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1. Über Lust, Schmerz, Liebe, Haß. 2. Verlangen, Abneigung, Furcht. 3. Gut, Übel, Schönheit, Häßlichkeit. 5. Ziel, Genuß. 6. Nützlich, Nutzen, nutzlos. 7. Glückseligkeit. 8. Gut und Übel gemischt. 9. Sinnliche Lust und Schmerz, Freude und Kummer. [Nr. 4. fehlt. Re für Gutenberg]
1. In den acht Abschnitten des zweiten Kapitels wurde gezeigt, wie Vorstellungen oder Erscheinungen in Wirklichkeit nichts sind als Bewegung in irgendeiner inneren Substanz des Kopfes; und da diese Bewegung hier nicht anhält, sondern zum Herzen fortschreitet, so muß sie dort notwendig jene Bewegung, welche vitale Bewegung genannt wird, entweder fördern oder hindern. Wenn sie sie fördert, wird sie Lust, Befriedigung oder Vergnügen genannt, und dies ist in Wirklichkeit nichts als eine Bewegung im Herzen, wie die Vorstellung nichts anderes ist als eine Bewegung im Gehirn. Die Gegenstände aber, welche jene Bewegung verursachen, nennt man angenehm oder erfreulich oder ähnlich; die Lateiner sagen: jucunda a juvando, von helfen, und dieses Lustgefühl nennt man mit Bezug auf den Gegenstand Liebe; aber wenn diese Bewegung die vitale Bewegung schwächt oder hindert, wird sie Schmerz genannt und mit Bezug auf den Gegenstand, der den Schmerz veranlaßt, Haß, welches Wort die Lateiner zuweilen durch odium, zuweilen durch taedium ausdrücken.
2. Diese Bewegung, worin das Vergnügen oder der Schmerz besteht, ist zugleich ein Verlangen oder eine Anreizung, entweder dem Gegenstande, der gefällt, sich zu nähern, oder von jenem, der mißfällt, sich zu entfernen. Und dieses Begehren ist der Ursprung oder innere Anfang der animalen Bewegung, die, wenn der Gegenstand gefällt, Begierde genannt wird, wenn er mißfällt, Abneigung heißt, und zwar in bezug auf das gegenwärtige Unlustgefühl, in bezug auf das erwartete Unlustgefühl aber Furcht genannt wird. So sind also Vergnügen, Liebe und Begierde, welch letztere man auch Verlangen nennt, verschiedene Namen für verschiedene Betrachtungen derselben Sache.
3. Jeder Mann nennt, für seinen Teil, das, was ihm gefällt und ihm Vergnügen bereitet, gut, und das, was ihm mißfällt, schlecht; insofern nun jeder Mensch in seiner körperlichen Beschaffenheit von dem andern verschieden ist, unterscheiden sie sich auch voneinander hinsichtlich der gemeinsamen Unterscheidung von gut und übel. Auch gibt es nicht etwas Derartiges, wie ein ἀγαθὸν ἁπλῶς, d. h. etwas, das schlechthin gut ist. Denn selbst die Güte, die wir dem allmächtigen Gott beilegen, ist seine Güte gegen uns. Und wie wir die Dinge, welche uns gefallen und mißfallen, gut und schlecht nennen, so bezeichnen wir als Güte oder Schlechtigkeit den Inbegriff der Eigenschaften oder Kräfte, wodurch sie es tun. Und die Merkmale des Guten werden von den Lateinern durch das Wort pulchritudo, Schönheit, die Merkmale des Schlechten durch das Wort turpitudo, Häßlichkeit, zusammengefaßt, Wörter, für die man [im Englischen] keine entsprechenden Ausdrücke hat.
4. Wie alle Vorstellungen, die wir unmittelbar durch die Sinne empfangen, Lust oder Schmerz oder Begierde oder Furcht sind, so sind auch unsere Einbildungen nach der Sinneswahrnehmung. Aber da sie schwächere Vorstellungen sind, so sind sie auch schwächere Lustgefühle oder schwächere Unlustgefühle.
5. Wie das Verlangen der Anfang der animalischen Bewegung ist auf etwas hin, das uns gefällt, so ist die Erreichung dieses Etwas das Ziel jener Bewegung, welches man auch den Zweck oder die Endursache der Bewegung nennt; und wenn wir jenes Ziel erreichen, nennen wir die Lust, der wir dadurch teilhaftig werden, Genuß: so daß bonum und finis nur verschiedene Namen sind für verschiedene Betrachtungen derselben Sache.
6. Und von den Zielen nennt man einige propinqui, d. i. nähere, andere remoti, entferntere. Aber wenn die Ziele, die näher liegen, verglichen werden mit jenen, die entfernter sind, nennt man die ersteren nicht Ziele, sondern Mittel und Wege zu jenen Zielen. Aber was das betrifft, was die alten Philosophen einen letzten Zweck genannt haben und worin sie die Glückseligkeit verlegten (und sie haben viel über den Weg gestritten, der dahin führt), so ist ein solches in dieser Welt nicht vorhanden und es gibt auch keinen Weg dorthin, ebensowenig wie nach Utopia: denn solange wir leben, haben wir Wünsche, und ein Wunsch setzt ein weiteres Ziel voraus. Jene Dinge, die uns angenehm sind, wie der Weg oder die Mittel zu einem entlegenen Ziel, nennen wir nützlich, und den Gebrauch oder Genuß derselben Nutzen; jene Dinge aber, die uns keinen Nutzen bringen, nennen wir nichtig oder eitel.
7. Da alle Lust Begierde ist, und die Begierde ein weiteres Ziel zur Voraussetzung hat, so kann es nur Befriedigung geben im Fortschreiten. Daher brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir sehen, daß den Menschen, im Verhältnis, wie sie mehr und mehr Reichtümer, mehr und mehr Ehren oder andere Macht erreichen, ihre Begierde unablässig wächst, und wenn sie bei dem äußersten Grad einer Art der Macht angekommen sind, jagen sie irgendeiner anderen Art nach, solange sie glauben, daß sie in irgendeiner Art der Macht hinter anderen zurück sind. Einige von denen daher, die den höchsten Grad der Ehre und des Reichtums erreicht hatten, haben nach der Meisterschaft in irgendeiner Kunst getrachtet, wie Nero in der Musik und der Dichtkunst, Commodus in der Kunst eines Fechters. Und diejenigen, die nicht nach solchen Dingen trachten, müssen Zerstreuung und Erholung von ihren Gedanken entweder im Wettbewerb des Spiels oder des Geschäfts suchen. Und die Menschen beklagen es mit Recht als ein großes Unglück, daß sie nicht wissen, was sie tun sollen. Die Glückseligkeit daher (die wir als ein dauerndes Lustgefühl verstehen) besteht nicht darin, daß man Erfolg gehabt hat, sondern daß man Erfolg hat.
8. Es gibt wenige Dinge in dieser Welt, die nicht eine Mischung aufweisen von gut und übel, oder auch eine Kette bilden aus beiden, deren Glieder notwendig so miteinander verknüpft sind, daß wir nicht das eine nehmen können, ohne zugleich das andere mitzubekommen; zum Beispiel, die Freuden der Sünde und die Bitterkeit der Strafe sind untrennbar, wie es auch in der Regel harte Arbeit und Ehre sind. Wenn nun in der ganzen Kette der größere Teil gut ist, wird die ganze Kette gut genannt; wenn aber das Übel überwiegt, nennt man die ganze Kette übel.
9. Es gibt zwei Arten von Lustgefühlen oder Genüssen; die eine Art berührt, wie es scheint, das körperliche Organ der Sinnesempfindung, und diese nenne ich die sinnlichen. Das stärkste dieser Gefühle ist jenes, wodurch wir veranlaßt werden, unsere Art fortzupflanzen; das nächste, wodurch ein Mensch veranlaßt wird, Nahrung zu sich zu nehmen und so sein individuelles Dasein zu erhalten. Die andere Art der Lustgefühle ist keinem besonderen Teile des Körpers eigentümlich; sie äußert sich als Heiterkeit des Gemüts und wird Freude genannt. Ebenso verhält es sich mit den Leiden; einige erstrecken sich auf den Körper und heißen körperliche Leiden; dagegen andere nicht, und diese letzteren nennt man Kummer.
1., 2. Worin die sinnlichen Genüsse bestehen. 3., 4. Über die Vorstellung oder das Wesen der Kraft. 5. Ehre, ehrwürdig, Wert. 6. Ehrenbezeugungen. 7. Ehrfurcht.
1. In dem ersten Abschnitt des vorangegangenen Kapitels habe ich dargelegt, daß jene Bewegung und Erschütterung des Gehirns, die wir Vorstellung nennen, sich bis zum Herzen fortpflanzt und hier Gefühl oder Leidenschaft genannt wird; ich habe mich dadurch verpflichtet, nachzuforschen, soweit ich immer kann, und anzugeben, aus welcher Vorstellung jedes einzelne jener Gefühle entspringt, von denen wir gewöhnlich Kenntnis nehmen. Denn die Dinge, die gefallen und mißfallen, sind unzählbar und wirken nach unzähligen Richtungen hin, aber die Menschen haben von den Gefühlen, die von diesen Dingen herrühren, nur sehr wenige beachtet, und viele dieser Gefühle sind auch ohne Benennung geblieben.
2. Zunächst müssen wir ins Auge fassen, daß es drei Arten von Vorstellungen gibt. Die eine Art ist die, welche gegenwärtig ist: Empfindung; die andere jene, welche vergangen ist: Erinnerung; und die dritte jene, welche zukünftig ist und die wir Erwartung nennen; alle diese sind ausführlich erörtert im zweiten und dritten Kapitel. Jede dieser Vorstellungen ist ein gegenwärtiges Lustgefühl. Und was zunächst die körperlichen Lustgefühle betrifft, die sich auf den Gefühls- und Geschmackssinn beziehen, so wurzelt, soweit sie organisch sind, ihre Vorstellung in der Empfindung; ebenso auch das Lustgefühl aller natürlichen Entleerungen; alle diese Gemütsbewegungen habe ich vorher sinnliche Genüsse genannt und das Gegenteil derselben sinnliche Leiden. Zu diesen kann man auch das Vergnügen oder Mißvergnügen an Gerüchen rechnen, wenn man findet, daß es einen Geruch gibt, der organisch ist, was sie meistens nicht sind, wie dies auch die Erfahrung lehrt, daß dieselben Gerüche, wenn sie von andern Personen auszugehen scheinen, mißfallen, obgleich sie von uns selbst herrühren; aber wenn wir glauben, daß sie von uns selbst kommen, mißfallen sie nicht, obgleich sie von andern ausgegangen sind; das Mißvergnügen daran ist demnach eine Vorstellung der Schädlichkeit oder des Ungesundseins und ist folglich die Vorstellung von einem künftigen, nicht von einem gegenwärtigen Übel. Was die Genüsse des Gehörsinns betrifft, so sind sie verschiedenartig, und das Organ selbst wird dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen. Einfache Töne gefallen durch ihre Aufeinanderfolge und Gleichmäßigkeit, wie die Töne einer Glocke oder Laute; insofern scheint es, daß eine fortgesetzte Gleichförmigkeit, die auf das Ohr durch die Erschütterung eines Gegenstandes einwirkt, ein Vergnügen ist; das Gegenteil nennt man einen Mißton, wie es das Knirschen oder Kratzen ist und einige andere Töne, die nicht immer, sondern nur manchmal auf den Körper wirken, und das mit einer Art von Schauder, der bei den Zähnen beginnt. Die Harmonie, d. h. viele zusammenklingende Töne, gefällt aus demselben Grunde wie der Gleichklang, d. i. der Ton gleicher Saiten, die in gleicher Höhe gespannt sind. Töne, die in ihrer Höhe verschieden sind, gefallen durch die abwechselnde Ungleichheit und Gleichheit; d. h. der höhere Ton wird zweimal angeschlagen während eines einmaligen Tönens des anderen, und so treffen sie jedes zweite Mal zusammen. Dies wird gut bewiesen durch Galileo in dem ersten Dialog über lokale Bewegungen, wo er auch zeigt, daß zwei Töne, die um ein Fünftel an Höhe differieren, dem Ohre angenehm sind, wenn eine Gleichheit im Ertönen auf zwei Ungleichheiten folgt, denn der höhere Ton trifft das Ohr dreimal, wenn der andere es zweimal trifft. In gleicher Weise zeigt er, worin bei anderen Tondifferenzen das Vergnügen am Einklang und das Mißvergnügen am Mißklang besteht. Es gibt aber noch ein anderes Vergnügen und Mißvergnügen an Klängen, und dieses besteht in der Aufeinanderfolge der an Akzent und Intervallen verschiedenen Töne, und diejenige Aufeinanderfolge, die uns angenehm ist, nennen wir Melodie. Aber aus welchem Grunde die Aufeinanderfolge in einem Ton und Intervall eine bessere Melodie ist als die in einem andern, das bekenne ich nicht zu wissen; aber ich vermute, der Grund ist, daß einige Töne und Intervalle gewisse Gefühle nachahmen und wachrufen, um die wir uns sonst nicht kümmern, andere dagegen nicht. Denn jede Melodie gefällt nur eine Zeitlang, ebenso wie die Nachahmung. Auch die Reize für das Auge bestehen in einer Gleichförmigkeit der Farben. Denn das Licht – die prächtigste aller Farben – wird durch gleichförmiges Wirken des Objektes hervorgebracht, während die Farbe ein (getrübtes d. h.) ungleiches Licht ist, wie Kapitel II Abschnitt 8 gesagt wurde. Und daher sind Farben um so glänzender, je mehr Gleichheit in ihnen ist. Und wie die Harmonie eine Lust für das Ohr ist, die aus verschiedenartigen Tönen besteht, so kann vielleicht eine Mischung aus verschiedenen Farben mehr als eine andere Mischung eine Harmonie für das Auge sein. Doch gibt es noch einen andern Genuß durch das Ohr, der sich indessen nur bei geschickten Musikern findet; dieser ist von anderer Natur und bezieht sich nicht (wie die besprochenen Reize) bloß auf die Gegenwart, sondern ist eine Freude an der eigenen Geschicklichkeit. Dieser Art sind auch die Gefühle, von denen ich nunmehr sprechen will.
