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(1852)
Zur Zeit als der heilige Ludwig in Frankreich die Krone trug, war die gute alte Stadt Arras um sechshundert Jahre jünger als heut zu Tage. Daß sie aber tausendmal lustiger war, hatte sie außer ihrer Jugend vor Allem der edeln Poetenzunft zu danken, die in ihr haus'te und durch Lieder und Mirakelstücke und kurzweilige gereimte Romane den Ruhm ihrer Vaterstadt weit über das schöne Frankreich verbreitete.
Nun war es im frühen Frühling, daß in einem Gärtchen zu Arras hinter dem Haus eines dieser wackern Poeten ein junges Weib beschäftigt war, Reben an das Geländer zu binden. Sie war zierlich gewachsen, von jener feinen, behaglichen Fülle, die ein friedliches Gemüth anzuzeigen pflegt, und gar anmuthig von Gesicht. Stille schwarze Augen ließ sie dann und wann über den Garten schweifen, als wüßten sie weder von Freud' noch Leid. Aber ihre Hände feierten und träumten nicht. Nach der Sitte wohlhabender Bürgerinnen trug sie das blonde Haar mit mancherlei künstlichem Bänderschmuck geziert, den Rock aber aufgeschürzt, der Arbeit und wohl auch den hübschen kleinen Füßen zu Gefallen.
Wie nun das schöne Geschöpf in seiner gleichmüthigen Thätigkeit schon tiefer in das Gärtchen vorgeschritten war, erschien in der Thür des Hauses, die nach dem Garten offen gestanden, ein Mann, der an Gestalt und Wesen einen auffallenden Gegensatz zu dem jungen Weibe machte. Er war von mittlerem Wuchs, lebhaftem Blick und unregelmäßigen Zügen. Sein schwarzes Mäntelchen verdeckte schlecht die linke hohe Schulter, und seine Beine waren in sehr ungleichem Stil gebaut. Aber die ganze zusammenhanglose Gestalt wurde durch Raschheit und Lebendigkeit der Bewegung in Fluß gebracht, und um den Mund spielte ein Zug, der ihn im Spott gefährlich und in der Freundlichkeit hinreißend machen mußte.
Der Mann sah eine Weile der einsamen Gärtnerin zu und schien sich ihrer Schönheit zu erfreuen. Er wiegte unschlüssig den Kopf. Endlich drückte er den barettartigen Hut mit der grünen Hahnenfeder tiefer in die Stirn und schritt hastig der Schönen nach.
Das junge Weib sah sich um, ihre Wangen färbten sich leise und die Augen begannen zu schimmern. Sie ließ die Hände sinken und sah dem Kommenden stumm entgegen.
Guten Tag, Marion, sagte der Mann in fast rauhem Ton. Ist jemand außer dir im Garten?
Nein, Adam.
So ist's gut; ich habe mit dir zu reden. Du bist ein gutes Weib, Marion, und thust deine Pflicht. Aber ich muß dir sagen, ich halt's doch nicht aus mit dir.
Die schönen Wangen der Frau wurden todtenblaß. Aber sie schwieg und sah still vor sich hin.
Nein, fuhr Adam fort, ich halt' es nicht aus. Du bist bildschön, Marion, und das weiß ich jetzt, vier Wochen nach der Hochzeit, besser, als da ich um dich freite. Aber – du bist langweilig, Marion. Ich will nicht sagen, daß du keinen Verstand hast. Aber die heilige Jungfrau mag wissen, ob er schläft oder in guter Hoffnung irgend eines großen Gedankens ist, und wann der zur Welt kommt. Ich habe darauf warten wollen; nun reißt mir die Geduld. Hast du die ganze Zeit, daß wir Mann und Frau sind, einmal so recht geplaudert, oder einen Witz gemacht, oder haben meine Possen mehr Gnade vor dir gefunden, als ein halbes Lächeln? Bist du nicht still deiner Wege gegangen wie ein wandelndes Steinbild? Was hülft mir's, daß ich dann und wann die Erfahrung mache, du seiest dennoch von Fleisch und Blut, wenn ich vom Morgen bis Abend meine Späße allein belachen muß und meine Verse allein schön finden? Ich Narr! Ich hätt's freilich früher bedenken sollen – damals, als ich mich in dich verliebte. – Nun, dacht' ich, sie wird schon aufthauen. Aber sage selbst, Marion, haben wir uns nicht zusammen gelangweilt, wie nur je ein christliches Ehepaar?
