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Das schöne Käthchen.

(1869)

Es ist gewiß ein wahres Wort, sagte der alte Landschaftsmaler B. und strich sich dabei langsam über seinen grauen, oder vielmehr mausfarbenen Knebelbart: Weiber sind Weiber, das will sagen, im Guten wie im Schlimmen beherrscht sie das Geschlecht, und wenn sie auch oft genug ihren eignen Kopf aufsetzen, ist es doch nur selten ein sogenannter Charakterkopf, sondern eben nur ein Weiberkopf. So ein rechtes Individuum, das nur mit sich selbst zu vergleichen wäre, findet sich bei ihnen weit seltner, als unter uns, und ich weiß nicht einmal, ob wir besonders stolz darauf sein dürfen. Sehr oft ist unser Apartes nichts Besseres als eine aparte Narrheit, ein Herausgehen aus der Natur, sei es durch Bildung oder durch Verkrüppelung, während die Frauenzimmer, da für ihre Bildung oder Verbildung nicht so viel geschieht, nur selten im Guten oder im Bösen ausarten und über die Linie wachsen. Wenn das aber einmal geschieht, ist es mir immer merkwürdig gewesen.

So bleibt mir vor allen ein Fall unvergeßlich, wo ich das Unerhörteste gesehen, daß nämlich ein schönes Mädchen einen Haß hatte auf ihre eigne Schönheit, nicht etwa bloß eine zimpferlich kokette, erlogene Gleichgültigkeit oder gar eine überspannte, verhimmelnde Klosterjüngferlichkeit, sondern was man eine ehrliche Feindschaft nennt, die auch ihre guten Gründe hatte.

Ich kam aber zu der Geschichte auf folgende Art.

Damals – es ist nun über zwanzig Jahre her – verkehrte ich viel mit einem jetzt ganz verschollenen holländischen Maler, Jan van Kuylen oder Kuyden – ihr werdet den Namen in keinem Künstlerlexikon verzeichnet finden. Er war, auf der üblichen Romfahrt begriffen, in München hängen geblieben, schwerlich aus einem andern Grunde, als weil ihm vor Rafael und Michelangelo heimlich bange war, als ob sie seine kleine Person erdrücken und ihm die zierlichen niederländischen Künste, mit denen er viel Geld verdiente, verleiden würden. Er war ein kurioser Kauz, die wunderlichste Mischung von Humor und Phlegma, von Idealität und Cynismus, von sentimentalen Neigungen und kaustischer Ironie. So sah es auch in seinem Atelier aus, Alles bunt durcheinander; die schönsten venezianischen Gläser, die er sehr liebte, kostbare Musikinstrumente mit Silber und Perlmutter eingelegt, denn er spielte meisterhaft Guitarre und Laute, dann wieder auf einem schweren gewirkten Teppich ein zinnerner Teller mit ein paar Käserinden, in einem schlechten Glase eine Neige Bier, und zwischen den Wänden die dicken, übelriechenden Wolken eines ganz gemeinen Schiffertabacks, den er sich aus Holland nachschicken ließ und den ganzen Tag aus kleinen schmutzigen Thonpfeifen rauchte.

In seinen Bildern dagegen war Alles so sauber, nett und accurat, daß sie sich auf den ersten Blick von denen ihrer Altvordern, der Netscher, Mieris und Gerard Dow, nicht sonderlich unterschieden. Sah man aber näher zu, so war doch ein ganz eigenthümlicher Geist darin, ein in mancherlei Tonarten spielender Humor, der besonders ausgelassen wurde, wenn er ins Parodiren gerieth. Das war damals noch nicht der Modeton, wie heutzutage, und daher wollte man auch in München, wo das Pathetische oder simpel Naive noch wacker blühte, von Jan van Kuylen's oft etwas blasphemistischen Späßen nicht viel wissen. Das erste Bild, das er hier ausstellte, zeigte Gott Vater im Paradiese herumwandelnd, im Schlafrock mit einem kleinen Mützchen, wie er halb gemüthlich, halb schadenfroh über den Zaun sieht, hinter welchem Adam, ein hagerer, leberkranker Geselle, im Schweiß des Angesichts das Feld umgräbt, während Eva eine alte Jacke flickt und ziemlich verdrossen nach den verbotenen Früchten hinüberschielt. Das Bild wurde schon nach einer Stunde wieder entfernt, da die Geistlichkeit darüber natürlich in Zorn gerieth. Besser glückte es ihm mit einem zweiten, das freilich auch den Schalk im Nacken trug. Er nannte es »die Versuchung des heiligen Antonius«. Von der treuherzigen Geschmacklosigkeit, mit der der biedere Teniers diese Legende zu illustriren pflegte, wich diese neue Auffassung freilich bedeutend ab. Eine junge Bäuerin, die offenbar von einer Hochzeit oder Kindtaufe heimkehrte, da sie einen Korb mit Braten, Kuchen und einer Flasche Wein bei sich führte, hatte sich von der Abendkühle und ihrem schweren Kopfe verlocken lassen, im Schatten eines Wäldchens zu rasten und ein Schläfchen zu machen. Der heilige Antonius, ein recht handfester Bursch in einer abgetragenen Kutte, war an nichts Arges denkend des Weges gekommen und stand nun wie angewurzelt still, bald das junge Weib, bald den Korb mit guten Dingen betrachtend, offenbar in heftigen Gewissenskämpfen, wobei er sich verlegen hinterm Ohr kratzte. Der Ausdruck des Gesichts war so unwiderstehlich drollig, daß selbst die Geistlichen diesmal lächelnd ein Auge darüber zudrückten.

Das Seltsamste jedoch habe ich noch nicht gesagt: sowohl dieser am Scheidewege stehende Heilige, als der Adam auf jenem Paradiesbilde waren leibhaftige Portraits des Malers selbst. Dadurch wurde der Humor der Sache zwiefach gesteigert. Denn schon in der Wirklichkeit war die Erscheinung meines Freundes für einen Humoristen ein Studium. Es war gleichsam Alles an ihm gelb in gelb gemalt, die Haut von dem zarten Ton eines frischen Edamer Käses, Haare und Bart wie verschossenes und verstaubtes Haferstroh, die grauen Augen durch dicke rothblonde Wimpern fast zugedeckt. Zum Ueberfluß kleidete er sich von Kopf bis Fuß Winters in sandfarbenes Tuch, Sommers in Nanking und liebte es über seine körperlichen Eigenschaften sich selber lustig zu machen in den übertriebensten Gleichnissen. So nun auch in seinen Bildern, wo er sich regelmäßig und zwar so sichtbar als möglich anbrachte, mäßig karrikirt, aber immer in Lagen und Stellungen, die zwischen Lächerlichem und Kümmerlichem, Selbstironie und Resignation die Mitte hielten. Es war ordentlich, als wünsche er zu zeigen, daß er den Spaß, den sich Stiefmutter Natur mit ihm erlaubt, durchaus nicht übelnehme, vielmehr der Erste sei, darüber zu lachen.

Nun war es eines Pfingstmontags, meine Frau hatte sich Kaffeegesellschaft geladen, und das Gesumme und Geschwirre dieser Lästerschule, das ich durch zwei Thüren hörte, trieb mich ins Freie. Ich wollte, da es ein schöner Nachmittag, Alles in erster Blüthe und an den Isarufern mancherlei für mich zu studiren war, van Kuylen zu einem Spaziergang abholen. Er wohnte damals noch an der Theresienwiese in einem kleinen Häuschen, dessen Nordzimmer er sich zum Atelier hatte einrichten lassen. Erst kam man durch ein Gärtchen, in welchem die unvermeidlichen Tulpen natürlich nicht fehlen durften, aber von früher her auch für Flieder und Jasmin hinlänglich gesorgt war. Dann bog man in einen kleinen Hof ein, wo ein Brunnen rauschte, den der wunderliche Mensch mit einem verrückten Tritonen geschmückt hatte, einem Werk seiner eigenen Hände, da er sich auch im Modelliren versuchte. Und nun stand man an der Thür des Studiums, die über Tag nur selten geöffnet wurde, da Freund Jan von Morgen bis Abend mit der beharrlichsten Langsamkeit an seinen Sachen strichelte und sonst weder Zerstreuungen noch Umgang suchte.

Ich war darum erstaunt, die Thür halb offen zu finden, dachte einen Augenblick, er sei ausgegangen und seine Magd mache sich drinnen zu schaffen, als ich seine Stimme hörte, wie er zu Jemand sagte: Falls Ihr müde seid, wollen wir für heute abbrechen. Es ist ohnedies hoher Festtag. Wenn Euer Beichtvater nur nicht zankt, daß wir hier so weltliche Dinge treiben, statt den Feiertag zu heiligen.

Es kam keine Antwort, wenigstens keine hörbare. Ich stutzte. Modell zu haben bei offner Thüre, war damals so wenig beliebt und gebräuchlich, wie heutzutage. Daß aber durch die offne Thür nicht einmal der Qualm aus der kleinen holländischen Thonpfeife herausdrang, grenzte an das Wunder.

Wie ich nun noch einen Schritt näher trat, sah ich freilich, worüber meinem guten Jan die Pfeife kalt geworden war, und obzwar ich nur ein Landschafter bin, fand ich's doch ganz begreiflich. Denn um solch ein Modell verlohnte sich's schon der Mühe, den Kopf zu verlieren, geschweige einen Pfeifenkopf.

Zunächst fielen an dem Mädchengesicht, das da still wie ein Bild im besten Licht gegen eine rothe Damastgardine sich abhob, die Farben auf, die so leuchteten, daß es ordentlich unwahrscheinlich war und ich ganz verblüfft hinstarrte. So etwas von atlasweißer Haut, kaum ein wenig mit dem leisesten Roth und Blau hie und da überschimmert, von Lippen, aus denen das Blut herauszuspritzen drohte, von sammetbraunen Augen und desgleichen leichtgeringeltem Haar, über eine hochgewölbte Stirn ziemlich tief hereingewachsen, habe ich weder vor- noch nachher jemals wiedergesehn, als etwa auf Bildern, wo es gar nicht wirkte, weil es sich übertrieben ausnahm. Die Natur darf bekanntlich Manches wagen, hinter dem die Kunst zurückbleiben muß. Wie ich mich nun aber von dem ersten Schrecken über diese Effecthascherei der Natur erholt hatte, sah ich, daß auch in der Zeichnung das Mögliche geleistet war, mit einer Noblesse und Solidität, die fast Verschwendung schien, da es nicht weise ist, alle Mittel, Farbe und Form, auf Eine Figur zu wenden. Auch der Bildhauer mußte hier gestehen, daß er Aehnliches nur bei den besten Antiken gefunden habe. Vor allem überraschte mich die breitgeschwungene Wange mit dem herrlichen, vollgerundeten Kinn, die Lippen, die immer halb geöffnet einen Ueberfluß von Leben auszuathmen schienen, und die edle Bildung des geraden, trotzigen, für den modernen Geschmack etwas zu breiten Näschens. Nur an den Augen ließ sich dies und das aussetzen, wenn einer, den diese stillen melancholischen Sterne bestrahlten, noch das Herz dazu hatte. Ich wenigstens bin erst viel später dahinter gekommen, daß der Schnitt der Lider etwas geschweifter und sie selbst etwas breiter hätten sein können.

In den ersten zehn Minuten stand ich förmlich wie verzaubert, sagte nicht einmal guten Tag und war, wie man so oft dummerweise sagt, ganz Auge.

Auch sonst sprach Niemand. Van Kuylen, die kalte Pfeife im Munde, hatte mir nur phlegmatisch von der Seite zugenickt und dann eifrig fortgemalt. Die Schöne thronte vor ihrer rothen Gardine regungslos in einem alten Sammetsessel mit vergoldeten Löwenköpfen, die Augen still auf das halbverhangene große Fenster geheftet, die Hände, die sehr schlank und weiß, aber nicht winzig waren, gleichmüthig in ihrem Schoß zusammengelegt. Sie trug ein geringes Kattunkleid von dunkler Farbe, oben am Hals mit einer alten Tüllkrause eingerahmt, weder Ohrringe, Ringe, noch Schmuck irgend welcher Art.

Neben ihr auf einem Schemelchen saß ein kleines Mädchen von etwa sieben Jahren, das langsam und verdrossen an einem großen blauen Strumpf strickte.

Ich fand es endlich für nöthig, irgend etwas zu sagen.

Ich störe Euch, Mynheer, sagte ich, – obwohl ich schon seit einer Viertelstunde sehen konnte, daß er sich durchaus nicht stören ließ. – Mynheer wurde er scherzweis von seinen paar Bekannten unter uns Malern genannt, und da er selbst jeden, der es leiden mochte, mit »Ihr« anredete, hatte auch ich mir das »Sie« abgewöhnt.

Schickt mich nur wieder fort, sagte ich, sobald ich Euch oder dem Fräulein unbequem werde. Obgleich es freilich, wenn man einen so raren Fund gethan hat, nur Christenpflicht ist, ihn auch seinem Nächsten zu gönnen.

Van Kuylen brummte etwas auf Holländisch zwischen den Zähnen und malte fort; das Mädchen sah fast finster vor sich hin, als hätte ich etwas Kränkendes gesagt. Die Kleine mit dem Strickstrumpf gähnte recht herzlich und ließ ein Dutzend Maschen fallen.

Mir wurde ein wenig schwül bei der stummen Gesellschaft.

Lieber Freund, fing ich endlich auf Holländisch an, das ich von ihm radebrechen lernte, sagt mir ehrlich, ob Ihr mich zu allen Teufeln wünscht, oder ob ich hier noch ein Weilchen dieses ganz unvernünftig reizende Gesicht angaffen darf, das Ihr Glückskerl Gott weiß wo aufgespürt habt, und das eigentlich viel zu gut für Euch ist. So was – verzeiht gehört nicht auf Eure anderthalb Fuß großen Leinwändchen und für Euren düftelnden Genre-Pinsel. Lebensgroß und ohne alle Witze und Winkelzüge nur so um Gottes Willen in aller Demuth nachgemalt, wie's die Venetianer vor Zeiten zu Stande gebracht haben, das wäre etwas. Aber ich kenne Euch schon. Ihr müßt doch mit Eurer eignen werthen Visage zu irgend einem Fensterchen wieder hereingucken oder sonst einen Humor loslassen, und dann wär's Jammerschade um den Ausbund von Griechenthum, dem das elende Kattunfähnchen ungefähr so zu Gesicht steht, wie der Juno Ludovisi ein moderner Unterrock.

Ich konnte ihm schon solche Sachen ins Gesicht sagen; er liebte einen etwas stachligen Discurs und blieb mir auch nichts schuldig.