3. Die Vorstellung von der Zukunft ist lediglich ein Bild derselben, das sich formt nach der Erinnerung dessen, was vergangen ist. Und unsere Vorstellung, daß etwas in der Zukunft sein wird, geht so weit, als wir wissen, daß etwas in der Gegenwart vorhanden ist, welches die Kraft hat, jenes Etwas hervorzubringen. Daß aber irgend etwas jetzt die Kraft haben wird, etwas anderes zu erzeugen, können wir nur wissen aus der Erinnerung, welche uns sagt, daß jenes Etwas früher dergleichen hervorgebracht hat. Alle Vorstellung von der Zukunft ist daher die Vorstellung von einer Kraft, die imstande ist, etwas hervorzubringen. Wer daher irgendeinen Genuß von der Zukunft erwartet, muß sich zugleich irgendeine Kraft in sich selbst vorstellen, wodurch jener Genuß bewirkt werden kann. Und da die Gemütsbewegungen, von denen ich nun zunächst sprechen muß, in einer Vorstellung von der Zukunft bestehen, d. h. in der Vorstellung einer Kraft, die gewesen ist, und eines Wirklichen, das sein wird, so muß ich, ehe ich weitergehe, zunächst etwas über diese Kraft sagen.
4. Unter dieser Kraft verstehe ich nichts anderes, als die körperlichen und geistigen Fähigkeiten oder Anlagen, die im ersten Kapitel erwähnt wurden, nämlich des Körpers: Ernährung, Fortpflanzung, Bewegung; des Geistes: Erkenntnis. Und außer diesen jene weiteren Kräfte oder Vermögen, die durch sie erworben werden, nämlich Reichtum, Autorität, Freundschaft oder Gunst und Glück, welch letzteres tatsächlich nichts anderes ist als die Gunst des allmächtigen Gottes. Das Gegenteil von diesen sind: Unvermögen, Siechtum oder andere Gebrechen an den genannten Fähigkeiten. Und da die Macht eines Mannes den Wirkungen der Macht eines andern widersteht und hinderlich ist, so ist Macht schlechthin nichts anderes als das Übergewicht der Macht des einen über die des andern. Denn gleiche Kräfte, die sich feindlich entgegentreten, vernichten sich gegenseitig, und diese ihre Gegensätzlichkeit heißt Streit.
5. Die Zeichen, an denen wir unsere eigene Kraft oder Macht erkennen, sind jene Tätigkeiten, welche von dieser Kraft ausgehen, und die Zeichen, woran andere sie erkennen, sind solche Tätigkeiten und Gebarungen, die Mienen und die Sprache, worin jene Kraft sich gewöhnlich äußert. Die Anerkennung dieser Kraft aber nennen wir Ehre; und einem Mann Ehre erweisen (innere Ehre) ist, es erkennen oder anerkennen, daß er an Macht jenen überragt, der mit ihm wetteifert und sich mit ihm vergleicht. Und ehrenvoll sind jene Eigenschaften, um derentwillen ein Mensch bei einem andern die Macht oder Übermacht über seinen Mitbewerber anerkennt. Wie zum Beispiel: Schönheit der Person, die in einem lebhaften Gesichtsausdruck und anderen Zeichen natürlicher Wärme besteht, ist ehrenvoll, da dies Zeichen bedeutender Zeugungs- und Lebenskraft sind; so auch allgemeines Ansehen unter dem andern Geschlecht, weil dies dieselben Eigenschaften voraussetzt. – Und Taten, die aus körperlicher Stärke oder offener Gewalt entspringen, sind ehrenvoll als Zeichen überlegener Gewandtheit und Stärke, z. B. Sieg in der Schlacht oder im Duell, et à avoir tué son homme. – Ebenso auch große Heldentaten zu unternehmen und Gefahren zu bestehen, da sie die hohe Meinung zeigen, die wir von unserer eigenen Stärke haben, und jene Meinung ein Zeichen dieser Stärke selbst ist. – Und zu lehren oder zu überzeugen, ist ehrenvoll, weil es Zeichen von Wissen ist. – Und Reichtümer sind ehrenvoll, als ein Zeichen der Macht, durch die sie erworben wurden. – Und Geschenke, Kostbarkeiten, Pracht der Wohnung, der Gewänder und dergleichen sind ehrenvoll, als Zeichen des Reichtums. – Und Adel ist ehrenvoll in der Erwägung, daß er ein Zeichen von der Macht der Vorfahren ist. – Und die Autorität, weil sie ein Zeichen der Stärke, der Weisheit, der Gunst oder des Reichtums ist, wodurch sie erworben ward. – Und Glück oder zufälliges Gelingen ist ehrenvoll, weil ein Zeichen der Gnade Gottes, dem alles zuzuschreiben ist, was uns das Glück beschert, nicht weniger als das, was wir durch unseren Fleiß erreichen. – Und das Gegenteil oder der Mangel an diesen Eigenschaften ist unehrenvoll, und nach den Zeichen der Ehre und der Unehre bemessen und schätzen wir den Wert eines Menschen. Denn so viel ist ein Ding wert, als jemand für allen Nutzen, den es haben kann, geben wird.
6. Die Zeichen der Ehre sind jene, an denen wir merken, daß ein Mann die Macht und den Wert eines andern anerkennt. Solche sind z. B.: loben, rühmen; segnen oder glücklich preisen; bitten oder anflehen; danken; anbieten oder darreichen; gehorchen; mit Aufmerksamkeit zuhören; achtungsvoll anreden; sich bescheiden nähern; sich in respektvoller Entfernung halten; vorangehen lassen und dergleichen mehr; dies sind Ehrenbezeugungen, die der Untergebene dem Höherstehenden erweist.
Aber die Ehrenbezeugungen des Höherstehenden gegen den Untergebenen sind solche wie diese: ihn loben oder ihn seinen Mitbewerbern vorziehen; ihn williger anhören; vertrauter mit ihm sprechen; ihn näher herantreten lassen; ihn eher beschäftigen; ihn eher zu Rate ziehen; seine Ansichten achten und gern hören; ihm irgendein Geschenk geben eher als Geld, oder wenn Geld, dann so viel, daß es nicht auf den Mangel an Kleinigkeiten schließen läßt; denn Mangel an geringen Dingen ist eine größere Armut als der Mangel an großen. Und dies genügt als Beispiele der Zeichen von Ehre und Macht.
7. Ehrfurcht ist die Vorstellung, die wir von einem andern haben, dahin gehend, daß er die Macht besitzt, uns sowohl zu nützen als zu schaden, aber nicht den Willen, uns zu schaden.
8. In dem Vergnügen oder Mißvergnügen der Menschen, das aus den ihnen erwiesenen Bezeugungen der Ehre oder Unehre sich ergibt, besteht im besonderen das Wesen der Gemütsbewegungen, worüber ich im nächsten Kapitel sprechen werde.
1. Stolz, Ehrgeiz, Dünkel, Eitelkeit. 2. Demut und Niedergeschlagenheit. 3. Scham. 4. Mut. 5. Ärger. 6. Rachsucht. 7. Reue. 8. Hoffnung. Verzweiflung, Mißtrauen. 9. Vertrauen. 10. Mitleid und Herzenshärte. 11. Empörung. 12. Eifersucht und Neid. 13. Lachen. 14. Weinen. 15. Begierde. 16. Liebe. 17. Nächstenliebe. 18. Bewunderung und Wißbegier. 19. Von der Empfindung derer, die zusammenströmen, um eine gefährliche Lage zu sehen. 20. Von der Kühnheit und dem Kleinmut. 21. Ein Bild der Empfindungen, die bei einem Rennen zum Ausdruck kommen.
1. Stolz oder inneres Frohlocken oder Triumph des Geistes ist der Affekt, der von der Vorstellung oder dem Begriff unserer eigenen Macht herrührt, die der Macht dessen, der mit uns kämpft, überlegen ist. Die äußeren Anzeichen, die sich neben der Haltung und anderen Gebärden des Körpers kundtun, sind Prahlerei im Reden und Übermut im Handeln; und dieser Affekt wird von denen, bei denen er Mißfallen erregt, Hochmut genannt, diejenigen aber, denen er gefällt, bezeichnen sie als richtige Selbstschätzung. Die Vorstellung unserer Macht und unseres Wertes kann sich auf eine zuverlässige Erfahrung unserer eigenen Handlungen stützen, und dann ist dieser Stolz gerechtfertigt und wohlbegründet und erzeugt den Wunsch, ihn durch weitere Taten zu erhöhen; darin liegt ein Verlangen, das wir Ehrgeiz nennen oder das Fortschreiten von einer Machtstufe zur anderen. Derselbe Affekt kann außer von irgendeinem Bewußtsein unserer eigenen Handlungen auch von Stolz oder dem Zutrauen anderer herrühren, wobei man gut von sich selbst denken und sich doch irren kann; und dies ist Dünkel, und der daraus entspringende Ehrgeiz führt zu Mißerfolgen. Außerdem ist die Erdichtung, die auch Einbildung ist, daß wir Handlungen vollführt haben, die nie vollführt wurden, Prahlerei; aber da sie kein Verlangen, kein Streben nach weiteren Unternehmungen hervorruft, ist sie nur eitel und nutzlos; wie wenn ein Mensch sich vorstellt, daß er Handlungen vollführt hat, von denen er in irgendeiner Dichtung gelesen hat, oder daß er irgendeinem anderen Menschen gleiche, dessen Taten er bewundert. Und dies heißt Eitelkeit und wird durch die Fliege in der Fabel veranschaulicht, die auf der Radachse sitzt und zu sich selber spricht: Welchen Staub wirble ich auf! Ausdruck der Eitelkeit ist jener Wunsch, den einige Scholastiker fälschlich für eine Art von Verlangen halten, das sich von allen anderen unterscheide, und Velleität genannt haben, womit sie ein neues Wort prägten, wie sie einen neuen Affekt erfanden, den es früher nicht gab. Zeichen der Eitelkeit im Betragen sind Nachahmung von anderen, Fälschung und Anmaßung der Zeichen von Tugenden die man nicht besitzt, Modenarrheit, Jagd nach Ehre auf Grund eigener Träume und anderer kleiner Geschichten über sich selbst, sein Land, seinen Namen und dergleichen.
2. Der Affekt, welcher im Gegensatz zum Stolz aus der Furcht vor der eigenen Unzulänglichkeit entsteht, wird von denen, die ihn schätzen, Demut genannt; von den übrigen Niedergeschlagenheit und Armseligkeit; diese Vorstellung kann gut oder schlecht begründet sein; wenn gut, erzeugt sie die Furcht vor übereiltem Handeln, wenn schlecht, kann man sie als eitle Furcht bezeichnen, im Gegensatz zum eitlen Stolz; sie besteht dann in der Furcht vor der Gewalt, ohne daß andere Zeichen des kommenden Vorgangs vorhanden sind, so wie Kinder aus Gespensterfurcht sich scheuen, ins Dunkle zu gehen und alle Fremden als Feinde fürchten. Dies ist ein Gemütszustand, der einen Menschen so einschüchtert, daß er weder öffentlich zu sprechen wagt noch für irgendeine Tat einen guten Erfolg erhofft.