Das junge Weib schwieg beharrlich. Aber die Augen füllten sich ihr mit schweren Tropfen. Adam riß heftig an einem jungen Zweig und sprach weiter:
Ich will nicht sagen, daß andere Frauen besser sind oder auf die Länge unterhaltender. Ich sage das nicht, und so bin ich dir Dank schuldig, denn du hast mich bei Zeiten überzeugt, daß ich einen dummen Streich begangen habe, als ich ein Weib nahm. Aber zum dritten Mal: ich halt's hier nicht aus! Soll ich in meinen jungen Jahren in diesem Nest verkommen und eintrocknen, bloß weil ich den Einfall hatte, dich schön zu finden? Und in Paris an den Hof des Königs, in die Säle der Prinzen, wo mir meine Kunst Ehre und Ansehen einbrächte, soll ich keinen Fuß hineinsetzen? Und keinen Fuß in die Häuser der gelehrten Doctoren an der Universität, wo in einer Stunde mehr gescheites Zeug gesprochen wird, als du in einem Jahr vorbringst? Und das Alles, weil du ein schönes Weib bist – denn das bist du – und zufällig mein eignes Weib? Soll mich der Teufel in einen Pfannekuchen backen, wenn ich mir das gefallen lasse!
Er ging einigemal auf und ab, lebhaft gesticulirend, sah dann seine Frau von der Seite an und fuhr wieder fort:
Zeigst du nun nicht, daß ich Recht habe? Warum weinst du nicht, wie andere ordentliche Frauen, und fällst mir um den Hals und bittest mich zu bleiben, und ich sei dein lieber Adam, dein einziger, dein hübscher Adam – wenn ich auch nicht hübsch bin – und versprichst was du kannst, ob du's auch nie zu halten gedächtest? Nun stehst du da und weißt dir nicht zu helfen. Soll ich meine Kunst und meine jungen Jahre darum hingeben, dich anzustarren? und wenn wir Kinder kriegen, und sie arten nach dir, soll ich dann Lust behalten, das geringste Tanzlied zu machen, wenn sechs oder sieben Jungen und Mädchen, alle bildschön und alle bildstumm um mich herumsitzen?
Aber wir wollen nicht in Unfrieden von einander gehn, und darum sage ich dir in aller Lieb' und Freundschaft, du kannst mein Weib nicht länger sein. Ich will fort nach Paris, sobald ich Geld aufbringen kann. Du gehst dann zu deinen Eltern zurück, oder wenn du zu meinem alten Onkel willst, der dich so lieb hat, wirst du auch gut aufgehoben sein. Und es soll dir an nichts fehlen, und wenn du ein Kind bekommst, will ich's halten als mein Kind, aber mit dir zusammenbleiben kann ich nicht, Marion, bei meiner Seelen Seligkeit! Ein Poet bin ich und das will ich bleiben, und Langeweile ist Gift für die fröhliche Kunst. Nun geh' ich zum Onkel. Und sei hübsch vernünftig und laß uns in Freundschaft scheiden.
Er hielt ihr die Hand hin, aber sie sah es nicht vor Thränen. Auch war ihm nicht darum zu thun, länger abzuwarten, ob sie sich betragen würde, wie er's den ordentlichen Frauen nachgesagt hatte. Er wandte sich rasch zur Thür und verschwand im Hause.
Eine Stunde nachdem das Ehepaar so in Freundschaft geschieden war, that sich die Thür eines stattlichen Hauses auf, in dem der reiche Rathsherr, Adam's Oheim, wohnte, und Adam trat eilig heraus, in heftiger Aufregung. Er entfernte sich, ohne des Weges zu achten, und dann und wann brachen einige Sätze eines trotzigen Selbstgespräches hervor, während er die Faust ballte oder in seinen langen, rundgeschnittenen Haaren wühlte.
Der Filz! brummte er; und er hatte noch Lappen von Tugenden, um die Blöße seines Geizes damit zu bedecken! Was geht es ihn an, wenn ich mich mit meiner Frau friedlich auseinandersetze? Mag er sie doch nehmen, wenn es nicht schade wäre um die schöne junge Creatur! Freilich, ob ich hier versaure oder nicht, das ist seinem Beutel nicht unbequem. Aber herumfahren und die Welt sehn und Wissenschaft sammeln, das thut dem Junker Beutel weh. – Pah! Weil er mir das Häuschen überlassen hat und die Wirthschaft eingerichtet, darum soll ich festfrieren in Arras und mit den andern Lumpen von Versmachern zusammenhocken und mein Licht unter den Scheffel stellen? – Und wenn ich's treiben müßte wie ein gemeiner Spielmann und Affen und Hunde abrichten, um mich nach Paris durchzuschlagen – ich will dem alten Geizkragen zeigen, daß Adam de la Halle kein Weiberknecht ist, sondern seine eignen Straßen zu wandern weiß.
