Hugo von Hofmannsthal
Elektra
Hugo von Hofmannsthal

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Der alte finstre Diener stürzt gefolgt von drei anderen Dienern aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küßt seine Füße, die anderen Orests Hände und den Saum seines Gewandes.

Elektra kaum ihrer mächtig
Wer bist du denn? Ich fürchte mich.

Orest sanft
Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
und meine Schwester nicht?

Elektra aufschreiend Orest!
Ganz leise, bebend
Orest! Orest! Orest!
Es rührt sich niemand! O laß deine Augen
mich sehen, Traumbild, mir geschenktes
Traumbild, schöner als alle Träume!
Hehres, unbegreifliches, erhabenes Gesicht,
o bleib bei mir! Lös' nicht
in Luft dich auf, vergeh mir nicht,
es sei denn, daß ich jetzt gleich
sterben muß und du dich anzeigst
und mich holen kommst. dann sterbe ich
seliger, als ich gelebt! Orest! Orest!

Orest neigt sich zu ihr, sie zu umarmen.

Heftig
Nein, du sollst mich nicht umarmen!
Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiß nicht,
wie du mich ansiehst.
Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
mein armes Kind. Ich weiß, Leise es schaudert dich
vor mir, und war doch eines Königs Tochter!
Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe
ausblies vor meinem Spiegel, fühlt' ich es
mit keuschem Schauer. Ich fühlt' es,
wie der dünne Strahl des Mondes
in meines Körpers weißer Nacktheit badete,
so wie in einem Weiher, und mein Haar
war solches Haar, vor dem die Männer zittern,
dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt.
Verstehst du's, Bruder? Ich habe Alles,
was ich war, hingeben müssen. Meine Scham
hab' ich geopfert, die Scham, die süßer
als Alles ist, die Scham, die wie der Silberdunst,
der milchige, des Monds um jedes Weib
herum ist und das Gräßliche von ihr
und ihrer Seele weghält. Verstehst du's, Bruder?
Diese süßen Schauder hab' ich dem Vater
opfern müssen. Meinst du,
wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen
seine Seufzer, drang nicht sein Stöhnen
an mein Bette? Düster Eifersüchtig sind
die Toten: und er schickte mir den Haß,
den hohläugigen Haß als Bräutigam.
So bin ich eine Prophetin immerfort gewesen
und habe nichts hervorgebracht aus mir
und meinem Leib als Flüche und Verzweiflung!
Was schaust du ängstlich um dich? sprich zu mir!
sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib?

Orestes
Laß zittern diesen Leib! Er ahnt,
welchen Weg ich ihn führe.

Elektra
Du wirst es tun? Allein? Du armes Kind?

Orest         Elektra
Die diese Tat mir auferlegt,
Die Götter werden da sein, mir zu helfen. Du wirst es tun!
Der ist selig, der tun darf.
Ich will es tun,
ich will es eilig tun.
Die Tat ist wie ein Bette,
auf dem die Seele ausruht,
Ich werde es tun! wie ein Bett von Balsam,
drauf die Seele ruhen kann,
die eine Wunde ist, ein Brand,
Ich werde es tun! ein Eiter, eine Flamme!

Elektra sehr schwungvoll
Der ist selig, der seine Tat zu tun kommt,
selig der, der ihn ersehnt,
selig, der ihn erschaut.
Selig, wer ihn erkennt,
selig, wer ihn berührt.
Selig, wer ihm das Beil aus der Erde gräbt,
selig, wer ihm die Fackel hält,
selig, wer ihm öffnet die Tür.

Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starkes Greis mit blitzenden Augen.

Der Pfleger hastig auf sie zu
Seid ihr von Sinnen, daß ihr euren Mund
nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts
uns und das Werk verderben kann.
Zu Orest in fliegender Eile
Sie wartet drinnen, ihre Mägde suchen nach dir.
Es ist kein Mann im Haus, Orest!

Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend. Die Tür des Hauses erhellt sich, und es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schließt einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schließt sich hinter ihnen.

Elektra allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenktem Kopf, wie das gefangene Tier im Käfig. Plötzlich steht sie still.
Ich habe ihm das Beil nicht geben können!
Sie sind gegangen, und ich habe ihm
das Beil nicht geben können. Es sind keine
Götter im Himmel!

