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Jacob. Zwei Zeugen.
Jacob (geht an die Thüre und lauscht). Hört Ihr wol, Ihr lieben Leute? So wie ich Euch einen Wink gebe, stürzt Ihr gleich mit mir hinein. (Er winkt ihnen, sie stürzen mit ihm hinein und bringen Ochsendorf herausgeschleppt.) Ei, Du undankbarer Bube, ist das der Dank für die Höflichkeit, mit der ich Dich in mein Haus aufgenommen und Dir alles Gute erwiesen habe?! Sieh her (indem er seinen Degen zieht), ich werde Dich lehren, was das zu bedeuten hat, eine anständige Dame zu beschimpfen!
Heinrich. Die Vorigen.
Heinrich. Holla, was ist hier los? Was macht Ihr, Schwager? Wollt Ihr in Eurem eigenen Hause zum Mörder werden an eines braven Mannes Sohn und Eurem eigenen Verwandten?!
Jacob. Laß mich los, Schwager, oder das Donnerwetter holt Euch alle zusammen!
Heinrich. Ach, mein allerliebster Schwager, bedenkt doch, was Ihr thut?!
Jacob. Bedenken hin, bedenken her, er muß geopfert werden, und ist meine Frau schuldig, so muß sie mit ihm sterben. Laß mich los, sag' ich! 238
Heinrich. Was ist denn geschehen, mein allerliebster Schwager?!
Jacob. Er hat wollen mein Ehebett beflecken – laß mich los, he Du! (Heinrich balgt sich so lange mit ihm, bis er ihm den Degen aus der Hand windet.) Hei Gewalt! Gewalt! Ihr guten Männer sollt mir bezeugen, was hier passirt ist! Kann ich mich nicht selbst rächen, so sollen Gesetz und Recht mich rächen!
Lucretia. Die Vorigen.
Lucretia (mit fliegenden Haaren). Wo ist der Schelm? Ich will ihn packen! Ist das eine Art mit einer anständigen Dame umzugehen? (Ochsendorf verkriecht sich hinter Heinrich.) Sein Herzblut muß ich sehen; denkt er, ich bin eine Hure? Wo ist er geblieben? Ach, ich sterbe, wenn ich nicht auf dem Fleck Rache bekomme! Holla, bist Du da?! (Sie faßt ihn bei den Haaren und schüttelt ihn tüchtig. Heinrich springt dazwischen und wehrt sie ab. Die beiden Männer halten Jacob.) Ei, laßt mich doch Rache nehmen an ihm!
Heinrich. Ei, meine Herzensschwägerin, wir sind alle Menschen, Ihr müßt Nachsicht haben mit einem jungen Menschen.
Lucretia. Die Augen will ich ihm ausreißen!
Heinrich. Ei, Schwägerin, er hat sich vergangen und bekennt seinen Fehler.
Lucretia. Bekennt seinen Fehler? Ist das genug? Nein, nicht lebendig soll er von der Stelle kommen!
Jacob. So ist's recht, Frau, reiß' dem Hund die Augen aus! Laßt mich los, sag' ich, Ihr Kerle!
Heinrich. Vetter, spring' in die Kammer und riegle die Thüre zu!
(Ochsendorf läuft fort.) 239
Jacob. Lucretia. Heinrich. Die beiden Männer.
Jacob. Ha ha ha, das geht schön, nun haben wir ihn tüchtig in der Klemme; wie soll es nun weiter gehen, Heinrich?
Heinrich. Da muß sofort stehenden Fußes ein Proceß eingeleitet werden, nicht im Ernst, sondern nur um ihn immer mehr in Angst zu setzen.
Lucretia. Spielt' ich meine Rolle nicht gut?
Jacob. Du bist ein geschicktes Mädchen, Du hast Dein Meisterstück gemacht.
Heinrich. Geht nur alle fort und laßt zwei gute Freunde kommen als Gerichtsdiener; unterdessen bring' ich ihn wieder heraus.
(Die Uebrigen ab.)
Heinrich allein.
Heinrich. Mach' auf, Monfrere.
Ochsendorf (von drinnen). Ich werde mich hüten.
Heinrich. Sie sind alle fort, ich bin allein.
Ochsendorf. Ich fürchte, sie kommen wieder.
Heinrich. Sie können nicht wieder kommen, ich habe die Thüre verriegelt.
(Ochsendorf kommt heraus.)
Ochsendorf. Ach, Monfrere, ich fürchte doch, sie kommen wieder.
Heinrich. Setzt Monfrere Mißtrauen in meine Worte? Hab' ich das wol verdient, daß Du mißtrauisch gegen mich bist?
Ochsendorf. Ach nein, Monfrere, Du hast an mir gehandelt, wie nur ein Bruder am andern handeln kann.
Heinrich. Ja, ich habe mein Leben für Dich gewagt. Aber das hat nichts zu sagen, wenn ich nur sehe, daß Du es mir 240 gedenkst; ich werde Dir auch ferner aus allen Kräften beistehen, als treuer Bruder und Vetter.
(Ochsendorf fällt ihm um den Hals und weint; Heinrich weint ebenfalls.)
Ochsendorf. Ach, Monfrere, wie soll ich mich retten aus diesem Unglück?
Heinrich. Ja, ich weiß es wahrhaftig auch nicht, ich bin so verwirrt im Kopf und so bestürzt, daß ich nicht weiß, ist es Tag oder Nacht? Ich habe nach dem Procurator Knud geschickt, das ist ein geriebener Mann, um seinen Rath zu hören.
Ochsendorf. Aber kann Monfrere mir nicht helfen, daß ich mich rasch aus der Stadt davon mache?
