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Es kam, wie Franz gesagt hatte. Obwohl er ein Zimmer neben dem meinigen bezog, sahen wir wenig von einander, und die Zurückhaltung schien ihm nicht im Geringsten schwer zu fallen. Auch wenn wir uns begegneten, wo er denn harmlos mich begrüßte, als hätten wir nie tiefere Dinge mit einander zu theilen gehabt, lenkte er das Gespräch auf jenes erste Thema nicht wieder zurück. Nur aus zufälligen Reden entnahm ich, daß irgend ein Ereigniß seinen Zustand zu einer schweren Nervenkrankheit gesteigert habe, worauf ihn der Arzt nach Italien schickte. Als er mir das sagte, setzte er hinzu: Haben Sie einmal gesehen, wie man ein Flußbett corrigirt? Wenn man Erde und Steine Körbe voll nach und nach hineinschüttete, so würde der Strom nicht gehemmt, und Welle auf Welle bräche wieder durch. Man baut daher am Ufer einen festen Damm aus Pfählen, Weidicht und Tannenzweigen, mit Sand und Steinen ausgefüllt, den man auf Walzen in das Flußbett hineinstürzt. Daran stutzt der Fluß, staut zurück und bequemt sich zu einem Umwege. So dachte mein guter Doctor an Italien mir einen geschlossenen Damm in die wühlende Natur zu werfen. Die Wellen der Reflexion, die mir jede Hand voll festen Grund zernagten, sollten daran zurückprallen. Es komme Alles darauf an, sei es auch nur auf drei Wochen, die rastlose Dialektik zu unterbrechen, die den Instinct unterwühle und seiner Wurzel das Erdreich wegspüle. Geschähe das, so würde ich Vertrauen zu mir selbst wieder gewinnen, einsehen, daß es nicht an der Kraft zum Genießen fehle, sondern am Willen, nicht an den Organen, das Leben einzusaugen wie andere Menschen, ruhig athmend, wie man den Aether in sich einströmen läßt, sondern an der Dankbarkeit, die Natur machen zu lassen und hinzunehmen, was sie bietet. »O, eure Reben, die so blinkend sind!« Kraft und Willen! Eine Kraft muß wollen, oder sie ist keine Kraft. Wären sie bessere Psychologen, die Herren Aerzte! Der meinige zuckte die Achseln, als ich ihm bedeutete, daß Eindrücke, die ich nicht zernagen und zerfetzen kann, gar nicht auf mich wirken. Was massenweise mich überfällt, fließt an mir ab, wie Wasser am schuppigen Fisch, höchstens daß es mich beklemmt und verstimmt. So ist mir denn auch richtig in dieser Fülle der Kunst ein peinliches Gefühl treu geblieben, bis ich dagegen völlig abgestumpft war. Und was ihr Kunstsinn nennt, die Fähigkeit, alle Sinnen- und Seelenkräfte in einen Brennpunkt zu sammeln, bis der Kern eures Naturells in helle Flammen aufschlägt, das geht mir begreiflicher Weise völlig ab. Meine Sinne und mein Verstand führen einen getrennten Haushalt, Eins macht sich über das Andere lustig, und das Band zwischen ihnen ist zerrissen.
Es überraschte mich, wie klar er sich in einen Zustand hineindenken, wie richtig er ihn definiren konnte, der ihm doch fremd war. Das gab mir den Gedanken, daß es nicht so ganz schlimm um ihn stehen könne, wie er sagte, daß seine Natur nur gestört und geängstigt, nicht völlig untergraben sei. Er sprach nach dieser letzten Herzensergießung nicht wieder von sich. Doch hatte ich Gelegenheit, ihn zu beobachten, wenn ich ihn in Galerien oder Kirchen traf. Er pflegte die Räume langsam zu durchwandeln, den Blick zerstreut über die Wände gleiten zu lassen, am Schönsten vorüber. Dann blieb er wie zufällig vor irgend einem Bilde stehen, heftete die Augen unverwandt und lange darauf, wandte sich kopfschüttelnd, um zu gehen, trat noch einmal davor, und wenn er dann wirklich ging, sah man seinen Zügen die Ermüdung an, mit dem ehrlichsten Willen nichts erreicht zu haben, hungrig vom vollen Tische aufgestanden zu sein.
Beten kann ich nicht,
Ist gleich die Neigung dringend wie der Wille.
Die Worte fliegen auf, der Sinn hat keine Schwingen.
