Hans Hoffmann
Der Hexenprediger
Hans Hoffmann

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Der Hexenprediger.

Dem ehrbaren, gelahrten Rektor Campius zu Wittenberg, seinem günstigen, herzlich geehrten Freunde, Gratia et Pax.

Euch, mein lieber, allzeit gütiger Freund, jetzt noch wie ehedem mein geistlicher Schutz und Vater, soll nun sogleich kund gethan werden, wie es mir allhier ergangen ist, nachdem ich heimgekehrt bin und in meiner guten Vaterstadt des heiligen Amtes walten darf. Durch Gottes Gnade ist es mir aber bisher insgemein gar wohl ergangen, der Herr hilft mir, meiner Pflichten in Treue zu walten und den Anfechtungen des Teufels fleißig zu widerstehen. Zwar wisset Ihr, und ich habe Euch oft bekannt, wie solcher Sieg über den Bösen mir selten sonder Kampf, Zorn und Pein gelinget; aber Ihr selbst waret es, der mich oftmals tröstete, wenn ich verzagen wollte vor seiner großen Macht, mit dem Beispiel unseres geliebten, frommen und tapfern, im Herrn ruhenden Doktor Martinus, als welchem gleichfalls greuliche Versuchungen des Teufels 176 nimmer sind erspart worden. Nun will mich freilich bedünken, als ob Satan in dieser Stadt absonderlich emsig umgehe, und das zumeist, weil es ihm hier zu leicht gemacht ist, arme Seelen zu verlocken und zu erwischen. Denn meine Stettiner sind gemeiniglich, obzwar nicht eben ganz bösartig in ihrem Gemüte, doch überaus lockeren und lotterigen Sinnes, jach zum Zorn, also daß sie oftmalen um thörichten Anlasses willen hart aneinander geraten, auch nicht demütig und still vor der Obrigkeit, haben sich vielmehr häufig, wie man berichtet und auch Chronikanten aufgeschrieben haben, nicht nur gegen einen ehrsamen Rat und Bürgermeister, sondern zum Ostern auch unartig gegen Herzogliche Gewalt selber gesetzt. Nun ist wohl wahr, daß Unseres Gottes Weisheit auch einmal böse Triebe zum Guten gebrauchen und also des Teufels Stricke zerreißen mag, wie denn unsere herrliche Kirchenbesserung auch wider die Meinung des dazumal noch nicht recht berichteten Herzogs hier im Lande ist durchgedrückt worden: das aber ist offenbar ganz allein hervorgebracht durch die unermeßlich große Gnade unseres Herrn und Heilands und sonder Verdienst des störrischen Volkes.

Leider auch sind, wie die Pommeraner schier allerorten, so auch meine Stettinischen dem Trunk und der Völlerei lästerlich hingegeben, also sehr, daß Euch ein Schauder erfassen möchte, wollte ich sagen, 177 wie viele Humpen Bieres oder Weines so ein Pommrischer Schlauch an einem einzigen Abend verschlürfen kann: das ist wie unser großer Strom, die Oder, der in ein Haff fällt und darinnen verschwindet, als wäre er ein Nichts gewesen. Auch muß man mit Kummer bekennen, daß in diesem Stücke unsere herzoglichen Herren nicht immer sind recht erleuchtet gewesen.

Ingleichen sprechen redliche Männer von den Weibern hiesigen Ortes nicht allemal das Beste: dieselben seien zwar zumeist nicht uneben von Gestalt und auch höflichen Gebahrens, doch aber weltlichen und hoffärtigen Geistes, langsam und spärlich zur Kirche, hurtig zu Tanz, Spiel und Affenwerk, tragen sich allzu stattlich mit Kleidern, Pelzen und goldenen Prunkstücklein, vergessend, daß doch das Heil ihrer Seelen nicht darinnen zu suchen ist. Fein zu kochen und zu backen verstehn sie, das ist wahr, und damit die Mannsen desto mehr zum Schlemmen und Demmen zu verlocken: könnte manche darunter eine treffliche Martha darstellen, aber eine Maria, so das bessere Teil erwählet, wird nicht so leicht gefunden werden. Solches aber betrübt mein Herz insonderheit, denn wie Ihr wisset und mir selber gütlich rietet, lebte ich des Willens und der Hoffnung, mir unter den Töchtern dieser Stadt ein Weib zu suchen und in Ehrbarkeit mit ihr zu hausen. Denn es sei gut, sagtet Ihr, daß ein Geistlicher sein 178 Weib aus der eigenen Gemeinde wähle und mit dieser also auch auf weltliche Weise schön und freundlich in Eins wachse. Nun aber, was soll mir ein Geschöpf, das leichtfertiges Treiben liebt und schwerlich gern nach meiner Lehre mit mir leben möchte?

Noch viel Schlimmeres raunt man zudem von nicht wenigen Weibern hiesiger Stadt und benachbarter Orte: der Teufel gehe fleißig um unter ihnen in leibhaftiger, sichtbarer Person, habe manche verlockt zu heimlichem Bund und Buhlschaft mit ihm, lehre sie dafür hexen, wettermachen, besprechen, heilen und schaden und hundert schändliche Künste, dergleichen wir mit Kummer auch aus andern Orten römischen Reichs genugsam vernommen haben: doch ist's hier überaus stark im Schwange, also daß in Wahrheit ein peinliches Halsgericht nimmer ein Ende findet des Richtens und Brennens. Euch ist aber bewußt, wie schwer es meinem Herzen ankommt, von den strengen Pflichten der strafenden Gerechtigkeit zu hören oder gar zu sehen. Auch hier meide ich auf meinen Gängen gern die Nähe des Rabensteins und der Brandpfähle; denn es überläuft mich allemal ein so großer Schauder vor diesen Dingen und eine so elende Schwachheit, daß wahrlich, wenn Satan klug genug wäre, in solcher Stunde meine Seele anzufallen, ich fürchten müßte, er würde mich oftmals niederzwingen und überpoltern. 179 Du aber, mein Herr und Heiland, schützest mich alsdann und verbirgst ihm, wie armselig es um meine Seele bestellt ist. Meine Seele ist weichlich geschaffen und nicht stark noch tapfer, wie einem guten Gottesstreiter gebührte. Ach ja, wehe mir, wenn ich einen Sünder hinausführen sehe in seiner grausamen Todesnot, so erzittert mein Herz vor ungerechtem Mitleid und ist nahe zu zweifeln an der Wahrheit des heiligen Spruches, daß die Obrigkeit das Schwert nicht umsonst trägt: und doch soll kein Buchstabe des Gesetzes von uns elendigem Gewürm angetastet werden; wir würden selbst den starken Schild durchlöchern, der uns vor den Pfeilen des wütenden Höllenfeindes schirmt. Gott schütze uns schwache Herzen vor solcher Sünde und erbarme sich unser aller! Amen.

Gegeben zu Stettin am 1. Junii Ao. 1552.


Euer von Herzen getreuer allezeit
Bartholomäus Wachholtius.    

Am 2. Junii. Vergönnet mir noch eines hinzuzufügen. Heutigen Tages berichtete mir meine Schaffnerin, so ein braves altes Mensch ist, nicht über das Maß klug, sondern wie es den Weibern geziemt, daß leider in meiner eigenen Gemeinde eine höchst übelbeleumdete, recht stadtkundige Hexe lebe, eine junge, nicht unfeine Person, Apollonia Lüdickin geheißen, eine Wittib, jedoch nicht ehrbaren Wandels. Dieselbe übe höllische 180 Künste, zumal an jungen, ja unterweilen auch an gesetzten Männern, welche sie also sehr mit heimlichen Sprüchen, bösartigem Bilderwerk oder auch besprochenen Tränken zu verwirren wisse, daß sie im Kopfe werden wie unsinnig und fortan nichts mehr reden noch begehren als um jenes Weib zu sein, ihr zu dienen, Hab und Gut für sie zu verschleudern und gar mit Schwert und Messer um ihretwillen zu raufen. Einer von diesen Unseligen hat zuletzt sich selbst mit eigener Hand ums Leben gebracht und ist darauf unehrlich am Schindanger verscharret worden. Einen andern hat man in seinem Hause tot mit abgedrehtem Genick gefunden, zum deutlichen Erweise, daß es der Teufel selbst gewesen, der durch jenes Weib mit ihm gehandelt und ihn zuletzt mit Gewalt zu sich genommen hat. Satan wisse aber jene seine gute Freundin so fein zu schirmen und zu decken, daß es annoch dem irdischen Gericht nimmer gelungen ist, sie mit sicheren Anklagen zu überweisen. Etliche munkeln, sie habe es verstanden, auch die großen Herren des Rats und die Richter selbst zu verblenden, daß solche nicht sehen, was vor Augen liegt, und nicht anders trachten, denn das Weib mit allen Kräften zu erretten. So gehe die Rede aller guten Frauen in der Stadt und sei eine große Klage unter ihnen wider die Schwachheit der Männer.

Nachdem ich nun solches vernommen, beratet 181 mich, ehrwürdiger lieber Freund und Vater, was soll ich thun wider das gefährliche Weibsbild? Soll ich schweigen, mich still halten und dasselbige gewähren lassen? Ei, wäre ich da wahrlich nicht ein untreuer, schlechter Hirt meiner Schäflein? Oder soll ich es offen vor die Richter ziehen, daß selbigen unter meiner Anklage kein Vorwand bliebe, der erwiesenen Hexe zu schonen, weil ich sonst sie laut vor den Leuten beschämen würde? Ach, ach, aber mir grauet vor den Schrecken des peinlichen Gerichts, mir grauet, und gerne ließe ich es bei Seite, wenn es anginge nach Eurem Rat. Oder soll ich trachten, die unselig Verlorene mit der Kraft des Wortes vielleicht noch lebendig dem Bösen zu entreißen? Ach, leider, man weiß, er ist zu mächtig, er lässet nicht leicht einen Menschen wieder fahren, der ihm mit Willen selbst seine Seele zu eigen gegeben hat. Denn ist das nicht eben die Sünde wider den heiligen Geist, so nimmer vergeben wird? – Ratet mir, lieber Vater, ratet!

†     †     †

Dem gelahrten, guten, ehrwürdigen Nikolaus Campius zu Händen.

Habet großen Dank, mein viellieber, günstiger Vater für Eure heilsamen, tröstlichen Worte der Vermahnung und geistlichen Stärkung. Ja, so will ich denn thun nach Eurem würdigen Rat und will dem 182 schlimmen Mensch mit großem Ernst zu Leibe gehn. Doch sei Euch vorerst das Folgende kund gethan, nämlich, daß ich auf eine wunderbarliche Art ergründet habe, wie es wirklich der Teufel selbst ist, der in ihrer Person arbeitet. Vernehmet, ich ging die Münchengasse entlang, darinnen die besagte Apollonia Lüdickin wohnet. Daselbst sahe ich, wie dieselbe aus ihrem Fenster guckte: daß ich die Wahrheit rede, sie thats nicht auf unehrbare Art, sondern lehnte sich ganz schicklich und schön auf ein Kissen und guckte still vor sich hin, ohne viel mit den Augen hin und her zu flunkern. Es stand aber ein Körbchen voll eitel großer, prächtiger Rosen vor ihr, die nahm sie eine nach der andern heraus, spielte leise damit und zupfte sie, daß die roten Blättlein langsam herniederflatterten und in der Luft zitterten gleich einem sehr lieblichen Regen. Und wer vor dem Hause vorüberging, wurde von den Läubchen getroffen. Darob lachte sie ein wenig; ihre Finger, welche zart, weiß und rund sind, bewegten sich kaum in dem Spiel, sondern es war, als ob die Blätter von einer andern heimlichen Macht (davor uns Gottes Güte bewahre) gelöst und gestreuet würden.

Im Anfang, als ich solchen zierlichen Spuk von weitem sah, dachte ich nichts Arges dabei; ich kam aber alsbald näher, wo ich schärfere Blicke auf das Weib werfen konnte, und es sanken etliche Blättchen auch auf 183 mich, gleichwie zuvor auf Andere. Alsobald merkte ich, daß eine Kraft von ihnen ausging. Denn siehe, es fuhr mir durch den ganzen Leib ein seltsamer Schauer, nicht heftig und gar nicht unlieblich; vielmehr wie ein sanfter, anmutiger Schwindel oder Rausch. Darum ließ ich mir's erst ganz wohl gefallen; danach aber merkt' ich mit großem Schreck und deutete mir's kräftig, daß eben dieses Rosenspiel es sein muß, damit der Böse seinen Zauber treibt und die Leute berauschet, wie er's an mir nun ein wenig versucht hat, obzwar mit geringem Nutzen. Hab auch desselbigen Abends mit etlichen Amtsbrüdern scharf disputiert und zuletzt aller Einstimmung erzielet. Nur allein war ein Laie mit darunter, ein Ratsherr, reich, Loitz seines Namens (der freilich auch sonst bei ernsten Männern als ein verdächtiger Zweifler, bei etlichen auch als ein Spötter gilt). Derselbe setzte sich hart wider meine Meinung mit abenteuerlichen Floskeln. Stritt heftig und sprach, das sei nichts gewesen, denn die innerliche (zwar auch sündhafte) Reizung, die ein schönes Weib leider allzeit auf einen Mann ausübe. Dagegen jedoch mußte ich mit Wahrheit und aus klarem Grunde Zeugnis ablegen: zum ersten sei schon zuvor mehr als ein schönes Weib oder liebliches Mägdlein meinen Augen erschienen und habe mir wohlgefallen (will sagen in allen Züchten: Ihr kennet die Ehrbarkeit meiner Augen, so ich, 184 wie mein Gott weiß, mit seiner gnädigen Hilfe mir von meiner Jugend bis hieher bewahrt) ich habe solche mit Freuden bewundert als eine Kreatur, die Gottes Hand mit besonderer Kunst und Feinheit bereitet, habe aber nimmer einen so heimlichen, wundersamen, spukhaften Schauer durch meinen Leib empfangen, kann also solcher nicht wohl anders denn höllischen Ursprungs sein.

