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Aber das Volk am Hause zerstreute sich, und in den Gassen
Lagerte stumm und träge die übergewaltige Sonne.
Auch im Gebirg schlief jeglicher Hauch, und die schattige Wohnung
Hütete, wen kein Zwang in die Mittagsgluten hinaustrieb.
Doch nicht ruht das beschwingte Gerücht. Am See in der Fischer
Hütten, im Weinberg auch und in allen ikonischen Häusern,
Bis zu den Stufen der Tempel, den luftigen, wo sich die Bettler
Unter die Säulen geflüchtet, erklang nur immer das eine
Furchtsam leise Gespräch von dem Zauberer, wie ja die Menge
Pflegt, die gedankenlose, die stets sich trägt mit Geschichten.
Mancher, mit wichtiger Miene die Sonn' anblinzelnd, begann wohl:
Das ist auch ein besonderes Ding, im sinkenden Spätjahr
Diese gefährliche Schwüle, die alle Lebendigen auflös't.
Nun, wen darf es verwundern? Gedenkt an mich, wir erleben
Bald noch schlimmere Zeichen; die Welt ist alt und gebrechlich. –
Habt ihr den Dunst nicht auch in der Nase gespürt, rief Einer,
Der ums Haus des Hebräers sich zog? Mir schnürte der Brodem
Schweflig die Kehle zusammen. Der Pausias aber empfing ihn
Recht ins Gesicht: da fuhr ihm freilich der Krampf in die Glieder.
Armer Gesell! der hat's! doch wer kann wissen, wie bald ihm
Aehnlicher Segen erblüht! – Schweigt! flüsterte schaudernd ein Dritter.
Solche, wie der, die hören auf tausend Schritte. Vielleicht gar
Jetzt schon hext er uns allen die Gicht in den Leib und die Fallsucht.
Besser, wir schicken geheim ihm Botschaft, bieten ihm Geld an.
Wer am mächtigsten ist, mit dem sich in Güte verhalten,
Dünkt mich immer gerathen; es sei nun, daß es ein Gott ist,
Oder ein Mensch; denn ein Gott ist Jeglicher, der die Gewalt hat. –
Doch ein Beherzterer sprach: Wo sind nun, uns zu beschützen,
Unsere römischen Herren? Bezahlt nicht Jeder an Steuern
Ueber Vermögen, allein, sich Leben und Leib zu versichern,
Und bei jeder gemeinen Gefahr: Mann, schütze dich selber!
Spotten sie? Ist doch hündischer nichts, als Fremdenregierung.
Und wo stecken die Priester, die sonst doch gleich bei der Hand sind?
Fürchten sie sich?
So murrten die Klügeren. – Doch es empfand nun
Auch der Verkünder des Wortes die Glut im Haus und die Predigt
Schloß er und sprach: So gehet nun heim und bewegt in Gedanken,
Was ihr gehört; und sobald sich der Mond ankündet im Osten,
Kommt, ihr Geliebten, zurück. Denn viel noch bleibt zu verkünden,
Viel zu verstehn und Alles zu thun. – So ließ er sie von sich.
Und er selber darauf aus dem Saal in die Frische des Gartens
Wandelt' er, ihm zur Seite Nathanael. Ruhig zu Häupten
Hingen in lachenden Früchten die schattigen Zweige des Baumgangs.
Siehe, das holde Gewächs, sprach Tryphon, wie es allmählig
Reift! Viel nächtlichen Thau und tägliche Sonne des Sommers
Braucht es, den Saft zu erziehn und die bittere Schale zu süßen.
Aber des Menschen Gemüth reift unaufhaltsam auf einmal;
Denn nichts Plötzliches kennt die Natur; das eignet dem Geist nur.
So kam heut zu der Predigt ein Mann mit unter den Ersten,
Doch, wie es schien, ungern. Er stand in der Ecke, befremdet,
Unter dem Mantel die Hand und die Augen versteckt von der Wimper,
Ein selbstwillig Gesicht. Mich wunderte, daß er gekommen.
Und ich sah, wie ein Weib ihm zusprach, ihn zu bewegen,
Daß er die Hand mir reiche, wie Andere. Doch er versagt' ihr's.
Dann, da ich sprach und ihn öfter betrachtete, plötzlich gewahrt' ich,
Wie sein Innerstes rang; da schmolzen die steinernen Züge,
Lebhaft zuckte der Mund und den Zipfel des faltigen Mantels
Hüllt' er sich über die Augen. Ein Anderer ging er von dannen.
Und Nathanael sprach: Mehr stauntest du, wenn du ihn kenntest.
Ein Bithynier ist er, ein Kaufmann, einer der reichsten
Hier in der Stadt, und im Hasse des Herrn war eifriger Niemand.
Aber er nahm zum Weib ein ikonisches jüdisches Mädchen,
Jene, die mit ihm kam, und ließ sie es bitter entgelten,
Daß sie geduldig ertrug, wie viel er Leides ihr anthat,
Nur ihm Eines verweigernd, dem Herrn zu entsagen. Sie fehlte
Nie, so oft zum Gebet wir uns einigten oder zum Nachtmahl.
Dann empfing er die Treue daheim mit Schelten und Schlägen,
Schrie: Und kämst du von Buhlschaft heim, ich begrüßte dich sanfter,
Als vom Tische der Heuchler gesättiget. Sei mir die Stunde
Ewig verflucht, in der ich mein altes Geschlecht und die Würde
Römischer Rittergeburt entehrt durch diese Verbindung. –
Traf er mich sonst in der Gasse, so schmäht' er mich offen und drohte.
Heut – kaum traut' ich den Augen – betrat er mein Haus und im Weggehn
Drückt' er bewegt mir die Hand, als spräch' er: vergiß und vergieb mir!
