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(1891.)
Eines sonnigen Sommertages war ich wohlbekannte Wege gewandert, der Landstraße entlang, die sich hügelauf und ab durch das breitgestreckte Vorland des Gebirges windet, durch dunkle Fichtenwaldungen, über denen hin und wieder große Krähenschwärme mit lautem Krächzen hinzogen, vorüber an Einödhöfen und kleinen Dörfern und Weilern, immer die duftig blaue Gipfelkette im Süden vor Augen. Ich liebe diese Gegenden der Vorberge und ziehe sie den gepriesenen Hochlandsscenerieen vor, nicht bloß, weil hier keine hochgethürmten Felswände das Gemüth belasten und ein Sohn des Tieflandes durch die weitgeschwungenen Linien des Horizonts sich heimlicher angemuthet findet, sondern weil das Leben der Menschen, die hier angesiedelt sind, leichter und reichlicher ist, da die alte Mutter Erde dafür sorgt, daß sie an Allem, was sie zur Nothdurft und des Lebens Ueberfluß bedürfen, die Fülle haben. Denn hier wird wenig Ackerbau betrieben, selten begegnet uns ein schmaler mit Roggen oder Hafer bestellter Streifen Feld, auf den weiten Halden wächs't schönes, üppiges Gras, das zweimal im Jahr zu schneiden und zu günstiger Zeit einzufahren die Hauptsorge der Bauern ist. Selbst die Hut ihrer Heerden überlassen sie sommerlang den Dirnen auf den Almen und behalten nur so viel Stallkühe, als für ihren Hausbedarf ausreicht.
Noch waren, als ich an jenem Sonntage vorüberkam, die Heerden nicht abgetrieben, auf den Wiesen um die Gehöfte weideten nur hin und wieder ein paar Stuten mit ihren Fohlen, da es einer der wenigen Ehrgeize dieser Landbewohner ist, Pferde aufzuziehen, mit denen sie beim Wettrennen am Münchener Octoberfest einen Preis davonzutragen hoffen. Ich hatte meine Freude daran, an den Zäunen, die ihre Weideplätze umschränkten, stehen zu bleiben und, wenn die jungen Thiere herankamen, ihnen den struppigen großen Kopf zu streicheln oder ein saftiges Kraut hinüberzureichen, während die Stute ruhig fortgras'te. Dann bellte wohl, von meinen Tritten aus seinem Halbschlummer geweckt, das Hündchen vor dem verschlossenen Hause – die Insassen mochten zu irgend einer Kirchweih oder anderen nachbarlichen Festlichkeit fortgegangen sein –, die rothen Nelken blühten über das Geländer der »Laube« tief herabhängend, und um den Bienenstand summte und schwirrte es von aus- und einfliegenden Honigsuchern, den einzigen Geschöpfen weit und breit, die sich in dem allgemeinen Wohlleben keinen Feiertag gönnten.
So anmuthig das alles war, so war mir's doch ein willkommener Anblick, als endlich, da ich die letzte Höhe des Weges erstiegen hatte, der spitze grüne Kirchthurm des Dorfes vor mir aufragte, in welchem ich diese Nacht zu rasten beschlossen hatte.
Es war eines der größten und ansehnlichsten auf viele Meilen in der Runde und um seiner glücklichen Lage willen auch von Kennern des Landes oft besucht. In zwangloser Nachbarschaft standen die Häuser am oberen Rande einer weiten Thalschlucht hingebaut, von Obstgärten umgeben, hinter denen die Wiesen sich unabsehbar ausbreiteten. Vom Saum der tiefen Schlucht herab ist's ein herrlicher Anblick, auf die Wipfel der Buchen- und Eichenwälder drunten zu schauen, mit denen sie stundenweit ausgefüllt ist, und die am anderen, minder steilen Ufer des Thalgrundes wieder hinanwachsen. Jenseits aber, noch stundenweit entfernt, zieht sich die Kette der bayerischen Berge hin, den mächtigen Vordergrund mit einer duftigen Silhouette überragend. Tief unten windet sich ein schmales Flüßchen durch das Walddunkel, hie und da an freien Stellen heraufblitzend, und zwischen den Stämmen sehen die grauen Dächer mehrerer Schneidemühlen und die Schornsteine kleiner Fabriken hervor, die sämmtlich von der Kraft des Berggewässers getrieben werden.
Dieses Landschaftsbild hatte ich zum ersten Mal vor langer Zeit – siebzehn oder achtzehn Jahre mochten seitdem vergangen sein – mit großem Entzücken betrachtet, mich wundernd, daß es den vielen nach »Motiven« herumspürenden Malern unserer Kunststadt bisher unbekannt geblieben war. An diesem Sonntage aber war ich von Staub und Hitze der langen Wanderung zu sehr ermattet, um nach etwas Anderem als einem guten Wirthshause und einem frischen Trunk Verlangen zu tragen. Für Beides, wußte ich, war in dem gesegneten Dorf, das schon um seiner besonders kirchlich gesinnten Bewohner willen aller Himmelsgnaden werth ist, aufs Beste gesorgt.
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Damals freilich, als ich zum ersten Mal hieher kam, war ich dessen nicht so gewiß gewesen,
Ich kannte die Begriffe von Reinlichkeit und Behagen nur zu gut, die in den Dorfwirthshäusern dieser Gegend zu herrschen pflegten, jene dumpfigen ungelüfteten Kammern, hochaufgestapelten Federbetten und unsäuberlichen Küchen, die nur langsam einer höheren Cultur gewichen sind. So hatte ich mich damals ziemlich kleinlaut an eine mir begegnende alte Frau gewendet mit der Frage, wo das Wirthshaus zu finden sei.
Es seien ihrer zwei im Dorf, war die Antwort; das größere gehöre dem Posthalter und stehe der Kirche gegenüber. Es sei aber nicht das bessere, da die Wirthin ihre Sach' nicht recht verstehe und überhaupt ein böses, geiziges Weib sei. In dem kleineren, »Zum bayerischen Löwen«, würde ich besser aufgehoben sein. Es sei das fünfte Haus rechter Hand, ein großer Nußbaum stehe davor, ich könne gar nicht fehlen.
Darauf war ich getrost in die Dorfgasse hineingeschritten und hatte auch ohne Mühe das bezeichnete Haus und den Nußbaum, der es überschattete, gefunden; ein breiter, einstöckiger Bau, mit einer schönen fleischfarbenen Tünche erst vor Kurzem versehen, die hellgeputzten Fenster mit blauen Streifen eingerahmt, über der Thür ein Schild, das den »bayerischen Löwen«, einem großen gelben Kater sehr ähnlich, sitzend und Scepter und Krone in den Pranken haltend, zwischen der frischgemalten Inschrift zeigte. Dies alles, zumal der letzte Schein der herbstlichen Abendsonne sich in den blanken Scheiben spiegelte, machte einen lustigen und einladenden Eindruck. Doch Etwas, das vor dem Hause auf einer breiten Bank sich niedergelassen hatte, war ein trüber Flecken in dem heiteren Bilde.
Eines jener unglücklichen Wesen kauerte dort, denen man in gewissen Gegenden des Hochgebirges häufig begegnet, hier im Vorlande aber nur selten – eines jener mißgebildeten Geschöpfe, die, von früh an zu einem dumpfen Halbleben verurtheilt, mit blöden Augen in die Welt starren und von ihren Freuden nicht viel mehr genießen als die Thiere des Feldes. Das Gebirgsvolk, wenn es ihnen auch nicht wie in anderen Ländern eine Art Heiligkeit zuerkennt, pflegt sie doch mit schonendem Mitleiden zu behandeln, und nur die rohesten Kinder lassen an den armen »Trotteln« ihren Muthwillen aus. Der kleine Cretin aber, den ich vor dem Wirthshause sitzend fand, mußte in einem ganz besonders zärtlichen Schutze stehen. Er war so auffallend herausgeputzt, wie hin und wieder eine Städterin ihr Söhnchen kleidet, wenn sie mit ihm längere Zeit in den Bergen lebt. Die kleine Joppe mit den großen Hornknöpfen, Kniehöschen mit rothen Schleifen verziert, Wadenstrümpfe und Bergschuhe waren so zierlich, wie kein Dorfkind sie zu tragen pflegt, und um das dicke Hälschen des sieben- oder achtjährigen kleinen Mannes war ein rothseidenes Tüchlein geknüpft, dessen Zipfel freilich schon in allerlei Schüsseln eingetaucht worden zu sein schienen. Ein spitzes grünes Filzhütchen mit einer Spielhahnfeder lag neben ihm auf der Bank, das gelbe Haar hing struppig über die kleinen schief geschlitzten Augen herab, das gelbliche Gesicht aber mit den verschwommenen welken Zügen grins'te freundlich, wobei der offene Mund sich wie ein Froschmaul verzog. In der Hand hielt der kleine Halbmensch eine verbogene Kindertrompete, die er bei meiner Annäherung an die Lippen setzte, um ihr einen dünnen Mißton zu entlocken. Dabei fuhr er fort, mit dem einen Fuß einen großen schwarzen Hund, der vor ihm lag, auf den Kopf zu stupfen, was das edle Thier sich ohne Murren gefallen ließ.
Ich war stehen geblieben, die wunderliche Gruppe betrachtend. Auf meine Frage an den Knaben, wie er heiße, hatte er in einem gurgelnden Ton nur ein unverständliches Wort hervorgebracht. Als ich ihm die Hand hinhielt, erhob sich der Hund mit feindseligem Knurren auf den Vorderpfoten, wie um mir anzukündigen, daß er mir nicht rathen wolle, mich an seinem Schützling zu vergreifen. Ich begütigte ihn aber und brachte ihn dahin, sich wieder ruhig hinzustrecken.
Ehe ich das Dorf betrat, war ich einem Tiroler Fruchthändler begegnet, der auf einem Karren, wie es damals noch häufig geschah, in großen Körben einen Vorrath Bozener Pfirsiche und blauer Trauben über die Berge hereingebracht hatte. Ich hatte die Taschen meines Regenmantels mit einigen der schönen Früchte gefüllt und holte jetzt eine Traube hervor, die ich dem Bübchen hinhielt.
Der Kleine grins'te über das ganze Gesicht, ließ die Trompete fallen und griff begierig nach der seltenen Näscherei, die er dann mit beiden Händen zum Munde führte. Denn er hielt sich nicht damit auf, die einzelnen Beeren abzupflücken, sondern biß in die volle Traube hinein, wie in einen Apfel, so daß der Saft ihm über das Kinn auf das rothe Tüchlein tropfte. So ungesittet sich das ausnahm, sah ich ihm doch eine Weile mit Vergnügen zu, während er allerlei thierische Naturlaute von sich gab, die das höchste Behagen ausdrückten.
Da öffnete sich plötzlich die Thür des Wirthshauses, und eine weibliche Gestalt trat heraus, die mir an jedem anderen Ort aufgefallen wäre, hier aber neben dem kleinen Caliban um so überraschender erschien.