3. Es kommt zuweilen vor, daß jemand, der eine gute Meinung von sich selbst hat, und dies mit vollem Recht, trotzdem, infolge des Eifers, den dieser Affekt erzeugt, in sich selbst einen Mangel oder eine Schwäche entdeckt, deren Erinnerung ihn bedrückt; diese Empfindung wird Scham genannt, die auf seinen Eifer ernüchternd und hemmend einwirkt und ihn dadurch für die Zukunft vorsichtiger macht. Der Affekt ist nicht nur ein Zeichen von Schwäche, welche Unehre bedeutet; er ist auch ein Zeichen von Selbsterkenntnis, die ehrenvoll ist. Sie äußert sich in Erröten, das bei Menschen, die sich ihrer eigenen Fehler bewußt sind, seltener vorkommt, weil sie die Schwächen, die ihnen bekannt sind, weniger leicht verraten.
4. Mut ist im weitesten Sinne die Abwesenheit von Furcht angesichts einer beliebigen Gefahr; aber in einer engeren und gemeineren Bedeutung ist er die Verachtung von Wunden und Tod, die einem Menschen den Weg zu seinem Ziele versperren.
5. Zorn (oder plötzlicher Mut) ist nichts weiter als das Verlangen oder der Wunsch, vorhandene Widerstände zu überwinden. Man hat ihn gewöhnlich als Kummer aufgefaßt, der einem Gefühl der Verachtung entspringt; dies wird aber durch die häufige Erfahrung widerlegt, daß unser Zorn durch leblose Dinge ohne Wahrnehmungsvermögen erregt wird, die uns folglich nicht verachten können.
6. Rachsucht ist der Affekt, welcher aus der Erwartung oder Vorstellung entsteht, daß derjenige, der uns verletzt hat, seine eigene Handlung als nachteilig für sich selbst erkennen und dies zugeben müsse; und dies ist die Höhe des Rachegefühls. Denn obwohl es nicht schwer ist, Böses mit Bösem zu vergelten und dadurch die Unzufriedenheit des Gegners über seine eigene Tat hervorzurufen, so ist es doch so schwierig, ihn zur Anerkennung dessen zu bringen, daß mancher es vorzieht zu sterben, ehe er sich dazu versteht. Die Rache will nicht den Tod, sondern die Gefangenschaft und Unterwerfung eines Feindes; dies kommt besonders gut in den Worten Tiberius Cäsars zum Ausdruck, die er äußerte, als sich ein Mann, um seine Rache zu vereiteln, im Gefängnis das Leben genommen hatte: Ist er mir entflohen? Tod ist das Ziel derer, die hassen, um die Furcht los zu werden; die Rache will den Triumph, den es über die Toten nicht gibt.
7. Reue ist der Affekt, welcher aus der Meinung oder Erkenntnis entsteht, daß die Handlung, die man vollführt hat, außerhalb des Weges liegt, der zu dem Ziele führt, das man erreichen möchte. Daraus ergibt sich, daß man diesen Weg nicht länger verfolgen, sondern sich unter Berücksichtigung des Zieles einen besseren aussuchen soll. Die erste Regung in diesem Affekt ist daher Kummer. Aber die Erwartung oder Vorstellung, daß man den Weg wiederfindet, ist Freude. Folglich ist das Gefühl der Reue aus beiden zusammengesetzt und gemischt, aber die Freude herrscht vor, sonst wäre das Ganze Schmerz, und das ist unmöglich. Denn sobald derjenige, der dem Ziele zuschreitet, freundliche Vorstellungen hat, geht er mit Verlangen vorwärts. Und Verlangen ist Freude, wie im Kapitel VII, Abschnitt 2 gesagt wurde.
8. Hoffnung ist die Erwartung künftiger Freuden, wie Furcht die Erwartung von Unglück ist; aber wenn es Ursachen gibt, von denen einige uns Gutes, andere Übles erwarten lassen, die uns abwechselnd im Geiste beschäftigen: wenn die Gründe, die uns Gutes erwarten lassen, schwerer wiegen als diejenigen, die uns Übles erwarten lassen, dann ist der ganze Affekt Hoffnung; im umgekehrten Falle ist das Ganze Furcht. Das vollkommene Fehlen jeder Hoffnung ist Verzweiflung, ein Grad davon Mißtrauen.
9. Vertrauen ist eine Empfindung, die aus dem Glauben an jemand entsteht, von dem wir Gutes erwarten oder erhoffen und die so frei von Zweifel ist, daß wir keinen anderen Weg verfolgen, um es zu erreichen. Und Mißtrauen ist der Zweifel, der uns veranlaßt, uns nach anderen Mitteln umzusehen. Und daß dies die Bedeutung der Worte Vertrauen und Mißtrauen ist, erhellt daraus, daß ein Mensch nur dann einen anderen Ausweg sucht, wenn er das Mißtrauen hegt, daß der erste nicht gut ist.
10. Mitleid ist die Einbildung oder Erdichtung künftigen Unglücks für uns, die dem Anblick des augenblicklichen Unglücks eines Menschen entspringt; wenn es diejenigen trifft, von denen wir glauben, daß sie es nicht verdient haben, ist das Mitleid größer, weil es dann wahrscheinlicher ist, daß es auch uns zustößt. Denn das Unglück, das einem unschuldigen Menschen zustößt, kann jedem Menschen zustoßen. Wenn wir jedoch einen Menschen um großer Verbrechen willen leiden sehen, von denen wir nicht leicht vorstellen können, daß sie uns selbst zur Last fallen, so ist das Mitleid weniger groß. Darum bemitleiden die Menschen diejenigen, die sie lieben, denn diejenigen, die sie lieben, halten sie des Guten wert und daher nicht wert des Unglückes. Daher kommt es auch, daß Menschen die Laster von einigen bemitleiden, die sie niemals vorher gesehen haben; und aus diesem Grunde findet jeder schmucke Kerl bei den Frauen Mitleid, wenn er zum Galgen geht. Das Gegenteil von Mitleid ist Herzenshärte, die entweder aus Sorgsamkeit der Einbildungskraft oder aus der überheblichen Meinung, daß einem ein gleiches Unglück nicht zustoßen könne oder aus dem Hasse, den wir für alle oder die meisten Menschen hegen, entspringt.
11. Entrüstung ist der Kummer, der in der Vorstellung liegt, daß diejenigen, die wir dessen nicht für wert halten, Erfolg haben. Da nun die Menschen alle diejenigen, die sie hassen, für unwürdig halten, so halten sie diese nicht nur des Glückes, das sie besitzen, für unwert, sondern auch ihrer eigenen Tugenden. Von allen Gemütsbewegungen werden diese beiden, nämlich Entrüstung und Mitleid, am leichtesten erregt und durch Beredsamkeit gesteigert; denn die Verschlimmerung des Unglücks und die Verkleinerung des Fehlers steigert das Mitleid. Und die Abschwächung des Wertes der Person im Verein mit der Vergrößerung seines Erfolges (welches die Eigenschaften des Redners sind), können diese beiden Empfindungen in Raserei verwandeln.
12. Eifersucht ist der Schmerz, sich durch einen Konkurrenten übertroffen zu sehen, wobei gleichzeitig die Hoffnung besteht, ihm mit der Zeit durch eigene Fähigkeiten gleichzukommen oder ihn auszustechen. Aber Neid ist derselbe Kummer, in Verbindung mit dem Vergnügen, welches die Vorstellung eines Mißgeschickes, das dem anderen zustoßen kann, bereitet.
13. Es gibt einen Affekt der keinen Namen hat, aber er äußert sich in jener Gesichtsverzerrung, die wir Lachen nennen, das immer Freude bedeutet; welche Freude aber, was wir denken und worüber wir triumphieren, wenn wir lachen, das hat bisher noch von niemand festgestellt werden können. Daß es in Witz, oder wie man es nennt, in Scherz besteht, wird durch die Erfahrung widerlegt; denn Menschen lachen über Mißgeschick und Unziemlichkeiten, in denen weder Witz noch Scherz liegt. Und da dieselbe Sache nicht mehr lächerlich ist, sobald sie alt oder abgenutzt ist, muß das, was auch immer die Lachlust erregt, neu und unerwartet sein. Die Menschen lachen oft (besonders solche, die nach Beifall für alles haschen, was sie gut gemacht zu haben glauben) über ihre eigenen Handlungen, wenn sie ihre eigenen Erwartungen auch noch so wenig übertreffen, wie auch über ihre eigenen Scherze, und in diesem Falle steht es fest, daß die Lachlust aus einer plötzlich auftauchenden Vorstellung einer Geschicklichkeit entsteht, die sie in sich selbst finden. Auch lachen die Menschen über die Schwächen von anderen, die ihre eigenen Fähigkeiten in das rechte Licht bringen. Die Menschen lachen auch über Scherze, deren Witz darin besteht, daß Abgeschmacktheiten von anderen in eleganter Form aufgedeckt und ihnen mitgeteilt werden. Und in diesem Falle ist es offenbar, daß der Affekt des Lachens aus der plötzlichen Vorstellung einer Fähigkeit in dem Lachenden selber entspringt; denn wodurch bildet man sich leichter eine gute Meinung von sich selbst als durch den Vergleich mit den Schwächen und Geschmacklosigkeiten eines anderen? Denn wenn über uns selbst ein Scherz gemacht wird oder über Freunde, an deren Unehre wir teilhaben, lachen wir niemals darüber. Ich darf daher den Schluß ziehen, daß die Lachlust nur ein plötzlich auftauchender Stolz ist, der sich unmittelbar aus der Vorstellung irgendeiner Überlegenheit unserer eigenen Persönlichkeit im Vergleich mit den Schwächen der anderen oder solchen, die wir früher selbst besaßen, ergibt; denn die Menschen lachen über die von ihnen selbst früher begangenen Dummheiten, wenn sie sich ihrer plötzlich erinnern, es sei denn, daß sie ihnen im Augenblick Unehre machen. Es ist daher kein Wunder, daß die Menschen es hassen, verlacht und verhöhnt zu werden, was soviel heißt, daß man über sie triumphiert. Ein Lachen über Absurditäten und Schwächen beleidigt nicht, wenn es von den Personen absieht, und die ganze Gesellschaft zusammen lachen kann. Denn wenn jemand für sich lacht, werden alle anderen stutzig und prüfen sich selbst; außerdem ist es Eitelkeit und zeugt von geringem Wert, wenn einem die Schwächen der anderen zu einem billigen Triumph verhelfen sollen.
14. Der entgegengesetzte Affekt, der sich in einer anderen Gesichtsverzerrung mit Tränen äußert, wird Weinen genannt und ist die plötzliche Vorstellung eines Mangels; und darum weinen Kinder häufig; denn da sie glauben, daß ihnen alles, was sie begehren, gegeben werden müsse, muß notwendigerweise jede Zurückweisung ihren Erwartungen Einhalt tun und ihnen vor Augen führen, daß sie zu schwach sind, um alles zu erlangen, was sie wünschen. Aus demselben Grunde sind Frauen leichter zum Weinen geneigt als Männer, da sie nicht nur mehr gewöhnt sind, ihren Willen zu bekommen, sondern auch ihre Macht an der Macht und Liebe derjenigen zu messen pflegen, die sie beschützen. Männer, die einen Racheplan verfolgen, sind geneigt zu weinen, wenn diese Rache plötzlich aufgehalten oder durch die Reue des Gegners vereitelt wird, und das sind die Tränen der Versöhnung. Auch mitleidige Männer unterliegen diesem Affekt, wenn sie Menschen sehen, die sie bemitleiden, und ihnen plötzlich klar wird, daß sie nicht helfen können. Sonstiges Weinen entsteht bei Männern meistens aus derselben Ursache wie bei Frauen und Kindern.