Heinrich. Ja richtig, das Erste, was Schwager Jacob that, war, die Hausthüre zu verschließen; Du kannst nicht heraus.
Ochsendorf. Ach, ach, ich elender Mensch, das kostet mich den Hals! Aber wie kam das nur, mein Herzensvetter, daß die Madame mich so übel behandelte, da sie mir ihre Liebe doch selbst erst angetragen?
Heinrich. Monfrere, Du bist noch ein wenig einfältig; sie mußte sich ja so stellen um ihres Mannes willen, um ihre Ehre zu retten, ja vielleicht ihr Leben. Ich sprach sie nachher insgeheim, da weinte sie wie ein Kind und bat mich, sie zu entschuldigen. Aber was wollen die Leute hier?
Zwei Gerichtsdiener. Heinrich. Ochsendorf.
Die Gerichtsdiener. Hier ist ja wol ein junger Mann mit Namen Ochsendorf?
Heinrich. Was wollt Ihr von ihm?
Die Gerichtsdiener. Wir haben ihn von Amtswegen vors Stadtgericht zu citiren, um Antwort zu geben auf die Klage, welche Jacob Christophersen wider ihn angestellt hat. Das ist gewiß der Mann. Hört, Monsieur, wir sollen Ihm anzeigen, daß Er sich heut über acht Tage Punkt neun Uhr auf dem Stadtgericht einfindet, um Antwort zu geben auf die Klage, welche 241 Jacob Christophersen, Bürger und Einwohner hiesiger Stadt, wider ihn angestellt hat.
Heinrich. Es ist gut, Ihr lieben Leute.
(Sie gehen.)
Ochsendorf. Ich dächte, das wäre mäßig gut.
Heinrich. Die Gerichtsdiener müssen eine Antwort haben, das thut nichts zur Sache, ob man ihnen so antwortet oder so, es genügt, daß sie ihren Auftrag ausgerichtet haben.
Ochsendorf. Ach, mein Herzensmonfrere, sollt' es nicht möglich sein, sich aus dem Staube zu machen?
Heinrich. Nein, er hat zwei Matrosen als Aufpasser an die Thüre gestellt, und wenn Du fortläufst, so machst Du die Sache nur schlimmer.
Ochsendorf. Ach, ich elender Mensch, das ist ein betrübter elfter Juni für mich!
Heinrich (weinend). Ach Monfrere, Du kannst nicht glauben, wie schwer mir das Herz ist um Deinetwillen!
(Sie weinen beide.)
Ochsendorf. Ach, sollt' es nicht möglich sein, sich aus dem Staube zu machen?
Heinrich. Nein, Monfrere, den Gedanken gebt auf, der thut nicht gut.
(Sie weinen wieder.)
Heinrich. Aber kommt da nicht mein guter Freund, Procurator Knud? Ach, Herr Advocat, Sie kommen wie gerufen, hier ist ein Schilling zu verdienen.
Knud. Serviteur, Monsieur Niels Christensen! Er soll Dank haben, daß Er an mich denkt und mir einen Schilling zu verdienen giebt.
Heinrich. Ach, Herr Procurator, jetzt thut Euer Möglichstes! 242 Hier ist ein junger Mensch, der ist ins Unglück gekommen; könnt Ihr ihn retten, so sollt Ihr raisonnabel bezahlt werden.
Knud. Um was handelt es sich?
Ochsendorf. Ich bin Jacobs Frau zu nahe gekommen, Väterchen.
Knud. Und sind Zeugen darauf?
Ochsendorf. Ja leider.
Knud. Das ist, wenn ich mich recht erinnere, eine Sache, bei der es sich um Leib und Leben handelt, ich habe das Gesetzbuch bei mir und will sicherheitshalber gleich mal nachschlagen. Das ist die Stelle, sechstes Buch, drittes Kapitel, achter Artikel: Wer einen Versuch macht, eine verheirathete Frau zu nothzüchtigen, der soll am Leben gestraft werden, auch wenn er mit seinem Vorsatz nicht zu Stande gekommen.
Ochsendorf. Ach, Herr Procurator, sollte man sich denn nicht aus dem Staube machen können?
Knud. Ja richtig, schön Dank auch, da verlör' ich ja einen Proceß; so lassen wir uns die Nahrung nicht aus den Händen winden. Aber ich will Euch was anders sagen: wir verdrehen den Artikel, so klar er auch ist, ich will mich Seiner schon annehmen als ein ehrlicher Mann und es schon so machen, daß Monsieur mit Pranger und Auspeitschung davon kommt.
Ochsendorf. Ach, ach, ich elender Mensch! Ach, ach, sollte man sich nicht aus dem Staube machen können, Herr Procurator?
Knud. Hört Er nicht, Monsieur, daß das nicht sein kann? Wie sollte ich wol eine solche wichtige Sache aus den Händen lassen? Da wär' ich ja nicht werth, je wieder vor Gericht zu agiren, ich würde ja von allen Advocaten für einen Spitzbuben gehalten werden; die werden sich schon genug darüber ärgern, daß ich, als ein junger Procurator, schon solche Sachen zu führen kriege.
Heinrich (auf den Knieen). Ach, Herr Procurator, thut Euer Möglichstes! Geht's meinem Vetter ans Leben, so sterb' ich vor Kummer mit!
(Heinrich spricht heimlich mit Knud.)
Knud. Wie gesagt, Monsieur Niels Christensen, verlaßt Euch auf mich, ich bin ein ehrlicher Mann. Jetzt kann ich mich 243 hier nicht länger aufhalten, ich habe vier brave Männer zu vertheidigen, die gehängt werden sollen, noch außer Eurem Vetter; adieu. (Ab.)
Ochsendorf. Heinrich.