Das klang mir im Ohr, wenn ich ihn beobachtete, und das herzlichste Mitleiden schloß mich ihm an, so daß ich seine Gesellschaft jetzt eher suchte, als vermied.
So war es mir eines Abends aufrichtig lieb, daß er in mein Zimmer trat und mich fragte, ob wir die bevorstehende Illumination zusammen ansehen wollten. Es war die Vigilie des Sanct-Johannis-Tages, und da San Giovanni der Patron der Stadt ist, so standen große Dinge zu seinen Ehren bevor. Selbst Signora Eugenia, die sonst in ihrer litarischen Stille, vielleicht auch ihrer etwas schwerfälligen Körperlichkeit wegen, von öffentlichen Festen mit Geringschätzung sprach, legte Manzoni's Adelchi bei Seite, um uns zu sagen, daß die Fuochi zu sehen, besonders das Feuerwerk auf der Arnobrücke, für gebildete Menschen der Mühe werth sei. Stella's Achtung hätten wir nun vollends verscherzt, wenn wir daheim geblieben wären, wozu die Hitze meinen Freund Franz einen Augenblick bereden wollte. Es ist eine Magie! sagte sie einmal über das andere, und wären nicht gerade an demselben Tage in die beiden anderen Zimmer neben dem meinigen Fremde eingezogen, für die Verschiedenes besorgt werden mußte, so hätte Stella selbst es über das Herz gebracht, für diesen Abend die gelehrten Gespräche daranzugeben und sich am Feuerwerk zu erfreuen, »eine dumme Person, wie sie war.«
Wir kamen in die schwüle Dämmerung der Straße hinab, und sogleich ergriff uns das Gewoge, diesmal von keinem Gegenstrome gebrochen, und trug uns mit sich fort, dem Flusse zu. Es war gegen acht Uhr, und die Lämpchen, mit denen der Dom übersät war, glommen hurtig an allen Ecken und Enden auf. Das Baptisterium mit den herrlichen Thüren Ghiberti's lag dunkel gegenüber. Dann aber die Straße hinab Lämpchen und Lichter an allen Fenstern, die Läden schimmernd, die Menschen, die hinunter wallten, hell wie am Tage, lachende, gaffende, plaudernde und schweigsame Köpfe. Starr sahen die Bewohner der Loggia auf die helle Menge herab, mit dem Blick der Nachtvögel, die von Fackeln aufgeschreckt werden. Niemals war mir der Perseus melancholischer, die Judith grausamer, die Sabinerin hülfloser erschienen. Zu Füßen der letzteren war ein Tombola-Gerüst aufgeschlagen, von den Landleuten umdrängt. Dazwischen spielten die österreichischen Regimentsbanden, schwirrte das tausendfache halblaute Gespräch und jauchzten Kinderstimmen, wenn etwa ein Flammen-Tableau in besonderer Pracht sich hervortat.
Ich bemerkte, daß mein Freund weicher und heiterer gestimmt war, als sonst. Als wir auf den Lungarno hinaus kamen, stand er einige Minuten an ein Haus gelehnt still und überblickte das Schauspiel mit ruhigen Augen. In ununterbrochenen Reihen brannten die Lichter dichtgedrängt in den Häusern zu beiden Seiten der Quais und unten am Fluß, wenige Fuß über seinem Spiegel. Die drei Brücken, die sogenannte »alte« mit den Buden der Goldschmiede, die mittlere, die »zur Dreieinigkeit« heißt, und die fernste, auf der das Feuerwerk abgebrannt werden sollte, spannten sich dunkel über die Strombreite, nur an den Pfeilern von wehenden Flammenkränzen eingefaßt. An das Geländer des Quais vorgedrungen, sahen wir das Gewimmel an den Wassertreppen zu den Kähnen hinab und hörten die Warnrufe der Schiffer, das Schelten der Soldateska, dann und wann eine Opernmelodie von einem kräftigen Tenor in die Nachtluft hinausgesungen, von hundert Stimmen halblaut nachgesummt. Das Allerschönste aber war, in den Strom selber hinunter zu sehen, wo eine Unzahl von Gondeln, Nachen und Fahrzeugen aller Art, einige mit Lichtern, andere mit Fackeln, hie und da ein Boot mit einer einsamen Laterne erleuchtet auf und nieder glitten, mit Menschen aller Stände angefüllt, die von unten aus die Fuochi mit ansehen wollten. Zuweilen stieg ein voreiliger Schwärmer aus einem Kahne voll junger Burschen in die Höhe, oder ein Feuerrad schnurrte funkend auf, daß die vorüberfahrenden Gestalten, plötzlich roth überglüht, in mannigfachen Geberden des Staunens und Schreckens sichtbar wurden, während dem Aufschreien der Mädchen, wenn die Funken über sie nieder regneten, das Gelächter der Uebermüthigen antwortete.