15. Das Verlangen, das die Menschen Wollust nennen und das Vergnügen, das damit verbunden ist, ist ein sinnlicher Genuß, aber nicht allein das; es ist eine geistige Freude dabei, denn es besteht aus der Verbindung von zwei Arten von Verlangen: man will Gefallen erregen und erfreut werden; und die Freude, die die Menschen empfinden, wenn sie erfreuen, ist nicht sinnlich, sondern ein Genuß oder eine Freude des Geistes, die in der Vorstellung der Macht besteht, daß sie so viel Freude erregen können. Aber der Ausdruck Wollust wird dann gebraucht, wenn man sie verurteilt; sonst wird sie mit dem allgemeinen Wort Liebe bezeichnet; denn der Affekt ist ein und dasselbe unbestimmte Sehnen nach dem anderen Geschlecht, das so natürlich wie der Hunger ist.
16. Von der Liebe, unter der die Freude zu verstehen ist, die der Mensch am Genusse irgendeines gegenwärtigen Guten hat, ist schon im ersten Abschnitt des siebenten Kapitels gesprochen; es ist darunter die Liebe zu verstehen, die die Menschen füreinander empfinden, oder die Freude, die sie gegenseitig an ihrer Gesellschaft haben, weswegen man sagt, daß die Menschen von Natur gesellig sind. Es gibt aber noch eine andere Art von Liebe, die die Griechen Ἔρως nennen, und die gemeint ist, wenn man sagt, daß ein Mann oder eine Frau verliebt ist. Denn wenn dieser Affekt auch nicht ohne Unterschied des Geschlechtes denkbar ist, so nimmt er doch teil an der unbestimmten Liebe, die in dem früher erwähnten Abschnitt behandelt wurde. Es besteht indessen ein großer Unterschied zwischen dem unbestimmten Verlangen eines Mannes und demselben ad hanc beschränkten Verlangen; und das ist die Liebe, die von den Dichtern soviel besungen wird. Aber trotz aller ihrer Verherrlichungen wird sie durch ein Bedürfnis bestimmt, denn sie ist die Vorstellung, daß ein Mann gerade dieses geliebten Menschen bedarf. Die Ursache dieser Leidenschaft liegt nicht immer, nicht einmal zumeist in der Schönheit oder einem anderen Vorzug der Geliebten, wenn nicht zugleich Hoffnung in dem Liebenden lebt; dies kann daraus erschlossen werden, daß bei großem Abstande der Personen voneinander die Größeren sich oft in die Geringeren verliebt haben, aber nicht umgekehrt. Und daher kommt es, daß diejenigen, deren Hoffnungen auf etwas in ihren Personen gegründet sind, meistens mehr Glück in der Liebe haben, als jene, welche ihr Vertrauen auf Ausdrucksformen und Gefälligkeiten setzen; und die, denen wenig daran gelegen ist, mehr als die, denen mehr daran gelegen ist; viele Männer haben dessen nicht acht und verschwenden ihre Huldigungen, wie man einen Pfeil nach dem anderen absendet, bis sie schließlich mit ihren Hoffnungen ihren Verstand verlieren.
17. Es gibt indessen noch einen anderen Affekt, der Liebe genannt wird, aber mehr guter Wille oder Nächstenliebe ist. Ein Mensch hat keinen besseren Beweis für seine eigene Macht, als wenn er sieht, daß er nicht nur imstande ist, seine eigenen Wünsche zu erfüllen, sondern daß er auch anderen in ihren Bestrebungen behilflich sein kann. Und unter diese Vorstellung fällt die Nächstenliebe. Darin ist in erster Linie die natürliche Zuneigung enthalten, die die Eltern für ihre Kinder hegen und welche die Griechen Στοπγή nennen, wie auch die Neigung, die die Menschen empfinden, denen die an ihnen hängen, beizustehen. Das Gefühl aber, das die Menschen häufig veranlaßt, Fremde mit Wohltaten zu überschütten, darf nicht Nächstenliebe genannt werden; sondern entweder Vertrag, wodurch sie Freundschaft zu erkaufen suchen, oder Furcht, die sie veranlaßt Frieden zu erkaufen. Platos Meinung über die ehrenvolle Liebe (die er nach seiner Gewohnheit Sokrates in den Mund legt) kommt in dem Dialog Convivium in folgender Weise zum Ausdruck: daß ein mit Geist oder anderen Tugenden hoch begabter Mensch natürlich irgendeinen schönen Menschen sucht, der die erforderliche Reife und das Begriffsvermögen besitzt, um in ihm ohne sinnliche Rücksichten dieselben oder ähnliche Tugenden zu erzeugen und hervorzubringen. Dieser Gedanke liegt der seiner Zeit berühmten Liebe des weisen, enthaltsamen Sokrates zu dem jungen, schönen Alkibiades zugrunde: in welcher Liebe nicht die Ehre, sondern die Frucht des Wissens gesucht wird – im Gegensatz zur gewöhnlichen Liebe, die, wenn sie auch zuweilen fruchtbar ist, nicht danach strebt, weil die Menschen nur erfreuen und erfreut werden wollen. Es müßte also jene Nächstenliebe sein oder der Wunsch anderen beizustehen und sie zu fördern. Warum sollte der Weise den Unwissenden suchen oder barmherziger gegen schöne als gegen andere Menschen sein? Es liegt zum Teil im Geschmack jener Zeit: wenn Sokrates auch als enthaltsam bekannt war, so können enthaltsame Menschen doch die Empfindung, deren sie sich enthalten, ebensosehr oder in höherem Maße als diejenigen haben, die ihr Verlangen befriedigen; und dies läßt mich argwöhnen, daß diese platonische Liebe rein sinnlich ist; jedoch mit einem ehrenhaften Vorwande für die Alten, Verkehr mit den Jungen und Schönen zu suchen.
18. Da alles Wissen in der Erfahrung seinen Ursprung hat, ist auch jede neue Erfahrung der Anfang neuen Wissens; alles Neue, dem daher ein Mensch begegnet, gibt ihm die Hoffnung und die Gelegenheit, etwas zu wissen, was er bis dahin nicht wußte. Und diese Hoffnung und Erwartung künftigen Wissens, das ihm alles Neue und Seltsame, das ihm widerfährt, vermittelt, nennen wir gewöhnlich Bewunderung, und diese als Verlangen aufgefaßt, wird Wißbegier genannt und ist das Verlangen nach Wissen. Wie der Mensch in der Fähigkeit des Unterscheidens keinerlei Gemeinschaft mit Tieren hat, wenn er die Dinge mit Namen belegt, so wächst er auch mit dem Gefühl der Wißbegier über ihre Natur hinaus. Denn wenn ein Tier etwas ihm Neues oder Fremdes entdeckt, liegt ihm nur daran, festzustellen, ob es ihm wohl Nutzen oder Schaden bringen könnte, und demgemäß kommt es näher heran oder entflieht; ein Mensch dagegen, der sich bei den meisten Ereignissen der Ursache und des Anfangs entsinnt, sucht auch den Ursprung und Grund alles Neuen, das ihm begegnet. Und aus diesem Affekt der Bewunderung und Wißbegier ist nicht nur die Erfindung von Namen entstanden, sondern auch die Setzung der mutmaßlichen Ursachen aller Dinge. Jede Philosophie hat hier ihren Ursprung: die Astronomie ist aus der Bewunderung des gestirnten Himmels entstanden, die Physik aus den seltsamen Wirkungen der Elemente und anderer Körper. Und die Wißbegier ist auch der Gradmesser des Wissens der Menschen, denn in der Jagd nach Reichtum oder Macht (welche dem Wissen gegenüber nur Sinnlichkeit sind), ist es nur eine geringfügige Zerstreuung, darüber nachzudenken, ob es durch die Bewegung der Sonne oder der Erde Tag wird, oder einen sonderbaren Zufall unter einem anderen Gesichtspunkt als den zu betrachten, ob er zu dem erstrebten Ziele führt oder nicht. Da Wißbegier Freude ist, so gilt dies auch für alles Neue, besonders aber für die Neuigkeit, von der sich der Mensch zu Recht oder irrtümlich eine Besserung seines eigenen Zustandes verspricht. Sie stehen in diesem Falle unter dem Einfluß der Hoffnung, die alle Spieler beim Mischen der Karten haben.
19. Es gibt verschiedene andere Affekte, aber sie haben keine Namen; trotzdem sind sie den meisten Menschen bekannt. Ein Beispiel: Woher kommt es, daß Menschen Freude daran haben, von der Küste aus die Gefahr derer zu beobachten, die auf See dem Sturm oder einem Angriff trotzen, oder von einer sicheren Feste zuzusehen, wie zwei Armeen einander auf freien Felde angreifen? Im ganzen genommen ist es sicherlich Freude, denn sonst würden die Menschen für ein solches Schauspiel nicht zusammenströmen. Trotzdem liegt sowohl Freude wie Schmerz darin. Denn wie die Neuigkeit und die Erinnerung der eigenen gesicherten Lage vorhanden ist und Freude bedeutet, so ist auch Mitleid vorhanden, und das ist Schmerz. Aber die Freude ist so vorherrschend, daß die Menschen in solchem Falle gewöhnlich nichts dagegen haben, Zuschauer des Mißgeschicks ihrer Freunde zu sein.
20. Hochherzigkeit ist nichts anderes als Stolz, von dem ich im ersten Abschnitt gesprochen habe, aber ein Stolz, der sich auf das bestimmte Bewußtsein einer Macht gründet, die uns befähigt, unser Ziel mit offnen Karten zu erreichen. Und Kleinmut ist der Zweifel hieran; was also immer ein Zeichen der Eitelkeit ist, ist gleichzeitig ein Zeichen von Kleinmut: denn wenn genug Macht vorhanden ist, gibt sie für den Stolz einen Ansporn zum Ziele. Er äußert sich in der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem wahren oder falschen Ruf, denn wer vom Rufe abhängig ist, trägt den Erfolg nicht in der eigenen Hand. Ebenso sind Listen und Täuschungen Kleinmut, denn sie stützen sich nicht auf unsere eigene Macht, sondern auf die Unwissenheit der anderen. Auch die Neigung zum Zorn, weil sie auf Schwierigkeit des Vorwärtskommens schließen läßt, und ebenso die Prahlerei mit Ahnen, weil alle Menschen lieber ihre eigene Macht in den Vordergrund stellen, falls sie darüber verfügen, als die eines anderen. Auch Feindschaft und Kampf mit tiefer Stehenden ist ein Zeichen des Kleinmuts, denn er entspringt dem Mangel an Macht, den Krieg zu beenden; das Lachen über andere, weil er Stolz über die Schwächen anderer bekundet und ihn nicht aus einer eignen Fähigkeit herleitet. Ebenso Unentschlossenheit, die daraus entsteht, daß man sich nicht mächtig genug fühlt, um die kleinen Schwierigkeiten, die sich den Entschlüssen in den Weg stellen, zu überwinden.
21. Der Vergleich eines Menschenlebens mit einem Wettrennen ist nicht in jedem Punkte zutreffend, eignet sich aber für unseren Zweck so gut, daß wir dadurch fast alle vorher erwähnten Affekte sehen und uns ihrer erinnern können. Dies Rennen darf aber kein anderes Ziel, keinen anderen Ruhm als den kennen, an erster Stelle zu stehen, und darin ist:
Streben Verlangen;
Träge sein Sinnlichkeit;
Andere hinter sich sehen Stolz;
Sie vor sich sehen Demut;
Den Boden mit Rückwärtsschauen verlieren, Eitelkeit;
Angehalten werden Haß;
Umkehren Reue
Atem haben Hoffnung;
Müde sein Verzweiflung;
Streben, den nächsten zu überflügeln, Eifersucht;
Ersetzen oder Verdrängen Neid;
Der Entschluß, ein vorausgesehenes Hindernis zu überwinden, Mut;
Einem plötzlichen Hindernis begegnen Zorn;
Es mit Leichtigkeit überwinden Hochherzigkeit;
Den Boden durch geringfügige Hindernisse verlieren Kleinmut;
Plötzlich fallen ist Neigung zum Weinen;
Einen anderen plötzlich fallen sehen Neigung zum Lachen;
Jemanden überwunden sehen, von dem wir dies nicht wünschen, Mitleid;
Jemanden siegen sehen, von dem wir dies nicht wünschen, Entrüstung;
Fest zusammenhalten Liebe;
Jemandem, der so zu uns hält, helfen Nächstenliebe;
Sich wegen Übereifers schaden Scham;
Stets besiegt werden Unglück;
Stets den nächsten vor uns besiegen ist Glück;
Und das Rennen aufgeben heißt Sterben.
