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Am 18. Juli endlich in Vancouver angekommen und am 19. mit der Canadian-Pacific-Bahn weitergefahren. Wieder eine sehr unangenehme Reise. Der Zug sehr überfüllt und viel zu lang, so daß wir zeitweise mit 5 Lokomotiven fuhren. Die ganze Bahn macht einen sehr heruntergekommenen Eindruck und wir erlebten in den fünf Tagen drei Eisenbahnunglücke. Dabei waren mehrere Ingenieure mit uns, die sagten, die Bahn sei in einem ganz gefährlichen Zustand. Die Gegend war wieder verblüffend schön, aber bei dem fortwährenden Gefühl der Unsicherheit konnte man auch das nicht recht genießen. Als wir in Montreal auf die amerikanische Bahn umstiegen, war alles verändert, Ordnung, Pünktlichkeit und Komfort traten wieder ein.
24. Juli. Abends kamen wir in New York an, statt bei Hitze, wie wir erwarteten, bei strömendem Regen. Aber auch so machte die Stadt einen überwältigenden Eindruck, nicht zum wenigsten das Waldorf-Astoria Hotel, wo wir abstiegen und unsre Ankunft durch Dagobert großes Aufsehen hervorrief.
25. und 26. Juli blieben wir in New York, das wohl die fabelhafteste Stadt ist, die man sehen kann. Abends waren wir auf den »roofgardens«, Vergnügungslokale, die auf den Dächern 20 Stock hoher Häuser angelegt sind, und wo es auch im Sommer immer kühle Brise gibt.
Am 27. Juli an Bord des »Fürsten Bismarck« abgereist. Herrliche Überfahrt. Nette Gesellschaft und alles an Bord so ausgezeichnet.
Am 3. August kamen wir in Southampton an, wo uns Mlle. Berton Stephanie an Bord brachte.
4. August. Den ganzen Tag über mit Stephanie Bekanntschaft gemacht, die ein liebes gutes Kind ist, voll des besten Willens. Nachmittags in Kuxhaven angelangt, wo Dagobert mit Jubelrufen der Menge empfangen wurde. Nach Hamburg weiter, wo uns Belowchen auf der Bahn empfing und dann auch gleich Teddy aus Kassel ankam, der größer geworden, aber sonst ganz unverändert derselbe geblieben ist. Im »Hamburger Hof« fanden wir Günther vor, der zu Bette lag. Von den drei Kindern ist er am meisten verändert, so daß ich ihn gar nicht wiedererkannt hätte. Wir blieben etwas in Hamburg, denn ich war so übermüdet, daß ich nicht weiterkonnte. Wir haben ja auch nirgends mehr ein anderes home, also ist dies Hotel so gut wie jedes andere! Wir waren ja nun wieder alle beisammen, aber ich kann zu keinem Frohsinn kommen. Noch nie habe ich so sehr den Mangel eines festen Rückhalts empfunden. Wir sind so grenzenlos allein auf der Welt. Immer wieder muß ich an die unsichere Zukunft der Kinder denken.
11. August fuhren Edmund und ich zur Prinzeß Heinrich nach Kiel. Es war ein reizender Tag. Die Prinzessin ließ sich viel von Japan erzählen und fuhr uns spazieren. Von da abends nach Berlin, wo wir acht Tage blieben. Im Auswärtigen Amt sprach Edmund mit Richthofen, der ihm erzählte, das Auswärtige Amt habe Edmund ruhig den gewünschten Urlaub geben wollen, aber S. M. soll persönlich erklärt haben, er hätte Privatnachrichten, wonach Edmund zu krank sei, um nach Peking zurückzukönnen. Den Posten in China aber wolle er keinesfalls unbesetzt lassen. Danach habe man hin und her beratschlagt, zwischen Ketteler und Tattenbach geschwankt und dann habe Richthofen noch als Bestes vorgeschlagen, Edmund den freiwerdenden Posten in Mexiko anzubieten. Er meinte, wir sollten ruhig hingehen, es sei gar nicht so übel, wir könnten von dort ja oft auf Urlaub. Daß wir dazu die Mittel nicht haben, konnten wir ihm natürlich nicht sagen. An ein Revirement scheint er nicht zu denken, und was nützte es auch. Die frei gewordene Botschaft in Rom hat S. M. gleich seinem Flügeladjutanten Wedel gegeben und er soll noch andere so placieren wollen. – Edmund war beim Arzt, der ihm verordnet hat, nach Reichenhall zu gehen.
