Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Einige Zeit nach dem Tode seiner Frau hatte er sich zum Wiedereintritt in den Dienst gemeldet. Man hatte ihm höflich zu verstehen gegeben, daß man ihn nicht brauchen könne, und er hatte alle Teufel der Hölle auf die gesammte Militärverwaltung, auf den ganzen Staat herabgeflucht. Das erfuhr man droben, vergaß es nicht und war im Winter 1806, als man in der Noth des Staates auch an ihn dachte, in keiner geringen Sorge, wie er jetzt eine Aufforderung zum Wiedereintritt aufnehmen würde. Der Freund, der mit der Ueberbringung des Patents und der Übertragung eines wichtigen abgesonderten und selbständigen Kommando's an ihn betraut war, hatte sich auf's Sorgfältigste vorgesehen, gegen jede Grobheit, jede Extravaganz gerüstet, gedachte ihn besonders mit der Aussicht auf die charmanten, tollmüthigen Reiterstücke zu ködern, zu denen seine beabsichtigte Stellung Gelegenheit bieten mußte. Die Herren hatten sich sämmtlich und gründlich in ihm und seiner Weise geirrt.
»Bei den ersten, sehr vorsichtigen und beinah schüchternen einleitenden Worten des Freundes hatte er ihn unterbrochen. »Ich sehe, man will was von mir,« hatte er barsch gesagt. »Es kommt darauf an, von wem das ausgeht. Für die Herren Minister, die Herren Generale, die Herren Excellenzen, die Herren Kanzlisten so viel!« fuhr er mit einer unbeschreiblichen Geberde und einem verächtlichen Lächeln fort. »Auf ihren Ruf nicht einen Fuß in den Bügel und hinge das Schicksal der Monarchie an meinen Sporen. Will aber der König was von mir und kannst du mir mit gutem Gewissen versichern, daß er selbst mich ruft, er selbst mich will, – dann heraus damit. Der wilde Heide hat ein ganzes Herz für ihn und einen ganzen Mann.«
»Und das war ein Wort – er war ein ganzer, ein gewaltiger Mann, und der Gesandte fühlte das in jener bösen, traurigen Zeit, wo man der Männer bedurfte und doch so wenige fand, so tief und sich so bewegt durch dies einfache Wort, daß er, wie er mir selbst erzählte, dem Major um den Hals fiel und mit feuchten Augen rief: »Heide, du bist ein Prachtmensch!« – »Weiß ich nicht, ist möglich, ist mir auch egal,« hatte er kalt erwidert, »bin aber ein ehrlicher, grader und harter Gesell und des Königs treuer Knecht. Und nun heraus mit den Lappen.« – Der Andere reichte ihm stumm die beiden Ordres. Als er gelesen, klappte er sie ruhig zusammen, legte sie auf den Tisch und sagte: »Nun wollen wir frühstücken. Nachher werden frische Pferde für dich parat sein; du kannst zurückfahren und Seiner Majestät sagen, morgen früh ginge ich ab, und so lange ich lebe, könne er in Betreff des Distriktes ruhig sein. Der alte Heide hoffe ihm manch christlich Stück vor dem Feind zu berichten. Abgemacht. Sag's ihm, schreiben ist meine Art nicht recht.« So geschah's, am folgenden Morgen setzte er sich ganz nach alter Ritterweise mit einigen und zwanzig Dienstleuten zu Pferde, die er rasch nothdürftig equipirt hatte, und brach auf. Die Franzosen merkten ihn bald; es kam keiner hinein in jene Landstriche an der Grenze, der nicht mindestens mit blutigem Kopf wieder davongeschickt wäre. Und dabei entwickelte er ein Organisations- und Verwaltungstalent, eine Benutzung aller Mittel, eine Klarheit und Richtigkeit seiner Anordnungen, eine unerschütterliche Ruhe, eine nie zu lähmende Geistesgegenwart, einen eisernen Willen und eine unermüdliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit in seinen Obliegenheiten, wie es niemand von ihm geahnt, wie es über alles Lob erhaben war.