Da er noch redete, kam sein Knab' in den Garten gelaufen,
Hurtig den Baumgang her, mit erschrockenen Mienen. Den Vater
Zog er beiseit am Mantel und sprach eilfertig und leise:
Vater, er ist im Hause, der Kybelepriester, der Midas.
Denke, nach wem er gefragt: nach Tryphon. Aber die Mutter
Schickt mich, daß du ihn warnest. Sie meint, noch Andere lauern
Draußen und führen ihn weg, und fah'n und binden uns Alle;
Denn ihr ahne das Schlimmste.
Der Vater erschrak im Gemüthe,
Rathlos, was zu beginnen. Mein Sohn, du warntest vergebens,
Sprach er darauf, denn sieh, schon schreitet er über den Hof her;
Und wer könnte sich bergen vor ihm? Vor keiner Gewaltthat
Schrickt er zurück; wie ein Feuer durchwühlt er jeglichen Winkel.
Er ist stärker als wir. O Tryphon, rief er dem Jünger,
Der seitab an den Blumen sich weidete, irgend ein Unheil
Sucht uns heim. Dort naht sich der oberste Kybelepriester.
Was kann kommen als Arges allein vom Knechte der Arglist?
Gern entzög' ich dich ihm, denn Ruhe bedarfst du; doch sichtbar
Sind wir ihm längst.
Da sah der Apostel die Frau mit dem Priester
Und entgegnete: Wahrlich, das Herz empört sich im Busen,
Wenn sich Gemeinschaft uns mit den Hoffnungslosesten aufdrängt.
Aber empfangt ihn gelassen.
Sie standen am Rebengeländer
Unter dem Pfirsichbaum, und der Knab' hielt zagend des Vaters
Kleid und flüsterte: Vater und hörst du es, wie er in Zorn ist?
Weh uns! Unter dem Rock wie ein Schwertgriff funkelt's im Gürtel! –
Kind, sprach ruhig der Vater, mit uns ist, der da Gewalt hat
Ueber die Guten und Bösen. – Da schwieg sein Knab' und sie hörten
Midas' heisere Stimme, die schon von Weitem sie anfuhr:
Was, Nathanael, hör' ich? du herbergst Gaukler? du lädst dir
Große Gesellschaft gar, die es nachplärrt, wenn er sein gräulich
Schandlied wider die Götter, der tückische Lästerer, vorsingt?
Schwoll euch also der Kamm? Heißt das uns danken die Nachsicht,
Die euch lang in Ikonium ward? Ihr wurdet geduldet,
Nur so lang ihr im Stillen die ewigen Götter verschmähtet.
Doch nun tretet ihr frech an den Tag und verführet die Menge?
Wie? und der ist der neue Prophet?
So höhnt' er, die Arme
Breit in die Hüften gestemmt, und drückte das Haupt in den Nacken,
Daß ihm der Hals vorquoll und die hängende Wange sich aufblies.
Hüstelnd erklang sein Lachen. Das Weib des Nathanael faßte
Bange die Hände des Knaben und schlang ihm den Arm um die Locken,
Um vorm stechenden Blicke des Lieblings Haupt zu beschützen.
Da antwortete Tryphon: Du kommst zu drohen, vielleicht auch
Hast du zu schaden die Macht wie den Wunsch. Dies aber veracht' ich.
Wenn mich Menschen erschreckten, ich wär' unwürdig der Gnaden
Gottes des Herrn, der stark in drängender Fährde mich schirmte;
Hat er doch heut erst wieder den Feind mit Lähmung geschlagen.
Darum geh! Nicht wird ein Schnauben des Zorns mich erschüttern;
Denn ich wandle wohin mich der Odem des Herrn will tragen,
Welcher die Fichten im Walde zerbricht und die Wolken dahintreibt
Und die erkorenen Boten umherführt unter den Völkern.
Midas hört' ihn und gähnte, die lauernden Augen verschwanden
Hinter gekniffenen Falten, er strich sich den Bauch mit den Händen,
Gähnte von neuem und sprach: Vortrefflich, Bester! der Vortrag
Wacker, die Stimme geschult; nur ein weniges in den Geberden
Bliebe zu wünschen, indeß auch das wohl kommt mit der Uebung.
Welchem Theater entliefst du? Man wird dich schmerzlich entbehren.
Drum sei klug und kehre zurück; dein ehrliches Handwerk
Nährt doch sichrer den Mann, als diese verfänglichen Possen,
Welche zuerst wohl glücken, allein, sobald sie verbraucht sind,
Dich auf dem Trockenen lassen; da nimmt's mit Schrecken ein Ende.
Denn zu groß ist die Zunft. Schon hunderte sind mir begegnet
Deines Gelichters, herab von den götterbesess'nen Propheten,
Bis zu den Siebwahrsagern, die um ein Süpplein orakeln.
Freilich es lief noch keiner der Nazarener ins Garn mir,
Aber auch ihr wohl nehmt, so hoff' ich sicher, Vernunft an.
Und so laß dich bedeuten. Ich gebe dir volle Bedenkzeit
Bis zu des Monds Aufgang; doch trifft man über die Frist noch
Dich in den Mauern der Stadt – weh dir! Du aber, mein alter
Freund Nathanael, sei mir gewarnt. Mehr giebt es der Schelme,
Als du Haar auf dem Haupt und Thorengedanken darin hast.
Diesmal nehmen wir an, du warst der Betrogene. Künftig
Reden wir anders zusammen, und spielst du den Trutzigen, heut schon!
Doch Nathanael wandte den Blick zu Tryphon und sagte:
Was du auch thust, mein Bruder, ob Gehn, ob Bleiben du wählest,
Laß dir Sorgen um uns den Entschluß nicht irren und trüben.