Ohne zu wissen, wie und wohin wir fortgerissen waren, fanden wir uns endlich auf der mittleren Brücke, dicht ans Geländer gedrückt, so daß wir kein Glied zu regen vermochten. Doch hätten wir uns mit freier Wahl nicht glücklicher postiren können, als hier in den Mittelpunkt des ganzen Spectakels, wo uns die Aussicht auf die eigentliche Scene, die dritte Brücke, nur dann und wann durch einen breiten Frauenstrohhut versperrt wurde. Eine lustige Gesellschaft stand um uns her, Florentiner Bürger mit Weibern und Töchtern, die letzteren ein muthwilliges Völkchen, das seine Glossen über Alles machte, die langen Engländer, die unbequem mit ihren hohen Hüten vor ihnen aufragten, nicht schonte und mit allerlei Obst und Naschwerk die Ungeduld versüßte. Die enge Nähe machte die Fremdesten vertraut, und selbst ein stattlicher Prälat verschmähte nicht, sich dann und wann in die Scherze zu mischen, die hin und her flogen, den Funken des Feuerwerks vergleichbar.
Franz nahm keinen Theil daran. Ich verfolgte die Richtung seiner Augen, die sich nach der anderen Seite durch das Volk auf der Brücke durchbohrten. Sie hafteten dort auf zwei feinen Profilen von geschwisterlicher Aehnlichkeit und großer Jugend. Zwei runde Malerhüte verschatteten sie nicht sonderlich, da die Lichter von allen Seiten heranspielten. Es schienen Brüder zu sein, wohl gar Zwillinge, der eine dem andern nur ein wenig an Größe überlegen, beide Gesichter bartlos. Aber während der Größere sehr nachdenklich und zerstreut gegen den Nachthimmel schaute, wo der Mond ruhig durchs Blau zog, waren die Züge des Andern ganz leidenschaftliche Hingabe an das Fest und die bunten Ufer, die Volksmenge und jede neu auftauchende Erscheinung, und auch zu Franz flog einmal ein rascher Blick des braunen Auges herüber, worauf es schien, als färbe sich die Wange mit einer unwilligen Röthe über das unverwandte Spähen des Fremden. Beide Brüder waren nicht im Stande, über die Köpfe der Leute vor ihnen wegzusehen. Aber während der Eine sich oft auf den Zehen erhob und seine Ungeduld zu erkennen gab, stand der Andere ruhig auf seinem Fleck und begnügte sich, das von dem Feuerwerk zu betrachten, was über seinen Volkshorizont aufstieg.
Mit dem Glockenschlag Neun schoß denn auch endlich die langerwartete erste Rakete in die Höhe, die das Signal zum Anfang gab. Sie wurde lebhaft applaudirt, und bald waren Aller Augen einzig von den Feuerkünsten gefesselt, die in reichem Wechsel am Hintergründe des reinen Firmaments sich entfalteten. Zugleich war man auf dem Flusse nicht müßig, und in den Pausen zwischen den Hauptereignissen tummelten sich Schwärmer, Frösche, Feuerräder und der Himmel weiß welch andere Teufeleien mit Prasseln, Knattern und Zischen zwischen den Gestirnen und dem Wasserspiegel herum. Unsere Stella hatte ein wahres Wort gesprochen, es war ein magischer Taumel, der sich über die Sinne warf. Die Florentiner Jugend um uns her wurde zuletzt still und fast beklommen, und nur ein unbewußtes Oi! Oi! begrüßte von Zeit zu Zeit eine prachtvolle Feuergarbe, die unerwartet gen Himmel sprühte, oder einen Trupp Leuchtkugeln, der Miene machte, geraden Wegs in den Mond zu wandern. Franz hatte ich eine Weile über all dem leuchtenden Tumult vergessen und fuhr zusammen, als ich plötzlich meinen Arm heftig gepreßt fühlte. Was ist? fragte ich. – Ihm wird unwohl, sagte er hastig. – Wem? – Nun, dem Knaben dort. Kommen Sie, kommen Sie!