24. August. Heut nacht kam Edmund an. Nachdem ihm zuerst bedeutet worden war, daß S. M. ihn beim Sedandiner am 1. September sehen wollte, war er telegraphisch aus Reichenhall zum 25. nach Potsdam befohlen worden. Außer ihm nur noch Holleben da. S. M. ist gleich auf ihn zugekommen und hat ihm gedankt für alles, was er in China erreicht habe, und dann noch zweimal Ähnliches gesagt. Zu einem Aussprechen von irgend welchen Wünschen kam es nicht, aber es ist immerhin etwas, daß Edmund sich überzeugen konnte, daß S. M. auf alle Fälle gar nichts gegen ihn hat. Auch I. M. soll sehr gnädig gewesen sein. Edmund saß neben ihr, und sie hat sich sehr freundlich mit ihm unterhalten.
Am 29. August fuhren wir zu Stumms nach Holzhausen, wo wir Sommerfeld und Graf Seckendorff trafen. Holzhausen ist ein entzückendes Schloß in wundervollem Park, und in allem merkt man nicht nur den großen Reichtum, sondern Kunstsinn und Geschmack. Dazu ein so gescheiter, vorurteilsloser Mensch wie Stumm, der sich an der Komödie des Lebens amüsiert, und seine so sehr angenehme Frau. Mit Sommerfeld war es gleich so behaglich wie immer, und er versprach, uns in diesem Sommer zu helfen. Er schiebt alles auf Holstein, meint aber auch, daß Bülow niemand anderes aufkommen lassen will, und daß Edmund den Namen habe, eine exzeptionelle Arbeitskraft, aber auch sehr selbständig zu sein.
Am 31. August reiste Edmund zurück nach Reichenhall und Stephanie und ich nach Buckow. – – –
Am 28. Dezember war ein Diner bei Bülow. Außer uns noch Radolins, Schöns, Chelius aus Rom und der singende Bülow. Ich saß neben Bülow, der mich gleich als altbekannt begrüßte, weil wir uns damals bei dem kleinen Eisenbahnunglück im Schlafwagen kennenlernten, und außerdem fanden sich allerhand Anknüpfungspunkte durch Papas Freundschaft mit seinem Vater. Einmal sprach er von dem zunehmenden Interesse für überseeische Dinge, und daß S. M. eigentlich nur die Berichte der überseeischen Gesandten läse. Es blieb aber ganz bei allgemeinen Dingen. Nach Tisch hatte ich ein langes Gespräch mit der Gräfin. Sie ist eine entzückende Frau, voller Charme und Natürlichkeit. Sie redete mich gleich auf Mexiko an und sagte, sie hätte eben bei Tisch erst von Heyking davon gehört und wie schwer es mir würde. Nun nahm ich mir ein Herz, schilderte ihr die ganze Lage und bat sie, mir bei ihrem Mann zu helfen. Sie sagte mir, daß sie sich sonst nie in solche Dinge mische, was auch allgemein von ihr gesagt wird, aber in diesem Fall dauere er sie so sehr, daß sie mir helfen wolle, wenn sie nur irgend könne. Übrigens solle ich doch direkt mit ihrem Mann sprechen. Als es schon ganz spät war, kam Bülow direkt auf mich zu, führte mich in eine entlegene Salonecke, wo er sich mit mir auf ein Sofa setzte. Er wollte offenbar ein Gespräch herbeiführen, denn er fing gleich an, er sei à son corps défendant in seine jetzige Stellung getreten, klagte über allerhand und meinte, jede Stellung im Ausland sei vorzuziehen. Ich antwortete: »Doch wohl nicht jede!