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1.

Es ist nur ein einsamer Fußsteig, ganz schmal durch ein wellenförmig Land. Eine lange Stunde geht er durch Wiesen, dann durch ein prächtiges Holz und windet sich wieder durch üppige Kornfelder. Um sich sehen kann man nirgends weit; die Wiesen liegen zwischen Hügeln, der Wald ist dicht und grün, die Halme stehen höher als die Fußgänger. Die den Weg betreten, sehen sich auch nicht um; das geht emsig fürder zur Stadt und kehrt eilig heimwärts zum Dorf. Von den Städtern mag da lange keiner gegangen sein.

Im Holz ist ein grüner Platz, wo Bäume und Gesträuche etwas zurücktreten, aber von oben überwölben ihn fast die breiten Kronen. Den Boden decken Gras und allerlei Blumen und Kräuter ungestört und üppig, und der Pfad geht scharf begrenzt hindurch, daß man bald erkennt, wie hier keiner von ihm abgewichen. Links im Grunde steht kaum sichtbar ein vermorschter hölzerner Wegweiser. Der Epheu hat sich herumgeschlungen bis hoch oben und mit seinen Ranken zwei Arme umsponnen; daß es aussieht fast wie ein großes grünes Kreuz. Und die da vorbei gehen, sind lange schon abgewichen vom alten Glauben, aber das Kreuz grüßen sie alle und gehen hastig vorüber, ohne sich umzusehen, und die munterste Rede erstirbt.

Da soll vordem ein Weg gewesen sein bis tief in's Holz, aber er ist verwachsen und kein Mensch weiß mehr von ihm. Der prächtige Forst ist so dicht und alt wie kaum einer in deutschen Landen, aber benützt wird er nicht, denn er gehörte einem, der vor langen Jahren in's Land ging und verschollen ist, und seine Mutter hat einen schweren Fluch gesprochen über das Holz, und die alte Familie, die dasselbe noch immer besitzt, läßt es unberührt. Es geht auch niemand hinein, denn sie sind dort zu Lande noch abergläubisch und meinen, es spuke in den grünen Räumen.

Aber komm nur immer mit mir hinein in die dämmernden Tiefen! Ich sage dir, es spaziert sich so hübsch unter dem laubigen Dach, in der schimmernden lauschigen Einsamkeit. Die Sonne wirft grüne, zitternde Lichter, der Morgenwind flüstert hoch oben in den alten Wipfeln, die Stauden schwanken, Epheu und Geißblatt klettern lustig empor zum Licht, der Pirol und die Amsel rufen melancholisch herab aus den blühenden Kirschbäumen, das Klopfen des Spechts schallt laut durch die Einsamkeit. Die Waldveilchen nicken träumerisch im Moos neben den Maiblumen, und hurtige Eidechsen schlüpfen durch die Erdbeerblüthen. Hier ging seit lange kein Mensch: kein Weg ist zu sehen.

Und doch! Seht ihr dort, wo die schlanken Haselstauden aufgeschossen sind, da ist ein kleiner leerer Fleck, und da zeigen sich noch Geleise. Das Moos ist dicht darüber gewachsen, aber die Spur hat es doch nicht ganz geebnet. Hier also sind Wagen gegangen vor langer Zeit! Ihre Räder schnitten so tief in den Boden, daß die Wunden noch immer nicht verharscht sind. Hier sind Menschen gewesen, aber wo sind sie hin? Von jetzt an ist das Fortschreiten nicht mehr so leicht. Trockenes Laub und dürre Zweige hemmen den Fuß; wirr und wild heben und verschränken sich die Stauden, und gleich festen Gittern spannen sich die Ranken hinüber und herüber, schier unentwirrbar. Eine gewaltige Eiche liegt mitten unter den grünen Sprossen, und eine andere neigt sich tief darüber und der Tod sitzt in ihren Zweigen. Ob ein Sturm sie so gebeugt, ob die gefallene sie mit sich gezogen im wilden Sturz? Ich weiß nicht; aber man erzählt wohl, daß die Bäume auch ein gewisses Leben und Gefühl haben, und nicht allein für sich, sondern daß sie mit einem andern Baum in Liebe von Jugend auf vereinigt seien. Wenn dann der eine von ihnen stürzt, macht's der andere auch nicht mehr lange. Da beugt er sich über den Verlorenen tiefer und tiefer, denn er kann ihn nicht vergessen, ihm nicht entsagen. Die Wurzeln lassen los, und er folgt ihm nach zur neuen Vereinigung.