Eine hochgewachsene Figur, Brust und Nacken so stattlich gewölbt, wie sich's unter den Weibern dieser Gegend nicht häufig findet, ein kleiner Kopf unter einem lose umgeschlungenen schwarzen Tuch, aus dessen Rahmen ein schönes junges Gesicht hervorblickte. Ich war ungewiß, ob ich eine Frau oder ein Mädchen vor mir habe. Als sie sich nach einem flüchtigen Blick auf mich zu dem Knaben wandte, glaubte ich freilich den Ausdruck mütterlicher Sorge in ihren großen grauen Augen zu entdecken. Wie aber wäre ein solches Bild der Kraft und Frische zu einem so welken Sprößling gekommen? Und doch, als sie ihn jetzt anredete und der Knabe ihr seine Traube hinhielt und auf mich deutete, wieder ein paar thierische Laute stammelnd, – das Roth, das ihr Gesicht überflog, der dankbare Blick, den sie auf mich richtete, – es war doch wohl die Mutter.
Sie sind wohl die Wirthin? sagte ich. Wenn Sie ein Zimmer frei hätten, möcht' ich hier übernachten. Sie haben doch nichts dagegen daß ich Ihrem Buberl die Traube gegeben habe?
Hast du dem guten Herrn ein Handterl gegeben? wandte sie sich an das Kind. Thu's gleich, Xaverl! Sei ein bravs Buberl, so! – die schöne Hand! (da der Kleine mir nur die linke entgegenstreckte). Und dann wieder zu mir: O, er ist schon so gescheidt, die Andern verstehn ihn nur nicht, aber er thut Alles, was ich ihn heiße, gelt, Xaverl? Es geht nur langsamer bei ihm als bei anderen Kindern, aber wenn man gut zu ihm ist und Geduld hat – pfui, schäm dich, Buberl! Dein Tuch hast ganz naß gemacht! – Er weiß eben noch nicht, wie man Trauben essen muß, das arme Hascherl! Hier wachsen keine, er hätt's sonst auch schon gelernt. Nicht den Stiel in den Mund stecken, Schatzerl! Den wirft man weg. So! Und nun steh auf. Kriegst noch eine Nudel zum Nachtessen und dann ins Bett. Aber wie du wieder ausschaust! – und sie strich ihm das Haar aus der Stirn. – Er hält zu wenig auf sich – ich will, daß er immer sauber ausschaut, aber wie Kinder sind, immer sich herumwälzen und auf die Kleider nicht achten – da, nimm dein Hüterl!
Sie half dem Knaben, der nicht gern ins Haus zu wollen schien, von der Bank herunter und nahm ihn bei der Hand. Auch der Hund erhob sich. Ich wiederholte meine Frage, ob sie mich beherbergen könne.
Ja freilich, sagte sie. Sie können ein gutes Zimmer bekommen. Es reisen jetzt nur Wenige. Auch wird in einer Viertelstunde frisch angezapft werden. Sag dem guten Herrn gut' Nacht, Xaverl! So! Er hat Ihnen gute Nacht gesagt, er kann nur noch nicht so recht mit der Sprache fort, das arme Kind, es thut, was es kann; wenn's ihm saurer wird als anderen, ist's nicht seine Schuld. Wenn's dem Herrn also jetzt gefällig wär' –
Sie ging mir voran ins Haus, der Knabe torkelte an ihrer Hand neben ihr.
Drinnen im Flur öffnete sie die Thür zur Rechten, an der auf einem Blechschilde »Gastzimmer« geschrieben stand. Treten Sie einstweilen ein, sagte sie. Ich muß nur erst Ihr Zimmer richten und das Buberl zu Bett bringen. Es wird nicht lang hergehen. Liesi! rief sie in den dunklen Gang hinein, an dessen Ende ich das Feuer in einem Kochherde flackern sah.
Eine Magd erschien auf ihren Ruf und zündete im Gastzimmer eine große Hängelampe an, die den sauber getünchten Raum nothdürftig erleuchtete. Ich warf meine Reisetasche auf eine Bank und setzte mich an einen der breiten Tische, deren weiße Platten so blank gescheuert waren, daß man das feine Geäder des Holzes selbst in diesem trüben Zwielicht unterschied. Im Uebrigen war's eine Gaststube wie alle anderen, im Winkel neben dem großen Ofen ein Bild der Mutter Gottes in Oelfarbendruck, dahinter ein Büschel verdorrter Palmkätzchen, darunter ein Weihkessel aus gelbem Metall, an den andern Wänden Bilder des Landesherrn und des deutschen Kaisers, auf einem der Tische ein paar veraltete Zeitungsblätter, das »Vaterland« und das »Fremdenblatt.«
Kein anderer Gast theilte mit mir das Zimmer. Die Thür aber nach der danebenliegenden Bauernstube war halb geöffnet, ich warf einen Blick hinein und sah an einigen minder säuberlichen Tischen ein Häuflein Bauern bei ihren Maßkrügen, rauchend, schwatzend und Karten spielend, unter ihnen eine Gestalt, in der ich unschwer den Wirth erkannte. Er saß neben einem Graukopf, mit dem er nur selten ein Wort wechselte, und sah schläfrig über die Gruppen seiner Gäste hinweg, von Zeit zu Zeit gähnend, wobei er ein mächtiges blankes Gebiß sehen ließ. Sein breites Gesicht war stark geröthet. Wenn einer der Krüge geleert war, klopfte er mit einer runden Tabaksdose auf den Tisch, und sofort erschien die Magd, den Krug von Neuem zu füllen.
Die Luft drinnen war unheimlich schwül und stickig vom Qualm der Raucher und dem Kohlendunst des Ofens, den man schon geheizt hatte, obwohl die Septembernächte sich noch nicht empfindlich verkühlten. Ich zog daher die Thür vollends zu, um die Luft im vorderen Zimmer rein zu halten und setzte mich wieder an meinen Tisch.
Die junge Wirthin trat jetzt wieder ein. Verzeihen Sie, sagte sie, an diesem Tisch sitzen jeden Abend die Herren aus dem Dorf, der Herr Pfarrer, der Oberförster und der Doctor. Wenn Sie so gut wären – drüben sind Sie ganz ungestört. Die Liesi soll gleich noch eine Kerze bringen und die frischen Zeitungen. Und ich wollt' fragen, was der Herr zum Nachtessen haben möcht'. Wir haben freilich kein Fleisch gekocht – 's ist heute Freitag –, aber sehr gute Nudeln sind im Haus, und mein Kaiserschmarren wird immer gelobt, oder wenn Ihnen eine Eierspeis und ein Salat lieber wär' –
Ich entschied mich für das Letztere, obwohl ich darauf gefaßt war, daß das Oel am Salat »radeln« würde, wie man zu sagen pflegt, wenn man es im Verdacht hat, aus dem Krug zu stammen, in welchem das Oel zum Einölen des Spinnrades aufbewahrt wird.
Ehe mich die freundliche Wirthin aber verließ, um selbst in der Küche mein Abendessen zu bereiten, hielt ich sie noch einen Augenblick auf.
Sind Sie die Frau des Wirths? fragte ich. Es schien mir das, nachdem ich ihn gesehen, ebenso ungeheuerlich, als sie für die Mutter des unglücklichen Knaben zu halten.
Ihre Augen wurden finster. Der Wirth ist mein Vater, sagte sie rauh; heißt das, mein Stiefvater. Ich bin noch ledig.
Wohl nicht lange mehr, sagte ich galant. Wer so ausschaut wie Sie –
Es gehört mehr dazu als das Ausschauen, erwiderte sie, vor sich hinblickend. Mein Stand ist mir noch nicht verleidet, und zu schaffen hab' ich auch genug, ich wüßt nicht, wie ich's alles fertig brächt', wenn ich noch einen Mann dazu hätt' und eigene Kinder. Aber ich muß in die Küch'.
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Also war der Xaverl nicht ihr eigenes Kind. Oder verleugnete sie es nur vor dem Fremden? Das aber war nicht wahrscheinlich, da sie das arme Wesen trotz seiner Mißgeschaffenheit mit so verblendeter Zärtlichkeit betrachtete und es hier zu Lande nicht für eine Schande gilt, sich zu einem »ledigen Kinde« zu bekennen.
Ich hatte mich eben bei dem Licht, das die Magd gebracht, in die Zeitungen vertieft, als die Stammgäste hereintraten, zunächst nur zwei von ihnen, der geistliche Herr und der Forstmann. Sie grüßten höflich und nahmen an ihrem Tische Platz, der Pfarrer, ein kleiner, behaglich runder Mann, der beständig wohlwollend schmunzelte und zu den Reden des Anderen, eines wildblickenden, aber dazwischen treuherzig auflachenden bärtigen Gesellen nur zuweilen ein »Ja, ja!« oder »Hm, hm!« beisteuerte. Die Magd hatte ihnen das Bier gebracht, sie fingen nun an zu rauchen, und als dann draußen das Gebetläuten erklang, legten sie die Cigarren auf den Tisch, bekreuzten sich und murmelten mit gefalteten Händen vor sich hin.
Gleich darauf hörte man einen leichten Wagen an das Wirthshaus heranrollen, rasche Schritte kamen durch den Hausgang, und herein trat ein schlanker junger Mann, sorgfältig gekleidet, durch eine goldene Brille lebhaft umherblickend, während er mit einem munteren »Grüß Gott!« an den Stammtisch trat. Er entschuldigte seine Verspätung mit einem schweren Fall, der ihn aufgehalten habe, setzte sich, ein Cigarrenetui herausziehend, und fing sofort an, nachdem er die ersten Züge gethan, die schon sehr abgegriffenen Karten zu mischen, die auf dem Tische lagen.
Da trat die Wirthin wieder ein, die mir das Essen auftrug. Sofort sprang der junge Mann auf, sie zu begrüßen, wobei er ihr allerlei zuflüsterte, was sie nur mit einem flüchtigen Nicken erwiderte. Wie sie jetzt nebeneinander standen, mußte man sie wohl ein schmuckes Paar nennen. Das Mädchen hatte das Kopftüchlein abgelegt, und ihr ernsthaftes, wohlgebildetes Gesicht erschien jetzt, da es von dem starken blonden Haar eingerahmt war, jugendlicher als draußen vor dem Hause. Der Doctor war nur wenig größer als sie, und sein frisch geröthetes Gesicht und die hastigen Bewegungen ließen ihn jünger erscheinen, doch nicht gerade zu seinem Vortheil. Er sprach leise und angelegentlich mit der jungen Person, und ich sah, wie ihre Wangen eine rothe Glut überflog und ihre Augen aufleuchteten, während sie kein Wort erwiderte, nur leise den Kopf schüttelte.
Ein ungeduldiger Zuruf des Forstmannes fuhr endlich dazwischen. Der Doctor setzte sich wieder und fuhr fort die Karten zu mischen, das Mädchen stellte die Schüsseln vor mich hin und wünschte mir guten Appetit.
Sie kehrte noch einmal zurück, mir und dem Doctor die vollen Maßkrüge zu bringen, ließ sich dann aber nicht mehr blicken.
Ich aß, was sie mir bereitet hatte, – das Oel im Salat »radelte« wirklich nur ein ganz klein wenig – und verfolgte die Wechselfälle des Spiels am anderen Tische, soweit ich es nach den Geberden und Ausrufungen der Spieler im Stande war. Nur der geistliche Herr bewahrte bei Gewinn und Verlust seinen lächelnden Gleichmuth, der Oberförster, der fast jede Karte mit einem derben Aufschlagen seiner Knöchel hintrumpfte, ließ es an den landläufigen Tarokflüchen nicht fehlen und erhitzte sich mehr und mehr, indem er es dem Doctor schwer verdachte, zu seinem Glück in der Liebe auch noch Glück im Spiel zu haben, und dieser ließ nur dann und wann ein hämisches Triumphgelächter ertönen, wenn ihm ein besonders glänzendes Spiel gelungen war.