Zum andern: jene Person ist mit nichten so unmäßig schönen Ansehens, daß man glauben könnte, es vermöge ihr menschlicher Reiz so gewaltige Dinge über einen Mann. Denn so wie meine Augen sie erblickten, ist sie nicht sehr groß, fest noch schlank gewachsen, wie man schöne Weiber mit Recht zu malen pflegt, sondern eher rundlich und weich, was doch nicht schön ist; ihr Antlitz auch rund und breit; ihre Haut zwar (auch hier bei der Wahrheit zu bleiben) nicht schwarz oder runzlig, aber doch auch mit nichten, wie man sagt, gleich Milch und Blut, sondern von einer wunderlichen gleichen Farbe, deren ich keinen Namen zu nennen wüßte (darum mir auch hierin etwas Höllisches zu stecken scheint), ihre Augen sind grau und gar nicht groß, haben einen trägen Blick, der so scheinet, als ob das Weib allezeit sehnsüchtig nach jemand ausschaue und vor Verlangen gleichsam hinschmachte. Auch ist der Mund nicht so klein, wie er sein soll, sondern die Lippen sind 185 groß aufgewölbt, schauen gleichfalls aus, als ob sie allezeit etwas heimlich begehrten (Näschigkeit stehet einer Frau übel an), sind immerfort halb geöffnet, atmen stark, und mir war es, als dufte der Odem bis auf die Gasse hinab warm nach Rosen. Welches auch wiederum nur ein arger Spuk sein kann. Nur allein ihre Haare, die sind in Wahrheit lang, weich, blond, schön; sonst nichts. Solches schreibe ich jetzt und sagte ich damals der Wahrheit gemäß, und es gelang mir, die Brüder alle zu überzeugen, daß ein so beschaffenes Weib nicht schön könne genannt werden und nicht zu glauben sei, daß ihr ohne den Teufel so große Verlockung innewohne. Herr Loitz aber lächelte nur und spottete, ich hätte mir das Teufelsweib fein sorgsam beschauet. Ja, ja, Herr Loitz, und das mit Grund, denn ich trachtete, mit Gottes Hilfe ein Stück ihres Zaubers solcherart zu erkennen, welches mir denn auch etlichermaßen geglückt ist. Ja, es ist gut, solcherlei Blendwerk säuberlich zu durchblicken wie ein Glas, auf daß man sich desto klüger davor hüten möge. Denn der Teufel gehet den Gerechten am liebsten an, wenn solcher geistlich schläft und nicht acht giebt, sich zu wehren. Nunmehr aber fürchte ich ihn nicht, weil ich seine Anschläge zwar spüre, bin getrost und fröhlich und baue auf Gott und Euren weisen Rat, daß ich 186 als ein reinlicher Christ aus diesem Handel hervorgehe. Das helfe mir Gott.

Datum den 30. Juni 1552.

Es grüßt Euch von Herzen Euer lieber
getreuer Bartholomäus Wachholtius.  

†     †     †

Dem ehrbaren, gelahrten Rector Campius zu Wittenberg Gratia et Pax.

Herzlieber, ehrwürdiger, guter Freund und Vater, es drängt mich heftig, Euch wiederum neue Meldung zu thun und schreibend zu unterrichten, welch seltsam Ding sich weiter mit mir begeben hat. Vor dreien Tagen spazierte ich zum andern Mal durch die Münchengasse, willens, die Hexe heimzusuchen und mit geistlicher Ermahnung anzugehen. Als ich um die Ecke bog, so von der Wullenwebergasse herumführt, sah ich sie wiederum in dem Fensterlein liegen. Und wisset, sobald ich ihr Angesicht schaute, fuhr mir abermals ein noch heftigerer Schauder durch alle Glieder; ich stund eine Weile still, harrend, ob solcher Zauber bald von mir weiche: denn ich hatte zuvor stark gebetet und mich geistlich wohl gerüstet, dem Feinde zu trotzen. Wie ich also stehe, blickt sie schnell mit ihren begehrenden Augen zu mir herab und verzieht ein wenig die Lippen mit einem sänftlichen Lachen. Da fährt mir's gar wie das höllische Feuer ins Haupt, daß mein Blut ganz 187 heiß aufwallt und mich ein wollüstig Beben fasset bis ins Mark meiner Gebeine. Darob trat eine große Furcht an mich, daß ich mein Vorhaben nicht zu vollenden vermochte, sondern mich sputete dem Bösen zu entfliehen, denn ich spürte deutlich, wie er mich riß. O weh, daß dem Versucher die Gewalt solches Lachens gegeben ist!

Da ich ihm also entgangen war, trachtete er jedoch mein auf andere Weise habhaft zu werden, nachdem er's mit dem Schrecken doch nicht vermocht hatte. Es ward in mir eine merkliche Sehnsucht angefacht, und war wie eine Stimme, die mir rief, noch einmal hinzugehen und das Weib anzuschauen, und dieselbe Stimme sprach vernehmlich zu mir, das Weib sei schön, was doch nicht wahr ist. Der Teufel ist ein Lügner von Anbeginn: daran merket, wer's mag gewesen sein, der mir so zusprach. Darum folgte ich dem Rufe nicht, sondern besprach mich brünstiger mit meinem Gott. Und als ich lange gebetet, ward mir's ruhiger in der Seele, und ich gedachte zu schlummern, denn ich war hart ermüdet von dem Ringen. Doch schlief ich übel die Nacht, denn ein Bangen lag über mir recht dumpf und schwer, wie es wohl den armen unvernünftigen Kreaturen zu Mute sein mag, wenn ein groß Wetter nahet: denn sie wissen nicht, daß Gottes Hand den Blitz und den Donner lenket, und fürchten sich. Und 188 danach schien es mir, als schwebe ein süßer Duft von lauter Rosen um mein Bette. Ich vermeinte, meine Schaffnerin habe mir ein Gutes erweisen wollen und Blumen hereingestellt (denn sie weiß, daß ich solche sehr liebe; sind doch auch herrliche Geschöpfchen Gottes) stand auf, leuchtete, suchte. Da fand ich nichts. Davon wußte ich, daß es der Teufel zum dritten Mal noch feiner an mich versuchte. So halfs ihm nichts; ich zündete ein Räucherkerzlein an, ob mir gleich solcher Geruch sonst unlieb ist: dasmal aber war er gut und vertrieb mir den trügerischen Höllenstank. Auch meinte ich zu spüren, daß es eine kurze Weile leise nach Schwefel roch; ohne Zweifel, bis Satan abgefahren war. Nun ward ich getrost, weil ich doch mächtig wider ihn war, hoffe auch künftig besser vor seiner lieben Buhle zu bestehen. Habe zwar noch etliche Tage gewartet, daß ich fester werde durch Gebet und Fasten. Dieses alles habe ich Euch geschrieben, ehrwürdiger Freund, daß ihr erkennet, wie arg ich angefochten werde, und mir mit getreuen und holden Worten beispringt, wie es Eure Gewohnheit ist. Zwar könnte ich jetzo alsbald hintreten vor die weltlichen Richter und ihnen verkünden, was ich weiß: Sehet, so und so vermag jene Apollonia zu zaubern und zu hexen; jedoch erbarmet es mich ihrer unsterblichen Seele, und will lieber suchen, selbige zu retten, 189 so es ohne ihren Tod möglich ist: wie Ihr mir auch selber geraten.

Datum am 7. Julii zu Stettin.

Euer lieber getreuer allezeit Bartholomäus Wachholtius.

†     †     †

Herr, mein Gott, womit habe ich dich so sehr erzürnet, daß du dem Bösen also große Macht über mich gegeben hast? Siehe, er ringet mit mir alle Tage erschrecklich und schlägt mich in den Staub mit seiner Gewalt: Herr, es ist übel geworden mit deinem Knechte. Nimmer zuvor hat er mich so grimmig bedränget, maßen ich ihn sonst nicht mit Augen gesehen (wie doch Doktor Luther) oder nur selten als einen flüchtigen Schein oder huschenden Schatten; nun aber sehe ich ihn alle Tage lebendig vor mir, denn er hat Gestalt gewonnen und leget das Antlitz und die Mienen eines Weibes an wie ein Kleid und kommt also gerüstet zu mir, mich zu plagen und anzufechten. Wo ich auch sein mag, auf der Gasse oder im Kämmerlein, ach, auch selbst in deinem heiligen Hause, o Herr, immer wandelt er mit mir in solcher Gestalt und in täuschender Schöne, als welche ich jetzo glauben muß, da ich doch zuvor klärlich wußte, daß diese Gestalt und Antlitz nicht schön sind. Und er schauet mich an mit Blicken und lächelt, daß all mein Sinn sich verkehret, eine höllische Wollust wie ein Schwert meinen Leib 190 durchschneidet, große Seufzer von mir gehen vor einem übermächtigen Verlangen, das mich verzehret wie das Feuer der Hölle. Aber so groß ist Satans Macht und List, daß er mich oft im selben Augenblick so sehnender Qual glauben macht, es sei recht süß und lieblich in diesen Flammen zu liegen.

Hinwiederum oftmals, wenn sein Toben allzu groß wird, bin ich hinausgelaufen zur Münchengasse, bin daselbst hin und wieder spaziert, erhoffend, Beelzebub durch das Urbild seiner Verkleidung selbst vertreiben zu können. Ist mir auch etlichemal für eine kurze Weile gelungen. Wunderbarlich, wie mir das geschah! Wenn ich das Haus und das Fensterlein des Weibes anblicke, kommt ein Friede über mich, daß dies Feuer verlischt oder doch milde wird; nur daß mir unterweilen die Thränen heftig ins Auge dringen, und weiß doch selber nicht warum. Sobald aber das Weib selbst ans Fenster tritt und ich es deutlich erschaue, allsogleich entweichet der Friede vor einer großen Furcht und einer großen Sehnsucht gleicherweise, die mich entzweien und an mir zerren, als hätte man mich an zwei wilde Rosse gebunden und triebe dieselben mit Schlägen das eine gegen Morgen, das andere gegen Abend. Dann fliehe ich am Ende, weiche in meine Kammer, falle aufs Knie, ganz schwach wie von einem Siechtum, seufze und weine und suche meinen Gott und Heiland in 191 brünstigem Gebet. Jedoch ich finde ihn nicht leicht, denn Satan ist da und wachet und störet die Rede meines Herzens. O wehe mir doch, wie soll ich ihm entgehen? Wächst doch zumal des Nachts seine Gewalt am größten, gleich eines Löwen, der im Dunkel auf Raub ausgeht. Wenn ich auf meinem Bette liege, sei es, daß ich träume oder die Qual mich wach hält, allezeit ist die Gestalt vor mir in wunderbarem Glanz und schwebet und lächelt und schwellet die Lippen und atmet einen Duft von Rosen und gießet Blumen über mich als einen herrlichen Regen, daß der Dampf um mich aufquillt und mich mächtig betäubt, als wäre ich in einem Rausche. Aber am Morgen, ehe noch die Sonne völlig heraufgekommen ist, springe ich auf, rüttle mich und eile hinaus vor die Stadt auf die freie Straße oder in den Stadtwald; daselbst laufe ich wie ein Stier und tobe wider den Wind, meine Glut zu kühlen: aber Satan ist da und lässet mich nicht. Die Gestalt ist in meine Augen gebrannt, wie man Farben in ein Glas brennet, daß sie nimmer daraus können gelöscht werden. O mein Gott und Heiland, erbarme dich meiner und rette meine Seele vor Kleinmut und schnöder Verzweiflung, denn siehe, ich wanke und rufe gleich deinem Jünger: Herr, hilf mir, ich versinke! Wenn du aber beschlossen hast, mich zu dir zu nehmen und daß ich von diesen Gluten verzehrt 192 werde, so thue es bald, ehe denn der Böse Gewalt über mich gewinne und meine unsterbliche Seele verderbe. Denn lieber will ich also von innen heraus verbrannt werden als dem Willen des Teufels weichen. Dieses habe ich geschrieben, um meine Seele zu entlasten, für mich selber. Am 22. Julii.

†     †     †

Herr! Herr! Ich ertrage den Brand nicht länger, ich unterliege!

In dieser Nacht neigte sich der Dämon über mich in teuflischer Schöne; da entwich meine Kraft, ich ächzte vor Sehnsucht wie ein Verschmachtender, und ich umfing den Dämon mit meinen Armen. Da war mir's, als ob ein Labequell über mich flösse wie ein starker Wein, der mich berauschte, daß mein Herz dem Bösen weit offen stand. O heiliger Gott, was ist dein Mensch, daß er im Traum so hinsiecht und der Sünde nicht wehren kann? O mein Heiland, soll Satan mich im Schlaf ermorden und meine Seele davontragen?

Ich kann nicht mehr. Morgen muß ich hingehen und dem Weibe Auge in Auge stehen, ob ich des Teufels in ihrem Leibe nicht Herr werde. Ich muß.

Am 25. Julii.

†     †     †

Am 26. Julii.

193 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

†     †     †

Herr, verstoße mich von deinem Angesicht, laß deinen heiligen Zorn mich zerschmettern, ich bin nicht wert, dein Knecht zu heißen.

Wer hat so schwer gesündigt wie ich? Wer kann mich erlösen?

Wer ist so tief gefallen? Wer kann mich aufheben?

Schone meiner nicht, mein Gott, setze den Becher des Trostes nicht an meine Lippen!

†     †     †

Drei Tage und drei Nächte wandle ich in der Finsternis, Grausen füllet meine Augen, die Hölle braust um meine Stirn, der Teufel jauchzet. Kein Licht kann meine Seele erleuchten.

†     †     †

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

†     †     †

Heiliger Gott, womit habe ich so unermeßliche Gnade verdienet, daß du dich zu mir Sünder neigtest und mir Hoffnung ins Herz gossest, ich könne durch große Buße überwinden und gerettet werden?