Aber der Wald streckt sich noch immer dicht und grün und unwegsam. Ein Reh blickt schüchtern durch die Büsche, die großen sammetweichen Augen schauen dich verwundert an, dann springt es scheu zurück, und rings ist es still. Kein Specht klopft, keine Amsel flötet, kein Käfer summt; selbst der Wind schweigt und die Bäume stehen regungslos. Hier scheint in der That der Fluch zu herrschen.

Doch das Holz lichtet sich. Hell schimmert's durch die Stämme und den Himmel siehst du darüber glänzend blau. Durch eine dichte Dornenmasse mußt du noch dringen und stehst dann auf einem kleinen offenen Raum, mit kurzem grünen Rasen bedeckt, aus dem nur hin und wider einige Brombeerbüsche emporgeschlagen sind. Vor dir liegt ein altersgraues Gebäude, das sich, an einen uralten zierlichen Thurm lehnt. Ueber der hohen Thür, unter der Wölbung eines Balkons sind drei stattliche Hirschgeweihe befestigt, die jetzt aber bereits eine Theil der Zacken verloren haben und kaum noch an den Haften halten. Einige Schritte vorwärts, etwa in der Mitte des Platzes, ist ein alter Brunnen von grauem Sandstein: die zierlichen Ecken sind abgebrochen oder von Wind und Wetter so zerfressen, daß sie gleichfalls bald ihre Stelle verlassen werden. Der sich bäumende plumpe Hirsch sprudelt schon lange nicht mehr den Wasserstrahl aus dem aufgerissenen Maule. In seinem zackigen Geweih hat sich dichtes Moos angesetzt und im trockenen Becken stehen einige Binsen.

Rechts und links sind ein paar niedrige Stallgebäude, deren Dächer eingestürzt sind zwischen die klaffenden und wankenden Mauern. Links neben dem Stall liegt ein Haufen halbverfaulten Holzes, daneben die Stücke einer verrosteten Kette und das gebleichte, zerfallene Gerippe eines Hundes. Ist es doch, als hätten Füchse und Raben niemals diesen Platz besucht, denn die Knochen liegen in Ordnung neben einander und der Rückgrath ist zusammengekrümmt. Hat der Hunger geschmerzt, mein armer Bursch? Wie straff ist diese Kette gewesen! Ja, der Rehbock tanzte so nah und so einladend herum vor deinen fieberglühenden Augen! Deine magern Weichen flogen, wie du strebtest und zerrtest! Aber die Kette war stark, mein wackerer Hund, der feste Ring liegt noch jetzt um deinen Hals. Ja, ja, wie hast du einst gejagt und gespürt! Wie standest du lechzend über der gefallenen Beute, wie schallte dein rufendes Bellen durch den weiten Forst! Wie befriedigt blitzten die klugen treuen Augen deinem Herrn entgegen! Und wie haben sie gerollt, diese Augen, und gefunkelt in deiner Hungersangst, wie hat deine heisere Stimme vergeblich gerufen! Ja, mein treuer Hund, dein Herr hörte dich nicht, und ihr solltet keine Jagd mehr mit einander machen. Und da liegt nun das alte Haus, grau und still; breite Spalten klaffen in den Mauern und Gras ist daraus hervorgewachsen. Ueber das hohe spitze Dach hin hat sich Moos gelagert, Ziegel sind herabgestürzt und durch die Oeffnungen sieht man das morsche schwarze Sparrwerk. Die Thür ist verschlossen, aber sie hängt kaum noch auf ihren Angeln. Ueppiges Gras drängt sich durch die Fugen der mächtigen Stufen. Das eiserne Gitter des Balkons ist verrostet, die Farben und Schilder des Wappens in der Rosette verblichen und verwittert; das Gold der Grafenkrone drüber hat Regen und Schnee zerfressen. Die unregelmäßigen Fenster haben zwar hie und da noch Glas in ihren schiefen und losen Rahmen, aber es ist verbrannt und blind und spiegelt nicht mehr. Es gleicht einem alten zerfallenen Menschen! die Augen sind noch da, aber das Licht darin ist erstorben und das ganze Gesicht nun still und öde.

