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Schluß.

Der Herr führet Alles herrlich hinaus.

(Esa. 28, 29.)

 

Andreas genas, wenn auch langsam, vollständig wieder, und an einem wundervollen Sommerabend stieg er an der Seite des Bruders und Freundes zur Frohburg hinauf, um nach einer Reihe schwerer Tage sein Auge und Herz wieder zu erlaben an Gottes erhabener Schöpfung.

Wie an jenem Abend, wo Andreas und Nadler zum letzten Male auf der luftigen Höhe verweilt, ließen sie sich auch heute auf einer der Bänke nieder. Der zu neuem Leben erstandene Andreas athmete tief auf und schlang, innig gerührt von der Güte und Liebe Gottes, die sich an ihm und in der Landschaft so wunderbar bethätigte, die Arme um Ruppert's und Nadler's Nacken, beide herzlich an sich drückend.

Unwillkürlich erinnerte er sich des Traums, den der Bruder Pfälzer ihm vor Kurzem auf derselben Stelle erzählt, und daran reihte sich die gesammte Reihe der Schreckensbilder, wie sie die Verschüttung im Schacht mit sich gebracht.

Mit Willen hatte Andreas über diese Katastrophe bisher das größte Stillschweigen beobachtet, und die Seinen, in taktvoller Weise, an ihn keinerlei Fragen gestellt. Sie würden auch ohne des Arztes Ermahnen es nicht gethan haben, da sie sich selbst sagten, daß ein vorzeitiges Zurückversetzen in jene schauervolle Zeit dem geliebten Patienten unbedingt schaden müsse.

Heute jedoch begann Andreas aus freien Stücken darüber zu sprechen, indem er äußerte:

»Da unten lugt der kleine Kirchthurm von Trimbach zu uns herauf und es will mich bedünken, als ob er sagen wollte: ›Gelt, Andreas, dort oben auf der Frohburg ist's schöner, als hier unten im dunkeln Schoß der Erde? Werde nur nicht hochmüthig deshalb; allerdings bist Du dem Tode und Grabe, das bereits für Dich gegraben war, glücklich entgangen, – dennoch wird dereinst die Stunde schlagen, wo auch Dir der Sensenmann seinen Besuch macht. Dann kommt Dein Leichnam doch in den dunkeln Grund und ein anderer Erdenpilger sitzt vielleicht, statt Deiner, auf luftiger Höhe und sieht, sich seines Lebens freuend, auf Dein Grab herab.‹«

»Verbanne solche trübe Gedanken,« bat Ruppert, »und laß uns lieber Auge und Herz an der herrlichen Landschaft laben, die sich in weitem Bogen vor unsern Blicken hinzieht.«

»Ganz recht,« versetzte Andreas, »verfolge die Berge und Thäler, die Wälder und Felder, die Häuser und Thürme nur genau, dann fällt Dein Blick auch auf die vielen weißen Kreuze da unten, die so friedlich im Abendlichte schimmern. Gedenkst Du noch Deines Traumes?« wandte er sich an den Bruder Pfälzer, der ernst mit dem Kopfe nickte. »Hätte ich damals auf Deine warnende Stimme gehört, so würde ich all' der Qual und Pein entgangen sein, welcher ich bis an mein seliges Ende bebend gedenken werde.«

»Rege Dich nicht auf,« entgegnete Nadler bittend, »folge dem Ruppert und verbanne jedweden Gedanken, der Dich an jene schreckliche Vergangenheit erinnert.«