†     †     †

194 Ich habe gethan, was mein Gott mich hieß; aber es ist anders gekommen, als ich gemeint hatte. In der Kirche trat ich vor die Gemeinde, stieg herab vom Altar, riß von mir die Zeichen meines Amtes, schluchzte laut und schrie: »Sehet, der vor euch steht, wird euch nimmermehr predigen: denn er ist der allergrößte Sünder unter euch, darum hat ihn der Herr von seinem Angesicht verstoßen.«

Und Gott gab mir Kraft weiter zu reden, daß mich die Scham nicht erstickte, sondern ich stand mit freiem Antlitz und sprach:

»Sehet, so und so hat mich der Satan bestrickt, so und so habe ich mit ihm gerungen; aber ich war nicht wert des heiligen Kampfes: so und so bin ich in die Macht jenes Weibes gefallen und bin der Sünde unterlegen.«

Also sprach ich und verhoffte nichts anders, als sie würden mich mit Schande und Hohn hinaustreiben, wie ich verdienet hatte, und ich gedachte so mit unsäglichem Leid ein Weniges meiner Sünde zu büßen. Doch siehe, es blieb ganz still um mich her, und als ich aufblickte, um das Gericht in Demut zu empfangen, da standen die Männer schweigend um mich her, und Aller Augen waren voll Thränen. Etliche hatten ihr Antlitz mit den Händen verhüllet, etliche knieeten auf 195 dem Boden, beteten und schluchzten. Und auf einmal erhob sich eine Stimme laut über alles Volk und rief:

»Welcher unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf ihn.«

Da war es der Ratsherr Loitz, den ich ehedem einen Spötter gescholten.

Und als er gesprochen hatte, ging ein Ton durch die Menge wie ein freudiges Rufen; und nicht lange, da nahmen sie mein Amtskleid, das am Boden lag, und legten's wieder um meine Schultern, Herr Loitz küßte mich auf die Stirn, und andere griffen nach meinen Händen und küßten die auch, wie sehr ich es wehrte. Und indem ich das sah und fühlte, fiel die Orgel ein mit so schrecklichem Ton und so herrlich zugleich, wie ich sie nimmer gehört; mir aber vergingen die Sinne beides vor Scham und heimlichem Glück, und ich wußte nichts mehr von mir selber.

Die treuen Männer haben mich nach Hause getragen und gepflegt, bis ich zu mir kam und Gott zu preisen anhub.

Am 3. Augusti. 1552.

†     †     †

Herr, Herr, o mein Gott, kann es sein, ist es wahr, daß deine Gnade so ohne Ende groß ist? Siehe, so ist das Meer wie ein winzig Brünnlein vor dem 196 Strom deiner Barmherzigkeit. O mein Heiland, kann es geschehen, daß du mir vergebest?

†     †     †

Dem sehr ehrwürdigen, gelahrten Rektor Campius zu Händen.

Hochwürdiger Mann, den ich leider nicht mehr wagen darf Freund noch Vater zu heißen, empfanget von mir alle diese Blätter, welche ich geschrieben habe in schweren entsetzlichen Stunden, und leset alle meine Gedanken, und soll Euch keiner derselben verborgen sein, denn auch das rechne ich mir zu einer gerechten Buße, und es ist mit nichten der leichtesten eine, daß ich vor Euch, meinem frommen Meister, dastehen muß als ein Sünder und Unwürdiger. Ihr aber könnet zwar in meinem armseligen Stammeln nicht mit Worten lesen, wie hart ich danach mit meinem Herzen gerungen noch was ich erduldet habe: denn wie vermöchte ein also zerschlagenes Gemüt sich in Worten zu offenbaren? Werdet's Euch dennoch einbilden können, wie Ihr die furchtsame und weichmütige Art meines Herzens kennet. Könnet Ihr mir nicht vergeben, so falle Euer Fluch auf mich: ich habe solchen wohl verdienet, ob er mich gleich bitterlicher schmerzen müßte denn irgend eine andere Strafe, ausgenommen der Zorn Gottes allein.

Höret aber auch weiter, was ich mir selbst vor dem Herrn gelobet habe und was mir zu einer Buße 197 für all mein Leben sein soll. Dies ists: niemals, so lange ich im Fleische wandle, werde ich ein Weib nehmen, mir Genossin und Vertraute zu sein, denn solches irdische Glück habe ich verspielt.

Wie sollte ich je einer reinen Jungfrau frei und mit Ehren ins Auge sehen, da ich selber meine Reinheit schimpflich verloren habe? Ferne sei das von mir! Jene Teufelin ist mein Weib gewesen eine Stunde in Sünden, keine gute Frau darf ihr nachfolgen. Ich vertraue, Ihr werdet solchen sicheren Entschluß mit Ernst gutheißen, sintemal Ihr auch wisset, mit welchen Schmerzen dieses Gelübde aus meiner Seele gegangen ist. Denn freilich habe ich mich je nach der Liebe eines redlichen, treuen Weibes herzlich gesehnet und hoffte Freude zu erlangen in meinem Hause und Frieden. Auch habt ihr selber oftmals gelacht, daß ich so große Lust mit Kindern hatte und hundert Possen mit Euern Enkeln trieb, als wäre ich selbst noch ein rechtes Kind wie sie. Ach ja, ach ja, sie sind meinem Herzen so sehr lieb, solche Kleinen, und sehet, nun soll ich nimmer mit einem eigenen Söhnlein scherzen und spielen! Sehet, kein Weib, kein Kind! Ich aber habe es dem Herrn gelobet.

Zum letzten sollt Ihr wissen, daß nunmehr, nachdem ich meine Sünde und Reue Gott anheimgestellt und mein Herz vor ihm zerknirscht habe, ein heiliger, 198 gewaltiger Zorn in mich gefahren ist wider den Teufel und seine verruchte, höllische Arglist, mit welcher er den Seelen auch der Gläubigen und Frommen nachstellt und sie zu Falle bringt. Und also habe ich geschworen, daß ich fortan unablässig will streiten wider den Versucher im Namen des Herrn, wo immer ich seine greulichen Spuren finde, und will nimmer ruhen, ihm den Weg zu vertreten und seine schnöden Werke zu hemmen, wie ich kann. Gott rüste mich mit Stärke und Mut, denn mein Herz ist schwach und träge, die Waffen des Herrn zu führen. Aber der heilige Zorn soll mich ermuntern und stärken, nicht will ich sie fürder feige schonen, die Verworfenen, Verlorenen, die sich dem Verderber aus eigener Willkür ergeben und ihre Seele ihm zur Speise hingeworfen haben. Mögen sie hinfahren, die Hexen und bösen Zauberer, die Giftmischer und Beschwörer, die Teufelsbuhler und Gottesfeinde, mögen sie hinfahren in Flammen, mögen sie fallen durchs Schwert, auf daß doch die Seelen der Reinen vor ihnen bewahrt werden und vor der bösen Saat der Verführung, die sie aussäen im Namen und Dienst des höllischen Feindes. Dazu mag Gott mir helfen! Amen.

Nehmet hin, ehrwürdiger Mann, was ich geschrieben habe in meinem Kummer am 10. Augusti zu Stettin.

Bartholomäus Wachholtius.

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199 Dem guten, frommen, großen herrlichen Rektor Nikolaus Campius Gratia et Pax

Herzlieber, milder, tröstender Vater, habet unendlichen Dank für Euren gnadenreichen Zuspruch, der meiner dürstenden Seele war wie ein Labetrunk und eine rechte Verkündigung des Heils. Habet Dank auch dafür, daß Ihr meine Gelübde so freudig gebilligt und mir gleichsam ein heiliges Feuer in die Brust geblasen habt. Vernehmet darum sogleich, wie dieser Handel weiter ergangen ist. Das dämonische Weib, die Appollonia Lüdickin, haben sie ergriffen und vor den Richter gestellt, dieweil sich anjetzt an mir als einem sicheren Beispiel klärlich erwiesen, daß sie mit höllischen Künsten Umgang pflege. Auch hat sie nicht gar lange zu leugnen gewußt, hat auch nicht einmal der ersten Folter stand gehalten, so schwer war ihr Gewissen belastet, so scharf mein Zeugnis, so weichlich und kraftlos ihr Leib durch das Leben in der Sünde. Sie hat vielmehr bald alles offenkundig ebenso eingestanden, wie ich es ihr vorhielt. Hat bekannt, daß die Rosen, so sie in ihrem Körbchen gehalten, mit einer höllischen Salbe sind getränkt gewesen; daß der böse Feind dieselben ihr in den Händen zerblasen habe und durch seinen Anhauch noch giftiger gemacht; daß sie bei Nacht durch Hilfe des Höllenfürsten in schönerer Gestalt, als ihr sonst eigen, um mein Bette geschwebt sei und mich 200 in der Ohnmacht des Schlafes wider meinen Willen zuerst umfangen habe; daß sie durch gleiche greuliche Künste viele andere Männer, alte und junge, vor mir bestrickt und mit teuflischem Gaukelwerk umnebelt habe, dadurch dieselben um ihren natürlichen Verstand gekommen, daß sie anderes wollten und anderes thaten; daß sie dieses alles vollbracht habe einzig und allein ihrem lieben Buhlen, dem Junker Satanas zu Gefallen, damit er seine Freude habe an den Gott abspenstig gewordenen Seelen und zum Dank ihr desto freundlicher herlächle und in höllenmäßiger Lust mit ihr tanze und nächstens jubiliere.

Nachdem sie solches alles frei bekannt hat, ist sie nach gerechtem Spruch zum Tode durchs Feuer verurteilt worden, und soll selbiger Spruch morgen in Form Rechtens an ihr vollzogen werden, ihr selbst zur Strafe, und so es noch möglich ist, zur Rettung und Läuterung ihrer Seele, anderen zum mahnenden Exempel.

Datum zu Stettin am 15. Septembris.

Euer dankbarer, unterthäniger allezeit

Bartholomäus Wachholtius.

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O schwer, o schwer ist es mir Armen, so hohen Amtes zu walten. Grausen liegt über meinem Haupte, und Entsetzen knirschet durch meine Gebeine. Herr, Herr, stärke mein feiges Herz und verleihe ihm die 201 heilige Kraft, für dein Reich zu streiten wider den Vater der Sünde, und nicht abermals so recht schändlich zu unterliegen, wie mir heute geschehen ist, daß ich ein Gespött der Leute ward!

Doch ich will auch das vor Euch bekennen und also Buße thun, mein Freund und Vater.

Heute, als das Weib hinausgeführt und über das Reisig an den Pfahl gestellt ward, sehet, da übermannte der weltliche Jammer mein Herz, daß es von unsäglichem Mitleid zerrissen ward um das junge Leben, das in den grausen Tod des Feuers gestoßen werden mußte. Und wie das Weib dreinschaute, blaß und zart wie eine feine Lilie, und war sichtlich alle sündhafte Begierde von ihr gewichen, da schrie ich laut auf, die Thränen fielen aus meinen Augen wie ein Strom, ich stürzte zu Boden, barg mein Antlitz und bebte wie ein Halm und wand mich kläglich im Staube. Ich vernahm aber alsbald die Stimme eines Menschen neben mir, der sagte spottend: »Ei, ei, Pfäfflein, freilich ist's übel, wenn einem sein Liebchen also muß untreu werden und wird für ewige Zeiten dem Junker Satanas angetraut!«

Als ich das hörte, fiel meine Schande mit neuer Gewalt über mich, die große Schuld zerdrückte meine Kraft, und ich lag wie ein Toter, daß ich nichts mehr gesehen habe, wie das Schrecknis weiter ergangen ist.

202 O Herr, mein Gott, wenn du meine Seele so kläglich erschufest, warum hast du so schweres Amt auf meine Schultern geladen?

Nachschrift. Am 16. Septembris.

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Dem großen, guten, gelahrten Rektor Campius.

Hochwürdiger, treuer Vater! Ja, ja, ich will thun nach Eurem Rat und will meine Augen stählen und stärken, daß sie die Strafe der Verworfenen ohne Zagen anblicken mögen, und mein Mund den Herrn dazu preise.

Es sind auch andere Weiber bezichtigt gleicher Übelthaten und daß sie mit jener Dämonin in teuflischem Bunde gestanden haben. Dieselben verruchten Hexen stehen jetzund gleicherweise vor dem Richter.

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Gott hat mir Kraft gegeben, mit den beklagten Weibern zu reden und ihre Seelen zu erschüttern. Waren zwar unter ihnen zwei zu Anfang so verstockten Sinnes und so fest gemacht in ihren Gliedern durch Teufelskünste, daß sie mehr denn einmal der peinlichen Frage widerstanden und auch ganz scharfer Folter getrotzt hatten. Danach aber ging ich zu ihnen in den Kerker und redete zu ihnen von ihren Sünden. Da geschah es gleich einem Wunder, daß mir die heiligen 203 Worte groß, herrlich und gewaltig von den Lippen flossen, nicht als redete ich sie von mir selber, sondern als ob ein Größerer aus mir spräche: so fremd erschienen mir selber meine Reden; allein ich fühlte wohl, sie waren stark und köstlich. Und siehe, so währte es nicht gar lange, und es wurden die Herzen der Sünderinnen mächtig ergriffen und aufgeregt, sie weinten und schrien über die Maßen, klagten sich selbst unzähliger Frevel an, bekannten ohne Zaudern alles, das ich von ihnen verlangte, und ich spürte, wie Satan mit furchtbarem Zucken und Zerren von ihnen wich; denn sie geberdeten sich sehr erschrecklich, wälzten sich am Boden, klirrten scheußlich mit ihren Ketten und winselten, küßten mir auch inbrünstiglich die Hände und benetzten meine Füße mit häufigen Zähren. Nachdem ich sie aber so weit zerknirscht hatte, kamen die Richter nach mir herein und vernahmen mit Staunen die furchtbaren Bekenntnisse von ihren greulichen Schandthaten und Zauberwerken.

Als ich darauf die armen Weiber verlassen hatte, ward mir alsbald so schwach am Leibe, daß etliche Knechte mich aufrecht halten mußten, ich wäre sonst für tot zu Boden gesunken; ein großes Zittern lief über mich, und die Thränen rannen mir heftig von den Wangen.

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204 Heute habe ich die zwei Weiber zum Tode geleitet, der ihnen Erlösung aus den Klauen des Satans sein sollte. Auch ging die eine geständige Person gottselig und ergeben dem Feuer entgegen, sang laute Lobgesänge und geberdete sich zu allerletzt so ganz fröhlich und ausgelassen mit Lachen, Jubilieren und Springen, daß etliche schwache Köpfe, solche himmlische Freude nicht begreifend, meinten, sie sei vor eitel Todesangst ihres Verstandes ledig geworden. Ich aber pries im Herzen das große Wunder, das durch meine des Unwürdigen Kraft an ihrer unsterblichen Seele geschehen war.