Ochsendorf. Was für Hoffnung gab er Dir, da er wegging?
Heinrich. Dieselbe, die er Monfrere gab: er schwor mir zu, daß sich nichts weiter thun ließe.
Ochsendorf. Ach weh, ach weh! Aber sollte man sich nicht aus dem Staube machen können?
Heinrich. Ich hab' Euch schon gesagt, Vetter, es ist unmöglich. Doch will ich Eins versuchen, ob das geht, nämlich, ob es möglich ist, Schwager Jacob mit Geld zufrieden zu stellen.
Ochsendorf. Ach, Herzensvetter, versucht das doch!
Heinrich. Bleib' Du nur so lange hier, ich gehe hinein und spreche mit ihm. (Ab.)
Ochsendorf allein. Nachher Heinrich.
Ochsendorf. Ach, Niels Christensen, Du bist mir ein braver Vetter, lieber wollt' ich alle meine Geschwister verlieren, als blos Dich; Du hast mir solche Wohlthaten erwiesen, daß ich verpflichtet bin, mein Leben für Dich zu lassen. Komm' ich noch mit Ehren nach Hause, so will ich Dir wahrhaftig jedes Jahr einen großen Käse schicken und zwei Schinken, ja solch Vertrauen will ich zu Dir haben, daß Du nächsten elften Juni meine Zinsen für mich einkassiren sollst. Denn ich für meine Person komme mein Lebtage nicht wieder nach Kopenhagen. (Drinnen zanken sie sich.) Nein, höre mal, wie der Herzensmann sich zankt um meinetwillen! Na wer weiß, vielleicht läßt Jacob sich doch noch mit Geld zur Ruhe bringen. (Sie zanken wieder.) Nein, höre mal, nun sind sie hart aneinander; ach, ich fürchte nur, er geräth noch 244 meinetwegen ins Unglück. (Sie zanken wieder.) Jetzt haben sie sich gewiß bei den Haaren, es scheint, er läßt eher sein Leben, als daß er nachgiebt. Nun wird's wieder still. Es wird am Ende doch noch gut. (Sie zanken wieder heftig.) Nein, jetzt giebt's gewiß ein Unglück; hör' mal Einer, was der Jacob schreit! Nu wird's wieder still. Sie sprechen ganz leise; ach, wenn er sich doch bewegen ließe! Sieh da, da kommt er zurück. (Heinrich wischt sich den Schweiß ab.) Ach, Herzensvetter, ist da noch Rettung für mich?
Heinrich. Ja, laß mich nur erst ein wenig verpusten.
Ochsendorf. Will Monfrere nicht ein Glas Branntwein, den Aerger hinunterzuspülen? Da steht gleich welcher auf dem Tisch.
Heinrich. Ja, reich' ein Glas her. Ach, das bringt mich gleich wieder zurecht; so ein Branntwein ist doch ein herrliches Ding, nämlich mit Maßen gebraucht. Hör', Monfrere, mit fünfhundert Thalern kannst Du Dich retten.
Ochsendorf. Ich habe nicht mehr als zweihundert in meinem ganzen Vermögen. Ach, ach, fünfhundert Thaler! Das ist doch gar zu hart!
Heinrich. Es hat Mühe genug gekostet, daß ich ihn nur so weit habe bringen können.
Ochsendorf. Herzensmonfrere, sag' ihm, daß zweihundert Thaler alles sind, was ich aufbringen kann.
Heinrich. Wahrhaftig, Vetter, ich habe den Muth nicht, ihm das zu sagen, er spuckt mir ins Gesicht, wenn ich ihm solch Angebot mache.
Ochsendorf. Wolan, ich will ihm dreihundert Thaler geben, aber dann hab' ich auch keinen Schilling Reisegeld mehr.
Heinrich. Ich will es meinetwegen versuchen, ich bin gleich wieder da. (Geht.)
Ochsendorf. Funfzig Thaler hab' ich freilich noch, aber das ist mein Reisegeld, das muß ich festhalten, so lange ich kann. (Drinnen zanken sie sich wieder.) Na nu hör' mal Einer, hol' den Jacob der Teufel, daß er sich gar nicht will sagen lassen, ich fürchte, der Rest wird auch noch springen; ach, ach, nie wieder setz' ich den Fuß über den Belt! (Sie zanken sich aufs neue.) 245
Heinrich (laut). Holla, zu Hülfe! zu Hülfe! Der Teufel befasse sich wieder mit so was, wär' ich nicht so rasch auf den Beinen gewesen, er hätte mich todt gestochen. Hör', Vetter, hier giebt es nur zwischen Zweien zu wählen: entweder Du unterwirfst Dich dem Buchstaben des Gesetzes oder Du zahlst vierhundert Thaler.
Ochsendorf. Will er sich denn mit vierhundert Thalern begnügen?
Heinrich. Kein Gedanke; aber ich hab' ihm versprochen, daß für die übrigen hundert Thaler Deine Koffer als Pfand zurückbleiben sollen.
Ochsendorf. Ich habe wahrhaftig selbst nur noch funfzig Thaler und weiß kein Mittel mehr zu kriegen, ich müßte mir denn meine silbernen Knöpfe vom Rock schneiden.
Heinrich. Thue der Herr Vetter, was Ihm beliebt. Ich für meinen Theil hätte da gar kein Bedenken; die Knöpfe abschneiden, scheint mir, ist doch noch immer besser als gehängt werden.
Ochsendorf. Ach, ach, ich trenne mich so ungern von den Knöpfen, die mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater schon getragen!