Er drängte die neben ihm Stehenden gewaltsam bei Seite und hielt mich am Arm, daß ich willenlos durch die enge Gasse, die er sich bahnte, folgen mußte. Im Nu erreichten wir die Brüder. Der Größere hielt mit allen Zeichen zärtlichster Bestürzung den Andern unter den Armen fest und stützte dessen ohnmächtigem Haupt seine Schulter unter. Der Hut war von dem krausen Haar herabgefallen, die Lippen blaß, die Augen fest geschlossen. Erst jetzt überraschte mich die fast weibliche Schönheit des jungen Menschen, durch die kalte Blässe noch auffallender. Es schien, daß der Bruder sich umsonst bemüht hatte, durch das dichtgepflanzte Volk sich Raum zu machen; wenigstens sah er ängstlich nach Hülfe umher, und die Nächststehenden zuckten die Achseln, während eine mitleidige alte Frau vergebens in ihren Taschen nach einer stärkenden Essenz herumsuchte. Platz! donnerte Franz unter die dichten Haufen. Ohne zu zaudern, ergriff er den einen Arm des Bewußtlosen, der Bruder den andern, und sie begannen die zähe Masse zu theilen. Ich arbeitete ihnen vor, so gut zwei Arme konnten. Der kurze Weg bis auf den Quai wollte kein Ende nehmen, denn der Knäuel war zu dicht geballt. Endlich jedoch hielten wir am Ausgang der Brücke, und zum Glück lief dicht daneben eine von einem Posten bewachte leere Wassertreppe hinunter an den Fluß. Nur hinab! herrschte Franz. Der Posten trat bei Seite, der Jüngling, sobald der feuchte Hauch sein Gesicht berührte und die schlaffen Glieder sich im freieren Raume fühlten, schlug die Augen auf, sah zärtlich den Bruder an und schloß sie aufs neue. Man mochte die Gruppe von unten bemerkt haben; ein Kahn, nur mit drei jungen Leuten bemannt, steuerte an den Fuß der Treppe, einer, die Fackel tragend, sprang auf die unterste Stufe und bot seine Dienste an. Sie werden uns sehr verpflichten, Signor, sagte der Bruder, in einem weichen, lispelnden Dialekt, der venetianisch klang, wenn Sie uns erlauben, den Erkrankten in Ihr Fahrzeug zu heben. Meinem Bruder ist von der Schwüle und dem Gedränge unwohl geworden; ich hoffe, er erholt sich rasch. Der Florentiner trat bei Seite und ließ die Beiden vorüber, die ihre schlanke Last auf dem mittleren Sitz des Nachens niederließen und zu beiden Seiten Platz nahmen. Der Fackelträger sprang nach, ich sah noch, wie der Kranke sich aufzurichten versuchte, dann glitt das Fahrzeug durch den Brückenbogen und verschwand thalabwärts.
Eine Stunde nach diesem kleinen Abenteuer kam ich erst nach Hause. Es war an der ganzen Sache nichts Besonderes gewesen, und doch lag sie mir noch im Kopfe, als ich jetzt die Treppe hinaufstieg. Die Thür von Signora Eugenia stand, wie gewöhnlich, der Kühle wegen offen, ihre Lampe mit dem grünen Schirm brannte, ich sah einen Mann neben dem Sopha sitzen. Als meine Schritte laut wurden, wandte sich derselbe, und das Licht bezeichnete den scharfen Umriß von Franzens Gesicht, die stark ausgearbeitete Stirn, die männliche Nase, den eigenwillig geschlossenen Mund. Mich wunderte, ihn hier zu sehen; denn es war die Schlafenszeit der guten Frau und er ihr sonst nicht übermäßig zugethan. Obwohl er mich, den er erkennen mußte, nicht hereinrief, konnte ich der Neugier nicht widerstehen, einzutreten und nach dem Befinden unserer Wirthin zu fragen. Die Dame lag wieder zusammengerollt in ihrem Sophawinkel in ein Tuch gehüllt, das ihr Halbcostüm bemäntelte. Die beiden Seitenlocken waren aufgerollt und in zwei mächtigen Papilloten über der Stirn befestigt, daß das Männliche des Kopfes noch freier hervortrat. Im anderen Winkel des Sophas lag das Hündchen und schnarchte laut.