Wir sind dein, du weißt es, und dir nur danken wir Alles,
Was wir wissen vom Heil; du warst ja die Hand, die der Heiland
Nach uns reckte –
Genug! rief Midas heftig. Die Ohren
Hielt er sich zu und es flammt' in den gelben erloschenen Wangen
Jählings Röthe des Zornes. Geh! führe das Weib und den Buben
Fort, einfältiger Heuchler! Ich will hier diesem ein Wort noch
Sagen, ein letztes, fürwahr langmüthiger, als ihr es werth seid.
Oder gelüstet es euch, ein Mahl für die Löwen zu werden,
Die schon lang solch Futter entbehrt?
Da schmiegte der Knabe
Dicht an den Vater sich an, doch muthvoll sprach er: Versuch' es,
Häßlicher Mann! Auch Daniel ward zu den Löwen geworfen,
Aber sie legten sich ihm wie Hündlein spielend zu Füßen,
Denn ihn schützte der Herr!
Sanft strich mit der Rechten der Jünger
Ueber die Stirne dem Knaben und sprach: So that er, mein Marcus,
Und so thut er noch heut an den Seinigen. Gehet, ihr Lieben!
Ob ich auch weiß, nicht wird sich der Herr zu seinen Befehlen
Dieses Gesandten bedienen, so will ich dennoch ihn hören.
Denn wohl kann es uns frommen zu schau'n in die Herzen der Feinde.
Halblaut sprach er das Letzte; da gingen die Anderen zaudernd,
Oft umblickend hinweg und warteten bang der Entscheidung.
Aber sobald sie den Rücken gewandt und den Garten verlassen,
Lachte der Priester verächtlich und trat mit verwandelter Miene
Tryphon näher und sprach, zutraulichen Tons: Du verstandst mich,
Daß der biedere Tropf hier unter uns beiden zuviel war.
Denn sein Schädel ist eng. Nun dürfen wir offener reden,
Wie es verständigen Leuten geziemt, die immer sich schaden
Mit Umschweifen und Lügen; es kennt doch einer den andern.
Glaube mir, deine Talente, man weiß sie zu würdigen. Weislich
Nimmst du die Weiber zuerst aufs Korn und gewinnst sie im Ganzen.
Wer sie hat, der hat in den Kauf drei Viertel der Männer.
Hüte dich nur, daß nimmer mit Einer allein du zu thun hast,
Dann ist Alles verspielt. Allein wir tauschen die Rollen,
Freund! Ich gebe dir Lehren und könnte zu dir in die Schule
Gehn. Denn ein Meisterstück war das mit des Pausias Krämpfen;
Daran zeigt sich der feinere Kopf. Klar wußt' ich auf einmal,
Daß es gerathener wäre, die Hand dir friedlich zu bieten,
Als dir feindlich zu sein und Kraft durch Haß zu vergeuden,
Die durch Einigung wächst. Drum höre mich. Völlig begreifst du,
Daß du im Weg uns bist. Denn Mütterchen Kybele altert,
Und wie andere Schönen, sobald die vergnüglichen Jahre
Lachender Jugend dahin, empfindlicher wird sie und zänkisch.
Wehe dem Mann, der offen sie höhnt! Alsbald nach den Augen
Fährt sie dem Unglücksel'gen, zur Furie wird sie, und kläglich
Endet der Spaß. Nun weißt du, wie schwer du die Gute gereizt hast;
Also besinne dich kurz und ergreife die Hand der Versöhnung,
Die großmüthig sie beut; doch sprich erst, wenn du gehört hast.
Sieh, ich könnte mit Geld dein Schweigen erkaufen und sagen:
Geh aus unserm Bereich! Doch wär' uns Beiden, begreifst du,
Nur zur Hälfte gedient mit solchem bequemlichen Ausweg.
Denn dich brächte die Flucht um allen Credit bei der Menge,
Und uns bliebe der Schrecken zurück, den hier du gestiftet
Unter der Kybele Augen und recht uns Allen zum Possen.
Gehn wir gescheiter zu Werk. Du hältst dich ruhig die nächsten
Tage, so lange das Volk vollauf mit der Lese zu thun hat.
Predigen magst du indeß, doch spare die Kraft der Mirakel
Und den dämonischen Kram und lästere immer mit Maßen.
Ist in den Keltern der Wein, dann hält von den Löwen gezogen
Mütterchen Kybele wieder in Flur und Gassen die Umfahrt.
Laß dann mich nur sorgen. Es sollen die Bestien plötzlich
Vor des Nathanael Haus ein Gebrüll ausstoßen, die Zähne
Fletschen und einige Zeit sich ganz wie besessen geberden.
Hier sind Lästerer, ruf' ich; die Göttin fordert ein Opfer!
Und ich winke den Knechten. Sie stürmen das Haus, auf die Gasse
Wirst du geschleppt, da trutzest du erst, ich schüre den Aufruhr,
Bis sie sich müde gelärmt; nun sinken die Löwen auf einmal
Fromm wie die Lämmer ins Knie – du aber, als sei in den Wolken
Dir dein Dämon erschienen, erhebst anbetend die Hände,
Und dein alter Geselle, der Pausias, ruft von dem Dach her
Unsichtbar: Heil Kybele, Heil! dann sagst du dem Volke,
Was dir nützlich bedünkt, und sprichst von Kybele höflich.
Billig erscheint's, dein Gott läßt unserer Mutter den Vorrang,
Weil er der jüngere ist. So schließen sie ehrlichen Frieden,
Daß nicht wieder der eine der anderen hämisch zu nah tritt.