»Nein, nein,« rief Andreas, »laßt mich gewähren. Bis heute habe ich geschwiegen, endlich aber verlangt mein Herz nach einem Austausch mit Andern; denn glaubt mir nur, daß der Gedanke für mich furchtbar ist: Du und die abgeschiedenen Geister Deiner todten Kameraden wissen allein, was Ihr im Bergesschacht erlebt und durchgemacht habt. Es ist mir immer, als bestände zwischen mir und den Verstorbenen noch eine Art von seelischem Verkehr, der erst aufhören wird, nachdem ich Menschen, die noch in ihrer Vollkraft auf Erden wandeln, unsere Erlebnisse erzählt. Ich weiß, daß ich dann erst wirklich ruhig werde und mein Herz jenen innern Frieden wieder gewinnt, ohne welchen wir uns nicht glücklich fühlen. Darum noch einmal: laßt mich gewähren, hört mir zu und unterbrecht mich nicht.«

Derartigen eindringlichen Worten vermochten Ruppert und Nadler nicht zu widerstehen und so erklärten sie sich denn stillschweigend einverstanden.

Andreas weidete seine Blicke noch einmal an dem paradiesischen Landschaftsbilde, sah dann gerührt zum Himmel empor und begann endlich:

»Ihr werdet erfahren haben, daß ich auf den Ruf des Handlangers hin – der Schacht brenne! – in die hinterste Tunnelabtheilung lief und zur schnellsten Flucht aufforderte. Die Mehrzahl der dort Arbeitenden glaubte jedoch meinen Worten nicht und so suchte ich mich denn allein zu retten. Und meine Flucht würde auch gelungen sein, wäre ich nicht auf dem feuchten Boden ausgeglitten. Schon im nächsten Augenblick prasselten rauchende Balken und Schutt in den Tunnel herab und das fürchterliche »Zu spät!« erklang in meinen und den Ohren Derer, die mit mir zu enteilen Willens gewesen. Der aufsteigende Rauch zwang uns gar bald, in die gähnende Tiefe des Tunnels zurückzukehren, – todtenblaß und stumm und starr vor Schrecken. Nur Jene, welche meinen Worten keinen Glauben geschenkt, ergingen sich in lauten Verwünschungen gegen das Unternehmen des Tunnelbaus und fluchten, daß sie nicht frühe genug gewarnt und hinausgerufen worden seien. Unter den Arbeitern befand sich auch ein Engländer, und dieser sprach uns Muth ein, indem er erzählte, daß er schon einmal neun Tage verschüttet gewesen sei und sein Leben mit Wasser und dem Talg der Grubenkerzen gefristet habe. ›Wir sind in diesem Falle ungleich besser daran,‹ rief er uns tröstend zu, indem er auf die Lebensmittel, welche wir bei uns führten, sowie auf die mit uns eingeschlossenen Pferde verwies, die man nöthigen Falls schlachten könne. ›Unsere in Freiheit befindlichen Kameraden werden rastlos arbeiten, um uns aus dem finstern Grabe zu erlösen, dessen bin ich gewiß. Die Hauptsache ist, daß wir jetzt die Schritte genau erwägen, welche wir zunächst zu thun haben, damit nicht, was die Einen etwa versuchen, den Uebrigen verderblich werde. Eine Ordnung muß herrschen, sonst ist Alles verloren.‹ Leider hörte aber nur ein kleiner Theil auf diese ermahnenden Worte, die Mehrzahl rief, gleich Wahnsinnigen: ›Wir müssen hinaus, und zwar heute noch!