Jetzt stand er auf, irgend etwas zu holen, was er zur Arbeit brauchte, und antwortete dabei, ohne die kalte Pfeife aus dem Munde zu thun: Ich kann mir schon denken, daß Euch die Zähne lang werden nach diesem aparten Bissen. Möchtet Ihr etwa wieder so eine engbrüstige Diana malen, wie sie unter deutschen Eichen aus einer Pfütze steigt und einem Actäon, der sich vom belvederischen Apollo die Beine gestohlen hat, Hörner aufsetzt? Dazu schiene Euch das Kind gerade gut genug, nicht wahr? Aber nichts da! Ihr kriegt sie gar nicht, am allerwenigsten zu mythologischen Zweideutigkeiten. Glaubt Ihr, daß ich nur einen Zoll breit mehr gesehen habe, als sie da vor uns Beiden sehen zu lassen die Gnade hat? Und auch darum bin ich ihr lange genug nachgelaufen und bin fast verzweifelt, daß sie mir überhaupt je sitzen würde. Aber Hunger ist der beste Zwischenträger. Und auch so habe ich mir sehr harte Bedingungen gefallen lassen müssen. Die Thür muß offen stehen, das Schulkind da immer dabei sein, und wenn ich mir je einfallen ließe, sie in ihrer Wohnung aufzusuchen, wäre es ein für allemal aus mit uns Beiden. Ich habe natürlich mich zu allem bequemt; ich war so vernarrt in das Gesicht, daß ich einige der sieben Todsünden darum begangen hätte, nur um es einmal in dieses Licht und auf diesen Stuhl setzen und dann nach Herzenslust studiren zu können. Was ich hernach draus mache, ist mir sehr gleichgültig. Aber wenn ich im Stillen darauf rechnete, das Eis zwischen uns zu schmelzen, wenigstens bis zu einer Art von brüderlicher Liebe und Freundschaft, habe ich mich sehr betrogen. Nun, es ist am Ende kein Wunder; ich bin eben nicht ihr Geschmack und schätze sie darum nicht geringer. Aber es sind schon Andere, die zufällig dazu kamen – heute ist die dritte Sitzung – aufs Gründlichste abgefahren, ganz schmucke, verwöhnte Leute, der schöne Fritz und der Schluchtenmüller und unser Don Ramiro mit dem schmachtenden Tenor. Alle waren wie Zunder, und haben dann nach einigem Brennen und Glimmen wie mit kaltem Wasser begossen wieder abziehen müssen. Nicht wahr, Fräulein, sagte er plötzlich auf Deutsch zu der schönen Schweigsamen, es ist ganz umsonst, Euch zu flattiren? Der Herr da, der zwar nur Landschafter, aber doch ein Weiberkenner ist, möchte Euch auch gerne seine Bewunderung und Verehrung ausdrücken. Ich habe ihm aber gesagt, daß Ihr dergleichen nicht gerne hört.

Das ist wahr, erwiederte sie ganz gelassen. Es ist nun einmal so, und ich kann es nicht ändern. Aber Gott weiß: wenn ich was dabei zu sagen gehabt hätte, das Gesicht hätte ich mir wahrhaftig nicht ausgesucht.

Die Art, wie sie das sagte, befremdete mich höchlich; nicht ein Hauch von herausfordernder Bescheidenheit, die das Gegentheil von dem sagt, was sie denkt, nur um bestritten zu werden. Eine müde, aber unerschütterliche Geringschätzung, wie wenn ein Mensch einen Sack voll Gold durch eine Wüste schleppt und aus vollem Herzen seufzt: das alles gäb' ich hin für ein Stück Brot!

Auch die Art, wie sie sich ausdrückte, ließ auf mehr Bildung schließen, als sich sonst bei Denen findet, die für Geld sich malen lassen. Es war unschwer zu merken, daß die Schöne ein wunderliches Schicksal auf dem Herzen hatte.

Nun, nun, sagte ich, wenn Sie Ihr Gesicht sich selbst ausgesucht hätten, den schlechtesten Geschmack hätten Sie dabei nicht bewiesen. Und wenn auch Schönheit vergeht und Häßlichkeit besteht, und es seine Unbequemlichkeiten, ja selbst Gefahren haben mag, dermaßen aufzufallen, wo man sich blicken läßt, – das werdet Ihr mir nicht weiß machen, Fräulein, daß Ihr ernstlich auf Euer Gesicht böse seid. Ihr wäret die Erste.

Denken Sie davon, wie Sie wollen, erwiederte sie gleichgültig, und ihre schöne volle Unterlippe bekam einen verächtlichen Zug. Ich weiß wohl, wie die Männer sind. Wenn ein armes Ding eitel ist auf ihr bischen Milch und Blut, so ist's nicht recht, und wenn sie gar nicht eitel ist, vielmehr ihre Schönheit verwünscht, um die sie viel ausgestanden hat, so ist's wieder nicht recht. Am Ende liegt mir ja auch nichts daran, es andern Leuten recht zu machen, wenn ich nur weiß, was ich weiß.

Auf diese sehr unverblümte Abfertigung erfolgte eine stumme Pause. Mynheer van Kuylen saß wieder vor seiner Staffelei und versuchte mit den zartesten Lasuren den Schmelz dieser Haut und den Schimmer dieser feuchten Augen wiederzugeben; das Kind hatte den Strickstrumpf weggelegt und blätterte in einem Kupferwerk, ich aber, um mir etwas Contenance zu machen, zündete mir eine Cigarre an.

Sie erlauben doch, Fräulein? fragte ich mit meinem verbindlichsten Ton.

Sie nickte nur unmerklich mit dem Kopf und seufzte dabei verstohlen, wovon ihr die feinen Nasenflügel zitterten.

Darf man fragen, wie Sie heißen, Fräulein? fing ich nach einiger Zeit wieder an.

Ich heiße Katharina, sagte sie, immer in demselben kurzangebundenen Ton. Alle aber, die mich kennen, nennen mich Käthchen. Wie meine Eltern heißen, ist Ihnen ja wohl gleichgültig.

Fräulein Käthchen, sagt' ich, Sie sind, wie ich an Ihrer Sprache merke, keine Münchnerin.

Nein.

Ihr Accent hat etwas Rheinländisches.

Wohl möglich.

Haben Sie einen Grund, von Ihrer Heimath nicht gerne zu reden?

Warum fragen Sie?

Ich möchte gern einmal nachsehn, ob es dort mehr Gesichter giebt, wie das Ihre.

Nur noch eins, erwiederte sie mit dem ruhigsten Ton. Das aber ist auf Glas gemalt, in der Kathrinenkirche.

Sie haben dazu gesessen?

Nein, sagte sie. Eher umgekehrt.

Ich sah van Kuylen an, ob er auf dieser wunderlichen Rede klug werden könne. Er schien vor Arbeitseifer gar nicht zu hören, was wir plauderten.

Sie müssen es mir nicht übel nehmen, Fräulein Käthchen, wenn ich noch weiter frage, sagt' ich nach einer Weile. Ihre Antworten sind eben so viele Räthsel. Sie können mir immer glauben, daß es mehr ist, als ganz gemeine Neugier, wenn ich gern wüßte, welche Schicksale Sie genöthigt haben, Ihre Heimath zu verlassen, um hier, mit so guter Erziehung, einem so schönen Gesicht –

Sie meinen, daß ich zu etwas Besserem erzogen wäre, als mein Gesicht zu Gelde zu machen. Das kann wohl sein. Aber es ist nun einmal so weit gekommen, und wenn das Gesicht mich ins Elend gebracht hat, mag es mir auch wieder heraushelfen, wenigstens so weit es mit Ehren geschehen kann.

Eine Wolke flog über ihre Augen, sie sahen noch starrer aus, als gewöhnlich, ein Ausdruck zwischen Kummer und Zorn, der sie aber noch anziehender machte. – Wir schwiegen.

Plötzlich fing sie wieder an.

Ich weiß gar nicht, warum ich damit hinterm Berg halten soll. Es ist ja nichts Schimpfliches, und am Ende denken sich die Herren weit schlimmere Dinge. Ueberdies – Sie sehen beide recht brav und zuverlässig aus – (van Kuylen hustete in den Bart) und wenn einmal schlecht von mir gesprochen wird, kann ich mich auf Sie berufen. Babettchen, wandte sie sich an das kleine Mädchen, geh in den Garten hinaus und mach dir einen recht schönen Kranz von Holderblüten und Jasmin, pflück aber ja keine Tulpen ab. – Es ist nur, setzte sie leiser hinzu, als das Kind hinaus war, weil meine Hausleute nicht Alles zu wissen brauchen, und das Ding da, so jung es ist, es spitzt schon mächtig die Ohren und sagt Alles wieder. Nun, ich braucht' mich auch vor denen nicht zu schämen; aber sie hielten mich eben für verrückt, wenn sie meine ganze Geschichte wüßten, und jetzt haben sie Mitleiden, da sie meinen, ich hätte so eine gewöhnliche unglückliche Liebschaft hinter mir und hielte mich deshalb nicht werth, daß mich die Sonne beschiene.

Darauf schwieg sie wieder eine Weile und schien fast zu vergessen, daß sie uns hatte erzählen wollen.

Es war eine rechte Sonntagsstille ringsum, wir hörten durch die offne Thür die groben Schuhe der kleinen Babette über den Isarkies knarren, mit dem die Gartenwege bestreut waren, und so verlorenes Vogelgezwitscher über der Theresienwiese. Van Kuylen war aufgestanden und zu einem geschnitzten Schränkchen gegangen, in dem er allerlei Kram verwahrte. Er holte eine bastumwickelte kuriose Flasche hervor, goß daraus drei kleine Gläschen voll und präsentirte sie auf einem alten chinesischen Porzellanteller erst dem Mädchen, dann mir. Als wir beide dankten, trank er ein Gläschen nach dem anderen stillschweigend selber aus und setzte sich wieder vor die Staffelei, aber ohne zu malen, den Kopf in die Hände gestützt.

Was mich wundert, unterbrach ich endlich das Schweigen, ist, daß ich Ihnen heut zum ersten Mal begegne, Fräulein Käthchen. Ich bin doch ein eifriger Pflastertreter und auch gar nicht blöde, obwohl meine liebe Frau mich darüber ausschilt, daß ich hübschen Mädchen zu frei unter den Hut sähe. Sie müssen wie ein Maulwurf in einem unterirdischen Bau gesteckt haben, sonst wären Sie mir sicher nicht entgangen.

Nein, sagte sie mit einem kurzen Lachen, das zum ersten Mal durch ihren Trübsinn aufblitzte, ich geh' jeden Tag aus, ich kann nicht stillsitzen, ich langweile mich auch, da ich keine Handarbeit verstehe. Aber ich habe einen ganz dicken Schleier um, das ewige Angaffen ist mir in den Tod zuwider, zumal wo ich fremd bin. Ein einzig Mal vor einem hellen Schaufenster am Abend hatt' ich den Schleier zurückgeschlagen; da kam gerade der Herr van Kuylen dazu und hat mich dann oft genug wieder erkannt, obwohl ich eingemummt war wie eine Nonne. Uebrigens ist das Babettchen immer mitgelaufen; allein war mir's zu unheimlich. Denn freilich, obwohl es nun Jahr und Tag her ist, daß ich von Hause bin, es ist mir noch immer so fremd zu Muthe, daß ich manchmal mein', es drückt mir das Herz ab, ich müßt' ins nächste beste Wasser springen, um mich selber los zu werden und das ganze unnütze Leben.

Das Lachen war rasch erloschen, statt dessen glänzte es ihr feucht in den Augen.

Hat man Sie denn zu Hause nicht lieb gehabt? fragt' ich. Ein so schönes und gutes Kind –

Lieb gehabt? Ja wohl, wie sie's verstanden. Bald zu viel und bald wieder zu wenig. Wenn ich ein ander Gesicht gehabt hätte, wäre Alles ganz gut gegangen. Aber so bildeten sie sich Wunder was ein, und vor lauter Hochmuth mußten sie mich unglücklich machen. Noch sechs Geschwister sind vor mir – ich bin das Jüngste und Letzte – und die andern alle, die ganz gewöhnliche Menschengesichter haben, sind jetzt zufrieden und versorgt, verheirathete und unbescholtene Leute, von denen Niemand spricht im Guten oder Bösen, und die Niemand nachzufragen brauchen. Ich aber, da ich kaum aus der Wickel war, ich war schon ein kleines Weltwunder, und alle Muhmen und Basen schlugen die Hände überm Kopf zusammen, wo sie mich nur erblickten, und sagten meiner Mutter, keine Prinzessin brauche sich zu schämen, solch ein Kind zur Welt gebracht zu haben. Es war damit auch wunderlich zugegangen. Mein Vater war ein armer Schullehrer, meine Mutter eine Küsterstochter, beide nicht übermäßig schöne Leute, nur durch meine Großmutter mütterlicherseits waren hübsche Hände und Füße und schönes langes Haar in die Familie gekommen. Aber wie meine gute Mutter mich unterm Herzen trug, hatte der Graf F.–, unser Kirchenpatron, ein prachtvolles neues Glasfenster in die Kathrinenkirche gestiftet, das stellte die Heilige vor neben dem Rade knieend, einen Palmzweig in den gefalteten Händen, in so schönen brennenden Farben, daß man sich nicht satt sehen kann. Unser ganzes Städtchen, katholisch oder protestantisch, lief zusammen, und es soll wochenlang von nichts anderem gesprochen worden sein, zumal in unserm Haus. Mein ältester Bruder, der schon ganz artig zeichnete, hatte es gleich abgezeichnet, besonders aber die Mutter trug das Bild, wie sie hernach erzählte, Tag und Nacht, mit offnen oder geschlossnen Augen, zum Greifen deutlich in ihrem innern Gesicht mit herum, und als ich nun endlich zur Welt kam, bestand sie darauf, ich müsse Kathrine getauft werden. Nicht lange, so nannte mich alles »das schöne Käthchen«, und es war eine ausgemachte Sache, daß ich dem Glasbild droben im Fenster nur so aus dem Gesicht gestohlen war.

Sie können denken, daß mir das zuerst, als ich ein bischen klug wurde und als ein halbwüchsiges Schulkind herumging, nicht gerade leid war. Alles hätschelte und lobte mich, und wenn mir das In-die-Backenkneifen und Schönthun auch manchmal zu viel wurde, es hatte doch auch wieder seine Vortheile. Ich wurde, auch als das Nesthäkchen, in Allem besser gehalten, als meine Geschwister, und hatte nicht einmal von ihrem Neid und Mißgönnen zuleiden, da sie mich wirklich gleich den Eltern als etwas ganz Apartes betrachteten, wie eine besondere Ehre und Gnade Gottes, die der Familie zu Theil geworden, und die ihren Glanz auch über die anderen Mitglieder verbreitete.

