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In tiefer Bergschlucht dicht an der Landesgrenze liegt ein Stein- und Schutthaufen, den die Bewohner kleiner Hütten im Gebirge »Ruine der Kröten-Mühle« nennen. Zerstört sind jene Dämme, welche einstmals den muntern Bach zu seiner Pflicht geleitet haben; leer und sumpfig, von struppigem Schilfrohre umwachsen, ist der Mühlteich ein Tummelplatz neckender Irrwische und ein Lustort hundertjähriger Kröten geworden, die in lauen Sommernächten, aus dem zerbröckelnden Gestein der Ruinen kriechend, ihren alten Kellerstaub abschüttelnd, sich im Schlammboden verjüngen. Drohend, als könne er bei jedem Donnerschlage, welcher durch die Berge nachdröhnt, herabstürzen und den blauen Sumpf bedecken, ragt ein schroffer Felsenvorsprung weit herüber. Wer den selten betretenen Fußpfad entlang an dieser Stelle vorbeiwandelt, sucht einen Umweg zu machen, um der verrufenen Stätte so weit als möglich auszuweichen; und kein Bergbewohner, wenn er bei Mondenschein in die bedenkliche Gegend kommt, wird es wagen, seinen Blick zu jener Grotte zu erheben, welche sich über der Ruine im Felsenvorsprung zeigt, denn Jeder befürchtet, eine weiße Gestalt zu schauen, die mit lockenden Geberden bisweilen am Eingange der düsteren Grotte stehen soll. Alles nun, was sich als Sage an die Kröten-Mühle und deren Andenken knüpft, will ich Dir, lieber Leser, jetzt erzählen. Ich weiß wohl, daß wir in einem Zeitalter leben, wo der dunkle und thörichte Aberglaube, wie er noch vor einem halben Jahrhundert aus Kinderstube und Ammenmund ertönte, siegreich beseitigt ist; ich weiß, daß wir sämmtlich höchst aufgeklärte, wissenschaftlich gebildete Leute sind, die mit Dampfwagen fahren und zu Gespenstergeschichten nur mitleidig lächeln; ich weiß, daß wir wissen, wie Alles zusammenhängt, was unsere Vorfahren in Erstaunen setzte, und weiß, daß unsere Knaben, die Cigarre im Munde die Brille auf der Nase und die Kuffe mit bayrischem Bier vor sich auf dem Tische, über Nichts mehr erstaunen können, weil das Bier sie ermuthigt, die Brille ihre Einsicht schärft und der Glimmstengel jedes Dunkel erleuchtet! Aber ich weiß auch, daß trotz aller Technik, Mechanik und Physik, trotz aller Frühreife und Altklugheit die Träume jener Kinderstuben und Ammenmärchen oft noch ihr altes Anrecht auf das Menschenherz behaupten; weiß, daß des Wunderbaren Macht und Gewalt gelten wird, so lang' es unaufgelöste Räthsel um uns, über uns, unter uns giebt; und weiß endlich, daß die Weisesten ohne Scheu eingestehen, wie das höchste Ziel ihres Erkennens in dem offenen Bekenntniß liegt, über das Wichtigste Nichts zu wissen.
Und so möge denn auch mein Märchen von der schönen Grethe seinen Platz finden. Es dreht sich um einen Aberglauben, der so alt ist, als die Geschichte; der unter verschiedenen Formen und mit wechselnden Gebräuchen immer und überall wiederkehrt, und der (wenn schon im Stillen!) vielleicht mehr gläubige Anhänger zählt, als glaublich scheint.
Margarethe, die Müllerin, war des alten Müllers Pflegekind gewesen und in des Greises spätesten Tagen sein junges Weib geworden. Dunkle, kränkende Gerüchte lasteten auf jenem ungleichen Bündniß; denn in den Bergen flüsterte man sich zu, Grethe sei des Müllers leibliche Tochter. Ein altes, häßliches Zigeunerweib – welches denn freilich zu seiner Zeit auch ein Mal jung und hübsch gewesen, wie Zigeunerinnen es oftmals sein sollen – habe dem Vater sein Kind vor die Mühle gelegt, und dieser habe in einem Zeitraume von sechszehn Jahren vergessen gelernt, wer des Kindes Mutter und was sie ihm gewesen! Aber das Gerücht blieb Gerücht. Niemand wußte nähere Auskunft darüber zu geben; Einer wollte es vom Andern gehört haben; jeder Beweis, jedes nähere Anzeichen fehlte. Zudem war der alte Müller reich, und so saß er unangefochten in seinem steinernen Hause, verschanzt wie in einer kleinen Burg, und achtete des Geschwätzes nicht. Alles, was Gut und Geld dem irdischen Menschen gewähren können, das gewährten sie ihm, und er wußte es wohl zu schätzen. Er pflegte seines Leichnams so sorgfältig, daß er lange rüstig blieb und an des jungen Weibes Seite noch gar manchen Jüngeren beschämte. Auch hing die Hausfrau an dem alten Eheherrn, den sie einst Vater genannt; ja, sie nannte ihn schmeichelnd noch immer »Väterchen« und blieb ihm darum nicht minder treu in Gedanken und That. Beide galten für glücklich und wurden nicht weniger beneidet, als verlästert; was sich gewöhnlich vereint, bis denn die letzte Stunde dem Glück des Müllers ein Ende machte. Es mag ein schweres Ding sein um diese letzte Stunde, und Denen, die da Ursache haben, zu fürchten, daß sie bei dem Tausch, der ihnen bevorsteht, nur verlieren können, doppelt schwer. So ging es auch bei Grethens väterlichem Gatten. Er konnte sich gar nicht losreißen vom Leben und von seines schönen Weibes thränenfeuchtem Antlitz; schon sterbend raffte sich der zähe, willensstarke Mann ein um's andere Mal zusammen und sprach es geradezu aus, er möge noch nicht sterben! seine Zeit sei noch nicht kommen! der Tod solle sich zum Teufel scheeren! Ein paar Stunden lang ließ sich der Tod auch wirklich in's Bockshorn jagen und trat aus Rücksicht für den Muth des Sterbenden vom Kopfkissen zurück. Aber als der Alte, von Margarethens Lippen zur Ruhe geküßt, sich so weit vergaß, in einen erquickenden Schlummer zu sinken, da hatte er verspielt. Er wachte nicht mehr auf; Margarethe hielt eine kalte Leiche im Arm, und der Tod lachte sich in's Fäustchen.
Nun war Grethe eine junge, schöne, reiche Wittwe. Der Müller, ohne sonstige Verwandte, hatte ihr sein ganzes Besitzthum hinterlassen. In der Mühle ging Alles seinen alten Gang; die Mühlburschen versahen ihre Arbeit, wie sie's bisher gethan, weil der Alte, seitdem er verheirathet gewesen, sich nur um die Frau bekümmert; und diese ließ Alles gehen, zählte die blanken Goldstücke, die jetzt ihr eigen waren, und tröstete sich schnell. Freilich, nachdem sie erst getröstet war, fing ihr die Zeit entsetzlich lang zu werden an. Goldstücke mochte sie nicht immer zählen; als der Vorrath erst einige Male durchgezählt war, fand sie keine Freude mehr daran. Ja, sie fühlte beim Anblick der blinkenden Münzen ein wachsendes Unbehagen und fragte sich wohl gar: was hilft mir all' der Reichthum, wenn ich mir keine Freude dadurch zu erkaufen weiß? Ein Tag verstrich wie der andere; Niemand wagte sie, die Herrin, zu schelten; Niemand wagte sie zu liebkosen. Und an Beides war sie vom Verstorbenen her so gewöhnt. Umgang mit Leuten aus dem Gebirge hatte sie, so lange sie verheirathet gewesen, nicht gepflogen; ihr Gatte hatte durch sein barsches, zurückstoßendes Wesen auch diejenigen fern zu halten gewußt, die um eines guten Trunkes und eines fetten Bissens willen der öffentlichen Meinung gern Trotz geboten und mit den Müllersleuten Verkehr gehabt hätten. Ihre Mägde waren plump, dumm und roh; mit denen wollte sie Nichts gemein haben. Die drei Mühlburschen hatten sich niemals erdreisten dürfen, ein Wort an sie zu richten; das hätte der Meister übel vermerkt. Sie thaten es auch jetzt nicht, und nur der Aelteste von ihnen, der eigentlich das Wort führte, redete mit ihr, was unumgänglich Noth that, von der Arbeit; nicht eine Silbe darüber. Er war ohnedies ein zurückhaltender, einsilbiger Kerl, ein Ausländer, Horrja mit Namen. Keines Menschen Freund, war er gegen die jüngeren Gesellen streng und ernst und blieb es auch gegen seine Gebieterin. Dennoch hätte, wer sich darauf versteht, in eines finstern Mannes Auge zu lesen, nicht selten Seitenblicke wahrnehmen können, die der schweigende Horrja auf Frau Grethe warf, wenn er sich unbelauscht wähnte; Blicke, die Funken zu sprühen schienen und bei äußerer Kälte und Gleichgültigkeit wildes, inneres Feuer verriethen. Jakob und Ulrich waren ein paar hübsche, muntere Jungen; nur schüchtern und verzagt, wenn der Altgesell in ihrer Nähe sich befand; und still und schweigsam, wenn sie befürchten mußten, von ihm gehört zu werden. Nicht gar lange vor des Alten Ende aufgenommen, fühlten sie sich noch immer nicht recht heimisch in dem unfreundlichen Steingeklüft. Ja, sie wären schon längst auf- und davongegangen, hätte nicht der Frau Müllerin Anblick sie festgehalten. So 'was Schönes hatten die armen Jungen noch niemals gesehen; meinten auch durchaus nicht, daß es auf Erden etwas Schöneres geben könne! Und vielleicht hatten sie so Unrecht nicht. Beide blieben oftmals bei der Arbeit stehen, wie die Bildsäulen, wenn Margareth in ihrer leichten Haustracht an ihnen vorüberging, und standen dann, ihrer fünf Sinne unmächtig, so lange, bis Horrja's scheltende Stimme sie wieder in's Leben rief. Dabei waren sie gegenseitig die besten Freunde und vertrauten in kindischer Offenheit Einer dem Andern die bittersüßen Gefühle, denen sie zum Opfer wurden. Jakob war blond und weiß, wie ein Mädchen, mit blauen Augen; Ulrich trug braune Locken und hatte lebhafte, braune Augen, sonst sahen sie sich ähnlich wie Brüder, und man hielt sie wohl auch dafür. Beide gingen nach einem Schnitt gekleidet, waren von einer Größe und Gestalt, aßen aus einer Schüssel, schliefen in einem Bett und theilten ein Liebesleid. Daß ihrer Zwei waren, und daß diese Zwei nur Einer zu sein schienen, immer unzertrennlich, bei der Arbeit, beim Mahl und bei der Ruhe, das mag wohl die schöne Grethe verhindert haben, Einem von ihnen manchmal ein freundlich aufmunterndes Wort zu gönnen; wozu sonst die Einförmigkeit ihres abgetrennten Daseins und die quälende Leere ihres Herzens sie getrieben haben würde, obschon sie die Meisterin war und die armen Jungen ihre Diener. Ja, hätte Einer von Beiden Muth fassen mögen, ihr sein Herz zu gestehen, gleichviel welcher, sie wäre gewiß nicht unempfindlich geblieben. Aber eher hätten sie ja den Kopf zwischen die Mühlsteine gesteckt, gerade wenn der Bach am heftigsten trieb.