Und diese eignen Straßen führten ihn diesmal geradeswegs in die drei Lilien, die erste Schenke der guten alten Stadt Arras. Wenig Leute waren um die Stunde in der Schenkstube. Adam setzte sich stumm in einen Winkel und sah nicht auf, bis der Wirth, der ihm Wein brachte, ihn ehrerbietig begrüßte. Ihr kommt wie gerufen, Meister Adam, sagte der Lilienwirth. Da ist einer von meinen Gästen, seht Ihr, der da drüben am Ofen sitzt und nach Euch herüberschielt. Der hat vor einer Woche die Bande Schauspieler in die Stadt geführt, die auf Ostern das große Passionsspiel im Münster darstellen sollen; die Herren Geistlichen haben sie kommen lassen. Und nun sind noch an die vierzehn Tage bis dahin, und die Leute lungern müßig herum und zehren ihren Lohn im voraus auf, und der Herr Anführer der Bande hat bei mir sein Quartier und zecht immer auf die Kreide los. Herr, sagt' ich ihm kurz bevor Ihr kamt, wenn Ihr inzwischen einen Haufen Geld zusammenbrächtet mit Eurer Kunst, das thäte Euch und mir noth und gut. Ja, sagt' er, wer nur ein sauberes Stück hätte, ein Mysterium oder ein Mirakel; denn meinen ganzen Packen Scripturen hab' ich in Cambrai liegen lassen, bis auf das Passionsstück. Ei, Herr, sagt' ich da, es wimmelt bei uns zu Land von trefflichen Trouvères und Ditiers und Jongleurs; und da ist der Meister Adam de la Halle, der steckt sie Alle in die Tasche. – Bei Sankt Niklas, sprach der Mann, ich wollt' ihm die Hälfte von der Einnahme geben, wenn er mir ein gutes Stück verfaßte und das auch Zulauf hätte. – Da kamt Ihr just in die Thür. Und nun schickt er mich, daß ich Euch frage.
Adam stand auf, stürzte den Wein hinunter und ging dann gerade auf den Führer der Histrionenbande zu, der ehrerbietig aufsprang und sich verneigte. Sie sprachen kurze Zeit mit einander. Dann schüttelten sie sich die Hände. So sei's! sagte Adam, in acht Tagen spielt Ihr's, und Tags darauf hab' ich mein Geld, und nun behüt' Euch unsre liebe Frau! Ich will gehn und das Ding ins Werk setzen. – So ging er denn und nach seiner Gewohnheit murmelte er was zwischen den Zähnen, das ungefähr klang wie: Sie sollen an mich denken!
Da nun etwa acht Tage verflossen waren, saß eines Nachmittags Marion in ihrer Kammer, mit rothgeweinten Augen und blaßgehärmtem Gesicht, blätterte in alten Manuscripten, die sie auf dem Schoß hatte, und überhört' es ganz, daß die Thür aufging und eine ihrer Gespielinnen hereintrat. Erst als diese ihren Namen rief, schreckte sie in die Höhe. Guten Tag, Perrette, sagte sie. Was bringt dich her? – Oder was hält dich hier, Marion? sprach das Mädchen flink; du sitzest und weinst, und gehst nicht nach den drei Lilien, wo doch heut das neue Stück deines Mannes von den fremden Schauspielern aufgeführt wird? Das heiß' ich eine Frau! Ich liefe doch Allen zuvor, wenn ich einen Mann hätte, der die halbe Stadt in den Hof der alten Schenke lockte. Geh, was hast du nur? Hast alte Gedichte gelesen, die dein Adam auf dich gemacht hat? Nun, ich meine, die wüßtest du an den Fingern herzusagen, wie den Rosenkranz. – Die arme Frau fing bitterlich an zu weinen. Weißt du's denn noch nicht, schluchzte sie, und spricht nicht die ganze Stadt davon, daß er fort will nach Paris und mich im Stich lassen und nimmer heimkommen? – Ach Narrheiten, eiferte Perrette. Wie hast du dir das eingebildet? – Er hat mir's selbst haarklein gesagt, und seit dem Tag ist er nicht ins Haus gekommen zur Essenszeit, und Nachts erst ganz spät, und hat sich unten im Erker gebettet. – Ei nun, er hat alle Hände voll gehabt, das Spiel herzurichten; und dann, die Mannsleut' stecken voll Grillen, Marion, und müssen immer was haben, uns zu plagen; doch Gottlob! es ist nicht Alles Ernst, was nicht lacht. Trockne dir die Augen, sei eine gescheite Frau und komm ins Schauspiel. Was soll dein Mann denken, wenn du nicht einmal Lust hast sein Stück zu sehn!