Er war ohne Zweifel der Hübscheste von den Dreien. Doch wenn ich hätte wählen müssen, wäre mir zur Gesellschaft Jeder der beiden Anderen lieber gewesen.
Einmal ging die Thür der Bauernstube, und der Wirth trat ein, ein Riese, wie ich jetzt erkannte, wohl noch nicht über die Vierzig, aber mit so schwerfälligem Gang, als trüge er ein paar Jahrzehnte mehr aus dem Nacken. Er trat zuerst an den Stammtisch, nickte mit einem lallenden: »Guten Abend miteinand!« den Spielenden zu, bot ihnen die Dose, aus der nur der Pfarrer mit zwei fetten weißen Fingern eine Prise nahm, und wandte sich dann zu mir. Er schien eine kleine Zwiesprach anbinden zu wollen sich nach meinem Woher und Wohin zu erkundigen. Die Zunge aber war ihm so schwer, daß er nur wenige unverständliche Worte hervorbringen konnte, und wie er mit seinem dunkelrothen Kopf mich so zutraulich hülflos anblinzelte, war es mir auf einmal klar, daß ich den Vater des armen Xaverl vor mir hatte, obwohl die Züge des weinseligen Gesichtes einmal anziehend gewesen sein mußten. Auch mir bot er mit zitternder Hand seine runde schwarze Dose.
Da ich aber dankte und als Gegengabe ihm eine Cigarre bot, schüttelte er stumm den Kopf und schob sich langsam auf seinen Elephantenfüßen zum Zimmer hinaus.
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Ein paar eintönige Stunden waren so vergangen. Ich wollte eben aufbrechen, als eine Magd ins Zimmer trat und nach dem Doctor fragte. Der hatte eben wieder ein Coeur-Solo gewonnen und stand auf, dem Ruf der Pflicht zu folgen. Er zögerte draußen noch ein paar Minuten, offenbar in Erwartung einer zärtlichen Verabschiedung. Dann hörte man ihn die Hausthür zuschlagen, und auch die beiden anderen Männer brachen auf, nachdem der Forstmann seinem Aerger über den Verlust der geringen Summe Luft gemacht hatte. Ja, ja! sagte der Pfarrer, seinen Hut vom Nagel nehmend und mit dem Rockärmel bürstend, jungen Leuten läuft das Glück nach wie die Mädel, hum, hum! ja, ja!
Ich war kaum allein geblieben, so kam die junge Wirthin zu mir herein. Wie es mir geschmeckt hätte, und ob ich jetzt zu Bett gehen wolle oder noch ein frisches Bier wünsche?
Wie heißen Sie? fragte ich, indem ich sie mit einer freundlichen Handbewegung einlud, auf der Bank neben mir Platz zu nehmen.
Josepha!
Sie setzte sich nun ebenfalls, mir gegenüber. In der Nebenstube war's still geworden, die Bauern hatten sich verzogen, man hörte nur das langsame Schnarchen des Wirthes durch die angelehnte Thür.
Sie sind eine gute Köchin, Fräulein Josepha, sagte ich. Ich habe nie eine bessere Eierspeis gegessen.
Der Salat aber ist nichts mehr nutz, so spät im Jahr, versetzte sie. Er ist ganz ausgewachsen. Es wär' aber zu lang hergegangen, wenn ich Ihnen hätte Kartoffeln sieden wollen. Wenn Sie morgen noch bleiben, sollen Sie's besser haben. Ich hab' nicht umsonst in München das Kochen gelernt.
In München? Darum sprechen Sie auch eine feinere Sprache, und auch Ihr Anzug ist nicht, wie man's sonst auf dem Lande sieht. Wie sind Sie denn in die Stadt gekommen?
Mein Mutterl hat mich hingeschickt, in einen Gasthof, wo die Wirthin eine Base zu ihr war. Da bin ich ein Jahr geblieben als Kochenlernerin und weil ich einen anschlägigen Kopf gehabt hab' – ich war erst achtzehn Jahr –, da haben die Leut' mich gern gehabt, und ich hab' mit der Tochter vom Haus allerlei gelernt, sogar ein bisserl Klavierspiel. Da wenn ich hätt' bleiben können, wär' was Anderes aus mir geworden, und verheirathet wär' ich am End' an einen Stadtherrn. Denn zwei Anträg' hab' ich schon gehabt, aber ich hab' mich nicht entschließen können, weil ich Keinen recht gern gehabt hab', obwohl's ganz gute Partieen waren. Wenn's Herz nicht dabei mitspricht, kann einen das schönste Leben nicht glücklich machen.
Sie sah auf den Tisch nieder und zeichnete mit dem Zeigefinger allerlei Buchstaben in das verschüttete Bier.
Und wie kam's denn, daß Sie doch wieder aufs Dorf zurück mußten?
Das ist ganz einfach zugangen. Mein Mutterl hat indeß wieder geheirathet gehabt. Eigentlich hatt' sie mich auch in die Stadt geschickt, daß ich aus dem Weg käm'. Denn der Bauer, der um sie gefreit hat, hat vorher auch ein Aug' auf mich gehabt, und es hätt' nicht gut gethan, wenn ich im Haus geblieben wär'. Ich hab' sie gewarnt, denn ich hab' ihn wohl gekannt, so jung ich war, und daß er sie nur nahm, um hier Wirth zu werden und das schöne Anwesen zu kriegen und sich faule Tage zu machen. Denn er hat schon damals lieber hinterm Maßkrug gesessen als geschafft, und sein eigens Gut ist vergantet worden, weil er so ein Tagedieb war. Aber ein sauberer Bursch war er auch, mit seinen dreißig Jahren und mein armes Mutterl war halt verliebt in ihn. Da hat sie auf mich nicht hören wollen. Und da haben sie halt Hochzeit gemacht, und gleich hernach bin ich fort in die Stadt. Und wie's Jahr noch nicht herum war, schreibt mir die Mutter, ich sollt' geschwind einpacken, sie läg' in den Wochen, und es sei ihr gar hart ergangen, sie könn' sich nicht rühren und regen, und das Kind sei auch ein elendigs Würmerl, ein elendigs, und ich müßt' kommen, nach ihm zu schauen und auch ein Aug' auf die Wirthschaft zu haben, es ging' sonst Alles drunter und drüber.
Da bin ich denn gleich herausgefahren, und der Stiefvater hatte einen Mordsrausch, noch von der Tauf' her, die Mutter aber lag im Kindbettfieber. Ich hab' großen Kummer gehabt, besonders auch um das Kind, das Tag und Nacht schrie, und der Doctor – noch der alte damals – der hat gemeint, es sei kein Schade, wenn sich's zu Tod schreien würd', denn viel Gescheidts käm' doch nicht danach, sein Vater sei wohl nicht bei seinen fünf Sinnen gewesen, als er – nun Sie wissen schon – und es werde ein armer Tropf bleiben sein Leben lang. Aber wie ich das arme Kind zum ersten Mal eingefatscht hatt' und trug's nun herum, und es wurde ganz still und sah mich so hülflos an, da erbarmte mich's, und ich hab' gedacht: du thust, was du thun kannst, daß es leben bleibt und noch einmal ein richtiger Mensch wird. Sie mögen's mir aufs Wort glauben, Herr, er war ein sauberer Bub, der Xaverl, so große Äugerln und feine weiche Haarerln und wenn er nicht schrie, schaute er ganz aus wie ein anderes Kind. Er schrie aber nur, wenn ein Anderes als ich ihn auf den Arm nahm. Und darum mußt' ich mich den ganzen Tag mit ihm abgeben und selbst, wenn ich in der Küche stand, hatt' ich die Wiege neben dem Herd und discurirte mit dem Buberl, und so ging's zum Erstaunen gut. Bloß, daß mein Mutterl von Tag zu Tag schwächer wurde, und es war schreckbar, wie sie verfiel, und nicht sechs Monate hat's dauert, da mußten wir sie begraben. Eh' sie gestorben ist, hat sie mir noch das Buberl ans Herz gelegt. Denn der leibliche Vater hätt's am liebsten aus der Welt geschafft, und zumal im Rausch durft' man das Kind ihm nicht vor die Augen bringen, da hat er gleich die Augen gerollt und ist drauf losgefahren, als ob er's an die Wand schmeißen wollt'. Ich hab's aber gut bewacht, und wie sein arms Mutterl nicht mehr gelebt hat, ist mir's vollends ans Herz gewachsen. Wen hat's auch außer mir auf der Welt gehabt, der ihm was Guts gegönnt hätt' und sich an ihm gefreut? Es ist ja freilich zu kurz kommen an Manchem, was andere Kinder von ihrer Geburt an mit auf die Welt bringen. Aber kann es dafür, das arme liebe Geschöpferl? Und daß er nicht noch einmal werden könnt' wie Andere, lass' ich mir nicht ausreden. Die Anderen gehn so dran vorbei und haben wohl gar ihr Gespött mit mir, weil ich meinem Xaverl nichts abgehen lass' und ihn nicht mit dem gescheidtesten Schulbuben vertauschen möcht'. Ich kenn' ihn eben besser als Alle, ich und der Tyras, der weiß auch, daß er seinen Verstand ganz richtig beisammen hat und kann sich nur nicht so ausdrücken. Er ist ja auch erst neun Jahr, bei Manchen geht's noch länger her, bis sie ganz flink mit dem Sprechen Bescheid wissen. Und Sie selbst haben ihn doch nicht zu häßlich gefunden, um sich mit ihm einzulassen, und ich denk', wenn ich nur fleißig für ihn bet', wird mein Xaverl endlich doch noch all' die schlechten Leut' beschämen, die ihn jetzt einen Trottel heißen. Meinen Sie nicht auch?
Sie sah mir mit so rührend gespannter Miene ins Gesicht, daß ich's wahrlich nicht übers Herz bringen konnte, ihre Zuversicht durch den leisesten Zweifel zu dämpfen.
Er ist ein gutes Kind, sagte ich, und Niemand kann sagen, was aus einem so jungen Buben noch einmal für ein Mann wird. Aber Sie werden doch seinetwegen nicht ewig hier im Hause bleiben, wie Sie vorhin sagten, und warum sollten Sie nicht auch für eigene Kinder noch ein Stück Herz übrig behalten, neben der Liebe zu Ihrem Xaverl?
Da schüttelte sie mit finsteren Augen den Kopf.
Es nimmt mich Keiner mit meinem Buberl, und ohne ihn hätt' ich keine ruhige Stund'. Nein, 's ist einmal gefehlt. Man muß das Leben nehmen, wie's der liebe Gott schickt.
O, sagte ich, Fräulein Josepha, ich wüßte schon Einen, der mit beiden Händen zugreifen würde, wenn Sie ihm nur den kleinen Finger hinhielten, und das Buberl nähm' er wohl auch in Kauf.