Nun war einmal in der Mühle Nichts zu thun; denn es war Sonntag und um die Mittagsstunde, wo Gottes Sonne über den Fluren glüht und auch in die Bergschluchten wärmend dringt, und wo Mensch und Thier zu ruhen lieben. Die Mägde saßen reingewaschen und vollgegessen vor der Hausthür und legten die Hände in den Schooß.
Frau Margareth schlich, gelangweilt und verdrießlich, langsamen Schrittes der Laube zu, wo sie sich gähnend auf eine Rasenbank streckte, zu versuchen, ob es ihr gelingen möchte, den ewig langen Tag um ein verschlafenes Stündchen zu täuschen. Da hört sie, eben wie sie zu schlummern beginnt, hinter sich Tritte und erkennt die Stimmen der jungen Freunde Ulrich und Jakob, die sich, von dichten Büschen umgeben und ohne der Frau Meisterin Nähe zu ahnen, neben einander auf's weiche Gras legen. Ihr leises Gespräch wird fast vom Summen der Bienen übertönt, welche zu ihrer süßen Arbeit singen, und die schöne Schläferin will schon jenem sanften Schlummerliede nachgeben, als plötzlich durch die Blätter ihr Name an ihr Ohr schlägt. Das macht sie munter, und nun horcht sie emsig auf. Da vernimmt sie denn mit bangem Erstaunen, welche glühende Leidenschaft für sie und ihre Schönheit in zwei jugendlichen, unschuldigen Herzen lebt! Vernimmt mit noch größerem Erstaunen, daß zwei so entschiedene Nebenbuhler zugleich so innige, vertraute Freunde sein und sich Lieb' und Leid aufrichtig gestehen können. Ihr wird gar seltsam um's Gemüthe. So nahe bei sich weiß sie nun die Neigung, nach der sie, wie nach etwas Fernem, Unerreichbarem, sich in langen, unruhigen Nächten vergebens gesehnt hat. Und sie versucht in ihrer Einbildungskraft die Burschen, deren Flüstern sie fortwährend hört, mit einander zu vergleichen, ihr Aussehen sich vor's innere Auge zu rufen; gleichsam zu prüfen, welchem der Vorzug gebühre. Vergebens! Die jugendlichen Gestalten verschwimmen in einander; braune und blonde Locken verwirren sich, blaue und dunkle Augen strahlen von einem und demselben Feuer; und kein bestimmtes Bild vermag die sehnsüchtige Träumerin gesondert festzuhalten. Da richtet sie den im matten Thränenthau schwimmenden Blick, als ob sie von oben herab Klarheit suchte, durch die Blätter empor in's Blaue, und siehe: in den Aesten der alten Tanne, die ein Dach hoch über ihrer Laube bilden, sieht Margareth den finsteren Horrja sitzen, und wie ihre Augen den seinen begegnen, wird es ihr deutlich, daß er jenen gefährlichen Sitz mühsam erstieg, um sie, die Schlummernde, gierig zu belauschen. Hatten die Bekenntnisse der harmlosen Jungen wehmüthige Theilnahme bei ihr erweckt, so erfüllt Horrja's wilde Keckheit sie mit Furcht und Widerwillen. Zornig springt sie auf und verläßt die Laube.
Von diesem Tage an ward ihr Zustand um so peinlicher, je unliebenswürdiger Horrja mit seinem listig-tückischen Lächeln ihr erschien, und je weniger sie im Stande war, Ulrich und Jakob in ihrem Herzen von einander zu trennen. Sie hätte so gern, wär' es auch nur ein Spiel des Augenblicks geworden, mit Einem von Beiden angebunden; aber immer, wenn sie im Begriff stand, sich für Diesen zu erklären, trat Jener dazwischen – und so umgekehrt. Sie wähnte Beide zu lieben und liebte darum Keinen. Im Hause, im Garten fand sie nicht Ruhe mehr. Da nahm sie manchmal ihres seligen Herrn Rohrstab in die Hand, setzte einen großen Strohhut auf, machte den greisen Sultan, den ältesten der Mühlenhof-Hunde, von der Kette los und stieg, von diesem begleitet, in den Bergen umher. Sultan war zu seiner Zeit ein wildes, böses Thier gewesen. So lang' er Zähne hatte, durfte kein Mensch ihm nahe kommen außer der kleinen Grethe. Jetzt war er alt, schwach und gebrechlich; des Lebens satt lag er in seinem Hause; nur wenn die Frau rief, erhob er sich, und mit ihr gehen zu dürfen fand er seine Kräfte wieder. Auf einer dieser Wanderungen, wo sie nur selten einem menschlichen Wesen begegneten, denn die schöne Wittwe suchte stets abgelegene Stellen, blieb Sultan plötzlich vor einem Strauche stehen und wandte seiner Gebieterin einen bittenden Blick zu, in welchem zugleich etwas Warnendes lag. Grethe begriff nicht, was dem sonst so wüthigen Thiere begegnet sei, und rief ihn vergebens an, in den Strauch vorzudringen. Je lebhafter, sie rief, desto ängstlicher zog sich Sultan zurück. Als aber eine kreischende Stimme aus der Hecke heraus seinen Namen rief, kehrt' er auf der Stelle um und rannte, so rasch als seine alten Beine ihn tragen mochten, mit eingeklemmtem Schwanze und bangem Geheul auf und davon. Während Grethe vergebens hinter ihm her schrie, theilten sich die Dornengesträuche, und ein scheußlich anzusehendes altes Weib kroch hervor. Herrlich, meine Tochter, sprach die Alte, daß Du zu mir kommst; Du ersparst mir einen unnützen Gang; ich war auf dem Wege zu Deiner Mühle. Wittwe bist Du? Das ist gut! Du bist schön! Bist Du auch glücklich? – Wer seid Ihr? stöhnte Grethe kaum hörbar, daß Ihr mich Tochter nennt? – Wer ich bin? Je nun, ein altes Weib. Daß ich Dich Du nannte? Ei, sagen nicht alte Leute oftmals zu jungen: mein Sohn!? Meine Tochter!? Das ist so eine leere Redensart. Manchmal bedeutet sie was – aber das geht Dich Nichts an! Hab' keinen Kummer; fürchte Dich nicht vor mir. Ich begehre Nichts von Dir! Du bist reich, ich weiß wohl. Aber ich bin reicher als Du, denn ich brauche Nichts. Brauche Nichts von Dir. Vielleicht brauchst Du ein Mal mich und meine Hilfe! Deshalb wollt' ich zu Dir kommen, schon seitdem Du Wittwe bist. Nur nah' ich ungern der großen Mühle. Heisa, der Alte ist todt! Und wie steht es, Töchterchen, um einen Jungen? Wenn Du mein bedarfst, so ruf' mich. Hier oben findest Du mich, immer von Sonnabend zu Sonntag um zwölf Uhr in der Nacht! Hörst Du, Grethchen, Fleisch von meinem Fleisch! Wenn Du mich brauchst, – denn ich vermag den Liebestrank zu bereiten! – wenn Du mich einmal brauchst. Du weißt nun, wo Du mich findest! Rufe nur dreimal: Sibylle! Und Mutter Sibylle wird da sein! Mit diesen Worten verkroch sich die Alte wieder im Gebüsch, wo sie Grethe's Blicken bald entschwand. Unterdessen war es fast dunkel geworden. Von streitenden Empfindungen gepeinigt trat die Wittwe den Rückweg an. Dunkle Träume ihrer frühesten Kindheit, vereinigt mit den Erzählungen und Anspielungen jener Mägde, die vor länger als zehn Jahren in der Mühle gedient, beunruhigten sie und schienen dieser unerwarteten Begegnung eine niederschlagende Deutung geben zu wollen. Als sie den Hofraum betrat, kam Sultan, der sie so feig und treulos verlassen, ihr wieder in's Gedächtniß. Sie ging vor seine Hütte und nannte ihn bei Namen. Ein dumpfes Gewinsel tönte heraus. Und als sie noch einmal »Sultan« rief, schleppte sich der sterbende Hund mühsam bis zu ihren Füßen, that einen tiefen Athemzug, als wollt' er heulen, – und war todt. Mußte sie doch weinen um ihn, und Jakob und Ulrich, als sie die Frau Meisterin weinen sahen, weinten redlich mit; gruben auch dem Dahingeschiedenen ein Grab im Garten, schön und tief, wie sich's nur ein vornehmer Herr wünschen könnte, wo sie der Bestie ordentlich anständig die letzte Ehre erwiesen; Alles der Frau Meisterin zur Lieb' und Ehre. Mit dieser jedoch stand es jetzt heftig schlimm und alltäglich schlimmer. Die Sibylle wich ihr nicht mehr aus dem Kopfe, so wenig als die Liebessehnsucht aus dem Herzen weichen wollte, und das junge, blühende Weib fing an zu kränkeln vor lauter Fülle der Gesundheit. Seitdem Sultan todt und begraben war, wagte sie auch nicht mehr in die Berge zu klettern, um so weniger, weil sie der alten Sibylle wider Willen zu begegnen fürchtete. Sollte jene Mißgestalt, sagte sie, während sie sich und ihre unbezweifelten Reize betrachtete, oftmals zu sich