« Er: »Nein wirklich, seien Sie mit jeder auswärtigen Stellung zufrieden, da hat man doch Ruh' und Unabhängigkeit!« Nun sagte ich, wenn er so mit mir spräche, müßte ich fragen, ob ich ihm ganz aufrichtig darauf antworten dürfe. »Aber selbstverständlich, ich bitte darum!« Nun erzählte ich ihm all meine griefs gegen Mexiko und fügte hinzu, wenn es nicht Europa sein könne, so gingen wir auch gern nach Japan, wohin ich doch zwei meiner Kinder mitnehmen könnte. Er antwortete, er sei ganz bereit, uns Lissabon, Athen, Kopenhagen, Stockholm zu geben, aber es sei nichts frei. Und Leyden schimpfte zwar über Japan, wollte deshalb aber noch lang nicht abgehen. Nun sagte ich: »So geben Sie uns wenigstens eine Urlaubsverlängerung.« Da wurde er ganz böse und sagte sehr rasch: »Nein, das geht gar nicht!« Natürlich machte ich ein sehr betretenes Gesicht, denn er war förmlich heftig geworden; da setzte er hinzu: »Ich muß Ihnen sagen, daß Ihr Mann Feinde hat, die behaupten, er habe schon seinen Krankheitszustand sehr übertrieben, um aus Peking fortzukommen, und wenn ich Ihnen jetzt Nachurlaub gäbe, so hieße es, Sie wollten durchsetzen, einen andern Posten zu bekommen, wie Sie es schon mit Tanger-Peking gemacht haben!« Nun antwortetete ich: »Was die Krankheit anbetrifft, so kann ich unsre Feinde nur an den Stabsarzt Velde verweisen, und was Tanger-Peking betrifft, so möchte ich hervorheben, daß wir Peking schon einmal direkt abgeschlagen hatten, während wir noch in Kairo waren, und es dann nur annahmen, als es Herr von Marschall zum zweitenmal anbot, damals, als wir bereits im Begriff waren, nach Tanger abzureisen.« Bülow antwortete: »So, so, also so verhält sich das!« Nun legte ich mich aufs Bitten, aber er war ganz dagegen und sagte: »Da täten Sie beinah besser daran, carrément zur Disposition zu gehen, obschon man selten wieder hineinkommt. Allerdings würde ich Ihnen versprechen, in dem Fall an Sie zu denken. Man ist ja vielleicht glücklicher, aus dieser ganzen ekelhaften Karriere heraus zu sein und ruhig irgendwo in Italien zu leben, aber meine Erfahrung ist, daß die Leute immer alle wieder hinein wollen. Mir wenigstens rennen sie das Haus ein mit Petitionen, und wenn Sie heut auf Mexiko verzichten, so habe ich morgen ein Dutzend Bewerbungen darauf.« Ich antwortete, ich bäte nur um noch ein paar Monate Urlaub, um noch etwas mit den Kindern zusammen sein zu können und nicht in der so schlimmen Jahreszeit über den Atlantischen Ozean zu müssen. Er sagte, er wolle also dem Kaiser darüber Vortrag halten, aber »das sage ich Ihnen, Frau von Heyking, wenn der Nachurlaub abgelaufen ist, verlasse ich mich darauf, daß Sie auch wirklich nach Mexiko gehen, und mich nicht etwa bloßstellen, indem Sie dann z. D. gehen.« Ich versprach ihm das und frug ihn: »Wenn wir nun wirklich nach Mexiko gehen, wollen Sie uns dann in der Erinnerung behalten, denn ich habe so sehr die Empfindung, daß es ein Posten ist, auf dem man vergessen wird.