Sie meinen den Doctor, sagte sie darauf und sah vor sich nieder. Ich hab's selbst einmal gedacht, wie er zuerst ins Dorf kam und war immer um mich herum, und ich selbst hab' ihn gern, weil er ein hübscher Mann ist und so geschickt, und ich möcht' auch lieber Einen, der aus der Stadt wär' und Bildung hätt', als auch so Einen wie mein Stiefvater. Und auch aus dem Wirthshaus ging' ich gern weg, denn es ist kein schönes Leben, das ich hier hab', und der Wirth selbst, der schändliche Mensch, – ihre Stimme wurde leiser, und ein verächtlicher Zug kräuselte ihre Lippen – obwohl's eine Todsünde wär', da er der Mann meiner Mutter gewesen ist, – ich hab' manchmal meine Noth, ihn mir vom Hals zu halten. Aber bei alledem – es soll nicht sein und wird nicht sein in alle Ewigkeit!
Warum, Fräulein Josepha?
Er hat mir schon nach den ersten drei Wochen, wie er mich hat kennen gelernt, einen Heirathsantrag gemacht. Ich hätt' mir keinen Bessern wünschen können, denn wie gesagt, ich hatt' mich auch gleich in ihn vernarrt, und wie er mich gefragt hat, ob ich ihn möcht', ist mir ganz heiß worden vor Stolz und Freud'. Denn nicht bloß, daß ich bei ihm versorgt gewesen wär', ich hätt' auch einmal erfahren, was Glück ist, und hätt' ihm ein gutes, getreues Weib sein wollen. Wie ich ihm aber geantwortet hab', ich hätt' nichts dagegen einzuwenden, wenn ich nur den Xaverl mitnehmen dürft' und er verspräch', gut zu ihm zu sein, da hat er gelacht und gesagt, wo ich hin dächt'? Ob ich glauben thät', wir würden nicht ohnehin mit der Zeit das Haus voll Buben und Mädel haben? Und wenn ich beständig so einen – und da sagt' er das wüste Wort – um mich hätt', könnt' ich mich am End' an ihm versehen, und er thät' sich dafür bedanken, auch so ein kielkropfetes Kind auf die Welt zu setzen. Den Xaverl wollten wir in eine Anstalt thun, wo mehr solche Unglückskinder verpflegt würden, und sie hätten's gut dort, und ich könnt' mich selbst davon überzeugen. Aber als Mitgift zu seiner Heirath wolle er nichts von solch einem – Wechselbalg, sagt' er – wissen. Daß es damit aus gewesen ist, brauch' ich wohl nicht erst zu sagen. Er hat freilich die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, thut auch mit dem Xaverl ganz freundlich, wo er ihn trifft, aber ich kann ganz gut sehen, daß es nur auf mich gemünzt ist, und daß er kein so guts Gemüth zu ihm hat, wie zum Beispiel Sie, obwohl Sie ihm ganz fremd gewesen sind.
*
Ich sann noch darüber nach, was ich auf diese wundersame Herzensergießung erwidern sollte, als draußen der Knall einer Peitsche und das Knarren schwerer Wagenräder, die vor dem Hause anhielten unser Gespräch unterbrach. 's ist der Bote von München, sagte das Mädchen und stand auf. Er kommt zweimal in der Woch' und kehrt immer bei uns ein. Entschuldigen Sie, ich muß schauen ob er Alles richtig mitgebracht hat.
Sie ließ mich nur kurze Zeit allein, kam dann wieder und fragte, ob sie mich jetzt auf mein Zimmer führen solle. Dann nahm sie das Licht und ging mir voran die Treppe hinauf. Die Stufen waren alt und ausgetreten, aber rein gescheuert, die Wände weiß, und nirgend eine Spur nachlässiger Wirthschaft.
Ich sagte es ihr. Ja, versetzte sie mit stillem Selbstgefühl, man muß halt überall die Augen haben. Das alte Haus wär' uns längst überm Kopf zusammengefallen, wenn ich's nicht, nachdem mein Mutterl todt war, von Grund aus hätt' repariren lassen. Ein Hôtel ist's freilich nicht, ich hoff' aber, Sie werden doch gut schlafen.
Als wir oben im Gang zu einer Thür kamen, die nur angelehnt war, stand sie still und horchte hinein. Er schläft ganz ruhig, sagte sie. Wollen Sie ihn sich noch einmal ansehen?
Damit trat sie über die Schwelle, das Licht mit der Hand schützend. Es war eine enge Kammer, nur ein sauberes Bett stand darin, dicht daneben eine vergitterte Kinderbettstatt, sonst nur zwei Stühle und ein Tischchen mit Waschgeräth. In dem kleinen Bett lag der Xaverl.
Er hatte ein weißes Nachtröckchen an, mit einem gestickten Saum am Halse, die kleinen welken Hände lagen schlaff auf der rothen wollenen Decke, der schwere Kopf mit dem struppigen Haar tief in das Federkissen eingewühlt, der Mund offen – einem Zwergenkinde ähnlich, das böse Feeen in der Wiege gegen ein Menschenkind vertauscht hätten.
Aber ein glückliches Lächeln mütterlicher Zärtlichkeit flog über den Mund des Mädchens, als sie flüsterte:
Liegt er nicht da so fromm und friedlich wie ein Engerl? Und wie er wächs't! Das Betterl ist ihm bald zu kurz. Ich lass' ihn einstweilen noch drin, weil er sich oft im Schlaf herumwirft und möcht' dann 'nausfallen. Im Schlaf spürt man's, daß er einen ganz lebhaften Geist hat, er kann's nur noch nicht so von sich geben, ist ja auch erst neun Jahr alt. – Gute Nacht, Buberl!
Sie fuhr ihm sacht über die kurze Stirn, ihm das Haar glättend, und schlich dann auf den Zehen wieder hinaus. Ich folgte ihr in tiefer Bewegung.
So lag ich auch noch eine Stunde lang, ohne Schlaf zu finden, so bequem das Bett war. Immer machte mir der räthselhafte Widerspruch zu schaffen wie dieses Mädchen, das mit so klarem Verstand und Willen sein übriges Leben beherrschte, in diesem einen Punkt sich selbst so unheilvoll verblenden konnte. Ist es recht und billig, fragte ich mich, ein gesundes, kraftvolles Leben hinzuopfern, um ein verlorenes zu hüten? Wäre es nicht selbst für das arme Kind vielleicht besser, wenn es einer Anstalt übergeben würde, wo es unter Seinesgleichen Gespielen fände, und die treue Schwester, wenn sie ihres Doctors Frau geworden, besuchte ihren Xaverl dort von Zeit zu Zeit und überzeugte sich, daß es ihm an nichts fehle? Aber freilich, wenn er ihr fehlt – o unergründliches Geheimniß der Liebe!
*
Ich hatte für den anderen Tag einen ziemlich starken Marsch vor und war früh dazu gerüstet.
Als ich mein Zimmer verließ und wieder an die Schlafkammer der Josepha kam, wollte ich sacht vorbeigehen. Da hörte ich mir aber einen Guten Morgen zurufen, klopfte nun an und trat ein.
Sie war schon ganz angekleidet und eben mit der Toilette des Buberl beschäftigt. Sein Gesicht war ein wenig geröthet von nachdrücklichem Waschen, sein Haar mit Wasser gestrählt. Er machte vergnügte Augen, als ihm jetzt das rothe Tüchlein wieder umgeknüpft wurde, und lachte mich mit offenem Munde an.
Ich holte zwei Pfirsiche aus meinem Vorrath und hielt sie ihm hin, und er grins'te noch stärker, indem er mit beiden Händen danach griff.
Bedank dich auch, Schatzerl, sagte seine Wärterin; so, mach ein Buckerl – er kann's schon recht schön gelt, Xaverl? Und jetzt wollen wir dem guten Herrn das Geleit geben.
Ich fragte nach meiner Zeche und hatte Mühe, meine freundliche Wirthin zu bewegen, daß sie überhaupt etwas von mir annahm. Ich sei der Erste, der gut zu ihrem Buberl gewesen wäre, sie wollte, ich könnte länger bleiben, es würde auch für den Xaverl gut sein, er würde seine Scheu verlieren, mit fremden Menschen zu sprechen. Denn vor dem Vater habe er erst recht Angst und fange gleich an zu schreien, wenn er ihm begegne.
An diesem frühen Morgen hatte es keine Gefahr. Der Wirth schlafe noch, sagte die Josepha. Der Knecht habe ihn erst um Mitternacht in sein Bett geschafft. So treibe er es alle Tage, werde es aber nimmer lang treiben, sage der Doctor; denn es fange schon immer sacht an mit dem Delirium.
Als wir vor die Hausthür in den frischen Morgen hinaustraten, fuhr gerade der Doctor in seinem leichten Wägelchen vorbei, das er selbst lenkte. Er sah gut aus in seinem hellen Ueberrock mit dem Sammetkragen und der kleidsamen Plüschkappe, und daß er schon so zeitig wieder in seinem Beruf sich tummelte, war gewiß ehrenwerth. Gleichwohl wollte mir die etwas übermüthige Art nicht gefallen, mit der er dem Mädchen zunickte, die Peitsche zum Gruß senkend, und das Lachen, das sein hübsches Gesicht nicht anziehender machte.
Die Josepha nickte nur so verloren zu ihm hin, beugte sich dann zu dem Kinde hinab und hieß es, mir zum Abschied noch ein Handterl geben – die schöne Hand. Das arme Wesen war doppelt unbehülflich, da es noch die Früchte in den Händen hielt. So streichelte ich ihm den Kopf, schüttelte der Schwester herzlich die Hand und schritt die Straße hinunter.
Als ich mich bei der nächsten Biegung derselben umsah, stand das ungleiche Geschwisterpaar noch immer an der Schwelle, von dem hohen Nußbaum überschattet, Xaverl bereits eifrig an einem Pfirsich nagend, so daß das Buckerl, zu dem er wieder angehalten wurde, nur sehr mangelhaft ausfiel.
*
Wie stand das alles lebhaft wieder vor meiner, Seele, als ich zum zweiten Mal nach fast zwei Jahrzehnten das Dorf erreichte. Was mochte aus den Bewohnern des »Bayerischen Löwen« geworden sein? Wie würde ich das arme Buberl finden? Und ob ich nicht doch, wenn ich Josepha wiedersehen wollte, zum Hause des Doctors würde gehen müssen?
So betrat ich die Dorfgasse, die ich noch so gut in der Erinnerung hatte. Und doch – ich konnte mich nicht sogleich zurechtfinden. Das fünfte Haus zur Rechten – das wußte ich noch – war der Bayerische Löwe und der Nußbaum daneben der sicherste Wegweiser. Doch so weit ich auch die Augen öffnen mochte – kein Baum hob seine Zweige in die warme Abendluft, und dort das fünfte Haus, war es wirklich das gesuchte? Wo war die schöne rosige Farbe und die blaue Fenstereinfassung hingeschwunden? Von den Wänden war der Kalk in großen Stücken abgebröckelt, die Fenster verstäubt, die Bank neben der Hausthür verfallen. Und doch war es das Haus, welches ich suchte; das Schild über dem Eingang wies noch das edle Wappenthier mit Scepter und Krone, aber jede Spur seines Goldes war verblichen und die Buchstaben der Inschrift, allen Unbilden der Witterung preisgegeben, zur Hälfte ausgelöscht.