So halb tröstend, halb scheltend zog sie die betrübte junge Frau zur Kammer hinaus nach den drei Lilien. Dort sah es bunt genug aus. In dem geräumigen Hof hatte ein gut Theil der Bürgerschaft auf Bänken Platz genommen; die Fenster der niedern Seitenflügel waren zu Logen für die Honoratioren eingerichtet, die Bühne aber in einer Scheune am Ende des Hofes aufgeschlagen, deren mächtige Thorflügel man zu dem Ende ausgehoben hatte. Marion und Perrette kamen eben, als die Dame Avaritia abtrat, die den Prolog gesprochen und manchen reichen Herrn der guten Stadt ihrer fernern Protection versichert hatte. Kein Plätzchen war für die beiden Schönen weder im Hof noch an einem der Fenster frei gelassen. Perrette aber ließ sich nicht abschrecken, und da sie die Wege wußte, machte sie sich Bahn durch eins der Seitengebäude und drang mit Marion bis zu der Scheune vor. Hier stellten sie sich hinter die großen Linnentücher, mit denen man die Bühne abgegrenzt hatte, und schauten durch den Spalt der Vorhänge dem Spiele zu, ungehindert von dem Personal des Stücks, das in seinen abenteuerlichen Verkleidungen den beiden Schönen den Hof zu machen suchte. Marion achtete der Zudringlichen nicht und blieb gespannt auf derselben Stelle. Perrette jedoch fertigte das Schauspielervolk mit ihrem flinken Zünglein von Zeit zu Zeit verständlich genug ab.
Meister Adam aber, der sich nicht träumen ließ, daß sein junges Weib ihm zusah, war indeß von der andern Seite aufgetreten, und zwar in seinem eigenen Costüm und Charakter. Er begann in schönen Versen seine Noth zu klagen: er wolle nach Paris und habe keinen Heller in der Tasche, und sein steinreicher Onkel sei von der schlimmsten Pestilenz der Welt, einem hartnäckigen Geiz, derart befallen, daß er von ihm nichts zu erwarten habe. Nun trat ein Arzt auf, und Adam zog ihn zu Rath, ob er den Geiz curiren könne, so wolle er ihm ein saubres Exemplar von Patienten nachweisen, worauf sich denn der Arzt in gelehrten Erörterungen der verschiedenen Species des Geizes ergoß, welche curabel sei und welche nicht, und in dem Fall, den Adam beschrieb, auch noch alle Hoffnung machte, wenn er den Patienten nur mit Augen sehen könnte. Da kam denn eine dritte Figur hervor, dem alten Oheim Adam's täuschend ähnlich in Gestalt, Geberde und Kleidung, daß die Zuschauer des Lachens kein Ende wußten. Diesem ehrwürdigen Herrn ging der Herr Doctor entgegen, fühlt' ihm höflich an den Puls, ließ sich die Zunge weisen, fragte nach diesem und jenem und zuletzt nach einigen deutlicheren Symptomen des Erzübels, an dem er litte; worauf denn der alte Herr in großen Zorn gerieth, heftig auf den gottlosen Neffen schalt, der ihm dergleichen schimpfliche Gebrechen nachsage, und die Gründe offenbarte, weßhalb er ihm nicht zur Reise nach Paris verhelfen wolle. Der Hauptgrund war, Adam habe eben gefreit und sei schon seines Weibes überdrüssig, das doch, wie ganz Arras wisse, ein rechter Ausbund von Tugend und Schönheit sei.
