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»Gieße mir noch eine Tasse Kaffee ein, Gertrud. Nicht gar zu voll! – Woran denkst du wieder, Mädchen? Du solltest doch nachgerade meine Art kennen.« – »Ja ja, Vater! so wird's eben recht sein. Hier ist die Milch, hier der Zucker. Seht, Ihr scheltet einmal wieder um nichts.« – »Um nichts? Du machst es mir seit einiger Zeit zu bunt, Kind! Und das erinnert mich,« setzte er mit schier unheimlichem Lächeln hinzu, »daß es Zeit wird dich aus dem Hause zu schaffen.«
»Mich aus dem Hause, Vater?« fragte sie, und erhob ihr großes braunes Auge verwundert von der Spindel, welche ihre fleißige Hand drehte; »bin ich Euch denn zur Last?« – »Mir, und ich meine noch mehr dir selbst, Gertrud. Es wird sich schon machen. Diesen Morgen hat Jemand bei mir um dich angehalten. Ah, werden wir roth, Jungfer? Nun, es ist auch ein schmucker, ehrenwerther Mann, sein eigener Herr, hat Haus und Hof und die Wirtschaft wohl im Stande, und die drei frischen Kinder –«. – »Ich kenn' ihn gut, Vater, und will ihn nicht,« unterbrach sie seine Worte, ihm offen und treu in die Augen sehend. – »Warum nichts Kind? Ein jedes Ding muß seinen Grund haben.« – »Eine zweite Frau wird nie was nütz, Vater. Sie hat ihres Mannes Herz nicht, denn der denkt an eine andere, die erste, und die Kinder sehen scheel auf sie.« – »Nicht so, Kind! Es ist der zweiten Frau Pflicht, die erste vergessen zu machen. Kann sie das nicht, ist's ihre Schuld, nur ihre! Also warum willst du ihn nicht?« – »Ich mag ihn nicht, Vater.« – »Unsinn! Das Mögen kommt von selbst. Ich glaube, du hast in die verfluchten Bücher hineingesehen. Ich rathe dir Gutes, Mädchen! Da ist Bibel und Gesangbuch, die gehören für dich.«
»Vater, ich lasse nicht vom Wald, ich gehe nicht hinaus.«
– »Nun, das lass' ich mir eher gefallen, das ist doch ein raisonnabler Grund. Ja, ja, der Wald ist viel gut; der Wald hält uns frisch und warm und ist ein guter Tröster. Du kannst es ja aber haben nach deinem Willen, bist umworben wie eine Prinzessin. Der Peter da hinter dem Berg möchte dich auch wohl; das ist ein treues Blut, versteht unsere edle Kunst, hat eine schmucke Försterei, der Graf ist ihm gut gesinnt, und somit kannst du einmal mit ihm hier im Hause wirthschaften. Er hat schon angeklopft. – Nun, Gertrud?«
Das Mädchen fuhr wie aus Gedanken auf. »Ich will ihn nicht, Vater!« sagte sie hastig. – »Warum nicht, Kind? Und wenn ich dich ihm bereits zugesagt hätte?« – »Ich thät's doch nicht, Vater! Und wollt Ihr meinen Grund hören: – ich mag ihn nicht. Und damit genug! Ich habe Euern Kopf und thue was ich will. Bei Euch will ich bleiben und gehe nicht von Euch.« – »Dummes Zeug, Kind, dummes Zeug!«
Der Alte stand auf, und die Hände auf den Rücken gelegt ging er durch's Zimmer: sie drehte ihre Spindel, draußen rauschte der Wind in den Bäumen und heulte im Ofen. Der Alte blieb plötzlich vor ihr stehen, und sie scharf in die Augen fassend, sagte er: »Der Graf kommt heut oder morgen, Gertrud.«
Das Blut schoß ihr in die Wangen. »Ich weiß es,« versetzte sie. – »Woher?« fragte er, und seine Brauen zogen sich fester zusammen. – Sie schwieg. – »Woher?« fragte er nochmals lauter. – »Nun, mein Gott, Vater,« erwiderte sie, anscheinend unbefangen die Augen zu ihm aufschlagend, »er kommt ja immer zum Egidientag, und dann ist ja auch der Franz gekommen, der hat mir's gesagt.« – »Zum Egidientag kommt er, das ist wahr,« murmelte er vor sich hin und sing seinen Gang durch's Zimmer wieder an, – »zum Egidientag!«
Er ging in tiefen Gedanken auf und ab. Die grauen, struppigen Haare seiner Brauen schatteten tief über die finstern Augen. »Ich habe das Bett bezogen und Feuer im Kamin gemacht,« fuhr das Mädchen fort, denn sie mochte ahnen, daß es nicht gut sei, jetzt gerade zu schweigen. »Der Arnold hat mir dabei geholfen, bevor er in die Buschhütte hinüber ging. Aber es geht so nicht länger und Ihr müßt ein Mädchen halten, Vater, denn für den Burschen paßt es nicht mehr; er kommt auch selten in's Haus, und ich allein kann das alles nicht in Ordnung halten. Ueberdies – wenn Ihr mich doch aus dem Hause haben wollt –« setzte sie mit einem leichten Anflug von Koketterie hinzu.