»Knirschend beugte er sich unter den folgenden elenden Frieden und es bedurfte eines ausdrücklichen persönlichen Wunsches vom König, um ihn auch jetzt in seiner Stellung zu halten. Er erhielt eine Brigade, die er aber zuerst fast aus nichts erschaffen mußte, und zugleich auch eine Stellung in der Verwaltung des Distrikts, die ihm selbst die Civilbehörden vielfach unterordnete. Seine Stellung war schwer und seine ganze Weise nicht dazu angethan, sie für ihn und andere leichter zu machen. Weil er selbst schier Unmögliches leistete, verlangte er es auch von andern, ohne zu bedenken, daß nicht alle wie er und daß manche Verhältnisse nicht zu überwinden waren. Seine Untergebenen, die Behörden hatten einen schweren Stand mit ihm; zufrieden war er nie. Und eiserne Strenge, donnernder Tadel, grobe, beinahe injuriöse Worte, bittere, verletzende Reden waren die sichere Folge, wenn seinen Befehlen, seinem Willen sich etwas entgegenstellte. Man ertrug das alles auch nur, weil man in ihm den goldtreuen Mann, den unbestechlichen, unerschütterlichen Anhänger des Königs und des Vaterlandes wußte und ihm um das Beste beider unendliche Verdienste zugestehen mußte. Und doch konnte er neben diesem allen und trotz desselben der liebenswürdigste Weltmann sein, sobald es galt, jemand einzunehmen, zumal dem Feinde bei Gelegenheit Sand in die Augen zu streuen.
»Am schlimmsten hatten es diejenigen, die ihm zunächst standen, seine Adjutanten; sie hatten all das Angegebene, all die Seltsamkeiten und Rauhheiten dieses Charakters im vollsten Maße durchzumachen, und – um einen Ausdruck von ihm zu gebrauchen – kein Gott und kein Teufel nahm ihnen das ab. Es kam freilich dazu, daß keiner so lange bei ihm blieb, bis einer mit ihm vertraut wurde. Nicht als ob sie selbst auf ihre Versetzung angetragen – es zeigte sich auch hier wieder die Allgewalt seines Wesens, daß alle trotz ihres kaum erschwinglichen Dienstes bis auf's Blut ihm ergeben waren – aber man kannte die Vortrefflichkeit der Schule, in der sie bei ihm waren, und rief sie, sobald sie davon profitirt, zu andern Stellen. Er ärgerte sich wüthend darüber, er fluchte Himmel und Hölle zusammen, schrieb die gröbsten Briefe bis an den König, behandelte die Neueintretenden wahrhaft unerträglich, – es half ihm nichts; die Sache ward nicht anders, und was die schlechte Behandlung betraf, so war er nicht im Stande, lange dabei zu beharren. Denn, meine Herren, im Grunde war er gutmüthig, wie irgend ein Mensch auf der Welt.
»Das alles wußte ich zur Genüge und von zwanzig Seiten, da ich im Frühling des Jahres 1811 zu ihm als Adjutant kommandirt wurde. Aber wenn man ihm auch überall vieles Gute und Tüchtige zugestand, so redete man doch auch über andere, weniger angenehme Seiten ebensoviel. Gern ging ich nicht, nicht einmal neugierig. Denn ich war ziemlich empfindlich, in einigen Punkten überaus krittlich und leicht zu verletzen, wie man das bei jungen Leuten oft genug findet. Es war daher fast mit Bestimmtheit anzunehmen, daß ich mehr als einmal mit ihm zusammengerathen würde, und so ging ich grade nicht mit angenehmen Hoffnungen und Aussichten zu ihm. Einstweilen behielt ich sogar noch mein altes Quartier in meiner bisherigen Garnison, um, wenn ich nach einigen Wochen zum Regiment zurückkehrte, doch eine Wohnung zu haben. So bestimmt rechnete ich auf ein gegenseitiges Mißfallen; gefallen lassen wollte ich mir nichts.