Dahingegen mußte ich mit herzlichem Kummer gewahren, daß die andere Person der ungeheuren Macht des bösen Feindes wiederum erlegen war. Denn da sie den Pfahl erblickte, stieß sie ein furchtbar widerwärtiges und gräßliches Gellen aus, wie man es so unmenschlich noch nie von einem Weibe vernommen, schlug nach mir und spie mich an und ließ grauenvolle Lästerworte wider mich aus ihrem Munde, die ihr allein ihr höllischer Buhle kann eingegeben haben. Dieses Schrecknis griff mir grausam an die Seele; und ob ich die Unselige gleich zu segnen und zu beschwören versuchte, ergab sie sich doch nicht, sondern fuhr mit Schrecken in ihren Sünden dahin.

Mich aber beuget der Kummer schwer, wie schwarze 205 Nacht liegt es auf meinem Haupte. Gott, mein Gott, erbarme dich meiner! Wenn ich heute sterben dürfte, wie freudenvoll und selig würde ich dieses öde Thal des Todes verlassen!

Spendet mir von Eurem Trost, hochwürdiger Freund, ich bedarf desselbigen gar sehr, obzwar mein Gewissen mich reumütig alle Tage mahnet, daß ich solche Qualen mit Recht um meiner schweren Sünde willen erdulde. Schenket Gott mir die Kraft, so darf ich nicht murren.

Gegeben am 31. Octobris 1552 zu Stettin.

Es grüßt Euch Euer betrübter, doch allezeit ergebener, getreuer

Bartholomäus Wachholtius.

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Grausen hält alle Tage mein Herz umrungen; wie ein fließender Strom des Jammers brauset es durch mein Haupt. Es wird mir gar schwer, von den Dingen, so ich erlebte, etliche aufzuzeichnen, seit mein lieber, trostreicher, glaubensstarker Nikolaus Campius zum Herrn eingegangen ist und mich in meinen Kümmernissen allein zurückließ; und doch dränget es mich wiederum heftig, in Worten vor mir selber meinen Geist der Schmerzen zu entladen.

Es sind nun hierorts vierzehn Hexen gerichtet, die ich durch die fremde Kraft meiner zornigen und 206 inbrünstigen Reden ohne Folter zum Geständnis gebracht habe; auch sind ihrer etliche reuig und gottselig hinübergegangen. Ja, der Herr hat meine Lippen gesegnet und Großes durch mich gethan wider den Bösen; aber dennoch bin ich betrübt bis in den Tod und habe keine fromme Freude an meinen Werken. Ich bin ein elender Sünder und nicht wert, dem Herrn mit feuriger Kraft zu dienen. Darum hat er mich so sehr erniedrigt und alle Hoffnung aus meinem Herzen genommen.

Geschrieben am 31. Decembris 1552.

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Herr, Herr, wie du willst; du rufest, ich folge dir.

Die Kunde von der wunderbaren Kraft meines Mundes ist herumgekommen im Lande Pommern; die Stralsundischen und die von Anklam und Pasewalk haben mich rufen lassen und eingeladen, auch ihren verklagten Hexen das Gewissen zu wecken und dieselben zu reumütigem Bekenntnisse zu zwingen.

Herr, du rufest; ich gehe.

Geschrieben am 17. Aprilis 1552.

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Es sind ihrer gar viele zu Tode gebracht worden mit Reue und Buße. Etliche Weiblein erschraken so sehr allein vor dem Blick meiner Augen, daß sie in Zucken und Krämpfe verfielen (weil Satan in ihnen 207 sich wehrte), und alles gestanden, noch ehe denn ich den Mund aufgethan. Zu Anklam ging eine Alte auf der Gasse an mir vorüber; als die mich sah, schrie sie laut, fiel zur Erde, krümmte sich und bekannte, daß sie eine verworfene Hexe sei, obgleich niemand zuvor von ihr solche Teufelswerke gewußt hatte, außer daß sie ein Lästermaul gewesen. Hat auch später alles widerrufen und geleugnet, also daß sie stark auf die Folter mußte gelegt werden, bis sie zum andern Mal der Wahrheit die Ehre gab und gerichtet ward.

Der Herr hat mich jetzo auch in etliche Städte von Hinterpommern berufen. Wehe mir, daß ich folgen muß.

Anno 1553 Am 13. Juli.

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Am 2. Septembris bin ich von Stargard heimgekehrt.

Wie einsam ist mein Haus, wie traurig und öde. Kein Weib, kein Kind. Mein Herz dürstet nach der Liebe eines Menschen; wer soll sie mir geben? Ich lebe, und mein Leben ist ein Entsetzen. Herr, erlöse mich von dem ungeheuren Amt, zu dem du mich berufen hast.

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Nun sind's gar viele Jahre, daß mir allezeit gegrauet vor solchem Schreiben; ich war recht gesättigt 208 der Klage und des Grames, und Freude stieg nimmer in meine Seele. Heut aber will ich dies eine Wort anmerken: Es sind nun hundert der geretteten Seelen, am 22. Wonnemonds Anno 1559.

Wann wirst du meine Seele erretten vom irdischen Leben, o mein Herr und Heiland?

Denn meine Augen sind stark geworden, und meine Füße wanken nicht mehr vor dem Anblick des Feuers und des Sterbens, aber meine Seele ist schwach geblieben und bebet bei Nacht und bei Tage.

Wie bin ich so einsam, und ist niemand um mich, den ich von Herzen lieben mag! Kein Weib, kein Kind.

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O du mein Heiland, mein Erlöser, du Allerbarmer, ist dieses nun wahr? Hast du mein leises Gebet erhört in deiner Gnade? Hast du mir dieses Kind entgegengeführt, auf daß ich habe, was ich lieben kann? Ja, ja, das thatest du, und kommt nichts deiner unermeßlichen Güte gleich. Siehe, nun muß ich dieses schreiben, weil mich die große Freude treibt. Am letzten des Wonnemonats 1559.

Es war draußen beim Passower Thor, allwo ich lustwandelte, in der Vorstadt. Dort pfleget ein scharfer Wind zu gehen – mutmaßlich, weil der Rabenstein nicht fern ist und also der Teufel rumort – ein solcher 209 Wind stieß mir das Käpplein vom Haupte, daß es weit hinabrollte und ich nicht zu folgen vermochte, denn ich bin schwach geworden vor der Zeit von Thränen und Nachtwachen. So kam ein Mädchen des Weges daher, sah meine Not, setzte einen Korb von ihrem Arm bei Seite und sprang mit den flinkesten Füßen dem Dinge nach, bis sie es hatte. Sie lief mit sehr anmutiger Art und war von feinen Gliedern; und als sie herantrat, lachten ihre Augen. Ich sah, es war eine hübsche Jungfrau und hatte doch in ihrem Angesicht die wunderbare Unschuld eines kleinen Kindes.

Ich dankte ihr und lobte sie um ihrer hurtigen Gefälligkeit willen, welches Lobes sie sich leise freute wie ein gutes Kind, und errötete zugleich als eine Jungfrau. Ich wandelte eine Strecke weit mit ihr, weil mein Gang des Zieles ermangelte, und befragte sie unter der Hand ein bischen um ihr Christentum. Das erwies sich als noch ziemlich gut bestellt, denn sie pries doch Gott von Herzen um seiner Wohlthaten willen, sagte, obzwar sie eine Waise sei, auch drei kleine Brüder erhalten müsse, ingleichen eine alte Großmutter, die etwas bösen Mundes sei, habe ihr Gott doch die große Güte erwiesen und ihr allezeit ein fröhlich Herz bewahrt, daß sie auch nicht verzagte, als ihre Eltern starben. Auch setzte sie schier hoffärtig dazu, sie sei keine Bettlerin, habe ein ganz schönes Besitztum, 210 Haus, Garten und einen Knecht, daß sie sich gut nähren könne. Und freilich sah sie drall aus und stak in säuberlicher Kleidung, da sah man's.

Weil ich nun hieran spürte, daß sie der Weltlust und Eitelkeit ein klein wenig ergeben sei und nicht völlig reif in christlicher Demut, so erfaßte mich ein sorgendes Bangen um ihr unschuldig Herz (denn solche Laster wachsen leicht aufwärts) und ich fragte sie weiter, wie sie mit dem Teufel stehe. Sie gab einen aufrichtigen Haß wider denselben kund, des ich mich freute. Weiter aber wußte sie nichts von ihm und seiner Arglist, wollte ihn auch nie in ihrer Nähe vermerkt haben, weshalb meine Sorge um sie noch größer ward. Ich vermahnte sie, fleißig acht zu haben, daß er sie nicht unversehens anschleiche und ihr Schlingen lege, Beispiels halber sie bei ihrer Hoffart und weltlichen Eitelkeit fasse. Da lachte sie ein wenig schalkhaft und sprach, sie kleide sich nur darum so schön, weil ihre selige Mutter sie gelehret, man dürfe den Menschen kein Ärgernis geben mit häßlichen Lumpen, sintemal sie alle mehr Freud haben an hübschen Sachen als an Schmutz und Elend. (Das ist wohl eine scheinbare Lehre, aber doch voll heimlichen Giftes.) Sie vertraue auf Gott, der die Macht habe, Satan von ihr abzuwehren, und es gewißlich auch gern thue, weil er ohne Zweifel wisse, 211 daß sie selber keine Zeit habe, sich mit dem bösen Feinde herumzubalgen.

Indem wir so redeten, ließ sich in ihrem Korbe, den sie wieder am Arme trug, ein kläglich Tönen hören, ganz leise, aber doch sehr erbärmlich. Ich fragte: »Was ist das?« Sie deckte auf und zeigte ein junges Kätzchen, das darinnen lag. »Es lag am Wege,« sagte sie, »entweder hat ein Wagen es überfahren oder ein Pferd getreten, denn die eine Pfote ist arg zerquetscht. Da nahm ich es mit mir.«

Mich rührte solches Mitleid, dieweil ich selbst ein Freund unschuldiger Tiere bin, und ich wanderte mit ihr weiter, bis wir zu ihrem Hause gelangten. Davor war ein Gärtchen eingezäunt, sauber und niedlich, voll von guten Gemüsen, Blumen und sehr schönen und vielen Rosen.

Sie trat hinein, ich lehnte mich von außen über den Zaun und schaute ihr mit Freuden zu. Sie rief nun laut: »Barthel! Fritz! Klaus!« Und sogleich sprangen drei treffliche Buben herzu, umfingen und grüßten sie mit Geschrei. Da zeigte sie ihnen das Kätzchen und hieß sie eilen, frisches Wasser und Linnen zu holen. Das geschah sogleich wie im Sturme, und also wusch und verband sie das Tier mit sanfter Hand, indem sie zugleich den Buben wies, wie man's machen müsse. »Sie sollens früh lernen,« sagte sie. Und als 212 das gründlich besorgt war, flüsterte sie etwas; da liefen die drei und brachten eine stattliche Ziege an den Hörnern geschleppt, die hatte ein steifes Bein und humpelte auf dreien, und trat doch ganz fest und fröhlich auf, als fehlte ihr keines.

Da lachte das Mädchen und rief: »Seht, die habe ich auch so gewonnen. Als sie ein Zicklein war, hatte es ein Bein gebrochen: so fand ich es im Felde und trugs zu seinem Herrn, denn ich kannte das Tierlein. Der schenkte mir's, weil es nichts mehr wert sei. Nun ist's aber doch noch etwas geworden. Wollt Ihr Milch von ihr kosten?«

Ich dankte und lehnte ab, hatte aber meine Lust an dem munteren Geschöpf.

»Ich habe noch andere sonderbare Tiere,« sagte sie darauf, »wollt Ihr sie sehen?« Ich bezeigte etliche Lust und sie sprach: »So folget mir hinters Haus, dort könnt Ihr sie sehen, wenn Ihr ordentlich seid und Euch still verhaltet.«

Wir gingen um das Haus herum und fanden ein anderes noch winzigeres Gärtchen mit einer Mauer, daran Reben rankten, gen Süden und ganz in der Sonne gelegen. Sie setzte mich auf ein Bänkchen zur Seite und bat mich, nicht zu mucksen. Danach trat sie in die Mitte und pfiff ganz leise. Da währte es nicht gar lange, so kamen aus allerlei verborgenen 213 Löchlein sehr viele Eidechsen hervorgeschlupft, sammelten sich um das Mädchen, fuhren hin und her und geberdeten sich seltsam vertraulich, daß ich erstaunte, denn diese Tiere pflegen sonst den Menschen nicht sehr heimlich zu sein. Ich freute mich aber um desto mehr, daß sie so freundlich auch mit dem geringen Tierzeug verfuhr, denn ohne große Freundlichkeit hätte sie dieselben gewiß nicht so gut an sich gewöhnen können.

Das Mädchen lachte nun ganz stolz, kam und setzte sich zu mir. »Sehet,« sagte sie mit heiterem Angesichte, »wie diese Geschöpfe jetzt daliegen und leise in die Sonne blicken, ganz unbeweglich, als säßen sie in der Kirche; sieht es nicht aus, als ob sie beteten? Vielleicht mögen sie zur Sonne beten, welche ihre beste Wohlthäterin ist.«

Ob solcher Rede erschrak ich heftig; denn es ist offenbarlich ein arger heidnischer Greuel und Afterglaube, dergleichen Dinge zu wähnen, da doch der Herr den unvernünftigen Kreaturen die heilige Gabe des Gebetes nicht verliehen hat. Verwies ihr's drum mit hartem Ernst, weil ich selbst um ihretwillen heimlich erschauderte; doch als sie drauf ein recht traurig Gesichtlein machte, mäßigte ich meine Worte zu etlicher Lindigkeit, denn es war mir, als schmecke ich auch mitten in den gottlosen Reden gar lieblich eine lautere Unschuld. Sie ließ mir aber nicht viele Zeit zu 214 beserer Unterweisung, sondern ward alsbald wieder fröhlich, sprang auf und sagte: »Jetzt will ich Euch noch meine zwei bösesten Tiere zeigen.«

Führte mich darauf an einen Verschlag von Holz, daraus ein grausames Schnarchen und Prusten erscholl, als wir näher kamen. Sie zog eine Klappe auf: da saß drinnen ein scheußlicher Schuhu, fauchte uns an wie ein böser Höllengeist, und auch seine Augen waren ganz teufelsmäßig. Sie aber rief: »Sei ruhig, Hänschen!« Und als das Scheusal so lieblichen Namen hörte, den es wahrlich nicht verdiente, ward es friedfertig, senkte den Kopf und ließ sich von seiner Herrin in den Federn krauen. Mich aber behandelte es immerfort unfreundlich.