Heinrich. Na und wenn sie Methusalem an seinem Brautrock getragen hätte, so gäbe ich mich zufrieden und schnitte sie ab. Oder was meinst Du, was für ein Ruhm wird das sein, wenn die Leute sagen: Niels Ochsendorf ist solch ein Liebhaber von Antiquitäten gewesen, daß er sich hat lieber wollen hängen lassen, als ein paar silberne Knöpfe abschneiden, die seinen Vorfahren gehört haben? Solche verrückten Einfälle kann ich für den Tod nicht leiden.
Ochsendorf. Na, so kann er nur den Rock dazu nehmen. (Zieht sich den Rock aus.)
Heinrich (weint). Es schneidet mich ins Herz, daß ich dem Herrn Vetter auf die Art den Rock aushelfen muß; doch wollen wir Gott danken, daß es noch so abläuft. Denn das kannst Du glauben: wenn Procurator Knud sagt, daß Einer zu Pranger und Auspeitschung verurtheilt wird, so wird er sicher gehängt, 246 es ist das so dieselbe Manier wie bei den Doctoren, die den Patienten die Gefahr auch immer geringer vorstellen, als sie ist.
Ochsendorf. Sieh her, Vetter, da hast Du das Geld, es wird, denk' ich, richtig gezählt sein.
Heinrich. Schwager Jacob wird es auf des Herrn Vetters Wort auch ungezählt nehmen.
Ochsendorf. Aber, theurer Vetter, könntest Du nicht erst noch einen Versuch machen und ihm dreihundert bieten?
Heinrich. Will der Herr Vetter den Versuch nicht selber machen?
Ochsendorf. Ach, mein Vetter, gieb es ihm nur alles hin, damit ich nur bald fortkomme. (Heinrich ab; Ochsendorf horcht an der Thüre.) Horch, da zanken sie sich wieder! Das ist ein verflucht jähzorniger Kerl, ich fürchte, er hat sich wieder anders besonnen. Nein, nun wird er gut, er spricht kein Wort mehr. – Da kommt der Herr Vetter; na, das war ja rasch ins Reine gebracht?
Heinrich. Triumph! Triumph, Monfrere! Kannst Du blos bis Röskild kommen, so hast Du nachher nicht weiter nöthig, Dich um Reisegeld zu bekümmern. Das muß ich sagen, das heißt ein gutes Herz: die Madame hat mir einen Brief in die Hand gesteckt, worin sie Knud Knudsen, einen der ersten Kaufleute von Röskild, ersucht, dem Herrn Vetter hundert Thaler zum Reisegeld auszuzahlen.
Ochsendorf. Ach, die vortreffliche Frau!
Heinrich. Sie weinte vor Mitleid, daß ihr die Thränen nur so rasselten wie die Hagelkörner.
Ochsendorf. Ach, das edelherzige Weib!
Heinrich. Nun kann der Herr Vetter reisen, wenn er Lust hat.
Ochsendorf. Aber ich bin ja so nackend, als käm' ich aus Mutterleibe.
Heinrich. Nicht doch, Du hast ja noch Deine Unterkleider, mit Weste und Hosen, so viel ich weiß, wird niemand geboren.
Ochsendorf. Dies Geld ist doch ein kleiner Trost für mich.
Heinrich. Das ist gewiß, und übrigens kann sich der Herr 247 Vetter auch mit der Hypothek trösten, die er auf das große Haus am Markte gekriegt hat.
Ochsendorf. So ist es.
Heinrich. Item, daß Du Dein Kapital einem so unsichern Manne wie dem Schuldenborg aus den Händen gewunden hast.
Ochsendorf. So ist es, ja wohl.
Heinrich. Rechne Dir alles zusammen, Monfrere, so hast Du bei dieser Reise noch mehr gewonnen als verloren, besonders wenn man die hundert Thaler rechnet, welche die Madame Dir in dem Briefe angewiesen hat.
Ochsendorf. Aber wo wohnt der Mann in Röskild, bei dem ich das Geld erheben soll?
Heinrich. Jedes kleinste Kind, das Du nach Knud Knudsen fragst, kann Dir sagen, wo er wohnt. Er ist just so bekannt in Röskild wie Lars Andersen in Kopenhagen; an solche bekannten Personen werden die Briefe nicht näher adressirt. Da kommen mitunter Briefe aus Indien, hol' mich der Teufel, wo nichts weiter drauf steht, als: A Mosje Lars de Anderssen abzugeben in Europa.Die Geschichte von Boerhave, dem berühmten holländischen Arzte, und dem (heißt es) aus China an ihn gerichteten Briefe: »Herrn Boerhave in Europa«, ist noch heute allbekannt, sie war damals (Boerhave starb erst 1738) noch ganz neu und hat dem Dichter ohne Zweifel bei dieser Stelle vorgeschwebt. A.d.Ü.
Ochsendorf. Höre, Monfrere, wenn ich nur meine silbernen Knöpfe behalten hätte, da wollt' ich mich noch eher zufrieden geben.
Heinrich. Monfrere kann sie ja wieder einlösen; schick' mir nur so viel Geld, wie die Knöpfe wiegen, so sollst Du Deine Knöpfe wieder haben in Zeit eines Monats.
(Ein Knabe kommt und sagt Heinrich etwas ins Ohr.)
Heinrich. Ach, ist es möglich, daß die Rachgier einen Menschen so überwältigen kann?!
Ochsendorf. Na, was ist denn nun schon wieder los?
Heinrich. Unsere tugendhafte Schwägerin, Madame Jacobs, ließ mir durch diesen Knaben melden, daß Schwager Jacob an der Ecke der Straße mit drei Kerlen steht und Monfrere auflauert, um ihm den Buckel durchzubläuen.
.Ochsendorf. Was? Habe ich ihn nicht zufrieden gestellt?