Man kann rings herumgehen um das Haus. An den Seiten rückt der Wald wohl näher heran, aber hinten ist wieder ein kleiner offener Raum, wo früher der Garten war. Einzelne Zierblumen drängen sich noch zwischen den wilden Pflanzen hervor, einige Stachel- und Johannisbeerbüsche haben übermäßig gewuchert, ein weißer Flieder und ein paar Apfelbäume bestreuen den Boden mit ihren Blüthen. Den Thurm, der noch fest und schmuck da steht, hält der Epheu bis oben umklammert und seine Ranken haben sich in die wunderschönen steinernen Rosetten, Zacken und Netze geflochten, die einen kleinen Erker schmücken. An der Wand des Hauses klettert noch Wein in die Höhe, überwölbt und umbüscht die todten Fenster. Auch hier' ist alles verschlossen und unberührt, der Fluch hat es beschützt. Alles ist still, kein Wild zeigt sich, kein Vogel huscht durch die Zweige, die alte Wetterfahne auf dem First steht regungslos. Das liegt da wie Dornröschens Schloß: selbst die Mauern scheinen zu schlafen.

Rechts gegen den Thurm zu hebt sich der Boden zu einer kleinen Terrasse. Die Fenster gehen hier bis auf die Erde und wurden als Thüren benützt. Das eine klafft bereits und öffnet sich einem leichten Druck. Der Fluch schreckt uns nicht. Laß uns eintreten.

Ein modriger Dunst schlägt uns entgegen. Wir stehen in einem kleinen, einst freundlichen Saal, Wände und Decke mit Jagd- und Schäferstücken in Watteaus und Bouchers Manier bemalt, Jäger in weißer Frisur und bordirten Hüten, Damen und Schäferinnen in Reifröcken und wundervollen Toupés, Schäfer in Schuhen und Strümpfen mit bebänderten Schalmeien, Schafe und Widder mit rosenrothen Schleifen aufgeputzt. Es ist eine so naive Malerei!

Im Saal ist es ziemlich dunkel, denn die Fenster sind erblindet und überdies haben sich dichte Spinngewebe vor die tiefen Nischen gespannt. Aber es ist doch hell genug, um unter dem feinen Staube, den lange Jahre der Ruhe auf dem parkettirten Fußboden gesammelt, eine Reihe dunkler Stellen bemerken zu können, die sich von einer kleinen Thür rechts durch den ganzen Saal bis zu einer großen Flügelthüre links ziehen. Jene kleine Thüre führt auf eine Treppe in der dicken Mauer des Thurms. Die Stufen, durch einige alten Schießscharten erhellt, zeigen hin und wider dieselben dunkeln Flecke und enden vor einer zweiten Thür, durch die wir unmittelbar in ein kleines rundes Zimmer treten. Sein Licht erhält es durch den Erker, von dem ich oben gesagt. Die eine Scheibe ist zerbrochen und die Stücke des Glases liegen im Zimmer zerstreut. Die Wände sind ganz getäfelt mit braunem Holz, an der Decke ist ein allerliebstes Gemälde: Amor mit Venus im heftigen Streit. Amoretten blicken lachend und pausbackig aus den Wolken auf die liebliche Mutter und den allgewaltigen Sohn. Schöne aber erblindete Spiegel in kunstreich geschnitzten ovalen Einfassungen sind mehrfach angebracht.

Im Hintergrund neben dem marmornen Kamin, in welchem noch Kohlen und Asche liegen, steht ein altmodischer Sopha, niedrig, mit vergoldeten Schnörkeln an den geschweiften Beinen und Lehnen, mit blauem Damast überzogen. Aber die Farbe ist verblichen und ein großer dunkler Fleck verunstaltet den zierlichen Sitz! auf dem Fußboden davor wieder ein Fleck, ein Tisch liegt umgestürzt, eine Lampe zerschmettert. Weiterhin ist über einen Lehnstuhl eine gewiß einst prächtige Jagduniform gebreitet: daneben auf der Marmorplatte einer kleinen hübschen Console ein reichverziertes Fangmesser und eine mit Perlmutter und Silber ausgelegte Büchse.