Ist auch wahr, daß mir bei solchem Gebahren des wilden Vogels ein häßlicher Schauder den Rücken hinablief, gleich als witterte meine Seele von ferne Unrat, daß ich eine Weile stand und stumm dahinstarrte. Auf einmal aber rief das Mädchen mich an mit lautem Wort und rief: »Um Gott, Herr, was geschieht Euch, wie machet Ihr so fremde, freudenlose Augen?« Und siehe, da blickten mir zwei klare Äuglein mit herzlicher Bitte entgegen, und das seltsame Bangen entwich aus meiner Seele.

»Das ist das eine Tier«, sagte sie nach diesem mit gutem Lachen, »nun sehet das andere.« Zog mich 215 drauf hurtig mit sich in das Haus. Daselbst saß auf einem Lehnstuhl ein altes Weib, grau, krumm und garstig; das empfing sie mit einer so großen und übeln Zahl von Schmähreden, daß ich erschrak und mich verwunderte, was dies Kind ihm Übles gethan haben möchte.

Doch merkte ich nunmehr, daß sie mit dem andern bösen Tiere diese Alte gemeint hatte. Obzwar es mir aber schien, als wäre solcher Vergleich nicht gar unrichtig, so schalt ich doch, indem ich sie bei Seite nahm und sprach, es sei eine gottlose und freche Rede gewesen, die eigne Großmutter ein böses Tier zu heißen. Da ward sie ganz rot, was ihr artig zu Gesicht stand, und sagte: »Es ist nicht meine wahre Großmutter, sondern eine arme Frau, die bei mir wohnt, denn sie ist ganz bresthaft und vermag sich nicht mehr selbst zu helfen. Sie ist etwas heftigen Gemütes und hat eine große Lust am Schelten; sie pfleget mich immer gleichermaßen anzuschnaufen: darum verglich ich sie mit meinem Schuhu. Den aber hab' ich doch auch gern, und so war es nicht bös von mir gemeint.«

Nach diesen Worten ging sie hin, strich der Alten freundlich über die Hände und sagte ihr allerhand gute und lustige Dinge, bis selbige still ward und nur noch leise schnurrte wie eine Katze, wenn solcher der Pelz gekraut wird.

216 Da verwunderte ich mich der großen Macht dieses Kindes über Tiere und Menschen, und mein Gefallen wuchs noch mehr.

Indem kamen auch die Büblein hereingelaufen mit entsetzlichem Geschrei und verlangten trotzig ihr Vesperbrot. »Hört Ihr die hungrigen Wölfe heulen, Herr?« sagte Gertrud mit großem Lachen, »aber wartet, wir wollen ihnen ein Zaubersüpplein kochen, das sie still mache und in Schlaf bringe.«

Ich wollt' ihr eine Warnung gönnen um des unziemlichen Geschwätzes willen von den Wölfen und dem Zaubersüpplein, doch sie hört's nicht mehr, hatt' eine Thür aufgezogen, die zur Küche ging und machte daselbst mit wundersam hurtiger Hand ein groß Feuer: auf dem Herde. Nun war es von draußen seltsam zu sehen, wie ihr schönes Gesichtlein mitten aus dem krausen Rauch hervorschien, ganz rot, als ob es brennte, denn die Flammen zuckten in großer Nähe. Das sah wohl prächtig aus, aber doch fremd und nicht heimlich; wollt' mir nicht wohlgefallen. Auch währt' es nicht lange, so war das Süpplein fertig, in eine große Schüssel gethan und hereingetragen.

Ich mocht' nicht mitessen um meiner Würde willen, die anderen aber saßen um einen runden Tisch, bekamen Jegliches einen hölzernen Löffel und fuhren von allen Seiten wild in die Schüssel. Das Mädchen 217 allein harrte ein wenig und paßte den jungen Schlingeln sorglich auf den Dienst, daß keiner zu hastig schlinge oder der Alten in den Weg komme; dann schlug sie tüchtig drauf mit ihrem Löffel, daß sie zurückfuhren und kreischten, gleich danach aber wieder um so lauter lachten. Zuletzt, als sich die große Gier ein wenig gestillet, tauchte sie selbst hinein und aß; da war's lieblich zu sehen, wie keiner der Buben sie stören mochte, sondern alle drei mit ihren Löffelein säuberlich auswichen.

Unter solchem Zusehen empfand ich zuletzt selbst ein wenig Hunger und rüstete mich zum Heimweg. Nun fragte ich die Jungfrau nach ihrem Namen, denn ich gedachte sie des Öfteren heimzusuchen und etwa für sie zu sorgen, so es not thäte. »Ich heiße Gertrud Gröningin,« sagte sie.

Als ich hienach meines Weges ging, war mir's so zu Mute, als ob mitten aus dunkeln und schrecklichen Wolken heraus ein herrlicher Sonnenschein über mein Haupt geflossen wäre, so sehr hat die heitere Unschuld und Anmut dieser Jungfrau oder, wie ich lieber sagen mag, dieses Kindes meinem zerstörten Herzen wohlgethan und mir etwas neue Kraft gegeben, das irdische Leben noch ein Stücklein weiter zu tragen. Und daran erkenne ich am allermeisten, allgütiger Heiland, daß du selbst mir solche Erquickung bereitet hast. 218 Also will es mir scheinen, als ob du mein noch fürder bedürfest zum Kampf mit dem Bösen für dein Reich; und so soll ich hinfort nicht murren noch zagen, sondern freudiger thun nach deinem Rufe, der an mich ergangen ist.

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Ei, wie ist's doch ein seltsam Ding um uns gebrechliche Menschenkinder! Hab' ich nicht gestern fröhlich von ganzem Herzen den Herrn gepriesen um meines heimlichen Glückes willen – und siehe, hienacht schon ward ich ruhlos geplagt von bösen Gedanken; denn ich sah in einem Traume, daß Satan in Gestalt des widerlichen Schuhu seine Krallen nach der Jungfer Gertrud ausreckte, und hinwiederum glotzte er auch nach mir selber mit grünen, arglistigen Augen als einer Katze: und da ich des Morgens aufstand, war meine Seele gebeugt und voll Unrast. Bin aber tapfer hinausspaziert vors Passower Thor, und als ich das Mägdlein wieder mit Augen sah, zerfloß das Zagen gleich einem Nebel, und ich spürte von neuem, daß der gnädige Gott ein Weilchen seine schöne Sonne auf mich Unwürdigen scheinen läßt.

†     †     †

Man weiß, daß inmitten der unermeßlichen Wüste in Afrika der freundliche Gott den reifenden Menschen herrliche Inseln oder Oasen eingerichtet hat, auf daß 219 sie nicht verschmachten noch vom Brande der heißen Sonne verzehrt werden. Daselbst springen lautere Brünnlein frischklaren Wassers in großer Zahl, und mächtige Bäume, als die schönen und heiligen Palmen, spenden Schatten und süße Frucht, und Blumen sprießen in zahlloser Menge von wunderbarem Geruch, und die allerbuntesten Vögel singen und preisen Gott ob all dieser Wonne und kein böses oder giftiges Tier darf solchem Bezirke nahen.

So und nicht anders hat Gott mir in meinem Leben eine Oase bereitet. Ich habe ein Kind gewonnen und kann mich freuen an seinem Anblick und seiner Holdseligkeit, als wäre es in Wahrheit meine eigene Tochter. Alltäglich gehe ich zu ihrem Häuschen, vermahne sie treulich mit geistlicher Rede oder lasse sie lachen, und das ist mir ein Glück so groß und schön, daß ich mich heimlich scheue, davon zu reden oder auch nur zu schreiben; denn man sagt, so jemand das Glück laut anrufe, so eile es dahin und entfliege wie ein schöner Vogel, den eine laute Stimme verscheucht hat. –

†     †     †

Ei, ei, mein Vöglein Gertrud, heute habe ich ein lustiges Ding von dir gesehen. Nämlich als ich dem Hause nahete, langsam wandelnd der Schicklichkeit halber, wie es meine Gewohnheit ist, und hoffend von ferne 220 schaute, so sah ich, wie mein Vöglein hoch auf dem Treppchen saß, das von außen ins Haus führt, und drunten hupften die drei unflüggen Spatzen, meine Buben, und warfen ihr große rote Rosen zu wie Bälle, mit welchen die Kinder spielen, und sie fing dieselben allesamt mit so großer Geschicklichkeit, daß es nicht leicht jemand glauben würde, der es nicht selber sähe. Welche sie aber zurückwarf, die steuerte sie so weislich, daß sie den Schlingeln fast in den Mund fielen, und doch waren diese oft genug so tölpisch und konnten sie nicht greifen. Und wie dann die drei Spatzen unter einander piepten und purzelten und sich balgten um die Rosen, wie war das lustig zu sehen, und wie lachte da meine Gertrud! Und wie ihr selbst die Wangen glühten vor Lust und herzlichem Eifer! Ein Kind! Ein Kind!

Hinwiederum wenn einer richtig gefangen hatte und sie ihm zurief und seine Kunst lobte, da schien sie wie eine Mutter; ja, Gott verzeih' mir die Sünde, recht wie die mütterliche Jungfrau Maria selber, in welcher Art etwa Meister Albertus Dürer sie gemalt hat. Wie sie aber mit so wundersamer Anmut und so zierlicher Sicherheit griff und fing, als könne es ihr nimmermehr fehlen, da verwunderte ich mich abermal wie sonsten oft von Herzen und freute mich, daß Gott 221 sie mit so seltsamen und schönen Kräften in allen Stücken absonderlich ausgerüstet hat.

Zuletzt aber rief sie, als ob es sie gelüstete, ihre Kunst noch besser zu zeigen: »Du stehst mir zu nahe, Klaus! Weiche zurück, Barthel! Ganz hinten am Zaune, Fritz! – So, nun laßt sehen, ob ich euch treffen kann!«

Und so warf sie, und wahrlich, sie traf auch dort, nur daß die Rangen zu täppisch waren und nicht acht gaben. Indem hatte sie nicht bemerkt und ich in dem Zuschauen auch nicht, daß ein Männlein des Weges gekommen war: und siehe, eben als das vorbeiging, fuhr ihm eine Rose gerade an den Kopf, daß es wohl ein wenig erschrecken mochte. Es war aber ein junger und stattlicher Bursche, der da gekommen war, schön, in vornehmen Kleidern; der blieb nicht lange verdutzt, sondern hurtig hat er das lustige Wurfgeschoß selber mit der Hand erwischt, zielt, wirft, trifft meinem Gertrudelein dicht vor die Augen. Das saß nun noch ganz erschrocken da, hebt aber doch die Hand und fängt, wie sie's einmal gewohnt ist; wirft freilich nicht wiederum zurück, ich meine, weil sie's nicht für schicklich hielt. Da schreien die Buben aber laut »Mehr! Mehr!« Und sie muß ihnen zuschicken wie zuvor. Der junge Herr ist aber gewandter als die Tölpel alle drei, fängt ihnen die meisten Blumen vor der Nase weg; bald 222 stehen sie nur noch, schauen zu und sperren verwundert die Mäuler auf. Das hübsche Männlein aber kämpfte solchermaßen wacker fort mit dem Kinde, rückte auch allmählich dicht an den Zaun, danach husch, über den Zaun hinweg wie ein Hirsch, die Röslein sausen immer wilder hin und her wie ein roter Regen, zerflattern und decken den Boden, daß es sehr prächtig aussah, als wäre einer Herzogin zum Einzug die Straße mit Blumen bestreuet. Die Beiden aber hatten alles um sich her vergessen und bewarfen einander so hitzig und scharf, als gälte es bitterlichen Ernst; und doch lachten sie laut und jauchzten ganz toll um die Wette.

Nun war das sehr lustig anzusehen, und, helfe mir Gott, mir zuckt' es selber in den Gliedern, und wenig fehlte, ich wäre hinzugesprungen und hätt' mitgethan, was mir doch um meines Alters und meiner geistlichen Würde willen übel angestanden hätte. Auf einmal aber sind die Rosen zu Ende, und die beiden stehen und blicken stumm und rot einander an, und je länger sie weilten, um so röter wurden sie im Gesicht statt sich abzukühlen. Da dacht' ich: Nun ist's genug! trat dazu und redete mit ihnen.

Sie erschraken alle zwei wie Bösewichter, und ich hatte zumal eine Freude an meinem Gertrudelein, wie es so sehr beschämt war über solche Kinderei und rief: »Pfui, sollt' ich doch den Jungen ein besser Beispiel geben!«

223 Der tapfere Herr aber war auch ganz wirr geworden, redete eine gute Weile kein Wort, dann sprach er recht thöricht, ihn dürste, ob er ein Glas Wein haben könne?

»Ja, freilich,« sagt die Gertrud schnell, »und das vom allerbesten Jahrgang, den wir haben; liegt unter der Erde der Kühlung halber.« Läuft also und kommt wieder mit einem zinnernen Becherlein und reicht es ihm. Ich merkt' es gleich, es war eitel Brunnenwasser; denn Wein haben sie nicht im Hause, nicht einmal Bier. Er aber nimmt's und trinkt ganz ernsthaft, als spüre er die Schalkheit nicht, blickt auch unter dem Trinken manchmal verstohlen über den Rand des Bechers auf das Mädchen, als hätt's ein Zauber ihm angethan.