Heinrich. Das ist schon richtig, Monfrere, einen Proceß kann er nicht mehr gegen Dich anstellen, denn das Geld ist ihm in Gegenwart von Leuten gezahlt worden, die wider ihn zeugen 248 können. Aber es geht ihm noch im Kopfe herum, daß Monfrere ihn hat zum Hahnrei machen wollen; darum hat er sich heimlicher Weise an der Straße hingestellt, um Dir mit der Karbatsche das Reisegeld auszuzahlen.
Ochsendorf. Wie soll ich da nur fortkommen?
Heinrich. Höre, Monfrere, besser todt als rathlos. Ich habe da ein großes Faß in der Nähe, willst Du da hineinkriechen, so soll der Junge Dich sacht über die Straße rollen, bis Du am Eckhaus vorbei bist.
Ochsendorf. Ach, Monfrere, Du hast Einfälle wie ein Engel; thu' was Dich gutdünkt.
(Er wird in ein großes Faß gelegt, worauf der Boden zugeschlagen wird.)
Heinrich. Der Bengel hat, wie ich merke, noch etwas Geld bei sich, das muß ich auch noch haben, bevor er abreist, damit er doch sagen kann, er ist in Kopenhagen gewesen, und nicht so bald wieder kommt, seine Zinsen zu holen.
(Ochsendorf, der in dem Faß keine Luft kriegen kann, fängt an zu schreien, worauf man ihn wieder herauszieht.)
Ochsendorf. Ah . . . . Ah . . . . ich bin beinahe erstickt!
Heinrich. Da müssen wir auf einen andern Ausweg denken. Hier hab' ich einen Sack, wenn Du Dich bequemen willst, da hinein zu kriechen, so kann ein Kerl, der hier in der Nähe ist, Dich über die Straße tragen; der Sack ist voll Löcher, da kannst Du Luft holen.
(Der Kerl, der ihn trägt, fällt rücklings mit dem Sack.)
Ochsendorf (ist mit Mehl bestäubt). Ach, ich elender Mensch! Die Arznei ist schlimmer als die Krankheit!
Heinrich. Höre, Monfrere, wenn Du Dich gut verstellen kannst, so hab' ich nun noch ein sicheres Mittel, Dir zu helfen. Ich habe eine vollständige Nachtwächteruniform bei der Hand, die kannst Du Dir anziehen und so dem Jacob dicht bei der Nase vorbeigehen, ohne daß er oder irgend ein Anderer Dich erkennt. Wir bleiben geschiedene Leute für ewig, wenn er hört, daß ich Dir durchgeholfen. Aber das kann nichts helfen, ich habe Dich bei dem kurzen Umgang, den wir miteinander gehabt haben, so lieb gewonnen, daß ich nicht Feuer noch Wasser scheue, 249 Dich zu retten. Du mußt fort, noch heute Abend, wie es auch sei; die Nacht über hier im Hause bleiben, ist nicht gerathen.
Ochsendorf. Ach ja, Monfrere, so wollen wir dies Mittel versuchen.
Heinrich. Wenn Du nur so rufen könntest wie ein Nachtwächter, so wäre das charmant; denn es ist gerade zehn Uhr.
Ochsendorf. Na, ich denke doch.
Heinrich. Uebe Dich nur ein bischen, unterdessen ich gehe und den Anzug hole. (Geht und Ochsendorf übt sich unterdessen, nach Art der Nachtwächter zu rufen. Heinrich kommt wieder und zieht ihm die Nachtwächterkleidung an.) Sieh da, Monfrere, nun siehst Du vollkommen aus wie ein Nachtwächter; nun geh' Du nur ruhig die Straße entlang und ruf' unterwegs die Stunde ab, und wenn Du beim Eckhaus vorbei bist, dann stoße nur in die Pfeife hier, dann weiß ich schon, wo Du zu finden bist.
Jacob (sich mit der Karbatsche herbeischleichend). Na, nu will ich den Kerl gut durchschmieren und ihm solch Reisegeld aufzählen, daß er sich in seinem Leben nicht mehr unterstehen soll, eines braven Mannes Frau zu beschimpfen. (Zu Ochsendorf gewendet) Heda, Wächter, was ist die Glocke?
(Ochsendorf ruft Zehn und geht dann weiter, bis die Gefahr vorbei ist.)
Ochsendorf. Nun muß ich nur in die Pfeife stoßen, damit mein Vetter mich finden kann.
(Stößt dreimal in die Pfeife. Die übrigen Wächter in der Nähe glauben, es giebt Lärm in der Nachbarschaft, stoßen ebenfalls in die Pfeifen und kommen herbeigelaufen und fragen ihn, was los ist.)
Ochsendorf. Nichts, Väterchen.
Nachtwächter. Aber warum stößt Du denn in die Pfeife? Wo ist Dein Morgenstern?
Ochsendorf. Nach dem Morgenstern müßt Ihr mich fragen, wenn Tag ist, jetzt kann ich Euch höchstens den Abendstern weisen.
Nachtwächter. Kommt, Kerle, schleppt das Vieh aufs Rathhaus, er ist besoffen und hat seinen Morgenstern verloren. (Sie schleppen ihn ab.)
Heinrich (läuft herzu). Was ist los, liebe Leute? 250
Nachtwächter. Da ist ein Nachtwächter, der ist besoffen und hat seinen Morgenstern verloren.
Heinrich. Ei, Ihr müßt es nicht so streng nehmen mit Eurem eigenen Kameraden!
Nachtwächter. Na, dem ist der spanische Bock sicher!
Zweiter Nachtwächter. Bei Licht besehen, ist das, glaub' ich, gar nicht einmal ein Nachtwächter, sondern ein verkleideter Spitzbube; in welches Revier gehörst Du denn?