»Er war damals auf ein paar Wochen nach Reuschwitz gegangen, – man dachte, um sich von den selbst für seine Riesennatur unerschwinglichen Anstrengungen im Bureau, in der Garnison, bei den Inspectionsreisen zu erholen. Da hatte ich seiner Ordre gemäß mich einzufinden und ihm vorzustellen. Ich langte morgens an und das Herz klopfte mir, als der alte Diener hineinging, mich zu melden.
»Wie ich hineintrat, stand er in der Fensternische, mit dem Rücken gegen den Tag, so daß ich an dem trüben Tage wenig von den Zügen seines Gesichts sehen konnte. »Was beliebt?« fragte er. – Ich machte meine Meldung. – »Wozu bedurft's da der Ankündigung?« fragte er wieder barsch. »Weßhalb kommen Sie nicht dienstlich herein? Ueberhaupt,« fuhr er fort und trat einen Schritt vor, die Arme über die mächtige Brust geschlagen, – »man schickt mir da Hinz und Kunz, meine Adjutantur ist wie ein Taubenschlag, so fliegt's ein und aus. Es ist, als solle ich nur dressiren. Doch dazu habe ich weder Lust noch Zeit.« –
»Der Zorn stieg mir in den Kopf. »Ich bin weder Hinz noch Kunz, Herr Oberst,« versetzte ich,, »und wenn ich auch noch viel zu lernen habe und gern lernen will, so liebe ich die Dressur doch gleichfalls nicht. Haben Sie mir sonst noch etwas zu befehlen?« – Und da er vielleicht überrascht schwieg, machte ich Kehrt und ging zur Thür. »Halt! Wohin?« rief er mir nach. Und als ich mich also nothgedrungen wieder umwandte, sprach er weiter: »Ei, wie kurz angebunden, Herr Lieutenant! Hab' ich Sie schon gehen heißen? Glauben die Herren, daß ich jedermann mit offenen Armen aufnehmen, daß mir jedermann willkommen oder auch nur egal sein soll? Ich kann nicht jedermann brauchen, bei mir wird nicht gespaßt, und wer sich nicht in meine Weise schicken will, muß seiner Wege gehen, ich ändere mich nicht.« – »Ich habe mich nicht um die Stellung bei Ihnen beworben,« entgegnete ich. »Lieb ist mir diese Bestimmung auch nicht gewesen, Herr Oberst. Aber wenn meine Vorgesetzten befehlen, daß ich hier oder da helfen oder lernen soll zum Besten des Vaterlandes und des Dienstes, so ist mir das Wo? egal, ich gehorche, bis man mich nicht mehr brauchen kann oder will. Ich werde die Meldung nach B. zurückbringen, daß der Herr Oberst mich nicht zu verwenden wissen.«
»Es war ein unbeschreiblicher Blick, der aus seinen hellbraunen, lebhaften Augen mich traf, ich möchte sagen, es sprach daraus eine Art von barscher Zufriedenheit. »Ei,« sprach er dann wieder nach einer Pause, »ich denke, das eilt nicht und für's Erste irren Sie sich auch – ich weiß Sie wohl zu verwenden, wenn auch für jetzt nur zum Speisen. Wenn Sie sich umkleiden wollen, Ihr Zimmer ist parat. In einer halben Stunde essen wir.« Er machte eine leichte Verbeugung und wandte sich zum Fenster zurück. Ich ging halb zornig, halb verblüfft, fand ein allerliebstes, bequemes Zimmer, kleidete mich um, ging zu Tisch und fand in ihm den liebenswürdigsten Wirth. Er erkundigte sich nach meinen bisherigen Dienstverhältnissen, nach meiner Familie, von der er mehrere Mitglieder früher gekannt, – nach dem Dienst in der bisherigen Garnison, nach alten Kameraden – kurz der Mann war wie ausgetauscht.
