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Es passirt zuweilen, daß Jahre über uns kommen, in denen wir weder selbst was erleben, noch Andere etwas erleben sehen, wo wir weder etwas zu beobachten haben, noch etwas Neues erfahren. Es gibt hin und wider ein Ereigniß, das etwas zu werden verspricht, das einen heitern oder trüben, interessanten Verlauf nehmen zu wollen scheint – und schließlich ist es nur eine Seifenblase. Ein Mensch wird uns angekündigt, dessen Geist gerühmt wird; wir kommen mit Mühe in seine Nähe – und er hat grade seine schwache Stunde und gewährt uns nichts. Ein anderer erscheint, dessen Leben ein bedeutendes, bewegtes war, der sich auf all den bunten Pfaden eine reiche Erfahrung erwarb, unendliche Kenntnisse sammelte, die interessantesten Anschauungen gewann, und zu dem allem die Gabe hat, auf das Lehrreichste und Anmuthigste davon zu erzählen. Wir erwarten Gott weiß was von ihm und erhalten vielleicht eine breite Unterhaltung über dies oder das Theater oder über die beste Methode, einen Hummersalat zuzubereiten. Kurz in solcher Zeit ist Langeweile und Eintönigkeit am Ruder und macht Köpfe und Herzen stumpf. Es ist, als müsse das Leben auch einmal eine Art Winterschlaf halten.
Dagegen passirt es denn aber auch hin und wider, daß plötzlich etwas bisher gänzlich Unbeachtetes zum Besondern ausschlägt, daß ein Mensch, der uns als der gleichgültigste und unbedeutendste erschien, mit einemmal unser höchstes Interesse in Anspruch nimmt und sich für unsere Gleichgültigkeit rächt, indem er uns im vollsten und reichsten Maße belehrt, unterhält, unser Herz bewegt und unsern Kopf nachdenken läßt. Mir ist ein solcher Fall unvergeßlich und ich will ihn hier den Lesern mittheilen.
In der Stadt, wo ich damals lebte, war eine solche – ich möchte sagen: todte Zeit eingetreten. In den Carnevalstagen von einer Gesellschaft in die andere gehetzt, von einem Ball zum andern eilend, hatte man sich so gründlich ausgesprochen, war mit allen Unterhaltungsstoffen so zu Rande gekommen, daß die Sache bedenklich ward. Es passirte nichts, man erfuhr nichts, kein Malheur, keinen Scherz, keine Liebschaft, keinen Skandal, – die Menschen lebten zum Verzweifeln ordentlich und friedlich. Man sah nur Gesichter, die mit Mühe das Gähnen unterdrückten, und selbst die Liebespaare wußten sich nichts mehr zu sagen, – ja es hieß, daß einige sehr solide Paare auf dem Punkt seien, sich zu trennen, weil sie doch gar zu wenig in einander fänden. Man las entsetzlich viel schlechte Bücher, man trank weit über den Durst, man spielte nicht mehr stunden-, sondern tagelang Karten, man erzählte sich endlich sogar Anekdoten. Aber fand man in seinem Geistesruin nur schlechte heraus oder erzählte man sie schlecht, – sie halfen auch nicht mehr und ließen uns nur immer mehr die Trostlosigkeit unserer Zustände empfinden und verwünschen. Und dennoch liefen wir immer wieder zusammen, um nur wenigstens in Gesellschaft durch die Zeit zu kommen. Auf seinem Zimmer hielt keiner mehr aus.
So saßen wir eines Abends in unserm gewöhnlichen Gasthofszimmer bei einander, in dem wir auch Mittags neben dem großen Speisesaal unsern besondern Tisch hatten. Und da das Wetter sehr schlecht – dieser Grund ist seltsam genug, aber dennoch der ganz gewöhnliche– und zufällig auch keine Gesellschaft war, so zeigte sich unser Kreis vollständig versammelt. In der Ecke hatte sich eine Spielpartie etablirt. Wir andern saßen um den Tisch, speisten zur Nacht und langweilten uns lästerlich, hüteten uns aber wohl, diese langweilige Gesellschaft zu verlassen. – Im Speisesaal draußen war es gleichfalls voll und zwar, so sehr, daß der Wirth für ein paar später erscheinende Gäste an unserm Tisch hatte decken lassen. Es waren Leute, die wir gleichfalls kannten, wenn wir auch nicht oft mit ihnen verkehrten, wir nahmen sie an den Tisch und in die Unterhaltung bereitwillig auf, aber neues brachten auch sie uns nicht.