Ochsendorf. Ich gehöre in gar kein Revier.
Zweiter Nachtwächter. Na, ich hab's ja gleich gedacht, es ist gar kein Nachtwächter! Marsch aufs Rathhaus!
Heinrich. Hört, Kinderchen, laßt den armen Kerl laufen, es scheint ein einfältiger Mensch zu sein.
Die Wächter. Die Schwerenoth soll er kriegen!
Heinrich. Ich will Euch ja gern ein gutes Trinkgeld geben, wenn Ihr ihn gehen laßt. (Zieht Ochsendorf bei Seite.) Monfrere, aus dem Unglück könntest Du Dich noch retten, wenn Du blos noch zwanzig Thaler hättest, die Kerle damit zu schmieren; wär' ich selber nur bei Geld, Du solltest mich nicht zweimal darum bitten.
Ochsendorf. Zehn Thaler hab' ich, Vetter!
Heinrich. Das wird schwerlich helfen; ich will hören, was sie haben wollen. (Geht hin und spricht heimlich mit den Wächtern; dann kommt er zurück.) Das ist ein Jammer, daß Du nicht noch lumpige sechs Thaler hast; denn sie wollen sechzehn Thaler haben.
Ochsendorf. Ach, Monfrere, kannst Du mir nicht sechs Thaler leihen?
Heinrich. Vielleicht, aber freilich bin ich dann ganz entblößt. Doch das will nichts sagen, wo sind Deine zehn Thaler? (Ochsendorf giebt ihm das Geld, und Heinrich giebt den Nachtwächtern davon nach Belieben, worauf sie fortgehen.) Ach, Monfrere, ich fürchte, ich nehme mir noch vor Kummer das Leben! Es ist wirklich nicht meine Schuld, daß das so unglücklich ausfällt, ich hab' Alles gethan, was ein guter Freund und Bruder dem andern thun kann. Aber wenn Monfrere glaubt, daß ich strafbar bin, weil mein guter Anschlag mißglückt ist, so will ich Dir das Geld gern wiedergeben. 251
Ochsendorf. Ich danke, Monfrere.
Heinrich (leise). Was für eine verfluchte Natur in dem Kerl steckt! (Laut) Ich sage, wenn ich so glücklich wäre, bei Gelde zu sein, würd' ich Dir die zehn Thaler wieder geben und noch zehn dazu. Das Unglück ist nur, daß Monfrere gerade heute Abend fort muß; spätestens in einem Monat lasse ich einige Bücher verauctioniren, da krieg' ich Geld. Aber nun laß uns sehen, wie wir beim Eckhaus vorbeikommen. (Führt Ochsendorf auf die andere Seite.) Sieh da, Monfrere, nun sind wir in Sicherheit. (Zieht ihm die Nachtwächterkleidung wieder aus.)
Ochsendorf. Ach, ich danke Dir, mein allerliebster Vetter, für alle Deine Güte; nun muß ich hier Abschied nehmen und wiederhole Dir, was ich schon vorhin gesagt habe: nämlich, daß mir nichts in der Welt ein größeres Vergnügen machen könnte, als Monfrere wieder zu dienen; ich wünschte nur, Monfrere setzte mich auf die Probe, nicht Gut noch Blut soll mir zu theuer sein, wenn ich meine Dankbarkeit dadurch beweisen kann. Ich kann nichts mehr sagen, das Wort bleibt mir vor Betrübniß im Halse stecken, daß ich solchen wahrhaften Freund verlieren soll.
(Sie fallen einander um den Hals und heulen. Ochsendorf geht weiter.)
Heinrich. Hör', Monfrere, noch ein Wort! Sowie Du Geld kriegst in Röskild, mußt Du Dir einen alten Ueberrock kaufen, wo Du Dich hübsch drin einwickeln kannst. Mir ist bange, Du erkältest Dich unterwegs; die Luft hier in Seeland ist scharf, sogar im Julimonat. Vergiß nicht Deine Eltern zu grüßen, und sag' ihnen, wenn ich noch sonst mit etwas dienen kann, so sollt' es mich freuen.
Ochsendorf. Tausend Dank, mein süßes Brüderchen; adieu! adieu! (Ab.)
Heinrich (ihm nachrufend). Monfrere, nimm Dich gut in Acht, daß Du nicht auf dem Wagen einschläfst, Du könntest zu Schaden kommen! Und verwahre Dein Geld wohl, daß es Dir Keiner stiehlt, Du kannst Dir einen Knoten ins Hemde machen, da merkt Keiner, daß Du Geld hast! Leb' wohl!
(Er winkt dreimal mit dem Hut hinter ihm drein.) 252
Heinrich. Lucretia.
Heinrich. Ging das nicht schön? Das macht, wenn man studirt hat, Mamsell. Latein ist den Menschen zu allen Dingen nütze; Ihr habt Eure Sache so leidlich gemacht, aber wenn Ihr Latein könntet, da wäre es noch weit besser gerathen.
Lucretia. So viel Latein wie Du, glaub' ich, kann ich auch.
Heinrich. Ja, Ihr könnt vielleicht noch mehr, in gewissem Sinne: aber doch nicht solch Latein, wie man in den lateinischen Schulen lernt.
Lucretia. Bist Du denn in einer lateinischen Schule gewesen?
Heinrich. Ei freilich, und das mit Ruhm; denn in dem halben Jahr, das ich in der untersten Klasse saß, bin ich allein dreimal ausgehauen worden. Sollt' ich da nicht Latein verstehen, wie meine Muttersprache?