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich, so weit es unsere Armuth zuließ, bessere Kleider trug, von allem Essen die appetitlichsten Bissen bekam und auch einen ganz besonderen Unterricht. Theils beschäftigte sich der Vater selbst mit mir in seinen paar Mußestunden, theils mußt' ich bei Anderen Französisch und Klavier erlernen, und daß ich gar keine Hand anlegen durfte, bei der Hausarbeit zu helfen, oder auch nur meine feinen Finger mit Nähen und Stricken zu verderben, leuchtete Allen ein. Mich wundert, daß ich dabei nicht noch träger und eitler geworden bin, als ich wirklich war. Aber auch ich sah das Alles für so nothwendig und selbstverständlich an, daß ich mir gar keine besonderen Gedanken darüber machte. Aprikosen blühen anders als Holzbirnen, und werden anders bezahlt, das ist eine ganz natürliche Sache. Einer hat hunderttausend Thaler, ein Anderer eine Stimme in der Kehle, die Alles bezaubert, ein Dritter ist so gelehrt, das Jeder vor ihm den Hut abzieht, und ich war das schöne Käthchen, in das sich Jeder verliebte. Was es damit eigentlich auf sich hatte – mit dem Verlieben nämlich – wußte ich nicht. Ich hatte noch nie gemerkt, daß ich auch ein Herz hatte, ich liebte kaum meine eignen Leute, weil es mir langweilig war, immer von ihnen geliebkos't zu werden, und in mich selbst verliebt zu sein konnte mir auch nicht einfallen, da mir das bischen Roth und Weiß und Alles, was die Leute sonst an mir bewunderten, von Kind an nichts Neues mehr war.

Nur einen Spielkameraden hatt' ich, an dem mir etwas gelegen war, und das gerade darum, weil er mir eher böse als gute Worte gab; ein Junge, anders als alle anderen, weder besonders hübsch noch lustig, und einer der ärmsten. Sein Vater war ein Kohlenschiffer auf dem Rhein, der sich mühsam durchbrachte, und die Mutter eine stille kränkliche Frau, immer zu Hause oder in der Kirche, mit einem kummervollen Gesicht, vor dem ich mich meines blanken Lärvchens und sauberen Anzugs ordentlich schämte. Auch der Sohn – er war etwa fünf Jahre älter, als ich, und mußte dem Vater schon an die Hand gehen – sah immer noch finstrer aus den Augen, als sonst, wenn er mir Sonntags begegnete und die Mutter hatte mich wieder mit irgend einem bunten Fähnchen herausgeputzt. Er sagte mir nichts darüber, aber er wich mir dann aus, und so kindisch ich war und eitel darauf, daß ich das schöne Käthchen war, es gab mir immer einen Stich durchs Herz. Ich machte, daß ich wieder in meine Alltagskleider kam, schlich mich gegen Zwielicht an den Rhein hinunter, wo ihr Häuschen stand, und war sehr froh, wenn der Hans Lutz dann gnädig zu mir war und gar einmal sagte: Nun siehst du doch wieder wie ein Mensch aus, nicht wie eine Docke. Er wußte dann, so wenig Worte er machte, besser als jeder Andere mich zu unterhalten, schnitzte mir Rindenschiffchen, die in einem eigenen kleinen Hafen, den er baute, vor Anker gingen, pfiff mir auf einer Weidenpfeife meine Lieblingsstücke, und es wurde oft Nacht und ich mußte mich dafür schelten lassen, daß ich mich nicht von ihm trennen konnte.

Sie merken schon, woraus das hinauslief. Ich konnte nicht mehr ohne ihn bestehen, obwohl mich die Anderen mit ihm hänselten, da er auch von Allen der Unscheinbarste war, zumal seit er die Blattern gehabt hatte, und in der gröbsten und fadenscheinigsten Jacke ging. Ich denke fast, es war auch dabei die Eitelkeit mit im Spiel. Ich kam mir wie die Prinzessin vor, die sich zu dem Köhlerbuben herabläßt.

Dann wieder, in meinen besseren Stunden, merkt' ich, daß ich eigentlich großen Respekt vor ihm hatte, so viel wie sonst vor gar keinem Menschen, und daß ich nie mehr Respekt vor mir selbst hatte, als wenn er einmal ein freundliches Wort an mich gewendet hatte.

Nun waren wir fast schon aus den Spieljahren heraus, er fünfzehn, ich zehn, da fiel seinen Eltern eine Erbschaft zu, nicht eben um sich Wagen und Pferde zu halten, aber sie konnten sich's nun doch bequemer machen. Der Vater gab das Schiffergeschäft auf und fing eine kleine Handelschaft an, ich weiß nicht recht, womit, so eine Art Makler- oder Agentenwesen; den ältesten Sohn, meinen Hans Lutz, schickte er, da der es heftig begehrte, in eine Gewerbschule, er wollte Ingenieur werden, wozu er auch wie gemacht war. Der jüngere, etwa von meinem Alter, blieb zu Hause und legte sich eifrig auf das Geigenspiel, weil er gern in die herzogliche Kapelle eintreten wollte. Sie hatten da einen weitläufigen Vetter, der Fagott blies.

So ging es denn eine Weile. Erst fehlte mir mein Kamerad erschrecklich, ich wußte gar nicht, wie ich die Sonntage hinbringen sollte, und merkte jetzt erst, was ich an ihm gehabt hatte. Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, ihn zu entbehren und wieder als Docke herumzuprangen, von den Studenten, die durch die Stadt zogen, mir Ständchen bringen zu lassen oder Gedichte und Liebesbriefe zu lesen, die man mir ins Fenster warf, auf die ich freilich nie antwortete. Denn meine Mutter hielt mich ziemlich streng, und wie ich erst eingesegnet war, durfte ich nie allein mehr aus dem Haus. Ich glaub', sie fürchtete, einer der verrückten Engländer, die mich besonders angafften, möchte mich entführen, oder die Rheinnixen aus Neid und Eifersucht mich hinabziehen. – Dann und wann hatte sich auch schon ein ernsthafter Freier gemeldet, ganz annehmbare Leute, die wohl eine Frau versorgen konnten. Aber die kamen schön an. Der Vater wollte mich so billig nicht weggeben; unter einem Grafen thue er's nicht, hörte ich ihn einmal zur Mutter sagen; oder er müsse so reich sein, daß er mein volles Gewicht in Gold in die Wagschale legen könnte. – Mir war Alles sehr gleichgültig. Die Vortheile, die ich davon hatte, das schöne Käthchen zu sein und wie die wichtigste und merkwürdigste Person in unserer Gegend verehrt zu werden, genügten mir völlig, und seit der Hans Lutz fort war, spürte ich auch gar nicht mehr, daß ich so etwas wie ein Herz hätte.

Er schrieb mir nie, ließ mich auch nie grüßen; selten einmal hörte ich von seiner Mutter, daß es ihm gut gehe, und wie fleißig er sei, und wie er von seinen Lehrern gelobt werde. Daß er gar nicht einmal zum Besuch kam, wunderte mich doch. Von Karlsruhe war es ja nicht weit, und obwohl er mit Zeit und Geld sparsam haushalten mußte, das hätte er doch wohl noch erschwingen können, wenn's ihm darum gewesen wäre, mich wiederzusehen.

War aber das wunderlich, so konnte ich es vollends nicht begreifen, daß er nun doch einmal kam, aber den ganzen Tag nur mit seinen Eltern war und that, als ob sonst gar nichts Sehenswürdiges in der Nähe wäre. Ich kriegt' ihn nicht einmal von fern zu Gesicht, und einen Gruß hatte er mir nicht hinterlassen. Natürlich war ich sehr beleidigt und nahm mir vor, wenn ich ihn je wiedersähe, es ihn entgelten zu lassen.

Dazu war aber erst über Jahr und Tag wieder Gelegenheit. Ich war gerade siebzehn Jahr alt geworden, er also zweiundzwanzig, und es hieß, er habe die Schulen alle mit großem Ruhm durchgemacht und werde nun irgendwo eine praktische Stellung suchen, an der es ihm gar nicht fehlen könne. Daß er erst seine Eltern besuchen würde, verstand sich von selbst; aber Tag und Stunde hatte er nicht geschrieben. Also erschrak ich nicht wenig, als ich eines Nachmittags oben im Wäldchen hinter der Burgruine mit meiner Schwester saß und die Aussicht abzeichnete – denn ich nahm auch Zeichenstunden, ohne ein besonderes Talent zu haben – und wie ich eben den Namen aussprechen und das Lenchen fragen will, ob sie von dem Tage der Heimkehr nichts wisse, tritt ein langer, schlanker, schwarzbrauner junger Mann aus den grünen Büschen, zieht den Hut und will ohne Weiteres vorbei und den Berg hinab. Ich kannt' ihn auf der Stelle, er hatte noch das alte Gesicht, nur einen dunklen Bart und sah viel saubrer aus. Auch hatten sich die Blatternarben fast verwachsen. Herrgott! ruf' ich und fahre von meinem Sitz auf, Sie sind es, Hans Lutz? Wie können Sie einen so erschrecken! Ich bitte um Vergebung, sagte er ganz fremd und höflich, ich hatte keine Ahnung, hier die Fräuleins zu stören. Ich will auch nicht länger lästig sein. –Und damit greift er wieder an den Hut, der abscheuliche Mensch, und geht richtig davon, so kaltblütig, als wenn er ein altes Holzweib gefunden hätte, und nicht seine Jugendkameradin, den Ausbund von Schönheit, die zu bewundern andere Leute weite Reisen machten, und die noch eine so schöne Strafpredigt für ihn in der Tasche hatte.

Ich glaube, ich hätte hell herausgeweint, wenn ich allein gewesen wäre. Aber vor dem Lenchen nahm ich mich zusammen, sagte nur: Der ist aber hochmüthig und grob geworden! und versuchte weiterzuzeichnen. Nichts da! Keinen Strich brachte ich mehr zu Stande, so naß war es mir vor den Augen.

Und mitten in meinem Zorn und Aerger fühlte ich, was das Schlimmste war, daß ich ihm nicht gram sein konnte, daß ich Alles gethan haben würde, ihm nur einen freundlichen Blick abzugewinnen, und meine Beschämung über diese Schwäche machte mich erst recht unglücklich, daß ich mir in den Stunden mit all meiner gepriesenen Schönheit wie das armseligste Menschenkind auf der ganzen Welt vorkam. Ich konnte mich auch auf die Länge nicht verstellen, sondern fiel meiner guten Schwester um den Hals und gestand ihr unter vielen Thränen, wie sehr ich mich gekränkt fühlte, und ich müsse erfahren, was der Grund von seinem feindseligen Betragen sei, oder es würde mir das Herz abdrücken. Die treue Seele redete mir zu, so gut sie konnte, und am Abend half sie mir eine Ausrede bei der Mutter finden, daß wir noch einmal hinausdürften an den Rhein hinunter, gerade an die Stelle, wo sonst unser kleiner Hafen gewesen war. Da ließ sie mich allein, machte sich im Hause des Hans Lutz ein Geschäft und raunte ihm heimlich zu, ich wartete draußen an der Weidenbucht und hätte ihn was zu fragen. Erst, sagte sie mir hernach, habe er ein finsteres Gesicht geschnitten und sie in Zweifel gelassen, ob er darauf hören würde. Dann aber brachte er's doch nicht übers Herz, und eine Weile später sah ich ihn die Straße daherkommen, gerade auf mich zu, und weiß noch nicht, wie ich den Muth fand, stehen zu bleiben und ihn zu erwarten.

Dann aber wurde ich für meine Tapferkeit belohnt. Denn er war nicht mehr so bärbeißig, gab mir sogar die Hand und sagte: Es ist ja hübsch, Kathrin', daß du auch noch an einen alten Spielkameraden denkst. Und was hast du mir denn zu sagen? – Nichts, sagt' ich, als daß ich wissen wollte, was ich ihm zu Leide gethan, oder wer mich bei ihm verschwätzt hätte, daß er thäte, als sei ich kein Wort und keinen Blick mehr werth. Das wollt' ich wissen, und dann würde ich gleich wieder gehn. – Da sagte er mir denn in seiner ruhigen Manier, als wenn es ihn selber das Wenigste anginge, er habe gehört, daß ich ein hoffährtiges, vornehmes Prinzeßchen geworden sei, mich sehr kostbar mache, nichts Anderes thue, als in den Spiegel schauen oder mich von fremden Laffen bewundern lassen, und da er der Mensch nicht sei, das mitzumachen, auch andere Dinge zu thun habe, als vor so einem Madonnenbildniß das Rauchfaß zu schwingen, so habe er gedacht, ich verliere nichts an ihm, und es sei für uns Beide besser, wenn er mir aus dem Wege gehe.

Alles, was er mir sagte, und noch mehr, wie er es mir sagte, that mir so heftig weh, daß ich nicht eine Silbe darauf antworten konnte, sondern in einen Strom von Thränen ausbrach, der gar nicht versiegen wollte, sondern es schüttelte mich je länger je heftiger ein förmlicher Krampf von Schluchzen und Herzweh, und ich meinte, ich müsse davon auf der Stelle sterben und umsinken. Wie er das sah, wurde er plötzlich ganz verwandelt. Er umfaßte mich und sagte mir mit der zärtlichsten Stimme tausend Sachen, die ich zuerst, da es mir vor den Ohren saus'te und braus'te, nur zur Hälfte verstand: daß er sich nur so rauh gestellt habe, um sich gegen sein eignes Herz zu schützen, daß er in all den Jahren keinen andern Gedanken gehabt habe, als mich, und nur nicht gekommen sei, um sich nicht um alle Vernunft zu bringen, und wenn es wahr wäre, daß ich mir etwas aus ihm machte – nun, Sie können sich das Uebrige hinzudenken. An jenem Abend gaben wir uns das Wort, nur für einander leben zu wollen, und wie das Lenchen endlich dazukam und mich fortzog, damit die Eltern nicht zanken sollten, hatte ich ganz vergessen, daß ich das schöne Käthchen war; ich dachte nur, ein glücklicheres Käthchen könne es am ganzen Rhein und überhaupt unterm Monde nicht geben. – –

Sie schwieg, als sie soweit gekommen war, und stand auf, um einmal an die Schwelle zu treten, als wolle sie sich nach dem Kinde umsehen, das ruhig draußen auf einer Gartenbank saß und an seinem Kränzchen flocht. Als sie sich wieder zu uns wandte, sah ich, daß sie sich verstohlen die Augen wischte.

Van Kuylen schien davon keine Notiz zu nehmen. Er hatte einen alten Kork zwischen den Fingern, an dem er mit einem Messer herumschnitzelte, immer dabei die kalte Thonpfeife im Munde.

Und wie kam es, fragte ich nach einer Weile, daß das Glück Euch nicht treu blieb, und was so schön angefangen hatte, so traurig ausging? Ich kann doch nicht glauben, daß er es nicht redlich gemeint haben sollte!