Es wurden auch wieder Anekdoten erzählt, die Meidingers seliger Großvater sogar für antiquirt hätte erklären müssen; auch sie fanden ihr Ende, und wir ergriffen die Partie zu schweigen und zu gähnen. Von den Gästen entfernte sich einer nach dem andern und trug mit sich vermutlich sehr bedenkliche Vorstellungen von dem Geist seiner heutigen Tischnachbarn hinfort. Da ließ ein neben mir sitzender Offizier den unter den Kopf gestützten Arm auf den Tisch sinken und sagte zu einem gegenübersitzenden Freunde: »Du, Brandt, bald hätt' ich's vergessen! Ich habe heut Morgen einen Brief von Mosler gehabt, der auch dir mit gilt.« – »So?« versetzte der Angeredete gähnend. »Das freut mich. Was neues?« – »Er hat sich verlobt,« war die Antwort. – »Hätte auch was Besseres thun können,« sprach Brandt nachlässig. »Neu find' ich das nicht. Es ist ja so einmal unsere Bestimmung, wie vernünftig man sonst auch sein mag.« Kein Gesicht umher regte sich aus seiner Abgespanntheit; wir kannten schon diese Weise des Redners. »Nun, und mit wem hat er denn den Streich gemacht?« – »Mit Helene Manski.« – »Helene Manski? Hm – war ihre Mutter nicht eine Tochter des wilden alten Generals von der Heide auf Reuschwitz? Ich versenke mich jetzt in genealogische und Familienstudien, meine Herren,« setzte er gegen uns wie erklärend hinzu.
»Du irrst dich,« versetzte der Offizier. »Sie war eine Tochter seines Bruders, des Landraths. Und das war ein höchst solider Mann und weitab von der Wildheit des Generals. Dies ist eine sehr geordnete und wohlhabende Familie und nie mehr mit der des Wilden in Berührung gekommen, seit er damals Anno dreizehn seinen Sohn erschoß.« –
»Seinen Sohn erschoß? – Wie kam das? – Was ist's mit dem alten General? – Erzählen Sie?« riefen wir durcheinander; da war ja ein Stoff – und wir stürzten drauf los wie eine gierige Meute. – »Der wilde Heide – denn so hieß er im Land und heißt noch jetzt so –« sagte der Offizier und wollte fortfahren, als er durch eine feste, ruhige Stimme vom untern Ende des Tisches her unterbrochen wurde. »Halten Sie ein, Herr von Natter, Sie irren sich gleichfalls und erzählen etwas Unrichtiges.« Der Lieutenant fuhr empor, wir sahen ebenfalls auf und zu dem Störenden hinüber.
Es war ein ältlicher Mann, von dem wir nur wußten, daß er seit einigen Jahren dem Steueramt in der Stadt vorstand. Kränklich wie er war, traf man ihn nur zuweilen Morgens im Weinhause, einen halben Schoppen zu trinken, und Abends hin und wider im Gasthofe. Familie hatte er nicht und nur wenige Bekannte. Man sah ihn wohl hie und da an einer Unterhaltung theilnehmen, lebhaft ward er aber nie und noch weniger laut: meistens blieb er ziemlich still für sich. Um so mehr überraschte uns diese seine plötzliche Einmischung.