selbst, wirklich meine Mutter sein können? Sollten die Mägde mit ihren heimlichen Neckereien Recht gehabt haben? Sollte gar mein verstorbener Eheherr ..., hier überkam sie ein inneres Entsetzen und tödtete für ein Weilchen jede Lebenslust und Liebeshoffnung, bis sie dann mit leichtem Sinn und warmem Blute die drohenden Warnungen wieder in den Wind schlug und in Sibyllens Anrede Nichts weiter mehr finden mochte, als den Unsinn einer halb Wahnwitzigen. Im Uebrigen geschah nichts Neues. Der Sommer grünte und blühte ruhig fort, ein Tag folgte dem anderen, die Mühlräder drehten sich, die Forellen blitzten im Bergwasser hin und her, die Amseln und Drosseln schwatzten in den Erlenbüschen, die Mägde fraßen, wuschen und schliefen, Horrja schielte mit gierigen Blicken lauernd nach Margarethen, Ulrich und Jakob klagten sich ihrer Herzen Wund' und Weh', – und die Müllerin konnte nicht in's Klare mit sich kommen, welchen von Beiden sie hübscher fände. Schon fingen die großen Haselnüsse zu reifen an, und sie wußte immer noch nicht, woran sie mit ihrer Liebe war. Und weil sie vor Bergen und Felsen jetzt dunkle Scheu hegte, zog sie vor, im Thale hin zu schlendern, wo Gottes Natur sanfter waltete, und wo sie wohl auch den Leuten begegnete, die nach der Mühle mit Körnern oder sonst ihres Weges wandelten; vor denen sie aber doch – als wäre sie sich bitterer Schuld bewußt – erröthend die Augen niederschlug. Am liebsten waren ihr die frühen Morgenstunden, die voll erfrischendem Athem ihre heiße Brust kühlten, wenn sie, dem einsamen Lager entflohen, unbemerkt aus der Mühle schlüpfen und mit ihren kleinen, sauberen Füßen den Thau vom Grase streifen konnte. Stieg dann der Tag höher und senkte er sich wärmer in's Thal, da suchte sie ein stilles, umwachsenes Schattenplätzchen, wo sie sich recht unbemerkt ausweinen mochte. In solcher Einsamkeit fand sie Trost, der ihr nur getrübt wurde, sobald ein schelmischer Vogel durch's Gebüsch rauschte, und dann die Furcht, Sibyllens Antlitz werde jetzt gleich aus den Blättern hervorgrinsen, ihren Gedanken eine traurige Richtung gab. Wie aber geschah der Aermsten, als nun wirklich einmal die Zweige sich theilten und wirklich ein menschliches Angesicht ihr entgegen schaute! Doch Sibyllens war es nicht. Denn trug diese garstige Hexe auch schon den Anflug eines dunklen Bartes unter ihrer krummen Nase, so schien der Bart, den Margarethe jetzt erblickte, von ganz anderer Gattung, wie er sich so glänzend und zierlich gehalten über dem schönsten Munde wölbte, aus dem zwei Reihen perlengleicher Zähne freundlich herauslachten. Und bald folgte diesem Barte, diesem Munde, diesem edlen Kopfe der ganze Mensch in Gestalt des herrlichsten Jünglings, den sich ein junges Weib nur denken, wie sie ihn nur in ihren kühnsten Träumen sich selbst erschaffen könnte. Der stand vor ihr und sah sichtlich überrascht auf das Müllerweib im grünen Grase. Sie wollte eiligst aufstehen, aber vermochte es nicht, und als sie sich nur halb erhoben, blieb sie, auf ihrem Arm gestützt, regungslos, den Fremden anstarrend, wie wenn er ein Wesen höherer Gattung wäre, vor dem Sterbliche in Ehrfurcht verstummen müssen.
»Solche Geschöpfe wandeln auf dieser Erde umher? Solche Männer giebt es?« Das waren die Gedanken, die in ihr aufdämmerten; in ihr, welche außer dem verstorbenen Gatten und seinen Gesellen nur unsaubere Landsleute gesehen und in Ulrich und Jakob bisher den Inbegriff männlicher Schönheit vermuthet hatte. Seinerseits dachte wieder der Fremde: »Solche Blumen blühen in diesem vergessenen Thale? Solche Weiber leben unter Zigeunern?« Denn für eine Tochter dieses ausgestoßenen Stammes war er geneigt seine unerwartete Begegnung zu halten, und er warf die Blicke rechts und links, jene Gefährten suchend, welche die Bande bilden möchten. Doch war ihre Kleidung so bürgersam-ländlich, einfach und rein, ihr Wesen so bescheiden-schüchtern, ihre verschämte Angst so ausdrucksvoll und wahr, daß er mit artigen Fragen nach ihrer Heimath und Herkunft forschte. Da kam denn bald ein zierlich Gespräch in Gang, und ehe sich's Grethe versah, saß der schöne Herr plaudernd neben ihr auf dem Rasen. Sie mußte ihm ihr ganzes Leben erzählen, und sie that es mit einer Offenheit, die den Hörer entzückte, wobei sie freilich mit angeborner Schlauheit jede Aeußerung zu umgehen wußte, die an die Geheimnisse ihrer Herkunft und Ehe, oder gar an ihre Furcht vor der alten Sibylle erinnert haben würde.
Horrja jedoch sammt seiner verbissenen und fast tückischen Leidenschaft, so auch Jakob und Ulrich mit ihrer verschwiegenen und doch vielberedten Liebe, nebst allem Zubehör eigener Seelenkämpfe wurden treulich beschrieben. Wer hätte einer so reizenden Sprecherin widerstehen können, wär er auch zehnmal Bräutigam der schönsten und vornehmsten Braut gewesen? Wer hätte nicht, unmerklich näher rückend, Schulter an Schulter gedrängt und von der bezaubernden Erzählung, wie von einem idyllischen Gedicht hingerissen endlich die weiße, weiche Hand der Erzählerin sanft ergriffen, um in bebendem Drucke und zitterndem Gegendruck den Gang der kleinen Mühlengeschichte theilnehmend zu begleiten? Als nun Margareth mit der Schilderung ihrer Zustände bis auf den heutigen Tag, bis auf die jetzige Stunde gelangt war, da hielt sie forschend inne, als wolle sie dem holden Nachbar sagen: nun bin ich fertig, und was weiter mit mir werden soll, das hängt von Dir ab. Ich kann Dir meine Geschichte nur erzählen, so weit sie reicht; von heute an magst Du sie selbst machen! Der Fremde schien ihre Gedanken zu errathen, denn er sah bald verwirrt, bald verlegen in's Gras vor sich hin und suchte lange nach Worten, um den Faden des abgerissenen Gesprächs schicklich aufzunehmen. Weil es aber damit nicht sogleich gerathen wollte, so begnügte sich der sichere Weiberkenner für's Erste mit fortgesetzten Händedrücken zu reden, woraus Margarethe, obschon diese Sprache ihr neu war, voll bewunderungswürdiger Gelehrigkeit einging. Denn die Weiber lernen rasch, sobald sie wollen. Wenn ich aber sagen soll, was ich für das unbescheidenste Wesen auf Gottes Erdboden halten mag, so sag ich: eines Mannes Hand, die eine schöne Hand gedrückt und ihres Druckes Erwiederung gefühlt hat. Es ist, als ob der böse Geist in solchen fünf Fingern wohnte; sie können nicht Ruhe halten. Und so machte Grethens Fremdling seine Hand, die so warm und wohnlich in ihrer Hand lag (einen Diebesfinger um den anderen) los, bis er sie alle fünf frei hatte, und dann folgte der Arm, und nachdem er mit diesem erhobenen Arm seiner Nachbarin Nacken umschlungen und sie zärtlich herangezogen hatte, daß ihr Lockenhaupt recht fest an seinem Herzen lag, fragte der Bösewicht, anstatt, schuldigen Dankes voll, jetzt seine Lebensgeschichte zum Besten zu geben, mit lispelnder Lippe: Wie heißest Du denn? Margarethe spürte keine Abneigung, ihren ehrlichen Namen zu nennen; sie nannte ihn dreist heraus. Weil sie nun aber auch gern des Fremden Namen gewußt, und weil sie doch mit sich nicht einig war, ob es sich zieme, sein Du zu erwiedern, so stockte sie lange, ohne zu fragen. Da fühlte sie – und ein ahnendes Zittern flog durch ihre Glieder – die bärtige Lippe auf ihrer Stirn, auf ihrem Augenlied, auf ihrer Wange. Und Du? fragte sie zitternd. Stanislas, war die Antwort, doch Antwort und Kuß berührten zu gleicher Zeit ihren Mund, und die letzte Silbe des schönen Namens ging im Kusse verloren.
Das war ein langer Kuß. In ihm flammte der armen Grethe Leben aus. Sie wähnte sich am Ziele. Thörin! wer hieß Dich im Uebermaß Deines Glückes diesen heiligen Kuß, die erste und letzte Seligkeit, stören, um jene eitlen Worte: »Stanislas, ewig mein!« dem Geliebten in's Ohr zu hauchen!?