« Er antwortete: »Nein, ich verspreche Ihnen, daß ich Sie dort nicht vergessen werde, übrigens soll Ihr Mann morgen noch einmal zu Lichnowsky kommen, an dem Sie einen glühenden Freund haben, und noch einmal alles mit ihm besprechen.« Damit war das Gespräch zu Ende, denn die Fürstin Radolin, die wie alle andern auf uns gewartet hatte, kam, um uns adieu zu sagen. Ich hatte eine sehr schlechte Impression von dem Gespräch, hatte an vielen Dingen gemerkt, daß Bülow offenbar von Holstein sehr gegen uns bearbeitet worden ist, denn er hatte mir viel härtere Dinge gesagt, als das sonst einer Dame gegenüber geschieht, und ich hatte die Empfindung, daß das Ärgste wohl noch Edmund durch Lichnowsky gesagt werden sollte. Als mir daher Gräfin Bülow beim Abschied sagte, sie freue sich so, daß ich Ihren Mann gesprochen, und hoffe, ich hätte alles erreicht, hatte ich Mühe, nicht zu weinen, und sagte: »Je n'ai rien obtenu du tout, car le comte ne comprend pas la question des enfants, dont il s'agit surtout pour moi, et je vous en supplie, madame, de m'aider auprès de lui.« Sie hielt mich bei beiden Händen fest, sah unbeschreiblich teilnehmend aus und sagte: »Oui, ma pauvre enfant, je vous promets de faire pour vous tout ce que je pourrais.« Im Flur beim Adieusagen war Bülow sehr affable, und ich mußte ihm meinen weißen Fuchsmantel genau zeigen.
Je mehr ich zu Hause über das Gespräch nachdachte, um so mehr sagte ich mir, daß Bülow sehr viel Irriges über uns mitgeteilt worden sein muß, und so entschloß ich mich nach einer schlaflosen Nacht, an Bülow zu schreiben. Ehe ich dann aber den Brief absandte, ließ ich mir den getreuen Sommerfeld kommen, denn ich graulte mich, etwas so Ungewohntes zu tun, wie einem Vorgesetzten meines Mannes über dienstliche Dinge zu schreiben. Er riet mir sehr, den Brief zu schicken und sagte: »Das Gespräch von Bülow mit mir sei etwas so Außergewöhnliches, daß es mich ganz berechtigte, auch einen außergewöhnlichen Weg einzuschlagen.« Delbrücks, mit denen ich auch sprach, meinten, das alles sei Holsteinscher Einfluß, sie hätten Beweise dafür, daß ihm Heykings Hiersein aus irgendeinem mysteriösen Grunde sehr unheimlich sei. Lichnowsky sagte Heyking dann noch, Bülow sei jetzt voller Wohlwollen für uns, aber er könne niemand für uns totschlagen und der vom Kaiser aufoktroyierte Einschub Schöns hätte alle Kombinationen umgestoßen. Er böte uns an, den Urlaub bis April zu verlängern, aber verlangte, daß wir dann wirklich nach Mexiko gingen, und daß wir nicht etwa auf anderm Wege versuchten, etwas anderes zu erlangen, ihm etwa den Prinzen Heinrich schickten, um etwas zu erbitten. Lichnowsky sagte noch, Bülow vertrüge es nicht, daß ihm von andrer Seite in sein Departement hineingeredet würde, immer natürlich mit der einen Ausnahme. Übrigens ließe uns Bülow doch versprechen, daß wir nicht lang in Mexiko gelassen werden sollten.
