war, welchen letzteren er kurzweg »den Oberpolizeimeister von Preußen« titulierte, worüber die Zimmergesellen in lautes Gelächter ausbrachen und sogar Bär sich den grauen Schnurrbart streichen mußte, um ein respektwidriges Grinsen zu verbergen.

»Was ich meine? Daß mein Vater sich des Menschen annehmen wird!«

»Kind«, erwiderte Herr von P., »was in aller Welt sollen wir mit ihm anfangen?«

Der Zimmermeister trat vor: »Gestrenger Landrat, wenn der Kerl sonst Lust hat – stark ist er und geschickt scheint er auch zu sein... und wenn der gnädige Herr nichts dagegen hätten, oder die Regierung, ich möchte ihn schon als Burschen nehmen, auf meinen Zimmerplatz, und wohnen kann er bei mir auch; auf das bissel Kost kommt es gleichfalls nicht an. Vielleicht machen wir einen tüchtigen Gesellen aus ihm. Es wär doch schade um das junge Blut, wenn es sollte eingesperrt werden und unter unsern Spitzbuben verderben oder gar zurückgeliefert über die Grenze...«

»Davon ist keine Rede, Meister Lahr; davon kann keine Rede sein. Der Mensch gefällt mir; ich glaube an alles, was er uns erzählte, wie abenteuerlich es klingen mag. Jedes Wort trug den Stempel der Wahrheit. Von Ausliefern ist keine Rede. Doch das übrige darf ich nicht allein bestimmen, muß mir erst Verhaltensregeln einholen. Habe schon wegen anderer Flüchtlinge Verdrüßlichkeiten gehabt. Fürs erste nehmt ihn mit Euch, wenn Ihr so gütig für ihn gesinnt seid. Das übrige wird sich finden.«

Gendarm Bär beurlaubte sich, und der Landrat dankte ihm freundlich, daß er, dem Verbote zuwider, dennoch in Schmollwitz eingedrungen sei.

Die Zimmergesellen nahmen Iwan in ihre Mitte und sprachen ihm tröstend zu, indem sie den Hof verließen.

Auguste aber schmeichelte dem geliebten Vater, dessen Liebling sie war, und flüsterte: »Morgen fährt mein guter Papa nach der Hauptstadt, nicht wahr? Ich habe notwendigerweise einige Einkäufe zu machen; unterdessen ich diese besorge, wartet mein Vater beim Herrn Oberpräsidenten auf, setzt ihm diesen Fall auseinander, bringt alles ins reine, und wenn wir nach Schmollwitz heimkehren, darf ich dem Zimmermeister Lahr die Bewilligung bringen, daß der arme Russe in seinem Hause bleibt! Nicht wahr, mein Vater?«

»Du bist nun schon einmal der gute Engel für alle, die in deine Nähe kommen«, sagte der Vater und umschlang zärtlich seine Tochter. »Es geschehe, wie du verlangst, Auguste!«

 

Der Sommer war kaum vergangen, da galt »der Russe« – denn diesen Beinamen behielt er im Dorfe wie in der Umgegend ringsherum – für einen der tüchtigsten Arbeiter auf Meister Lahrs Bauplätzen. Fleißiger, unverdrossener, geschickter, anstelliger hatte man niemals einen Lehrling gesehen; er beschämte manchen Gesellen, und seine Kühnheit flößte um so mehr Bewunderung ein, als sie mit seinem mädchenhaften Wesen im Widerspruche zu stehen schien. Alle Leute hatten ihn gern, beschenkten, bewirteten ihn, als ob die »Prussaki« sich verabredet hätten, ihm darzutun, was Gastrecht bei ihnen bedeute; und die Gesellen, seine zweiundzwanzig Jahre, seine Lebenserfahrung anerkennend, behandelten ihn gar nicht wie einen Lehrjungen, vielmehr wie ihresgleichen. Meister Lahr unterließ an keinem Abende, wenn Iwan auf sein Bodenkämmerchen schlafen gegangen war, zur Frau und zur Tochter zu äußern: »Nicht einen Augenblick tu ich's bereuen, daß ich den Russen ins Haus nahm.« – »Ich hab auch nichts gegen ihn« versicherte dann die Frau. »Und ich erst gar nicht!« setzte Susanne, die Tochter, hinzu.