‹ – und begannen sofort zu graben, taub gegen alle unsere Warnungen. Nur zu bald erlagen sie denn auch dem Erstickungstode, da Rauch und Kohlendampf durch jede Ritze ihnen entgegen drangen. Dieser Umstand brachte die Uebrigen zur Vernunft; zudem vernahm man alsbald von außen her ein Geräusch, das von den Grabarbeiten herrührte, die zu unserer Rettung unternommen worden waren. Die sieben Pferde, welche wir bei uns hatten, wurden in die hinterste Tunnelabtheilung gebracht, und dann theilten wir uns in Rotten ein, so daß die Einen wachten, während die Andern schliefen, eine dritte Abtheilung auf Alles, was sich außerhalb hören ließ, aufmerksam lauschte, während die Mannschaft der vierten Abtheilung sich mit Denen beschäftigte, welche infolge des Schreckens, Rauchs und der schwülen Luft krank geworden waren. Ich befand mich bei der ersten Rottenabtheilung und hielt die Wacht. Unausgesetzt hörten wir draußen graben und zudem bemerkten wir zu unserer großen Freude, daß der Rauch sich minderte, ein Zeichen, daß er frei und ungehindert durch den Schacht aufstieg. Ich zog, im dankbaren Gefühle gegen Gott, meine Bibel hervor und die mit mir Wachenden baten mich, ihnen ein Kapitel vorzulesen, trotzdem sie bisher kein Verlangen nach den himmlischen Lehren und Mahnungen verspürt. Das Unglück führt die Menschen eben schnell zu Gott, der stets der letzte Rettungsanker bleibt. Ich willfahrte dem Wunsche der Kameraden; noch aber hatte ich den aufgeschlagenen Psalm nicht zu Ende gebracht, als wir Wasser in den Schacht stürzen hörten. Sofort mehrten sich Rauch und Dunst und der Engländer rief verzweifelt: ›Das ist unser aller Verderben. Schnell, tretet mit mir bis dicht an den Schuttkegel heran und schreit aus Leibeskräften: Nicht Wasser! Löschet nicht! Oeffnet!‹ Es geschah, allein sie hatten uns weder draußen noch droben vernommen und ohne Aufhören stürzten bis zum folgenden Tage dichte Wassermassen in den Schacht herab. Das Graben draußen hatte aufgehört und infolge dessen bemächtigte sich mancher unserer Leidensgenossen von Neuem die Verzweiflung; sie ließen sich nicht halten und versuchten, einen Weg durch den Schutt zu bahnen. Der Engländer wollte sie mit Gewalt an diesem unsinnigen Vorhaben hindern, allein nur zu bald fanden wir ihn mit den Andern, in der Nähe des Schuttes erstickt. Immer mehr und mehr nahm von nun an die Muthlosigkeit der Kameraden überhand; die Mehrzahl warf sich auf den feuchten Boden und wünschte den Tod herbei. Nur der Hunger nöthigte sie von Zeit zu Zeit, sich zu regen, denn das Brod war bereits bis auf die letzte Krume aufgezehrt und der Augenblick herangekommen, wo eines der Pferde geschlachtet werden mußte, ehe dieselben selbst verhungerten. Traurige, qualvolle Stunden erschienen nunmehr für uns, denn ein Kamerad nach dem andern hauchte seine Seele aus. Ach, mein Gott! Was für rohe Gesellen waren Viele von ihnen während der Tage der Freiheit und des Glücks gewesen, – wie hatten sie mich wegen meines festen Gottesglaubens verspottet! Und jetzt riefen sie mich, sterbend am Boden liegend und von schweren Gewissensbissen gefoltert, stöhnend herbei, um mit ihnen zu beten und ihr reuiges Geständniß entgegenzunehmen; ich tröstete sie mit den goldenen Worten des Evangeliums, daß im Himmel Freude sei über einen Sünder, der Buße thut, und daß Christus am Kreuze dem mit ihm leidenden Missethäter in seiner unwandelbaren Liebe zugerufen habe: ›Heute noch wirst Du bei mir im Paradiese sein!‹ Und dieser Trost erleichterte das Herz der armen Sünder und sie gingen mit einem seligen Lächeln zur ewigen Ruhe ein.«

Andreas ließ in seiner Erzählung eine Pause eintreten, denn die Erinnerung an das schauerliche Erlebte preßte seine Brust zusammen und hinderte ihn am Weitersprechen. Ruppert und Nadler baten, für heute die Mittheilungen zu schließen, allein nachdem Andreas sein Herz durch einen Thränenstrom erleichtert fühlte, fuhr er von Neuem fort:

»Der heilige Pfingstsonntag brach droben in der frischen, freien Gottesnatur an; wir Alle wußten dies, denn wir zogen unsere Taschenuhren sorgfältig auf und zählten die Stunden, die uns, ach, immer länger und qualvoller wurden. Während wir in dem dumpfen, finstern Gefängniß in tiefer Trauer neben einander saßen, vergoldete wahrscheinlich die Maisonne die riesigen Bergesspitzen und zündete tausende von Freudenkerzen in dem Herzen der Natur und in der Brust der Menschen an. Im Geiste hörte ich das Läuten der Kirchenglocken von nah und fern, sah ich geputzte Menschenkinder nach dem Tempel des Herrn wallfahrten, um dort das heilige Pfingsten würdig zu begehen. Und unwillkürlich dachte ich: wenn es im Willen des himmlischen Vaters läge, so könnte er uns plötzlich unter jene andächtige Schaar versetzen, indem er durch ein Erdbeben unsern Kerker öffnete, wie er ihn dereinst den Aposteln aufgethan. Allein es geschehen keine Wunder mehr und so blieben wir denn eingeschlossen in dem Bergesschacht. Die wenigen Kameraden, welche noch am Leben geblieben waren, bedurften von Neuem biblischen Trostes; ich zog daher die heilige Schrift hervor and las die Pfingstgeschichte, sodann einige der Abschiedsreden des Herrn und zuletzt die Einsetzung des Abendmahls. Meine Zuhörer fühlten sich namentlich von dem Letztem so mächtig ergriffen, daß sie sehnsüchtig ausriefen: ›Ach, könnten wir's genießen!‹ Allein das Brod und der Wein mangelten und so blieb uns nur der Trost des Gebets. Plötzlich hob sich unsere gesunkene Hoffnung wieder, denn wir vernahmen deutlich, daß die Grabarbeiten im Tunnel von Neuem begonnen hatten, ja, wir hörten sogar das Summen eines Ventilators. Es war in der That nöthig, daß er uns bald frische Lust zuführte, da die Atmosphäre in unserem Raume von Stunde zu Stunde verdorbener wurde, infolge der vielen Leichen, welche in Verwesung übergingen.

»Warum aber versenktet Ihr sie nicht in Gräber?« schalt Nadler ein.

»Weil wir zu solcher Arbeit bereits zu schwach und hinfällig waren, lieber Freund,« gab Andreas mit einem wehmüthigen Lächeln zur Antwort. »Immer kleiner wurde die Zahl der lebenden Kameraden, trotzdem die Hoffnung auf eine baldige Befreiung ihre Herzen beseelte; hörten wir ja doch Tag und Nacht am Schutt graben, auch war es uns, als ertönte draußen vor dem Schuttkegel ein dumpfes Rufen. Einige behaupteten sogar, Hörnersignale vernommen zu haben Einer Antwort waren wir indessen nicht fähig, denn unsere Schwäche nahm schnell zu. Der Abend des dritten Juni kam heran und ihm erreichten unsere Leiden den höchsten Grad. Schon füllte sich unser Kerker mit Stickluft an, die Hitze stieg und das Athmen ward ans schwer. In unserer Verzweiflung entkleideten wir den Oberkörper und lehnten den Kopf über den Bach. Die Frische des Wassers brachte uns denn auch Linderung, allein nur auf kurze Zeit, da die ringsumher liegenden Leichen den schrecklichen Dunst in grauenhafter Weise vermehrten. Während der Nacht auf Donnerstag entschliefen alle meine Kameraden, bis auf Zwei, mit denen ich mich auf das Gerüst flüchtete, welches am hintersten Ende des Tunnels aufgerichtet war. Zuvor jedoch suchten wir den quälenden Hunger zu stillen; wir schlachteten das einzige Pferd, welches noch am Leben geblieben war. Als wir aber das Fleisch braten wollten, erlosch das Feuer und auch unsere Kerzen wollten in der Stickluft nicht mehr brennen. Dies war der Grund, weshalb wir das Gerüst erstiegen und den Wasserkrug, Oel und einige Lampen mit uns nahmen, die wir anzündeten und aufhängten. Jedoch schnell drang die Pestluft uns nach und immer trüber und trüber flackerten die Lichter. Eine nicht zu bezwingende Müdigkeit kam über mich; die beiden noch lebenden Kameraden waren bereits fest eingeschlafen, doch wurden ihre Athemzüge mit jeder Minute schwächer. Ich hörte, wie immer näher die draußen Arbeitenden kamen und vernahm sogar ihre Stimmen. Die Rettung war also ganz nahe! Dennoch vermochte ich mich des Schlafs, von dem ich nur zu genau wußte, daß er mein letzter sein werde, nicht zu erwehren, – ich ließ den Kopf sinken, schloß die müden Augenlider und empfahl meine Seele Gott ... Als ich wieder erwachte, befand ich mich droben auf dem Hauenstein, in meiner stillen Kammer, umweht von der frischen Gottesluft und gepflegt von liebenden Herzen.«