1. Daß die Verschiedenheit des Verstandes nicht in der verschiedenen Zusammensetzung des Gehirns liegt. 2. Daß sie in der Mannigfaltigkeit der Lebenskraft liegt. 3. Von der Dummheit. 4. Von der Einbildungskraft, dem Urteil und Verstand. 5. Von Flüchtigkeit. 6. Vom Ernst. 7. Von der Gediegenheit. 8. Von der Unbelehrbarkeit. 9. Größenwahnsinn. 10. Von den Narrheiten, die sich darauf aufbauen. 11. Vom Wahnsinn und dessen Abstufungen, die eitler Furcht entspringen.
1. Nachdem wir in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt haben, daß die Vorstellung der Menschen eine Folge der Einwirkung äußerer Dinge auf das Gehirn oder irgendwelche innere Substanz des Kopfes ist und daß die Affekte aus der dort entstehenden Veränderung, die zum Herzen geleitet wird, entstehen, müssen wir nun logischerweise (wenn wir sehen, daß die Mannigfaltigkeit der Wissensgrade bei den verschiedenen Menschen viel größer ist, als daß sie der verschiedenen Stimmung des Gehirns zugeschrieben werden dürfte), zu erklären suchen, welche anderen Ursachen die Eigentümlichkeiten und Höchstleistungen, durch die ein Mensch täglich über einen anderen hinausragt, hervorbringen können. Den Unterschied, der aus Krankheit und gelegentlicher Unpäßlichkeit entsteht, übergehe ich an dieser Stelle als nicht zur Sache gehörig und betrachte ihn nur bei Menschen, die im Besitze ihrer Gesundheit und wohlgebildeter Organe sind. Wenn der Unterschied in der natürlichen Stimmung des Gehirns läge, so würde ich nicht einsehen, warum derselbe nicht in erster Linie und am meisten in den Sinnen in Erscheinung treten sollte, die jedoch, da sie für den Weisen und weniger Weisen gleich sind, auf eine gleiche Zusammensetzung des gemeinsamen Organs (nämlich des Gehirns) aller Sinne schließen lassen.
2. Wir wissen aber aus Erfahrung, daß Freude und Schmerz nicht bei allen Menschen aus derselben Ursache entstehen, und daß die Menschen hinsichtlich der körperlichen Konstitution sehr verschieden sind, wobei das, was der Lebenskraft des einen nützlich und förderlich und darum erfreulich ist, die des anderen hemmt und durchkreuzt und darum Schmerz verursacht. Die Verschiedenheit der Verstandeskräfte hat daher ihren Ursprung in den verschiedenen Affekten und in den Zielen, zu denen ihr Verlangen sie führt.
3. Es müssen also die Menschen, deren Ziel irgendein sinnliches Vergnügen ist und die sich gewöhnlich mit Bequemlichkeit, Nahrung und den Be- und Entlastungen ihres Leibes befassen, infolgedessen weniger Wert auf die Vorstellungen legen, die solche Ziele nicht vor Augen haben, wie z. B. die Vorstellung von Ehre und Ruhm, die, wie ich vorher gesagt habe, sich auf die Zukunft beziehen: denn die Sinnlichkeit besteht in Sinnesfreude, die nur den augenblicklichen Genuß kennt und von der Neigung absieht, sich um Dinge zu kümmern, die Ehre bringen; sie macht daher die Menschen weniger wißbegierig und ehrgeizig, so daß die Wege zum Wissen oder anderer Macht für sie weniger in Betracht kommen; in welchen beiden aber die ganze Überlegenheit des Erkenntnisvermögens besteht. Dies nennen die Menschen Dummheit, und sie entsteht aus dem Verlangen nach sinnlichem oder leiblichem Genuß. Und man kann wohl annehmen, daß dieser Affekt von der groben Beschaffenheit und Bewegungsträgheit der Lebensgeister in der Gegend des Herzens herrührt.
4. Einen Gegensatz hierzu bildet die rasche Einstellung des Geistes, die in Kapitel IV Abschnitt 3 beschrieben wurde und mit dem Wunsche verbunden ist, die Eindrücke, die sich dem Geiste aufdrängen, miteinander zu vergleichen. Bei diesem Vergleich freut sich der Mensch entweder darüber, daß er eine unerwartete Ähnlichkeit in Dingen findet, die sonst sehr verschieden sind, worin man den Vorzug der Phantasie zu setzen pflegt; und dort ist der Ursprung der anmutigen Gleichnisse, Metaphern und anderer Redefiguren, durch die Dichter und Redner die Fähigkeit besitzen, die Dinge erfreulich oder unerfreulich zu gestalten und anderen nach ihrem Gefallen Gutes oder Böses zu zeigen; oder aber er freut sich über die plötzliche Entdeckung einer Verschiedenheit in Dingen, die sich sonst zu gleichen scheinen. Und durch diese Tugend des Geistes gelangen die Menschen zur genauen und völligen Erkenntnis: und die Freude daran besteht in dauernder Ausbildung, und in der Unterscheidung von Personen, Orten und Zeiten; sie wird gewöhnlich mit dem Namen Urteil bezeichnet, denn urteilen ist nichts anderes als absondern oder unterscheiden; und Phantasie und Urteil fallen in ihrer Vereinigung gewöhnlich unter den Namen Verstand und scheinen eine Zartheit und Beweglichkeit der Lebensgeister zu sein, im Gegensatz zu der Schwerfälligkeit dieser, die man bei den Dummen vermutet.
5. Es gibt noch einen anderen Fehler des Geistes, der auch geistige Beweglichkeit verrät, jedoch im Übermaß. Der Geist dieser Menschen wird beispielsweise in der Mitte irgendeines ernsthaften Gesprächs durch jeden kleinen Scherz oder eine witzige Bemerkung abgelenkt und kommt durch unwesentliche Dinge vom Thema ab und von diesen wieder durch andere, bis sie schließlich sich von selbst verlieren, oder sie sagen ihre Erzählung wie im Traum oder wie einen eingelernten Unsinn her. Dies hat im Affekte der Wißbegier seinen Ursprung, aber mit zuviel Gleichheit und Gleichgültigkeit; denn wenn alle Dinge den gleichen Eindruck und die gleiche Freude machen, verlangen sie mit gleicher Energie zum Ausdruck gebracht zu werden. Man nennt dies Flüchtigkeit.
6. Die Tugend, die diesem Fehler gegenübersteht, ist Ernst oder Beständigkeit, für die das Ziel die große und alles überragende Freude ist und die daher alle anderen Gedanken nur darauf richtet.
7. Die äußerste Gestalt der Dummheit ist die angeborene Narrheit, die auch Stumpfsinn genannt werden kann; aber das Extrem der Flüchtigkeit, obwohl es eine angeborene Narrheit ist, die sich von der anderen unterscheidet und von jedem Menschen beobachtet werden kann, hat dennoch keinen Namen.
8. Es gibt einen Fehler des Geistes, den die Griechen Ἀμαθία nennen, das ist Unbelehrbarkeit oder langsames Fassungsvermögen, das sich notwendigerweise aus der falschen Vorstellung ergibt, daß man schon über das in Frage Kommende unterrichtet ist. Denn sicherlich sind die Menschen in bezug auf ihre Fähigkeit nicht so verschieden, wie es der Beweis für das, was in der Mathematiklehre und für das, was in anderen Büchern gewöhnlich gelehrt wird, ist; und wenn daher die Geisteskräfte der Menschen alle weißes Papier wären, so würden sie fast gleich geneigt sein, alles anzuerkennen, was ihnen in der richtigen Weise und in richtiger Schlußfolgerung mitgeteilt wird. Aber wenn die Menschen einmal bei unwahren Meinungen sich beruhigt und diese als authentisch in ihrem Geist protokolliert haben, dann ist es ebenso schwer, sich solchen Menschen verständlich zu machen, als leserlich auf einem schon bekritzelten Blatt Papier zu schreiben. Die unmittelbare Ursache der Unbelehrbarkeit ist daher Vorurteil; und aus dem Vorurteil entsteht eine falsche Vorstellung unseres eigenen Wissens.
9. Ein anderer und schwerwiegender Mangel des Geistes ist das, was die Menschen Wahnsinn nennen; es scheint nichts anderes zu sein, als daß irgendeine Vorstellung alle anderen so beherrscht, daß wir keinen Affekt aus einer anderen Quelle haben. Und diese Vorstellung ist nichts als übermäßig eitler Stolz oder eitle Niedergeschlagenheit; wie aus den folgenden Beispielen klar hervorgeht, von denen jedes in irgendeinem geistigen Stolz oder geistiger Niedergeschlagenheit offensichtlich seinen Ursprung hat. Zunächst haben wir das Beispiel eines Menschen, der in Cheapside von einem Wagen, anstatt von der Kanzel, predigte, daß er selbst Christus wäre, worin geistige Überhebung oder Wahnsinn lag. Wir haben auch verschiedene Beispiele für gelehrten Wahnsinn, bei welchem Menschen bei jeder Gelegenheit, die ihnen ihre eigene Fähigkeit in Erinnerung brachte, offenbar abgelenkt wurden. Unter die gebildeten Wahnsinnigen kann man auch diejenigen rechnen (meine ich), die den Zeitpunkt für das Ende der Welt und ähnliche Prophezeiungen verkünden. Und der verliebte Wahnsinn des Don Quijote ist nichts anderes als der Ausdruck eines Grades von eitlem Wahn, wie ihn das Romanlesen bei kleinmütigen Menschen hervorbringt. Auch Wut und Liebesraserei sind nur die großen Entrüstungen von Leuten, in deren Gehirn die Verachtung ihrer Feinde oder ihrer Dulzineen die Vorherrschaft haben. Und der Stolz auf Schönheit oder Benehmen hat schon manchen verrückt gemacht und ihm den Namen eines Phantasten zugezogen.
10. Und wenn dies auch Beispiele für auf die Spitze getriebene Leidenschaften sind, so gibt es in allen viele Beispiele für viele Abstufungen, die man auch als Narrheiten ansprechen kann. Einen Grad der ersten Art von Wahnsinn besitzt ein Mensch, der ohne sicheren Beweis inspiriert zu sein oder sonst eine andere Wirkung von Gottes heiligem Geist, als andere gottesfürchtige Menschen, in sich zu verspüren glaubt. Bei der zweiten Art spricht ein Mensch ständig in einem Cento griechischer und lateinischer Sentenzen anderer Leute. Zu der dritten Art gehört viel von der heutigen Galanterie in Liebe und Duellen. Ein Grad der Wut ist Bosheit und ein Grad von phantastischem Wahnsinn ist die Affektation.
11. Wenn die obigen Beispiele uns den Wahnsinn und seine Abstufungen, die aus übermäßigem Selbstbewußtsein entstehen, veranschaulichen, so gibt es auch andere Beispiele von Wahnsinn und dessen Abstufungen, die von zuviel eitler Furcht und Niedergeschlagenheit herrühren, wie denn schwermütige Menschen sich eingebildet haben, daß sie zerbrechlich wie Glas seien oder eine ähnliche derartige Vorstellung hatten; und die Abstufungen äußern sich in den übertriebenen und grundlosen Befürchtungen, die wir gewöhnlich bei melancholischen Leuten finden.
1., 2. Daß ein Mensch von Natur zur Erkenntnis kommen kann, daß es einen Gott gibt. 3. Daß die Eigenschaften Gottes unsere mangelnde Einbildungskraft oder unsere Ehrfurcht ausdrücken. 4. Die Bedeutung des Wortes Geist. 5. Daß Geist und unkörperlich Widersprüche sind. 6. Woher der Irrtum kommt, durch den die Heiden an Dämonen und Geister glauben. 7. Die Kenntnis des Geistes und der göttlichen Eingebung der Heiligen Schrift. 8. Woher sollen wir wissen, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist? 9., 10. Wie gelangen wir zur Kenntnis der Auslegung der Schrift? 11. Was es heißt, Gott lieben und vertrauen. 12. Was es heißt, Gott ehren und anbeten.
1. Bis dahin haben wir von natürlichen Dingen und den Affekten geredet, die aus ihnen entstehen. Wie wir nun nicht nur den natürlichen Dingen Namen geben, sondern auch den übernatürlichen, und mit allen Namen irgendwelche Begriffe und Vorstellungen verbinden, so folgt daraus zunächst, daß wir uns überlegen, welche Gedanken und geistigen Vorstellungen wir haben, wenn wir den allerheiligsten Namen Gottes oder die ihm zugeschriebenen Eigenschaften in den Mund nehmen, wie auch, welches Bild uns vor Augen tritt, wenn wir den Namen von guten oder bösen Geistern oder Engeln hören.