31. Dezember. Um Mitternacht fand die sogenannte Neujahrscour statt. Wir versammelten uns alle in der Kapelle, die so hübsch aussieht, wie eine protestantische Kirche es sein kann, d. h. eben möglichst katholisch. Es war sehr heiß, die Musik zu laut und die Predigt sehr unverständlich. Ich mußte immerwährend denken, wie es wohl sein würde, wenn unter uns eine Mine gelegt sei und plötzlich alles zusammenfiele. Das merkwürdige war, daß die neben mir sitzende Gräfin Redern, geb. Lichnowsky, dasselbe dachte, und wir uns beide verständnisvoll anschauten, als es mehrere Male unter uns so seltsam zu rollen anfing. Es wäre ein ganz interessantes Ende gewesen und man wäre in guter Gesellschaft zugrunde gegangen! –
1900 begann für uns, indem die Schüsse fielen, Eulenburg die Uhr zog und Dryander ein Zeichen gab, da zu dieser Minute die Majestäten eigentlich schon auf dem Thron stehen sollten. The rest of the Service was hurried over und das neue Jahrhundert begann also damit, daß die Kirche behind time war. – Nach der Kirche begann die Defiliercour und zwar im Weißen Saal, auf den wir einen hübschen Blick hatten, indem wir die Treppe von der Kapelle hinuntergingen. Ich kam an den Majestäten gut vorbei mit meinen beiden Knixen, und in den nächsten Sälen fand ich dann viele Bekannte, die alle während der drei Jahre recht alt geworden sind. Nichts verdeutlicht einem aber besser, wie alt man selbst geworden ist. – Als die Herren endlich auch kamen, gab es eine wahre Schlacht im letzten Zimmer um den spärlich vorhandenen Punsch. Man riß die Gläser von den Plateaus über den Kopf des kleinen Menzel hinweg, mit dem ich mich lange über Papa unterhielt. Edmund und ich fuhren davon in dem Bewußtsein, das Jahrhundert zwar sehr vornehm, aber sehr hungrig und erschöpft begonnen zu haben. Beim Herausfahren aus dem Schloß war die Statue des alten Kaisers durch einen Scheinwerfer hell beleuchtet; es war das erste Mal, daß ich sie hübsch gefunden habe. Die ersten Tage vergingen ganz mit Visiten. Es war mir komisch, Stephanie zur Gräfin Brockdorff zu bringen als etwas ganz Selbstverständliches, wenn ich mich daran erinnerte, wie ich vor sechs Jahren nach allerhand Kämpfen endlich mit der lieben Tante Louise dahin konnte.
So geht es: Man bekommt die Dinge, wenn sie einem gleichgültig geworden sind, und vielleicht ist das ganze Leben nicht mehr viel wert, wenn man erst dahin gekommen, daß einem auch die Rosinen des Kuchens keinen Spaß mehr machen.
12. Januar. In diesen Tagen hatte ich auf einem Diner bei Goltz Pascha ein Wiedersehen mit Major Morgen, den wir von seiner Sudaneser Anwerbungszeit in Kairo her kennen. Er machte mir wieder denselben Eindruck von jemand mit durchdringender Willenskraft. Jetzt ist er Flügeladjutant von S. M., der sehr aufgebracht sein soll, daß die Engländer unsre Schiffe anhalten und auf Kriegskonterbande für Transvaal hin untersuchen. Wir können aber nur die Faust in der Tasche ballen. Morgen freilich meinte, wenn es ganz schnell gemacht würde, so könnten wir ein Armeekorps in England landen und damit das ganze Land unterwerfen.
16. Januar. Wir fuhren zu Podbielskis ins Postmuseum, wo vor dem tout Berlin in einem eisig kalten, zugigen Rotundensaal ein gänzlich unverständlicher Vortrag über Fernsprecher gehalten wurde. Am Büffet nachher drängten sich 300 Personen, um erwärmenden Tee und Punsch zu ergattern. Ich eroberte zwei Tassen für Edmund, dem es recht schlecht ging. Sehr viel sprach ich mit dem General Verdy, früherem Kriegsminister, ein sehr geistreicher alter Mann, der so schöne Verse improvisiert. Er sagte mir, ich sähe aus wie ein kleiner Spatz, der davonfliegen möchte, und damit hatte er so recht. Mir ist oft so sehr nach Davonfliegen zumute.