Er blieb wieder vor ihr stehen. »Und woran dachtest du, Gertrud?« fragte er. – »Wann denn, Vater?« – »Nun, Thörin, als du vorhin den Kaffee eingossest!« – »O Vater,« und sie senkte das Gesicht tiefer, »ich will mir ein paar neue Strümpfe stricken und dachte an den bunten Rand und die Zwickel, denn es ist nicht leicht, die Farben gut zu wählen, und Roth und Grün mag ich nicht mehr.«
Der Alte faßte sie unter dem Kinn und hob sacht ihren niedlichen Kopf empor. »Aber lügen magst du, aber lügen!« sagte er finster. »Schau mich an und sprich die Wahrheit. Woran dachtest du?«
Des Mädchens Augen füllten sich mit Thränen, als sie sprach: »Aber Ihr seid hart, Vater. Was habt Ihr nur?« – »Woran du dachtest, will ich wissen.« – »Vater!« schluchzte sie und schlug die Hände vor's Gesicht., »Ihr quält mich! Es ist Egidientag heut, und vor neunzehn Jahren ist die Mutter gestorben, wie Ihr's in der Bibel aufgeschrieben habt. Und nun dacht' ich dran, was denn das gewesen, daß sie gestorben an einem Schuß, und daß Ihr kein Wort davon sprecht, und daß Ihr mir doch versprochen habt, davon zu erzählen.« – Ihre Rede erstarb, denn des Alten Auge lag so fest, so schwer, so glühend auf ihr wie ein Stück geschmolzen Blei.
Schweigend trat er von ihr zur Wand, holte eine Mütze, Büchse und Tasche herab und kehrte dann zu ihr zurück. »Höre, Kind,« sagte er mit heiserer Stimme und nicht laut, faßte sie bei der Hand und zog sie empor zu sich, »höre, Kind, ich will dir glauben, was du da sagst, und es mag so gut sein. Lass' dich übrigens nicht gelüsten nach der Geschichte, denn sie ist weder für deine noch andere Ohren. Und es taugt nichts, etwas aufzurühren, das alt ist und vergangen; es liegt tief und das Gras wächst darüber; es könnte dies und das mit herauf kommen, was stachlicht wäre und dir Sehen und Hören vergehen ließe. Allein das will ich dir sagen: ich glaube du denkst seit einiger Zeit zu viel an – Jemand, der dir so fern stehen sollte wie die Sonne dem Mond, vor dem du laufen solltest wie der Hase vor der wilden Katze. Ich sage dir, Mädchen – er ist falsch, er ist schlau, der Fuchs! Und er würde dich so gewiß betrügen, wie morgen auf heut folgt. Hast du aber schon mehr als an ihn gedacht, dann erbarme Gott sich deiner! Dann –« fuhr er fort, noch immer gedampft, seine Hand preßte krampfhaft ihren Arm und seine Augen blitzten dämonisch,' »denn alsdann, Mädchen, wäre dir besser, du hattest einen Mühlstein um deinen Hals und lägest im Wasser, wo es am tiefsten ist! Dann Fluch über dich und mich! Ich –« Er wandte sich ab, ging, verließ das Haus, und seinem Hunde pfeifend, schritt er in den Wald.