Dies mein Plan. Wenn aber ein besserer dir in den Sinn kommt,
Lass' ich dir gerne den Ruhm des erfindungsreicheren Geistes,
Und im Uebrigen soll's dir nicht zum Schaden gereichen.
Sprachlos stand der Apostel. Der Andere prüft' ihn ein Weilchen,
Und ein Beutelchen zog er aus seines Purpurgewandes
Bauschigen Falten und sprach: Dies wäre nur eben auf Abschlag;
Und du verstehst: von dem Handel erfährt kein Sterblicher, keiner
Meiner Genossen, geschweig' ein Beschnittener. Scheinbar im Zorne
Gehn wir jetzt auseinander. Hernach, wenn Alles gethan ist,
Sollst du bei nächtlicher Zeit mich ganz im Stillen besuchen.
Und dann schmausen wir erst und würzen das Mahl mit Gelächter
Und du verlässest die Stadt vor Tag, um ein goldnes Talentchen
Schwerer. Auch deinem Gesellen, dem Pausias, will ich die Tasche
Wacker vergolden, dem Schelm. Gottlob, reich ist ja das gute
Mütterchen Kybele – reich an Gaben der gläubigen Thoren,
Welche der Kluge genießt. Und steht nach Küssen der Sinn dir,
Soll dich im Hause bei mir ein sauberes Mädchen bedienen,
Oder ein Knabe –
Genug, rief Tryphon, und ward der Empörung
Nicht mehr Meister. Genug, du Abschaum aller Verführer!
Herr, mein Gott, was hab' ich an mir, daß Knechte der Lüge
Dreist mir bieten die Hand zur Verbrüderung, daß die Verruchtheit
Auf mich zählt! O steht von deinen geheiligten Worten,
Die ich im Busen bewahre, mir keins an der Stirne geschrieben?
Doch was Wunder! ein Schlechter ist blind, und Alles erklügelt
Bosheit, außer das Eine, den Sinn und Willen des Reinen.
Hebe dich weg, Schamloser; ich weiß,
der Name beleidigt
Keinen von euch; ihr prahlt mit der Blöße der eigenen Bosheit.
Aber verletzte dich auch mein Wort, was hülf' es zu schweigen,
Da du mein Dasein schon mir nie, mein Leben verzeihn wirst.
Geh! vollbringe das Aergste. Der Gott, der Himmel und Erde
Schuf, ist stärker als du!
Wie ein Trunkener, welchen ein Steinwurf
Wider die Schläfen ernüchtert, so stand mit schwimmendem Starrblick
Midas, schlaff in den Gliedern, und athmete schwer. Ein Gelächter,
Das er versuchte, mißlang, erstickt vom Schnauben des Ingrimms.
Endlich errang er sich Luft. Wahnsinniger! kreischt' er, Verfluchter!
Das mir? mir ins Gesicht? Und ich kam, den Gesellen zu schonen,
Kam, gutmüthiger Narr, zu dem räudigen Juden und traut' ihm,
Und er holte mich aus mit listigem Schweigen und lockte
Mir mein Herz auf die Zunge und wirft mir's dann vor die Füße?
Doch du rechnetest falsch, Elender! du sollst auf dem Markt nicht
Dieses Gespräch ausschrein in die Ohren des müßigen Pöbels,
Oder ich bin nicht Midas, der furchtbar'n Kybele Priester.
Heiser erstarb ihm das Wort. Er spie an den Boden und ballte
Zitternd die Händ' am Gurt. Dann kehrt' er sich ab und den Baumgang
Schritt er zurück, vorüber dem Hausherrn, der mit den Seinen
Wartend im Hofraum stand. Sie sahn ihn, wie er die Lippen
Lautlos hastig bewegte und bang ward ihnen im Herzen.
Doch er gewahrte sie nicht; er schlich wie ein Luchs in der Wildniß,
Welcher umsonst sich lang abmüdete, wie er den Berghirsch
Finge mit heftigem Satz. Der aber auf sicherer Klippe
Sah ihn und bot ihm ruhig das stolze Geweih; da verläßt ihn
Endlich der Räuber; er trieft von Schweiß und es brennt ihm das Auge,
Aber er sinnt auf List und wird sein Lager beschleichen
Und ihn würgen zu Nacht, da Wuth und Hunger ihn antreibt.
So trat Midas hinaus in die schweigende Gasse. Da sah ihn
Thekla, als er des Weges daherkam unter dem Fenster,
Wo sie die Stunden des Tags in Harren und Horchen verbrachte.
Und sie erschrak und spähte, zurückgelehnt an die Brüstung,
Nach dem gefürchteten Mann und sah die Geberden des Hasses,
Wie er, allein sich wähnend, inmitten des Gäßleins stehn blieb
Und noch einmal die Faust aufhob und funkelnd zurücksah
Gegen das jüdische Haus. Wohl ahndet ihr, wem es gegolten,
Und wie ein Meer schlägt Angst ihr über dem Herzen zusammen.
Ach, wer schützt, wer warnt ihr den Freund? Wem Midas gedroht hat,
Der mag hüten sein Haupt, denn niemals droht er vergebens.
Und so steht sie am Fenster und sinnt in schwankender Seele,
Was zu thun. Da ergreift sie ein wächsernes Täfelchen. Zitternd
Schreibt sie darauf: Flieh eilig, sie stellen dir nach, und der Himmel
Rette dich glücklich hinaus! – Das rollt sie zusammen und wirft es
Nach dem geöffneten Fenster. Und sieh, dort fängt es der Sims auf,
Und nicht fällt es herab, in das Haus nicht, noch in die Gasse.
Sei's drum! spricht sie bei sich. Wer bin ich, daß ich ihn warne,
Ihn, den Gesandten des Herrn, den himmlische Stimmen berathen?