Gab es im Herrenhause etwas zu zimmern, zu hämmern, zu flicken, zu basteln, war im Kuhstalle eine Latte anzuschlagen, eine Raufe herzustellen, ein Brett zu doppeln... gewiß schickte Fräulein Auguste nach dem Russen, damit ihm ein kleines Trinkgeld zugewendet werde. Und mit wahrer Seelenfreude hörte sie ihm dann zu, wenn er bei seiner Arbeit von Susannen redete und im lustigen Kauderwelsch, von lettischen und russischen Hilfswörtern wimmelnd, offenbarte, wie warm er Lahrs Tochter liebe – ohne zu ahnen, daß er dies tat.

Auch der Landrat wechselte gern ein Wort mit ihm und ließ manche gütige Verheißung laut werden, welche andeutete, daß es nur von seinem ferneren Betragen abhänge, sich hier eine sichere Zukunft zu gründen.

Die Leinernte war heuer überraschend reichlich ausgefallen und hatte ausnahmsweise einen so großen Körnerertrag beim Ausdreschen gegeben, daß der Landrat Überfluß besaß und einige Tonnen Samen zu verkaufen beabsichtigte. Um so mehr, da er, als umsichtiger Landwirt, die ganze Leinkultur wie eine umfangsreicheren Besitzungen nicht entsprechende (weil sie zu viele Hände bei Behandlung des Flachses braucht) aufzugeben entschlossen war und sich dafür dem in Mode kommenden Rips zuwenden wollte. Der Samen war sorgfältig gereiniget in vorhandene Fässer gefüllt, und diese warteten nur auf die Hand des Böttichers, um geschlossen, mit noch einigen starken Reifen versehen, dem Käufer nach der Hauptstadt geliefert zu werden. Da sich jedoch kein Binder am Orte befand und die Verschickung eilte, so sollte der Zimmermann aushelfen, und natürlich ließ Fräulein Auguste den Russen herbeirufen, daß er sich auch hier als fingerfertiger Tausendkünstler bewähre. Iwan stellte sich ohne Säumen ein und ging lustig ans Werk. Der Landrat, mit dem gerechten Stolze des Landmannes, der die Produkte seiner Fluren liebt, ließ die glatten, vollen Körner, unter denen auch nicht ein Stäubchen Spreu oder Unkrautsamen sichtbar wurde, noch einmal durch seine Finger gleiten, ehe das letzte Tönnchen verschlagen wurde. Dann sagte er zu Iwan: »Jetzt den Deckel darauf, mein Junge!«

Nach getaner Arbeit klopfte er ihm auf die Schulter, schenkte ihm einige Groschen und entließ ihn huldreicher als je.

Desto auffälliger erschien es Augusten, daß beim Abendessen, wie das Gespräch auf den Russen kam, der Vater nur kalt und einsilbig darauf einging und es sogleich wieder fallenließ. Doch sie war schon daran gewöhnt, den durch sein Amt Vielgeplagten bisweilen verdrüßlich zu sehen, und dann schwieg sie, wie eine vernünftige Tochter.

Als aber späterhin im Laufe des Winters jedesmal, wenn zufällig Iwans Name genannt wurde, der Landrat ein finsteres Gesicht zeigte und einige Male ungeduldig ausrief: »Verschone mich mit deinem Russen!«, da wurde es der Engelguten doch bedenklich, und sie wagte einen Sturm auf des Vaters Herz, damit sie herausbringe, was gegen ihren Schützling darin stecke. Und da ergab sich denn folgendes, was wir aus des Landrates eigenem Munde vernehmen wollen, wenn wir ihn sprechend einführen.