Gertrud stand fast bewußtlos, das Entsetzen hatte ihre Seele gelähmt. Das war so betäubend über sie hereingebrochen, daß sie keines Gedankens fähig war. Als sie endlich wieder zu sich selbst kam, brach sie in bittere Thränen aus. So hatte sie den düstern Vater nie gesehen, und – und – ihre Thränen flossen nur immer heißer.
Der alte Förster schritt unterdessen weiter im Walde; von der Aufregung war ihm nichts mehr anzusehen, aber er gab keinen Laut von sich, sah und hörte nichts. Ein Rehbock setzte vorüber, er langte nicht nach der Büchse. Er ging immer weiter, bis er an einen kleinen offenen Raum kam. Die Stauden standen rings dicht und üppig, und durch die Zweige sah man die klaren Fluten eines Sees schimmern. Da hob er die Augen und sah sich still um, nickte mit dem Kopf vor sich hin, setzte sich langsam auf den moosigen Stumpf einer Eiche, stützte die Arme auf die Knie und legte das Kinn in die schwieligen Hände. So saß er regungslos; die Büchse lehnte an seiner Schulter, der Hund schob den Kopf zwischen die Ellenbogen des Herrn und starrte ihm mit den klugen Augen verwundert in's Gesicht. Ihn störte das nicht; er saß still und die Schatten des Abends und der Vorzeit zogen über sein eisernes, gebräuntes Gesicht.
Die Vorzeit! Sie gleicht einem alten verzauberten Schloß, das steht regungslos und verschlossen, die gewaltigen dunkeln Thore sind längst zugeschlagen und man denkt und hofft, nie wieder sollen sie sich öffnen. Aber es schallt ein Wort, es klingt ein Ton, da schlagt die Zauberruthe gegen die mächtigen Pforten, da springen sie auf, da zeigt sich all der alte Spuk! Wie die Geister aus den salomonischen Flaschen, bricht er daraus hervor, nebelhaft, riesengroß, unheildrohend, und umtanzt den gequälten Geist mit dämonischem Reigen. Da siehst du all die alten Bilder und Phantasien, da hörst du all die alten Reden, da fühlst du all das vergangene und versenkte Elend, kämpfst nochmals den Kampf, fühlst wieder die Wunden. Aber wirst du auch von neuem siegen? Ist dein Muth noch derselbe, deine Kraft noch die gleiche? Hüte dich, hüte dich! Mit aller Geisteskraft fliehe den tollen Reigen! Denn wenn zu der Noth der Gegenwart auch noch die alten Leiden vergangener Tage kommen, da muß der Geist desto schwerer tragen und unterliegen. Da kann dir's ergehen wie den Schildbürgern, die zwei Rößlein hatten vor einem Wagen und luden Reisigbündel auf, und sie sagten: ei, ziehen sie das, so ziehen sie auch noch das, und legten eins über das andere hinauf, aber am Ende zogen's die Rößlein nimmermehr.
Der Förster rang auch mit den Gespenstern der entschwundenen Zeiten. Der Abend war schon lange gekommen, das Dunkel lag überall und färbte mit gleicher Eintönigkeit Busch, Wald und See. Der Wind hatte sich, stärker erhoben und seine Fittige rauschten durch die alten Stämme, die Wolken drängten sich langsam und gewaltig über den ganzen Himmel. Da stand der Alte auf und machte sich eben so schweigsam, wie er gekommen, auf den Heimweg. Der Hund umtanzte ihn in lustigen Sprüngen. Der alte Förster war wohl in tiefem Sinnen und merkte nicht viel von der Außenwelt, und dennoch übte diese Außenwelt ihren tiefen, besänftigenden Einfluß auf ihn. Gehe Abends einmal durch den grünen Wald allein und einsam; traurig magst du werden und bleiben, aber zornig niemals.