Das Wort ist ausgesprochen, – der Schatz versinkt. – Wie von einer Schlange gebissen fuhr Stanislas zurück, machte sich los aus Grethens Armen, sprang auf beiden Füßen empor und schaute wild um sich her, mit rollenden Augen und drohender Geberde. Margareth blieb am Boden sitzen und stierte zu ihm hinauf, mit einer Miene, als erwarte sie sehnsüchtig den Tod von seiner Hand.
Weib, hob Stanislas, nachdem er sich ein wenig beruhigt, mit ernstem, aber nicht unfreundlichem Tone an, ich bin Fürst Stanislas * * *. Meine Herrschaften liegen jenseit der Berge. Ich reise nach Falkenschloß. Auf der Landstraße ziehen meine Wagen und Diener. Des staubigen Weges satt, wollt' ich zu Fuß und allein durch diese Thalschlucht wandern, an deren Ausgang die Meinen mich erwarten. Wärest Du vor einem Jahre mir begegnet, wohl hättest Du mein werden müssen, und ich wäre Dein gewesen – wenn auch nicht auf ewig, wie Du meintest. Jetzt ziemt mir nicht mehr, was dem freien Jüngling gestattet war. Wir trennen uns, sehn uns nimmer wieder! Die junge Gräfin im Falkenschloß ist meine Braut, und bevor die Sonne zum dritten Male über Deinen Bergen aufgeht, bin ich ihr Gemahl. Leb' wohl, Margareth! –
Sie saß allein und weinte vor sich hin. Ein Fürst! Ein Fürst! wiederholte sie mehrmals, und kopfschüttelnd fügte sie hinzu: die junge Gräfin vom Falkenschloß seine Braut! Dann senkte sie traurig ihr Haupt und sah zum Boden, wo ihre Thränen in's Gras tropften. Glänzten sie doch wie Thau an den Halmen, die warmen Thränen, und blitzten und flimmerten lustig im Abend-Sonnenlicht; so lustig, als ob sie Freudenthränen wären. Aber was blitzt, was glänzt dort unten aus dem Rasen herauf? Das ist keine Thräne! das flimmert wie Gold! Das ist ein Ring! den hat der junge Fürst von seinem Finger gestreift, als er meine Hand in der seinen hielt! Inwendig eine Inschrift: Sophia – das ist sein Verlobungsring! Mag sie ihm einen anderen geben. Diesen Ring hat er getragen; dieser Ring ist mein!
Und mit ihrem köstlichen Funde schlich die unglückliche Grethe langsam der Mühle zu.
In dem alten, neu ausgeputzten Falkenschlosse war große Bewegung und Unruhe. Diener rannten mit Kerzen durch Gang und Flur. Graf und Gräfin gingen unruhigen Schrittes auf und ab, und Sophia, Beider einziges Kind, schaute sinnend und nachdenkend auf den Schloßhof, wo die Leute ihres Bräutigams beim hellen Schein großer Stocklaternen und Fackeln sich und ihren Pferden Unterkunft suchten. Stanislas war noch nicht eingetroffen. Vergebens hatten, seinem Befehle gemäß, die Seinigen ihn am Ausgange des engen Thalgrundes erwartet, wo er nur bei mäßigem Gange längst vor ihnen, die dem großem Umweg der Heerstraße folgen müssen, hätte eintreffen können. Sie waren, nachdem sie stundenlang seiner geharrt, einstimmig der Meinung geworden, ihr Gebieter habe, von Bräutigams-Ungeduld fürbaß getrieben, seines säumigen Gefolges nicht weiter geachtet, und sie würden ihn bereits im Falkenschloß treffen. So trafen sie denn glücklich ohne den Fürsten ein und erregten im Schlosse um desto größere Besorgnisse, als von allen Seiten drohende Wetter aufstiegen, die eine üble Nacht und anschwellende Bergströme befürchten ließen. Merkwürdig hätte einem unbefangenen Beobachter der Gegensatz scheinen müssen, den die Bewegung und sichtbare Aengstlichkeit der Eltern im Vergleich zu Sophia's Ruhe bildete. Während Vater wie Mutter von einer Minute zur andern die Hände rangen oder ihrer Angst durch laute Seufzer und durch den Ausruf: heilige Mutter Gottes, was ist aus ihm geworden! Luft machten, blieb die Tochter regungslos am Fenster stehen und schaute noch immer hinab in den Hofraum, als Wagen, Pferde und Diener schon untergebracht und ein Theil der Schloßbewohner, der nächsten Umgebung besser kundig, als des Fürsten Leute, mit Windlichtern hinausgesendet war, den Verirrten zu suchen. Es war nicht Besorgnis um den Bräutigam, nicht Sehnsucht nach ihm, nicht der Ausdruck liebender Erwartung, was aus Sophia's Zügen sprach. Vielleicht hätte man stillschweigende Hingebung, willenlose Demuth, vereint mit jungfräulichem Stolz, mit kalter Unempfindlichkeit darin lesen können.
Liebte sie den Fürsten nicht? Ward sie vielleicht gar zu diesem Bunde gezwungen? O nein! Betrachtet nur die sanften greisen Eitern, denen all' ihre blühenden Kinder frühzeitig hinstarben, und die nur auf diesen Spätling ihrer frommen Ehe jenen Ueberfluß von Liebe häufen, welcher für eine große Kinderschaar ausgereicht haben würde. Nein, von Zwang konnte da nicht die Rede sein. Sophia behielt vollkommen freie Wahl. Sie hat den Fürsten vergangenen Winter in der großen Stadt kennen gelernt; sie hat sich ihm vom ersten Ersehen günstig und wohlgeneigt erwiesen, sie hat seine Werbung huldreich aufgenommen, und sie hat auf die Fragen der Eltern mit festem Ton erwiedert: Ich kenne keinen Würdigeren! Und so ist es auch. Sie steht in ihm den hochgebornen, ihrem Range, ihrem Besitzthum entsprechenden Gemahl. Gewiegt und auferzogen in der Ansicht, daß es ihre Pflicht und Ehre sei, den Beruf des Weibes als Gattin und Hausfrau vorwurfsfrei und sonder Makel zu üben, betrachtet sie Stanislas als einen willkommenen Lebensgefährten. Aber sie fühlt Nichts für ihn als Hochachtung, und wenn sie auch Augen hat, zu sehen, er sei der schönste Mann, seine Haltung die vornehmste, seine Sitten die edelsten, so ist doch in ihrer Brust noch kein Wunsch aufgestiegen, der zur Liebe führen könnte. Eine zu tiefe Kluft liegt zwischen ihrer reinen, durch kein Stäubchen eines weltlichen Traumes berührten Jugend – und zwischen jenen Bildern der Phantasie, welche ihr fremd blieben, welche ihr bei dieser Erziehung, dieser Umgebung, dieser mütterlichen Führung fremd bleiben mußten. Sie denkt der Ehe wie einer nothwendigen Form, einer herkömmlichen Uebereinkunft, gemeinsam ihr großes Haus zu führen, und erwartet im Gemahl eben nur den ritterlichen Begleiter, den hohen Beschützer, den weisen Verwalter ausgebreiteten Besitzthums. Dabei von fester Gesundheit und unerschütterlichen Nerven, hält sie den Irrweg eines jungen Spaziergängers für unverfänglich und zweifelt nicht im Geringsten, daß er wohlbehalten, wenn auch ein wenig durchnäßt, über kurz oder lang eintreffen werde. Scheint sie gleichwohl in tiefes Sinnen versenkt, so richtet sich dasselbe auf andere Gegenstände, als auf die Gefahren des Fürsten bei nächtlichen Ungewittern. Die Anstalten, welche seitens der häuslich waltenden Mutter zum nahe bevorstehenden Hochzeitsfeste getroffen werden, haben Sophien stutzig gemacht. Fern von dem Flügel des Schlosses, der die zahlreich geladenen Gäste aufnehmen und in seinen reich ausgestatteten Gemächern beherbergen wird, hat sie im abgelegenen Säulengange mehrere neu eingerichtete Zimmer entdeckt, die bisher unbeachtet und verschlossen geblieben waren, zu denen ihr Fuß sie niemals getragen. Dort haben geschickte Arbeiter aus der Stadt mit regem Fleiße geschmückt und geschaffen. In reichen Falten hängen schwer-seidene Stoffe um die hohen, gothisch gewölbten Fensterbogen, welche mit bunten, kostbaren Glasmalereien ausgefüllt sind; wunderbar liebliche Tapeten bedecken ringsumher die alten steinernen Wände; mit rothem Sammet üppig ausgepolstert, laden tiefe, vergoldete Lehnstühle zur Ruhe ein; kleine Tische, mit tausendfältigen Spielereien beladen, schmücken Winkel, Nischen und Ecken, und im geheimnißvollsten, dunkelsten, kühlsten dieser hohen Zimmer, in dessen einziges Fenster dickstämmiger Epheu mit jungen saftgrünen Blättern äugelt, steht ein großes, breites, gar nicht zu beschreibendes Himmelbett, welches der erstaunt und besorgt Fragenden von einer bejahrten, niemals lächelnden Kammerfrau der alten Gräfin voll andächtiger Würde als »ihr hochfürstliches Brautbett« bezeichnet worden ist. Sie hat nicht gewagt, weiter zu fragen und mehr zu erforschen. Sie kann nur grübeln, zweifeln, fürchten – sie begreift nicht, was dies bedeutet, weiß nicht, was ihrer wartet. Und noch hat die Liebe jene Brücke nicht für sie gebaut, auf welcher sie in ihren kindischen Gedanken vom stillen, unbelauschten jungfräulichen Lager zu diesem neuen Wohnplatz dunkler Zukunft wandeln möchte. Deshalb geht sie schon den ganzen Tag über nachdenklich sinnend umher; – deshalb machten die Besorgnisse der Eltern auf sie so geringen Eindruck.