2. Denn da der allmächtige Gott unbegreiflich ist, so folgt daraus, daß wir uns keine Vorstellung und kein Bild der Gottheit machen können; und demnach drücken alle seine Eigenschaften unser Unvermögen und unsern Mangel an Macht aus, irgend etwas, was mit seiner Natur zusammenhängt, zu begreifen und nicht etwa irgendeine Vorstellung derselben, es sei denn die, daß es einen Gott gibt. Denn die Wirkungen, die wir auf natürliche Weise wahrnehmen, begreifen notwendigerweise eine Macht, die sie hervorbrachte, bevor sie in Erscheinung traten, in sich; und jene Macht setzt etwas voraus, das diese Macht besitzt; und dieses Etwas, das die Macht hat, etwas zu erzeugen, muß, wofern es nicht ewig ist, natürlich auch durch etwas vor ihm erschaffen sein, und dieses wiederum durch irgend etwas, was vorher war: bis wir zu etwas Ewigem kommen, d. h. zur ersten Macht aller Mächte und zur ersten Ursache aller Ursachen. Und dieses bezeichnen alle Menschen mit dem Namen Gott, der Ewigkeit, Unbegreiflichkeit und Allmacht in sich begreift. Und also können alle Menschen, die überlegen, wissen, daß Gott ist, jedoch nicht, was er ist; so wie ein Mensch, obwohl er blind geboren ist und es für ihn nicht möglich ist, irgendeine Vorstellung davon zu haben, was Feuer ist, doch wissen muß, daß es so etwas gibt, das alle Menschen Feuer nennen, weil es ihn wärmt.
3. Und wenn wir Gott dem Allmächtigen Sehen, Hören, Wissen, Lieben und dergleichen zuschreiben, unter welchen Bezeichnungen wir etwas in den Menschen verstehen, mit denen wir sie in Verbindung bringen, so verstehen wir unter ihnen nichts in der Natur Gottes. Denn wie man mit Recht sagt: Soll nicht Gott, der das Auge machte, sehen? oder der das Ohr machte, hören?, so verhält sich dies auch so, wenn wir sagen: Soll nicht Gott, der das Auge machte, ohne Augen sehen? und der das Ohr machte, ohne Ohren hören? oder der das Gehirn machte, ohne das Gehirn wissen? oder der das Herz machte, ohne das Herz lieben? Die Eigenschaften, die daher der Gottheit zugeschrieben werden, drücken also entweder unser Unvermögen oder unsere Ehrfurcht aus; unser Unvermögen, wenn wir sagen: unerforschlich und unendlich; unsere Ehrfurcht, wenn wir ihm die Namen geben, die bei uns die Namen der Dinge sind, die wir am meisten verherrlichen und preisen, wie allmächtig, allwissend, gerecht, gnädig usw. Und wenn der allmächtige Gott sich in der Heiligen Schrift selbst diese Namen gibt, so ist dies nur ἀνθροποπαθῶς d. h., daß er sich herabläßt, in unserer Sprache zu reden, weil wir sonst nicht fähig wären, ihn zu verstehen.
4. Unter der Bezeichnung Geist verstehen wir einen natürlichen Körper, aber von solcher Feinheit, daß er nicht auf die Sinne wirkt, der aber den Platz ausfüllt, den das Bild eines sichtbaren Körpers einnehmen könnte. Unsere Vorstellung von Geist besteht daher in einer Gestalt ohne Farbe; und unter Gestalt verstehen wir Dimensionen: und folglich stellt man sich einen Geist vor, wenn man sich etwas vorstellt, das Dimensionen hat. Aber übernatürliche Geister bedeuten gewöhnlich irgendeine Substanz ohne Dimensionen; diese beiden Worte sind also platte Widersprüche. Und wenn wir daher Gott einen Geist nennen, so geben wir ihm diesen Namen nicht als Namen von irgend etwas, das wir denken, ebensowenig als wenn wir ihm Verstand und Einsicht zuschreiben, sondern als Zeichen unserer Verehrung, die ihn von aller körperlichen Plumpheit loszulösen wünscht.
5. In bezug auf andere Geister, die manche Menschen körperlose, andere körperliche Geister nennen, ist es nicht möglich, nur durch natürliche Mittel mehr zu erfahren, als daß es solche Dinge gibt. Wir, die wir uns Christen nennen, bekennen, daß es gute und böse Engel gibt und daß sie Geister sind und daß die Seele des Menschen ein Geist ist, und daß diese Geister unsterblich sind. Aber dies zu wissen, d. h. es auf natürliche Art zu beweisen, ist unmöglich. Denn jeder Beweis ist Vorstellung, wie im Kapitel VI Abschnitt 3 gesagt wurde, und jede Vorstellung ist Einbildungskraft und geht aus der Sinnesempfindung hervor: Kapitel III Abschnitt 1. Und unter Geistern stellen wir uns die Substanzen vor, die nicht auf die Sinne wirken und darum nicht begreiflich sind. Aber obgleich die Schrift sich zu Geistern bekennt, so sagt sie doch nirgends, daß sie unkörperlich seien, womit sie sagen würde, daß sie ohne Dimensionen und Quantität wären. Ich glaube auch nicht, daß sich das Wort unkörperlich überhaupt in der Bibel findet; aber vom Geist wird gesagt, daß er in den Menschen weilt, zuweilen, daß er in ihnen wohnt oder daß er über sie kommt, daß er herabsteigt und kommt und geht, und daß Geister Engel, d. h. Boten, seien. Alle diese Worte setzen Örtlichkeiten voraus, und Örtlichkeit ist Dimension; und was immer Dimensionen hat, ist ein Körper, wenn er auch noch so fein ist. Mir scheint es daher, als ob die Schrift mehr für diejenigen ist, die Engel und Geister für körperlich halten, als für die, welche an das Gegenteil glauben. Und es ist ein reiner Widerspruch in der Umgangssprache, wenn man von der Seele des Menschen sagt, daß sie tota in toto sei und tota in qualibet parte corporis, was sich weder durch Vernunftsgründe noch Offenbarungen beweisen läßt, sondern der Unwissenheit über Erscheinungen entspringt, die wir Sinnestäuschungen nennen, Bilder, die Kindern im Dunkeln erscheinen und Leuten, die sehr furchtsam sind oder große Einbildungskraft besitzen, wie schon Kapitel III Abschnitt 5 gesagt wurde, wo ich sie Phantasmen nenne. Denn wenn wir sie für Dinge halten, die außer uns wirklich sind, und sehen, wie sie in ihrer seltsamen Art, die Körpern so wenig ähnlich sieht, kommen und verschwinden, was bliebe uns anderes übrig, als sie unkörperliche Körper zu nennen? Das ist aber kein Name, sondern eine sprachliche Sinnwidrigkeit.
6. Es ist wahr, daß die Heiden und alle Völker der Welt anerkannt haben, daß es Geister gibt, die sie meistenteils für unkörperlich halten; danach kann man annehmen, daß ein Mensch, der mit natürlicher Vernunft begabt ist, ohne Kenntnis der Schrift zu der Erkenntnis gelangen kann, daß es Geister gibt. Aber die irrtümliche Schlußfolgerung, die die Heiden daraus ziehen, kann, wie ich früher erwähnte, von der Unkenntnis über die Ursache von Geistern und Hirngespinsten und anderer derartiger Erscheinungen herrühren. Und daher hatten die Griechen ihre Zahl von Göttern, ihre Zahl von Dämonen, guten und bösen, und für jeden Menschen einen Genius; dies ist nicht die Anerkennung der Wahrheit, daß es Geister gibt, sondern ein falscher Begriff von der Macht der Einbildungskraft.
7. Und wenn wir sehen, daß die Kenntnis, die wir von Geistern haben, keine natürliche Kenntnis ist, sondern der Glaube, der sich auf eine übernatürliche Offenbarung stützt, die den Aposteln der Heiligen Schrift geschenkt wurde, so folgt daraus, daß auch die Kenntnis, die wir von der göttlichen Eingebung besitzen, welche das Wirken von Geistern in uns ist, nur von der Schrift herrührt. Die dort gezeigten Zeichen der Eingebung sind Wunder, wenn sie groß sind und nachweislich über das hinausgehen, was Menschenkraft durch Betrug erreichen könnte. Ein Beispiel: Die Eingebung des Elias wurde durch die wunderbare Verbrennung seines Opfers bekannt. Aber die Zeichen, durch die man einen guten von einem bösen Geist unterscheiden kann, sind die gleichen, die für den Unterschied zwischen einem guten und bösen Menschen oder Baum maßgebend sind, nämlich: Taten und Früchte. Denn es gibt Geister der Lüge, die die Menschen zuweilen inspirieren, wie es auch Geister der Wahrheit gibt. Und es wird uns in der Bibel befohlen, die Geister nach ihrer Lehre zu beurteilen, nicht aber die Lehre nach den Geistern. In bezug auf die Wunder hat unser Heiland uns verboten, unseren Glauben nach ihnen zu richten, Matth. 24, 24. Und Paulus sagt, Gal. 1, 8: »So ein Engel vom Himmel euch würde predigen anders usw., der sei verflucht«, woraus hervorgeht, daß wir nicht nach dem Engel urteilen sollen, ob die Lehre wahr ist oder nicht; sondern nach der Lehre, ob der Engel die Wahrheit sagte oder nicht. Ebenso Joh. Kapitel 4, Vers 1: »Glaubet nicht einem jeglichen Geist, denn es sind viel falsche Propheten ausgegangen in die Welt«; Vers 2: »Daran sollt ihr Gottes Geist erkennen; ein jeglicher Geist der da bekennet, daß Jesus Christus in das Fleisch kommen ist, ist von Gott«; Vers 3: »Und ein jeglicher Geist, der nicht bekennet, daß Jesus Christus in das Fleisch kommen, ist nicht von Gott, und dies ist der Geist des Antichrist«; Vers 15: »Welcher nun bekennet, daß Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibet Gott und er in Gott.« Die Kenntnis, die wir daher von guter und böser Eingebung haben, kommt uns nicht durch die Vision eines Engels, der es uns lehrt, noch durch ein Wunder, das es zu bestätigen scheint, sondern durch Übereinstimmung der Lehre mit diesem Artikel und dem Grundgedanken des christlichen Glaubens, der auch wie Paulus 1. Kor. 3, 11 sagt, die einzige Grundlage ist: daß Jesus Christus Fleisch geworden ist.
8. Wenn aber die Eingebung durch diesen Punkt unterschieden wird, und dieser Punkt auf Entscheidung der Schrift hin geglaubt und anerkannt wird, wie (mögen manche fragen) wissen wir, daß die Bibel eine so große Autorität verdient, die nicht geringer ist als die des lebendigen Wortes Gottes? d.h., woher wissen wir, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist? Zunächst ist eins klar: daß, wenn wir unter Wissen unfehlbare und natürliche Wissenschaft verstehen, wie sie im Kapitel VI Abschnitt 4 bestimmt wurde, die auf der sinnlichen Wahrnehmung beruht, so kann man nicht sagen, daß wir es wissen, weil es auf den Vorstellungen beruht, die sinnliche Wahrnehmung erzeugte. Und wenn wir unter Wissen etwas Übernatürliches verstehen, so können wir es nur durch Eingebung wissen, und die Eingebung können wir nur nach der Lehre beurteilen. Es folgt daraus, daß wir auf keinem natürlichen oder übernatürlichen Wege eine Kenntnis davon gewinnen können, die unfehlbare Wissenschaft und Beweis genannt werden könnte. Es bleibt demnach nur, daß die Kenntnis davon, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist, nur Glaube ist. Denn was immer durch natürliche Gründe oder übernatürliche Offenbarung klar wird, heißt nicht Glaube; sonst würde nicht Glaube aufhören, so wenig als Nächstenliebe, wenn wir im Himmel sind. Dies aber widerspricht der Lehre der Heiligen Schrift. Und von den Dingen, die gewiß sind, heißt es nicht, daß wir sie glauben, sondern daß wir sie wissen.