In steigender Unruhe hatte die arme Marion das Alles mit angehört, und wer hätte diese Unruhe einer tugendsamen Ehefrau verargt, die auf einmal all ihre häusliche Noth dem lachenden Publikum preisgegeben sah. Sie hatte kein Ohr für die zierlichen Verse und lustigen Possen, mit denen die Reden der drei Personen geschmückt waren und die alle Zuhörer entzückten. Aengstlich und alles Andere vergessend horchte sie nun der Vertheidigung, zu der sich ihr Mann dem Oheim gegenüber anschickte. Als aber Adam dem Publikum trocken auseinandersetzte, daß ein schönes Weib nicht immer ein kurzweiliges sei, und daß der Mund seiner Marion sich besser zum Küssen als zum Plaudern schicke, durch Küssen aber kein Mensch klüger würde, wohl aber durch witziges Gespräch, und er wolle Dem zwei Kronen schenken, der ihm einen Witz von Marion erzählen könne: da hielt sich die arme Horcherin nicht länger hinter den Coulissen. Mit einem Sprung war sie auf der Bühne und stand mit glühenden Wangen und erzürntem Blick gerade vor dem, der ihr so bösen Leumund machte.
Schämst du dich nicht, Adam, rief sie mitten in seine Rede hinein, schämst du dich nicht, so vor Aller Ohren von deinem Eheweib zu reden? O hättest du mich je nur ein armes Bischen lieb gehabt, du hättest die Rede nicht über die Lippen gebracht. Und nun sag, hab' ich's um dich verdient? hab' ich dir Eine böse Stunde gemacht, dir nicht Alles an den Augen abgesehn? Und sprichst nun schlecht von mir vor ganz Arras?
So zornig und traurig unter Weinen und Schluchzen eiferte das arme Weib. Die Zuhörer, die zuerst dachten, das gehöre zum Stück, lachten, je nachdem sie boshaft genug waren, sich an ihrer Nachbarn ehelichem Unfrieden zu ergötzen. Wie sie aber sahen, daß es die leibhaftige Marion war, verging denn doch auch den Aergsten die Laune, und sie starrten betroffen auf die Bühne. Adam aber, so sehr ihn der Handel verdroß, faßte sich doch geschwind und rief laut und unerschrocken: Ihr guten Bürger, das gehört nicht zum Spiel. Die Frau kommt da ins Stück hineingeschneit und findet sich gar nicht im Personal. Ich bitt' euch, bringe sie einer weg. Ihr hört, sie spricht nicht einmal in Versen, wie doch alle Personen, welche die Ehre haben, dies merkwürdige Stück vor euch tragiren zu dürfen. – Darauf faßte er Marion sänftlich bei der Hand, sie von der Bühne zu bringen. Die aber machte sich los und ermuthigt durch den Zuruf Einiger, daß sie bleiben und ihre Sache führen solle, rief sie nun: Ich will auch bleiben und euch, ihr werten Herren, zu Richtern machen, ob mir nicht übel mitgespielt worden. Nun ja, ich bin schweigsam von Natur; aber sollte das ein Fehler sein, was ihr Männer uns armen Dingern sonst allerorten vorhaltet, daß ich unnütz Schwatzen lasse und aufhorche auf das, was mein Mann sagt? – Marion hat Recht! Ein Hoch auf Marion, und sie soll weiter sprechen! riefen die Zuschauer lachend und winkten ihr Muth zu. – Und, fuhr sie fort und wurde immer beredter, wenn ich hier nicht hergehören soll, weil ich nicht in Versen spreche – deren weiß ich genug und die allerbesten. Mein Mann, der mich jetzt verlästert, hat sie selbst auf mich gemacht, da wir Brautleute waren. Und ich will sie euch hören lassen, daß ihr seht, wie zweizüngig er ist, und was er damals für schöne Worte hatte, mich zu rühmen, und jetzt hat er nur schimpfliche. – Damit trat sie an den Rand der Bühne und sang folgende Verse, ob ihr auch die Stimme fast versagen wollte:
Schöne Augen, schöne Wangen,
Arme, lieblich zu umfangen,
Findst du hier und findst du dort,
Und ganz Artois auf und nieder
Weiche Herzchen, weiche Glieder
Triffst du auch an jedem Ort.
Doch so klug ist wahrlich Keine,
Als die Eine die ich meine.
Ein schallendes Gelächter antwortete dieser Strophe; Einige stimmten den Refrain an und die Andern fielen ein. Einer aber rief: Wie willst du aber beweisen, Marion, daß die Eine, die er meint, keine andere sei, als du? – Hört nur weiter, rief Marion dagegen, daran ist kein Zweifel; und nun sang sie:
Mögen Andre zierlich singen,
Zierlich sich im Tanze schwingen,
Sacrebleu, was gilt mir das!