Er! sagte sie darauf, mit einem unbeschreiblichen Ton und Ausdruck. Wenn es auf ihn allein angegekommen wäre! Aber sehen Sie, das Unglück war eben, daß ich solch ein Meerwunder war, mit dem man hoch hinaus wollte, ob ich auch selbst darüber zu Grunde ging. Meine älteren Schwestern – wenn der Hans Lutz um eine von ihnen angehalten hätte, mit tausend Freuden hätte man sie ihm gegeben, und die Männer, die sie bekommen hatten, konnten sich wahrhaftig neben meinem Schatz nicht gerade in die Brust werfen. Aber ich – daß er mich haben wollte, da er weder ein Graf war, noch das Rheingold aus dem Grunde gehoben hatte – das war eine solche Keckheit, daß man kaum glauben konnte, er habe seine richtigen fünf Sinne beisammen. Es fiel ihm zwar selbst nicht ein, nun gleich Hochzeit zu halten; er wollte nur ein festes Verlöbniß und dann ein paar Jahre sein Glück versuchen; und ich – zehn Jahre auf ihn zu warten, wäre mir Nichts gewesen. Aber da hätten Sie den Vater hören sollen! Der Kaiser von China, wenn der erste beste verrückt gewordene Matrose um die Hand seiner Tochter anhält, kann kein vornehmeres Gesicht aussetzen und nicht mitleidiger Nein sagen. Er war nicht einmal aufgebracht, er behandelte die ganze Sache wie einen dummen Spaß. Nur als die Mutter, die wohl wußte, wie es um mein Herz stand, ihm dreinzureden wagte und den Hans Lutz gar nicht als den schlechtesten Freier schilderte, wurde er zornig und ließ sie nicht ausreden. Ich wurde eingesperrt, als ich auf Befragen gestand, ich wolle keinen Andern zum Mann, und saß acht Tage lang wie eine gefangene Prinzeß oben in der Bodenkammer, wo nur Mutter und Schwester mich besuchten. Ich hatte freilich noch mein schönes Gesicht, aber wenn ich's noch nicht wußte, konnte ich's jetzt erleben, daß ich was Rechts daran hatte.

Dem Hans Lutz schickte ich durch das Lenchen einen Brief, ich würde ihm doch treu bleiben, er solle mich nur um Gotteswillen den Zorn und Hochmuth meines Vaters nicht entgelten lassen. Darauf aber schrieb er mir zurück, er habe keine Hoffnung, er gehe auf und davon, vielleicht bis Amerika, und wisse nicht, ob er jemals zurückkäme. Ich sollte nur den Gedanken an ihn aufgeben, und er schicke mir auch ausdrücklich mein Wort und meinen Ring zurück. Denn er wisse wohl, wie es kommen werde. Die Eltern würden mir doch einen Mann nach ihrem Herzen aussuchen und ich endlich des Wartens müde sein, und so wolle er mich nicht binden, daß ich zu allem Traurigen auch noch die gebrochene Treue auf dem Herzen hätte. – Sie können wohl denken, mit wie viel Thränen ich den Brief las, da mir das Lenchen sagte, der Schreiber sei schon wer weiß wie weit; sie habe den Brief erst nach seiner Abreise mir zustellen dürfen.

Nun kam scheinbar Alles wieder ins alte Geleise, bis auf das Eine, daß ich zwar noch das schöne Käthchen war und als solches gefeiert wurde, aber einen stillen und unbezwinglichen Haß auf mein Gesicht bekam, da ich um seinetwillen mein liebstes Glück verloren hatte. Wenn der Vater nicht gewesen wäre, der mit mir prunken wollte, ich wäre gar nicht mehr von meiner Bodenkammer heruntergegangen, und kam jetzt auch nur zum Vorschein, wenn es gar nicht zu vermeiden war. Den dummen Fensterparaden wandte ich den Rücken, auf ein Dampfschiff, wo mich die Engländer anglotzten, war ich ums Leben nicht mehr zu bringen, und den Malern, die mich abzeichnen oder malen wollten, hielt ich nicht still, der Vater mochte böse werden, so viel er wollte.

Aber all mein Stubensitzen und Grollen und Grämen half mir nichts, ich wurde alle Tage hübscher, und da ich gar nichts auf meinen Anzug mehr hielt, gefiel ich den Meisten noch besser, die früher gleich dem Hans Lutz gefunden hatten, ich sei ein rechtes Zieräffchen. Von meinem Liebsten aber kam kein Brief, auch keine mündliche Nachricht. Und so vergingen drei bis vier Jahre; das Leben, merkt' ich da, ist ein recht schlechter Zeitvertreib, wenn man nicht hat, was das Herz begehrt.

Dazu noch all die Anfechtungen im Hause; bei jedem neuen Heirathsantrag einen neuen Streit und Kummer; denn es waren manche darunter, wenn auch keine Grafen, die dem Vater doch sehr recht gewesen wären: ein reicher Russe, der schwor, in den Rhein zu springen, wenn er mich nicht bekäme, hernach aber doch lieber sich in Champagner stürzte und in Wiesbaden mit allerlei Damen herumzog; dann ein junger Baron, der irgendwo bei einem Fürsten Ober-Stallmeister war und außer mir nur noch für Pferde schwärmte, und von wohlhabenden guten Leuten eine Masse, die mir alle unausstehlich waren, wenn ich sie im Stillen mit meinem Hans Lutz verglich – Das Lenchen war längst auch verheirathet und glücklich, und ich saß noch immer als unnütze Brodesserin an meiner Eltern Tisch, und da der Vater nicht der beste Wirth war und die Mutter kränklich wurde, sah es oft kümmerlich genug bei uns aus, und während ein reicher Freier nach dem andern mit einem Korbe abzog, hungerten wir ganz rechtschaffen. Wenn man aber bei Tisch nicht satt wird, tischt man sich gewöhnlich zum Nachtisch böse Reden und spitzige Bemerkungen auf, und so können Sie sich vorstellen, daß ich oft meinen Tag verwünschte und Nachts mir die Augen roth weinte.

Endlich riß meinem Vater die Geduld, und als sich wieder Einer meldete, der ihm würdig schien, das Kleinod von Schönheit davonzutragen, da er es baar bezahlen konnte, erklärte er mir: entweder – oder; ich müsse einwilligen, oder er werde mich seine ganze Strenge fühlen lassen. Was er damit meinte, wußte ich freilich nicht. Mir selbst aber war eine Aenderung willkommen, denn den Zorn des Vaters und das Leiden der Mutter konnte ich nicht mehr mit ansehen. Ich sagte also: ja, ich wolle dem Herrn Soundso meine Hand geben, falls in den nächsten drei Monaten von meinem Hans Lutz keine Botschaft käme. Damit waren die Eltern vorläufig zufrieden, und der Bräutigam mehr als selig; er wurde schier närrisch vor Entzücken, sagte mir die verrücktesten Sachen und machte mich damit in all meinem Elend ordentlich wieder einmal stolz und kindisch, daß ich solch eine Macht über einen Menschen hatte. Es war ein junger steinreicher Lederfabrikant aus dem benachbarten M., so weit nicht übel von Gesicht und Figur, er galt vielmehr für einen hübschen Menschen, mir aber wurde immer förmlich übel, wenn ich länger als eine Viertelstunde neben ihm sitzen mußte, einmal, weil ihn die Verliebtheit gar zu einfältig und zuckersüß machte, und dann weil er sich so stark mit wohlriechenden Wassern anspritzte, wahrscheinlich um den Fabrikgeruch zu vertreiben. Ich will Sie nicht mit der Geschichte dieses schrecklichen Brautstandes langweilen. Mich selbst überläuft noch jetzt eine Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke, die Besuche hüben und drüben, die Glückwünsche, zu denen ich lächeln sollte, da mir das Weinen viel näher war, der eine Tag, wo er mir sein Haus und seine Fabrik zeigte, und ich meinte, der Farbe- und Lohgeruch erstickt mir den Athem. Kurz, es ging so lang es gehen konnte, d. h. bis Ernst werden sollte. Am Tag vor der Hochzeit tractirte mein Bräutigam meine liebsten Gespielinnen und ihre Eltern in seinem Hause, da die eigentliche Hochzeit bei meinen Eltern gefeiert werden sollte. Er war so ungewöhnlich glücklich, läppisch und wohlriechend, daß ich mir plötzlich sagte: lieber Alles erdulden, als solch ein Glück machen. Und in der Nacht darauf, als Alles schlief, ging ich richtig aus dem Hause, nur mit den nothwendigsten Sachen in einem Bündel, und hinterließ einen Brief an die Eltern: sie möchten mir den Schmerz verzeihen, den ich ihnen machen müsse, aber heirathen könne und würde ich nicht, und um ihnen nicht länger zur Last zu fallen, ginge ich zu der Tante nach Speyer und würde sehen, wie ich mich auf meine eigene Hand durchbrächte.

Zur Flucht aber half mir der Bruder meines Hans Lutz, der gerade bei den Eltern zu Besuch war und für mich durchs Feuer gegangen wäre. Er brachte mich unangefochten dahin, wo ich wollte, zur Tante Ameley; ihr eigentlicher Name war Amalie, aber wir Kinder nannten sie nicht anders. Sie war eine verwittwete alte Frau, lebte von ihrem wenigen Gelde und hatte mich immer sehr lieb gehabt, aber auch über die Abgötterei, die meine Eltern mit mir trieben, den Kopf geschüttelt. Wie ich ihr jetzt Alles erzählte, lobte sie mich nicht und schalt mich auch nicht, schrieb aber an die Eltern und suchte sie wieder gut zu machen. Das war nur leider umsonst. Der Vater antwortete sehr bündig, wenn ich den Lederfabrikanten nicht heirathete, sei ich sein Kind nicht mehr.

Die Mutter suchte mich zu bereden. Ich merkte jetzt erst, daß sie an mir auch nur die unglückliche Schönheit geliebt hatten, daß bei meinen eignen Eltern die weiß' und rothe Larve zwischen ihrem Herzen und dem ihres Kindes stand. Vor lauter Bewunderung und Anbetung hatten sie mich eigentlich nie so recht von Herzen gern gehabt, wie all ihre anderen Kinder.

Oder hätten sie sonst in dem ganzen Jahr, seit ich nun fort bin, nicht Zeit gefunden, zu begreifen, daß das mein Glück nicht sein konnte, wovor ich davonlief, und daß ich darum keine schlechte Tochter sein müßte, weil ich ihnen den Gefallen nicht thun konnte? Aber nein, sie sind steinhart geblieben, wie man gegen kein lebendiges Wesen bleibt, das eine Seele hat, sondern nur gegen ein seelenloses Bild, wofür sie mich so lange betrachtet und zur Schau gestellt hatten. Zuerst freilich, so lange ich in Speyer war, konnten sie denken, ich würde mich anders besinnen. Aber da war meines Bleibens nicht lange. Die alte Frau war an ein ganz eingezogenes Leben gewöhnt. Nun so plötzlich sich eine Schönheit ins Haus schneien zu lassen, der alle jungen Leute nachgingen, und die Besuche und Anfragen meinethalb von ihren Bekanntinnen, und Die und Jene, die im Auftrag Des und Jenes anklopfen sollte, ob ich zu haben wäre – das wurde der guten Frau zu viel. Sie erklärte mir daher eines Tages, ich könne nicht länger bei ihr bleiben, sie habe mir aber eine sehr gute Stelle ausgemittelt, bei einer Baronin, die auf ihrem Gut nahe bei München lebe und für zwei kleine Töchter eine Gouvernante suche; und da ich gut erzogen sei, Französisch spräche und Klavier spielte, habe sie in meinem Namen die Sache richtig gemacht, und ich würde übermorgen abreisen.

Ich war damit sehr zufrieden. Ich sehnte mich, mich auf meine eignen Füße zu stellen und mir mein Brod zu verdienen. Aber es sollte wieder Nichts sein, und wieder war Niemand Schuld, als das verhaßte Gesicht, das ich nun doch nicht loswerden konnte. Denn um es kurz zu machen: die Baronin und die Kinder gefielen mir und ich ihnen, und die ersten Tage, die wir allein mitsammen waren, ging Alles vortrefflich. Dann aber kam der Baron aus der Stadt zu uns heraus, da schlug von heut auf morgen das Wetter um. Er betrug sich ganz höflich, nur daß er das gewöhnliche erstaunte Gesicht machte, das ich nun schon bis zum Ekel kenne, wenn die Leute mich zum ersten Mal sehen. Ich bin schon gewohnt, nicht desgleichen zu thun, sondern ruhig meines Wegs zu gehen. Aber der gnädigen Frau, die das Gesicht an ihrem Mann nicht kennen mochte, wurde die Sache bedenklich, und das Ende vom Liede war, daß sie mich am andern Tag, nachdem es eine sehr lebhafte Scene zwischen dem Herrn und der Dame des Hauses gegeben hatte, in ihr Kabinet kommen ließ und mir erklärte, sie bedaure, mich nicht behalten zu können, sie brauche das Zimmer, das ich bewohnte, für eine junge Verwandte, die plötzlich ihren Besuch für den ganzen Winter angemeldet habe. Uebrigens war sie billig genug, mir, ohne daß ich es forderte, meinen Gehalt für diesen ganzen Winter auszuzahlen.

Da stand ich wieder auf der Landstraße. Ich hätte gute Lust gehabt, mir eine schwarze Maske zu kaufen, wie die Dame mit dem Todtenkopf, und mein Gesicht ein für alle Mal darunter zu verstecken, damit es mich nicht weiter unglücklich machen könne.

Und wenn ich vorausgewußt hätte, was ich noch Alles auszustehen haben sollte, wahrhaftig, ich hätte es gethan, oder etwas noch Tolleres. Ich wäre katholisch geworden, blos um in ein Kloster gehen zu können.

Dreimal hab' ich in der Stadt ein andres Zimmer miethen müssen, weil man mir keine Ruhe ließ. Ich kann Ihnen sagen, wenn ich gestohlen hätte, oder falsches Geld gemacht, oder sonst etwas Schändliches gethan, das herauskommen konnte, ich hätte nicht mehr in Angst und immer auf der Flucht leben können, als jetzt, da ich Niemand hatte, mir von Gottes und Rechtswegen beizustehen gegen die schlechten Menschen und mein unglückliches Schicksal. Ich will Ihnen das nicht weitläufig erzählen, Sie können sich's denken. Und dazu nichts zu thun haben und eigentlich nichts verstehn, die halben Tage lesen, die andere Hälfte vor mich hin sinnen, was aus mir werden sollte, da das Geld und meine Geduld doch einmal ein Ende nehmen mußte. Meine Hausleute, die letzten, zu denen ich zog, die Eltern des Babettchens, hatten alles Mitleiden mit mir, da sie sahen, daß ich kein verlaufenes Geschöpf war, sondern nur das Unglück hatte mit dem Kirchenfenstergesicht. Aber was wollten sie thun? Ich half ein bischen im Haus, ich lernte etwas nähen, da der Mann ein Militärschneider ist, ich ließ das Babettchen lesen und schreiben; aber eine Gouvernante zu halten, sind die Leute denn doch zu arm. Und wie es gegen den März ging und ich auch eine Stelle in einem Juwelierladen hatte aufgeben müssen, da das Gesicht wieder Unheil anrichtete, mußte ich doch wieder an die Eltern schreiben, ob sie sich meiner annehmen wollten. Nun dachten sie wohl, nur noch eine kleine Weile müßten sie hart bleiben, um mich ganz weich zu machen. Sie schrieben also, der Lederfabrikant warte noch immer auf mich und werde Alles verzeihen, wenn ich endlich Vernunft annähme. Thäte ich das aber nicht, so möchte ich nur bleiben, wo ich wäre. – Die Tante Ameley schickte mir etwas Geld, aber nicht viel; sie hatte eben selbst fast ihr ganzes Vermögen an einen Betrüger verloren. Und so saß ich denn wieder, die Hände im Schooß, und wenn ich zufällig mich im Spiegel sah, wurde ich so falsch und wild auf das Unglücksgesicht, das mich daraus anstarrte, daß ich mir die Augen ausgekratzt hätte, wenn meine Nägel und mein Muth dazu ausgereicht hätten.