So gelangte er zu der Rückseite seines Hauses. Wie mechanisch erhob er die Augen und ließ sie, plötzlich zum Bewußtsein erwachend, mit einem finster drohenden Ausdruck auf dem erhellten Erker des Thurmes haften. – –
Ja, da im kleinen Thurmzimmer – da leuchtete die Lampe und knisterte das Feuer; da stand ein junger feiner Mann und hielt ein weinendes Mädchen in seinen Armen, an seiner Brust, da klang seine zarte Summe so süß.
»Bist du da, bist du wirklich da, meine herzige Kleine? Halt' ich dich endlich wieder in meinen Armen? Wie hab' ich mich nach dir gesehnt, meine zitternde Waldblume! Ach, wie öde ist die Welt, wie belebt der Wald! Bei dir, nur bei dir find' ich noch Treu' und Liebe! Die sind Pilgerinnen worden auf Erden und haben uns verlassen, um zurückzukehren zu ihren himmlischen Wohnungen. Und ich Suchender, Armer, ziehe ihnen nach, und da komm' ich zu dir in dein Himmelreich, du Gottesengel! Aber was hast du, meine muntere, schüchterne Hinde?« fuhr er fort und hob sanft ihren Kopf und sah in die thränenvollen Augen. »Was quält dich nur? Oder ist es die Freude, mich wieder zu sehen?«
»Herr Graf, Herr Graf! es ist alles aus und zu End',« stammelte das weinende schöne Kind. – »Herr Graf, Herr Graf! Was kommt dich an, mein Mädchen?« ruft der Graf und bedeckt ihren widerstrebenden Mund mit Küssen. »Was soll denn der Stand zwischen uns, bei unsern schönen jungen heißen Herzen? Was kümmert es uns,« fährt er fort, und streckt pathetisch den Arm aus, indeß der andere Gertrud umschlungen hält, »was kümmert es uns, ob dein Vater ein Förster und deine Mutter eine Bäuerin, und mein Vater ein Graf und meine Mutter eine Comtesse ist und war? Du bist meine Gertrud und ich bin dein guter Leonhard. Ich liebe dich und du liebst mich, und keine Gewalt soll uns scheiden! Selbst der Tod hat keine Macht über uns. Denn in stillen Mitternächten treten wir dann vor einander hin und umschweben uns.«
»O Leonhard, liebster, liebster Mann!« rief Gertrud und schlang ihre Arme wie verzweifelnd um seinen Hals, »ja, ich liebe dich! Ja, ich traue dir! Ja, ich lasse nie von dir, und du kannst mich nicht verrathen, was auch der Vater sagt!« – »Dein Vater, dein Vater?« fragte er nachlässig lächelnd: »was ist denn vorgefallen?«
Und sie erzählte ihm, wie der Vater seit einiger Zeit so still und finster gewesen, wie sonst niemals, und was heut Nachmittag vorgefallen, wie es sie erschreckt habe und betrübt, daß kaum des Geliebten plötzliche Ankunft sie aufzurichten vermocht. »O Gott!« sprach sie und sah sich scheu um, »o Gott, Leonhard! Er ahnt unsere Liebe, nein, er weiß sie! Und nun laß mich eilig fort, denn wenn er plötzlich heimkehrte, mich unten nicht fände, hier uns überraschte – ach!« rief sie und schauerte entsetzt zusammen, »davor möge uns Gott behüten! Du kennst ihn gar nicht mehr. Gute Nacht, mein Liebster, Bester!«