»Sieh, liebes Kind, die Russen stehen allgemein in dem Rufe, daß ihnen, was mein und dein gilt, nicht recht zu trauen sei, und ich selbst habe noch aus den Kriegsjahren manche unangenehme Erinnerung daran bewahrt. Diese bemühete ich mich zu vergessen, als ich deinem Wunsche und deiner Bitte gemäß für Iwan tätig war. Ich hielt den Burschen wirklich für dankbar und treu; darum kränkt es mich jetzt doppelt, mich auch in ihm getäuscht zu haben. Er ist ein Dieb und hat mich auf sehr empfindliche Weise bestohlen. Wär es Geld oder irgendein zu ersetzender Gegenstand, den er mir genommen, so wollt ich gar nicht davon reden. Doch er entwendete mir den Ring, den deine selige Mutter trug und den ich ihr vom Finger zog, ehe die begraben wurde; einen einfachen goldenen Reif mit einem großen Diamanten, wie du weißt. Ich legte diesen, als wir beide mit dem Iwan auf der Tenne standen, wie ich in dem Leinsamen wühlen und mich von dessen Reinheit überzeugen wollte, ehe die Fässer geschlossen wurden, auf einen Balken und vergaß, ihn gleich wieder anzustecken. Kaum war der Bursche fort, so fiel es mir ein; ich ging zurück, noch hatte außer ihm und uns niemand sonst die Scheune betreten – der Ring war verschwunden. Wär es ein Hiesiger, der die unverschämte Tat verübte, ich würde sogleich Anstalten getroffen und das Kleinod gewiß noch zu rechter Zeit gefunden haben. Bei ihm aber, wo auch der leiseste Argwohn, nur angedeutet, seine ganze Existenz zerstören muß, machte ich mir ein Gewissen daraus – und schwieg. Ich will auch schweigen, bis er sich – und das wird, fürchte ich, nicht ausbleiben – eines zweiten Diebstahls schuldig macht. Ein Herz kann ich natürlich nicht mehr zu ihm haben; das wirst du begreiflich finden.«

Auguste erwiderte traurig: »Bist du auch gewiß, Vater, daß du dich nicht etwa irrst? Mir ist so, und ich wollte darauf schwören, ich hätte, als du zum letzten Male durch die Leinsaat fuhrst, den Stein an deiner Hand zwischen den Körnern blicken sehen.«

Der Landrat sagte nur: »Desto besser, mein gutes Kind. Wohl ihm, wenn er unschuldig wäre; doch mein Vertrauen hat er nun einmal verloren.«

Und dabei blieb es. Ohne daß der Vater, noch weniger die Tochter, irgendeinem menschlichen Wesen auch nur eine Silbe dieses Verdachtes mitteilten, schwebte derselbe dennoch wie eine graue Nebelwolke über Iwans Haupte. Seine Hausgenossen, seine Arbeitsgenossen, das ganze Dorf, alle, die ihn kannten, fühlten, daß es nicht mehr mit ihm stand wie sonst. Niemand vermochte sich Rechenschaft von diesem Wechsel zu geben; er selbst am wenigsten, den er am schmerzlichsten traf, den er tief darniederdrückte. Es gab Stunden, wo er sich wieder im Kerker zu Riga wähnte; Träume, wo er vor Durst verschmachten glaubte! Und wußte doch nicht warum!

Susanne Lahr, des Zimmermeisters hübsches Kind, war die einzige, die sich gegen ihn durchaus nicht veränderte; deren liebendes Vertrauen nicht beunruhigt wurde von der bangen Schwüle um ihn her. Sie glich in ihrer Art Othellos Desdemona und der Russe in seiner Art dem Mohren von Venedig – versteht sich: ohne Anlagen zur Eifersucht. Sie ließ sich zum neunundneunzigsten Male die Geschichte seiner Leiden vorerzählen und wurde nicht satt, zum hundertsten Male darum zu bitten. Sie liebte ihn, weil er Gefahr bestanden, er liebte sie um ihres Mitleids willen – und wohl auch nebenbei, weil sie ein allerliebstes, reinliches, munteres Suschen war.

