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Chrysothemis kommt, laufend, zur Hoftür herein, laut heulend wie ein verwundetes Tier
Elektra Chrysothemis! Schnell, schnell, ich brauche
Aushilfe. Sag mir etwas auf der Welt,
worüber man sich freuen kann!
Chrysothemis schreiend Orest!
Orest ist tot!
Elektra winkt ihr ab, wie von Sinnen
Sei still!
Chrysothemis Orest ist tot!
Elektra bewegt die Lippen.
Chrysothemis
Ich kam hinaus, da wußten sie's schon! Alle
standen herum, und alle wußten's schon,
nur wir nicht.
Elektra dumpf
Niemand weiß es.
Chrysothemis Alle wissen's!
Elektra
Niemand kann's wissen: denn es ist nicht wahr.
Chrysothemis wirft sich verzweifelt auf den Boden.
Elektra Chrysothemis emporreißend
Es ist nicht wahr! ich sag dir doch! ich sag' dir doch,
es ist nicht wahr!
Chrysothemis
Die Fremden standen an der Wand, die Fremden,
die hergeschickt sind, es zu melden: zwei,
ein Alter und ein Junger. Allen hatten
sie's schon erzählt, im Kreise standen alle
um sie herum und alle
Mit Anstrengung
alle wußten es schon
Elektra mit höchster Kraft
Es ist nicht wahr!
Chrysothemis
An uns denkt niemand. Tot! Elektra, tot!
Gestorben in der Fremde! Tot!
Gestorben dort in fremdem Land
von seinen Pferden erschlagen und geschleift.
Sie sinkt vor der Schwelle des Hauses an Elektras Seite in wilder Verzweiflung hin.
Elektra
Es ist nicht wahr!
Chrysothemis Nur uns erzählt man's nicht!
An uns denkt niemand. Tot! Elektra, tot!
Ein junger Diener kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die vor der Schwelle Liegende hinweg
Platz da! Wer lungert so vor einer Tür?
Ah, konnt mir's denken! Heda, Stallung! he!
Ein alter Diener finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür
Was soll's im Stall?
Junger Diener Gesattelt
soll werden, und so rasch als möglich! hörst du?
ein Gaul, ein Maultier, oder meinetwegen
auch eine Kuh, nur rasch!
Alter Diener Für wen?
Junger Diener Für den,
der dir's befiehlt. Da glotzt er! Rasch, für mich!
Sofort! für mich! Trab, trab! Weil ich hinaus muß
aufs Feld, den Herren holen, weil ich ihm
Botschaft zu bringen habe, große Botschaft,
wichtig genug, um eine eurer Mähren
zutod Im Abgehen zu reiten.
Auch der alte Diener verschwindet.
Elektra vor sich hin, leise und sehr energisch
Nun muß es hier von uns geschehn.
Chrysothemis verwundert fragend
Elektra?
Elektra alles in fliegender Hast
Wir!
Wir beide müssen's tun.
Chrysothemis
Was, Elektra?
Elektra leise
Am besten heut, am besten diese Nacht.
Chrysothemis
Was, Schwester?
Elektra Was? Das Werk, das nun auf uns
gefallen ist,
Sehr schmerzlich
weil er nicht kommen kann
und ungetan es ja nicht bleiben darf.
Chrysothemis
Was für ein Werk?
Elektra Nun müssen du und ich
hingehen und das Weib und ihren Mann
erschlagen.
Chrysothemis leise schaudernd
Schwester, sprichst du von der Mutter?
Elektra wild
Von ihr. Und auch von ihm. Ganz ohne Zögern
muß es geschehn.
Schweig still. Zu sprechen ist nichts.
Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie?
wie wir es tun.
Chrysothemis Ich?
Elektra Ja. Du und ich.
Wer sonst?
Chrysothemis entsetzt
Wir? Wir beide sollen hingehn? Wir? wir zwei?
mit unsern beiden Händen?
Elektra Dafür laß
du mich nur sorgen.
Geheimnisvoll
Das Beil Stärker das Beil, womit der Vater –
Chrysothemis Du?
Entsetzliche, du hast es?
Elektra Für den Bruder
bewahrt' ich es. Nun müssen wir es schwingen.
Chrysothemis
Du? Diese Arme den Ägisth erschlagen?
Elektra wild
Erst sie, dann ihn; erst ihn, dann sie, gleichviel.
Chrysothemis
Ich fürchte mich.
Elektra
Es schläft niemand in ihrem Vorgemach.
Chrysothemis
Im Schlaf sie morden!
Elektra
Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer. Schliefen
sie nicht zusamm', könnt ich's allein vollbringen.
So aber mußt du mit.
Chrysothemis abwehrend
Elektra!
Elektra Du! Du!
denn du bist stark!