Aber er ließ sie nicht aus seinen Armen. »Bleibe nur, bleibe, meine süße, bange Taube! Was fürchtest du bei mir? Was kümmert uns dein grämlicher Vater? Laß ihn nur kommen! Dafür hab' ich gesorgt. Hast du nicht den schwarzen Hund gesehen, den ich mitgebracht? Der kennt den Alten nicht und wird ihn uns melden, und auch meine Knechte und Jäger werden ihn nicht still an den Ställen vorüber lassen. Geht die Thür dann auf, so springst du die Treppe hinab und gehst in die Küche. – Was, du wolltest fort? Jetzt? Was ist denn süßer, als so ein heimliches, eiliges Plaudern und Kosen? Denn wer kann es wissen, ob's nicht im nächsten Augenblick schon endet?«
»O Gott, Leonhard! horch! Oeffnet die Thüre sich nicht?« – »Sei doch ruhig, kleine Thörin!« sagte er und schüttelte lachend das gepuderte Haupt. »Komm nur, komm! Laß uns niedersitzen, Gertrud! Du zitterst ja. Ruh' dich aus, erhole dich. – Aber du bist wahrhaftig kalt!« – »Kalt, kalt! – rief sie und umschlang seinen Nacken. »O Leonhard, hättest du den Vater gesehen! Ich ertrag's nimmermehr!« – »Aber es ist ja vorbei, Liebchen. Weiß Gott, was dem Alten durch den Kopf gefahren! Aber laß den nur gehen! Ich nehme dich mit mir hinaus in die Welt, da brauchst du dich nicht zu fürchten, da bin ich stets bei dir, ich, dein zärtlicher Freund. Da sollst du dich schmücken und dich freuen und dich bewundert sehen.«
»Ach, Leonhard, das hast du nicht bedacht, was du sagst. Wie würden deine Leute mich behandeln, wenn ich deine Frau wäre! Und deine Mutter, die Frau Comtesse – «. – »Hm, ja! So weit dachte ich einstweilen noch nicht. Die Hochzeit ist zwar ein Ziel, aber ein fernes. Das geht nicht so schnell! Ich dachte nur, wenn wir so stets beisammen wären. O du glaubst es nicht, wie ich mich nach dir gesehnt habe, meine wilde Rose! Wenn ich so' allein saß Abends und der Mond kam herauf, über den Fluß, und goß sein zartes Dämmerlicht über die Fluren, da dachte ich: nun sitzt auch sie und denkt an mich! Und ich sah den Stern, den wir uns zum Sinnbild gewählt und auf dem dann auch dein Auge ruhte. O wenn ich sie sähe, dachte ich, wenn ihr Geist mir erschiene! Und siehe, aus den Fluten tauchtest du empor, eine dämmernde Gestalt, das liebe Gesicht, deine süßen schönen Augen; duftig umhüllte dich der Mondschein. Da breitete ich sehnend meine Arme aus, da schloß ich das Phantom an die Brust – es war nichts! Meine Küsse trafen das Nichts, und dennoch, glaube ich, hast du sie gefühlt, denn wo die Seelen –«
Blitz und Knall – das Fenster klirrt. »Jesus!« stöhnt Gertrud. Mit einem Schrei fährt der Graf empor. Der Tisch stürzt um, die Lampe liegt zerschmettert, das Geschwätz ist aus, alles ist totenstill. –
Geraume Zeit vergeht, bis sich die Thür öffnet und der alte Förster hereintritt, in der einen Hand eine Lampe, in der andern die Büchse.