17. Januar. Edmund war so erkältet, daß er zu Bett blieb. Währenddem kam der Hofrat Paulus von Schulte zu mir, um meine Bilder zu besehen. Er schien sehr zufrieden und sagte, er würde damit eine sehr interessante Ausstellung machen können. Ich war sehr froh über diesen Erfolg.
Abends war dann Stephaniechens erster Ball, der sogenannte Kavaliersball im Kaiserhof. Um drei Uhr kehrten wir heim und sie hatte sich prachtvoll amüsiert, war auch zu allem engagiert gewesen. Als Ballmutter kam ich mir recht komisch, eigentlich déplacée vor, aber das sieht einem ja zum Glück niemand an. Die Angst aller Leute ist jetzt, daß die kranke Mutter der Kaiserin stirbt und alles abgesagt wird.
18. Januar. Wir waren auf einem netten Diner beim amerikanischen Botschafter White, zu Ehren eines Spezialgesandten des Kongostaates, Mr. de Bernaert. Er sieht ganz aus wie Ohm Paul. Ich saß neben ihm und er erzählte mir, daß le cercle le plus spirituel, den er je gekannt habe, derjenige gewesen sei, der sich vor 50 Jahren um Bettina versammelte. Von da ab hatten wir natürlich Anknüpfungspunkte die Menge. Es ist mir oft merkwürdig, wie leicht ich mich mit Ausländern unterhalte und dabei auch die Empfindung habe, ihnen zu gefallen; mit Urteutonen wird mir das alles so viel schwerer.
19. Januar. Wir sollten eigentlich in den Reichstag, um die Interpellation über die englische Beschlagnahmung deutscher Schiffe zu hören, aber Edmund war so erkältet, daß wir es aufgeben mußten. Abends war im Kaiserhof das 600-Personen-Diner für die Kinderheilstätten. Ich saß am Tisch von Frau von Spitzemberg, zwischen dem österreichischen Botschafter Szögyeny und Humbracht. Mir gegenüber Hohenthal. Sehr viel Spaß machte mir, daß mein chinesisches rotgoldenes Drachenkleid so bewundert wurde. Ich wurde fortwährend darauf angeredet. Stephaniechen gefiel offenbar sehr. Viele Herren und zwar auch von den älteren connaisseurs ließen sich ihr vorstellen.
20. Januar. Abends ein langweiliges Diner bei Wildenbruchs, dem ich es übelnehme, daß sie mich so niedrig taxieren, mich zu dieser vornehm sein sollenden Gesellschaft einzuladen, wo sie doch gescheite Künstler- und Schriftstellerkreise haben!
21. Januar. Den ganzen Tag, wie jetzt immer, Besuche gefahren. Abends eine kleine musikalische Soirée bei Frau Richter, auf die ich mich sehr gefreut hatte. Die erste Person, die ich dort sah, war Gräfin Bülow, die aber kaum mit mir sprach. Außerdem nur Renvers und Lichnowsky und Graf Keßler, der eben aus Mexiko kommt und vor allen erzählte, wie scheußlich es dort sei. Edmund und ich waren sehr unangenehm impressioniert von dem Abend; es war offenbar vor unserm Eintritt von unsrer Versetzung gesprochen worden, und man hatte uns beklagt und das hatte Gräfin Bülow verstimmt.
22. Januar. Ein reizendes Diner bei Frau Schwabach mit der ganzen englischen Botschaft und sonstigen Ausländern. Gottlob einmal heraus zu sein aus der ganzen Kleinlichkeit und Mißgunst! Wenigstens den Vorteil wird Mexiko haben, daß es das nicht hat.
23. Januar. Abends die Cour, bei der Stephaniechen vorgestellt wurde. Sie sah sehr hübsch aus, und es hatte sie gar nicht impressioniert, denn sie sagte mir nachher: »es war ja d'une telle platitude!« Viele alte Bekannte gesehen und viel neue kennen gelernt, aber amüsant sind solche Dinge nicht. Malen und Schreiben ist mir lieber!