Dicht an Chrysothemis
Wie stark du bist! dich haben
die jungfräulichen Nächte stark gemacht.
Überall ist so viel Kraft in dir!
Sehnen hast du wie ein Füllen,
schlank sind deine Füße.
Wie schlank und biegsam
– leicht umschling ich sie, –
deine Hüften sind!
Du windest dich durch jeden Spalt, du hebst dich
durchs Fenster! Laß mich deine Arme fühlen:
wie kühl und stark sie sind! Wie du mich abwehrst,
fühl' ich, was das für Arme sind. Du könntest
erdrücken, was du an dich ziehst. Du könntest
mich, oder einen Mann in deinen Armen ersticken!
Überall ist so viel Kraft in dir!
Sie strömt wie kühles,
verhaltnes Wasser aus dem Fels. Sie flutet
mit deinen Haaren auf die starken Schultern herab!
Ich spüre durch die Kühle deiner Haut
das warme Blut hindurch, mit meiner Wange
spür' ich den Flaum auf deinen jungen Armen:
Du bist voller Kraft, du bist schön,
du bist wie eine Frucht an der Reife Tag.
Chrysothemis
Laß mich!
Elektra Nein, ich halte dich!
Mit meinen traurigen verdorrten Armen
umschling ich deinen Leib, wie du dich sträubst,
ziehst du den Knoten nur noch fester, ranken
will ich mich rings um dich, versenken
meine Wurzeln in dich und mit meinem Willen
dir impfen das Blut!
Chrysothemis Laß mich!
Sie flüchtet ein paar Schritte.
Elektra wild ihr nach, faßt sie am Gewand
Nein! ich laß dich nicht!
Chrysothemis
Elektra, hör' mich.
Du bist so klug, hilf uns aus diesem Haus,
hilf uns ins Freie. Elektra, hilf uns, hilf uns ins Freie!
Elektra
Von jetzt an will ich deine Schwester sein,
so wie ich niemals deine Schwester war!
Getreu will ich mit dir in deiner Kammer sitzen
und warten auf den Bräutigam. Für ihn
will ich dich salben, und ins duftige Bad
sollst du mir tauchen wie der junge Schwan
und deinen Kopf an meiner Brust verbergen,
bevor er dich, die durch den Schleier glüht
wie eine Fackel, in das Hochzeitsbett
mit starken Armen zieht.
Chrysothemis schließt die Augen
Nicht, Schwester, nicht.
Sprich nicht ein solches Wort in diesem Haus.
Elektra
O ja! weit mehr als Schwester bin ich dir
von diesem Tage an: ich diene dir
wie eine Sklavin. Wenn du liegst in Weh'n,
steh ich an deinem Bette Tag und Nacht,
wehr' dir die Fliegen, schöpfe kühles Wasser,
und wenn auf einmal auf dem nackten Schoß
dir ein Lebendiges liegt, erschreckend fast,
so heb' ich's empor, so hoch, damit
sein Lächeln hoch von oben in die tiefsten,
geheimsten Klüfte deiner Seele fällt
und dort das letzte, eisig Gräßliche
vor dieser Sonne schmilzt und du's in hellen
Tränen ausweinen kannst.
Chrysothemis O bring mich fort!
Ich sterb' in diesem Haus!
Elektra an ihren Knien Dein Mund ist schön,
wenn er sich einmal auftut, um zu zürnen!
Aus deinem reinen starken Mund muß furchtbar
ein Schrei hervorsprüh'n, furchtbar wie der Schrei
der Todesgöttin, wenn man unter dir
so daliegt, wie nun ich.
Chrysothemis
Was redest du?
Elektra aufstehend
Denn eh' du diesem Haus
und mir entkommst, mußt du es tun!
Chrysothemis will reden.
Elektra hält ihr den Mund zu Dir führt
kein Weg hinaus als der. Ich laß dich nicht,
eh du mir Mund auf Mund es zugeschworen,
daß du es tun wirst.
Chrysothemis windet sich los
Laß mich!
Elektra faßt sie wieder Schwör, du kommst
heut nacht, wenn alles still ist, an den Fuß
der Treppe.
Chrysothemis
Laß mich!
Elektra hält sie am Gewand
Mädchen, sträub' dich nicht!
es bleibt kein Tropfen Blut am Leibe haften:
schnell schlüpfst du aus dem blutigen Gewand
mit reinem Leib ins hochzeitliche Hemd.
Chrysothemis
Laß mich!
Elektra immer dringender
Sei nicht zu feige! Was du jetzt
an Schaudern überwindest, wird vergolten
mit Wonneschaudern Nacht für Nacht –
Chrysothemis Ich kann nicht!
Elektra
Sag, daß du kommen wirst!
Chrysothemis Ich kann nicht!
Elektra Sieh,
ich lieg' vor dir, ich küsse deine Füße!