9. Wenn wir also zugeben, daß die Anerkennung, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist, keine Gewißheit, sondern nur Glaube ist und daß der Glaube (Kapitel VI Abschnitt 7) das Vertrauen ist, das wir zu anderen Menschen haben, so scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß die Männer, denen man so vertraut, die heiligen Männer aus Gottes Kirche sind, die seit der Zeit derer, die die wunderbaren Werke des fleischgewordenen allmächtigen Gottes gesehen haben, aufeinander gefolgt sind. Jedoch sagt dies nicht, daß Gott nicht der Schöpfer und die wirksame Ursache des Glaubens ist oder daß der Glaube im Menschen ohne Gottes Geist erzeugt wurde; denn alle die guten Meinungen, die wir gelten lassen und glauben, sind, obwohl sie auf Hören beruhen, und das Hören auf Lehren, welche beide natürlich sind, das Werk Gottes. Denn alle Werke der Natur sind sein und werden dem Geist Gottes zugeschrieben. Wie z. B. Exodus 28, 3: »Und sollst mit allen, die eines weisen Herzens sind und die ich mit dem Geiste der Weisheit erfüllt habe, reden, daß sie Arons Kleider machen für seine Weihe, daß er mein Priester sei.« Der Glaube, mit dem wir daher glauben, ist das Werk von Gottes Geist in dem Sinne, daß der Geist Gottes einem Menschen mehr als anderen Weisheit und Kenntnis in der Arbeit verleiht und auch in anderen Dingen, die zum täglichen Leben gehören, bewirkt, daß ein Mensch etwas glaubt, woran ein anderer aus demselben Grunde nicht glaubt, und daß ein Mensch die Meinungen seiner Vorgesetzten beachtet und ihren Befehlen gehorcht und andere nicht.
10. Und wenn nun unser Glaube, daß die Heilige Schrift Gottes Wort ist, der Zuversicht und dem Vertrauen entspringt, das wir in die Kirche setzen, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß ihre Auslegung dieser Heiligen Schrift im Falle eines Zweifels oder Streites, durch welche der Hauptpunkt, daß Jesus Christus Fleisch geworden ist, nicht berührt wird, sicherer und glaubwürdiger für einen Menschen ist als sein eigenes Denken oder sein »Geist«, d. h. seine eigene Meinung.
11. Was nun die Liebe zu Gott betrifft, so verhält sie sich oft anders wie die im Kapitel IX beschriebenen Affekte. Dort heißt lieben sich über das Bild oder die Vorstellung des geliebten Gegenstandes freuen. Aber Gott ist unbegreiflich; Gott lieben heißt daher in der Heiligen Schrift, seinen Befehlen gehorchen und seinen Nächsten lieben. Auch ist es etwas anderes, ob man Gott oder einander vertraut. Denn wenn ein Mensch einem Menschen vertraut, (Kapitel IX Abschnitt 9) so sieht er von eigenen Bestrebungen ab; tun wir dies aber, wenn wir Gott dem Allmächtigen vertrauen, so sind wir ihm ungehorsam, und wie können wir dem vertrauen, dem wir ungehorsam sind? Gott dem Allmächtigen vertrauen heißt daher, daß wir alles, was wir nicht aus eigener Kraft zu tun vermögen, seinem Willen überlassen. Und das ist dasselbe, wie wenn wir uns nur zu einem einzigen Gott bekennen; das ist das erste Gebot. Und Christus vertrauen, heißt nichts anderes als ihn für Gott bekennen, welches der Hauptartikel unseres christlichen Glaubens ist. Und also ist Christus vertrauen, sich auf ihn verlassen oder wie manche sagen, seine Sorge ganz auf ihn werfen, auch nur das Grundgesetz des Glaubens, nämlich, daß Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist.
12. Gott im innersten Herzen ehren ist dasselbe, was wir gewöhnlich unter den Menschen Ehrfurcht nennen; denn sie ist nichts anderes als die Anerkennung seiner Macht; und sie äußert sich in derselben Weise wie die Ehrfurcht, die wir unseren Vorgesetzten bezeugen, die im Kapitel VIII Abschnitt 6 erwähnt wurde. Wir preisen, verherrlichen, segnen, beten zu ihm und danken ihm, wir bringen ihm Opfer, hören auf sein Wort, sprechen im Gebet achtungsvoll mit ihm, nahen uns ihm mit demütiger Gebärde und bescheidener Miene und schmücken den Gottesdienst mit Pracht und Aufwand von Kosten. Und dies sind natürliche Äußerungen unserer inneren Ehrfurcht. Daher ist das Gegenteil: das Gebet vernachlässigen, unvorbereitet mit ihm sprechen, im nachlässigen Aufzuge zur Kirche gehen, den Ort des Gottesdienstes weniger als das eigene Heim schmücken, seinen Namen in jeder müßigen Rede nennen, ein Zeichen der Verachtung der göttlichen Majestät. Es gibt andere Äußerungen, die willkürlich sind: wie z. B. unbedeckten Hauptes sein (wie wir hier), die Schuhe ablegen, wie Moses im feurigen Busch, und andere dieser Art, die ihrer Natur nach nebensächlich sind, bis, um Unziemlichkeiten und Streit zu vermeiden, unter allgemeiner Zustimmung etwas anderes beschlossen wird.
1. Von der Überlegung. 2. Vom Willen. 3. Von willkürlichen, unwillkürlichen und gemischten Handlungen. 4. Handlungen aus plötzlichem Verlangen sind willkürlich. 5. Verlangen und unsere Affekte nicht willkürlich. 6. Die Erwartung von Belohnung und Strafe beherrscht den Willen. 7. Zustimmung, Streit, Kampf, Hilfe. 8. Einigung. 9. Absicht.
1. Es ist schon erklärt worden, wie äußere Dinge Vorstellungen verursachen und Vorstellungen Verlangen und Furcht, welche die ersten unbemerkten Anfänge unserer Handlungen sind: denn entweder folgt die Handlung unmittelbar dem ersten Verlangen, wie wenn wir etwas plötzlich tun, oder nach unserem ersten Verlangen entstand eine Vorstellung des Unglücks, das uns durch diese Handlungen zustoßen könnte, welche Furcht ist und uns von weiteren Schritten zurückhält. Und auf diese Furcht kann ein neues Verlangen folgen und dem Verlangen eine andere Furcht und so fort, bis die Handlung entweder ausgeführt wird oder irgendein Ereignis eintritt, das sie unmöglich macht, und damit hört der Wechsel von Verlangen und Furcht auf. Diese wechselnde Folge von Verlangen und Furcht während der ganzen Zeit, wo es in unserer Macht steht, zu handeln oder nicht zu handeln, nennen wir Überlegung; dieser Name ist für den Teil der Definition gewählt bei dem gesagt wird, daß sie so lange währt wie die Handlung, die wir überlegen, in unserer Macht steht; solange wir die Freiheit haben, etwas zu tun oder nicht zu tun; und Überlegung bedeutet die Aufhebung unserer eigenen Freiheit.
2. Überlegung fordert daher für die überlegte Handlung zwei Bedingungen: erstens muß sie in der Zukunft liegen; zweitens muß Hoffnung vorhanden sein, sie zu tun oder die Möglichkeit, sie nicht zu tun. Denn Verlangen und Furcht sind Erwartungen der Zukunft; und man kann nichts Gutes ohne Hoffnung erwarten, oder etwas Übles ohne Möglichkeit desselben. Notwendigkeiten bringen daher keine Überlegung mit sich. In bezug auf die Überlegung wird das letzte Verlangen, wie auch die letzte Furcht Wille genannt, das letzte Verlangen der Wille etwas zu tun, die letzte Furcht der Wille etwas nicht zu tun oder etwas zu unterlassen. Es kommt daher auf dasselbe hinaus, ob man Wille oder letzter Wille sagt: denn so ein Mensch seine augenblickliche Neigung und sein Verlangen bezüglich der Verfügung über seine Güter in Wort oder Schrift äußert, so darf es nicht als sein Wille angesprochen werden, weil er noch die Freiheit hat, anders darüber zu verfügen; aber wenn der Tod ihm diese Freiheit nimmt, dann ist es sein Wille.
3. Willkürliche Handlungen und Unterlassungen sind solche, die im Willen ihren Ursprung haben, alle übrigen sind unwillkürlich oder gemischt. Willkürlich ist, was ein Mensch aus Verlangen oder Furcht tut, unwillkürlich, was er aus Naturnotwendigkeit tut, wenn er gestoßen wird oder fällt und dadurch einem anderen nützt oder schadet; gemischt ist, was er aus beiden heraus tut; wie wenn ein Mensch, der ins Gefängnis geführt wird, gegen seinen Willen vorwärtsgezerrt wird und doch aus freiem Willen aufrecht geht, aus Furcht, am Boden entlang geschleift zu werden; wenn er also ins Gefängnis geht, so ist das Gehen willkürlich, ins Gefängnis unwillkürlich. Das Beispiel eines Menschen, der seine Güter über Bord in das Meer wirft, um seine Person zu retten, ist eine vollkommen willkürliche Handlung; denn es ist nichts Unwillkürliches dabei als die Härte der Wahl, die nicht seine Handlung, sondern das Werk der Winde; was er selbst tut, ist nicht mehr gegen seinen Willen als es gegen den Willen desjenigen ist, der Gefahr zu entfliehen, wenn er kein anderes Mittel sieht, um sich zu retten.
4. Willkürlich sind auch die Handlungen, die einem plötzlichen Zorn entspringen oder einem anderen plötzlichen Verlangen bei Menschen, die Gutes und Böses unterscheiden können. Denn bei ihnen muß die Zeit, die dahinterliegt, für Überlegung erachtet werden. Dann nämlich überlegt er auch, in welchen Fällen es gut ist, zu kämpfen, zu spotten oder irgendeine andere Handlung auszuführen, die aus Zorn oder einem ähnlichen plötzlichen Affekt hervorgeht.
5. Verlangen, Furcht, Hoffnung und alle übrigen Affekte werden nicht willkürlich genannt; denn sie entspringen nicht dem Willen, sondern sind Wille, und der Wille ist nicht willkürlich. Denn ein Mensch kann nicht mehr sagen, daß er wollen will, als daß er wollen wollen wird, indem das eine unendliche Wiederholung des Wortes wollen wäre, was absurd und sinnlos ist.
6. Insofern Wille etwas zu tun Verlangen ist, und Wille etwas zu unterlassen Furcht, sind die Beweggründe des Verlangens und der Furcht auch die Ursachen unseres Willens. Aber die Aussicht auf Nutzen oder Schaden, d. h. auf Lohn und Strafe, ist die Ursache unseres Verlangens und unserer Furcht und daher auch diejenige unserer Willensäußerungen, soweit wir glauben, daß die in Aussicht gestellten Belohnungen und Vorteile für uns in Frage kommen. Und infolgedessen sind unsere Willensäußerungen eine Folge unserer Meinungen, und unsere Handlungen folgen auf diese. In diesem Sinne haben diejenigen, die da behaupten, daß die Welt durch Meinung regiert wird, recht.
7. Wenn die Willen vieler auf ein und dieselbe Handlung oder auf ein gleiches Ziel gerichtet sind, so wird diese Einigkeit in ihren Willensäußerungen Einmütigkeit genannt; darunter dürfen wir nicht einen Willen vieler Menschen verstehen, denn jeder Mensch hat seinen besonderen Willen, sondern viele Willen, die auf ein Ziel gerichtet sind. Wenn aber der Wille von zwei verschiedenen Menschen Handlungen erzeugt, die für einander Widerstände bedeuten, so wird dies Streit genannt: und zwischen den Menschen ausgetragen Kampf, wogegen Handlungen, die der Einigkeit entspringen, gegenseitige Hilfe bedeuten.
8. Wenn der Wille vieler sich einem Willen, dem sie mehr oder weniger zustimmen, anschließt oder unterordnet (welches in seiner Wirkung später erklärt wird), dann wird der Zusammenschluß vieler Willen zu einem oder mehreren Einigung genannt.
9. Bei unterbrochenen Überlegungen, wie dies durch Ablenkung auf eine andere Beschäftigung oder durch Schlaf der Fall sein kann, wird das letzte Verlangen dieses Teils der Überlegung Absicht oder Vorsatz genannt.
1., 2. Von Lehren, Überreden, Meinungsverschiedenheit, Zustimmung. 3. Unterschied zwischen Lehren und Überreden. 4. Meinungsverschiedenheiten ergeben sich aus Lehrsätzen. 5. Rat erteilen. 6. Versprechen, drohen, befehlen, Gesetz. 7. Affekte erregen und besänftigen. 8. Worte allein sind keine ausreichenden Zeichen der Absicht. 9. Bei widersprechenden Angaben wird der direkt dargestellte Teil dem, der sich aus Schlußfolgerungen ergibt, vorgezogen. 10. Der Hörer deutet die Sprache dessen, der mit ihm spricht. 11. Schweigen ist manchmal ein Zeichen von Zustimmung.