Mitten im Zimmer, ohne Zweifel vom umgestürzten Tisch dahingeschleudert, liegt ein kleines Buch in rothem Marrokin mit Goldschnitt; der tief eingedrückte Deckel zeigt die Spuren eines schweren Stiefels. Wir schlagen es auf– großer Gott, es sind Werthers Leiden in der ersten Leipziger Ausgabe! Auf der andern Seite des Kamins steht in einer alkovenartigen Nische ein noch unberührtes Bett mit einem nachlässig hingeworfenen Schlafrock darauf. Vor dem Bett ist ein Tischchen und darauf liegen neben dem Leuchter einige dem obigen ähnliche kleine Bücher. Geöffnet zeigen sie uns die Titel von berüchtigten französischen Romanen.

Ja, es war eine wunderbare Zeit, eine kostbare Gesellschaft, die der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, bevor der Sturm der französischen Revolution auch in Deutschland die Köpfe erst aufrüttelte und dann nach und nach zurecht rückte! Drei Viertheile französische Liederlichkeit und ein Viertheil deutsche Sentimentalität, oder vielmehr nicht einmal das, da dies noch eine viel zu artige Bezeichnung des elendesten Zustandes ist. Es war eine Auflösung, eine Entnervung alles Gefühls, ein elendes Verschwimmen und Verflachen ohne Maß und Ziel. Und doch ist es so leicht erklärlich. Die Gesellschaft war durch die skeptische und cynische Literatur der Franzosen so in Grund und Boden verdorben, daß kaum noch ein Charakter existirte. Zumal fand dies in jenen Gegenden statt, wo die heilbringenden, erfrischenden und erstarkenden Wirkungen des siebenjährigen Kriegs weniger gefühlt worden waren, wo die lasterhaften Höfe der fränkischen Markgrafen, der üppigen Kirchenfürsten und unzähliger anderer großer Herren die sittliche Haltung nach und nach immer tiefer untergruben, wo eine gütige Natur eine leichte, sinnliche Lebensweise beförderte und gleichsam an die Hand gab. Was blieb ihnen anders übrig als Gefühlsverflachung und Mystik, die engverbundenen Sprößlinge erbärmlicher Abgestumpftheit? Oder man warf sich dem krassesten Nichtsglauben in die Arme, einer Aushülfe, die nicht weniger jammervoll war; oder man fröhnte einer Sinnlichkeit, deren lüsterne Raffinerie und Nacktheit man jetzt kaum zu glauben, nicht zu begreifen vermag. Oder endlich, man fühlte diesen elenden Zustand, suchte ihm zu entgehen und verfiel dann auf die wunderlichsten, lächerlichsten Mittel und Wege, verständig zu werden und rein zu bleiben, sich zu kräftigen und zu stärken; denn selbst die Verständigen hatten den Verstand verloren.

Daher finden wir denn auch zu jener Zeit all die Auswüchse solcher Erbärmlichkeiten in voller Blüthe. Da sind Weißhaupt und Knigge, die Stifter der Illuminaten und die Repräsentanten jenes ganzen geheimnißvollen, kindischen Bündlerwesens. Da spaziert ein deutscher Fürst umher, weibisch und sinnlich, im Weiberrock und mit dem Homer in der Hand. Dort ist Lavater, der süßliche Schwärmer und träumerische Phantast; Mesmer, Betrogener oder Betrüger – wer mag es sagen? – mit dem furchtbaren Wust und der unglaublichen Faselei seiner Anhänger und Anbeter; Jung-Stilling, der weinerliche fromme Jammermann; Cagliostro, die letzte, aber auch glänzendste Blüthe jener unbegreiflichen Spuk- und Gespensterjägerei, die großartigste und zugleich lächerlichste, personificirte Düpirung des philosophischen Jahrhunderts. Dann die Schwärmer für die sentimentalen englischen Romane und für Ossians Nebelgestalten, oder der Hainbund mit der Tusneldo- und Hermannomanie, oder Heinse's, Thümmels und anderer ähnlicher Leute seltsame ausschweifende Schriften, oder – oder – es gibt da kein Ende! Wahrhaftig, das après nous le déluge war nicht für Frankreich allein gerufen!