»Das ist eine Behauptung, Herr Steuerrath –,« rief Natter ziemlich barsch. – »Die ich beweisen kann,« entgegnete der Alte ihn auf's neue unterbrechend. »Ich würde mir nicht erlaubt haben, Sie in Ihrer Erzählung zu stören, wenn ich nicht bei Ihnen den Wunsch vorausgesetzt hätte, ein gänzlich grundloses Altweibergeschwätz – entschuldigen Sie, aber das ist es – nicht durch Ihren Bericht als wahr hinzustellen und zu verbreiten.« – »Aber Herr,« brach der Lieutenant aus, »wie kommen Sie dazu, für unwahr zu erklären, was ich aller Welt als wahr nacherzähle?« – »Alle Welt irrt sich,« erwiderte er gleich ruhig. »Und ich muß das am besten wissen, da ich vier Jahre lang der vertraute und befreundete Adjutant des Generals war und grade auch in jenem Jahre, wo die Unthat ihm zugeschoben wird, keinen Tag von seiner Seite kam. Zugleich, meine Herren, war ich der beste Freund dieses seines Sohns. Genügt Ihnen das?«
Wir hatten ihm aufmerksam zugehört und blieben jetzt stumm. Der Lieutenant verbeugte sich auf seine letzten Worte zustimmend und sagte dann: »wenn die Sache so ist, habe ich natürlich nichts einzuwenden, sondern nur das Unrecht zu beklagen, das dem Andenken des alten Generals durch das Gerücht geschieht. Und zugleich muß ich mich über seine Bestimmtheit und Verbreitung wundern, denn, ich wiederhole es, alle Welt glaubt so.« – »Das weiß ich leider und kenne auch die Veranlassung,« bemerkte der Rath. »Doch es ist, wie ich sagte.« – »Sie sollten uns das genauer erzählen, Herr Steuerrath,« meinte einer von uns, der sich bisher kaum des Schlafs erwehrt, jetzt aber bei dieser Aussicht wieder munter ward. Und da der Alte erwiderte: »mit Vergnügen, wenn die Herren mir zuhören wollen,« – so rückten wir aneinander, zündeten neue Cigarren an, füllten die Gläser, baten die Spielenden, sich nicht gar zu laut zu streiten, und harrten dann des Anfangs der Geschichte.
»Es ist wissenswürdig und seltsam genug, was ich Ihnen mitzutheilen habe,« fing er an; »wenn ich nur ein besserer Erzähler wäre. Und vor allen Dingen muß ich die Herren um Entschuldigung bitten, wenn's nicht gleich zu dem kommt, was Sie wissen wollen. Ich muß aber ein wenig ausholen und zuerst von vorhergehenden Dingen reden. – Der Vater meines alten Generals war ein armer Cavalier aus dem S.schen und nahm Dienste in der Armee um die Zeit der schlesischen Kriege. Er lernte eine junge Dame kennen, ein Freifräulein von Klingeneck auf Klingeneck, Reuschwitz und wie alle die Güter dort heißen. Sie war elternlos und in gerader Linie die nächste und letzte Erbin des großen Besitzes. Ihre Verwandten widersetzten sich der Neigung zu dem armen Offizier, und die Historie spielte mit unendlichen Intriguen, Chikanen und Quälereien, bis der Lieutenant von der Heide das Mädchen entführte und sich in Sachsen mit ihr trauen ließ. Und nach manchen weitern Streitigkeiten gelangte er so unter dem Schutz des Königs in den ruhigen Besitz seiner Frau und ihres Vermögens. Mit ihren Verwandten fand niemals eine Aussöhnung statt, es herrschte vielmehr die bitterste Feindschaft, ein nie gestillter Haß zwischen ihnen. Das dürfen Sie nicht vergessen, meine Herren.
»Der Major, – das ward er, – hatte drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. Die Tochter heirathete ihrer Zeit einen Grafen von Halberg im Oesterreichischen, die beiden Söhne traten wie üblich als Junker in die Armee: der älteste, Freiherr Hans, nahm aber nach dem Tode seines Vaters den Abschied und ward Landrath. Der Jüngere, Felix, diente fort. Was und wie er's getrieben, zeigt der Beiname, den er damals von seinen nächsten Kameraden und Bekannten erhielt und der bald verbreitet genug war: »der wilde Heide.« Was man von wilden, übermüthigen Reiterstücken erzählt, – Sie können dreist behaupten, daß er sie ausgeführt; ich habe ihn noch mit eigenen Augen in seinem dreiundsechzigsten Jahr unter den Flügeln einer Windmühle durchreiten sehen, von andern kaum minder halsbrechenden Kunststücken ganz zu schweigen. Und was es an Tollheiten und Ausgelassenheiten in Stadt und Land, im Dienst, in der Gesellschaft gab zu jener Zeit, wo der Offizierstand in dergleichen excellirte und so ziemlich gefei't war, – das zeigte sich bei ihm in der vollsten Blüthe. Eine schwärzere Conduitenliste hatte kein Offizier der Armee, aus Strafen kam er gar nicht heraus; dem Kommandeur, der ihn einmal fragte: »wo wohnen Sie eigentlich, Herr?« – gab er die allerdings unleugbar richtige Antwort: »auf der Wache, Herr General.« – Es kam so weit, daß der Kommandeur fast mit Angst jedem Rapport entgegensah, weil beinahe sicher »der wilde Heide« mit einer Ungehörigkeit darauf gemeldet war. Und der alte Herr behauptete endlich ohne allen Scherz, was ihm Unangenehmes im täglichen Dienst und Leben passire, und was ihm an Nasen vom Inspecteur und sogar von Berlin komme, das habe zu guten Dreiviertheilen der Heide verschuldet, und er sei ein Nagel zu seinem Sarge. Trotz alle dem mußte man ihn doch mit gnädigen Augen ansehen, denn sein Avancement war ein beinah unerhörtes; im neunundzwanzigsten Jahr war er Stabsrittmeister und im einunddreißigsten erhielt er die Eskadron. Und wie wild er war, wie furchtbar seine Heftigkeit, wie gefährlich sein Jähzorn, wie unglaublich seine gelegentliche Grobheit und schrankenlose Derbheit, – alle Welt war ihm zu eigen. Seine Kameraden waren ihm treu bis zum letzten Thaler in der Börse oder im Kredit, und seine Leute gingen für ihn durch's Feuer und er konnte mit ihnen machen, was er wollte. Widerstehen konnte ihm niemand, er riß alles mit sich fort, wenn er es wollte.