Ich ward mit der gewöhnlichen gnädigen Handbewegung empfangen und fragte, nach den ersten Höflichkeiten, ob der junge Mensch von der Brücke glücklich heimgekommen sei. Franz hatte nicht Zeit, zu antworten. Mit einer Lebhaftigkeit, die gegen ihr sonstiges Portament entschieden abstach, ergriff die Wirthin das Wort. Denken Sie sich, vor einer Viertelstunde etwa – ich wollte mich eben niederlegen – kommen sie alle drei nach Hause, der eine der Brüder mehr getragen, als gehend, und blaß, sagte Stella, blaß wie eine Braut des Himmels. Sie waren den ganzen Tag gereist und hatten kaum einen Bissen gegessen, ehe sie zu den Fuochi gingen. Nun hat er sich drüben niedergelegt, der Schöne, und sein Bruder will noch kommen, wenn er schläft, und sagen, wie es steht. Welche zarte Jugend, eine Blüthe von einem Menschen! Der Bruder sagt, es habe nichts auf sich, und doch war er so ängstlich mit ihm, wie mit einer Geliebten. Warum gingen sie auch unter das rohe Volk, anstatt, wie ich ihnen anbot, den Abend bei mir zu bleiben!
Franz saß bei diesen Worten mit seinem wehmütig ironischen Lächeln unbeweglich still und vertiefte seine Hände in die Taschen. Ihr seid in den Burschen verliebt, Signora Eugenia, sagte er endlich trocken. Ich weiß nicht, was Ihr an dem verzogenen, verzärtelten Muttersöhnchen Besonderes findet. Ich denke mir, er ist auf sein Bischen Larve nicht wenig eitel, und eine Dame von Eurer Bildung sollte mehr von jungen Leuten verlangen, als diese Stutzereigenschaften. Geht mir! Thatet Ihr nicht, als ich ihn nach Hause brachte, wie Venus, als man ihr den Adonis mit der Wunde im Schenkel heimtrug?
Himmlische Götter! rief die gute Dame, mit ihrer tiefen Stimme vor sich hin lachend, welch ein Aufwand von Mythologie, um einer armen Wittwe zu spotten!
Wißt Ihr, daß er Eurem Hündchen Aristodemo auf den Fuß trat, als es um ihn herum schnüffelte, und die arme Bestie winselte, ohne daß Ihr ein Ohr dafür hattet?
Chè! Chè! sagte die Wirthin und schob den grünen Lampenschirm sich mehr nach dem Gesicht, Ihr seid der erste boshafte Deutsche, der mir vorgekommen; wenn ich Kaiser von Oesterreich wäre, ich machte Euch zum Polizeiminister.
In diesem Augenblicke ging auf dem Corridor eine Thür. Es ist der Bruder, sagte die Wirthin.
Sie sind es beide, wie mir scheint, entgegnete Franz und streichelte nachlässig den schnarchenden Hund, daß er aufsah und zu murren begann.
Indem traten die Brüder bescheiden anklopfend in die Thür, beide in schwarzen Sammetkitteln, wie sie die Maler tragen, mit weiten Aermeln, rothseidene Halstücher umgeknüpft, zwei sehr saubere Gestalten. Der von ihnen, den die Ohnmacht angewandelt hatte, ging auf die Wirthin zu, dankte in schicklichen Worten für ihre sorgliche Güte und ergriff ihre Hand, die er respectvoll küßte, was sie fast in Verwirrung zu bringen schien. Der Andere hielt sich in Reden und Geberden etwas mehr zurück, schüttelte Franz die Hand, erkannte auch mich wieder und bedauerte, uns in dem Anschauen der Feuerkünste unterbrochen zu haben. Wir luden sie ein, sich zu uns zu setzen, und die Wirthin rief nach Wein und Früchten, woran sich der Lebhaftere, Carlo, ohne Umstände labte, während der nachdenkliche Leonardo sein Glas unberührt vor sich stehen ließ. Wir erfuhren bald, daß die jungen Leute nach Florenz gekommen waren, um auf der Malerakademie ihre Studien zu machen. Im Verlauf des Gespräches ergab sich's, daß sie die Söhne eines deutschen Malers waren, der vor kurzem in Venedig gestorben. Die Mutter hatten sie beide nicht mehr gekannt. Nun ging das Gespräch in buntem Wechsel von Deutsch und Italienisch seine munteren Wege, und obwohl es ziemlich allgemein war, fiel es mir doch auf, daß Franz seine Spöttereien fast immer an Carlo richtete, der ihm keine Antwort schuldig blieb. Die klaren Züge des knabenhaften Gesichts