Nun hatte mir die Schneidersfrau schon oft gerathen, ich sollte mir meinen Unterhalt mit Modellsitzen verdienen. Eine Verwandte von ihr lebte davon, die nicht einmal hübsch war, aber gut gewachsen. Es sei eine Gottesgabe, wie andere, und wenn eine Sängerin sich ihre schöne Stimme mit Gold anfwiegen lasse, warum sollte ich mir von demselben Gesicht, das mich in Noth gebracht, nicht wieder heraushelfen lassen? – Ich gab auf all solche Reden nur immer zur Antwort, ich wüßte, daß es meinem Geliebten das Bitterste sein würde, wenn er je erführe, ich hätte mich für Geld sehen lassen, wie ein Jahrmarktswunder, und sei als Malpuppe heut zu Dem und morgen zu Jenem gegangen. Das würde er mir nie verzeihen. Dann sagte die Frau: Der hat auch was zu verzeihen! Er soll froh sein, wenn Sie ihm verzeihen, daß er auf und davon ist und läßt kein Sterbenswort von sich hören. – Nun blieb ich aber doch standhaft – bis endlich das Wasser mir an den Hals ging und ich nicht wußte, wovon ich die letzte Monatsmiethe bezahlen sollte. Wenn da nicht der Herr van Kuylen gekommen wäre, dem ich zutraute, daß er keine schlimmen Absichten hatte – Gott weiß, ich bin manchmal schon durch den englischen Garten gegangen und habe mir gedacht, wenn ich da ein kaltes Bad nähme, wäre ich am raschesten aus aller Noth.

Und nun verzeihen Sie, ich habe Ihnen da so lang und breit was vorgeklagt; aber Sie haben mir eine rechte Wohlthat damit erwiesen, daß Sie mich angehört haben ohne den Kopf zu schütteln oder zu lachen. Denn die Meisten wollen es nun einmal nicht glauben, daß man unglücklich sein kann ohne sein Verschulden, und zwar gerade durch das, was die Menschen für ein großes Glück halten. Babettchen, sagte sie zu dem Kinde, das eben mit dem fertigen Kränzel hereintrat, nimm dein Strickzeug und leg das Buch wieder auf seinen Platz. Wir wollen gehn; es hat fünf geschlagen, und die Mutter wartet.

Van Kuylen fuhr in die Höhe, als hätte ihn Jemand aus dem Schlaf aufgerüttelt.

Kommen Sie morgen um dieselbe Zeit wieder, Fräulein Käthchen? fragte er, ohne sie anzusehen.

Morgen gehen meine Hausleute auf eine Hochzeit, erwiederte sie, indem sie ihr schwarzes Hütchen aufsetzte, das ihr Gesicht ganz allerliebst einrahmte. Ich muß zu Hause bleiben bei den Kindern. Aber übermorgen, wenn es Ihnen recht ist –

Er nickte stumm und bemühte sich, ihr ein dunkelwollenes Tuch umzugeben, was sie aber nicht duldete. Sie wickelte sich selbst so unförmlich ein, daß die schlanke Gestalt kaum noch für ein Malerauge durchschimmerte. Dann band sie einen fast undurchsichtigen schwarzen Schleier am Hute fest und verneigte sich mit einem reizenden Erröthen gegen mich.

Ich lachte und bot ihr herzlich die Hand. Ich danke Ihnen, liebes Fräulein, sagte ich, daß Sie auch mich in Ihre Schicksale eingeweiht haben. Ich bin ein verheiratheter Mann und Gottlob noch immer in meine Frau verliebt, so daß von Eifersucht bei uns keine Rede sein kann. Wenn Sie also einmal Rath und Hülfe brauchen, ich wohne da und da, es sollte mich sehr freuen, wenn Sie Zutrauen. zu uns hätten und wir Ihnen irgend helfen könnten. Uebrigens sehen Sie die Sache nicht so verzweifelt an. Wer weiß, ob Sie Ihrem Gesicht nicht noch einmal Alles abbitten, was Sie ihm an bösen Worten ins Gesicht gesagt haben. Es kann einer auch durch das große Loos, das er gewinnt, in allerlei Verlegenheiten kommen, und doch ist das große Loos keine üble Sache und entschädigt auch wieder für das angerichtete Unheil. Jedes Ding hat Licht und Schatten, und so weiter; – denn es fällt mir nicht ein, die wohlfeile Weisheit, mit der ich das liebe Kind zu trösten versuchte, jetzt nachträglich noch einmal auszukramen.

Auch merkte ich damals eben nicht, daß ich viel damit ausrichtete. Vielmehr war das schöne Gesicht wieder ganz so müde und traurig geworden, wie vor ihrer Beichte, und sie verließ uns auch, ohne noch eine Silbe zu sagen; nur ein Seufzer drang noch unter dem Schleier hervor, der eine totale Sonnenfinsterniß bewirkte.

Ich war mit van Kuylen allein, und eine Zeitlang dampfte Jeder stillschweigend dicke Wolken vor sich hin, da auch der kleine Holländer seine Thonpfeife sofort in Brand gesetzt hatte, als das schöne Kind gegangen war. Nun, Mynheer, sagte ich endlich, ich muß Euch gratuliren; Ihr seid ein Glücksvogel.

Ich? erwiederte er mit einem kurzen ironischen Auflachen. Durch welche Fernröhre seht Ihr die Welt an, daß Ihr solche Weissagungen ertönen laßt?

Durch ganz unbewaffnete Augen, versetzte ich. Oder ist es etwa nicht schon beneidenswerth genug, daß Euch dies scheue Wild ins Garn gegangen ist, dem so Mancher vergebens nachgeschlichen? Wenn Ihr's nur recht anstellt, so wird es Euch noch so zahm, daß Ihr es am Bande führen könnt.

Er kehrte sich ab; ich sollte nicht sehen, daß eine helle Röthe sein gelbliches Gesicht überlief.

Ihr kennt sie nicht, brummte er; die ist ganz anders, als alle andern, und wenn ich der Narr wäre, für den Ihr mich haltet –

So wärt Ihr durchaus kein Narr, fuhr ich fort und ereiferte mich dabei selbst, ohne es zu merken. Ihr werdet's meiner Frau natürlich nicht wiedersagen, aber bei der heiligen Katharina schwöre ich's Euch, Meister Jan, wenn ich in Eurer Lage wäre, ich spielte nicht lange den heiligen Antonius, ich setzte meinen Kopf darauf, das arme Kind aus ihrem Fegefeuer zu erlösen –

Und in ein Paradies einzuführen, wo solch ein Adam – Geht mir! sagte er mit einer fast unhöflichen Geberde; aber ich wußte, wie ich ihn zu nehmen hatte. Ich trat ihm näher und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Wenn es Euch ungelegen ist, will ich kein Wort mehr sagen; aber wenn Ihr glaubt, jener gewisse Hans Lutz –

Da fuhr er von seinem niedrigen Sitz in die Höhe und rannte wie unklug in dem Atelier auf und ab. Macht mich nicht rasend, rief er. Wenn Ihr's gemerkt habt, daß ich über beide Ohren in das Mädchen vernarrt bin – meinethalben, es macht mir, denk' ich, keine Schande. Aber solch ein hirnwunder Hansaff bin ich nicht, daß ich mir einbilden sollte, meine werthe Visage werde diesem guten Kinde ihre erste Liebe aus dem Herzen vertreiben, und daß eine bloße Versorgung sie nicht kirrt und ködert, habt Ihr ja wohl gehört. Wozu also mit dem Blasebalg Eurer Allerweltsphilosophie in die Kohlen fahren? Bin ich nicht schon übel genug daran, daß ich sehe, wie hoffnungslos die ganze Geschichte ist, und doch nicht ablassen kann, sie stundenlang anzugaffen, um mir das heillose Gesicht so recht wie mit glühendem Stempel ins Gedächtniß zu brennen? Und nun kommt Ihr noch und schwatzt von soliden Absichten und gratulirt mir und – hol's der Henker! Das ist gerade, wie wenn einer die Nadel, an der der Käfer lebendig gespießt ist, ins Licht hält und rothglühend macht!

Er warf sich auf einen niedrigen Divan im Winkel mit solcher Heftigkeit, daß er einer kostbaren Florentiner Laute, die dort lag, den Hals knickte, aber ohne es zu beachten.

Meine unbedachten Reden hätte ich nun gern zurückgenommen.

Wenn es so steht, Mynheer, sagt' ich, so ist da freilich nichts zu gratuliren. Aber ich begreife nicht, wie ein Mann, wie Ihr, so desperat sein kann. Ihr habt keine Lederfabrik, sondern seid ein berühmter Künstler; Ihr riecht nicht nach Bisam, sondern, wie ein Mann, nach kräftigem Portorico, und alles Uebrige ist Geschmackssache. Weiber sind Weiber, und ihr Geschmack ist unberechenbar. Daß sie nicht gerade auf einen Adonis versessen ist –

Ich hätte wohl noch eine ganze Weile, in der besten Absicht ihn zu trösten, solche Dummheiten fortgeschwatzt, wenn er nicht plötzlich ganz phlegmatisch sich aufgerichtet hätte, um mich, zwar mit sichtlicher Mühe, aber doch ohne ein Zittern der Stimme zu fragen, wie viel Uhr es sei, und ob nicht heute Abend die Stumme von Portici gegeben würde? Nun merkte ich freilich, was die Glocke geschlagen hatte, verschluckte den Aerger über meine einfältige Einmischung in so zarte Angelegenheiten und nahm Abschied unter dem Vorwande, meine Frau warte auf mich, um noch einen Besuch zu machen.

Am Pfingstmontag-Nachmittag, wo man Niemand zu Hause trifft! – Aber so taumelt man aus einer Kopflosigkeit in die andere.

Und damit war die Reihe meiner Beschämungen für heute noch nicht einmal beschlossen. Denn wie ich wirklich zu meinem guten Weibe heimkomme und ihr ganz treuherzig Bericht erstatte, wo ich gewesen und was ich erlebt, und schließlich, obwohl ihr stummes Zuhören schon nichts Gutes weissagt, hinzufüge: es würde mir eine wahrhafte Beruhigung sein, wenn ich für das schöne Kind etwas thun könnte, und ob wir ihr nicht anbieten sollten, in unser Gastzimmerchen zu ziehen, das gerade leer stand, – da brach ein kleines Ehegewitter los, das ich wie angedonnert über mich ergehen lassen mußte. Sie habe es mir schon längst einmal sagen wollen, daß dieser van Kuylen den schlechtesten Einfluß auf mich ausübe und gar kein Umgang für mich sei; ein leichtfertiger Junggeselle, der vor nichts Heiligem Respekt zeige und mich schon angesteckt habe mit seiner heidnischen Spott- und Lästersucht. Sie habe gedacht, als sie einen Landschaftsmaler heirathete, ihr Haus sei wenigstens sicher vor so zuchtlosem Gesindel, wie die Modelle zu sein pflegten, die aller Scham und Schande den Kopf abgebissen haben und von denen man die gräulichsten Geschichten erzähle. Nun brächte ich von diesem frivolen Holländer nicht nur den schlechtesten Tabacksgeruch in meinen Kleidern mit nach Hause, sondern eine ganz verwilderte Phantasie, und hätte so ganz vergessen, was ich meiner ehrbaren jungen Frau schuldig sei, daß ich ihr zumuthen könne, diese verdächtige Person, die mir mit ihrem bischen Gesicht und einem Haufen zweideutiger Abenteuer den Kopf verdreht, förmlich in die Familie aufzunehmen. Eh sie darein willige, lieber nähme sie ihre unschuldigen Kinder auf den Arm und räumte gleich das Feld. Denn was daraus werden würde, das sei nach dem Feuereifer, mit dem ich diesen sauberen Plan vorgetragen, leicht abzusehen! – und dabei zog sie unsere Christel, die hereingetrippelt kam, in so leidenschaftliche Thränen ausbrechend an sich und drückte ihren kleinen blonden Kopf so besorgt an ihre Brust, als wollte sie das arme Wesen vor dem bösen Blick des sündhaften Vaters beschützen, der seine Seele unrettbar dem Gottseibeiuns verschrieben hatte.

Ich hatte alle Mühe, das aufgeregte Gemüth meiner lieben Ehehälfte zu beschwichtigen. Sie war sonst die Geduld und Aufopferung selbst, aber in Einem Punkte verstehen die besten keinen Spaß, »da werden Weiber zu Hyänen«, wie Schiller sagt, und ich schalt mich einen Esel über den andern, daß ich meiner ästhetischen Begeisterung für das schöne Kind so sehr am unrechten Orte Luft gemacht hatte.

Natürlich hütete ich mich wohl, auf das verfängliche Thema wieder zurückzukommen, blieb den ganzen folgenden Tag zu Hause und malte mit solchem Fanatismus einen alten Eichwald, als ob so eine hundertjährige, zerrissene und zerschlissene alte Baumrinde weit reizender sei, als die glatteste Atlashaut eines zwanzigjährigen jungen Mädchens, und ein Eichenknorren verführerischer, als das vornehm gerümpfte Venusnäschen unserer armen verfolgten Schönheit.

Den Tag darauf feierte ich einen noch größeren Sieg über mich selbst, indem ich der Versuchung widerstand, ganz zufällig den Weg nach Mynheer van Kuylen's Atelier einzuschlagen und dort wieder als Seelsorger mich um ein trostbedürftiges Menschenkind anzunehmen. Ich war freilich den ganzen Nachmittag etwas zerstreut, und als wir nach Nymphenburg spazierten, unsere Kinder im Wägelchen von der Magd nachgefahren, und kein rechtes Geplauder in Gang kommen wollte, entschuldigte ich mich nur nothdürftig damit, daß ich Luftstudien machen müsse, obwohl am Himmel gerade nicht viel Apartes vorging. Meiner Frau aber war das immer noch lieber, als wenn ich meiner üblen Gewohnheit nach die vorbei kommenden Mädchen und Frauen gar zu gründlich studirt hätte. Es ist nun einmal eine Schwäche ihres Geschlechts, daß sie von einem rein künstlerischen Standpunkt keinen Begriff haben und ihn darum überhaupt nicht anerkennen.