»Am Nachmittag bereits gab er mir zu thun und dabei war er wieder eiskalt und nur der Kommandeur. – Von abreisen war keine Rede mehr, ich war im Dienst. Und es ward besser von Tag zu Tag; ich merkte bald, daß ich bei ihm nicht übel stände, obgleich er anfangs viel mäkelte und krittelte, mir stets auf den Dienst paßte, mir oft einmal ein heiliges Donnerwetter an den Kopf warf, nie eigentlich sich ausdrücklich zufrieden erklärte, noch ein lobendes Wort sprach. Ruhe ließ er mir nie. Es kam vor, daß er mich mitten in der Nacht persönlich aus dem Bett holte, um einen Bericht zu machen, der gar nicht drängte. Denn obgleich er so zu sagen in Urlaub war, blieb er doch mit seinem Verwaltungsbezirk in genauer Verbindung, ordnete, bestimmte, befahl von Reuschwitz aus, empfing dort die Berichte. Und das alles hatte ich zu besorgen. Einen andern Adjutanten hatte er am Morgen meiner Ankunft mit einer Sendung fortgeschickt. Dazu kamen andere Lectionen bei Tisch, auf der Jagd, auf einem wilden Ritt. Kurz, ich merkte, daß er mich auf die Probe stellte, und sie war nicht gelinde. Aber ich dachte nicht mehr daran, ihn zu verlassen, denn auch ich war ihm bereits zu eigen. Worin diese Gewalt, dieser Zauber lag, weiß ich nicht auszudrücken. Vielleicht war es der durch und durch tüchtige, gewaltige Mensch, der überall durch die oft seltsamen, oft sogar wilden, stets rauhen Formen brach.
»Ich will Ihnen keine Geschichte jener Zeit erzählen,« fuhr der Steuerrath nach einer Pause fort und strich sich mit der Rechten langsam über Stirn und Augen. »Ich wurde auch nicht genug eingeweiht in das innerste und geheimste Treiben jener Tage, wo bekanntlich der Staat in der furchtbarsten, gefährlichsten Lage war und seine Existenz an einem Haare hing. Ich weiß nur, daß bei uns nicht das Gleichgültigste passirte und daß von diesen Districten aus mancherlei aufklärende Beiträge zu einer noch so vielfach unklaren Geschichte von 1807–1813 geliefert werden könnten. Ich merkte aber, daß der Oberst doch nicht umsonst und allein des Ausruhens wegen seinen Wirkungskreis verlassen. Wie ich bereits gesagt, ließ er nichts aus seiner Hand. Aber er und sein Treiben, sowie sein Verwaltungsbezirk ward natürlich während seiner Abwesenheit in Reuschwitz weniger beobachtet und er gewann zu mancherlei Vornahmen freiere Hand. »Ich mochte gegen drei Wochen auf dem Schloß gewesen sein, als die Anzeige kam, daß von der nächsten Festung, die von den Franzosen noch besetzt gehalten wurde, gegen die Einberufung der Krümper remonstrirt worden wäre. So hatte ich den Alten noch nicht gesehen, – er sprang mit einem Schrei der Wuth von seinem Stuhl und der Tisch brach ein unter seinem Faustschlag. »Und das muß ich mir bieten lassen von den Kanaillen!« schrie er auf. »Und hätt' ich freien Willen, so wäre in acht Tagen das Nest mein und die Diebe baumelten an den Landstraßenbäumen.« – Er stieß den zerbrochenen Tisch mit dem Fuß auf die Seite. »All die verfluchten Schreibereien!« sagte er mit einem ingrimmigen Blick auf die umherliegenden Papiere, die ich wieder zu ordnen suchte. Still ging er ein paarmal auf und ab, dictirte mir dann an einem andern Tisch eine Antwort: man möge den Franzosen sagen, daß man ihm die Anzeige gemacht, er sei zwar sehr leidend, werde aber in einigen Tagen zurückkehren und sich dann sogleich mit dem Herrn Festungskommandanten in Einvernehmen setzen; es scheine ein Mißverständniß geherrscht zu haben. Als wir damit die Stafette abgefertigt, hieß er mich augenblicklich zu einer Reise rüsten. Und als ich nach drei Stunden parat stand, empfing ich Depeschen und fuhr nach Berlin ab. Ueber den Inhalt erfuhr ich nichts; er vertraute mir noch nichts von seinen Gedanken an. Nur die mündliche Weisung erhielt ich, sobald wie möglich zurückzukehren. »Stein« – so hieß sein zweiter Adjutant, den er vor meiner Ankunft abgeschickt – »Stein kann dort bleiben und auch hierauf warten, wenn die edlen Herren einmal säumen wollen,« sagte er. »Sie kommen zurück, Rohr, Sie arbeiten rasch, wie ich's brauche.« Das war sein erstes Lob. – In dieser Scene haben Sie ihn – aufbrausend wie ein Wahnsinniger und seiner nicht mächtig, – eine Minute darauf die klarste Ruhe, der sicherste Blick, der feste bewußte Wille – ein wunderbarer Mensch.