Lucretia. Aber hör', Heinrich, wenn die Beute nun getheilt wird, so bitt' ich, mich nicht zu vergessen.
Heinrich. Nein, gewiß nicht, Mamsell, Ihr kennt Eure Taxe: achtundzwanzig Schillinge.
Lucretia. Du Schlingel, soll ich mit achtundzwanzig Schillingen zufrieden sein?
Heinrich. Das ist ja der alte Preis, das ist ja wie beim Bäcker die Semmel. Aber wir werden schon zurecht kommen; ich und mein Herr sind raisonnable Leute. Und nun laß uns hineingehen.
(Beide ab.)
Der rechte Niels Christensen. Nachher Ochsendorf.
Niels Christensen. Das ist eine seltsame Geschichte mit meinem Vetter Niels Ochsendorf, der war schon gestern in Röskild und heute ist er noch nicht hier. Ich muß doch mal in den 253 Drei Hirschen herangehen und nach ihm fragen; man kann nicht wissen, ob dem armen Kerl nicht etwas zugestoßen; denn es ist das erste Mal, daß er in die Stadt kommt.
(Ochsendorf tritt auf; er weint und fragt nach dem Weg zum Westerthore.)
Niels Christensen. Warum weint Ihr, Kamerad?
Ochsendorf. Ich bitte, Gevatter, könnt Ihr mir nicht sagen, wo hier der Weg nach dem Westerthore geht?
Niels Christensen. Seid Ihr denn so fremd hier in der Stadt?
Ochsendorf. Ja, gewissermaßen bin ich fremd und gewissermaßen bin ich nur zu bekannt. Hätte ich doch meinen Vetter Niels Christensen gebeten, mich gleich bis zum Westerthor zu begleiten, er ist eine ehrliche Seele, er würde es gleich gethan haben.
Niels Christensen. Wo wohnt der Niels Christensen?
Ochsendorf. Er wohnt in einem Hause, das heißt abzugeben in Hungershof.
Niels Christensen. Was Henker ist das? Was Henker ist das? In ganz Kopenhagen giebt es nur einen Hungershof und da wohnt niemand als ich.
Ochsendorf. Ja, ich glaube wol, daß hier noch verschiedene Straßen sind, wo es einen Hungershof giebt. Aber dieser Hungershof liegt in einer Straße, die heißt HafniaHafnia ist bekanntlich der lateinische Name für Kopenhagen; Titel und Adressen aus Briefen wurden damals häufig lateinisch abgefaßt, wie bei uns, selbst noch in späterer Zeit, französisch. A.d.Ü.; denn so stand auf dem Briefe, den ich ihm gab: Hungershof in Hafnia.
Niels Christensen. Wie heißt Er, Monsieur?
Ochsendorf. Ich heiße Niels Ochsendorf, jetzt aber heiße ich besser Niels Ochsenkopf, in solche Bedrängniß bin ich gerathen.
Niels Christensen. Was Henker hör' ich? Seid Ihr Henning Nielsens Sohn?
Ochsendorf. Kennt Ihr Henning Nielsen?
Niels Christensen. Na wie sollt' ich nicht meinen eigenen Vaterbruder kennen?
Ochsendorf. So seid Ihr vermuthlich ein Bruder von Niels Christensen? Ich habe noch gar nicht gewußt, daß Niels Christensen einen Bruder hat?
Niels Christensen. Ich bin selbst Niels Christensen und habe keinen Bruder. 254
Ochsendorf. Ja, ich werde mir auch von Euch was aufbinden lassen. (Leise) Was das hier in der Stadt für verfluchte Menschen giebt!
Niels Christensen. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich Euer Vetter Niels Christensen bin.
Ochsendorf. Den Teufel mögt Ihr! (Leise) Was das hier in der Stadt für verfluchte Menschen giebt!
Niels Christensen. Na, das ist doch seltsam, daß Ihr besser wissen wollt, wer ich bin, als ich selbst?
Ochsendorf. Hört, mein Herr, wo Ihr Euer Bier getrunken habt, da verschüttet auch Eure Hefe; was soll der Unsinn? Erst in diesem Augenblick hat mein Vetter Niels Christensen mich verlassen.
Niels Christensen. Wollt Ihr mich besoffen oder toll machen? Ich schwöre Euch, daß ich Niels Christensen bin, Brudersohn von Henning Ochsendorf.
Ochsendorf. Und ich schwöre, daß Ihr weder Niels Christensen seid, noch jemals werdet.
Niels Christensen. Nun, so will ich Euch doch gleich überführen. Da seht (er nimmt fünf Briefe aus der Tasche und liest die Aufschriften davon). »Dem ehrwürdigen und wohlgelehrten Niels Christensen, S. Theologiae Studiosus, Hafnia. A Monsieur Monsieur Niels de Christensen à Copenhague. Herrn Herrn Niels Christensen, abzugeben in Hungershof. A Monsieur Monsieur Niels de Christensen, Student très renommé dans la Hungershof, per Couvert. Dem edlen und wohlgelehrten Nicolaus Christensen, philosophiae Baccalaureus, mit einem Freund, den Gott geleite.« Wollt Ihr nun glauben, daß ich der rechte Niels Christensen bin?
Ochsendorf. Nein, und wenn Ihr einen Brief zeigt so groß wie das ganze Westerthor.
Niels Christensen. Ich merke schon, man hat Euch einen Possen gespielt. Aber wenn ich Euch einen Brief zeigen kann von Eurem eigenen Vater, wollt Ihr mir dann glauben?
Ochsendorf. Ja, dann wird's wol nicht anders gehen . . .
Niels Christensen. Seht her, lest nur diesen Brief! 255
Ochsendorf (liest den Brief). Ach Himmel, so ist der Andere ein falscher Niels Christensen gewesen?!