Thöricht war ich. Und fänd' er das Blatt und ginge von hinnen,
Wie dann stillt' ich das Herz und die wachsenden Stürme der Sehnsucht,
Welche zu Gott mich drängen aus aller Gefahr? Wer wird mir
Führer und Freund noch sein, wenn drüben die heilige Stimme
Schweigt? – Doch flüchtet er nicht, weh, wird dann morgen die Sonne
Unter den Lebenden noch sein strahlendes Auge begrüßen? – –
Endlich erträgt sie das Grau'n nicht mehr in der Schwüle der bangen
Einsamkeit, obwohl sie Bekümmerniß immer gewohnt war
Bei sich selber zu schlichten. Sie will auch jetzt der Gedanken
Nicht sich entschlagen und ach, wie könnte sie? aber es soll ihr
Wieder ein Menschengesicht das Gespenst fortscheuchen des Priesters,
Menschliche Stimme den Ruf der verzweifelnden Aengste betäuben,
Der wie Grillengesang sie umschwirrt, eintönig und rastlos.
Herzlich verlangt sie hinab in die Arme der Mutter zu eilen,
Ihr zu sagen: Du zürnst! O laß dich versöhnen und nimm mich
Wieder ans Herz! Was that ich, daß ihr mich meidet und ausstoßt? –
Und so verläßt sie die Kammer. Da findet sie eine der Mägde,
Draußen zur Wache bestellt, ihr einsam Thun zu belauschen.
Arglos fragt sie das Mädchen mit freundlicher Stimme: Amykle,
Sag', wo find' ich die Mutter? – Da kehrt ihr die Dienerin trutzig
Schweigend den Rücken und flieht. Nach blickt ihr lange die Jungfrau.
Meinen sie, spricht sie bestürzt, ich könn' es den Anderen anthun,
Was mir selber geschehn? O hätt' ich die Macht! – Und ein Sklave
Späht neugierig hinaus in den Flur. Doch wie er die junge
Herrin gewahrt, die leise die steinernen Stufen herabsteigt,
Zieht er den Kopf eilfertig zurück. Ach sonst, auf den Händen
Trug sie das ganze Gesind. Mehr galt ein Lächeln der Tochter,
Als ein Schelten der Mutter, und nun, wie thun sie entfremdet,
Wie feindselig und kalt! – Still seufzend betrat sie den Hofraum,
Stand am springenden Brunnen und sah voll Kummer ins Wasser,
Das in Tropfen gelös't ins Porphyrbecken herabstob.
Sonst kein Laut in der Runde; der Webstuhl ruhte, die Flamme
Knisterte nicht am Herd und die Schaffnerin nickt' in der Kammer.
Auch sie selber befällt's wie ein Traum, indem sie am Brunnen
Lehnt und die steinernen Züge der sprudelnden Maske betrachtet.
Und ihr ist's, sie sähe die heimlichen Adern der Erde,
Lange krystallene Pfade der Flut, an schlummernden Erzen,
Edeln Gesteinen vorbei, die still fortwachsen im Innern,
Dunkel, der Welle die Kraft, sich ans Licht zu drängen, beneidend.
Und hier bricht sie hervor, die gewaltige, läßt in der Larve
Lachenden Mund sich fassen und spielt unschuldig und kühlend
Durch die Finger des Mädchens, am Strahl der Sonne verduftend.
Während sie so noch steht und dem Wunder der ewigen Urkraft
Nachsinnt, hört sie es schreiten vom Garten heran zu dem Hofraum,
Und sieht auf und erkennt, wer naht. Ach aber wie anders
Pflegte die rüstige Frau sonst Garten und Hof zu durchwandeln!
Langsam geht sie, gebückt. Nicht mehr mit den munteren Augen
Herrscht sie umher. Ein Gefäß voll röthlicher Pflaumen und Pfirsich
Ruht ihr im Arm und zu Boden entrollt im Gehen ihr manche;
Und doch schützet sie nicht mit den Händen den Rand des Behälters.
Wohin schweifet ihr Geist? Still vor sich blickend betritt sie
Jetzo den Hof und den Schatten des weitabschüssigen Daches.
Und da erhebt sie den Blick zufällig, da sieht sie die Tochter,
Und das Gefäß entfährt der Erschrockenen, jählings am Boden
Klirren die Scherben, die Früchte zerstreu'n sich rollend, und rückwärts
Dicht an die Mauer gedrückt steht wortlos starrend die Aermste.
Mutter! beschwört sie das Mädchen und breitet die bittenden Arme
Nach ihr hin. Sie aber, als kehrt' ihr plötzlich das Leben,
Ruft: Unsel'ge, zurück! Mein Tod ist's, wenn du mich anrührst!
Geh, geh fort in die Kammer, und eh du anders gesinnt wirst,
Bist du mein Kind nicht mehr, und ich will nicht Mutter genannt sein.
Da ging schweigend das Mädchen hinweg mit zögernden Schritten,
Wankte die Treppen hinan und trat in die Stille der Kammer,
Ach, mit der Brust voll Schmerzen. Der Mutter erschütternder Angstruf
Tönt' ihr ewig im Ohr. Kam's dahin, daß sie der Nächsten,
Liebsten ein Schreckbild ward, ein Gespenst am sonnigen Tage?
War sie denn anders geworden? Sie war's, doch ach, nur bedürft'ger
Treuer Geduld, sehnsüchtiger nur, was je sie geliebt hat,
Dicht am Herzen zu halten, und soll nun Alles entbehren?
Klang doch tröstlicher drüben die Predigt, Frieden verhieß sie,
Und ihr wogte der Streit in Haupt und Busen zerstörend.