Darauf entschuldigt sich der junge Mensch mit so blödem Stottern, daß mich's von einem so feinen Jungen, als der doch hätte lernen müssen die Rede zu setzen, baß verwunderte. Zuletzt ging er ab und wir andern schauten ihm nach. Und als er so weit von uns fort war, daß er wohl meinte nicht mehr gesehen zu werden, auf einmal zieht er sein feines Federhütchen vom Kopfe, wirft es hoch in die Luft wie einen schlechten Fetzen, fängt es wieder, springt danach hurtig über eine Hecke, die da war, und heissa! läuft 224 querfeldein wie der Wind, daß er gar bald verschwunden war.

Wir haben nun, die Gertrud und ich, herzlich gelacht über den wunderlichen Herrn, der wie ein lustiger Bube that und nach allem Anschein ein vornehmer Mann war; und als ich nachher in mein Haus gekommen, hat mich die ganze Sache noch immer so gefreut, daß ich sie mir genau hab' müssen aufschreiben zu heiterem Gedächtnis, ob ich gleich weiß, daß ein verständiger und gelahrter Mann wohl klügere Dinge sollt schreiben können. Allein ich denke, mein Gott gönnet mir die Freude.

Scriptum Ao. 1559, am 27. Junii.

†     †     †

Der Herr hatte mir zur Prüfung christlicher Geduld ein Siechtum gesandt. Wie hab' ich mich nach meiner Gertrud gebanget! Sie hat aber, nachdem ich etliche Tage bei ihr nicht bin gesehen worden, ihre drei Spatzen zu mir gesandt, zu forschen, was es wäre. Und als sie erfahren, daß es übel mit mir stünde, ist sie stracks selber hergelaufen und hat mich pflegen und mir alles Gute erweisen wollen. Meine Schaffnerin aber ist verwundert gewesen über solchen Besuch und solches Begehren, und hat, wie mir schwanet, das arme Kind hart angelassen um vermeinter Schicklichkeit willen, denn das tolle und gutmütige Weib glaubt, ich 225 sei allenfalls noch jung genug zum Freien und zu Liebesgedanken. Ach, mein Gott, du aber weißt es, was mein Herz sich gelobt hat, und wie alt es überdem geworden ist.

Das arme Kind ist über solche thörichte Rede sehr erschrocken gewesen und still davongegangen; hat so betrübt dreingeschaut, daß es meine Alte selbst gejammert, wie sie vermeldete. Hiernach hat die Gertrud alle Tage wiederum ihre Brüder geschickt, nach meiner Gesundheit zu fragen. Gott sei gepriesen, heut kann ich den Bürschchen schon bessere Kunde auf den Weg geben. Am 25. Juli.

†     †     †

Meine Schaffnerin hat mir verwunderliche und schier erschreckliche Dinge berichtet, so ich in meinem starken Fieber soll geredet haben, davon mir selber nichts mehr bewußt geblieben. Hab' immerfort geschrieen, Satan schnappe mit aller Begier nach Gertrud's Seele. Etliche Mal habe es geschienen, als wähnte ich selbst der Teufel zu sein, sintemal ich mit listigem Angesicht solche Dinge geflüstert habe: »Siehst du, ich mache dich fest wider Feuer und Rauch, daß es um dich brenne und du nicht verbrannt werdest; siehe, ich lehre dich Zaubertränke kochen und also Macht über die Menschen gewinnen, daß du sie nach deinem Begehren lenkest, und sie an dir hangen sollen 226 wie demütige Tierlein. Siehe, darum bete mich an, gleichwie Kröten und Schlangen und Eidechsen zu mir beten, der ich ihr bester Wohlthäter bin.«

All diese abenteuerlichen Reden will die Schaffnerin zu so häufigen Malen aus meinem Munde vernommen haben, daß sie dieselben gleichsam auswendig gelernet wie ein Lied. Mir aber ist's gar schaurig und bange, weil ich nicht weiß, welche Macht solche Dinge mir ohne mein Wissen in den Mund gelegt; eine gute Macht kann's schwerlich gewesen sein. Herr, mein Gott, erleuchte meine Seele allezeit und halte mich auf dem rechten Wege der Wahrheit und der Hoffnung.

†     †     †

Heute als am vorletzten des Heumonds bin ich das erste Mal wieder ausgegangen, habe den blauen Himmel gesehen und bin bei dem Kinde gewesen, ihm zu danken für sein sorgend Herz. Es sprang mir herzlich entgegen, und ich verwunderte mich seiner, denn es schien mir indes größer geworden und noch schöner, auch war es stiller denn sonst, schwatzte kein kindlich Zeug, sondern redete verständig wie ein ordentliches Hausfräulein. Ihre Augen aber waren klarer und fröhlicher, als ich sie jemals erblickt habe. Nur etliche Mal versank sie ganz in tiefe Gedanken und blieb stumm; wenn ich sie dann wieder ansprach, schrak sie auf und ward rot im Gesicht. Manchmal 227 auch lächelte sie heimlich vor sich hin, als wäre sie in einem Traum. Zuletzt schien es mir, als wäre sie ein wenig scheu und minder vertraulich, und als müßte ihr irgend ein verborgenes arges Ding auf dem Herzen liegen. So befragte ich sie darum; da schüttete sie sich auf einmal heftig in Thränen aus und lief davon, gerade aus der Thür. Jedoch als sie über ein Kleines wiederkam, hatte sie die Thränen alle getrocknet, lachte sehr lustig und sprach, sie sei eine große Närrin und müsse manchmal weinen über die schönsten Dinge. Ich sollt' aber nicht neugierig sein noch derowegen um sie sorgen: wenn's was wäre, würd' ich's schon zur rechten Zeit erfahren, denn sie wisse, daß ich ihr Freund sei.

Nun bin ich heimgekehrt und habe eine große Bekümmernis, als ob sie nicht ganz mein rechtes Kind mehr wäre. – Wenn's nicht bloß meine Narrheit ist, die von dem Siechtum herkommt.

†     †     †

Nun hat sich das alles wunderbar und lieblich geoffenbaret.

Heute, da ich sitze über der heiligen Schrift und lese, klopft's, und hereinkommt der junge feine Bursch, der neulich so mit den Rosen Ball geworfen, sagt, er sei der Marx Stojentin (des reichen Kaufherrn Sohn hierselbst), er müsse mich um eine große Gunst 228 bitten. Es komme aber noch jemand mit ihm, und ob der eintreten dürfe. Als ich das nicht weigerte, streckte er die Hand aus der Thür und zog die Person herein: und siehe, da war's mein Gertrudelein. Als sie hierinnen war, legte er den linken Arm stark um ihre Schulter, griff ihre rechte mit der andern Hand und rief: »Diese ist meine Braut vor Gott und soll es sein in Ewigkeit. Hochwürdiger Herr, Ihr sollt uns helfen, daß sie mein Weib werde vor den Menschen.«

Als ich das hörte, ward ich so sehr übernommen von Staunen zugleich und seltsamer Freude, daß mir die Thränen leise aus den Augen tropften und ich ans Fenster trat, dieselben zu verbergen; denn ich hielt so große Weichheit einem Geistlichen nicht wohlanständig. Anfangs wollte mich das Staunen schier übermeistern, wie es doch dem armseligen Dirnlein so rasch gelungen, das Herz eines reichen, fürnehmen jungen Herrn gänzlich für sich zu gewinnen; nachher aber überdachte ich weislich, daß selbiger Herr ohne Zweifel redlichen Herzens sei, zudem auch klugen Sinnes, als der eine so feine Braut sich frei erkoren ohne Ansehen ihres Standes und geringen Besitzes.

Darum schwoll mein Herz wieder auf von großer Freude um des Kindes willen; ich kehrte mich um zu den beiden und segnete sie mit vielen sehr schönen und herzlichen Worten. Am Ende fragte ich nun den guten 229 Marx, worin denn ich ihnen helfen sollte, und was ihnen beschwerlich sei? Und wie? Ob er mit seinem Vater schon geredet habe? Die Braut selbst freilich sei eine Waise.

Da machte er ein bekümmertes Gesicht und sagte: »Das ist's eben. Ich habe mit ihm geredet und ihm mein Herz geöffnet. Drauf hat er mich grausam angefahren, sich ganz wild angestellt und mich einen blöden Narren und einen Empörer geheißen und ähnliche Dinge mehr, was mich bitterlich betrübte, denn ich habe allezeit treu nach seinem Willen gethan und mich nie wider ihn gröblich vergangen. In diesem einen Stück aber kann ich nimmer anders thun, als ich gesagt habe; Gertrude muß mein liebes Weib werden, oder wir müssen alle zwei vor Leid des Todes sterben.«

Und als er dies sagte, schien gleichsam eine Flamme großer Liebe auf seinem Antlitz zu brennen und machte ihn schön wie einen starken Boten des Herrn. Und ich erkannte darin einen Wink Gottes, daß ich ihnen helfen sollte, so ich es vermöchte.

»Ja, Hochwürdiger Herr,« sprach er weiter, »man sagt, Euch sei eine gewaltige Kraft der Rede gegeben wie keinem anderen Geistlichen noch Laien hiesiger Stadt; darum werdet Ihr auch gewißlich ohne allzugroße Mühe den Sinn meines Vaters zu wandeln vermögen, daß er erkenne, es sei keine Empörung, wenn 230 ich solches von ihm begehre, und auch keine Narrheit: Denn Ihr selber wisset ganz wohl und könnet laut Zeugnis ablegen, daß diese Jungfrau mit den allerschönsten Tugenden geziert ist und in allen Stücken wert und würdig, auch unter den vornehmsten Frauen der Stadt zu sitzen. Darum bitte ich Euch, thuet um ihretwillen nach meinem Verlangen.«

Da er also flehte, ei freilich, wie konnt' ich anders? Ich mußt's ihm zusagen.

Drauf wurden sie augenblicklich beide so frohen Mutes, als ob nun alles schon völlig zum Besten gekehrt wäre. Blieben noch eine kleine Weile in Freuden bei mir, setzten sich und trieben Narreteidunge. Lachten sehr viel und neckten sich untereinander und rühmten ein jegliches, seine Liebe sei noch vielmal größer als die des andern; hielten sich aber sonst ganz ehrbar und thaten nichts, was meinen geistlichen Augen hätte übel gefallen müssen.

Sobald aber als sie hinausgegangen waren, geschah mir ein wunderlich Ding, dessen ich mich nicht versehen hatte. Nämlich, da ich bisher eitel große Freude an selbiger Neuigkeit empfunden, vermeinend, das Mädchen solle nun fortan ein glücklicheres Leben gewinnen, verfiel ich urplötzlich einem starken Schmerz in meinem Gemüte, ja, ich begann jämmerlich zu zagen und zu wähnen, daß ich das Kind nun aus meinem 231 Herzen verloren habe. Half auch nicht, daß ich mich selbst belehrte, dem sei nicht so, da vielmehr zu glauben sei, daß ich mich in Zukunft bequemer ihrer Tugenden freuen könne denn bisher: mein trotzig und verzagtes Herz eiferte unverständig dawider und hätte sich um ein Weniges gar zum Zorn geblähet wider den wackern Jüngling Marx, als der sie mir entreißen wolle. Ich kämpfte mit meinem Wahn und rief Gott mir zu Hilfe; aber den Thränen vermocht' ich doch nicht zu wehren.

Indem ich noch also rang, kam mir eine Botschaft aus der frommen und wohlbelobten Stadt Stolp (liegt sehr weit in Hinterpommern), und bitten mich die Bürger daselbst, ihnen eilig zuzureisen; sie hätten eine ausbündige Hexe und ausverschämtes Teufelsweib, so keineswegs Vernunft annehmen und nichts bekennen wolle, wie peinlich man sie auch befragt habe, daß kaum noch ihre Glieder ganz seien. Daher man sie nicht brennen könne, und solchermaßen nicht allein ihre eigne Seele täglich sicherer der Hölle verfalle, sondern auch andere annoch gute und christliche Leute in offener Gefahr schwebten so des Leibes als der Seele. Denn die Macht dieser Hexe sei übergroß, und selbige habe zuvor schon unsägliches Leid und Schaden gestiftet.

Solche Botschaft bedrückte mein Herz noch mehr; 232 konnt' es aber doch nicht weigern und beschloß, morgen mit dem Frühesten mich dahin aufzumachen.

Also drängte mich so größere Eile, den alten Herrn Stojentin heimzusuchen und sein Gewissen oder seinen Verstand zu erwecken. Kleidete mich darum ehrbar, ging zu ihm und stellte ihm bescheiden und klug die Sache dar. Es ist aber dieser Stojentin nicht schön beleumdet, außer daß er ein feiner Kopf ist, dazu reich und mächtig durch Geld: sonst aber sei er arglistig, boshaft und hartherzig, betrüge zwar niemanden offen, wisse jedoch allemal seine Hinterschliche zu finden, seinen Vorteil zu haben und andere zu schädigen, sodaß man ihm schwerlich ans Leder könne.

Als ein solcher Fuchs erschien er anfangs auch mir, und dazu als ein Wüterich. Und ist fürwahr zu verwundern, daß ihm dennoch ein so gut gearteter Sohn erwachsen ist. Zwar man findet's öfter, daß harte Eltern bescheidene Kinder ziehen, weil ihre Zucht strenge ist, dahingegen andere durch ungerechte Sanftmut und Gutheit die Söhne locker werden lassen; denn wir Menschen alle haben schwere Zucht vonnöten, um geistlich zu gedeihen.

Dieser schlimme Christ, als er mein Gewerbe vernommen hatte, fuhr abscheulich auf mich ein, schalt, schmähete mich lästerlich, unangesehen meines geistlichen Standes; fragte höhnisch, ob das rechte Sitte sei, daß 233 ein solches Predigerkäuzlein auch den Kuppler mache? Er wisse gut, was ihm als einem klugen Vater zustehe, und dünke sich auch keine Sau zu sein – und was dergleichen ungewaschen Zeug mehr war, das wie Dreck aus seinem Munde ging. Ich aber ließ mich's nicht anfechten, habe doch oft Ärgeres von anderen Teufelsweibern müssen hören, und hier duldet' ich's froh um der lieben Kinder willen. Jammerte mich nur meiner geistlichen Würde.