Endlich, nach vier bis fünf Tagen, fand ich es denn doch mit meiner Manneswürde unverträglich, mich plötzlich von meinem ehrlichen Holländer zurückzuziehen, bloß weil er in Ungnade war bei meiner Frau. Ich machte mich also, nachdem ich Pinsel gewaschen, so zwischen Lich und Dunkel auf, wo ich wußte, daß er zwar nicht mehr malte, aber regelmäßig zu Hause war. So hatte ich vor mir selbst die beste Rechtfertigung, daß ich nicht etwa das schöne Käthchen dort treffen wollte, sondern nur meinen kleinen, so unbillig verleumdeten Freund.

Ich sah auch richtig den Schein seiner Lampe schon von weitem durchs Fenster, mußte mir aber von der alten Haushälterin sagen lassen, der Herr sei ausgegangen. – Nicht besser traf ich's am folgenden Tage, da ich, nun während seiner Arbeitszeit, an sein Atelier klopfte. Ich mochte meinen Namen rufen, so laut ich wollte, er öffnete nicht. Die alte Frau, bei der ich nachfragte, ob er vielleicht Modell habe, schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln; sie zeigte dann mit einer bedeutsamen Geberde an die Stirn, seufzte und sagte: es sei schon seit einigen Tagen nicht mehr ganz richtig mit dem guten Herrn, er esse und trinke so gut wie nichts, gehe die halben Nächte im Schlafzimmer auf ab und spreche mit keinem Menschen. – Ob das Fräulein vom Pfingstmontag wieder da gewesen sei, fragte ich. – Nein, sagte sie. Aber er male sie noch immer, und zwar aus dem Kopf, und sie habe selbst schon gedacht, so was wie Verliebheit möchte dran schuld sein, daß er so stumm und hintersinnig herumgehe.

Das leuchtete mir auch nur allzusehr ein, und ich machte mir jetzt im Stillen Vorwürfe, am Ende gar Oel ins Feuer gegossen zu haben, indem ich ihm die Bewerbung um das holde Geschöpf als etwas sehr Vernünftiges und gar nicht Hoffnungsloses vorgestellt hatte. Wenn man freilich immer bedächte, was man mit seinen Scherzreden im Ernst für Unheil anrichten könnte, man nähme sich, ehe man ein Wort fallen läßt, so sorgfältig in Acht, wie man sich umsieht, ehe man eine noch brennende Cigarre wegwirft.

Indessen war da nichts zu machen, dafür kannte ich meinen eigensinnigen Mynheer Jan. Wenn er sich in den Kopf gesetzt hätte, einen ganzen Edamer Käse zum Frühstück aufzuessen, kein Mensch hätte ihn davon abgebracht. Ich versuchte noch ein paar Mal, bei ihm einzudringen; umsonst. Und als ich ihm zufällig eines Abends draußen bei der Au-Kirche begegnete – wir rannten beinah an einander, ehe wir uns erkannten – war er wie ein Blitz an mir vorbei, und all mein Rufen und Schelten und Nachlaufen half nichts; er wollte mir nun einmal nicht Stand halten.

Zuletzt ward mir die Sache gleichgültiger, und ich dachte: wenn er dich entbehren kann, wirst du erst recht ohne ihn fertig werden. – Von meinem lieben Weibe trug mir diese Stimmung ein um so freundlicheres Gesicht ein. Ich ließ ihr gerne den Triumph, den sie übrigens nicht ungroßmüthig ausbeutete: zu glauben, ihre Vorstellungen hätten mich von diesem Seelenverkäufer ab und auf den Pfad der Tugend und Landschaftsmalerei zurückgezogen. Als mein Eichwald fertig war, brachen wir unser Zelt in der Stadt ab, um es draußen im Gebirge, wie ich damals alljährlich that, wieder aufzuschlagen. Auf ein freundliches Billet, in dem ich von Freund Jan Abschied nahm, erhielt ich keine Antwort. Und so verging der größte Theil des Sommers, ehe ich erfuhr, ob er inzwischen gestorben oder verdorben sei. Das schöne Käthchen vollends war wie in den Erdboden versunken. Von all meinen Freunden und Collegen, die doch sonst so etwas Rares nicht lange unaufgespürt lassen, hatte Keiner auch nur eine flüchtige Spur unseres armen Meerwunders entdeckt.

Als ich aber um die Mitte Septembers das Studienmalen satt hatte und auch ein wenig die ewigen »drei Braten« unserer ländlichen Herberge, und mich nach etwas genießbarer Kultur zurücksehnte, stieg sogleich eine lebhafte Neugier in mir auf, was aus meinem Holländer und seiner Schönen geworden sein möchte. Mein erster Gang in der Stadt war nach dem Atelier an der Theresienwiese, wo ich, da ich das Nest wirklich leer fand, meinen Namen mit einem herzlichen Gruß an die kleine Schiefertafel schrieb.

Von da ging ich, nachdem ich meine Frau abgeholt, auf den Kunstverein; denn wenn man so lange die Natur angegafft hat, reizt es einen zu sehen, wie weit inzwischen der Verfall der Kunst wieder vorgeschritten sein möchte. Wie erstaunte ich aber, als das erste Bild, das mir in die Augen fiel, nichts geringeres war als ein unverkennbar echter van Kuylen, auf dem die unglückseligen Käthchen-Studien in bekannter Manier bestens verwerthet waren, und zwar so anzüglich, daß ich in der ersten Verlegenheit that, als ob ich es nicht bemerkte, nur um womöglich meine Frau daran vorbeizubringen. Die aber, mit ihren Luchsaugen, hatte sofort ausgewittert, um was sich's handelte.

Ei sieh doch, sagte sie mit ziemlich gelassener Stimme, aus der ich aber doch den Hohn kichern hörte, das ist ja ein Bild deines holländischen Heiligenmalers, und noch dazu in größerem Format, damit man es ja nicht übersehen soll. Ich muß sagen, wenn es nicht wieder so ein bedenklicher Gegenstand wäre, könnte es mich fast mit ihm aussöhnen. Es kommt mir vor, als hätte er sich ganz besonders zusammengenommen, es hängt an einem Haar, daß es fast wunderschön wäre, nicht bloß die Mache, sondern so der ganze Zug hat was Großartiges, Historisches, wie ihr's nennt, oder Stil – (man sieht, die kleine Frau – hatte nicht ungestraft nun schon sechs Jahre unter Künstlern und ihren Gesellen gelebt und lieferte ihre Kunstkritik so tapfer, wie der erste beste Zeitungsschreiber, nur mit etwas mehr Verständniß). Aber ich glaube gar, fuhr sie fort, die Bathseba, die sich da eben auskleidet, um ein Bad in einem sehr seichten Tümpel zu nehmen, ist euer Wunderthier vom Rhein; wenigstens sieht sie nicht aus wie die anderen Studienköpfe hier, und der kleine König David, der da oben aus dem Fenster schaut und natürlich wieder das holde käsfarbene Antlitz des Herrn Malers zeigt, betrachtet die Dame mit einem rechten Malerauge, wie ich's an gewissen Leuten kenne, wenn sie schönen Mädchen auf der Straße unter den Hut sehen. (Dabei ein Seitenblick auf den getreuen Ehegatten.) Nun, ich muß sagen, sie ist nicht übel, wenn er sein Modell nicht gar zu stark idealisirt hat. Aber habe ich nun nicht Recht gehabt, daß ich damals nichts davon wissen wollte, die arme »verfolgte Unschuld« mir ins Haus zu nehmen? Eine schöne Schlange hätte ich mir da im Schooß gewärmt! Die und hülflos! Ich denke, Eine, die sich so malen läßt, halbnackt, wenn auch nur vom Rücken angesehen, die weiß sich zu helfen. Und nachträglich bin ich zweifelhaft, worüber ich mich mehr wundern soll: über meinen guten arglosen Mann, der sich von so einer ausgelernten Spitzbübin hat bethören lassen, oder, wenn er selbst nicht so ganz harmlos bei der Sache war, über seinen guten Glauben, daß er mir ein X für ein U machen könnte! Ich bin nur froh, daß die Geschichte dies Ende genommen hat.

Nach dieser, in überlegenster sittlicher Entrüstung herausgesprudelten Stand- und Schandrede, auf die ich nicht ein Wörtchen zu erwiedern wagte, zog meine treue Hausehre mich eilig fort, als fürchte sie, daß die gefährliche Person auch noch im Bilde ihre Hexenkünste an mir auslassen könnte. Und allerdings war es nicht ganz geheuer. Alles, was mein wunderlicher Freund an reinem Schönheitsgefühl und Geschmack besaß, war auf die Figur des jungen Weibes gewendet, die, bis an die Hüften schon entkleidet, auf einem Schemel saß, im Begriff einen kleinen Schuh abzustreifen. Sie wandte dabei das verlorene Profil, das mit den zartesten Conturen umschrieben in keinem Zuge verändert und sprechend ähnlich war, nach der linken Seite, während ihr die Flechten eben losgegangen zu sein schienen und in reizender Verwirrung über den glänzenden Nacken fielen. Rücken und Arme waren so schön gezeichnet, wie ich es dem guten Genremaler kaum zugetraut hätte.

Was mich speciell aber am meisten anzog, war der traurig gleichgültige Ausdruck, mit dem das schöne Wesen den Kopf neigte und die Augen mit den langen Wimpern zu Boden senkte. Der König David auf seinem Altan schien mir in diesem Augenblick kein so großer Sünder, wenigstens die mildernden Umstände, die den schändlichen Uriasbrief begleiteten, von viel größerer Stärke, als sie mir je auf einer bemalten Leinwand vorgekommen waren.

Ich gestehe, daß ich den Rest des Tages in ziemlich nachdenklicher Stimmung verbrachte. Mein altes Credo, daß nämlich die Weiber Weiber sind, war wieder einmal bestätigt, und die scheinbare Ausnahme hatte sich als ein Irrthum herausgestellt. War's endlich doch Eitelkeit oder Noth oder bloße Gleichgültigkeit gewesen: das schöne Kind hatte sich in seiner Unanfechtbarkeit nicht behauptet. Aber obwohl es sonst angenehm ist, Recht zu behalten, und ich überdies mich hätte freuen sollen, den armen Verliebten nun doch noch »auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege« von seiner Hintersinnigkeit geheilt und hoffentlich jetzt als glücklichen Bräutigam oder gar schon Ehemann zu wissen, – es blieb dennoch ein gewisses Mißgefühl in meiner Seele, und ich ertappte mich zuweilen auf einem unwillkürlichen Kopfschütteln, als ob etwas nicht ganz in der Ordnung wäre. Meine kluge Frau schien zu merken, was in mir vorging, aber als wäre der Gegenstand meines Sinnens ein für allemal zu niedrig und gemein, um noch davon zu reden, erwähnte sie des Bildes mit keiner Silbe mehr und behandelte mich mit einer Milde und Sanftheit, wie einen beschämten Reuigen, nach dem schönen Spruch: »Und ist ein Mensch gefallen, führt Liebe ihn zur Pflicht.«

Am anderen Morgen wollte ich gleich mit frischem Muth an ein neues Bild gehen, das ich fertig componirt im Kopf trug, aber ich merkte, daß noch ein fremder Tropfen in meinem Blut war. Die Geschichte machte mir noch immer zu schaffen. Am liebsten hätte ich gleich Mynheer Jan aufgesucht und das Nähere erforscht. Aber er pflegte vor zehn Uhr Morgens nicht aufzustehen. Also schlenderte ich einstweilen noch einmal nach dem Kunstverein, da ich das Bild gestern nur im Fluge studiren durfte, und ärgerte mich nicht wenig, als ich an der verschlossenen Thür inne ward, daß gerade ein Samstag war, an welchem Tage bekanntlich die Bilder umgehängt und die Beschauer ausgeschlossen werden. Der Diener sagte mir, das Bild des Herrn van Kuylen sei schon gestern Abend wieder in sein Atelier abgeholt worden.

Um die Stunden bis zehn hinzubringen, schlug ich mich seitwärts durch die Arcaden des Hofgartens und bog in den englischen Garten ein, wo mir nie die Zeit lang wird. Er ist ja berühmt genug, daß man ihn nicht mehr zu loben braucht. Aber ich wette, daß die Wenigsten, selbst von den alten guten Münchnern, ihn so recht eigentlich in seinem besten Glanze kennen, und das ist an einem Herbst- oder Spätsommertag in den Morgenstunden, wo er so feierlich und öde ist, wie ein Urwald, und man lange durch die himmelhohen Schattengänge schweifen kann, ohne einer menschlichen Seele zu begegnen. Die Wiesen wuchern dann so üppig in der Sonne und die Bäume wissen sich vor strotzendem Laube nicht zu lassen, und das Sonnenlicht liegt – ich möchte sagen, so pastos auf den spiegelglatten Seeen, und zwischen all der verzauberten traumhaften Stille rieseln und rauschen auch die vielen Arme der Isar gleichsam mit verhaltenem Athem dahin, und Vögel und Eichkätzchen trippeln und huschen geräuschlos durch die Zweige, oder dreist an den einsamen Bänken vorbei, wo höchstens einmal ein Student sitzt, der sich auf das Examen präparirt, oder ein armer Poet, der hier seine Liebesgedichte ausfeilt. Von meinen Collegen, den Landschaftsmalern, habe ich hier nie einen getroffen. Für die muß es weither sein, mindestens von Mittersendling, damit sie Respekt davor haben und es für ein »Motiv« halten.