Wieder zurück in Gedanken durchging sie Alles und Jedes,
Was sie gethan und gelitten. Und doch, käm' Alles noch einmal,
Anders vermöchte sie nicht – und gält's ihr Leben – zu handeln.
Aber ein Zweifel erstand in ihrem geängsteten Geiste:
Wie? Was nicht aus Glauben geschieht, so lehrte der Fremde,
Das sei Sünde? Doch ich, gedenk' ich an Thamyris, glaube
Daß ich gethan, was recht, und denk' ich der Mutter, so trübt sich
Mir mein Glauben und fast, daß ich unrecht handelte, fürcht' ich.
Wer, wer lös't mir den Zwiespalt auf? Wer bringt Ueberzeugung
Mir in die bangende Seele? Mir war, als riefe gewaltig
Mahnend ein höherer Geist, und seit ich drunten die Mutter
Hörte, verstummte der Trost, und rathlos spricht mein Gewissen
Doppelsinnige Worte, die nur mich tiefer zerrütten!
Könnt' ich hinüber zu
ihm!
er wüßte sie wohl zu entwirren!
Doch wie soll ich es wagen? Ich dürfte der zürnenden Mutter
Niemals wieder ins Haus und verwaist durchirrt' ich die Gassen.
Lang in solchen Gedanken, die Händ' im Schooße gefaltet,
Saß sie, und vor ihr ragt wie ein Berg im Nebel die Zukunft,
Pfadlos. Fern nur herab vom Gipfel erschimmert es helle.
Aber ob Eis dort glänzt, ob freundliche Sonne sie anlacht,
Nicht entscheidet's ihr Auge. Geduld nur! sagt sie sich endlich.
Wenn sich die Schwüle gelegt und abendlich dunkeln die Straßen,
Füllt sich von Neuem das Haus des Nathanael und ich belausche
Wieder die Worte des Heils, und vielleicht auch ein und das andre,
Das mich dem Zweifel enthebt und Muth und Stille mir einflößt.
Aber vernehm' ich keines, wie ich's bedürfte, so will ich,
Wenn ihn die Menge verließ, ein Herz mir fassen, hinüber
Gehn, und den Weisen befragen. Erfülle sich dann das Verhängniß.
Kaum daß dieser Entschluß ihr gereift im Busen, so stand sie
Ruhiger auf vom Sessel und öffnet' den Schrein in der Nische,
Wo ihr Mädchenbesitz bunt neben einander verwahrt lag.
Doch nicht nahm sie die Cither und nicht zum Malen die Täflein,
Sondern sie griff zur Spindel und schwang voll Flachse den Wocken
Ueber sich, hurtig am Knie umdrehend die schnurrende Spule,
Daß sie hinab zu den Fliesen entrollt', und der Faden sich drehte.
Manchmal hob sie die Augen und sah zu dem Fenster hinüber,
Hoffend, des Fremden Gestalt nur ein einziges Mal zu erblicken,
Wär' es der Umriß nur an der Wand im Schatten. Beständig
Sah sie im Geist sein Bild gleich jenem olympischen Jüngling
Helios, der an der Decke des Prunksals unten gemalt war,
Licht sein Mantel, das Haar von wehenden Flammen umlodert,
Wie er auf goldenem Wagen heraufstürmt über dem Himmel,
Tanzende Horen voran, und die Schaar der melodischen Musen
Ihm nachschwebend im Reigen. Wie scheu zu den Augen des Gottes
Pflegte sie aufzustaunen als Kind! Oft hatte der Vater
Scherzend hinauf sie geschwungen und droben gewiegt und gesprochen:
Möchtest du auch in der Luft, mein Töchterchen, tanzend dahinziehn
Hinter dem strahlenden Wagen und Meer und Länder betrachten? –
Und jetzt', da ihr Gemüth hoch über dem Irdischen schwebte,
Kam es ihr vor, sie erblickte den Lichtgott, glänzend in Schönheit,
Und sich neben dem Wagen und mit ihr Männer und Frauen,
Die sie am Morgen gesehn des Nathanael Schwelle betreten.
Selig genoß sie ein Weilchen den Traum, wie auf Wolken getragen
Leicht in der Höhe zu schweben, und schloß ausruhend die Augen.
Doch bald kehrt' ihr Sinn nur ernster zurück zu dem fremden
Freund. O wenn er es ahnte, wie viel an mir er gethan hat!
Sprach sie bei sich. – Ein Lufthauch fuhr an die Wange des Mädchens,
Und sie schauert zusammen, als ob sein Athem ihr nah sei.
Emsiger schwang sie die Spindel, und während sie spann und im Stillen
Jegliches Wort der Verheißung noch einmal klar sich zurückrief,
Gingen die Stunden dahin. Längst war's in den Gassen lebendig,
Handel und Wandel erscholl und Dämmerung senkte sich nieder.
Häufig vernahm sie den Ruf, der Früchte den Durstigen feilbot,
Oder die Glöckchen am Halse des Maulthiers, welches in Eimern
Wasser mit Eise gekühlt an den Pforten der Häuser herumtrug.
Doch kein Ton lud drüben sie ein zu der Quelle des Friedens.
Ach ihr war, als sei sie den Tag durch Wüsten gewandert,
Und nun komme die Nacht und ereile sie ferne den Brunnen.
Aber zuletzt, da schon im wachsenden Dunkel der Faden
Ungleich ward und die bange Geduld ihr plötzlich versagte,
Flog sie die Stiegen hinauf und trat aufs Dach an die Brüstung.