»Vierzehn Tage darauf fuhr ich wieder auf den Hof – ich war nach Reuschwitz zurückbeordert – und brachte ihm auch die Antwort auf seine Depeschen. Er mocht' es wohl dringlich gemacht haben, denn ich war fast umgehend abgefertigt worden. Als ich vom Wagen sprang, trat mir ein hoher, schlanker, bildschöner, junger Mann entgegen, das Ebenbild des Alten, aber mit viel feineren Zügen und prachtvollen, dunkelblauen Augen – es war sein Sohn Eugen, der bisher drüben in Oesterreich zum Besuch bei Tante und Schwester gewesen. »Herr von Rohr?« fragte er mit wahrhafter Anmuth in Stimme und Bewegung. »Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen. Der Vater spricht viel von Ihnen und ich freue mich auch, daß Sie da sind, denn er flucht vor Ungeduld.« – »Das thut mir leid,« meinte ich, »aber ich eilte so viel wie möglich.« – »Leid?« fragte er und setzte lachend hinzu: »Im Gegentheil, seien Sie zufrieden, denn er entbehrt Sie ja.« – So plauderten wir fort, da der Oberst über Land geritten war, und schon in dieser Stunde begannen die ersten Momente der Freundschaft, die uns bis an Eugens Tod vereinte. Man war damals schneller für und wider einander. Und er verband mit dem ganzen Zauber des Vaters auch noch den der liebenswürdigsten Formen, des freundlichsten, gutmüthigsten Wesens, der edelsten Männlichkeit. Er war damals, denk ich, ein oder zwei und zwanzig Jahre alt.
»Als der Oberst nicht lange darauf nach Hause kam, war er von einer zwar etwas mürrischen, dennoch wohl erkennbaren Freundlichkeit, fluchte etwas über mein »langes Ausbleiben,« fluchte noch mehr, als er die Antwort gelesen und meinen mündlichen Bericht gehört, und war darauf bei Tisch in der charmantesten Laune von der Welt. Auch in den folgenden Tagen war er viel ruhiger und gleichmäßiger als bisher, und ich merkte denn bald den Grund, zumal Eugen meine Ansicht bestätigte. Er selbst trieb zwar den Sohn hin und wider zu kleinen Reisen, fühlte sich dann aber in seiner Abwesenheit auf das Allerunbehaglichste, war in steter Sorge, in steter Aufregung und gerieth, sobald sich die auf Tag und Stunde bestimmte Rückkehr auch nur um die kürzeste Zeit verzögerte, in einen Zustand der Angst und des Zorns, der ihn in jene Tage zurückversetzte, wo er sich seinen Beinamen erworben, wo er geflohen und gestraft worden war wegen seiner unverzeihlichen und zuweilen unmenschlichen Streiche. So liebte er den Sohn bis zum sich selbst Verlieren, wenn ich so sagen darf. – Von der Tochter drüben ließ er sich jetzt zwar erzählen, aber seine Miene dabei war eine tief finstere, und sie wiederzusehen hatte er bei einer gelegentlichen schüchternen Bitte des Sohnes bald mit eisiger Kälte, bald mit heftigem Zorn abgeschlagen.