Andreas drückte abermals den Bruder und Freund in dankbarer Rührung an sich und schwieg. Aber auch Ruppert und Nadler wagten kein Wort zu sprechen, so mächtig hatte sie die Erzählung ergriffen.

Stumm und insichgekehrt verließen sie endlich die Frohburg, die Schritte nach Hause zu lenkend. Vor der Thüre blieb Andreas stehen und sagte:

»Es ist das letzte Mal gewesen, daß ich die entzückende Aussicht von der Frohburg genossen habe, denn ich bin fest entschlossen, morgen in die Heimath zurückzukehren und mir eine Stelle als Knecht zu suchen. Verdiene ich mir als solcher auch um Vieles weniger, so athme ich doch Gottes frische Luft und laufe keine Gefahr, lebendig begraben zu werden.«

»Recht so,« rief Ruppert sichtlich erleichtert auf. »Wir wollen uns schon ehrenhaft durch's Leben bringen, Bruder, da wir von nun an zu Zweit arbeiten, für uns und für die gute, alte Mutter.«

Der innige Händedruck, welcher Ruppert von Andreas zu Theil wurde, bewies ihm am Besten, wie glücklich er durch diese Worte den Bruder gemacht.

»Nur Eines fällt mir unendlich schwer,« begann nach kurzer Pause Andreas abermals, »und das ist der Abschied von dem treuen, guten Nadler.«

»Ja, warum sollen wir uns denn überhaupt trennen?« gab der Letztere lachend zurück. »Kann ich Euch nicht nach Dossenbach folgen und können wir uns nicht von unsern Ersparnissen ein kleines Anwesen kaufen, dasselbe gut bewirtschaften und so unsern Wohlstand allmälig bessern?«

Die Augen von Andreas leuchteten in heller Freude und, sich seiner Glückseligkeit gänzlich überlassend, fiel er dem Freunde um den Hals.

Es war der letzte Abend, den die jungen Leute und die Mutter Resi auf dem Hauensteine verbrachten, aber er gestaltete sich so heiter, daß Ruppert, dessen geängstigte Seele jetzt erst wieder frei aufjauchzte, sich Gewalt anthun mußte, um nicht irgend ein lustiges Lied anzustimmen.

Früh am andern Morgen sagten die glücklichen Menschen dem schönen Schweizerland, das so viel Schmerz und Weh für sie geborgen, Lebewohl, aber nicht, ohne ihren Wirthsleuten ein ansehnliches Scherflein für die armen Hinterbliebenen der im Hauensteintunnel verschütteten Kameraden hinterlassen zu haben.