Plaudert nur ein halbes Stündchen
Meiner Marion rothes Mündchen,
Eia! das gefällt mir baß.
Denn so klug ist wahrlich Keine,
Als die Eine die ich meine.
Das ganze Publikum sang diesmal den Refrain mit, und dann erschallten laute Hochs auf die Vorsängerin, die nun, die Thränen noch im Auge und plötzlich bestürzt über ihre eigene Kühnheit, aber schöner als je auf der Bühne stand. Da sprang Adam aus dem Hintergrunde vor und rief unter die laute Menge: Still, ihr guten Bürger! Ich habe auch ein Wort zu reden. Alles verstummte und war begierig, wie Adam es anfangen würde, sich zu Gnaden zu bringen. Adam aber sprach: Es ist Keiner unter euch, der nicht wüßte, daß mein liebes Eheweib hier mich gründlich blamirt und die Lacher auf ihre Seite gebracht hat. Das dank' ich ihr von Grund meiner Seele. Ich sage euch aufrichtig: mein Herz hat mir vor Freude gezittert bei jedem Wort, was sie sprach, und wie sie zuletzt den allerliebsten Einfall hatte, meine eignen Worte gegen mich zeugen zu lassen, da hab' ich im Stillen zu mir gesagt: Adam, ein Schuft bist du, wenn du je von einem solchen Ausbund von Weibe weichst und wankst, und wenn es in Paris Ehre und Dublonen regnete. Und somit komm' ich in demüthiger Hoffnung, daß ihr guten Bürger bei meinem lieben Weibe Fürbitte für mich leisten werdet, daß sie den frechen, mutwilligen Mann wieder in ihre Liebe und Neigung aufnehmen möge und ihm seine Lästerzunge nicht nachtragen.
Wie er das gesagt mit einer Bewegung, wie sie noch Keiner zuvor an ihm wahrgenommen, entstand eine Stille im Hof. Marion aber lächelte ihm in rührender Freundlichkeit zu und fiel ihm herzlich um den Hals und sagte nur: O du erzböser Mensch! Da brach von allen Bänken und Fenstern einstimmiger Jubel los. Adam aber entwand sich den Armen seiner Frau, hielt ihr die Hand fest und rief: Nun bin ich euch noch das dritte Couplet schuldig, und das heißt so:
Mögen nach Paris die Andern,
Um gelahrt zu werden, wandern,
Wenn ich hier im Lande bleib'; –
Alles Wissens beste Blüthe
Trägt beschlossen im Gemüthe
Ein geliebtes holdes Weib.
Und so klug ist wahrlich Keine,
Als die Eine die ich meine.
Wie fröhlich Alles den Refrain mitsang, braucht nicht gesagt zu werden. Da sie aber im besten Singen waren, entstand plötzlich ein Lärmen vorn im Haus. Man hatte dem Onkel Adams zu wissen gethan, daß man seine ehrwürdige Person im Conterfei auf die Bühne gebracht habe, und der alte Mann kam mit Häschern, des ernsten Willens, den gottlosen Neffen schwer für seinen Frevel büßen zu lassen. Drinnen im Haus waren nun die Leute geschäftig, ihm die gute Wendung der Sache beizubringen, und wie er von Adams Abbitte hörte, und daß er nun nicht nach Paris wolle, gab er sich zufrieden, ward sogar ganz guter Dinge und verzieh dem argen Poeten, der, Marion im Arm, demüthig zu ihm kam. Und damit er die Anklage wegen Geizes recht feierlich Lügen strafe, veranstaltete er auf den Abend ein Fest im Saale der drei Lilien, wo es denn hoch herging und die schöne Marion mit allen Honoratioren tanzen mußte.
Um das Stück waren die guten Bürger von Arras freilich gekommen. Wir haben aber zu ihren guten Herzen das Vertrauen, daß ihnen das Mirakel, so mit Marion geschehen, lieber gewesen, als wenn, wie es im Plan lag, Gott Vater mit einigen Engeln vom Himmel gestiegen wäre und die Dame Avaritia feierlich Landes verwiesen hätte. Danach wäre auch wahrscheinlich kein Geizkragen weniger in Arras gewesen, da jetzt doch ein glückliches Paar mehr darin war.
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