Abermals ein furchtbares Warten. Von ferne tönt drinnen, gellend, der Schrei Klytämnestras.

Elektra schreit auf wie ein Dämon
                                Triff noch einmal!

Von drinnen ein zweiter Schrei.

Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus.

Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepreßt.

Chrysothemis
Es muß etwas geschehen sein.

Erste Magd                                     Sie schreit
so aus dem Schlaf

Zweite Magd                 Es müssen Männer drin sein.
Ich habe Männer gehen hören.

Dritte Magd                                   Alle
die Türen sind verriegelt.

Vierte Magd schreiend             Es sind Mörder!
Es sind Mörder im Haus!

Erste schreit auf                       Oh!

Alle                                                     Was ist?

Erste Magd
Seht ihr denn nicht: dort in der Tür steht einer!

Chrysothemis
Das ist Elektra! das ist ja Elektra!

Erste und zweite Magd
Elektra! Elektra!
Warum spricht sie denn nicht?

Chrysothemis                                   Elektra
warum sprichst du denn nicht?

Vierte Magd                                     Ich will hinaus
und Männer holen.

Läuft rechts hinaus.

Chrysothemis                 Mach uns doch die Tür auf,
Elektra!

Mehrere Dienerinnen
Elektra, laß uns in das Haus!

Vierte Magd zurückkommend
                                                Zurück!

Alle erschrecken.

Vierte Magd
Ägisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!
Ägisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet
und wenn im Hause was geschehen ist,
läßt er uns töten.

Chrysothemis
Zurück!

Alle
Zurück! zurück! zurück!

Sie verschwinden im Hause links.

Ägisth tritt rechts durch die Hoftür auf.

Ägisth an der Tür stehenbleibend
He! Lichter! Lichter!

Ägisth am Eingang rechts
Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner
von allen diesen Schuften? Kann das Volk
keine Zucht annehmen?

Elektra nimmt die Fackel aus dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen und neigt sich vor ihm.

Ägisth erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht, weicht zurück
Was ist das für ein unheimliches Weib?
Ich hab' verboten, daß ein unbekanntes
Gesicht mir in die Nähe kommt!
Erkennt sie, zornig                       Was, du?
Wer heißt dich, mir entgegentreten?

Elektra                                                       Darf ich
nicht leuchten?

Ägisth                       Nun, dich geht die Neuigkeit
Ja doch vor allen an. Wo find ich denn
die fremden Männer, die das von Orest
uns melden?

Elektra                 Drinnen. Eine liebe Wirtin
fanden sie vor, und sie ergetzen sich
mit ihr.

Ägisth Und melden also wirklich, daß er
gestorben ist, und melden so, daß nicht
zu zweifeln ist?

Elektra                     O Herr, sie melden's nicht
mit Worten bloß, nein, mit leibhaftigen Zeichen,
an denen auch kein Zweifel möglich ist.

Ägisth
Was hast du in der Stimme? Und was ist
in dich gefahren, daß du nach dem Mund
mir redest? Was taumelst du so hin
und her mit deinem Licht?

Elektra                                       Es ist nichts andres,
als daß ich endlich klug ward und zu denen
mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du,
daß ich voran dir leuchte?

Ägisth etwas zaudernd               Bis zur Tür.
Was tanzest du? Gib Obacht.

Elektra indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend
                                                Hier! die Stufen,
daß du nicht fällst.

Ägisth an der Haustür
                                Warum ist hier kein Licht?
Wer sind die dort?

Elektra                           Die sind's, die in Person
dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,
die so oft durch freche unbescheidne Näh'
dich störte, will nun endlich lernen, mich
im rechten Augenblick zurückzuziehen.

Ägisth geht ins Haus. Stille. Dann Lärm drinnen. Ägisth erscheint an einem kleinen Fenster, reißt den Vorhang weg schreiend
Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder,
sie morden mich!
Hört mich niemand? hört
mich niemand?

Er wird weggezerrt.

Elektra reckt sich auf
Agamemnon hört dich!

Noch einmal erscheint Ägisths Gesicht am Fenster.