Nur etwas zeugte dafür, daß hier noch Menschen wohnten, die dem Verfall nicht ganz gleichgültig zuschauten. Aus dem Stacket, das den Baumgarten am Hause gegen die Straße abgrenzte, nahe der Stelle, wo ehedem der Nußbaum gestanden, ragte ein Kapellchen hervor, ein schmucker kleiner Bau, weißgetüncht, drinnen ein Crucifix, zu dessen Füßen die Mutter Gottes stand, das Schwert in der Brust, vor der Kapelle ein eisernes Gitter, das man von der Straße aus aufschließen konnte, um drinnen auf das Schemelchen niederzuknieen. Das kleine Heiligthum war mit bäuerlichem Luxus erbaut und ausgestattet und schien erst wenige Jahre an dieser Stelle zu stehen.
Während ich noch stand und mich in dem Wandel der Dinge zurechtzufinden suchte, öffnete sich die Hausthür, und ein schlankes, etwa vierzehnjähriges Mädchen, dürftig gekleidet, aber doch anmuthig anzuschauen, trat heraus, ein blechernes Eimerchen in der Hand, wie sie zum Milchholen verwendet werden. Sie wollte, nachdem sie einen neugierigen Blick auf mich geworfen, nach der anderen Seite ins Dorf hineinschreiten, ohne auf meinen Anruf zu achten, was ich als Blödigkeit auslegte. Als ich ihr aber nachgeeilt war und sie nun freundlich fragte, ob das Wirthshaus zum Bayerischen Löwen noch in den alten Händen sei, und ob ich die Tochter des Wirths, die Josepha, noch vorfände, blickte sie erröthend mir gerade ins Gesicht, schüttelte leise den Kopf und machte mit der Hand eine Geberde, die ich nicht mißdeuten konnte.
Das arme junge Ding war taubstumm.
Sie nickte dann wieder mit einem lieblich traurigen Lächeln und setzte ihren Weg fort. Ich blieb schmerzlich betroffen zurück und mußte mich nun wohl entschließen meine Nachforschungen im Hause selbst fortzusetzen.
Es war todtenstill drinnen als ich in den Flur trat. Weder die Wirthin noch die Magd kam mir entgegen und aus der Bauernstube drang kein Geräusch von Stimmen oder Klappern von Maßkrügen heraus. Ich klinkte die Thür des Gastzimmers auf und hätte mich nicht gewundert, auch hier keine lebende Seele anzutreffen.
Doch nein, dort am Fenster, im letzten Schein des verglimmenden Abends, saß ein Weib, auf eine Handarbeit gebückt, so in sich versunken daß sie das Oeffnen der Thür und meine ersten Schritte überhörte. Jetzt hob sie den Kopf, und ich erkannte – nicht auf den ersten Blick; ich mußte mit erst dieses gealterte Gesicht in seine jugendlichen Züge zurückübersetzen – meine gute Freundin Josepha.
Grüß Gott, Wirthin! sagte ich, da ich nicht wußte, ob ich sie Fräulein oder Frau Josepha anreden sollte. Wie geht's? Wie ist's immer gegangen? Kennen Sie einen alten Freund nicht mehr?
Sie war sitzen geblieben, hatte aber die Hände in den Schooß sinken lassen auf eine künstliche Arbeit, eine Stola in Goldstickerei, die ihre einst so hellen Augen anzugreifen schien. Wenigstens hatte sie eine große Hornbrille aufgesetzt; die nahm sie jetzt ab und betrachtete mich ein paar Secunden lang.
Ich hatte Zeit, zu bemerken daß ihr noch immer volles Haar mit grauen Strähnen durchzogen, ihr Mund scharf und blaß geworden, ihre kräftige Brust eingesunken war.
Sie sind's wirklich, Herr! sagte sie jetzt, und eine leise Röthe flackerte in ihren Wangen auf. Ja, wie kommen denn Sie wieder hierher? Und haben die alte Josepha noch nicht vergessen? 's ist freilich die alte nicht mehr, du liebe Zeit! Was ist alles vorgegangen seit damals, wo Sie meinem Buberl die Traube geschenkt haben und die Pfirsiche! Entschuldigen Sie nur, daß ich Sie nicht gleich wieder gekannt hab', meine Augen sind halt nimmer so klar, haben halt viel weinen müssen. Ist das aber eine Freud'! Nun legen Sie nur gleich ab, und Sie werden hungrig und durstig sein, gelt? Das Haus ist leider nimmer, was es war, aber satt wollen wir einen so lieben Gast doch noch machen, und Ihr Bett steht auch noch auf dem alten Fleck. – Nein, daß wir Zwei noch einmal zusammenkommen sollten!
Sie war aufgestanden und hatte mir aufgeregt und zutraulich die Hand gegeben.
Jetzt kenn' ich Sie erst wieder, sagte sie, mich mit Kopfnicken musternd. Sie haben sich nicht viel verändert, ich aber desto mehr, gelt? Ich bin eine alte Frau geworden und auch sonst –
Sie nahm mir Schirm und Reisetasche ab und führte mich zu einem der hölzernen Stühle. Ich sah, wie die Gedanken in ihr wogten und die Thränen ihr nahe waren. Um nicht ganz zu verstummen, da ihr Anblick mich rührte, fragte ich:
Wo haben Sie den schönen Nußbaum gelassen, Josepha? Ich hätt' bald Ihr Haus nimmer gefunden, da er mir fehlte.
Der Baum? sagte sie. In den ist der Blitz 'neingeschlagen, schon vor zehn Jahren. Er hat dann noch einen Sommer gestanden, dann ist er eingegangen, es hatt' ihn ins Mark getroffen.
Nun, wer ihn nicht gekannt hat, wird ihn wohl kaum vermissen. Sie haben ja doch das schöne Kapellchen dafür bauen lassen.
Das steht erst ein paar Jahr, erst seit der neue Herr Pfarrer ins Dorf kommen ist. Der frühere, den Sie gekannt haben, ist schon seit vier Jahren todt.
Und der Wirth selbst, lebt er noch?
Ist auch todt. Noch denselben Winter, nachdem Sie hier gewesen waren. Der Schlag hat ihn gerührt, es war ein Glück für ihn und auch für mich. Denn obwohl der Knecht ihn ganz allein verpflegt hat, mir hat's doch immer gegraus't, wenn ich ihn so liegen gesehn hab' im Delirium, und der Doctor hat auch gesagt, er hätt' nichts Gescheidteres thun können als sterben, er hätt' sonst noch viel ausstehen müssen. Jetzt, da er lang unter der Erden ist, kann ich ohne Zorn an ihn denken, und hab' auch drei Seelenmessen für ihn bezahlt. Was er gesündigt hat, dafür hat er schon hier auf Erden büßen müssen.
Ich schwieg, und auch sie stand eine Weile in Gedanken vertieft am Tische neben mir.
Nach einiger Zeit reckte sie sich in die Höhe.
Nach Einem fragen Sie gar nicht, sagte sie dumpf. Aber freilich, Sie werden in der Zeitung gelesen haben, daß mein Xaverl gestorben ist. In drei Blätter hab' ich's einrücken lassen, grad' weil die Leut' sagten, ich wäre wohl närrisch, wer früge auch danach, ob so ein armes Buberl auf der Welt sei oder nicht. Aber gelt? Sie haben's doch gelesen und gedacht, wie mir's nah' gehen würd', und haben ein Vaterunser gebetet für mein liebs Buberl. Wenn ich Ihnen sagen könnt', wie ich gelitten hab', als er krank worden ist und hernach erst – es weiß und glaubt es kein Mensch, nur unser Herrgott, der in die Herzen schaut. Aber eine schöne Leich' hat er gehabt, ich hab' ihm ein Särgerl machen lassen von politirtem Eichenholz mit gelbem Beschläg', und Alle im Dorf sind mitgegangen. Und wenn Sie auf den Friedhof gehen, werden Sie sein Grabmonument sehen, ein weißes Kreuz und unten ein betender Engel von Marmor und die Inschrift mit Goldbuchstaben. Nein, es hat ihm nichts abgehen sollen, meinem Buberl, und wenn ich mein letztes Hemd darum hätt' verkaufen müssen!
Während sie noch sprach, trat das taubstumme Mädchen herein nickte mir freundlich zu, wobei ihre hellen Augen und ihr lachender Mund einen wunderlichen Gegensatz zu ihrem Gebrechen machten, und theilte der Wirthin mit Finger- und Mienenspiel etwas mit, was ich natürlich nicht verstand. Sie erhielt eine Antwort in derselben lautlosen Sprache und huschte wieder hinaus.
Sie müssen mich jetzt entschuldigen, sagte Josepha, aber ich muß für Ihr Nachtessen sorgen. Ich hab' keine Magd mehr, ich und das Deandl besorgen das Hans und die Küche, nur einen Knecht halt' ich für die grobe Arbeit. Denn das Wirthshaus hab' sich aufgegeben, es kamen immer weniger Leut', sie sahen's mir an, daß mir's keine Freud' mehr machte, nichts auf der Welt mehr, und so blieben sie weg. Nur wenn noch gute Bekannte vorsprechen, die finden wie sonst eine Unterkunft. Sie müssen aber vorlieb nehmen, 's ist nicht wie dazumal, ich hab' wenig Vorräthe im Haus.
Machen Sie sich keine Sorge, sagte ich. Mir ist Alles recht, und ich weiß ja, daß Sie eine perfecte Köchin sind.
Die Frage, warum sie wieder ein Kind ins Haus genommen, das von der Natur verwahrlos't war, schwebte mir auf der Zunge. Sie wandte sich aber rasch ab, that ihre Stickerei in ein Schubfach und ging hinaus.
Ich sah keine Zeitungen wie damals aus dem Tische liegen, die Dunkelheit brach ein, ich setzte mich an das offene Fenster und athmete die sanftgekühlte Luft ein, in melancholischen Gedanken über den Wandel der Menschengeschicke. Dies schöne, kräftige Wesen zu vorzeitigem Altern und einsamer Ergebung in ein freudloses Auslöschen verdammt, der menschlichen Rede sogar entwöhnt durch den Umgang mit dem zweiten unglücklichen Kinde, nachdem sie ihre Jugend dem verachteten Brüderchen geopfert hatte – sie hatte einen überirdischen Trost wohl nöthig. Aber warum war sie nicht dem Doctor in sein Haus gefolgt, da das Hinderniß so bald aus dem Wege geräumt war?
Sie ließ mir Zeit, über das Räthsel nachzugrübeln.
Fast eine Stunde verging, ehe sie wieder eintrat, das junge Mädchen ihr vorleuchtend mit einer dünnen Kerze in zinnernem Leuchter – auch die Hängelampe schien längst außer Dienst zu sein –, dann sie selbst mit einer Schüssel, auf der ein gebratenes Huhn lag, und einer kleineren mit grünem Salat. Er ist aus meinem Garten, sagte sie, und besser wie damals, wissen Sie noch? Ich weiß noch Alles von jenem Abend.
Sie deckte ein weißes Tuch über den Tisch, und das Kind trug Messer und Gabel herbei und sodann einen Krug Bier, den es erst aus dem Postwirthshaus hatte holen müssen. Freilich, im Bayerischen Löwen wurde ja nicht mehr »frisch angezapft«.