»Als er siebenunddreißig Jahre alt war, heirathete er plötzlich ein blutarmes Mädchen aus einer ganz unbedeutenden Familie, er, dem keine Partie im Lande versagt worden wäre. Er heirathete aus reiner Liebe, meine Herren, aus einer Liebe, die wie jedes Gefühl, jede Regung an und in ihm die Färbung der äußersten Leidenschaftlichkeit an sich hatte. Halb that er nichts, wie er auch nichts halb war. Er nahm seinen Abschied mit dem Charakter als Major, ging mit der jungen Frau auf sein Gut Reuschwitz, und die Aenderung, welche in seinem Sein und Wesen eintrat, war eine solche, wie niemand sie bei ihm geahnt oder für möglich gehalten. Er betete seine Frau an, er trug sie – man möchte sagen nicht auf seinen Händen, sondern auf seinem Herzen, und wo einmal die alte Rauhheit und Heftigkeit hervorbrach und eine Stunde trübte, wo er sie einmal mit seiner furchtbaren, für gewöhnlich aber mannhaft beherrschten Eifersucht quälte, da bot seine sonstige Liebe so reichen Ersatz, da warf sie ein solches Licht durch die dunklen Stunden, daß die Frau nie etwas andres als dies Licht sah und auf ihrem Todbett dem Gatten sagte, er habe ihr ein Glück gegeben, wie sie es von der Erde nicht geahnt noch geträumt. Sie starb nach der Geburt ihres vierten Kindes. Von den drei frühern waren zwei zeitig gestorben und es blieb dem Vater nur das älteste, ein Sohn, und er hieß nach der Mutter Eugen. Denn das jüngste zuletzt geborne Mädchen wollte er niemals sehen, »diesen Mörder in der Wiege,« wie er sie im leidenschaftlichen, unvernünftigen Haß nannte. Sie kam gleich nach ihrer Geburt zur Gräfin Halberg nach Oesterreich, die kinderlos war.
»Der Tod seiner Frau war für ihn auf eine geraume Zeit der Schluß seines soliden und geordneten Lebens. Was er da alles angegeben, läßt sich weder sagen noch denken: so was muß man sehen, um überhaupt daran zu glauben, davon zu wissen. Und so viel auch die Verwandten seiner Mutter in Wirklichkeit übertrieben haben mögen, unmöglich war bei ihm nichts. Das Land war voll von ihm, man schreckte mit seinem Namen die Kinder in der Wiege, und hätte er seinen Titel nicht bereits geführt, jetzt wäre er ihm geworden. »Der wilde Heide« hieß er Land aus und ein. Und er lebte wahrhaftig auch wild und heidnisch. Es blieb nicht einmal in den Grenzen dessen, was man zu übersehen pflegt. Mehr als einmal hatte sein Bruder die höchste Noth, das Einschreiten der Behörden abzuwenden, und ein paarmal kostete es schwere Summen, die beleidigten Gesetze zu versöhnen. Und doch – es ist seltsam zu sagen und stets unerklärt geblieben – doch ließen sich auch hier seine Dienstleute, die Bewohner seiner Güter, für ihn todt schlagen und kein Einziger wich aus seinem Dienst, wenn er ihn nicht selber fortjagte, obgleich das Leben in seinem Hause und unter seinem Regiment zu Zeiten mehr als unerträglich gewesen sein soll.