hatten im Reden etwas überaus Reizendes, Sinniges, zuweilen Schalkhaftes, und seine Worte zeigten eine so frische Frühreife, so viel bescheidene Sicherheit, daß ich über das Alter des Jünglings nicht ins Reine kommen konnte. Leonardo, der jüngere, wie wir später erfuhren, sprach wenig, das Wenige verständig und gebildet. Er bemerkte es mit einer sichtlichen Freude, wie die glänzendere Erscheinung seines Bruders ihn etwas in Schatten stellte. Auch zeigte sich in dieser Nähe die Aehnlichkeit minder groß, obwohl sie immer noch auf den ersten Blick als Brüder zu erkennen waren. Während Leonardo im Wesen den Deutschen niemals verläugnete, schien eine südlichere Beweglichkeit dem Andern ins Blut gedrungen zu sein, besonders wenn er den Dialekt seiner Vaterstadt sprach, der übrigens den Ohren der Signora Eugenia ein Gräuel war. Es war lustig, wie sie ihn corrigirte und sich bei einzelnen provinciellen Wendungen auf die Autorität der Crusca berief. Dann lachte der Zurechtgewiesene herzlich und kniete zuletzt vor dem Sopha nieder, für alle begangenen und noch zu begehenden Sprachsünden feierlich um Absolution bittend. Die Dame zauste ihn in den kragen, kurzen Haaren, zupfte ihn am Ohr, das durch seine besondere Kleinheit auffiel, und sagte: Wenn Ihr uns in Florenz nur die Sprache verdreht und nicht auch den Weibern die Köpfe, so will ich Euch allezeit ein gnädiger Beichtiger sein.
Lachend sprang der junge Mensch auf, küßte wiederum der edlen Wittwe die Hand, und uns allen kurz eine gute Nacht wünschend verließ er mit seinem Bruder das Zimmer.
Auch wir empfahlen uns, und Franz folgte mir in mein Gemach. Er saß vor dem Marmortisch und trommelte mit den Fingern auf der kühlen Platte. Was Schlangenhaftes ist in dem Menschen, finden Sie nicht? fragte er nach einer Weile. Die Art, wie er mit der alten Närrin umgeht, mißfällt mir gründlich. Sie ist im Stande und verliert um diesen hübschen Windbeutel das letzte Bischen Verstand, das ihr die Zeitungen übrig gelassen haben. Der Stille, der Leonard, das ist ein ganz anderer Kopf und verdient wahrlich nicht, daß man ihn um seinen Bruder Leichtfuß übersieht.
Worin Sie es doch am weitesten von uns allen gebracht haben, schaltete ich ein.
Hören Sie nur, wie er im Nebenzimmer wieder schwatzt und schwadronirt! Da fängt er gar an zu singen! Gottlob, der Bruder scheint es ihm zu verbieten. Mich reut, daß ich in dieses Haus gezogen bin; es ist doch nicht zu vermeiden, daß der Bursch einem hier über den Weg läuft. Nun, es steht mir ja frei, auszuziehen oder abzureisen.
Ich wette, Sie waren nicht böse, als Sie erfuhren, daß der hübsche Windbeutel Ihr Hausgenosse sei.
Nein. Aber der Abend hat ihn mir völlig verleidet. Ich gestehe, er zog mich an, draußen auf der Brücke. Aber es geht mir immer so, ich werde von solchen Regungen immer zum Besten gehalten. Was ist er mehr, als ein hinlänglich eitler Junge mit einer behenden Art zu reden und sich zu benehmen! Er wird sein Lebtag kein rechter Mann, denken Sie an mich. Haben Sie bemerkt, wie er beim Lachen die Zähne zusammenbeißt? Das schien mir zuerst ganz allerliebst. Jetzt, wenn ich daran denke, könnte ich ihn darum hassen.
Warum?
Ich weiß nicht.
Und Sie suchen es auch nicht zu ergründen? Ich erkenne Sie nicht wieder, Franz, daß Sie sich erlauben, zu hassen, ohne sich Rechenschaft davon zu geben.
Er ward stutzig, stand auf, putzte das Licht, blätterte in Büchern und sagte endlich: Wir wollen schlafen, ich bin dieses Tages müde. Nebenan ist auch schon Alles still. Sehen Sie den schönen Mond! Von allem Gefunkel und Geflunker des Feuerwerks ist nichts übrig, Alles in Rauch und Asche verweht; das Gestirn da oben ist unvergänglich. – Gute Nacht! –
War das Franz, der mit diesem lyrischen Stoßseufzer von mir ging?
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