Von drei Seiten zugleich leuchteten die Blitze. Tiefe Nacht wurde durch sie zum hellen Tage. In die Seufzer und Klagen der Eltern mischten sich dringende Stoßgebete, an den Einen gerichtet, der den Zug der Wolken leitet und dem Sturm gebietet. Sophia blieb unerschüttert; kein Zucken ihrer Wimpern folgte dem heftigsten Blitz, kein Beben ihrer Glieder dem krachenden Donner. – Da ist der Fürst! – rief sie plötzlich nicht ohne Lebhaftigkeit aus. Sie sah ihn beim Licht des himmlischen Feuers, unbegleitet und hastigen Laufes durch eine kleine Seitenpforte in den Schloßhof dringen. Er ist den Fußpfad heraus über die Felsenseite geklettert, – sprach sie zu den Eltern gewendet, – aber naß wird er sein! Man muß ihm leine Leute mit trockenen Kleidern entgegenschicken! – Ueber die Felsenseite, den steilen Fußpfad herauf? jammerte der Graf.
Er liebt die Umwege nicht, sprach Sophia und schellte den Dienern.
*
Am fröhlich lodernden Kaminfeuer saßen nach Verlauf einer Stunde Vater und Mutter, Bräutigam und Braut. Mit verklärten Blicken sahen die Eltern auf ihr junges, schönes Paar. Zum ersten Male, seitdem sie verlobt, wagte heute der anderswo so kühne Stanislas, schüchtern und verzagt wie ein Schulknabe, die Hand der hohen Sophia zu fassen. Sie ließ ihm die Hand, als ob sie es aus Gehorsam gegen den künftigen Gemahl, aus Achtung für die anwesenden Eltern thäte. Aber nicht eine Regung dieser Hand verrieth, daß sie einem lebenden Wesen angehöre; kein noch so leises Zeichen gab dem bescheidenen Frager bejahende Antwort. Unwillkürlich mußte er nun der Müllerin gedenken. Aermste Grethe, der Vergleich, wie ihn der durchlauchtigste Jüngling jetzt eben zwischen Dir und Deiner Nebenbuhlerin angestellt – zu Deinen Gunsten fällt er nicht aus. Wie eines trüben Rausches mußte Stanislas auf die Stunden im Mühlthale zurückblicken. Zur hellsten Klarheit erwacht, nahm er Sophia's himmlische Schönheit, ihre unentweihte Reinheit mit anbetender Begeisterung wahr, und als wollt' er Verzeihung erflehen für die flüchtige, bald besiegte Untreue an Margarethe's Seite, führte er die zierlich gegliederte, fast durchsichtige Hand seiner Braut lebhaft an den Mund. Das Erste, was seine Lippen berührten, war der Verlobungsring, den er ihr vor drei Monaten im glänzenden Kreise einer vornehmen Gesellschaft feierlich überreichen dürfen. Ohne zu wissen warum, bewegte er seine Linke, nach dem goldnen Pfande zu fühlen, welches der Graf ihm, dem künftigen Sohne, in der einzigen Tochter Namen damals an den Finger gesteckt; der Ring war fort!
Wer ihn trägt, mein lieber Leser, das wissen wir Beide. Der Fürst wußt' es freilich nicht, aber ahnen mocht' er's, denn finstere Runzeln furchten sich in seine prächtige Stirn, und sein ganzes Wesen bekam einen Anflug von Düsterheit. Die Unterhaltung stockte. Stanislas zog seine Rechte von Sophia's kalter Hand zurück und hätte am liebsten seiner Linken den treulosen Finger ausgerissen, der einen so kostbaren, glückverheißenden Reifen nicht besser festzuhalten gewußt.
Da nun die Wetter ausgetobt haben und der helle Mond am blauen Himmel lacht, so dürfen wir uns, hob der alte Graf an, denk' ich, unbesorgt zur Ruhe begeben; unser Fürst scheint ihrer auch bedürftig.
Sie brachen auf und gingen »Ein Jedes in sein Kämmerlein,« wohin wir ihnen nicht folgen dürfen, weil daselbst Jeder und Jede ihren eigensten Gedanken nachhängen. Und so weit hat es noch kein Erzähler gebracht, daß er diese genau erriethe. Gewöhnlich sind es des Erzählers Gedanken, die er in solchen Fällen zu Markte bringt.
Frau Margareth saß denn auch in ihrem Stübchen und küßte den gefundenen Ring. Wie sie sich satt geküßt hatte, warf sie ihn auf den Boden, indem sie ausrief: er kommt von ihr! Dann aber rief sie wieder; Stanislas hat ihn aber getragen! Dann warf sie sich zur Erde und kroch in alle Winkel und scharrte in allen Ritzen, bis sie den Ring wieder am Finger hatte, den der Fürst an dem seinigen getragen, und die Küsserei fing wieder an. Dies beschäftigte unsere junge Wittwe so lebhaft, daß sie der Wetter, welche sich dick über dem Thal gethürmet, kaum achtete. Mocht' es blitzen, stürmen und krachen – sie küßte ihren Ring. Gerade als einer der heftigsten Donnerschläge das Haus bis in seine Kellergründe durchdröhnte, und alle Thüren und Fenster in ihren Fugen knackten und klirrten, öffnete sich Margarethens Stubenthür, und Horrja, der garstige Horrja trat ein. Ehe Margarethe noch die herrische Frage, wer ihm erlaube, in ihr Schlafgemach zu treten, vollendet hatte, stand er schon mit seinem Antrage vor ihr. Frau, begann er mit fester Stimme, wenn die Sonne scheint und die Grillen zirpen, ist mir nicht wohl in meiner Haut; dann hab' ich keine Courage und bin maulfaul. Aber bei einem Wetter, wie es gerade heut in den Bergen steckt, fühl' ich mich aufgelegt zu Allem! Da wird einem tüchtigen Kerl beherzt zu Muthe, und er möchte die Welt stürmen! Da hab' ich mir denn dieses Stündlein ersehen, Euch zur Frau zu begehren, – laßt mich ausreden, Margarethe! – Ihr mögt mich nicht. Aber das thut Nichts. Einmal mein Weib, werdet Ihr an mir hangen wie eine Klette. Ich weiß, was ich sage. Noch niemals hat Eine von mir gelassen. Ich war es, der ihnen den Rücken drehte, wenn ich ihrer satt war. Das werd' ich Euch nicht thun; weder Euch, noch der Mühle. Seid mein Weib! Ich weiß, was ich verspreche. Ich weiß auch, was Euch fehlt. Und bildet Euch nicht ein, Einer von den dummen Jungen könnt' Euch genügen. Zehn solche Knäbchen zusammen wie unsere Burschen geben noch keinen Horrja. Ich bin der Mann für Euch, glaubt mir's und nehmt mich!!
Wie ein heftiger Donnerstoß seinen Eintritt in der Müllerin Zimmer vorbereitet, so bezeichnete ein ähnlicher jetzt den Schluß der frechen Anrede.
Unverschämter Mensch, sagte Grethe, wie mögt Ihr Euch erdreisten, so mit mir zu sprechen? Hab ich Euch jemals nur durch ein freundliches Wort zu solchen Anträgen berechtigt? Möcht' ich doch eher zu meinem verstorbenen Manne in den Sarg steigen, als Euch zu meinem Herrn machen! Nie, niemals! Und morgen am Tage verlaßt Ihr die Mühle.
Steht es so? erwiederte Horrja. Hm, ich dachte nicht, daß Eure Wittwenschaft Euch so bequem wäre; meinte, Ihr brenntet vor Ungeduld, sie abzustreifen, wie ein schweres Tuchkleid in den Hundstagen. Sagt mir ein Mal die reine Wahrheit: wollt Ihr gar keinen Mann mehr nehmen?
Bin ich Euch Rechenschaft schuldig? rief hocherröthend die Gepeinigte.
Und den Purpur auf ihren Wangen wahrnehmend, lachte Horrja spöttisch auf: Also denkt Ihr wirklich an einen von den zwei Gelbschnäbeln? Nun, gut bekomm's. Aber nehmt ihn wohl in Acht, bis er Euch in's Brautbett folgt, sonst könntet Ihr ihn eines Tages mit zerschlagenen Gliedern vor Eurer Thüre als Krüppel finden. Versteht Ihr mich? Aufgeblasenes Weibsbild! Ist doch bekannt, wer Eure Mutter gewesen, wenngleich über den Vater die Leute verschiedener Meinung sind. Sei's drum, morgen verläßt Horrja die Mühle. –
Grethe blieb allein, den wilden Kämpfen in ihrer Brust preisgegeben. Abneigung gegen den zudringlichen Werber, unbezwingliche Sehnsucht nach Stanislas stritten in ihr mit der quälenden Angst, durch Horrja's letzte Worte hervorgerufen. Gespenstig stand die alte Sibylle vor ihrer Einbildungskraft, und wie eine unabweisliche Zauberformel schlugen die nur halbverständlichen Worte, die sie ihr aus dem Dornenbusch entgegengekreischt, wieder an ihr Ohr. Sie fühlte sich gedrungen, Silbe bei Silbe willenlos in's Gedächtniß zurückzurufen. Da kam sie auch an die Worte: denn ich weiß den Liebestrank zu bereiten! und kaum hatte sie diese in ihrer tiefsten Bedeutung durchgedacht, als ein Fieberfrost wildester Begier mit unbesieglicher Gewalt sie durchschüttelte, das Herz in ihrem Busen krampfhaft zusammenpressend. Dem Wahnsinn nahe warf sie sich auf's Bett, raufte ihre Haare, drückte vor Kälte klappernd ihren Kopf in die Kissen und riß gleich nachher, weil sie sich im Feuer zu verzehren meinte, ungestüm ihr Kleid in Stücke. Sie trieb es arg, die schöne Grethe; man könnte ihr zürnen, wenn wir nicht alle Eva's Kinder wären.