Ihr Anblick blieb ihm Licht, blieb ihm Sonne im Dunkel seiner neuen Prüfung.

Und es ward wiederum Sommer – Iwan trat in sein vierundzwanzigstes Lebensjahr, aber auch der Sommer brachte diesmal nichts Gutes. Ein regnichter, naßkalter Sommer. Die Saaten ersoffen, die Ernten mißrieten. Auch in Schmollwitz. Alle Landwirte in der Umgegend klagten; nur Augustens Vater nicht. »Es müssen auch schlechte Jahre kommen!« sagte dieser gefaßt. Auguste hatte diese Fassung nicht. Sie jammerte laut, daß auch ihre Leinwirtschaft zugrunde gegangen sei. Denn ihrer Obhut waren die sogenannten »Deputatbeete« anvertraut, auf denen das Hofgesinde samt allen alten Witwen und Auszüglerinnen die Leibwäsche und das Bettzeug künftiger Jahre pflegen, jäten, erziehen, raufen, dörren, dann in Flachs verwandeln, zu Garn spinnen, zu Leinwand verweben sollten und welche deshalb von der großen, durch den Rips veranlaßten ökonomischen Umwälzung unberührt geblieben waren. Auch diese Ernte war gänzlich zu Wasser geworden, und so erbärmlich stand es damit, daß nicht einmal die fürs nächste Jahr nötige Aussaat erschwungen werden konnte. Da blieb denn dem Landrat nichts übrig, als ein Tönnchen Leinsamen zu verschreiben, was ihm lächerlich vorkam, weil er im vorigen Jahr seinen Überfluß als unnütz verkauft hatte. Doch, wie er sich in alles zu finden verstand, erwiderte er Augustens Klagen mit dem Trostspruche: »Die Handelsleute wollen auch leben!« und bestellte bei einem für diese Artikel bestens berufenen Kaufmann in der Hauptstadt eine Tonne echter rigaischer Leinsaat, welche bekanntlich für die vorzüglichste gilt. Die Ankunft derselben wurde seitens des Kaufmannes spätestens bis Neujahr verheißen, und sie traf pünktlich ein; seltsam genug an demselben Tage, wo der Zimmerlehrbursche, dessen Schicksale in Riga uns beschäftigst haben, zum Gesellen gemacht und freigesprochen wurde. Es war für unsern Iwan kein Festtag, denn er verstrich unter dem düstern Schatten herrschaftlicher, wenn auch nicht ausgesprochener, doch allgemein geahnter Ungunst. Meister Lahr, seines lieben Suschens Empfindungen im väterlichen Herzen nachempfindend, faßte den Entschluß, zum Landrate zu gehen und dreist von der Leber weg mit ihm zu sprechen: Iwan habe im verflossenen Sommer sein Vierundzwanzigstes zurückgelegt, sei zu ihrer Kirche übergetreten, sei nun frei, ein tüchtiger Geselle; nichts Böses könne ihm nachgesagt werden; Suschen hänge an ihm, er an ihr... und was denn der gnädige Landrat wider ihn habe, daß er ihn ungnädig ansehe und aus seiner Huld verstoße?

Nach langem Zögern fiel zuletzt doch das Wort der harten Anklage, wodurch Meister Lahr sehr betrübt wurde und sich schweigend zurückzog. Der redliche Arbeitsmann glaubte nicht an des Russen Schuld. Aber ihm stellte sich auch kein Mittel dar, den Beschuldigten zu reinigen; mindestens nicht in den Augen desjenigen, ohne welchen an eine mit so vielen Schwierigkeiten verbundene Bewilligung zur Verheiratung des nur aus Nachsicht geduldeten Überläufers durchaus nicht zu hoffen war. Er empfahl den Liebenden Geduld – schwieg – und grämte sich mit ihnen.

Und es kam abermals ein Frühling.