Je näher die Wanderer dem Schwarzwald kamen, desto wohliger wurde ihnen zu Muthe, und als endlich gegen Abend die Hügel des Dinkelbergs und bald nachher auch das rothe Ziegeldach des Dossenbacher Kirchthurms auftauchte, da vermochte sich Ruppert nicht länger mehr zu halten, er warf mit einem Jauchzer den breitkrämpigen Hut in die Höhe und sang mit seiner frischen, fröhlichen Stimme:

»Volli Aehri, wo me goht,
Bäum' voll' Aepfel, wo me stoht!
Me het si Freud und frohe Mueth,
Jetzt schmeckt halt erst das Pfifli guet!«

Das war eine Freude und ein Jubel, der allüberall in der stillen Dorfgasse ausbrach, als Andreas mit Mutter, Bruder und Freund seinen Einzug hielt! Jetzt konnte der treue Gesell' erst sehen, wie lieb er Allen geworden war. Und unter diesen »Allen« blieb der Flurenbauer nicht zurück, sondern lief auch herbei, als er die frohe Botschaft von Andreas' Rückkehr vernommen. Er drückte ihm die Hand und sagte:

»Du hast mir schön mein Gewissen beschwert. Hatte ich doch Tag und Nacht keine Ruhe, als ich das entsetzliche Unglück erfuhr, das Dich betroffen.«

»Aber warum?« fragte Andreas lächelnd. »Wäret Ihr daran doch nicht schuld.«

»Hm, – doch, doch,« druckste der Flurenbauer, »wie man's nimmt. Wäre ich damals nicht so ein – – Fi – Fi – Filz gewesen, sondern hätte Deine gerechte Forderung angenommen, so würdest Du nicht verschüttet und ich in meiner Wirthschaft besser daran gewesen sein. Ich hab' übrigens schon meine Strafe dafür erhalten, indem ich während Deiner Abwesenheit bereits fünf Knechte wechseln mußte, die mich alle bestohlen haben, daß mein Geldbeutel mir so gekracht hat. Deswegen ist er aber noch lange nicht leer, und um Dir's zu beweisen und meine Freude über Deine Rückkehr kund zu thun, lade ich Dich und die Deinen heute Abend zu mir ein, – auf ein Gläsel Guten, – haha, – Du weißt's schon.«

Er lachte und die Andern stimmten herzlich ein.

Mutter Resi war die Einzige, welche auf die Einladung verzichten mußte, denn sie fühlte sich von der Reise zu sehr ermüdet. Andreas brachte sie daher nach Hause, richtete Alles zu ihrer Bequemlichkeit her und trat dann den Weg zu dem Flurenbauer an. Aus dem »Herrenstüble« drangen ihm fröhliche Stimmen entgegen und der goldige Markgräfler perlte und funkelte bereits in den Gläsern, die mehr als einmal harmonisch an einander klangen, wenn es galt, auf das Wohl von Andreas zu trinken ...

Eine Reihe von Jahren ist vergangen. Das Dörfchen Dossenbach aber existirt noch und der Dinkelberg dazu. Mutter Resi schläft schon längst unter dem grünen, mit Blumen bedeckten Rasen den ewigen Schlaf; Andreas, Ruppert und Freund Nadler jedoch freuen sich ihres Lebens und sind behäbige Bauern geworden, denen man sofort ansieht, daß sie sich wohl befinden. Ein Jeder von ihnen bewirthschaftet sein eigenes Gütchen; Ruppert ist außerdem noch Besitzer eines herrlichen Rebberges. Sein Keller beherbergt einen edeln Wein; doch trinkt er nur Sonntags, nach dem Gottesdienste davon, und zwar sehr mäßig, umsomehr sich aber seines Lebens freuend.

Wer mehr über ihn hören will, der fahre nach Dossenbach und frage nach dem »Andreas vom Dinkelberg«, – dort wird er allen gewünschten Aufschluß und ein gutes Glas Wein dazu erhalten, denn der Andreas beherbergt, durch des Bruders Güte, gleichfalls einen edeln Rebsaft im Keller, – und der Nadler dazu.

»'ne Trunk in Ehre,
Wer will's verwehre?
Trinkt's Blüemli nit si Morgenthau?
Trinkt nit der Vogt si Schöppli au?
Und wer am Werktag schafft,
Dem bringt der Rebesaft
Am Sunntig neui Chraft.«


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