Während ich das Huhn verspeis'te, das ihrem alten Ruhm einer guten Köchin Ehre machte, vom Salat aber nur ein wenig kostete – denn heute »radelte« das Oel –, stand sie vor mir am Tische und sah mir gedankenvoll zu. Ich lud sie dann ein, sich zu mir zu setzen zündete mir eine Cigarre an und sagte:
Es wird Ihnen doch zuweilen einsam zu Muth sein, und Sie werden die Zeit zurückwünschen, wo die drei Herren des Abends hier tarokten. Ist Ihnen denn auch der Oberförster untreu geworden? Er hielt doch so große Stücke auf Sie.
Er ist versetzt worden, schon seit sechs Jahren. Bis dahin hat er immer noch manchmal vorgesprochen.
Und der neue Herr Pfarrer?
Der ist ein gar strenger und rührt keine Karte an, aber ein frommer und rechtschaffener Herr ist er, und wenn mir's schwer ums Herz ist und ich geh' zu ihm, hat er immer ein Wort für mich, das mir die Beklemmung erleichtert. Die Stola, die ich stick', ist für ihn, er soll damit überrascht werden am Xaveriustag, ich denk', es wird ihn freuen.
Und – sagte ich nach einer kleinen Pause – was ist aus dem Doctor geworden? Der war Ihnen doch auch gut.
Der ist todt! versetzte sie dumpf.
Wir schwiegen Beide. Sie hatte sich abgewendet und fegte mit ihrer Schürze ein paar Brosamen vom Tisch.
Arme Josepha! sagte ich endlich, was haben Sie alles für Schmerzen ausstehen müssen! Und Sie hatten doch dem Himmel nichts gethan; warum hat er Sie nicht glücklich werden lassen? Wieder war's eine Weile still zwischen uns. Dann hob sie den Kopf in die Höhe und starrte gegen die schwärzliche Zimmerdecke.
Es bekommt Jeder sein Theil nach Verdienst, brach es rauh und heftig aus ihrer Brust hervor. Sie wissen nicht – Und dann, wie mit einem plötzlichen Entschluß ihr Herz öffnend: Daß er gestorben ist, war ein Glück für mich. Ich hätt' mich nicht wieder zurechtfinden können, wenn er leben geblieben wär' und ich müßt' denken: du kannst ihm jeden Tag begegnen. Denn er ist an all meinem Unglück schuld. Mein Buberl könnt' noch leben wenn er nicht gewesen wär'.
Ich sah sie betroffen an. Der Doctor? sagte ich. Was hat denn Der –
Er ist schuld dran, daß mein Xaverl –
Sie hielt einen Augenblick inne, als besinne sie sich, ob sie mir's auch anvertrauen könne, was ihr das Herz abdrückte. Dann, immer von mir wegsehend: Ihnen kann ich's ja sagen, Sie haben das Buberl ja auch gern gehabt, und er ist ja todt. Sie haben ja selbst gesehen wie er mit mir gethan hat, und daß er mich hat heirathen wollen, hab' ich Ihnen schon damals erzählt, und auch, warum nichts draus werden konnt', obwohl ich ihn gern gehabt hab'. Und wie der Wirth gestorben war und ich war Vormünderin vom Xaverl und hab' hier so fortgelebt wie vorher – denn der Wirth hatte sich ja schon längst um nichts mehr gekümmert –, da ist er wieder gekommen und hat gesagt: Pepi, hat er gesagt, wie steht's? Sie können doch nicht ohne Mann hier in alle Ewigkeit forthausen. Verkaufen Sie das Wirthshaus und kommen Sie zu mir. Sie sollen's nicht schlecht haben, ich liebe Sie, sagt' er und wollt' mich küssen. Aber ich schob ihn weg und sagte: Es bleibt, wie ich gesagt hab': nicht ohne das Buberl. Da schnitt er ein wildes Gesicht, und gleich darauf lachte er wieder und sagte: Sie stoßen Ihr Glück von sich, Pepi, gewiß und wahrhaftig, und Sie thun mir leid. Aber Sie werden sich besinnen denk' ich. Ich will drum beten. So sagt' er, obschon er nie gebetet hat, denn er glaubte nicht an die Kraft des Gebets, weil er keine Religion gehabt hat. Ich aber, ich hab' mich nicht besonnen, wie er gemeint hat. Und er ist auch nicht wieder drauf zu sprechen gekommen. Nur wenn er Abends hier vorsprach zum Tarok mit den beiden anderen Herren, hat er mich jedesmal so eigen von der Seit' angeschaut und bloß gesagt: Nun, Jungpfer Pepi? Ich hab' aber immer keine Antwort drauf gegeben. So ist's geblieben ein Jahr lang. Und 's that mir leid um ihn und um mich, denn ich hatt' mich ja auch in ihn vernarrt gehabt, in seine Gestalt und ganze Manier, und daß er kein gutes Gemüth hatte, wußte ich damals noch nicht, wie ich's heute weiß. Aber es konnt' halt doch nicht sein. Im März, am fünfundzwanzigsten, wird mein Buberl auf einmal krank, mitten in der Nacht, schreit und wirft sich in seinem Betterl herum, daß ich zu Tod erschrocken bin. Ich schick' gleich zum Doctor, der kommt und beschaut ihn und sagt: er hat die Fraisen. Und verschreibt ihm was, das ihm helfen sollt', daß er Schlaf kriegen thät'. Es half aber nichts. Gegen den Morgen wird's immer ärger, ich wußt' mich vor Angst und Erbarmen mit dem armen Liebling nicht zu fassen. Schick also wieder hin: er bessre sich nicht, der Doctor möcht' geschwind kommen. Wie er kam, war's gerad' ein bisserl stiller geworden; er verlangt sogar zu trinken. Der Doctor aber, wie er den Puls gefühlt hat, macht ein bedenkliches Gesicht und sagt: Er ist schwer krank, Pepi; wenn er durchkommen soll, muß ich ihm eine Einspritzung machen. Und zieht ein Fläscherl aus der Tasche und eine kleine Spritz'. Es ist doch nicht gefährlich? frag' ich, ganz irr und arm im Kopf nach der schlimmen Nacht. Sie geben ihm doch nichts Giftiges? Behüte! sagt er, nur ein bisserl Morphium, daß er Schlaf bekommt. Dabei hat er schon den einen Aermel von Xaverl's Hemderl zurückgestreift und bohrt ihm das Spritzerl ins Fleisch und betupft's dann mit dem Finger und sagt: So! nun wird Alles recht werden. Ich komm' in einer Stund' wieder. Legen Sie sich nur schlafen Pepi, 's ist jetzt nichts mehr zu thun. – Freilich war nichts mehr zu thun, er hatt's gleich gründlich gemacht. Denn wie er nach ein paar Stunden wiederkam, da schlief mein armes Buberl ganz still und ohne Fraisen, ich aber hätt' mich nur auch hinlegen sollen und so schlafen wie er, denn er ist nimmer wieder aufgewacht.
*
Sie konnte nicht gleich fortfahren, ich sah, wie ein leiser Schauder ihre vorgebeugte Gestalt überlief und der Tisch, an den sie sich lehnte, zitterte. Erst nach einer Weile vermochte ich selbst das Schweigen zu brechen.
Haben Sie auch bedacht, Josepha, sagte ich, ob Sie dem Doctor nicht schweres Unrecht gethan haben, wenn Sie ihm zutrauen konnten, eine so große Sünde auf sein Gewissen zu laden? Kann das arme Kind nicht hinübergeschlafen sein, weil der liebe Gott es hat erlösen wollen, da es doch nur wenig Freuden gehabt hätte, wenn es leben geblieben wär'? Muß es gerad' der Doctor gewesen sein, und wenn auch sein Mittel mit dazu geholfen hätt', woher wissen Sie, daß er's gewollt hat?
Sie wandte sich plötzlich zu mir herum und starrte mir gerade ins Gesicht.
Das glauben Sie selbst nicht, sagte sie heftig. Und wenn Sie ihn gesehen hätten am Betterl des armen Kindes, wie er so gewiß blinzelte und zuckte die Achseln und sagte, indem er tief Athem holte: Nun ist ihm ja wohl! – und dann, wie ich vor ihn hintrat – weinen that ich nicht, ich konnt's noch immer nicht glauben – und sagte ganz laut: Den, der's verschuldet hat, soll Gott der Herr richten! – und da wurde er ganz bleich und bückte sich zu dem Buberl nieder, ihm noch einmal das Herz zu behorchen und dann: Geben Sie mir Papier und Feder, Pepi; ich will gleich den Todtenschein ausstellen – wenn Sie ihn da gesehen hätten –! Ich hab' aber kein Wort mehr zu ihm gesagt in jener Stunde, ihn nur noch einmal angeschaut, als er mir das Papier reichte, auf dem er geschrieben hatte: Xaverius Huber, zehn Jahr, neun Monate und dreizehn Tage alt, infolge von Kopffraisen am Gehirnschlag gestorben – wie ich ihn da aber ansah, als ob ich ihm meinen Blick frei ins Herz bohren könnt', da zuckte er wieder die Achseln und raunte nur: Mein aufrichtiges Beileid, Fräulein Josepha! und ging aus der Thür, ließ sich auch die nächsten vierzehn Tage nimmer sehen. Keinem Menschen hab ich's gesagt, was ich wußte über ihn und hab' gedacht, nun ist's eben aus für ewig. Denn daß er die Unverschämtheit haben möcht', sich doch noch Hoffnung auf mich zu machen hab' ich ihm eben nicht zugetraut. Aber er war ein arg verwegener Mensch, und wer's übers Herz bringen kann, so einem unschuldigen Kind das Aergste anzuthun, der schreckt vor nichts zurück, seinen Willen durchzusetzen. Bei mir aber war er an die Unrechte gekommen. Denn wie er an einem schönen Nachmittag – der Xaverl war noch kein Vierteljahr unter der Erden – hier eintrat, wo er wußt', ich war allein im Haus, und fing sein Sponsiren erst so auf Umwegen wieder an, und auf einmal setzt er sich dicht neben mich und legt den Arm um meine Schultern und sagt mit seiner einschmeichlerischen Stimme: Gelt, Pepi, wir Zwei werden doch noch eins, du bist mir bestimmt und ich dir, und jetzt laß die dummen Gedanken fahren, die eine Beleidigung für mich sind, und sag, wann soll die Hochzeit sein? – da fuhr ich in die Höh', wie wenn ein reißendes Thier mich angepackt hätt', und sagte ganz laut, so daß, wer draußen vorbeiging, durchs offene Fenster es hören konnt': Nicht in der Hölle würd' ich Ihre Frau werden, denn ich nehm' keinen Mörder zum Mann, daß Sie's wissen, und jetzt machen Sie, daß Sie weiter kommen, und danken Gott, daß ich aus Gnad' und Erbarmen reinen Mund halt' und Ihnen nicht dahin helf', wo Sie hingehören: ins Zuchthaus! Und damit ging ich aus dem Zimmer und lief in die Kammer hinauf, wo mein Buberl gestorben war, und bin neben seinem leeren Betterl hingekniet und hab' gebetet, daß die heilige Jungfrau mir' Kraft und Trost geben möcht', denn mir war zum Sterben unglücklich, weil ich trotz alledem ihn gern gehabt hatt' und merkte, das Herz war mir zersprungen, als ich ihm den Laufpaß hab' geben müssen. Die Muttergottes hat mein Beten auch erhört, denn seit der Stund' ist's ruhiger in mir geworden, und auch er hat mich in Ruh gelassen. Er ist nie mehr des Abends gekommen, den beiden anderen Herren hat er zugered't, sie sollten ihr Spiel lieber in der Post machen, ich wär' harb auf ihn, von wegen weil er dem Xaverl nicht hätt' helfen können, und sie glaubten's ihm, denn er hat so die Gabe gehabt, Allen einzureden, was er wollte, bloß mir nicht. Und doch – einmal auch mir! setzte sie mit einem Seufzer hinzu.