Da wacht der Graf auf aus seiner Erstarrung, da stürzt er zum Sopha und umschlingt den leblosen Körper, der zusammengeknickt in der Ecke liegt. »Ducker! Ducker!« schreit er, hier ist Mord! Eure Gertrud ist erschossen! Ist sie todt? O es ist nicht möglich, nicht möglich!«
»Ja, ja, gräfliche Gnaden, die ist todt und rührt kein Glied mehr!« sagt der Jäger kalt. »Der Schuß war gut gezielt und sitzt mitten im Herzen.« – Der Graf fährt empor und starrt ihn an. »Es ist Eure Gertrud, Vater – meine Gertrud!« – »Eure? Gräfliche Gnaden, ich dächte nur meine.« – »Gott, Gott, er ist wahnsinnig geworden!« ruft der Graf und stürzt wieder zu dem Körper des armen Kindes. »O Gertrud, Gertrud! Woher kann der Schuß gekommen sein? O, Rache, tausendmal Rache über den Mörder!«
»Wie der Schuß gekommen? Das kann ich zeigen, Herr Graf,« sagte der Alte und zog den fast Sinnlosen zum Fenster. »Seht Ihr dort die Tanne? Dort in den Zweigen saß ein Mann, denn er fürchtete Unheil, und er sah's, und er hatte die Büchse –.« – »Wahnsinniger!« schrie Leonhard und faßte mit krampfhafter Gewalt des Alten Arm, »bist du denn selbst der Mörder deiner eigenen Tochter!«
»Gräfliche Gnaden, laßt mich los!« sprach der Jäger und schüttelte ihn von sich, als wär's ein Kind. »Ich habe hier noch Pulver auf meiner zweiten Pfanne und eine gute Kugel im Lauf. Bleibt von mir, Herr, und ich will Euch eine alte Geschichte erzählen. – Es war einmal ein Jäger, der liebte eine Gräfin, aber ganz heimlich und ohne daß sie's wußte, und er hielt sich alles vor, was dawider sei im, Himmel und auf Erden, und das Herz that ihm weh. Doch endete alles gut, und kein Mensch hat's erfahren. Aber es war auch einmal ein Graf, der liebte eine Försterin, und das ward nicht gut; und als der Förster es erfuhr, da nahm er, was sein war. Und der Graf hatte einen Sohn, und der Förster eine Tochter. Der Alte hat ihr genug vorgepredigt von Rang und Stand und Ordnung und Leichtgläubigkeit und Betrug. Allein sie liebte ihn doch, und er that auch so, als ob er sie gleichfalls liebe. Und da nahm ich das Meine! Denn, mein Herr Graf, ich will keine lebendige Schande haben in meiner Familie: für die todte hat der Herrgott zu sorgen. Und ich denke, was des Kaisers ist, soll dem Kaiser werden, und was mein ist, soll mein bleiben. Und,« fügte er hinzu und stampfte mit dem Fuß auf den Boden, daß die Fenster klirrten, und seine Stirn war voll finstern Drohens, »Ihr seid groß, Herr Graf, und ich bin klein, Ihr habt viel, aber nicht alles. Und was mein ist, das wird nicht Euer, es stirbt lieber!«
Der Graf stand erstarrt. Endlich raffte er sich auf. »Elender Meuchelmörder!« rief er, »sie war mein, mein, mein! Zu meinem Weibe wollte ich sie machen!« – »Die?« sagte der Alte, deutete auf die Todte und lachte grell auf. »Die? Wißt Ihr was, Herr Graf?« Und er packte den Herrn an der Schulter und flüsterte ihm etwas in's Ohr. Was es gewesen, weiß niemand; aber der Graf fuhr leichenblaß zurück und starrte wie wahnsinnig in das furchtbare Auge des Alten. Dann warf er noch einen Blick um sich, stürzte fort, rief seinen Dienern, zäumte mit ihnen die Pferde und sprengte davon.
Er ist nie wieder zurückgekehrt auf das einsame Jägerhaus. Nachher ist er ins Land gezogen und verschollen. Seine Mutter aber, die alte Gräfin, als sie aus des bleichen Sohnes Mund das Entsetzlichste vernommen, sprach mit todtengleicher Starrheit: »Verflucht wer das Haus betritt, verflucht wer in den Wald geht und ihn anrührt! Laßt ihn vergehen und verfaulen!« – Und darauf ist sie gestorben. –
Als es im Hause still geworden, nahm der Alte den leblosen Körper seines Kindes, trug ihn hinab und legte ihn auf das Bett. Dann ging er in den Garten und bereitete ein Grab, senkte die Leiche hinein und schaufelte die Erde darüber, alles schweigend. Darauf kehrte er in's Haus zurück und verschloß Fenster und Thüren. Er nahm Büchse und Tasche und verließ das Haus, schloß die Hausthür und warf den Schlüssel in's Holz. Dann ging er in den Busch. Mit dem Peter hinter dem Berg hat er noch gesprochen; weiter hat niemand ihn gesehen oder von ihm gehört. Einige Tage lang vernahm man noch das immer schwacher werdende Geheul eines Hundes, dann ward alles still. Der Wald wuchs empor und zum Jägerhaus kam keiner. Jetzt ist's vergessen.