»Mit seinem Bruder kam er gänzlich auseinander. »Kommt mir der Schleicher, der Pfaff noch einmal auf den Hof, ich schieße ihn auf meiner Schwelle todt!« hatte er gedroht. Auch seine Schwester sah er nicht mehr, seit sie die Unvorsichtigkeit begangen, einmal die damals etwa fünfjährige kleine Stephanie zu ihm zu bringen. Beim Anblick des Kindes hatte sich sein Gesicht so verzerrt, daß die Anwesenden erbebten, und mit geballten Fausten hatte er geschrieen: »Bringt das Geschöpf weg, daß ich mich nicht dran vergreife! Ich stehe nicht für mich! Hat sie mir nicht meine Seele gemordet, mein Weib, mein süßes Weib?« Und als man die Kleine fortgebracht, war er in einen Stuhl gefallen und hatte die Hände vor das Gesicht gedrückt und gestöhnt: »mein Weib, mein todtes, todtes Weib!« Und dabei waren die Thränen stromweis unter seinen Händen hervorgequollen, das einzigemal, daß ein Mensch ihn hat weinen sehen. Von der Zeit an war auch die Schwester nicht wiedergekehrt, die in diesem Auftritt nichts als das allerdings Barbarische empfand.
»Auch das Verhältniß mit seinem Sohn war ein ganz abnormes. Er that alles für seine standesmäßige Ausbildung und hielt ihn dabei, je mehr er heranwuchs, mit einer desto peinlichem Gewissenhaftigkeit von seinen eigenen Ausschweifungen und Überspanntheiten fern. Er liebte ihn abgöttisch und behandelte ihn doch zu Zeiten mit einer grausamen, barbarischen Strenge. Er hatte ihn wohl einmal im Uebermaß seiner Liebe so an sich gepreßt oder bei anderer Gelegenheit in seiner an Wahnsinn grenzenden Heftigkeit so gezüchtigt und mißhandelt, daß Krankheiten davon die Folge waren. Und dann hatte er tage-, wochenlang in seinem Zimmer, an seinem Bett gelebt und ihn mit einer Weichheit und Zärtlichkeit gepflegt, wie man sie sonst nur von einer Frau erwarten mag. Mit Todesangst sah er den Knaben zuweilen zu Pferd steigen und davon reiten, und drohte ihm mit seinem Fluch, wenn er das Thier nicht ruhig gehen lasse. Und zu andern Zeiten fluchte er alle Donner Gottes auf ihn herab, wenn er dem Vater nicht in allen halsbrechenden und thörichten Reiterstücken zur Seite blieb, es ihm gleich that. So ging es überall. Nie war ein junger Mensch zugleich so der Beherrscher und der Sclave seines Vaters. – Er sollte Landwirth bleiben, den Soldatenstand, die ganze Sehnsucht des Sohns, hatte der Vater mit einem Donnerwort ihm für immer untersagt, ohne daß man dafür einen Grund anzugeben gewußt hatte.
»Als der Major in die fünfziger Jahre kam, ward er nach und nach anders. Nicht als ob es nicht noch genug Extravaganzen gegeben, nicht als ob er überhaupt weniger wild, mehr geordnet gelebt. Davon war wenig zu merken. Aber er ward kälter und nahm es ruhiger, es kam, so zu sagen, eine gewisse Methode hinein, eine Art Gewohnheit. Sein Zorn und seine Heftigkeit rauschten in ihm noch ebenso düster und jäh empor, aber er kam nicht mehr, wie früher wohl einmal, zu Thätlichkeiten, zu furchtbaren, unbeherrschten Wuthausbrüchen, zu unermeßlichen, unbeschreiblichen Flüchen und Drohungen, sondern hielt sich mehr in der Region einer eisigen Kälte oder vernichtenden Hohns, grausamer Sarkasmen und Bitterkeiten; und nur selten kam es zu einem Nachklang des alten Donners. Nachgiebiger und geduldiger ward er nie und nirgends, im Gegentheil vielleicht noch starrer, trotziger und härter. Er sprach nicht mehr so viel wie sonst, – mit eisernem Willen und unbeugsamer Consequenz führte er seine Vorsätze, seine Absichten jetzt ohne viel Worte zu ihrem Ziel.