Ich verstand noch nicht, was damit gemeint war.
Und ist er dann bald selbst gestorben? fragte ich.
Nein. Er ist nach einem Jahr weggezogen von hier und Bezirksarzt geworden in N**berg. Und es ist nicht lang hergegangen, da hieß es, er hätt' geheirathet, ein Mädchen aus der Stadt, das nicht schön und nicht einmal sehr gescheidt sei, aber Geld hab' sie und wär' aus einer angesehenen Familie. Wie ich das gehört hab', war mir's, als wär' ich jetzt erst ganz geheilt von meiner Wunde. Am End', dacht' ich, hat er dich auch nur haben wollen, weil du das schöne Anwesen hast, und ist also über dem, daß er ein Mörder ist, auch ein geiziger Mensch. Nun bist du ganz und gar fertig mit ihm, hab' ich gedacht. Aber der Mensch denkt und der Teufel lenkt. O mein Herrgott, wenn doch das wahr gewesen wär' und ich fertig mit ihm in alle Ewigkeit!
Sie schlug die Hände vors Gesicht und ließ den Kopf tief auf die Brust sinken. Aus einmal aber schüttelte sie sich gewaltsam und sah wieder auf. Ich erschrak, wie ich ihr Gesicht betrachtete. Es war fahl und starr, wie ein Todtengesicht, nur die Augen flackerten darin spukhaft unheimlich, groß aufgerissen, wie wenn etwas Entsetzliches vor sie hingetreten wäre.
Sie sollen auch das wissen, sagte sie mühsam. Ich hab's noch keinem Menschen gesagt, als dem Pfarrer in der Beicht', aber es sitzt mir doch immer noch hier wie ein Stein auf der Brust, ich mein', es würde mir leichter, wenn ich noch einen anderen guten Menschen gefragt hätt', ob mir's unser Herrgott am jüngsten Tag wohl vergeben könnt', nachdem ich's abgebüßt hab' all die lange Zeit und ein Leben gehabt wie kein dreifacher Mörder und Brandstifter. Sie haben ein gutes Herz, ich weiß, Sie werden Mitleid mit mir haben und es bei sich behalten, als säßen Sie im Beichtstuhl und ich läg' vor Ihnen auf den Knieen. Wollen Sie das?
Ich reichte ihr die Hand über den Tisch herüber. Und ich hab' es wirklich gehalten, was ich ihr damals versprach. Denn so lang ich sie noch am Leben wußte, hab' ich ihr trauriges Geheimniß nicht über Lippen und Feder gebracht.
Der Ausdruck ihres Gesichts wurde ein wenig ruhiger, als sie mein Versprechen vernommen hatte. Sie seufzte noch ein paarmal tief auf, dann sagte sie mit sehr leiser Stimme:
Es war im Winter, zwei Jahr nach seiner Heirath. Ich saß hier mutterseelenallein und hatte das Spinnrad vor mir, aber es stand schon eine Weile still, die Hände waren mir schwer, wie das Herz, es war, als hätt' ich eine Ahnung, was mit mir geschehen sollte. Draußen war ein wüstes Wetter, Sturm und Schloßen, die paar Bauern die vorgesprochen hatten, waren früh heimgegangen, die Magd hatt' ich zu Bett geschickt und die Hausthür zugeschlossen. Wie ich aus meinem Sinnen und Denken auffahr', spür' ich, daß ich ganz kalt bin, denn im Ofen war nicht nachgelegt worden, und steh' nun auf, um auch zu Bett zu gehen. Da hör' ich, wie's leise an den Laden pocht, und denk', 's ist ein verspäteter Wandersmann oder ein Handwerksbursch, den konnt' ich doch in dem Unwetter nicht auf der Straße lassen, so angelegen mir's kam. Geh' also hinaus und frag' durch die Thür, wer da ist. Um Gottes Barmherzigkeit willen macht auf! hör' ich eine Stimme sagen, und mein', sie sei mir bekannt, und doch klang sie mir wieder fremd. Also mach' ich in Gottes Namen die Hausthür auf, und herein tritt ein Mann im Mantel, den Kragen hoch aufgeschlagen eine Pelzmütz' auf dem Kopf, und schüttelt sich, daß die Tropfen nur so von ihm wegspringen sagt aber kein Wort, bis ich wieder zugeschlossen hab' und mit ihm in der Stube bin. Da wirft er Mütz' und Mantel ab und steht vor mir, – Der, den ich nimmermehr wiederzusehen gehofft hatt', daß ich vor jähem Schreck kein Wort herausbringen kann und beinahe den Leuchter hätt' zu Boden fallen lassen. Ja, Pepi, sagt er, ich bin's, Ihr kennt mich wohl kaum wieder, ich hab' mich sehr verändert. Ihr aber seid noch die Alte geblieben, die Ihr wart, nur noch schöner geworden, aber leider noch so feindselig zu mir wie vor Zeiten. Aber Ihr solltet ein christliches Erbarmen mit mir haben, denn mir geht's hundsschlecht, und seit ich von Euch weg bin, hab ich keine gute Stunde gehabt. Krank bin ich auch, ich werd's wohl nimmer lang machen, und da hab' ich gedacht: auf alle Fälle mußt noch einmal die Pepi sehen, denn eine rechte Freud' auf Erden hast doch nur gehabt, wenn du bei ihr gewesen bist. Und so bin ich mitten im schlimmsten Wetter fort und vor einer Stunde mit dem Stellwagen hier angekommen, hab' mich aber keiner Seel' zu erkennen gegeben und bin auch von Niemand erkannt worden, denn schau mich nur an, Pepi, der flotte junge Mensch von damals steht nicht mehr vor dir. Gelt, man sieht mir's an, daß ich kein glückliches Leben gehabt hab', seit du mir den Korb gegeben hast? – Und freilich sah man's ihm an, daß er nicht log, wenn er sich für krank gab. Er war mager geworden, und die Augen lagen ihm tief, dazu hatte er sich den Bart stehen lassen und war nicht so sauber gekleidet wie sonst. Und da konnt' ich mir nicht helfen, er that mir leid, obwohl ich ihn so hundertmal in die Hölle gewünscht hatte, und: Nehmen Sie doch Platz, sagt' ich. Ich habe nichts Warmes mehr zu essen, aber ich will Ihnen einen Glühwein machen, Sie sehen ja ganz elend verfroren und verkommen aus. Dann hab' ich am Herd den heißen Wein gemacht und weiß noch, wie mir der Kopf dabei gebrannt hat, und Hände und Füße waren wie Eis. Und wie ich ihm den Krug hineintrug, saß er noch auf demselben Fleck, aber er hatte sich das Haar und den Bart gekämmt und die Halsbinde zurechtgezogen; er sah nimmer so zum Fürchten aus wie vorher. Er wollte aber nur trinken, wenn ich mir auch ein Glas einschenkte. Du siehst ja ganz wie zum Umsinken aus, sagte er, und ich dächt', du wolltest mir in dem Wein vergeben, wenn du nicht mittrinkst. – Ich nahm aber nur ein paar Schluck, es würgte mir in der Kehle, und ansehn konnt ich ihn nicht und reden auch nichts. Und dann fing er an, mir von seinem unglücklichen Leben zu sagen, und wie er zu seiner Frau kein Herz hätt', obwohl sie keinen schlechten Charakter hätt', und hätt' ihn auch gern. Aber es wär' eben nicht die Rechte, die er sich nun einmal eingebildet hätt', und es freue ihn nichts mehr auf der Welt, seit er Die verloren hätt', und auf Kinder hätt' er auch keine Aussicht. Ja, sagt' ich, wie man sich bettet, so schläft man halt, und dann schwieg ich wieder. Und er: er werde bald schlafen wo Keiner spüre, wie ihm gebettet sei, er müsse das am besten wissen als Arzt. Und da hab' es ihm frei kein' Ruh' gelassen, er hätt' mich noch einmal sehen müssen, bevor er so weit wär', daß er sich das Ueberlandreisen müßt' vergehen lassen. Denn immer ständ' ihm mein Gesicht vor Augen, wie ich ihn von mir weggestoßen hätt' das letzte Mal, und er könnt' nicht ruhig sterben. Wenn ich ihm nicht erst ein gutes Wort gegeben und gesagt hätt', daß ich nichts Böses von ihm dächt'. Damit hielt er mir die Hände hin und schaute mich so feurig und doch so demüthig an, daß ich mich sehr zusammennehmen mußt', nicht weich zu werden. Ich könnt' nichts sagen, sagt' ich, was ich nicht glauben thät', und wenn ich sagen würd, ich glaubte ihn ohne Schuld an dem Xaverl seinem Tod, so würd' ich eine Lüge sagen. Da sagte er und seufzte dabei ganz herzbrechend: Und wenn ich's gewünscht hätt', daß er sterben möcht', so hätt' ich ihm nur gewünscht, was für so ein unseligs Geschöpf das Beste war. Und wenn ich ein bisserl dazu geholfen hätt', ihm seine Pein abzukürzen – ich hab's aber nicht gethan –, wär's eine Sünd' gewesen, da's nur aus Mitleid geschehen wär'? Da lacht' ich grad 'naus, obschon mir nicht lustig zu Muthe war: Ja wohl, aus Mitleid mit sich selbst, mit seiner Verliebtheit! Und er sollt' das Reden darüber lassen, es hülf' doch zu nichts, es bliebe dabei, ich wüßt', was ich wüßt'. Und nun blieb er eine Weile stumm und trank das Glas langsam aus, und plötzlich sagt' er: Ja denn Pepi, ich hab' ihm ein paar Tröpferln mehr eingegeben als zum bloßen Schlaf, aber wenn's eine Sünd' war, dem armen Buberl zur ewigen Ruh' zu verhelfen, du bist mitschuldig, Pepi, denn du hast mich in die wahnsinnige Lieb' hineingebracht, daß ich nimmer gewußt hab', wie ich mir helfen soll, und hast meine ehrliche Lieb' und Treu' mir vor die Füße geworfen, und mein ganzes Leben ist nun verpfuscht durch dich, und wenn ich in meinen jungen Jahren aus dem Leben geh', bist du mehr Mörderin als ich, und der Herrgott im Himmel wird dich an keinen anderen Ort verweisen, als wo auch ich meine Sünden werd' abbüßen müssen.