Luft! frische Luft! schrie sie dann weinend, von banger Raserei erschöpft, und stieß die Laden, die Fenster weit auf. Siehe da: das Gewitter hatte sich zertheilt, getrennte Wolken ließen ganze Stücke voll Sternenhimmel durch, und derselbe Mond, der in sanfter Klarheit die hochgebornen Bewohner des Falkenschlosses angelächelt, strahlte mit seinem räthselhaften Lichte auch auf die niedrig geborne Müllerin. Sie streckte ihre nackten, weißen Arme nach ihm empor, als wollte sie ihn zu ihrem Beistande herabrufen. Aber er kam nicht; recht wie ein vornehmer Herr, zu dem die Armen sich hin bemühen müssen, wenn sie Hilfe bei ihm suchen. Ach, Grethe hätte sich so gern zu ihm hinaufziehen lassen, wäre es möglich gewesen, hätte gern ihr irdisches Theil der Erde gegönnt und wäre mit dem, was göttlich in ihr waltete, – denn in jedem liebenden Herzen, auch wenn es zuckt und bricht, wohnt Gott, – ihrem Leib entflohen. Doch hielt der Leib sie so fest, und der Mond lockte nur, er erhob sie nicht. Elf Mal schlug die Wanduhr, und der alte Kuckuck im kunstreichen Werke wiederholte mit seiner hölzernen Stimme den Stundenschlag. Noch eine Stunde nur, sprach Grethe in's Grüne hinaus, und der Tag des Herrn beginnt. Eine sanftere Stimmung schien sich ihrer bemächtigen zu wollen, und schon neigte sich das wogende Herz gläubig zu frommer Entsagung, als wiederum das Bild der Zigeunerin und mit diesem die Erinnerung an deren Worte in ihr auftauchte. Hier oben findest Du mich immer von Sonnabend zu Sonntag, um zwölf Uhr in der Nacht.
Elf hat es geschlagen; bis Zwölf kann der Berg, wo ich sie traf, erstiegen sein! Den Liebestrank versteht sie zu bereiten! der Mond scheint – Gott sei mir gnädig, es muß geschehen! Bald war ein Mäntelchen über Grethens zerstörten Anzug geworfen, eine Börse voll schwerer Goldstücke eingesteckt, und mit einer Kraft, mit einer Gewandtheit, wie sie ihr in ruhigem Zustande niemals zu Gebote gestanden haben würden, schwang sie sich über die Fensterbrüstung hinaus, hing nur eine Sekunde lang, mit den Händen festgeklammert, unschlüssig in der Luft, ließ sich dann dreist auf den Erdboden fallen, kam glücklich auf beide Füße zu stehen und verfolgte alsogleich den kürzesten Weg, indem sie den Mühlgarten quer durchschnitt. Ein dumpfes Geheul, dem Jammern eines im tiefsten Keller versperrten Hundes ähnlich, hemmte ihren raschen Gang. Sie horchte auf und glaubte die heisere Stimme des treuen Sultan zu hören; wirklich stand sie auf dem kleinen Grabhügel, den die Burschen ihm gewölbt. Noch einmal sank ihr Muth; schon wollte sie umkehren. Da trat der Mond wieder in voller Macht hervor; dies Erscheinen galt ihr als Zeichen der Ermunterung; sie überstieg den Zaun des Gartens, und binnen drei Viertelstunden fand sie sich, athemlos vom raschen Steigen, am Ziele der unseligen Wanderung. Dort zeigte sich jenes struppige, wildverwachsene Dornengebüsch; leicht kenntlich, weil es das einzige auf dem Kamme der Berge war; man sagte, es verhülle in seiner weiteren Ausdehnung den Eingang zu verrufenen Höhlen. Kalter Winter strich über die Berge. Margarethe klimperte vor Angst mit den Goldstücken in ihrer Tasche, ob es ihr vielleicht gelingen möchte, durch diesen Klang die ersehnte Gefürchtete aus dem Schlupfwinkel hervorzulocken, da sie den Namen »Sibylle« laut auszusprechen nicht Kraft genug in sich verspürte. Lange währt' es auch nicht, so zeigte sich das Schreckensweib. Schon heute, schönes Töchterlein? rief sie der verbleichenden Grethe entgegen. Und was bringst Du mir?
Mit zitternder Hand hielt die Müllerin das Gold im Schatten des Mondes der Alten vor die Augen, die es hastig nahm und dabei murmelte: nicht für mich, welche des Plunders nicht bedarf; nur zu frommen Werken! Auch wollt' ich nicht fragen, was Du mir bringst! Ich wollte hören, was Du von mir verlangst! Womit kann die weise Mutter des Berges ihr üppig Töchterlein beglücken?
Jetzt oder nie, dachte Grethe; hab' ich den Weg hierher gewagt, bin ich den bösen Mächten verfallen, nun, so sei auch die verbotene Frucht gepflückt! Und bringt sie mir Tod, desto besser! Sibylle, so sprach die Müllerin laut und vernehmlich, Du verstehst den Liebestrank zu bereiten! Ich bedarf dessen! Ich hab' ihn gesehen, den ich besitzen will! Was muß ich thun, daß er mein werde?
Mir gehorchen! Weiter Nichts! Aber eh' wir beginnen, ist Eins nöthig, und das wird schwierig sein. Einen güldenen Ring müssen wir haben, den Dein Auserwählter mindestens durch drei und dreißig Nächte an seinem Finger getragen, und einen solchen –
Besitz' ich, rief Margareth so laut und jubelnd, daß es in den Bergen wiederhallte.
Du hast ihn schon? Ei, Du bist mein kluges Kind. Dann können wir schon ohne Aufschub zum Beginn schreiten. Folg' mir in mein steinern' Gemach; und wenn Du Dich am Dornengebüsch ein wenig ritzen solltest, acht' es nicht, Grethchen: wir brauchen ohnedies warmes Blut zum Tränkchen, nebst andern guten Dingen. – Gierig griff die Alte mit ihren dürren braunen Krallen in Margarethens vollen Arm und zerrte die Willenlose wie ein Opfer hinter sich her. Der Mond verhüllte sich schamhaft in dicke schwarze Wolken, und tiefe Nacht trat ein.
Welch' ein herrliches Paar! ging es durch die Reihen der Gäste und der Dienerschaft von Mund zu Mund, als Fürst Stanislas an Sophia's Seite ans der Schloßkapelle kam. Sie war ernster, als je. Daß Stanislas den Verlobungsring verloren, war ihr schwer auf die Seele gefallen, und sie, jedem Aberglauben so fern, fühlte sich von diesem Zufall wie von dem Gewicht einer traurigen Ahnung bedrückt. Deshalb hatte sie alle Voranstalten zu einem rauschenden Hochzeitsfeste bittend rückgängig zu machen gewußt, und der lange Tag schlich, da die Trauung bereits am Morgen geschehen war, ohne Sang, ohne Tanz, ohne heitere Spiele, nur durch ein glänzend-kaltes Mahl unterbrochen, einförmig und freudlos dahin. Mit feuriger Ungeduld zwar, aber dennoch mit düstrer Vorempfindung harrte Stanislas der Abend-Dämmerung entgegen, vor deren Geheimnissen Sophia fast weinend erbangte. Auch die Eltern konnten das Entzücken nicht wiederfinden, mit welchem sie längst schon auf den ersehnten Abend geblickt. Ueber alle Bewohner des Schlosses schien ein grauer Schleier ausgebreitet zu sein, unter dem sie beängstigt athmeten.
Schon hatte die Sonne scheidend einen schönen Morgen verkündigt; schon suchten die Schwalben ihre Nester, schon schwebten hungrige Fledermäuse wie abgeschiedene Geister durch des Schlosses lange Gänge; schon brannten buntvergoldete Wachskerzen im Gesellschaftssaale, – als der Kammerdiener des Fürsten in die Thüre trat und den Gebieter durch einen bescheidenen, doch verständlichen Wink abrief. Durchlaucht, sprach er draußen zu ihm, da ist ein wunderlich aufgeputztes altes Weib, einer Zigeunerin ähnlich, und will durchaus mit Euer hochfürstlichen Gnaden sprechen. Sie giebt vor, die wichtigste Kunde zu bringen, und läßt sich nicht abweisen. Ich sollte nur den Namen »Rosaura« nennen, dann sei sie sicher, vorgelassen zu werden. Nun hatte Stanislas in seinem ganzen Leben keine Rosaura gekannt, und darum gerade machte die Zuversicht der Fremden ihn neugierig, zu erfahren, was sie mit ihrer Rosaura von ihm wolle. Er befahl sie in die von ihm bewohnten Gastzimmer zu bringen, und als sie daselbst fast zugleich mit ihm eintrat, wendete sie sich halb kriechend, halb gebietend an den Kammerdiener, den sie beschwor, ihr mit des Herrn Vergünstigung einen Becher guten Weines zu holen, da sie der Erquickung nach langem, beschwerlichem Marsche höchst bedürftig sei. Der Fürst gab Erlaubniß, daß der Kammerdiener den begehrten Labetrunk herbeihole, und seinem Befehle, der Kellermeister möge eine Flasche Rheinwein senden, fügte Sibylle den Nachruf bei: und zwei Gläser! – Sollen wir etwa miteinander zechen, krumme Hexe? fragte der Fürst höhnisch. Sibylle aber ließ sich weiter nicht irre machen und erwiederte nur: wär' es doch nicht zum ersten Male, daß ich mit Fürsten pokulirte. Dann nahm sie eine kleine verbogene Brille aus ihrem Schubsack, gab ihr die nöthige Form und betrachtete, nachdem sie die scharfen Gläser aus ihre krumme Nase gezwickt, den jungen Ehemann mit vergnüglichen Blicken, ohne ihn anzureden.
Werd' ich bald erfahren, rief jener unwillig aus, was es mit Deiner Rosaura soll? Aus welchem Narrenhause trugst Du die Bestellung?