Ja, es war ein merkwürdiger Zustand, eine Katzenmusik, von den Mitspielern ihrer eigenen Vernunft dargebracht, ein Chaos, maßlos, betrübend, entsetzlich für die wenigen ihres Verstandes noch mächtigen Zuschauer, gerade wie für uns das kleine Thurmzimmer, in dem auch einmal ein ächter Repräsentant jener Zeit gelebt haben mag. Hier mag jubelnde Lust geherrscht haben und süßlicher Jammer, bacchantischer Taumel und gespensterbanges Entsetzen, gefühlvolle Zartheit und eiserne Härte, verschwimmende Weichlichkeit und lüsterne Raffinerie – das alles, das alles! Aber wer findet es jetzt heraus! Nun liegt's in wirrer, wüster Masse und der Staub der Vergangenheit hat sich dicht und still darüber gelegt, wie die grüne Decke liegt über dem unergründlichen Sumpf, und es weiß keiner was darunter ist.

Dicht neben dem Bett ist eine Thüre, so geschickt im Täfelwerk angebracht, daß man sie nicht bemerken würde, wenn sie nicht bloß angelehnt wäre. Eine enge Treppe führt hinab und durch eine zweite Thür auf einen ganz dunkeln Raum des kreuzförmigen Flurs. Garten- und größere Jagdgeräthschaften sind hier noch bunt durcheinander aufgehäuft. Vom Mittelpunkt des Flurs führen zwei breite steinerne Treppen in's obere Geschoß, allein wir bleiben hier unten und treten in eine Thüre rechts, durchgehen die Küche mit ihrem blanken kupfernen Geschirr und bunten Tellern und Schüsseln, folgen den, auch hier auf dem mit rothen Backsteinen ausgelegten Fußhoden sichtbaren dunkeln Flecken bis in ein kleines Gemach, wo ein zerdrücktes Bett steht. Im offenen Schrank zeigen sich Reste von Frauenkleidern.

Ein zweites Zimmerchen führt uns endlich in eine größere Stube nach vorn hinaus. Hier zeigt sich einfaches, gar nicht aristokratisches Mobiliar. An der Wand hängen einige schlechte Bilder in braunen Rahmen, die unausbleiblichen Helden Laudon, Seydlitz, der alte Fritz; eine verrostete Büchse, Hirschfänger, Pulverhörner, Jagdtaschen, Hetzpeitschen, ein Waldhorn. Auf dem Tisch neben dem braunen Kaffeegeschirr liegt ein angefangener, jetzt in Staub zerfallender Strumpf, die stählernen Stäbchen dabei im irregulären Viereck. Endlich in einem nahe dem Fenster stehenden Schrank erblickt man einige Gläser und Tassen und ein silbernes Becherchen, den Preis vielleicht eines Meisterschusses. Oben hinter dem ausgeschnitzten Rande stehen die Ueberbleibsel von ausgestopften Vögeln, und auf dem Brett über der Thür sind neben der Pudelmütze Bibel und Gesangbuch in schwarzen abgescheuerten Lederbänden. Nur die Menschen fehlen.

Wir nehmen die Bibel herab und schlagen sie auf, denn auf den vorgebundenen weißen Blättern pflegte man sonst die Familienchronik zu schreiben. Da steht sie denn auch. Das ist ein altes ehrenfestes Jägergeschlecht, das hier gehaust schon vor dem dreißigjährigen Kriege. Allein wir überschlagen die ersten Blätter und bleiben bei den letzten Seiten stehen, wo es denn nun folgendermaßen lautet:

»1744. Auf St. Bartholomäi starb mein Vater, Hans Christoph. Und hat mich der Herr Graf, so gerade dahier präsent war, alsogleich als Nachfolger desselben und als Oberförster in seinem Dienst bestätigt. Hans Conrad Ducker.«