Sie können wohl denken, daß ich das nicht ruhig auf mir sitzen ließ, als wär' ich an allem schuld, wie's mit mir und ihm gekommen war, denn ich hatte ihn nie betrogen und daß ich ihm gut war, das hatt' ich bei mir selbst behalten. Aber in dem Punkt betrügt ein Mädchen die Mannsleut' nie, und er wußte wohl, wo bei mir der schwache Punkt war. So red'ten und haderten wir noch eine Weil', und endlich stand er auf und sagte: 's ist Schlafenszeit, und ich bin ein kranker Mann und weiß auch, wenn ich bis an den Morgen schwätzen würd', du gäbst nimmer nach. So verzeih' dir Gott deine Grausamkeit, und daß du mich ohne ein gutes Wort wieder abreisen lassen willst in dem grimmigen Winter. Wirst bald genug hören wie mir's bekommen ist. – Er nahm seinen nassen Mantel und ging nach der Thür, als ob er noch in der Nacht nach der Post wollte, dort die Leut' herauszuklopfen. Da jammerte er mich doch, und ich sagte, er könnt' ja das Zimmer haben, ich hätt's ihm ja gleich angeboten, aber ich wär' nur so verwirrt gewesen durch die Ueberraschung. Und so leuchtete ich ihm die Treppe hinauf und ließ ihn in ein Zimmer treten, wo immer ein frisch überzogenes Bette stand. Und den Leuchter stellt' ich ihm auf den Nachttisch und ging hinaus, bloß mit einem »Gute Nacht«, ohne ihm noch die Hand zu geben, obwohl er mir seine hinhielt. Mein Herz aber schlug mir bis in den Hals hinauf. Und wie ich in meine Schlafkammer kam, riegelte ich rasch hinter mir zu, was ich sonst niemals gethan hab'. Und die Kniee zitterten mir so, daß ich mich nur noch im Finstern nach meinem Bett hintappen konnt' und drauf hinfiel wie ein todter Mensch. Da lag ich, ich weiß nicht wie lang', und immer sah ich sein trauriges, blasses Gesicht, mit dem er mir vorhin gesagt hatt': Es war ja nur die wahnsinnige Liebe zu dir, die mich dahin gebracht hat. Es war mir so übel zu Muth, ich wär' am liebsten gleich auf der Stell' gestorben. Ich hatt' ihn ja doch einmal so gern gehabt wie keinen Anderen und wo einmal ein Feuer gewesen ist, bleibt immer noch ein Fünkerl, und 's braucht nicht viel, es wieder anzublasen. Und nun noch das Mitleiden mit seinem bleichen Gesicht, und daß er mir so nah war in dem einsamen Haus – Herr mein Gott, sagt' ich vor mich hin, was soll noch mit ihm werden! Wenn er Recht hätt' und macht's wirklich nimmer lang – Auf einmal klopft's an meine Thür, erst ganz sacht, dann ein bisserl stärker, und ich hör', wie's ruft: Pepi, nur auf ein paar Minuten mach mir auf, ich hätt' dir noch was zu sagen. Und dann wieder: Ist es möglich, Pepi? Du kannst mich hier vor deiner Thür umkommen lassen? Keinem armen Hund würdest du so wenig Erbarmen schenken. Ich hab' schlafen wollen das Fieber hat mich geschüttelt, 's ist eiskalt in meinem Zimmer – Pepi, wenn du mir jemals nur ein bisserl gut gewesen bist –
Was werden Sie von mir denken! –: ich hab' mich aufgerafft und nach der Thür hingeschleppt und ihm gesagt, er sollt' gehen und mich in Frieden lassen. Und wie es ganz still draußen blieb und ich's nur stöhnen hört' wie von einem Todtkranken – da hab' ich den Riegel zurückgeschoben.
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Ich weiß, daß Sie mich nun für eine ganz schlechte Person halten werden fuhr sie nach einer dumpfen Pause fort. Es weiß es ja Keiner, wie einem armen Menschenkind zu Muth ist, das nie ein bisserl Glück erlebt hat und soll aus der Welt gehn und hat vom Besten drin Nichts verspürt. Und doch – so schlecht können Sie nicht von mir denken, wie ich selbst, als ich am anderen Morgen aufgewacht bin und fand mich allein in der Kammer und dacht' schon, es hätt' mir nur geträumt, aber mein erster Blick fiel auf das Gitterbettstättel in der Ecke und der zweite auf die Photographie von meinem Xaverl an der Wand grad' neben meinem Kopfkissen, und wie mir's nun wieder aufging, der Mann, der mir das gethan, der's auch eingestanden hatte, mit dem hatt' ich in derselben Kammer – ich dacht' ich müßt' auf der Stelle den Verstand verlieren vor Jammer und Wuth und Scham, und wenn ich ein Messer bei der Hand gehabt hätt', keine Stund' hätt' ich's überlebt. Wie ich dann meine fünf Sinne ein bisserl wieder beisammen hatte, da fing ich an zu heulen, als tropfte mir das Herz nur so grad' aus den Augen weg; und dazwischen sagt' ich nur immer: nun ist Alles aus, und die Gnade unsres Herrgotts hast du verloren für Zeit und Ewigkeit. Ich hab' die Magd kommen hören und bin aus dem Bett gesprungen, die Thür wieder zu verriegeln, und hab' ihr auf den Gang hinaus zugerufen, mir wär' schlecht geworden, ich müßt' im Bett bleiben, ich könnt' keine Menschenseele sehen. Ein paar Stunden später hört' ich seinen Schritt, wie er heranschlich, und er klopfte an die Thür und fragte leise, was mir fehlte – er konnte noch fragen! – und ob er nicht hineindürft', nach mir zu schauen. Ich hab' mir die Lippen wund gebissen, daß ich ihm nicht zuschrie, wie ich ihn haßte und verfluchte, und es ist mir auch gelungen; nicht einen Ton konnte er hören und auch das Weinen hörte auf. So ist er denn wieder gegangen, und Abends ist die Magd gekommen – es war nicht mehr die Liesi – und hat gesagt, der fremde Herr sei fort, er sei nach der Post, um mit dem Stellwagen weiterzureisen, einen schönen Gruß hab' er an die Wirthin zurückgelassen.
Wär's damit aus gewesen, ich hätt's am Ende verwunden, was verwindet man nicht alles! Aber dann bin ich nur zu bald daran erinnert worden, was geschehen war. Das Aergste aber war: als das Kind aus dem dummen Jahr heraus war und sollt' nun anfangen zu reden, da hat sich's gezeigt, daß es die Sünd' seiner Mutter zu büßen hatte, und noch dazu hatt' es die Augen vom Vater. Und wenn's auch Niemand im Dorf erkannt hat – mir selbst war's von der ersten Stund' an klar: so schwer hatte unser Herrgott mich dafür gestraft, daß ich einem Mörder meine Thür aufgemacht hatte. Er selbst ist auch nicht leer ausgegangen. Noch drei Jahr hat er so hingesiecht, dann ist er auch gestorben. Und seitdem kann ich ruhiger an ihn denken und bet' jeden Abend, daß ihm Gott ein gnädiger Richter sein möcht, und hab' mich gezwungen, das Deandl, das ich Anfangs nicht hab' anschauen können, ohne daß mir's einen Riß gab, gern zu haben und gut zu ihm zu sein, wie es auch verdient, denn's ist ein gutes Ding und hat keinen falschen Blutstropfen von seinem Vater in sich. Und wenn mich unser Herrgott nur von meiner eigenen Sünde losspricht, will ich nicht murren, wollt' nur, es wäre bald. Denn meine Tag' und Nächte sind bei alledem hart, und meinem Feind möcht' ich so ein Leben nicht wünschen!
Arme Josepha! sagte ich und betrachtete mit tiefstem Mitleiden das verhärmte Gesicht, das ich so schön und stolz gekannt hatte. Ihr habt Recht, zu klagen, daß Euch das Schicksal übel mitgespielt habe. Alles, was sonst das Leben eines Weibes froh und reich macht, Geschwisterliebe, Mannes- und Kindesliebe – Alles ist Euch zu Theil geworden, aber nichts ohne einen widrigen Beigeschmack, wie eine schöne Frucht, die einen Wurm hat oder einen faulen Fleck, und wenn man hineinbeißt, schmeckt sie bitter. Habt Ihr aber gar keine Hoffnung, daß es noch einmal anders werden könnte? Ihr seid noch nicht zu alt, um noch einen Mann glücklich zu machen, der Euren Werth zu schätzen wüßte.
Sie schüttelte den Kopf. Ich bin noch weit älter in mir, als ich ausschau', und Der wär' betrogen, der mich noch haben möcht'. Nein, lieber Herr, ich hab' nur noch eine Sorge und einen Wunsch: meint Ihr, wenn ich einmal im Himmel droben eingelassen würd' und begegnete da meinem Buberl, er würd' mir's nachtragen, daß ich – daß ich seinen Mörder nicht von mir gestoßen hab'? Wenn er mich nicht kennen wollt' und lieb haben wie hier auf der Erde, der Himmel würd' mir eine Hölle sein!
Ich suchte sie darüber zu beruhigen so gut ich konnte, daß der Herrgott nichts halb thun könne und Keinen in sein Paradies eingehen lassen, dem er die Seligkeit verkümmern müßte.
Da sah sie mich zum ersten Mal mit einem frohen Aufleuchten ihrer trüben Augen an und sagte: Ich danke Ihnen, lieber Herr. Auch der Herr Pfarrer hat mich trösten wollen, aber was er gesagt hat, ist mir nicht eingegangen. Sie aber haben mich überzeugt. Ja, so wird's sein, und auch schon um meines Buberls willen wird Gott es nicht zulassen, daß er mir's nachtragt und mich nicht um sich leiden mag; denn auch dem würd' auf die Länge was fehlen in der ewigen Herrlichkeit, wenn er mich nicht bei sich hätt'.
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Als ich am nächsten Morgen aufbrach, war meine gute Freundin nicht zu finden. Das »Deandl« brachte mir das Frühstück, ich fragte nach der Mutter, wurde aber aus ihrer Geberdensprache nicht klug. Erst da ich den Knecht im Hofe aufsuchte, erfuhr ich, die Wirthin gehe jeden Morgen in die erste Messe und bleibe manchmal zwei, drei Stunden in der Kirche. Sie habe ihn beauftragt, mir eine glückliche Reise zu wünschen und Dank zu sagen für das, was ich ihr Gutes gethan, ich würde schon wissen. Auch habe sie streng verboten mir eine Rechnung zu machen. Ich konnte meine Schuld nur nach eigener Schätzung in Form eines Trinkgelds an den Mann bringen.
An der kleinen Kapelle vorbeigehend, blieb ich einen Augenblick stehen und beschaute genauer als am Abend vorher ihr Inneres. Da sah ich auf dem Altar, auf dem die kleine Madonna mit dem Schwert in der Brust stand, gerade zu ihren Füßen eine buntcolorirte Photographie in einem breiten Goldrähmchen, eine Knabengestalt in der Tracht der Gebirgsbewohner, das Gesicht breit und verschwommen, da der Kleine sich offenbar nicht ruhig gehalten hatte. Um den Hals aber hatte er ein rothes Tüchlein, dessen lange Zipfel ihm über die Brust herabhingen. So hatte in diesem Heiligthum, um den Schutz der Mutter Gottes recht nahe zu genießen, das »Buberl« seine Stelle gefunden.
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