Also wie gesagt, auch an dem Morgen schlenderte ich die bekannten Wege, diesmal aber ohne sonderliche Studien-Stimmung, da mir van Kuylen's Bild und was sich zugetragen haben mochte, bis er es malen konnte, beständig durch den Kopf ging. Wie ich so für mich hin träumend in die Nähe des famosen Wasserfalls komme, den die dankbaren Münchner, zur Ueberraschung für König Ludwig, um vieles Geld so kümmerlich veranstaltet haben, seh' ich auf der Bank, die oben auf dem kleinen Hügel steht, ein Frauenzimmer sitzen, das da ganz unbeweglich vor sich nieder starrt und mir auch durchaus nicht interessant zu sein scheint, bis es mir auffällt, daß sie einen schwarzen Schleier über den Kopf gezogen hat. Ich denke aber: die hat Grund, nicht erkannt sein zu wollen, außer von dem Einen, auf den sie wartet, – und will schon vorüber, als mich eine wunderliche Ahnung treibt, mich doch noch einmal nach dem verschleierten Bilde umzusehen. Da macht auch das dunkle Wesen eine Bewegung, als ob es mich erkennte, faßt sich aber gleich wieder und sitzt so stockstill, wie vorher. Mir aber war die Art, den Kopf zu heben, so bekannt vorgekommen, daß ich unwillkürlich ein paar Schritte näher trat und: Herrgott, sind Sie es, Fräulein Käthchen! ruf' ich, und wie kommen Sie denn hierher? und strecke ihr in herzlicher Freude die Hand entgegen. Aber wer sie nicht annimmt, sondern wie eine Feder aufschnellt und Miene macht, ohne eine Silbe zu sagen davonzurennen, war unser schönes Kind. Halt! sag' ich, so haben wir nicht gewettet – und vertrete ihr ganz zutraulich den Weg. Vor einem alten Freunde läuft man so nicht weg, sondern steht erst Rede, wie es einem seit so vielen Monaten ergangen ist. – Und dabei wurde mir immer unheimlicher zu Muth, theils weil sie eigensinnig schwieg und sich nur umsah, wohin sie mir entwischen könnte, theils weil ich eine Flasche mit einer hellen Flüssigkeit bemerkt hatte, die sie rasch unter ihrer Schürze zu verstecken suchte. Nun war es vollends meine Pflicht, ihr nicht von der Seite zu gehen, das hätte selbst meine Frau zugeben müssen.

Ich werde Sie nicht verlassen, Fräulein Käthchen, fing ich, nachdem ich mich von meinem Schrecken erholt, wieder an, bis Sie mir, wie bei unserer ersten Bekanntschaft, ein wenig Vertrauen schenken. Sie wissen, daß ich es gut mit Ihnen meine. Sie haben etwas auf dem Herzen, läugnen Sie es nicht, und ich glaube auch, Sie haben sonst Niemand, der so uneigennützig Ihr Freund wäre und Ihnen rathen könnte; wie ich. Kommen Sie, liebes Fräulein, setzen wir uns da auf die Bank. Und nun sagen Sie mir, warum Sie so zusammengefahren sind, als Sie mich erkannten, und was Sie da für eine Herzstärkung bei sich führen, die ich nicht sehen soll. Ei, ei, Fräulein Käthchen, wollten Sie sich gar dem stillen Trunk ergeben, in so jungen Jahren?

Sie antwortete noch immer nicht, ließ sich aber ohne Widerstreben zu der Bank zurückführen und mich neben sich sitzen.

Ich, um ihr Muth zu machen, fing von ganz gleichgültigen Dingen an, vom Wetter, und wie schön es hier am Wasserfall sei, und wie ich den Sommer zugebracht hätte, wobei ich absichtlich viel von Frau und Kindern sprach, da es immer einen guten Eindruck macht, wenn Aerzte und Seelsorger zärtliche Familienväter sind.

Sie schien für Alles taub zu sein.

Es half also nichts, ich mußte gerade auf die Sache losgehen.

Fräulein Käthchen, sagt' ich, haben Sie Herrn van Kuylen lange nicht gesehen? Mein erster Gang gestern war zu ihm, aber als ich Niemand zu Hause traf –

Sie war bei Nennung des Namens zusammengezuckt; aha! dacht' ich, es ist etwas nicht sauber.

Er soll sehr fleißig in der letzten Zeit gewesen sein, fuhr ich mit der möglichsten Unbefangenheit fort. Ich selbst habe zwar nur Ein Bild von ihm auf dem Kunstverein gesehen –

Kaum hatte ich das heraus, so brach unter dem Schleier des stummen Kindes neben mir ein so herzzerschneidendes Schluchzen los, daß ich ganz erschrocken in die Höhe fuhr.

Um Gotteswillen, rief ich, was haben Sie nur? Hier ist ein Geheimniß, das Ihnen das Herz abdrücken wird, wenn Sie es nicht abschütteln. Sagen Sie mir – erklären Sie mir –

Lassen Sie mich gehen! rief sie leidenschaftlich und wollte sich mir wieder entwinden. Ich bin so unglücklich, daß mir Niemand helfen kann, und wenn Sie es auch wirklich gut mit mir meinen – nun ist es doch zu spät, nun bleibt mir nichts als –

Sterben! wollte sie sagen, aber sie verschluckte das Wort. Ich hatte inzwischen die Gelegenheit ersehen, mich des Fläschchens zu bemächtigen, das sie einen Augenblick neben sich auf die Bank gestellt hatte.

Mit einem raschen Wurf schleuderte ich es in die kleine Cascade uns gegenüber. So! sagt' ich, das wäre das! Sie sind ein kleiner Feuerteufel, Käthchen, und bei Ihrer heroischen Gemüthsart wären Sie im Stande gewesen, hier mir nichts dir nichts etwas zu tief in jenes Fläschchen zu gucken und mich zu Ihrem Testamentsvollstrecker zu machen.

Sie schüttelte den Kopf. Sie irren sich, sagte sie.

Es war kein Gift, nur ganz gewöhnliches Scheidewasser, und nicht für den innerlichen Gebrauch. Wenn Sie's denn durchaus wissen wollen: ich hatte vor, mir das Gesicht damit zu waschen.

Käthchen! rief ich entsetzt – sind Sie von Sinnen?

Gar nicht, versetzte sie ernsthaft. Das Mittel ist ein bischen grob, aber es hilft. Ich wäre dann das verwünschte Gesicht los geworden, das an all meinem Unglück Schuld war und jetzt auch noch – an meiner Schande! Das Letzte hauchte sie fast unhörbar in die beiden Hände, mit denen sie sich die überfließenden Augen bedeckte. Aber ich verstand sie falsch; und daher wußte ich nicht gleich, was ich antworten sollte.

Sie überhob mich selbst der Verlegenheit,

Sie hörte plötzlich zu schluchzen auf und sah mir mit einem eigenthümlich entschlossenen Ausdruck steif ins Gesicht. Jetzt erst konnte ich sie ruhig betrachten; ich fand, daß sie womöglich noch schöner geworden war, die Formen etwas schlanker und vornehmer, die zarte Blässe, jetzt von Thränen überschimmert, das Reizendste und Rührendste, was man sehen konnte.

Sie denken Wunder was Sie da gethan haben, sagte sie mit ihrer ruhigsten Stimme. Ist es nicht in dieser, so ist's in der nächsten Stunde; aber ausgeführt wird es, denn dies Leben bin ich satt. Wenn Sie Alles wüßten, Sie könnten mir wahrhaftig nicht Unrecht geben. Aber die Hauptsache wissen Sie ja, Sie waren ja selbst auf dem Kunstverein – Sie haben ja gesehen, was ein schlechter und boshafter Mensch sich herausnehmen darf gegen ein armes, ehrliches, unglückliches Mädchen, das nichts von ihm hat wissen wollen.

Wie? rief ich, und die Aufklärung dämmerte mir leise vor den Augen – er hat Sie – Sie haben – nicht einmal dazu gesessen?

Ich! rief sie mit allem empörten Stolz einer kleinen Königin. Ich weiß ja nicht einmal, wie es so eigentlich aussieht, ich habe mir nur von meiner Hausfrau erzählen lassen, die es auch nicht selbst gesehen hat, aber ein Offizier, dem sie gestern Abend eine Uniform hintrug, hat ihr gesagt: Ihr Zimmerfräulein, das schöne Mädchen, das so zimpferlich thut, wenn man kommt, um bei Ihnen etwas zu bestellen, und immer sich einriegelt – gegen Leute vom Civil scheint sie nicht so spröde zu sein. Auf dem Kunstverein ist sie abgemalt, wie sie Gott geschaffen hat; die holländischen Ducaten sind freilich echter, als unsereinem seine Uniformknöpfe. – Dann hat die Schneidersfrau sich weiter erkundigt und Alles, was sie erfahren hat, mir wiedererzählt. Sie selbst war ganz außer sich; das hätte sie dem Herrn van Kuylen doch nicht zugetraut, und Alles bloß weil ich mich geweigert habe, wieder in sein Atelier zu kommen, nachdem er mich, gerade den dritten Pfingsttag, im Haus besucht, weil er wußte, ich war allein mit den Kindern, und da hat er mir einen Heirathsantrag gemacht, auf französisch, damit das Babettchen es nicht verstehen sollte, ich aber habe gerade deßhalb ihm immer nur auf deutsch geantwortet: ich wolle gar nicht heirathen, und er wisse ja auch, warum, und jetzt, nachdem er mir seine Liebe erklärt, könne ich ihm auch nicht mehr sitzen, das werde er wohl begreifen. Er schien es aber gar nicht zu begreifen, war überhaupt wie unsinnig, und ich hatte Mühe, ihn wieder aus dem Zimmer zu bringen, denn immer fing er von Neuem an, bald spaßhaft, bald mit den fürchterlichsten Betheuerungen, mich zu bestürmen. Seitdem habe ich kein Wort mehr mit ihm gesprochen, ihn nicht hereingelassen, wenn er an meine Thür pochte, und auf der Straße bin ich ihm so geschickt ausgewichen, daß er gar keine Hoffnung mehr haben konnte. Und was thut er? Aus Rache und Bosheit stellt er mich so an den Pranger, daß Alle mit den Fingern auf mich zeigen müssen und ich die Augen in Zukunft vor keiner ehrbaren Frau mehr aufschlagen darf. O die Männer! Und ich bildete mir ein, gerade Der mache eine Ausnahme, weil er nicht viel schwatzt und auch so aussieht, daß man sich nicht gerade um ihn in Thorheit und Schande stürzen wird. Nun habe ich mein dummes Vertrauen bezahlen müssen, daß ich mein Lebtag daran denken werde!

Da brach sie wieder in Thränen aus.

Ich versuchte nun sie zu trösten und zugleich Mynheer Jan zu vertheidigen, indem ich ihr auseinandersetzte, daß Maler über solche Dinge anders dächten, als Frauenzimmer, daß er es gewiß nicht aus Rache gethan, und daß sie auch in den Augen vernünftiger Menschen nichts dadurch verlieren würde, zumal wenn das Bild, wie alle van Kuylen's, in die Galerie irgend eines Amsterdamer Kaufherrn käme, der von dem Dasein des schönen Käthchens so wenig wisse, wie wir von dem seinigen. Aber es war Alles umsonst. Mit der geschäftigen Phantasie aller Selbstquäler malte sie sich's aus, wie das Bild gestochen oder lithographirt werden und dann an den Schaufenstern der Bilderläden und in den Gastzimmern der Hotels längs dem Rhein hängen würde und Jeder würde sagen: Sieh da, das ist aus der spröden kleinen Schullehrerstochter geworden. Man kann es doch weit bringen mit einem sauberen Lärvchen! – und was ihre Eltern und Geschwister von ihr denken würden –und wenn so ein Bild sich gar bis nach Amerika verirrte und dem Hans Lutz eines schönen Tages vor Augen käme – nein, nein, lieber wollte sie, nachdem sie sich möglichst unkenntlich gemacht, in die Isar springen, als so fürchterliche Dinge Tag und Nacht kommen sehen.

Wissen Sie was? sagte ich endlich. All diese desperaten Reden und Wehklagen haben keinen Sinn und Verstand und führen nicht zu dem Ziel, das Sie wünschen müssen: das Uebel nämlich so ungeschehen als möglich zu machen. Seien Sie gescheidt, Fräulein Käthchen, und begleiten Sie mich jetzt zu unserm gemeinschaftlichen Freunde, der gewiß nicht ahnt, wie übel Sie auf ihn zu sprechen sind. Da lassen Sie sich, für alle Fälle, ein Zeugniß ausstellen, daß er das bewußte Bild rein aus dem Kopf gemalt habe, daß Sie ihm nur zu einem völlig anständigen Portrait gesessen haben und nie unter vier Augen. Ich will dann schon ihn zu bewegen suchen, daß er entweder bei Frau Bathseba die Aehnlichkeit mit Ihrem Kopf verwischt, oder der Dame eine honette Draperie über den Rücken legt. Nicht wahr, das ist doch zweckmäßiger, als daß Sie sich mit Isar- oder gar Scheidewasser den Teint verderben. Denken Sie nur, was man dann erst reden würde: Sie hätten sich ein Leids angethan aus unglücklicher Liebe zu unserm kleinen Holländer, der Sie hätte sitzen lassen!

Dieser letzte, allerdings abschreckende Gedanke schien es über all ihre Bedenken davonzutragen. Sie sah ein, daß ein solches verständiges Verfahren sie gar nicht hinderte, hernach noch immer die verzweifeltsten Dinge zu thun, und da gerade eine herrenlose Droschke die große Allee daherkam, stiegen wir beide ein, um ohne Aufenthalt die Sache mit van Kuylen in Ordnung zu bringen.

Auf dem ganzen Wege sprach sie kein Wort, außer Ja und Nein zu meinen Fragen. Auch ich war schweigsam und drückte mich, so tief ich konnte, in den Fond der halboffenen Kutsche zurück. Wir mußten nämlich durch die Straße, in der ich wohnte. Wenn zufällig meine gute Frau aus dem Fenster gesehen oder zu Fuß ihrem Gemahl begegnet wäre, wie er mit einer verschleierten Dame spazieren fuhr – wie gesagt, sie ist eine von den besten, aber jede hat eine Stelle, wo sie sterblich ist, und der Schein wäre sehr bedenklich gegen mich gewesen. Denn wie kommt ein Landschaftsmaler dazu, im englischen Garten weibliche Modelle zu engagiren und mit ihnen in eine Droschke zu steigen? Zur Staffage reicht am Ende seine eigne Familie aus.

Indessen langten wir ohne Fährlichkeiten vor van Kuylens Hause bei der Theresienwiese an.

Eine leere Droschke, die auf der Straße wartete, kündigte uns an, daß schon ein anderer Besuch uns zuvorgekommen war. Als wir durch das kleine Gärtchen aus den Hof traten und uns dem Atelier näherten, hörten wir auch deutlich, daß drinnen gesprochen wurde. Setzen Sie sich dort ein wenig auf die Bank, Fräulein, sagt' ich. Ich will einmal horchen, ob ich die Stimme erkenne, und ob Aussicht ist, daß der Andere bald geht.

Damit näherte ich mich der Thür, die zwar zugemacht war, aber da sie nur dünn war – nur im Winter kam noch eine Vorthüre hinzu –konnte man doch jedes Wort deutlich verstehen, wenn der Sprechende nicht absichtlich bloß flüsterte.

Das Mädchen war viel zu aufgeregt und ungeduldig, um an Sitzen zu denken. Sie blieb dicht hinter mir. Ich habe Ihnen schon erklärt, hörten wir jetzt van Kuylen's Stimme, daß ich das Bild nicht verkaufe. Eine Copie aber, wie Sie wünschen, mache ich von keinem meiner Bilder. Ich bin froh, wenn ich mich nur Einmal so nothdürftig ausgesprochen habe, und zum Bilderfabrikanten fehlt mir das kaufmännische Genie.