Ägisth
Weh mir!

Er wird fortgerissen.

Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt.

Die Frauen kommen wild herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich halt, wenden sich.

Chrysothemis
Elektra! Schwester! komm mit uns! o komm
mit uns! es ist der Bruder drin im Haus!
es ist Orest, der es getan hat!

Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem sich ab und zu die Rufe des Chors »Orest« bestimmter abheben.

                                                Komm!
Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,
und küssen seine Füße.

Das Kampfgetöse, der tödliche Kampf zwischen den zu Orest haltenden Sklaven und den Angehörigen des Ägisth, hat sich allmählich in die innern Höfe gezogen, mit denen die Hoftür rechts kommuniziert.

                                    Alle, die
Ägisth von Herzen haßten, haben sich
geworfen auf die andern, überall
in allen Höfen liegen Tote, alle,
die leben, sind mit Blut bespritzt und haben
selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle
umarmen sich und jauchzen, tausend Fackeln –

Draußen wachsender Lärm, der sich jedoch, wenn Elektra beginnt, mehr und mehr nach den äußeren Höfen rechts und im Hintergrunde verzogen hat. Die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draußen fällt Licht herein.

sind angezündet. Hörst du nicht? So hörst
du denn nicht?

Elektra auf der Schwelle kauernd
Ob ich nicht höre? ob ich die
Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir.
Die Tausende, die Fackeln tragen
und deren Tritte, deren uferlose
Myriaden Tritte überall die Erde
dumpf dröhnen machen, alle warten
auf mich: ich weiß doch, daß sie alle warten,
weil ich den Reigen führen muß, und ich
kann nicht, der Ozean, der ungeheure,
der zwanzigfache Ozean begräbt
mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich
nicht heben!

Chrysothemis fast schreiend vor Erregung
                    Hörst du denn nicht, sie tragen ihn,
sie tragen ihn auf ihren Händen.

Elektra springt auf, vor sich hin, ohne Chrysothemis zu achten
                                                    Wir
sind bei den Göttern, wir Vollbringenden.
Begeistert
Sie fahren dahin wie die Schärfe des Schwerts
durch uns, die Götter, aber ihre
Herrlichkeit ist nicht zuviel für uns!

Chrysothemis
Allen sind die Gesichter verwandelt, allen
schimmern die Augen und die alten Wangen
vor Tränen! Alle weinen, hörst du's nicht?

Elektra         Chrysothemis
Ich habe Finsternis gesät
und ernte Lust über Lust.
Ich war ein schwarzer Leichnam
unter Lebenden, und diese Stunde
bin ich das Feuer des Lebens und meine Flamme
verbrennt die Finsternis der Welt.
Mein Gesicht muß weißer sein
als das weißglühende Gesicht des Monds.
Gut sind die Götter! Gut! Es fängt ein Leben
für dich und mich und alle Menschen an.
Wenn einer auf mich sieht,
muß er den Tod empfangen oder muß
vergehen vor Lust.
Seht ihr denn mein Gesicht?
Seht ihr das Licht, das von mir ausgeht?
Die überschwenglich guten Götter sind's,
die das gegeben haben.
Wer hat uns je geliebt?
Wer hat uns je geliebt?

Chrysothemis
Nun ist der Bruder da und Liebe
fließt über uns wie Öl und Myrrhen, Liebe
ist Alles! Wer kann leben ohne Liebe?

Elektra feurig         Chrysothemis
 
Ai! Liebe tötet! aber keiner fährt dahin
und hat die Liebe nicht gekannt!
Elektra!
Ich muß bei meinem Bruder stehn!

Chrysothemis läuft hinaus.

Elektra schreitet von der Schwelle herunter. Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Knie, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet.

Chrysothemis erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng Gesichter von Männern und Frauen
Elektra!

Elektra bleibt stehen, sieht starr auf sie hin
                Schweig, und tanze. Alle müssen
herbei! hier schließt euch an! Ich trage die Last
des Glückes, und ich tanze vor euch her.
Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins:
schweigen und tanzen!

Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes und stürzt zusammen.

Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr. Chrysothemis läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran
Orest! Orest!

Stille. Vorhang



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