Die Lerchen stiegen singend empor und ermahnten den Landmann, seine Sommersaaten zu bestellen. Auguste betrieb eifrig die Bearbeitung der ihrer Obhut anvertrauten Leinbeete. Wie in einem sorgfältig gepflegten Garten, so wohlbestellt durch Pflug und Egge, prangten die schmalen langstreifigen Deputatäcker. Dem Vogt in eigener Person wurde der »echte rigaische Leinsamen« zur Aussaat überantwortet.

An einem schönen Tage ging der geübte Sämann zum Werke. Heimkehrende Strichvögel begleiteten sein Tun mit fröhlichen, Glück und Gedeihen versprechenden Liedern. Doch der Beete waren viele, und des Vogts sichere Hand durfte nicht ruhen, sollte vor Einbruch des Abends das letzte Körnchen in den Boden gelangen, grüner Auferstehung entgegenzuschlummern.

Die Zimmergesellen kehrten vom Bauplatze heim, wo sie im nächsten Dorfe gearbeitet hatten. Iwan schlich mit gesenktem Haupte hinter ihnen her, ohne um sich zu schauen; denn sie zogen beim Hofe vorüber, und der Landrat mit Augusten stand am offenen Einfahrtstore, neben ihnen der Vogt. Iwan machte lange Schritte; im Schutze der Dämmerung hoffte er unbemerkt vorüberzukommen. Da hörte er sich angerufen. Es war des Gutsherrn kräftige, gebietende Stimme, die ihm näher zu treten befahl, und er mußte gehorchen. Schon von weitem streckte ihm der Landrat die Hand entgegen: »Hieher, mein Junge, zu mir heran, daß ich dich rechtfertige, daß ich dir eine Ehrenerklärung gebe, daß ich dich vor meinen Leuten um Verzeihung bitte. Diesen Ring habe ich vermißt, seitdem du auf der Tenne jene Fässer mit Leinsamen zur Verschickung fertig gemacht. Dich habe ich für den Dieb gehalten. Meiner Tochter Einwendungen ließ ich nicht gelten, wollte ihr nicht glauben, daß sie den Stein schon wieder an meinem Finger blitzen gesehen, als ich zum letzten Male mit der Hand in den Körnern wühlte. Unter diesem ungerechten Verdachte hast du gelitten, ohne Schuld, ohne zu wissen wofür. Der Himmel ist mit dir, Iwan. Mein Vogt fand in seiner Schürze, als er die letzten Würfe bei der Aussaat tun wollte, diesen Zeugen deiner Schuldlosigkeit. Nicht aus Riga ist die Sendung gekommen; der Kaufmann hat mich betrogen; meiner eigenen Felder Ernte hat man mir als fremde wiederverkauft. Doch diese kleine Täuschung sei gesegnet, wie tief sie mich auch beschämt. Sie gibt dir deine Ehre zurück; sie legt mir die heilige Verpflichtung auf, dir ein Vater zu werden; für dich zu sorgen wie für einen Sohn. Wer keine Wunder glaubt, der vernehme diese merkwürdige Begebenheit und lerne in dem, was er Zufall nennen wollte, ewige Fügungen verehren. Gehe, Iwan, gehe zu deinem Meister; sage ihm, was geschehen; stecke diesen Ring – meine unvergeßliche Gattin trug ihn – an Suschens Hand, feiert eure Verlobung – und Auguste, meine Tochter, wird eure Brautjungfer sein.«

 

Am ersten Sonntage im Februar wurden aufgeboten als christlich Versprochene, so gesonnen sind in den Stand der heiligen Ehe zu treten: »Iwan Riga, wohlehrsamer Zimmergeselle dahier, mit tugendbelobter Jungfrau Susanne Lahr, des wohlehrsamen Zimmermeisters Lahr einziger Tochter. Gott gebe ihnen seinen Segen!«

Der Landrat und Auguste sagten: »Amen!« Und die ganze Gemeinde stimmte voll Rührung ein.

Und sie sind glücklich.


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