Zuletzt, als er stark ausgewütet und etwas verschnaufen mußte, hub ich hurtig wieder an und berichtete ihm getreulich, was ich von der Gertrude Liebes und Gutes zu melden wußte, das doch nicht wenig ist: wie sie nicht allein ein sehr schönes und geschicktes Menschlein sei, sondern auch mit zahlreichen anderen Tugenden vom Schöpfer sehr prächtig ausgeschmückt. Zum rechten Erweise ihres guten Herzens erzählt' ich auch mit Freuden, wie fein sie aller ihrer seltsamen Tierlein pfleget, auch solcher, die von anderen Menschen nichts wert gehalten werden, als die auf drei Beinen laufen oder sonst nichts nutz sind wie die Eidechsen und der Schuhu und das alt böse Weib. Ingleichen, daß ich ihm ein liebliches Bild gleichsam vors Auge setzte und sein eigen Herz heiter und offen machte, that ich kund, wie die Zwei mit den Rosen zuerst aneinander geraten sind und dabei sich toll und blind wie die Kinder, 234 hinterdrein aber ganz blöde und dumm verhalten haben, als wären sie von einem plötzlichen Zauber gefangen; was weiter geschehen, davon wußt' ich freilich auch nichts, außer was die Kinder selbst mir gesagt haben, daß der Marx alle Tage (derweile ich krank gelegen) mit Fleiß desselbigen Weges gestrichen sei, zuerst etliche Worte über den Zaun weg mit der Gertrud konversieret, bis sie sich vertraulich geworden sind und am Ende vor großer Liebe einander die Ehe versprochen haben.

Indem ich nun diese Geschichten mit kunstreichen Worten vorbrachte, ersah ich, daß des Mannes Zorn sich merklich sänftigte; er horchte mit Sorgfalt auf das alles, und da ich geendigt, brummte er nur ein Weniges vor sich hin; dann sagte er schnell: gut, ich sollt' nur gehen, er wollt sich's überlegen; es könnte ja wahr sein, daß die Dirne was wert wäre und ihm gefallen möchte. Wollte auch selbst hingehen und selbige in der Stille sehen und ihre Art erforschen.

Da dankte ich im Herzen brünstig meinem Gott und verwunderte mich zugleich selbst der großen Macht und Beredsamkeit, die seine Gnade auch diesmal wieder auf meine Lippen gelegt, daß ich diesem argen Mann die Seele zu rühren vermocht. Hab' auch wahrlich sehr fein und mit herrlicher Kraft geredet; nur daß 235 ich nicht wähne, dies sei mein Verdienst, sondern es ist des Höchsten allein.

Scriptum Ao. 1559. Am 3. Augusti.

†     †     †

Die stolpische Hexe war allerdings unartiger und verstockter denn andere je zuvor. War doch durch vieler Zeugen Mund überwiesen, daß sie auf einer dreibeinigen schwarzen Katze (so man mir vorgewiesen, war ein sehr scheußlich Tier) nachts zum Dache hinausgefahren ist; item daß sie den lebendigen Satan, oder, wie etliche sagen, den bösen Geist Chim, in Körben anderen Weibern zugetragen zu bösem Gelüst, nämlich in Gestalt von Kröten und ähnlichem Ungezücht. So vielen Zeugen ins Angesicht aber leugnete sie boshaft, zeigte sich auch überaus hart von Gliedern, weil Satan sie stützte, und trug mehrere Grade der Folter von neuem, ob sie gleich gräßlich schrie, daß mir die Haare zu Himmel standen und der Schweiß wie Blut von der Stirne troff. Zuletzt habe ich ganz allein sie ohne Folter mit eitel geistlichen Worten bezwungen und ihre Seele so zerknirscht, daß sie ihre Schande herzlich bereute und freudig ins Feuer stieg um ihrer ewigen Seligkeit willen.

Hat mir doch hart und schwer ans Herz gegriffen; also wünschte ich, es möchte bei meinem Leben die Letzte sein, die solche Greuel verschuldet. Nun bin ich 236 heimgekommen und bin bitter müde von der Fahrt, mehr noch im Herzen als an den Gliedern.

Ach leider! Gleich haben sie auch hier großmächtige Akta, die soll ich lesen und dann hinkommen. Heut' aber vermag ich's nicht mehr. Wehe mir, falle doch der heilige Fluch Gottes auf alle, so dem Teufel zu Liebe so scheußliche Schande treiben.

Am 20. Augusti 1559.

†     †     †

Allgütiger, allgnädiger, allbarmherziger Gott, halt ein mich zu schlagen, deine Hand ist zu schwer über mir, ich muß verderben und ganz vergehen vor deinem Zorn. Meine Seele schreiet laut auf und knirschet im Staube, mein Glaube versinkt, und meine Hoffnung weichet. Herr, Herr, hilf! Herr, erbarme dich mein, erleuchte mich oder wirf mich ins Meer, wo es am tiefsten ist! Mein Gott und Heiland, nimm hin meinen Leib ihn zu zerschmettern, aber rette meine Seele und rette meinen Glauben!

†     †     †

Herr, Herr, warum hast du dem Teufel so ungeheure Macht gegeben auf Erden, daß nichts ihm, nichts widerstehen mag?

Siehe, meine Seele liegt so schwer danieder, als wäre ein Fels auf meine Brust gewälzt; das letzte Lichtlein ist aus meinem Leben entwichen. O Gott, 237 mein Herr, aber dennoch strafe mich noch schwerer und schrecklicher, so du willst; nur eines, eines flehe ich mit tausend Thränen und Seufzern: Rette die Seele dieses Mägdleins aus den Klauen des bösen Feindes! Laß hinfahren und brennen ihren Leib, daß ihre grause Schuld gesühnt werde, aber rette ihre Seele, ihre arme, liebe Seele!

Amen, Amen. Das heißt: Ja, ja, es soll also geschehen.

†     †     †

O mein himmlischer Heiland, dies Kind! dies Kind!

†     †     †

Psalm 13. Gebet in Traurigkeit und Herzensangst. Psalm 14. Lehre vom Verderben des menschlichen Geschlechts. Psalm 88. Gebet in schwerer Anfechtung.

†     †     †

Die alte Frau ist vor Schrecken gestorben, da man die Gertrud in ihrem Hause bestrickte und sie hinwegführte; ach, daß mir nicht eben dieses Heil widerfahren ist! Nun sterbe ich dahin vor dem Tode und will an Verzweiflung alle Stunden ersticken. Gertrud, Gertrud, warum hast du mir das gethan?

†     †     †

238 Sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig; da ist keiner, der Gutes thue, auch nicht einer. Ps. 14, V. 3.

†     †     †

Nun ist der unselige Jüngling zu mir gekommen, der Marx Stojentin, war ganz verstöret und sah aus, als wäre der bleiche Tod über ihn hinweggeschritten. Warf sich zu meinen Füßen und flehete gar kläglich mit Ächzen und Weinen, ich sollte ihm seine Braut vom Tode erretten, möge dann mit ihm selber geschehen, was da wolle. Mein Herz ward schwach vor großem Erbarmen; doch da er sich zuletzt allzu ungestüm geberdete, schalt ich ihn mit mäßigen Worten, er solle vielmehr an ihre sündige Seele denken, dann an ihren sterblichen Leib; an dem sei wohl nichts mehr zu erretten.

Da machte er seltsame Augen, als käme er von Sinnen, und rief mit gewaltiger Stimme: »Herr, wie redet Ihr doch so verwunderlich? Ihr wißt ja doch, daß unsere Gertrud unschuldig ist!«

Ich aber erwiderte ihm (Gott sah, mit welchem Schmerz), daß ja leider alles zu deutlich bewiesen und von ihr selber eingestanden sei, frei und ohne Folter; darauf schrie er noch lauter und ward ganz wütig: »Lüge, Lüge alles, Verleumdung und schamlose Bosheit! Wider alle Welt will ich beharren und rufen: 239 Gertrud ist unschuldig wie ein Engel des Himmels: Meine Hand und meine Zunge sollen verdorren, wenn ein Wort wahr ist von allem, des sie beschuldigt ist!«

Ich aber, als seine Wut sich ein wenig gestillt hatte, forschte ihn aus, wie es ihm an jenem Tage zu Sinne gewesen, da sie ihn mit den Rosen warf, und wie nach diesem an den folgenden Tagen. Siehe, und ich vernahm mit schrecklichem Grausen, daß er solches gar genau ebenso beschrieb, wie es mir leider ehedem mit der übeln Buhlerin Apollonia ergangen war. Das that ich ihm nun auch deutlich kund (obzwar ich mich heftig vor ihm schämte), und wies ihm, wie ganz offenbarlich auch diese Rosen des Teufels Spielwerk gewesen, damit sie ihn vergiftet, wie jene andern auch zuvor.

Er aber verstockte seinen Sinn und wollt's nicht glauben, was doch vor Augen liegt. Ach ja, und war ich nicht selbst bisher so blöde und verblendet und wäre um ein Kleines zum andernmal in des Teufels Strick gefallen? Wie sollte nun dieser Jüngling weise sein? Gott erleuchte ihn und wahre seine Seele vor größerem Schaden.

Und weiter sprach ich zu ihm: »Seht doch, Lieber, so und so: sind nicht Unzählige vor ihr beklagt, bedrängt und gerichtet, weil sie mit widrigem Tiergezücht, das dem Teufel gehört, sich befaßten, Schlangen, 240 Kröten, Molchen? Und wie sollten doch Eidechsen besserer Art sein oder der greuliche Schuhu? Und all' ihre absonderliche Kunst und Geschicklichkeit, wie gern lehret Satan solche Stückchen! Ja, habe ich nicht selber gottlose und schier teuflische Reden aus ihrem Munde vernommen, nur daß mein Sinn blöde war und nicht merkte, wo das herkam! Und sind nicht auch dreibeinige und hinkende Geschöpfe gleich ihren Katzen und Ziegen schon oft das Zeichen gewesen, daran man Hexen zuerst erkannt und ausgewittert? Siehe nun, wenn diese nicht schuldig wäre, da ihr so viel bewiesen ist wie nicht leicht einer andern, und sie selbst auch so hurtig bekannt hat, ei, könnte man nicht glauben, daß auch alle die anderen unschuldig gerichtet und gestorben seien? Oder wie meinet Ihr?«

Nach diesen meinen Fragen schaute er mich staunend an mit einem wilden Blick, als entsetzte er sich vor einem bösen Gespenst, und sagte laut und frech: »Ei, fürwahr, so sind sie alle unschuldig gestorben!«

Als er das sagte, war mir's im gleichen Augenblick, als führe ein kaltes Eisen mir mitten ins Herz und bliebe da haften, daß mein Puls stille stand viele Sekunden lang und wagte nicht mehr zu schlagen. Einen so großen teuflischen Schauder habe ich nimmer noch in meinem Leben empfunden. Doch als das vorüber ging, sah ich wohl, daß es eitel Thorheit war, was 241 er geredet hatte, und hielt ihm solches Unrecht wider Gericht und Obrigkeit ernstlich vor.

Zuletzt ging er von mir in unchristlicher Verzweiflung, und ich sorge fast, er möge etwas Arges wider die Obrigkeit im Schilde führen. Hat er doch gar seinen leiblichen Vater mit bösen Worten verflucht: derselbe habe die ganze Sache aus schändlicher Arglist angezettelt, um ihm seine Braut zu entreißen, weil sie arm und von geringem Stande sei.

So leicht vermag der Satan auch fromme Seelen zu bethören und in Sünden zu locken!

†     †     †

Es ist gar seltsam: seit der Jüngling von mir gegangen, ist ein fürchterlich Zagen und Grausen über mich gekommen. Mir ist nicht anders, als gehe zu jeder Stunde ein Mörder hinter mir und begleite lauernd alle meine Schritte. Ich sehe ihn nicht, aber ich höre seinen Gang wie mit leiblichen Ohren, und ich weiß, wer er ist: ich kenne deine Tücken, Satanas!

Herr, halte deinen Schild vor mich und nimm dieses teuflische Grauen von meiner Seele!

†     †     †

Und wenn sie dennoch unschuldig wäre, das Kind, das arme Kind . . . o gnadenreicher Gott, wenn diese Wonne mir aufbewahrt wäre . . .

242 Ei fürwahr, so sind sie alle unschuldig gestorben . . .

Ich spüre des Mörders Hände dicht an meiner Kehle.

†     †     †

Gleich einem Meer von eitel Blut wallet es vor meinen Augen; ich muß ersticken in der Angst und in dem entsetzlichen Ahnen. Wenn es wäre, wenn sie alle . . . hundert unschuldige Opfer . . . . Heiliger Gott, nein, nein, nein, wie könnte das sein? Es ist ganz unmöglich . . . Und wenn . . .

†     †     †

Herr, könnte ich vergehen vor deinem Angesichte und nichts mehr wissen von Erde noch Hölle noch Himmel in Ewigkeit, um diesem dunkeln Grauen zu entrinnen! Auch im Paradiese selbst wäre keine Ruhe für mich zu finden. Herr, mein Gott, erbarme dich und sende mir ein Zeichen, daß sie schuldig waren, jene, die durch mich gestorben sind . . . Ach, und Gertrud, meine süße Gertrud . . . sie könnte doch unschuldig sein . . . Und dann . . .

So sind sie alle unschuldig gestorben.

†     †     †

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

†     †     †

243 Heiliger Gott, Allerbarmer, ja! ja! ja! Sie ist unschuldig! Ganz unschuldig. Meine Seele bebt vor namenloser Freude.

Denn ich weiß es, Herr, du hast mir ein Zeichen gegeben, und ich will es beschwören vor deinem Angesicht laut als einen furchtbaren Eid: Siehe, solche Blicke vermag der Teufel nimmer zu schaffen, die gehen dennoch über seine Macht, so gewaltig groß sie ist! Ja, wie sie mir entgegensprang im Kerker mit dem sichern Blick der Freude und des Vertrauens, siehe, da fuhr es mir wie eine Flamme ins Herz, wie ein leuchtender Blitz des Herrn: Sie ist unschuldig, ganz unschuldig! Und ich jauchzte im Herzen vor eitel Wonne.