24. Januar. Ein Diner bei Harnack, wo man endlich mal was Kluges reden hörte.
25. Januar. Solms erzählte Edmund, er habe ein Gespräch mit Bülow über uns gehabt. Als er beiläufig sagte: »Heyking hat seine Sache in China doch ganz gut gemacht,« hat Bülow geantwortet: »Ganz gut? Ausgezeichnet hat er sie gemacht!« Und als Solms nachher gesagt, es sei doch schade um mich, ich sei eine so nette Frau, hat Bülow gesagt: »Eine ganz bedeutende Frau!« Nach Mexiko sollen wir aber doch! allerdings nur für anderthalb Jahre.
Wir frühstückten bei Harrachs; sie ist eine entzückende Frau, durch ihre Schönheit schimmert ihre Seele hindurch. Von dort brachte ich Stephanie zu Frau von Wedel ins Hausministerium, wo Tanzstunde für die Söhne des Prinzen Albrecht sein sollte. Als wir aber vorfuhren, sahen wir die Flaggen auf Halbmast und erfuhren, daß nun doch die Mutter der Kaiserin gestorben ist, was die tanzende Jugend ja nun schon seit 14 Tagen befürchtete. Mir ist die Ruhe sehr willkommen, nur das Ausfallen der Hofbälle ist schade, weil Edmund dadurch um die Gelegenheit eines Gesprächs mit S.M. kommt.
27. Januar. Alle Gratulationen bei S.M. fallen aus, und überhaupt wird diese Trauer strenger als je genommen. – Edmund war zum Diner beim Reichskanzler, wo die Hauptperson Dr. Leyds bildete, der sagte, die Buren fänden es viel bequemer, Ladysmith nicht einzunehmen, weil die Engländer so sich dort selbst zu beköstigen hätten. Er soll energisch und interessant, aber mit Vorsicht zu genießen sein, denn er sucht uns offenbar mit den Engländern zu verhetzen. Man sagt sogar, daß er den Engländern habe stecken lassen, auf deutschen Schiffen sei Konterbande für Transvaal. Danach ist es denn amüsant, Frau vom Rath sagen zu hören: »Leyds hat mir gesagt, was ihm so schrecklich sei, wäre die Animosität, die in Deutschland gegen England herrsche!«
30. Januar. Edmund reiste nach Karlsruhe, da ihn der Großherzog zu sehen wünschte.
5. Februar. Edmund hat beim Großherzog und der Großherzogin sehr befriedigende Audienzen gehabt. Vom Großherzog meinte er, daß er ein bischen sehr gerne Leitartikel spräche, aber von der Großherzogin war er sehr charmiert. Sie soll in wirklich gescheiter Weise über China gefragt haben, und zum Schluß ließ sie Stephanie und mich sehr grüßen und sagte zu Edmund: »Ich freue mich, daß Sie uns besucht und dadurch Gelegenheit gegeben haben, Ihnen zu danken für alles, was Sie für Deutschland getan haben.« Im übrigen war Heyking ganz impressioniert von der Öde und Langeweile Karlsruhes und meinte, schlimmer könnte es in Mexiko auch nicht sein! – Nachmittags beim Tee der Gräfin Gröben lernte ich den Herausgeber der »Woche« kennen, der mein Bild haben wollte, um meine bei Schulte ausgestellten Aquarelle zu besprechen.
6. Februar. Dejeuner bei Jacksens, wo ich neben dem mexikanischen Geschäftsträger saß, der mir als besten Trost über sein eignes Land sagte: »Na, Sie werden ja hoffentlich nicht lange dort bleiben müssen!« Ein schrecklicher Gedanke, jahrelang nur mit diesen kaffeefarbenen Leuten umgehen zu müssen.