Wenn Sie selbst es nicht wiederholen wollen, sagte nun eine etwas rauhe männliche Stimme, die mir ganz fremd war, so erlauben Sie vielleicht, daß ein Anderer es für mich copirt, oder daß ich wenigstens eine Photographie davon machen lasse.

Ich bedaure, erwiederte van Kuylen, ich kann überhaupt eine Vervielfältigung dieses Bildes nicht zugeben. Es hat damit seine eigene Bewandniß. Dann murmelte er noch etwas, was man draußen nicht verstehen konnte.

Er fertigt ihn kurz ab, sagte ich und wandte mich zu dem Mädchen um. Wir werden nun gleich an die Reihe kommen – wollt' ich hinzusetzen, aber das Wort blieb mir in der Kehle stecken. Todtenblaß, mit weitaufgerissenen Augen, als wenn sie ein Gespenst sähe, stand das gute Kind hinter mir, und ich glaube, sie wäre umgefallen, wenn ich sie nicht noch zur rechten Zeit umfaßt und gehalten hätte.

Was ist Ihnen, Fräulein? rief ich. Kommen Sie, ich bringe Sie hinein auf van Kuylen's Sopha – ist Ihnen übel?

Sie aber schüttelte, ohne ein Wort zu sagen, den Kopf und wehrte mir ab, mit einem Zeichen, das sagen wollte: Schweigen Sie nur! ich muß horchen! Und da hörten wir auch wieder den Fremden sagen: Ich bitte Sie mir nur noch das Eine zu beantworten: Sie haben zu der weiblichen Figur ein Modell gehabt?

Gewiß, erwiederte vau Kuylen's Stimme. Ich mache keinen Strich ohne Natur.

Also kennen Sie dieses Mädchen näher, wissen, wo sie sich aufhält, und können mir sagen –

Geben Sie sich keine Mühe, mein Herr, unterbrach ihn van Kuylen. Ich begreife, daß dieses Bild auch andere Liebhaber findet, als bloße Kunstfreunde. Aber angeben, wer mir dazu gesessen hat – nein, mein Herr, ein Adreßbureau ist mein Atelier nicht, und überhaupt – Das Letzte wurde wieder gemurmelt.

Verzeihen Sie, sagte der Fremde mit desto heftigerer Stimme, ich begreife, daß bei dem intimen Verhältniß, in dem Sie zu Ihrem Modell zu stehen scheinen –

In diesem Augenblick riß sich das Mädchen blitzschnell von mir los, fuhr auf die Thüre zu, und eh ich sie noch zurückhalten konnte, war sie hineingestürmt Und stand nun wie die reizendste kleine Furie, die jemals ihren guten Ruf vertheidigt hat, zwischen den beiden Männern.

Ich war ihr auf dem Fuße gefolgt und öffnete schon den Mund, um zu vermitteln, da hörte ich den Fremden einen dumpfen Laut ausstoßen und sah ihn einige Schritte zurücktaumeln. – Ich betrachtete ihn jetzt näher; es war ein recht stattlicher Mensch, sehr elegant und ganz in Schwarz gekleidet, mit einem resoluten, etwas sonnegebräunten Gesicht, in dem ich sofort einige leichte Blatternarben entdeckte.

Entschuldigen Sie, stammelte ich betroffen, ich habe die Ehre, Herrn Hans Lutz –

Aber das Käthchen ließ mich nicht ausreden. Ein rascher Blick auf das unglückselige Bild, das mitten im Atelier auf einer Staffelei stand, hatte ihr das Blut wieder ins Gesicht gejagt.

Das ist schändlich, rief sie und trat dicht vor van Kuylen hin, der in dem Augenblick mit seinem strohfarbenen Gesicht und dem Nankinganzug eine ziemlich unglückliche Figur spielte – das also ist der Dank dafür, daß ich mit Ihnen allein eine Ausnahme gemacht habe und Ihnen zu einem Portrait gesessen bin, und aus Rache, weil ich mich auf weiter nichts eingelassen habe, beschimpfen Sie mich so vor aller Welt und stellen mich als eine schlechte Dirne hin, als ein unverschämtes Mädchen, das sich für Geld sehen läßt und nichts dagegen hat, wenn seine Schande öffentlich ausgehängt wird? Hier vor diesen Zeugen erklären Sie jetzt, ob Sie mich je so gesehen haben, wie ich da gemalt bin, ob ich überhaupt jemals mit Ihnen allein gewesen bin, und ob ich Ihnen nicht die Thüre gewiesen habe, als Sie mir ins Haus kamen und mich himmelhoch beschworen haben, Ihre Frau zu werden!

Die Augen blitzten ihr, auch wie sie nun schwieg; ihre Nasenflügel zitterten, und ich sah, wie sie ihre kleinen geballten Fäuste mit Gewalt dicht an ihrem Leibe hielt, als fürchte sie, sich sonst thätlich an dem kleinen Gelben zu vergreifen.

Mich wunderte, daß Der so kaltblütig das Alles hinnahm.

Ich merke nun, sagte er endlich ganz phlegmatisch und warf die Pfeife weg, wen ich vor mir habe. Sie sind ohne Zweifel der Herr Ingenieur, von dem das Fräulein uns erzählt hat. Ich gratulire Ihnen zu Ihrer Rückkehr, durch die nun hoffentlich Alles in Ordnung kommen wird. Wenn nicht Alles in Ordnung war, so sind Sie selbst Schuld. Wer so lange Nichts von sich hören läßt, kann sich nicht wundern, wenn hinter seinem Rücken Andere sich melden. Uebrigens bin ich bereit, dem Fräulein Alles schriftlich und mündlich zu erklären, was sie nur wünschen mag. Die beste Erklärung ist wohl das!

Damit ging er in einen Winkel, wo allerlei Skizzen und angefangene Bilder aufgestapelt waren, und griff nach einigem Suchen eine Studie heraus, auf Papier gemalt: ein weiblicher Akt genau in der Stellung der Bathseba, und wenn auch das Gesicht nicht ganz ausgeführt war, erkannte man doch auf den ersten Blick, daß ein ganz anderes Modell dazu gesessen hatte, eine große gemeine Person mit schwarzem Haar, deren Schultern und Rücken aber unter den Künstlern berühmt waren.

Ich danke Ihnen, sagte jetzt der Fremde, der sich von seinem unverhofften Wiedersehen etwas erholt hatte. Ich glaube Ihnen jedes Wort. Aber Sie werden mich nun nicht zudringlich finden, wenn ich die Bitte wiederhole, mir das Bild zu überlassen. Sie begreifen –

Alles begreif ich, sagte vau Kuylen trocken, während er mit einem großen Fidibus seine Thonpfeife wieder anzündete. Und weil ich etwas gut zu machen habe und sehr wünschte, daß mir das Fräulein meinen gedankenlosen Streich nicht ewig nachtragen möchte – so schenke ich Ihnen das Bild zu Ihrer neuen Einrichtung. Und nun – Sie verzeihen – ich habe einen Geschäftsgang zu machen, der sich nicht aufschieben läßt. Glückliche Reise!

Ehe noch einer von uns ein Wort daraus sagen konnte, war er mit einer kurzen Verbeugung durch die andere Thür, die in das Innere des Hauses führte, verschwunden.

Wir drei Zurückgebliebenen standen in ziemlicher Unbeholfenheit bei einander, ich merkte, daß ich hier zu viel war, und sann eben auf eine schickliche Art, das Paar allein zu lassen, als plötzlich das schöne Mädchen auf mich zutrat, mir die Hand hinhielt und mit scheinbar ganz ruhiger Stimme sagte:

Leben Sie wohl, lieber Herr. Ich danke Ihnen für alle Freundschaft, die Sie mir erwiesen haben. Ich will jetzt nach Hause gehen und Sie nicht weiter bemühen.

Damit wandte sie sich, ohne den schwarzbraunen Liebsten auch nur flüchtig anzusehen, der Thüre zu.

Katharina! rief der junge Mann und stürzte ihr nach.

Lassen Sie mich! sagte die Beleidigte. Wir haben nichts mehr mit einander zu theilen. Wer das von mir glauben konnte, wer denken konnte, ich würde mich so weit erniedrigen –

Hören Sie, liebes Käthchen, fiel ich ihr ins Wort, da ich merkte, die beiden stolzen und hitzigen Menschen wären im Stande, jetzt plötzlich kurzweg auseinander zu laufen, nachdem sie sich kaum wiedergefunden, – wenn Sie wirklich glauben, daß ich es gut mit Ihnen meine, so folgen Sie mir und behandeln die Sache gelinde. Versetzen Sie sich nur einmal in die Lage Ihres Herrn Hans Lutz – Sie verzeihen, mein Herr, wenn ich mich nur Ihrer Vornamen bediene, da wir uns noch nicht vorgestellt sind – und fragen Sie sich, ob ein Liebhaber noch seine fünf Sinne behält, wenn er irgend wo in eine Bildergallerie kommt und sein Schatz kehrt ihm plötzlich in effigie so den Rücken zu. Und wenn Sie nun wirklich Frau van Kuylen geworden wären und Ihr Mann hätte Sie hinter Ihrem Rücken so gemalt, wie das die größten Künstler mit ihren Frauen und Geliebten gethan haben, so wäre das auch noch nicht, um ins Wasser zu springen. Anstatt also die Sache so tragisch zu nehmen, danken Sie vielmehr dem lieben Herrgott, daß er Alles so glücklich hinausgeführt hat, versöhnen Sie sich mit Ihrem Herrn Liebsten, mit meinem armen Freunde, der am schlimmsten daran ist, weil er leer ausgeht, und auch mit Ihrem eignen Gesicht, auf das Sie so böse waren. Es hat Ihnen viel zu Leide gethan, aber schließlich verdanken Sie ihm doch auch wieder das Glück, Herrn Hans Lutz wiederzuhaben. Denn wenn Frau Bathseba nicht Ihr reizendes Profil gestohlen hätte, wer weiß, ob der Herr Liebste Ihre Spur hier in München entdeckt und endlich Bild und Original davongetragen hätte.

So ungefähr redete ich ihr zu, und meine Beredsamkeit hatte die erwünschteste Wirkung. Es erfolgte eine rührende Versöhnung, ein Umhalsen, Küssen und Händedrücken, wovon, wenigstens von dem Letzteren, auch auf mich mein redliches Theil kam, und nach fünf Minuten sah ich das glückliche Paar in der Droschke abfahren, strahlend von traumhafter Seligkeit, und hatte kaum Zeit, sie zu einem Besuch in meiner Wohnung einzuladen und dem Kutscher zuzurufen, er solle den Weg nach dem englischen Garten einschlagen, weil der die besten Koulissen für solche Liebesidyllen liefert.

Von van Kuylen war nichts mehr zu sehen. Nur als ich den Fortrollenden zu Fuße nachging und noch einmal zurückblickte, glaubte ich aus einem der oberen Fenster des kleinen Häuschens eine resignirte Rauchwolke aus einem weißen Pfeifenkopf aufwirbeln zu sehen. Er hatte sich's also nicht erspart, den Liebenden von seiner einsamen Warte nachzuspähen. – –

Ich brauche nicht zu sagen, daß ich sogleich nach Hause ging und die ganze abenteuerliche Geschichte meiner lieben Frau haarklein berichtete. Leider machte ich nicht den gehofften Effect damit. Es blieb nun einmal in der Seele dieses trefflichen Weibes ein Vorurtheil gegen ein Mädchen, daß sich herausnahm, so schön zu sein, daß alle Männer ihr nachliefen und selbst die solidesten Landschaftsmaler ein, wenn auch väterliches, doch bedenklich warmes Interesse an ihr nahmen. Der Verdacht, es möchte doch nicht so ganz richtig damit sein, schien auch wirklich bestätigt werden zu sollen, da Tag um Tag verging, ohne daß das glückliche Paar, wie es doch versprochen hatte, sich bei uns sehen ließ. Mein Weib ging wieder mit der bekannten Miene großherzig unterdrückten Triumphs herum und behandelte mich so schonend und überlegen, daß ich zuweilen ordentlich wild wurde. Aber was war zu machen? Ich mußte es schon hinnehmen und hatte nur die Wahl, für einen schlechten Menschenkenner oder heimlichen Sünder zu gelten.

Endlich nach vierzehn Tagen sollte sich das Blatt wenden. Ich sitze so gegen Mittag ruhig bei der Arbeit, da läuft mein Christinchen herein und ruft mich ab, ich möchte eilig zur Mama kommen, eine wunderschöne Dame sei da, mit einem Herrn, und sie hätten auch nach mir gefragt. Da waren sie's denn, und zwar als junges Ehepaar auf der Hochzeitsreise über Italien nach New-York. Gleich an jenem Tag hatten sie sich ausgemacht, heimzureisen und sich erst wieder den Eltern vorzustellen, und da der Herr Hans Lutz – sein bürgerlicher Name war Johann Ludwig Weinmann – drüben in Amerika eine schwere Menge Geld verdiente, konnte es dem Vater des schönen Käthchens am Ende gleich sein, ob das mit Eisenbahn- und Brückenbauten geschah, oder mit Lederfabrikation. – Meine gute Frau hatte zuerst, wie sie mir selbst gestand, etwas einsilbig dagesessen. Als ich aber eintrat und weder die junge Frau, noch ich selber roth wurde oder sonst Zeichen illegitimen Einverständnisses gewechselt wurden, fand sie endlich das Gleichgewicht wieder und mußte nun auch daran glauben: sie verliebte sich in der halben Stunde so complet in das holde Meerwunder, daß sie sie gar nicht fortlassen wollte und am Ende mit den zärtlichsten Umarmungen von ihr Abschied nahm. – Gut ist es freilich, sagte sie mir nachher, daß sie bis nach Amerika reisen

An demselben Abend fand noch ein Abschied statt, aber nur ein brieflicher. Mein guter Mynheer schickte mir ein Billet, in dem er mir nach seiner Weise mit allerlei humoristischer Verbrämung seine Abreise nach Italien meldete. Er hatte eine kleine Federzeichnung zum Andenken beigelegt, sehr sauber ausgeführt, auch im Uebrigen ein echter van Kuylen.

Vor einer Hütte im Urwald sitzt ein junges Paar unter Palmen, Bananen und Brodfruchtbäumen, ein paar muntere Kinder spielen zu ihren Füßen, die Frau ist mit irgend einer Handarbeit beschäftigt, der Mann lies't ihr vor. Ueber ihnen aber, im Gezweig eines uralten Baumes, hockt ein magerer kleiner Affe, der eben im Begriff ist, der schönen jungen Frau eine Ananas in den Schooß zu werfen. Wem die Gesichter des Ehepaars glichen, und wer dem Künstler zu der seltsam verkniffenen resignirten Physiognomie des Aeffchens gesessen hatte, braucht wohl nichts ausdrücklich gesagt zu werden.

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