Niemand ward sie gewahr an der Schwelle des Nachbarhauses,
Niemand trat in die Thür. Die Vorüberwandelnden tauschten
Flüsternde Reden zusammen und zuckten die Achseln bedeutsam,
Lachten und eilten vorbei. Da kehrt' entmuthigt die Jungfrau
Wieder zurück in die Kammer und tödtliche Sorge befiel sie.
Was ist drüben geschehn? Wer hat ihm Schweigen geboten?
Lebt er oder verstummte für heut und immer, und soll ich
Wehe! zuerst und zuletzt ihm sehn in gebrochene Augen?
Warum zaudert' ich hier unselige Stunden und zagte,
Statt hinüberzustürzen und gleich sein Knie zu umfassen,
Ihn beschwörend, zu fliehn, das gefährdete Leben zu retten!
Midas hatt' ich gesehn, was braucht' ich weiter zu wissen?
Und ich Thörichte ward vom Himmel erwählt zu des Theuren
Rettung und hab' es versäumt und die kostbar'n Stunden verloren.
Aber der Feind war schneller und schickt' ihm Henker, im Stillen
Würgten sie ihn, und die Stimme verathmete, die mich erweckt hat!
Während sie so sich verklagend die Hoffnung völlig dahinwarf,
Oeffnet sich leise die Thür und die Schaffnerin tritt mit dem Nachtmahl
Ein, die greise Kalliste. Sie stellt die Schüsseln und Schalen
Auf den geglätteten Tisch und steht und macht sich zu schaffen,
Schweigend, als sei sie allein. Dann kehrt sie sich wieder der Thür zu,
Nur mit verstohlenem Auge die arme Gefangene streifend.
Da blickt Thekla empor und gewahrt an der Schwelle die Alte
Wie sie die quellenden Thränen sich stumm mit der Hand abtrocknet.
Gute Kalliste, spricht sie, warum nur bist du gekommen,
Mir die Speisen zu bringen? Was frommt's, ein Leben zu fristen,
Das euch Allen im Weg und mir vor Allen verhaßt ward?
Trage die Schüsseln hinweg und schütte den Wein in den Mischkrug
Wieder zurück; mich tränkt mein Schmerz, mich sättigt das Unglück.
Damit stützt sie das Haupt in die Hand und die bitteren Tropfen
Stürzen ihr über die Wangen im Uebermaße der Drangsal.
Und obwohl kein Laut sie verräth, doch sieht es die Alte;
Heftiger weint sie nun selbst, und die Thür sorgfältig verschließend
Tritt sie dem Liebling näher und spricht mitleidig die Worte:
Härmst du dich nun, unglückliches Herz? Wohl hab' ich der Mutter
Heilig gelobt, kein Wort, nicht gut noch böse, zu sagen,
Daß du erführst, wie ein Jammer es sei, wenn Alles sich abkehrt,
Was so treu dich geliebt. Sie denkt, die verruchte Bezaubrung
Ließe dich los, wenn erst dein Herz zu den Deinen sich sehnte.
Darum sollt' ich dich heut in den Saal nicht rufen zum Nachtmahl,
Sondern den Tisch dir allein herrichten und schweigend davongehn.
Aber ich kann's nicht sehn, das bewegliche Weinen, ich kann nicht
Thun, als wärst du gestorben, und dich nicht fragen, was fehlt dir?
Hab' ich doch oft dir die Thränchen mit Küssen gehaucht von der Wimper,
Wenn du dir wehe gethan als Kind. Dann wußte doch Keine
Dich so bald zu beschwichten, und Keiner gehorchtest du lieber.
Ist das Alles vergessen, und ist die Alte dir nichts mehr,
Nicht so viel wie ein leblos Tuch, in das du dich ausweinst?
Sieh, es gereute dich längst, wohl weiß ich es; gerne zur Mutter
Gingst du, besorgtest du nicht, sie zürnte dir, weil du sie kränktest.
Ach, seitdem sie im Hof dir begegnete, wo sie dich von sich
Stieß, nicht findet sie Ruhe, und dächte sie nicht, dir frommt' es,
Nimmer ertrüge sie länger die Pein, ihr Kind zu entbehren.
Komm, o komm nur hinab, mein Töchterchen, sage: Genesen
Bin ich und wieder wie sonst! und Alles vergiebt und vergißt sie.
Aber es schüttelte traurig ihr Haupt das Mädchen und sagte:
Bist du mir gut, Kalliste, und willst mir Liebes erweisen,
Sage mir eins: Was weißt du von ihm, den Alle verfolgen,
Den ihr alle verkennt, obwohl er heilig und rein ist?
Weilt er noch drüben im Haus des Nathanael? Ist er entwichen?
Oder erwürgten sie ihn, die Schändlichen, die ihn umschleichen?
Siehe, du weißt, es geschah ein Entsetzliches. Läugne mir nimmer,
Was dein Auge verräth, was deine Geberde mir ausmalt.
Ich bin fest und des Harten gewohnt seit wenigen Monden,
Nur nicht dieser unendlichen Angst, die nie sich ersättigt,
Mir mit wechselndem Grauen das Blut vom Herzen zu saugen.
Da hob jammernd die Alte die zitternden Hände und rang sie
Trostlos. Denkst du noch immer an ihn nur, rief sie, du armes,
Ach, du verlorenes Kind! Mit ihm geht's eilig zu Ende.
Doch wie soll dies enden mit uns, wenn kommende Tage
Dich nicht heilen und uns aus Noth und Kummer erlösen!
Und ich hoffte so fest und sprach zur Mutter: Es wird sich
Bessern mit ihr, wenn drüben im Haus erst reinere Luft weht.
Ist's denn möglich? O sag': du sahst ihn nicht? Aus der Ferne
Hat er so ganz dich bethört? Das muß ein arger Gesell sein!