Du hast Recht zu schelten, mein Sohn, sprach mit verlegenem Zögern die Alte. Sibyllchen hat diesmal einen dummen Streich begangen. Sie hat sich von der schönen Rosaura und deren Jammer irre führen lassen; Du bist gar nicht, den wir suchen; mein Auftrag gilt einem Andern! O weh mir, daß ich die kostbare Zeit verloren! Ach weh' mir Aermsten, wie wird die stolze mächtige Rosaura zürnen! Mein Lohn ist dahin, mein schönes Gold ist dahin!
Krächze nicht, habsüchtige Vettel, sagte der Fürst. Nimm diese Börse als Entschädigung und zieh' Deines Weges.
Nicht ohne dieses reiche Geschenk vergolten zu haben. Sibylle bleibt Nichts schuldig. Reiche mir Deine Hand, schmucker Jüngling, ich will Dir wahrsagen.
Ungläubig gab ihr Stanislas seine Linke!
Hm, hm, flüsterte das Weib, da sieht's närrisch aus: Glück und Unheil, Wonne, Lust und Elend bunt durcheinander.
Zigeunergeschwätz, meinte der Fürst achselzuckend.
Zigeuner? Ja, Zigeuner nennt Ihr uns, weil Ihr's nicht besser wißt. Mein Vater war, – und hier richtete sie sich stolz empor, und ihr Auge funkelte mächtig durch die grünen Brillengläser – mein Vater war aus indischem Königsstamme, ein anderer Fürst, als Du und Deines Gleichen! – –
So beliebe es Deiner Majestät fortzufahren, denn meine Geduld geht zu Ende! –
Krumm und gebückt in ihre erste Stellung zurückfallend, betrachtete Sibylle immer emsiger des Fürsten Hand. Da seh' ich einen Ring am Finger, – aber es ist Täuschung; der Ring ist nicht mehr da. Wo hast Du den Ring, Unglücklicher?
Weiß ich's? rief Stanislas, bang' erstaunt über die Zaubergaben des Weibes; ich hab' ihn verloren.
Schlimm, sehr schlimm, mein Söhnchen; das bedeutet ...
Bei diesen Worten trat der Kammerdiener mit der Flasche und den Gläsern ein; der Fürst hieß ihn sich sogleich wieder entfernen und schloß sorglich hinter ihm die Thür.
Was bedeutet's, alte Eule? Vollende!
Je nun, daß Eure junge Frau Euch nicht treu bleiben wird.
Mir! nicht treu? Mir? Und als er dies aussprach, warf er sich stolz und zuversichtlich in die Brust: Wärst Du nicht so tief unter mir, Satan, ich erdrosselte Dich mit eigener Hand für dies schandbare Wort.
Thut, was Ihr mögt und dürft, junger Herr, erwiederte die Zigeunerin jetzt mit ganz anderer, kräftigerer Stimme! Aendern werdet Ihr Nichts, und wenn Ihr mich spießen und braten laßt. Ich nehm's Euch nicht übel, daß Ihr zornig seid. Will Keinem in den Kopf, daß ihm die Ansätze zu den Hörnern schon in der Stirn stecken; hilft aber Alles Nichts. Ja, Fürst, ich schenk' ein und bring's Euch. Auf eine glückliche Nacht! Und weil Ihr meinem Schaden Mitleid gegönnt, und weil Ihr mich reich beschenkt, so will ich Euch beweisen, daß edles Blut in meinen Adern rollt, daß ich aus wahrhaft königlichem Stamme bin, will's Euch durch Großmuth beweisen. Hier, füllt Euer Glas zur Hälfte und jetzt laßt mich den Inhalt dieses kleinen Fläschchens dazu gießen. So! Seht Ihr, Herr, jetzt habt Ihr's in Eurer Macht: trinkt diesen Saft, eh' Ihr in's Brautbett steigt, und Euer Weib ist mit unauflöslichen Banden an Euch gefesselt; Ihr seid ihrer auf immer gewiß. Das Arcanum ist uralt in unserem Stamme; unfehlbar ist's, und so hat sich's bewährt seit Jahrtausenden. Ihr lächelt? Kennt Ihr die Geheimnisse der Natur? Habt Ihr sie ergründet? Wißt denn, meines Trankes Gluth duftet in balsamischen Tropfen aus Euren Poren, und die während dieser Nacht in Euren Armen lag, kann sich nie mehr einem Anderen ergeben! – Ihr zweifelt noch? Wohlan denn, gießt das schlechte Gebräu zum Fenster hinaus! Was thut's mir! Ich habe Dankes Pflicht erfüllt. Jetzt aber öffnet die Thür und gebt mir meinen Abschied.
Stanislas rief den Kammerdiener und befahl ihm, das Weib unbemerkt aus dem Schlosse zu schaffen. Während dieser sie durch die kleine Seitenpforte des Hofes entließ, vernahm er noch aus ihrem murmelnden Selbstgespräch die ihm unerklärlichen Worte: ob er trinken wild? Ob? Ha, er müßte kein Mann sein! – –
Da saß denn Stanislas allein und nachdenklich vor dem Tisch, und dicht vor ihm der Zaubertrank. Trotz seines gerechten Mißtrauens gegen die Alte hatten ihre Aeußerungen ihn doch innerlich erregt. Auch Gebildete und Vornehme, ja sogar Gelehrte und Priester glaubten damals noch an Hexerei und Teufelsspuk! – Daß Sibylle den Mangel des verlorenen Ringes zu entdecken vermocht, gab in des Fürsten Meinung auch ihrer Prophetenkunst einiges Gewicht, und Sophia's Benehmen war in diesen letzten Tagen, die doch eigentlich schon der innigsten Annäherung zweier Liebenden gewidmet schienen, noch kalt und zurückhaltend genug gewesen, um Zweifeln an wirklicher Liebe von ihrer Seite Raum zu gönnen! Wenn nun am Ende gar ein bisher ungeahnter Nebenbuhler im Hintergrunde lauerte? Wenn die schauderhafte Vorherverkündigung der Zigeunerin über kurz oder lang in's Leben treten, wenn des Fürsten Ehre so gekränkt werden könnte? – Und dennoch, nein, es ist nicht möglich, diese reine, himmlische Gestalt, dieses Abbild jeglicher Tugend kann nicht sinken. – Aber auch Sophia ist ein Weib – und Weiber, mögen sie Engel scheinen, bleiben doch schwache Weiber! – Wie, wenn ich den Römer leerte!? – Doch wer weiß, was er enthält!? Ob vielleicht nicht gar Gift oder sonst ein unheilvolles – ... schon streckte er die Hand nach dem Glase, schon führt' er's an den Mund und sog den verführerischen Duft gierig ein. Seltsam, je länger er es hielt und prüfte, desto weniger war er im Stande, sich wieder davon zu trennen. Aber eben so wenig war er vermögend, sich, so lang' er den Geruch des Trankes spürte, das Bild seiner jungen Gemahlin, mit welcher doch seine ganze Seele gerade so lebhaft beschäftiget gewesen, klar und deutlich in's Gedächtniß zu rufen. Immer war es, wie wenn aus dem grünen Becher ein Auge blickte, und um dieses Auge formte sich dann ein Antlitz, und dieses Antlitz gehörte – Grethen, der Müllerin. Stanislas strengte sich gewaltsam an, der edlen Gattin zu denken, sich auszumalen, wie sie mit Thränen und rührenden Bitten seinen Umarmungen sich hingeben werde; – wider Willen sah er Margarethen und sich, sie umschlingend, neben ihr im Grase sitzen. Ein niegefühlter Durst begann ihn zu quälen. Er setzte den Römer an den Mund, versuchte zu nippen, und kaum hatte der erste Tropfen seinen Gaumen berührt, als er, unfähig abzusetzen, ihn bis aus den Grund leerte. Im Augenblick empfand er die Wirkung: wollüstige Wärme durchdrang ihn von Kopf zu Fuß, jedes Bangen war gewichen, neue Lebenskraft rieselte durch seine Adern. In diesem Zustande erhöhter Jugendlust fand ihn sein würdiger Schwiegervater, der bescheiden zu ihm trat, ihm zu melden, daß Sophia bereits von den Frauen in's Brautbett geleitet, und daß es wohl des Gatten Pflicht sei, ihr zu folgen. Beide Hände legte der Greis mit frommer Würde zum Segen auf des Jünglings Haupt und entfernte sich, sanft lächelnd, wie er gekommen. An gehorsames Schweigen gewöhnt entkleidete jetzt der Kammerdiener seinen fürstlichen Herrn, ohne des Besuches der Zigeunerin und des unerklärlichen Zwiegespräches weiter noch zu erwähnen; wenngleich bang erstaunt, seinen Gebieter in einem noch niemals beobachteten Zustande der Aufregung zu erblicken, schob er die Schuld davon auf die schöne Stunde, welche nächtlich des jungen Ehemannes harrte. Einen silbernen Armleuchter vor ihm hertragend, führt' er ihn pflichtgemäß bis an den Eingang zum Brautgemach und legte, als er sich dort von ihm trennte, alle tiefempfundenen Glückwünsche des ergrauten und vom verstorbenen Fürsten-Vater auf den Sohn überkommenen Dieners in eine lange, stumme Verbeugung.
Einem Wilden, Berauschten ähnlich stürzte Stanislas zu Sophien, die mit gefalteten Händen betend da lag, vom bleichen Schimmer der alabasternen Ampel beschienen, wie ein Marmorbild anzuschauen. Heftig riß er sie empor, daß die Zarte laut aufschrie; wüthend zog er sie an seine Brust; aber mit einem Blicks der sie im Feuer verzehren zu wollen schien, stieß er sie wieder von sich, daß sie taumelnd in die seidenen Kissen sank. Du bist's nicht! rief er zürnend aus, und bevor die halb Ohnmächtige ihn über die Bedeutung dieses wahnsinnigen Wortes befragen konnte, war sie allein ihren Thränen, ihrem herzdurchbohrenden Jammer überlassen. Am nächsten Tage fand man sie, heftigstem Fieber zur Beute, auf ihrem jungfräulichen Lager; der Fürst war verschwunden, Niemand konnte eine Spur von ihm entdecken; nur der Burgwächter sagte aus, daß er in vergangener Nacht eine Gestalt im weißen Gewande, wie Mondsüchtige etwa thun, über die Mauer habe steigen sehen, und daß er, aus Furcht vor Gespenstern, unterlassen habe, darnach zu rufen oder sie zu verfolgen.