»1752. Auf St. Fabian hab' ich mein Weib heimgeführt, die Gertrude Marie Steinfurtin, des Bauern Steinfurt Tochter. War ich also auf besagten Tag 31 Jahre alt, und mein Weib, die Gertrude Marie, wird auf St. Brigitten neunzehn. Nun bin ich sehr froh. Gott woll' es alles zum Besten fügen. Amen.«

»1753. Auf Petri Kettenfeier ward mir mein erster Junge geboren, soll Hans Christoph heißen. Gott lass ihn werden recht und schlicht.« – Dabei ein Kreuz und: »Ist gestorben auf sieben Brüder anno 1755.«

»1755. Auf Mariä Verkündigung ist mein zweiter Sohn geboren. Dessen bin ich sehr froh. Gott gebe Gutes. Soll heißen Peter Michael nach meinem Bruder sel.« – Dabei ein Kreuz und: »Ist gestorben auf St. Walpurgis 1757. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Er sei gelobt.«

»1755. Auf St. Huberti hab' ich einen rechten Meisterschuß gethan und den silbernen Becher gewonnen. Der Herr Graf hat mich belobt vor all den Herren.«

»1756. Auf St. Annen ist mir ein Töchterlein geboren, Gottes Segen über sie! Soll heißen Gertrude Johanne.«

»1756. Auf St. Egidien, starb mein Weib, die Gertrude Marie, an einem Schuß, so sie im Wald empfangen. Ich will ihr nicht fluchen. Gott wolle ihr und mir ein gnädiger Richter sein.« –

»1771. Starb mein Herr, der alte Graf, auf St. Valentin. Folgt ihm der junge Herr Leonhard Joseph Franz.«

Und das ist das Ganze! Das sind alle Spuren eines reichen, vielleicht wildbewegten Lebens. Lust und Qual, Freude und Kummer, christliche Fassung und dumpfer Zorn – alles das leuchtet hervor aus den vergelbten rauhen Zeilen, und nun ist's hin. Welche Freude des jungen Ehemanns, welch Glück des jungen Vaters! Wie zitterte diese Hand, wie bebte das Gemüth, als das Kreuz bei den Namen der theuren Kleinen gezeichnet wurde! Und dann jene dürftige, trockene Notiz über den Tod der Frau. Was heißt das? Ist da Mord gewesen? Was hat ihn herbeigeführt? Die wenigen Worte greifen tiefer an's Herz, zeigen ein entsetzliches Unheil drohender, schrecklicher als ganze Seiten eines leeren Geschwätzes, einer albernen Beschreibung.

Wenn du sprechen könntest, altes Haus, wenn ihr reden könntet, ihr alten erblindeten Spiegel! Was habt ihr für Blicke gesehen, was für Reden vernommen! Und das letzte Unheil, welches ihr belauscht, das letzte, von dem keine Kunde zu uns gelangt ist? Was war es denn, was diese furchtbare Zerstörung bewirkte? Was hat diesen Boden beschmutzt, was hat die Bewohner hinweggenommen mitten aus ihrer Häuslichkeit, ohne andere Spuren, als die der Flucht und des Entsetzens? Wo bist du geblieben, alter, strenger, ehrenfester Vater? Wohin bist du Verschwunden, du hübsche Gertrude Johanne? Die kleinen Pantöffelchen harren vergeblich auf dein zierliches Füßchen, das nette grüne Mieder und die grüne, silbergestickte Kappe fressen die Würmer im Schrank. Die Spindel dort, regungslos in der Ecke, denkt an deine schlanken weichen Finger, und die Spiegel fragen traurig: wo bist du denn geblieben, du schmucke, kleine Hexe, daß wir nie mehr dein lustiges Auge funkeln sehen?

Die Mauern aber lauschen düster und traurig der einsamen Stille. Da schallt kein Hundegebell, kein Hörnerklang, kein Büchsenknall, da klingt kein heiteres Gelächter einer goldenen Stimme, da flüstert kein trauliches Gespräch: alles ist still ringsum. Nur der Regen schlägt einmal an die Fenster, der Wind rauscht in den Zweigen und Kronen der alten Buchen und zieht suchend hin über die verödeten Räume; die Wetterfahne knarrt auf dem hohen Dach, und aus der Ferne schallt dumpf und eintönig des Kukuks melancholischer Todesruf.


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