»Drei Tage nach meiner Ankunft reisten wir in seinen Verwaltungsbezirk ab, inspicirten auf einer Rundreise seine Brigade und nahmen dann endlich unsern festen Aufenthalt in G., wo er residirte. Da begann denn eine Thätigkeit, die uns oft genug die Tage zu kurz finden und uns wenig zur Ruhe kommen ließ. Ich lernte meine andern Kameraden kennen, wackere und lustige Gesellen, die über den Ernst unserer Zeit nie ihre Jugend und Leichtherzigkeit vergaßen. Unser Leben war das angenehmste, wir bildeten beinahe einen Familienkreis, und wo der Dienst nicht darunter litt, legte uns der Oberst niemals Schranken auf, animirte uns wohl bei Gelegenheit zu allerlei Ausgelassenheiten, freute sich sogar eines guten, wenn auch besser unterbliebenen wilden Streiches, und nahm hie und da auch selber theil an einem Mahl, bei Ritten und Jagden. Da zeigte er sich dann stets als unser aller Meister. Aber zu seinem Ruhm muß ich hinzufügen – seiner Stellung vergab er dabei nie das Geringste, nie geschah etwas, das ihn in unserer Achtung hätte heruntersetzen, unsern Respekt hätte vermindern können. Stets hatte er sich völlig in der Gewalt, und wehe dem, der sich jemals über die Linie hinauswagte, die er hart vor unsere gegenseitige Ungezwungenheit gezogen hatte. Und um so mehr mußte man die Kraft dieser Selbstbeherrschung bewundern, da man ja mußte, wie er in jüngern und in spätern noch freien Tagen sie aufzugeben gewohnt gewesen.
»Ich habe theils damals begriffen, theils auch später von ihm selbst erfahren, daß diese oft ein wenig ausgelassene Lebensart, die so ganz von der abstach, welcher man in andern Garnisonen und Kommandos folgte, durchaus berechnet war. Kein Mensch hielt uns eines rechten Ernstes, eines besonders planvollen Arbeitens und Wirkens für fähig; in »patriotischen« Kreisen zuckte man die Achseln über uns und verdammte uns aufs aller frommste; aber mit den Franzosen standen wir ausgezeichnet und wurden weniger belästigt und beachtet als alle übrigen Provinzen. Nicht wenig trug auch des Obersten eigener alter Ruf dazu bei. Wie hätte der »wilde Heide« intriguiren, geheime Pläne haben und betreiben können!
»Kam nun gar, was alle vierzehn Tage zu geschehen pflegte, Eugen auf zwei Tage zu uns herüber, so war die Lust und Fidelität im vollen Flor. Dann ward der Alte sogar im Gesicht zuweilen wahrhaft heiter und ließ häufig fünf grade sein; dann war immer eine Ausgelassenheit, ein Wort mehr erlaubt, dann wußte Stadt und Umgegend sich noch mehr von unsrem »Sündenleben« zu erzählen. Eugen selbst war dann der glücklichste von uns allen: mit Leib und Seele Soldat, fühlte er sich nur in unserm Kreise daheim und wohl, und hoffte noch immer, obschon immer vergeblich, daß der Vater ihm Erlaubniß geben werde, endlich in Dienst zu treten. Nur wenn er wieder in einer anscheinend milden, freundlichen Stunde eine Bitte gewagt und einen barschen oder gar heftigen Abschlag erhalten, – nur da zeigte er sich gedrückt und traurig. Der arme Bursch! Wie oft hat er mir den Arm auf die Schulter gelegt und gesagt: »du sollst sehn, Rohr, selbst wenn's zum Kriege käme, schlüg' er's mir ab, ihm zu folgen. Auf dem verfluchten Nest soll ich sitzen wie ein Wickelkind, wie ein Muttersöhnchen, vor jedem Lüftchen eingebündelt, Kohl pflanzen und Ochsen mästen und Schafe scheeren! O ich muß fluchen wie der Vater: so schlage der Herrgott alle siebzehn tausend Teufel todt! – Das kann nicht gehen, ich weiß und fühl' es; ich thu's nie, ich gehorche nicht und sollt' ich barfuß davonlaufen und als ärmster Tambour mitgehen. Und dann paß auf – dann gibt's ein furchtbares Etwas. Aber helfen kann ich nicht, mag's schlagen und treffen – ich will lieber von seiner Hand sterben als an meiner Scham vor Gott und Menschen.