Denke, den Prätor selber bestrickt' er mit tückischen Worten.
Denn dein Thamyris kam mit Bewaffneten, die ihm der Prätor
Gab; die drangen ins Haus und führten ihn ab zum Gerichtssaal.
Mittag war es und nicht viel Volks in der Stadt auf den Beinen,
Also entstand kein Lärm; wir haben es Alle verschlafen,
Und du weiltest im Hof. Nur Lyce sah ihn vom Dache,
Wie er, als sei es ein Spiel, mit gefesselten Händen dahinschritt
Heitern Gesichts, der verwegene Mensch. Hernach vor dem Richter
Wußt' er so gut sich zu drehn und zu wenden in listigen Worten,
Daß er auch diesen bestach und zuletzt in den Kerker geführt ward,
Dort sein Loos zu erwarten; es fürchtet sich aber der Prätor,
Ihn zu verdammen, und denkt, er möcht' ihm schaden mit Zaubern.
All das wissen wir, Kind, von des Thamyris Mutter. Sie schickte
Chryse, die Magd. Dein Thamyris speis't beim Prätor am Abend,
Und nicht kann es ihm fehlen, so reich wie er ist und in Ansehn,
Daß er es dennoch gewinnt und dem jüdischen Schelm an das Kreuz hilft.
Viel zu glimpfliche Marter für den! Und siehe, du wolltest
Doch noch hängen an ihm? Du könntest um ihn die getreuste
Liebe verschmähn? Ich weiß, du wirst dich besinnen, du Arme;
Blickst du doch ruhiger schon, seitdem du Alles erfahren.
Iß nun, Tochter, und trink, und hast du dich vollends gefunden,
Kommst du hinab zur Mutter, und o! schon hör' ich den Jubel.
Aber die Jungfrau hielt sie und sprach: Nicht Jubel, Kalliste,
Hör' ich im Geist; ach, leider erneuerte Thränen um alten
Wahn. Wie hat so schnell sich mein lachendes Leben verfinstert,
Daß ich die Liebsten betrübe, auch dich, du Gute, Getreue!
Geh nun hinab zur Mutter und sag' ihr, daß ich sie liebe,
Sag' ihr, inniger nur, weil sie zu kränken mir stündlich
Neuen entsetzlichen Kampf und strömendes Herzblut kostet.
Könnt' ich doch ihr mich erklären und Allen, die sonst mir vertrauten;
Aber ich bin zu betrübt und sagt' ich das Innerste, kläng' es
Nur wie ein dunkles Gestöhn; da wär' uns wenig geholfen.
Gramvoll wiegte die Alte das Haupt und trat an die Schwelle,
Zögerte, blickte zurück und ging dann seufzend hinunter.
Und nun saß in der Nacht, die mit ruhigen Sternen hereinsah,
Thekla wieder allein und athmete tiefer und leichter.
Nicht mehr bangender Zweifel erfüllte sie. Klar vor der Seele
Stand ihr ein kühner Entschluß, und es klopfte das Blut in den Wangen
Ihr vor freudigem Muth. Da streckte sie innig die Arme
Aus in die Nacht und rief im ersten Gebete den Herrn an:
Der du mich lange gekannt, mein Gott, und lange geführt hast,
Da ich von dir nichts wußte, du siehst und hörest auch jetzt mich,
Ein unwissendes Mädchen, das siebzehn Jahre das Licht sah,
Ohne dir einmal nur für so viel Gutes zu danken.
Darf ich dir nah'n, und zürnst du auch nicht, und wird mich der Heiland
Unter die Seinigen reihn, obwohl ich meine geliebte
Mutter zu Tode betrübt? Ach Herr, und Schwereres droht mir,
Wenn du ihr Herz nicht wendest und deinem Willen geneigt machst.
Was ich beschlossen zu thun, du weißt es, du hast mir es selber
Erst in die Seele gelegt, die feig und völlig verzagt war.
Laß es gelingen, o Herr! wie reut mich's, daß ich zuvor nicht
Heut dein Winken verstand und im Fluge den Heiligen warnte.
Immer auf dich nur will ich in Zukunft lauschen und Alles
Thun, was du mir befiehlst. Du aber verstumme mir niemals!
Darnach trat sie zurück vom Fenster. Ein ehernes Lämpchen
Nahm sie und zündet' es an, und die doppelten röthlichen Flammen
Leuchteten über das Mahl. Sie aber genoß nur wenig,
Nippt' an der Schale mit Wein und füllte den Rest in ein Fläschchen.
Das, sammt herrlichen Früchten, dazu ein wenig des Brodes
Ward in ein Körbchen gelegt. Dann öffnete rasch sie die Lade,
Drin zu festlichem Putz manch goldenes Kleinod ruhte,
Auch des Bräutigams Gaben, die jetzt zu erblicken ihr weh that.
Diese berührte sie nicht. Sie erwählte der indischen Perlen
Zwei, mattbläulich und groß, die gern sie am Ohre getragen,
Noch ein Geschenk, vom Vater, der einst vom fernen Korinthos
Kam und sie, die als Kind er verließ, für die er in Naxos
Puppen gekauft, nun staunend als blühendes Mädchen umarmte.
Auch zwei Spangen ersah sie und ferner den silbernen Spiegel,
Blank, und am Rücken verziert mit eingegrabnen Figuren.
Sicher den Reichthum all im geflochtenen Körbchen verbarg sie
Zwischen den Früchten und knüpft' ein Tuch sorgfältig darüber.
Und nun stand sie und horchte. Die Nacht ward stiller und stiller,
Dunkler und leerer die Stadt. Ihr aber im Innersten wogt' es
Von jungfräulicher Scheu und dem Ungestüm der Erwartung.