1. Nachdem wir von den Kräften und Handlungen des Geistes gesprochen haben, sowohl erkennenden als bewegenden und bei einem jeden Menschen für sich ohne Beziehung auf andere betrachtet, so soll jetzt in diesem Kapitel von den Wirkungen derselben Kräfte aufeinander geredet werden; diese Wirkungen sind auch die Merkmale, an denen man erkennt, was ein anderer sich vorstellt und beabsichtigt. Von diesen Zeichen können einige nur schwer nachgeahmt werden, z. B. Handlungen und Gebärden, zumal wenn sie plötzlich sind; ich habe im neunten Kapitel einige als Beispiel bei den verschiedenen Affekten, deren Ausdrucksformen sie sind, angeführt; andere dagegen können nachgeahmt werden, und das sind Rede und Sprache, von deren Anwendung und Wirkung ich jetzt sprechen will.
2. Die erste Anwendung der Sprache ist der Ausdruck unserer Vorstellungen, indem wir bei einem anderen dieselben Vorstellungen erzeugen, die wir selbst haben, und dies wird Lehren genannt, wobei, wenn die Vorstellungen des Lehrenden seine Worte ständig begleiten und aus irgendeiner Erfahrung hergeleitet sind, der Hörer, der sie versteht, die gleiche Überzeugung gewinnt und etwas in sich aufnimmt, von dem man dann sagt, daß er es lernt. Wenn aber diese Überzeugung nicht vorhanden ist, dann wird dies Lehren Überredung genannt und erzeugt beim Hörer nicht mehr, als was der Sprecher selbst besitzt, eine bloße Meinung. Und die Äußerungen zweier einander entgegengesetzter Meinungen, nämlich die Bejahung und Verneinung derselben Sache, wird Meinungsverschiedenheit genannt; aber zwei Bejahungen oder zwei Verneinungen Übereinstimmung der Meinung.
3. Ein untrügliches Zeichen dafür, daß genau und ohne Irrtum gelehrt wird, liegt darin, daß kein Mensch jemals das Gegenteil gelehrt hat, nicht daß einige, wenn auch noch so wenige. Denn die Wahrheit ist gewöhnlich eher auf der Seite der Minderzahl als bei der großen Menge zu finden, wenn es aber bei Meinungen und Fragen, die von vielen ins Auge gefaßt und erörtert werden, vorkommt, daß nicht einer von allen Menschen, die hierbei beteiligt sind, anders denkt wie der andere, dann kann man mit Recht daraus schließen, daß sie wissen, was sie lehren und daß dies sonst nicht der Fall wäre. Und dies tritt am deutlichsten in Erscheinung, wenn wir uns die verschiedenen Gegenstände, an denen die Menschen ihre Federn versucht haben und die mannigfaltigen Wege, die sie verfolgt haben, und die verschiedenen Erfolge, die sie dadurch errungen haben, vergegenwärtigen. Denn die Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, nur den Vergleich von Größen, Zahlen, Zeiten und Bewegungen und deren Verhältnis zu einander zu erforschen, sind daher die Urheber aller jener Errungenschaften, durch die wir uns von den Wilden unterscheiden, die jetzt die verschiedenen Orte Amerikas bewohnen und die auch die Bewohner der Länder gewesen sind, wo heutzutage Kunst und Wissenschaft in höchster Blüte stehen. Denn den Forschungen dieser Männer haben wir die Ausschmückungen zu danken, die durch die Schiffahrt zu uns gelangt sind, die segenbringenden Einrichtungen, die die Teilung, Unterscheidung und Abbildung der Erdoberfläche mit sich brachte; was wir durch die Berechnung von Zeiten und die Voraussage der Himmelsbahn, durch die Messung von Entfernungen, Ebenen und Körpern aller Art gewonnen haben, was durch die Schönheit oder Haltbarkeit von Gebäuden: wenn wir alles dies wegdenken, wodurch würden wir uns von dem wildesten Indianer unterscheiden? Und doch hat man bis auf den heutigen Tag nie von einer Meinungsverschiedenheit über irgendein Problem dieser Art gehört; die Kenntnis derselben ist trotzdem fortwährend erweitert und um höchst schwierige und tiefe Probleme bereichert worden. Der Grund ist jedem, der einen Einblick in ihre Schriften gewinnt, klar; denn sie gehen von den einfachsten und bescheidensten Grundbegriffen aus, die selbst dem mittelmäßigsten Denkvermögen einleuchten, wobei sie dann langsam vorwärtsgehen und mit peinlich genauer Schlußfolgerung, nämlich aus der Beilegung von Namen, die Wahrheit ihrer ersten Behauptung ableiten, und aus den beiden ersten eine dritte und so fort entsprechend den in Kapitel VI Abschnitt 4 erwähnten Erkenntnisstufen. Andererseits haben die Männer, die über Fähigkeiten, Affekte und Sitten der Menschen, d. h. über Moralphilosophie, oder über Politik, Regierung und Gesetze geschrieben haben, worüber wir dicke Bände besitzen, Zweifel und Meinungsverschiedenheiten über die von ihnen behandelten Fragen so wenig beseitigen können, daß sie dieselben größtenteils vervielfältigt haben; auch wird heutzutage niemand auch nur in Anspruch nehmen, daß er mehr wisse, als uns vor 2000 Jahren von Aristoteles überliefert worden ist. Und doch denkt jeder Mensch, daß er auf diesem Gebiete so viel wie irgendein anderer wisse, indem man annimmt, daß es dazu keines Studiums bedarf, sondern daß es einem durch den angeborenen Verstand zufließt, obschon sie spielen und sonst ihren Geist mit der Jagd nach Reichtum und Stellung beschäftigen. Die Ursache davon ist lediglich darin zu suchen, daß sie in ihren Schriften und Reden diejenigen Ansichten, die schon, ob sie nun wahr oder falsch sind, allgemein anerkannt sind – meistens sind sie falsch –, als Grundsätze aufstellen. Daher besteht ein großer Unterschied zwischen Lehren und Überreden; Zeichen des letzteren ist Meinungsverschiedenheit, des ersteren keine Meinungsverschiedenheit.
4. Es gibt zwei Arten von Menschen, die gewöhnlich gelehrt genannt werden: die eine geht augenscheinlich von den einfachsten Grundlagen aus, wie sie im letzten Abschnitt beschrieben wurden, und diese Männer nennt man Mathematiker; die andere bezieht ihre Leitsätze aus ihrer Erziehung und dem Einfluß anderer Menschen oder der Sitte her und nehmen die gewohnheitsmäßige mündliche Rede als Beweisführung; diese Leute nennt man Dogmatiker. Wenn wir nun im letzten Abschnitt sehen, daß die sogenannten Mathematiker von der Schuld, einen Meinungsstreit zu erzeugen, freigesprochen werden müssen, und daß die, die auf Gelehrtheit keinen Anspruch machen, nicht angeklagt werden können, so liegt der Fehler allein bei den Dogmatikern, das heißt denjenigen, die keine umfassende Bildung besitzen und mit Eifer darauf dringen, daß ihre Ansichten überall als Wahrheit ausgegeben werden, ohne daß irgendein deutlicher Beweis aus der Erfahrung oder aus Stellen der Heiligen Schrift, die eindeutig ausgelegt werden können, dafür gegeben wird.
5. Der Ausdruck dieser Vorstellungen, die in uns, während wir überlegen, die Erwartung des Guten entstehen lassen, wie auch derer, die unsere Erwartung des Üblen verursachen, ist das, was wir Rat erteilen nennen. Und wie bei der inneren Überlegung des Geistes bezüglich dessen, was wir tun oder lassen sollen, die Folgen unserer Handlung unsere Ratgeber sind, die sich im Geiste abwechselnd zur Geltung bringen, so verhält es sich auch mit dem Rat, den ein Mensch von anderen Menschen annimmt: die Ratgeber führen abwechselnd die Folgen der Handlung vor Augen, keiner von ihnen überlegt, sondern sie versorgen unter allen anderen nur den, dem ein Rat erteilt wird, mit Beweisgründen, über die er selbst nachdenken muß.
6. Ein anderer Gebrauch wird von der Sprache gemacht, um Verlangen, Absicht und Willen auszudrücken; wie das Verlangen nach Wissen durch Fragen, das Verlangen, daß jemand etwas für uns tun soll durch Forderung, Bitte, Gesuch; eine Ausdrucksform unseres Zweckes oder unserer Absicht ist das Versprechen, welches die Bejahung oder Verneinung einer künftigen Handlung ist; Drohen, welches das Versprechen von Bösem ist und Befehlen, welches die Sprache ist, durch die wir einem anderen unser Verlangen oder unseren Wunsch ausdrücken, daß irgend etwas getan oder unterlassen werden solle aus einem Grunde, der in dem Willen selbst enthalten ist; denn es ist nicht richtig gesagt: Sic volo sic jubeo ohne die andere Klausel Stet pro ratione voluntas: und wenn der Befehl einen genügenden Grund enthält, der uns zu Handlungen treibt, dann wird dieser Befehl Gesetz genannt.
7. Ein anderer Gebrauch der Sprache ist das Aufreizen und Besänftigen, wodurch wir eines anderen Affekte steigern oder abschwächen; es verhält sich damit ebenso wie mit der Überredung: ein wirklicher Unterschied besteht nicht. Denn die Erzeugung von Ansichten und Affekten ist ganz dasselbe; während wir aber bei der Überredung danach streben, aus einem Affekt eine Ansicht zu bilden, ist hier das Ziel, auf Grund einer Ansicht einen Affekt zu erregen. Und wie wenn man aus einem Affekt eine Ansicht entstehen läßt, so sind auch hier alle Voraussetzungen gut genug, um den gewünschten Schluß daraus zu ziehen, und auch hier ist es gleichgültig, ob die Ansicht wahr oder falsch, die Erzählung historisch oder erdichtet ist. Denn nicht die Wahrheit, sondern das Bild ruft Affekte hervor, und ein Trauerspiel ergreift, wenn es gut gespielt wird, nicht weniger als ein Mord.
8. Obgleich Worte die Anzeichen sind, an denen wir unsere gegenseitigen Neigungen und Absichten erkennen, so muß es doch, wegen ihrer häufigen Zweideutigkeit und der Verschiedenheit des Systems und der Gesellschaft in der sie sich befinden (welche die Anwesenheit des Sprechenden, der Anblick seiner Handlungen und die Mutmaßung seiner Absichten uns überwinden helfen müssen) außerordentlich schwer sein, die Meinungen und Gesinnungen der Menschen zu ermitteln, die vor langer Zeit von uns gegangen sind und uns keine anderen Wahrzeichen als ihre Bücher hinterlassen haben; diese können unmöglich ohne genügende geschichtliche Nachweise, um die vorher erwähnten Umstände zu ermitteln und ohne große Geschicklichkeit der Beobachtungsgabe verstanden werden.
9. Wenn ein Mensch uns zwei widersprechende Meinungen vorlegt, von denen die eine klar und deutlich umrissen ist und die andere entweder hiervon durch Schlußfolgerung abgeleitet ist oder ihr anscheinend nicht widerspricht, dann nehmen wir, wenn derjenige, der es besser erklären könnte, nicht anwesend ist, die erste der von ihm vorgebrachten Ansichten an; denn diese ist ganz offensichtlich und unmittelbar die seine, während die andere aus einem Irrtum in der Ableitung oder der Unkenntnis des inneren Widerspruchs herrühren kann. Dasselbe gilt von zwei widersprechenden Ausdrucksformen für die Absicht und den Willen eines Menschen aus dem gleichen Grunde.
10. Wie nun jemand, der mit einem anderen spricht, den Wunsch hat, daß dieser versteht was er sagt, so ist es auch seine Absicht, wenn er entweder in einer Sprache redet, die der Hörende nicht versteht oder irgendein Wort in einem anderen Sinne gebraucht als dem, den nach seiner Meinung der Hörer damit verbindet, daß dieser nicht verstehen soll, was er sagt; dies ist aber ein Widerspruch in sich. Man nimmt daher stets an, daß jeder, der nicht täuschen will, die persönliche Auslegung seiner Sprache denjenigen an die sie gerichtet ist zugesteht.
11. Schweigen ist für diejenigen, welche glauben daß es so aufgenommen wird, ein Zeichen der Zustimmung; denn es erfordert so wenig Mühe ein Nein auszusprechen, daß man annehmen kann, daß derjenige, der es in diesem Falle nicht ausspricht, zustimmt.