Niels Christensen. Ja was sonst? Aber wo habt Ihr logirt, wo sind Eure Kleider?
Ochsendorf. Ich habe bei Schwager Jacob logirt, in dem Haus da drüben.
Niels Christensen. In welchem Hause?
Ochsendorf. Na in dem Haus da an der Ecke.
Niels Christensen. Das ist ja Wester-Paradies?
Ochsendorf. Das mag den Teufel ein Paradies sein, eine Hölle ist es für mich gewesen.
Niels Christensen. Das war vor diesem ein liederliches Haus voll Spieler und Spitzbuben.
Ochsendorf. Jetzt nicht mehr; Jacobs Frau ist eine anständige Dame, die hat gegen mich gehandelt, wie nur eine Mutter handeln kann gegen ihren Sohn. Denn nachdem ich ihretwegen Verdruß im Hause bekommen, und mich mit allem loskaufen mußte, was ich bei mir hatte, hat sie mir diesen Brief mit einem Wechsel darin gegeben an Knud Knudsen in Röskild. Seht her, hier ist der Brief: Herrn Knud Knudsen, vornehmen Handelsmann und Bankerotteur in Röskild – ach nein so, Banquier heißt es.
Niels Christensen. Hilf Himmel, wie ist dieser einfältige Mensch an der Nase herumgeführt worden! Macht den Brief nur auf, Ihr werdet gleich sehen, wie Ihr betrogen seid.
Ochsendorf (liest den Brief). »Niels Henningsen Ochsendorf ist ein Narr; dies Zeugniß giebt ihm Heinrich Larsen.«
Niels Christensen. Dacht' ich's nicht?
Ochsendorf (weint und heult). Ach, du betrübter elfter Juni!
Niels Christensen. Ja, nun seid Ihr in Kopenhagen gewesen, Vetter!
Ochsendorf. Ach, du betrübter elfter Juni!
Niels Christensen. Wo habt Ihr denn aber Eure Kleider. Vetter?
Ochsendorf. Wo meine Koffer sind.
Niels Christensen. Und wo sind Eure Koffer? 256
Ochsendorf. Wo meine Kleider sind.
Niels Christensen. Na, und wo ist denn alles Beides?
Ochsendorf. Zum Teufel ist Beides.
Niels Christensen. Die Eltern können das nicht verantworten, die ihre Söhne so allein reisen lassen, ohne ihnen nur einen Brief oder eine Adresse an Jemand mitzugeben.
Ochsendorf. Ich hab' einen Brief mitgehabt an Niels Christensen.
Niels Christensen. Wo ist er denn?
Ochsendorf. Den hat ja der andere Niels Christensen gekriegt.
Niels Christensen. Hört, Vetter, wenn Ihr sonst Lust habt, hängt Euch auf.
Ochsendorf. Ach, du betrübter elfter Juni!
Niels Christensen. Ja, das mögt Ihr wol zweimal sagen.
Ochsendorf. In allem Unglück, Vetter, hab' ich doch noch Eins, was mich tröstet, nämlich, daß ich ein Kapital von einigen tausend Thalern von Gerhard Schuldenborg weg und bei Lars Andersen untergebracht habe.
Niels Christensen. Den Mann kenn' ich nicht.
Ochsendorf. Den großen Banquier?!
Niels Christensen. Hier giebt's keinen Banquier dieses Namens.
Ochsendorf. Ei doch, er hat mir ja eine Hypothek auf sein großes Haus am alten Markt gegeben.
Niels Christensen. Wo liegt das Haus?
Ochsendorf. Mitten auf dem Markt; es ist ein schönes Haus, der Thurm darauf ist das Geld schon allein werth.
Niels Christensen. Ich kenne am Markt kein Haus mit einem Thurm darauf, außer das Rathhaus.
Ochsendorf. Man geht zu beiden Seiten zwei große steinerne Treppen hinauf, auf der einen Seite ist ein Springbrunnen, auf der andern ein Rabenstein. Aber ich weiß nicht, ob der mit zum Hause gehört.
Niels Christensen. Ha ha, das ist das Rathhaus! Ich habe, so lang ich lebe, noch keinen Menschen gekannt, der so 257 angeführt ist wie Ihr, ich mag nichts mehr mit Euch zu thun haben; seht her, da habt Ihr sechs Thaler auf die Reise. (Geht ab.)
Ochsendorf. Ach, du betrübter, du betrübter, du betrübter elfter Juni!
(Geht weinend ab.)
Heinrich allein. Wieder in seinem Anzug als Bedienter.
Heinrich. Halt, sachte, Monsieur Jacob. Bei der Vertheilung der Beute muß folgendes Verhältniß beobachtet werden. Kriegt mein Herr zehn Thaler, so krieg' ich fünf, Du drittehalb und die Mamsell sieben Mark acht Schilling; accurat wie im Felde, wo auch, wenn die Beute getheilt wird, der Oberst zehn Procent kriegt, der Kapitän fünf, der Lieutenant drittehalb, der Fähndrich halb so viel wie der Lieutenant, der Korporal halb so viel wie der Fähndrich, der Soldat gar nichts und der Tambour den Rest. Solche Theilung heißt eine mathematische Proportion und gründet sich auf natürliche Billigkeit.
Nun sprecht, wie war es? Darf ich mich Vor Euch mit Ehren zeigen? Zwar bin ich jetzo nur Lakai, Doch hoff' ich noch zu steigen. Jetzt leg' ich nun mein Aemtchen ab, Nun, meinetwegen kann er's thun, Was ist's denn für ein Schade, geht Hier liegt ein Mann, für dessen Werth |