Stanislas schien verloren, und Sophia mußte für eine bräutliche Wittwe gelten.
In welche Trauer hochgräfliche Sippschaft und sämmtliche Einwohnerzahl des Falkenschlosses versank, brauch' ich Dir, mein gütiger Leser, wohl nicht erst zu schildern. Graf und Gräfin wichen nicht vom Bette der geliebten Tochter und lauschten ihren wirren Reden, aus denen sich eben nichts Anderes entnehmen ließ, als daß sie böslich und aus kränkende Weise verschmäht und verlassen worden. Der Schloßkaplan ordnete eine Betübung um die andere an, so daß Jung und Alt schier gar nicht mehr von den Knieen aus die Füße kamen. Aber das brachte den Fürsten nicht wieder.
Nur sein Kammerdiener war der höchst irreligiösen Meinung, um einen Verlorenen zu finden, sei nach ihm zu suchen ein besseres Mittel, als für ihn zu beten, und durchkreuzte die Gegend ringsumher; nicht ohne dabei nach der ihm höchst verdächtigen alten Zigeunerin zu forschen. Auch seine redlichen Bemühungen blieben fruchtlos, und als er ermattet heimkehrte, theilte er seine Befürchtungen mit, indem er erzählte, was er am Hochzeitabend gesehen und gehört. Daß Hexenkunst im Spiele sei, daran zweifelte nun wohl keine Seele im ganzen Schlosse mehr. Waren doch zu jener Zeit noch viele arme Weiber, lediglich weil sie entzündete Augenlider hatten, gefoltert und ersäuft worden. Die geheimnißvolle Sibylle, wie des Fürsten Kammerdiener sie sammt ihren Aeußerungen bei'm Ausgang aus dem Schloßhofe beschrieb, wollte der gräfliche Justizamtmann nun gar verbrennen lassen. Aber die Nürnberger hängen Keinen, es sei denn, sie hätten ihn zuvor; und so hielten sie's auch auf Falkenschloß mit dem Verbrennen.
Sophia's Zustand fing sich nach Verlauf der zweiten Nacht sichtlich zu bessern an; sie wurde ruhiger, redete nicht mehr irre und zögerte nicht mehr, der geliebten Mutter ihre ganze Seele zu öffnen. Da kam denn eine merkwürdige Veränderung zu Tage. Die scheinbar Kalte, Gleichgültige, von Erdenliebe Unberührte war glühend, zärtlich, sehnsuchtsvoll geworden; was süße Worte und schmachtende Blicke des Liebenden nicht vermocht, das hatte Eifersucht gethan: sie zitterte, ihn in den Armen einer Anderen zu wissen, und ließ sich's nicht ausreden, der Fürst sei nicht toll, er sei treulos!
Neue Bedenklichkeiten! Neue Zweifel!
Neue Gebete des Schloßkaplans!
In diese bedenklichen Zweifel, in diese zweifelhaften Gebete trat unerwartet Gewißheit, und zwar durch eine sehr widerwärtige Person: durch den uns längst bekannten Müller Horrja, der auf dem gräflichen Schloß erschien, seiner Rache freien Lauf zu lassen. Die Kunde vom weggezauberten fürstlichen Bräutigam war bis in's Mühlthal gedrungen. Grethe, die Müllerin, ward in ihrer Behausung zu gleicher Zeit vermißt. Horrja hatte bald erlauert, daß hier ein Zusammenhang stattfinden könnte; hatte sich's nicht verdrießen lassen, eine Nacht im Freien zuzubringen, und konnte nun die sichere Nachricht mittheilen, daß in der Grotte des Felsenvorsprungs, der seit der Sündfluth über die Mühle hinhängt, seine Meisterin mit einem Fremden weile, und daß er ein Hexenungethüm bei Mondlicht habe ein- und auskriechen sehen. Dieser Bericht setzte das ganze Schloß in Bewegung; Jäger und Diener bewaffneten sich mit Flinten und Schwertern; Weiber und Kinder mit Rosenkränzen; der Schloßkaplan ergriff ein Kreuz; der alte Graf bestieg sein bestes Roß und führte, Horrja an der Seite, den langen Zug nach der Mühle an. Gräfin Mutter blieb bei Sophien, die Unglückliche mit frommen Formeln zu trösten, welche jedoch nicht mehr verfangen, welche nicht mehr genügen wollten. Die Jungfrau war zum Weibe geworden, durch ihre Gedanken.
Als die Schaar vor der Mühle erschien, gafften die dummen Mägde mit glotzenden Augen und offenem Munde aus dem Küchenfenster. Jakob und Ulrich, auf stillstehende Mühlräder gelehnt, sahen betrübt mit dumpfer Ergebung darein. Horrja beurlaubte sich vom Grafen, indem er anzeigte, er wolle hinter der Mühle emporklimmen, um oben das Paar aus der Grotte zu locken. Einige Jäger, die jüngsten und rüstigsten, wurden befehligt, ihn zu begleiten; sie konnten nur schwer zum Gehorsam vermocht werden, und erst, nachdem der Kaplan sie von oben bis unten mit seinem Weihwedel besprengt und angefrischt, entschlossen sie sich, dem wuthschnaubenden Horrja zu folgen, der so rasch kletterte, daß er einen großen Vorsprung gewann und sehr bald die Felsenkuppe erreicht hatte, von der er sich gewandt herabschwang und auf einem Berghollunderstrauch, handhoch über dem Eingang zur Grotte, sitzen blieb. Mit vorgebeugtem Haupte rief er in die Höhle hinein: Margarethe, verfluchte Zauberin, zeige Dich dem irdischen Gerichte! – Ein gellender Schrei drang aus der Grotte, und schon sprang Grethe, einer Tigerin zu vergleichen, die ihre Kleinen vertheidigen will, an's helle Licht des Tages. Welch' ein Anblick! Fürchterlich-schön war sie zu betrachten.
Was wollt Ihr? schrie sie hinab zu der unten versammelten Menge; warum stört Ihr die Freuden meiner Brautnacht? Was begehrt Ihr?
Meinen Sohn, den Fürsten, antwortete der Graf; im Namen Gottes und aller Heiligen gieb ihn heraus!
Seid Ihr thöricht? Das Herz könnt Ihr aus der Brust mir reißen, nicht Stanislas aus meinen Armen. Und was hilf' es Euch, wenn ich ihn hergäbe? Möchtet Ihr ihn führen durch's ganze Land – so wie ich seinen Namen ausspreche und ihm befehle zu kommen, muß er ja doch mir folgen! Da, seht selbst!
Mit dem Ausdruck höhnischen Trotzes rief sie Stanislas! Augenblicklich wankte der Fürst aus der Grotte, blaß, mit verwildertem Haar, wie ein Sterbender, und stürzte anbetend zu ihren Füßen.
Was meint Ihr nun? Nützt er Euch noch? – Mein ist er, nur mein! Den Liebestrank hat er getrunken, seinen Ring trag' ich am Finger, und erst mit meinem Tode erlischt der Zauber.
So erlösch' er jetzt gleich! brüllte Horrja; von seinem Hollunderstrauch auf sie springend, riß er die Müllerin mit zu Boden und bohrt' ihr, eh' die vorsichtig herabsteigenden Jäger zu Hilfe kommen konnten, ein scharfes Messer in die bloße Brust.
»Stanislas« röchelte noch einmal die Getödtete, dann erstickte sie im Strom ihres dunklen Blutes.
Bei der letzten Zuckung, welche durch ihre Glieder ging, sank Stanislas den Jägern in die Arme, als ob er auch todt wäre! Behutsam wurd' er in's Thal, langsam nach Falkenschloß gebracht; sie trugen ihn, wie einen verwundeten Krieger aus der Schlacht, auf zusammengeflochtenen Zweigen.
Horrja zog den Ring von Grethens Finger, eilte damit auf's Falkenschloß, empfing eine reiche Belohnung und verließ bei Nacht und Nebel jene Gegend.
Jakob und Ulrich verscharrten, als erst wieder Dunkel auf den Bergen lag, den Leichnam der Geliebten, von ihren Thränen gebadet, im Garten neben Sultan's Grab. Dann sagten sie der Mühle Lebewohl und zogen mitsammen in die weite Welt. Auch die dummen Mägde zerstreuten sich, indem sie Kreuze über Kreuze schlugen.
Nach etlichen Tagen, bevor noch das Gericht eingeschritten war und Haussuchung gehalten hatte, brannte die Mühle nieder. Man will in den Flammen ein altes Weib gesehen haben; Einige sagen, es sei mit verbrannt; Andere behaupten, Sibylle habe des Müllers Gold aus dem Brande gerettet und sei dann auf und davon gegangen.
Mir scheint, die Mühle hat ursprünglich » Grethen-Mühle« geheißen und ist erst später in Volkes Mund zur » Kröten-Mühle« geworden. Nun, Kröten, wie gesagt, hat's genug im Sumpfe, der ein Teich war.
Fürst Stanislas erholte sich gar bald bei guter Pflege und jugendlicher Kraft zur vorigen Schönheit. Der Zeit in der Grotte wußt' er sich nur wie eines Traumes zu erinnern und wünschte nicht, daß man davon redete. Völlig genesen, gab er seiner schönen Gemahlin das Glück in reicher Fülle, dessen sie so würdig; sie liebten sich sehr, waren mildthätig, fröhlich und guter Dinge; begruben in Schmerzen die Eltern, erzogen in Freuden ihre Kinder; und wahrhaftig, wenn sie nicht gestorben wären, könnten sie heute noch leben.