Chrysothemis
Ich kann nicht!
Ins Haustor entspringend.
Elektra ihr nach
Sei verflucht!
Mit wilder Entschlossenheit
Nun denn allein!
Sie fängt an der Wand des Hauses, seitwärts der Türschwelle, eifrig zu graben an, lautlos, wie ein Tier. Hält mit Graben inne, sieht sich um, gräbt wieder. Elektra sieht sich von neuem um und lauscht, Elektra gräbt weiter.
Orest steht in der Hoftür, von der letzten Helle sich schwarz abhebend. Er tritt herein. Elektra blickt auf ihn. Er dreht sich langsam um, so daß sein Blick auf sie fällt. Elektra fährt heftig auf.
Elektra zitternd
Was willst du, fremder Mensch? was treibst du dich
zur dunklen Stunde hier herum, belauerst,
was andre tun!
Ich hab hier ein Geschäft. Was kümmert's dich!
Laß mich in Ruh'.
Orest
Ich muß hier warten.
Elektra Warten?
Orest Doch du bist
hier aus dem Haus? bist eine von den Mägden
des Hauses?
Elektra Ja, ich diene hier im Haus.
Du aber hast hier nichts zu schaffen. Freu dich
und geh.
Orest Ich sagte dir, ich muß hier warten,
bis sie mich rufen.
Elektra Die da drinnen?
Du lügst. Weiß ich doch gut, der Herr ist nicht zu Haus.
Und sie, was sollte sie mit dir?
Orest Ich und noch einer,
der mit mir ist, wir haben einen Auftrag
hier an die Frau.
Elektra schweigt.
Orest Wir sind an sie geschickt,
weil wir bezeugen können, daß ihr Sohn
Orest gestorben ist vor unsren Augen.
Denn ihn erschlugen seine eignen Pferde.
Ich war so alt wie er, und sein Gefährte
bei Tag und Nacht.
Elektra Muß ich dich
noch sehn? schleppst du dich hierher
in meinen traurigen Winkel,
Herold des Unglücks! Kannst du nicht die Botschaft
austrompeten dort, wo sie sich freu'n!
Dein Aug da starrt mich an und seins ist Gallert.
Dein Mund geht auf und zu und seiner ist
mit Erde vollgepfropft.
Du lebst und er, der besser war als du
und edler tausendmal, und tausendmal so wichtig,
daß er lebte, er ist hin.
Orest ruhig
Laß den Orest. Er freute sich zu sehr
an seinem Leben. Die Götter droben
vertragen nicht zu sehr den allzu hellen Laut
der Lust. So mußte er denn sterben.
Elektra
Doch ich! doch ich! da liegen und
zu wissen, daß das Kind nie wiederkommt,
nie wiederkommt,
daß das Kind da drunten in den Klüften
des Grausens lungert, daß die da drinnen
leben und sich freuen,
daß dies Gezücht in seiner Höhle lebt
und ißt und trinkt und schläft –
und ich hier droben, wie nicht das Tier des Waldes
einsam und gräßlich lebt – ich hier droben allein.
Orest
Wer bist denn du?
Elektra Was kümmert's
dich, wer ich bin?
Orest
Du mußt verwandtes Blut zu denen sein,
die starben, Agamemnon und Orest.
Elektra
Verwandt? ich bin dies Blut! ich bin das hündisch
vergossene Blut des Königs Agamemnon!
Elektra heiß' ich.
Orest Nein!
Elektra Er leugnet's ab.
Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen.
Orest
Elektra!
Elektra
Weil ich nicht Vater hab'.
Orest
Elektra!
Elektra
Noch Bruder, bin ich der Spott der Buben!
Orest
Elektra! Elektra!
So seh' ich sie? ich seh' sie wirklich? du?
So haben sie dich darben lassen oder –
sie haben dich geschlagen?
Elektra
Laß mein Kleid, wühl nicht mit deinem Blick daran.
Orest
Was haben sie gemacht mit deinen Nächten?
Furchtbar sind deine Augen.
Elektra
Laß mich!
Orest
Hohl sind deine Wangen!
Elektra
Geh' ins Haus,
drin hab' ich eine Schwester, die bewahrt sich
für Freudenfeste auf!
Orest
Elektra, hör mich!
Elektra
Ich will nicht wissen, wer du bist.
Ich will niemand sehn!
Orest
Hör mich an, ich hab' nicht Zeit.
Hör zu: Leise Orestes lebt!
Elektra wirft sich herum
Orest
Wenn du dich regst, verrätst du ihn.
Elektra So ist er frei? wo ist er?
Orest
Er ist unversehrt
wie ich.
Elektra
So rett' ihn doch, bevor sie ihn
erwürgen.
Orest
Bei meines Vaters Leichnam! dazu kam ich her!
Elektra von seinem Ton getroffen
Wer bist denn du?