« »Wenn ich das so anhörte, wenn ich die Bestimmtheit seiner Worte, seines Glaubens empfand, ward mir ganz nachdenklich zu Muth. Ich habe immer die Ueberzeugung gehabt, daß es in der Seele des Menschen ein Vorausahnen gebe. Und hier war es mehr als das. Wer den Obersten, sein Wesen, seine Weise kannte, brauchte grade kein Prophet zu sein, um des Sohnes Ansicht für mehr als wahrscheinlich zu halten. Die Erlaubniß einzutreten erhielt er nie, das stand fest; und wenn er gegen den Willen des Alten mitging, so war allerdings auf eine Explosion der gefährlichsten Art zu rechnen. Bei diesem eisernen, tyrannischen, in der Aufregung gänzlich schranken- und rücksichtslosen, eigenmächtigen Charakter war ein Zuviel gar nicht anzunehmen. Da war nichts unmöglich.
»Und nachdem ich Ihnen, wenn ich eine Geschichte erzählte, in dem Bisherigen eine allerdings weitläufige, aber notwendige Exposition gegeben,« fuhr der Steuerrath jetzt fort, »komme ich nun zu den Begebenheiten, welche sich auf die von Ihnen in Anregung gebrachten Gerüchte beziehen und in die ich selbst tief genug verwickelt war.«
Als er eine Pause machte, ließen wir unsern Bemerkungen über das Gehörte freien Lauf. Der Charakter interessirte uns auch über die Maßen, denn er schien uns einer von denen zu sein, welchen man – leider oder glücklicherweise – nicht allzuoft im Leben begegnet; einer jener Charaktere, wie sie, – man weiß nicht, recht ob durch eine große Zeit erschaffen werden oder selbst die große Zeit machen. Da begann der alte Herr, der sich inzwischen einen frischen Schoppen Wein hatte geben lassen, seine weitere Erzählung. Und auch die Weise des Erzählers zog uns an. Man merkte augenblicklich, daß er nichts weniger als geübt in solchen Vorträgen war; allein es ergab sich daraus eine so ungeschminkte, klare, ruhige Darstellung, daß wir so gut wie er selbst von der Wahrheit des Mitgetheilten überzeugt waren. Das verstand sich alles von selbst, so wunderlich und unerhört es sonst auch hie und da sein mochte.
»Ich war bereits über ein Jahr bei ihm,« erzählte er weiter, »und, wenn irgend ein Mensch, in seinem vollen, beinah herzlichen Vertrauen. Seine Barschheit und Heftigkeit, seine oftmalige Gereiztheit war ich gewohnt und dagegen gleichgültig geworden, weil ich sie richtiger beurtheilen und auch die Palliative dagegen einigermaßen kennen gelernt hatte. Im Nothfall fand eine derbe, feste Antwort auch immer bei ihm ihre Stelle. Mit einem Wort, wir hatten uns an einander gewöhnt. Da erhielt ich eines schönen Tags meine Ernennung zum Premierlieutenant – wie ich wußte auf seine Vorstellung, – und zugleich meine Versetzung zu einem Jägerbataillon. Ich kämpfte mit mir, offen gestanden, keinen leichten Kampf, denn das Bataillon nahm an dem Feldzug gegen Rußland theil, und ich, wie jeder Soldat in meinen damaligen Jahren, sehnte mich nach Krieg. Zuletzt siegte jedoch das Gefühl der Liebe – denn die war es, meine Herren, – zu dem »wilden Heiden«, und völlig entschlossen ging ich in sein Kabinet und legte ihm schweigend meine Papiere vor.