Aber ich leugnete noch vor mir selber und sprach zu ihr: »Hast du nicht alles selbst vor dem Richter bekannt?«

Sie aber errötete im Angesicht und antwortete und sprach: »Ach, lieber Vater, wie redet Ihr so zum Schein und wollt mich ängstigen? Ich aber fürchte mich nicht vor Euch und auch nicht zu sehr vor den Anderen, denn ich weiß, mein lieber Heiland wird mich gewiß erretten. Ja, seht, weil mich die Knechte entblößen wollten zur Folter, kam ich recht von Sinnen vor Scham und bekannte vorher alles, was sie von mir verlangten. Ihr aber wißt doch besser, wie es ergangen ist, denn Ihr habt mit Euren guten, treuen 244 Augen gesehen, was ich gethan habe. Und Ihr müßt es ihnen doch gesagt haben, daß es nicht wahr ist, was sie mir Schuld geben!«

Und als sie dieses sagte, sah sie mich an mit ihren reinen Augen; ich aber meinte, dieselben vermöchten mir tief ins Herz zu schauen, und ich schämte mich bitterlich, daß ich an ihr gezweifelt.

Gottes Güte sei gepriesen in Ewigkeit, der mir in diesen Augen die Wahrheit zu sehen gab.

†     †     †

Nachdem mich Gott also mit vollkommener Klarheit erleuchtet hat, danach über ein Kleines hat mir Satan von hinten zugeraunet mit einer Stimme, wie wenn ein leiser Donner aus der Ferne kommt:

Ei, fürwahr, so sind sie alle unschuldig gestorben.

Und alsobald ist eine wundersame und fürchterliche Ruhe über mich gekommen wie über einen Mörder, der lange zagend seines Spruches harrete und nun des Todes ist schuldig befunden worden. Denn siehe, ich wußte auf einmal ganz gewiß, als wäre es mit feuriger Schrift in meine Brust geschrieben, daß ich ein hundertfältiger Mörder bin und hundertfältigen Todes schuldig. Allein die Ruhe sitzet wie Eis in meinem Herzen; die Schuld steht vor mir so riesengroß und fremd wie der Gedanke der Ewigkeit, den ich nicht 245 fassen noch begreifen mag, sondern vor dem ich stumm in schaudernder Stille harre.

†     †     †

Ich weiß nun wohl, daß Gott meiner ganz vergessen hat um meiner unaussprechlichen Sünden willen. Ich aber will dennoch nicht ablassen in ihn zu dringen, daß er die Unschuldige durch mich erretten lasse und mich allein dem Tode hingebe. Er muß mich erhören, nicht um meinetwillen, sondern um ihretwillen, die an reiner Unschuld seinen Engeln gleicht. Du mußt mein Gebet erhören, du Allgerechter, ja du mußt!

†     †     †

Nur des Nachts in der Einsamkeit schleicht es heran und will mich ersticken . . . Dann vermeine ich, die Schuld könnte ich begreifen mit meinem Geist . . . hundert Morde, hundert Morde . . . und ich höre das Angstgeschrei der Gerichteten . . . und ich denke, mit wie viel gräßlicherem Heulen und Stöhnen ich bald vor dem größeren Richter stehe . . . aber das ist zu groß, und wenn der Tag kommt, erstarre ich von neuem in eisiger Ruhe!

†     †     †

Mir hat geträumt in dieser Nacht, und war doch nicht wie ein Traum, sondern wie leibhaftige Wahrheit.

246 Mir träumte, daß mein Leib gestorben sei, und meine Seele ward von einem ungeheuren Sturmwind emporgerissen zum Gericht. So fuhr sie hin, und war um sie her eine unendliche Leere, die schien gemenget aus Licht und Dunkel, und war nichts zu sehen in aller Weite. Es tönte ringsumher ein Rauschen wie von Flügeln der allergewaltigsten Vögel, laut wie hallender Donner, und war doch so still zur gleichen Zeit, daß man eines Kindes Wimmern hätte vernehmen können.

So fuhr meine Seele in Schauern umher. Da fühlte sie mit heiligem Schreck, daß etwas nahete aus dem Leeren. Zu sehen war es nicht und nicht zu hören; sie aber wußte mit Zagen, daß es Gottes Nähe war.

Da erschien fernher schmetternd wie Posaunenton eine wilde Stimme, die rief herüber:

»Er hat getötet, hundertfach gemordet.«

Und alsobald zitterte ein tausendfältig Schluchzen und dunkles Stöhnen durch die Leere und ward so laut wie ein groß Jammern und Heulen, und meine Seele wollte hinschwinden und ersticken in Verzweiflung.

Danach ward lange Zeit eine große Stille. Zuletzt erschien eine andere Stimme und drang hindurch, die war laut und weich, wie der Ton von einer Orgel geht, und rief:

247 »Er hat bereut, hat hundertfach gebüßet.«

Und ward wiederum eine unendliche Stille, dumpfer noch und schrecklicher denn zuvor, und keine Antwort kam zum Guten noch zum Bösen. Meine Seele aber fühlte, daß Gottes Geist jetzt über ihr zu Gericht saß, und ward zerrissen von Schaudern und Zagen.

Und über eine unendliche Zeit erscholl ein herrlich Klingen umher wie von tausend Glocken, die gegen den Abend geläutet werden, und es ward von unsichtbaren Stimmen: »Gnade! Gnade! Gnade!« gesungen.

Und säuselnd fühlte meine Seele sich fortgetragen durch den großen Raum und hörte nichts mehr und sah nichts mehr als den köstlichen Dämmerschein der ewigen Leere.

Aber nachdem sie eine große Weile also einsam in dem Weiten geschwommen, siehe, da traten aus dem Dunkel zwei Augen, die standen groß und starr und ruhten unbewegt auf meiner Seele und waren ganz voll Thränen.

Und meine Seele erschauderte und blickte abseits. Doch sie errettete sich nicht, denn all überall drangen aus dem Dämmer andere Augen gleich dunkeln Sternen, ein Paar nach dem andern, und standen alle voll Thränen und ruhten auf ihr, und war kein Entrinnen vor den ewig klagenden Blicken.

248 Da zitterte meine Seele vor Grausen wie ein nacktes Kind und flatterte jammernd umher gleich einem gescheuchten Vogel und schrie laut in die Leere hinaus:

»Sohn Gottes, Heiland der Welt, erbarme dich meiner und stoße mich hinab zur Hölle, alle Qualen der Hölle sind nichts vor dem, was ich hier dulde. Siehe, es ist kein Raum für mich im Himmelreich, denn es ist voll von den Geistern meiner Ermordeten; die Seligkeit ist mir gräßlicher, denn die ewige Verdammnis.«

Doch es kam keine Antwort auf solchen Jammerruf; die große Ewigkeit blieb stumm, und die Augen standen unbewegt.

Da ertrug ich es noch eine kurze Weile; dann fuhr ich mit einem heulenden Angstschrei aus dem Schlaf. Aber das Grausen ist nicht geringer geworden, seit ich wache.

†     †     †

Ich habe von etlichen reden hören, die Seelen ungetaufter Kindlein und die Seelen der heidnischen Menschen werden nicht auferstehen am jüngsten Tage mit den Christen, sondern sie fahren hin in ewiges Nichts und in ewiges Vergessen. Mir aber rufet nun eine Stimme zu, das Gleiche müsse geschehen den Seelen derer, die sich selbst des Leibes entlediget, die müssen 249 versenket werden in ewige Vergessenheit. Aber ich weiß nun nicht mehr aus noch ein meines Glaubens, sind solche Gedanken von Gott oder vom Teufel? Ich bin irre geworden an der Wahrheit.

Es geht eine Sage im Volk, welche wahr ist und unzähligemal erprobt, daß in jedem Jahr am Allerseelentage der Dammische See ein menschlich Opfer heischet, das er verschlinget und ertränket. Wenn ich also solches Opfer vorstellte und mich selbst hingäbe, so müßte eines andern Menschen Leben gerettet werden. Und doch weiß ich nicht, was Gottes Gebote sagten zu solchem Sterben, denn mein Geist ist irre geworden an der Wahrheit.

†     †     †

Du sollst nicht töten.

Auch nicht dich selbst. Denn dein Leib ist ein Tempel Gottes.

Wenn aber der Leib des Teufels Wohnstätte geworden –?

Du sollst nicht töten.

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Ei, wunderbar, wie bin ich so stark geworden und kenne keine Furcht mehr; es giebt kein so groß Übel auf Erden, daß ich nicht Größeres erduldet hätte.

Gott hatte mich berufen zum Prediger seines Wortes, ich will nun hingehen und predigen allem 250 Volk und der Obrigkeit selbst, daß sie ablassen von dem Wahn, als vermöchten sie die Werkzeuge des Teufels zu erkennen mit ihren irdischen Blicken und ihren Foltern; sie sollen aufhören Hexen zu brennen und sollen nicht vermeinen, Gott damit zu dienen, sondern sie machen's nur ärger und schaffen dem Teufel allein große Freude.

Ich will ihnen zeigen, wie sie alle mit mir sind zu Mördern geworden, hundertfach zu Mördern. Mögen sie mich steinigen oder erschlagen um solches Wortes willen, ich fürchte mich nicht. Nur allein in Gottes Haus darf ich nicht wieder treten, denn ich bin unrein geworden und ein gewaltiger Sünder. Draußen vor der Schwelle will ich ihnen predigen.

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Dem ehrbaren, wohllöblichen Ratsherrn Wilhelm Loitz allhier, Gratia et Pax.

Solches schreibet Euch am 25. Augusti im Jahre des Heils 1559 im Kerker und zum Tode verdammt wegen Aufruhrs Euer betrübter großer Sünder Bartholomäus Wachholtius.

Habet zuvörderst allen rechtschaffenen Dank meines Herzens, daß Ihr mich habt heimlich wissen lassen, mit Eurer Hilfe seien der Marx Stojentin und die Jungfer Gertrud Gröningin glücklich eingeschiffet und in See gegangen gen Holland. Gott segne die treuen Herzen; 251 bei diesen wird mein Angedenken in Ehren bleiben. Euch aber, liebreicher Helfer und wahrhafter Ratsherr, wird Gott vergelten, was Ihr an den Unschuldigen Gutes gethan.

Danach will ich Euch getreulich nach aller Wahrheit berichten, wie solches an mir geschehen ist, daß ich bin zum bösen Aufrührer wider die Obrigkeit geworden, da ich doch alle Zeit zuvor meinte, derselben getreuer und redlicher Knecht zu sein. Das ist also ergangen.

Ich redete zu den Leuten am Sonntag vor der Thür von St. Marien Dom und schlug in ihr Gewissen mit gewaltigen Worten, die wie ein Sturm aus meinem Munde gingen. Schonete auch mein selber nicht, sondern verklagte mich fleißig wegen der armen Hexen, die ich zu Unrecht mit meiner starken Rede bedränget und verwirrt hatte, daß sie bekannten, was sie nimmer gethan.

So redete ich lange Zeit, und der Leute wurden sehr viele, daß es um mich her wogte wie ein großes Meer mit unzähligen starken Wellen, und ich sahe die Augen derer, so mir nahe standen, glühen wie von zehrenden Flammen und unterweilen ging ein Murmeln durch die Menge oder ein Stöhnen, wie wenn ein Windstoß durch ein Röhricht fährt, und die Rede meines Mundes ward danach immer lauter und 252 mächtiger, und mir war, als wäre ich in einem Rausch, und als spräche all das ganze Volk um mich her zugleich aus mir einem Manne.

Auf einmal aber schrie eine Stimme laut auf, die muß des Marx Stojentin gewesen sein, und schrie mit jämmerlichem Ruf: »Gertrud! Gertrud!« Und alsobald hub sich ein Heulen umher und gellend Geschrei, und ward ein ungeheures Toben des Volks, als würden sie rasend, und meine Stimme ward nicht mehr gehört und mußte verstummen. Ich selbst aber ward aufgehoben von etlichen Männern und fortgerissen, und sie trugen mich hin wie ein hilflos Kind, daß ich ihnen nicht zu wehren vermochte.

Also ward groß Aufruhr und Meuterei, und sie stürmten in Haufen wider das Gefängnis und brachen die Thüren und rissen heraus, die darinnen saßen, Schuldige und Unschuldige. Die Knechte aber, so ihnen Einhalt thun wollten, schlugen sie tot, und von solchem greulichen Morden wurden sie ganz von Sinnen wie wilde Tiere, zogen vors Rathaus und vor etlicher Richter und Ratsleute Häuser, griffen dieselben, und sind solchermaßen derselben mehrere schändlich ums Leben gebracht worden.

Zu allerletzt vermochte ich heimlich zu entweichen, barg mich in meinem Hause und lag daselbst mit schrecklichem Weinen viele Stunden. Und als es Abend 253 geworden war und das Toben der Aufrührer ein wenig gedämpfet worden, ging ich hin und überantwortete mich den Richtern. Dieselben haben den Spruch gethan, daß ich des Todes schuldig sei, weil ich den tollen, gemeinen Mann mit loser Rede wider sie verhetzet. Wisset aber, dieselben haben recht gerichtet.

Ach, mein Herr Loitz, es ist meinem Herzen sehr wehe, daß ich auch dieser Sünde mußte schuldig werden; aber der Herr hat's zugelassen, sein Wille geschehe. Es stehet geschrieben:

Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus seinem guten Schatz des Herzens, und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.

Ich aber habe alle Zeit gemeinet, Gutes zu wollen und dem Herrn recht zu dienen, und habe doch alle Zeit eitel Böses hervorgebracht. Daran habe ich nun erkannt, wir Menschenkinder wandeln allzumal im Dunkeln, die Weile wir im Fleische leben, und bleiben im Irrtum gefangen; und ob wir uns gleich brünstig heften und klammern an jegliches Wort und an jeglichen Buchstaben der Schrift, wir erretten uns doch nicht von Irren und Wahn, und ist keine Wahrheit zu finden denn bei Gott allein.

Solche schwere und große Erkenntnis hat mich getröstet in meiner gräßlichen Not; Gott hat uns die Wahrheit auf Erden nicht gegeben und wird uns nicht 254 richten, als ob wir erleuchtet und wissend wären. Er wird Wege finden, wie er auch meine verlorene Seele errette.

Darum ist's nun vor dem Tode still geworden in meinem Herzen und wohnet Friede darinnen.

 


 


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