8. Februar. Ein recht besetzter Tag. Beim Photographen, da außer der »Woche« auch andre Blätter mein Bild haben wollen wegen meiner Ausstellung. Besuch von Professor Pietsch, der sich meine Bilder besehen. Er erzählte viel von der früheren badischen Zeit, wo er ja auch Papa gut gekannt, und von dem Viardotschen Kreise. Als er einmal von einer Reise von Paris kam, redete ihn die alte Kaiserin auf einem Hofball an: »Lieber Professor, haben Sie bei Ihrer Reise nicht ein Mittel gefunden, die beiden Völker zu versöhnen, die von Gott dazu bestimmt sind, sich gegenseitig zu ergänzen?« Alles das in dem bekannten Ton und der alte Kaiser schweigend danebenstehend!
9. Februar. Wir aßen mit Waldows und Richthofens im Bristol, was sehr gemütlich war und an die alten Kairoer Zeiten erinnerte. Richthofen ist durch seine jetzige Größe ganz unverdorben, also ist sie ihm auch sehr zu gönnen, aber er gehört zu den Leuten, die sich imponieren lassen, sogar durch eine Kaiserin von China! Richthofen hatte am Abend vorher bei Bülow mit S. M. gespeist und sagte, der Kaiser beabsichtige die Schulreform von neuem aufzunehmen. Von Transvaal und der Flottendebatte im Reichstag soll nicht einmal die Rede gewesen sein; das würde keiner glauben, der davon in den Zeitungen gelesen!
10. Februar. Zu Schulte gefahren, wo meine Aquarelle gehängt worden waren. Danach großes Diner bei Tirpitz mit allen Spitzen, auch der Reichskanzler war da. Der alte Herr ließ sich mir vorstellen. Er ist ein merkwürdiges kleines, gebrechliches Männchen und hat seltsame Augen, wie die eines kranken Vogels, der früher mal sehr scharf gesehen hat. Wir kamen auf Mexiko zu sprechen, und er sagte mir: »Ich bin ganz unschuldig daran, aber S. M. macht alles Derartige jetzt selbst.« Ich dankte ihm, daß er uns Dr. Velde nach Peking geschickt habe, und erzählte ihm viel von China und daß man die Chinesen gar nicht niedrig genug taxieren könne. Er sagte: »Ja, der Chinese ist wohl das Niedrigste von Orientalen, und dann geht es aufwärts bis zum Russen.« Ich antwortete ihm, darum kämen auch die Russen so gut vorwärts in China, weil sie eben doch dasselbe seien, nur in verbesserter Auflage, sie brächten kein moralisches Handgepäck mit. Fürst Hohenlohe sagte: »Ja, ethische Dinge haben dort keinen Kurs!« Dann sprachen wir von Japan, und ich sagte ihm, der Hauptunterschied sei der, daß die Japaner den Begriff »Patriotismus« kennten. Als der Reichskanzler nach Tisch ziemlich früh aufbrach, kam er noch besonders auf mich zu, und in seinen Vogelaugen blitzte ein kleines aufgewärmtes Fünkchen, als ich ihm sagte, wie sehr ich mich freute, ihn endlich kennengelernt zu haben. Zu Tisch führte mich der liebe Admiral von Diederichs, und wir tauschten viel Erinnerungen aus; er meinte, Kiautschou sei für ihn doch der Höhepunkt innerer Energie und Schaffensfreudigkeit gewesen, und ich konnte ihm nur antworten, daß es auch für uns der Höhepunkt des Lebens gewesen. Es war doch ein merkwürdiges Schauspiel, die beiden, die es alles gemacht, Diederichs und Edmund, da am Tische Tirpitz' sitzen zu sehen, zuschauend, wie herrlich weit er es gebracht hat! Übrigens war Tirpitz die Liebenswürdigkeit selbst und sagte, es müsse möglich gemacht werden, für uns einen andern Posten als Mexiko zu finden. Nach Tisch lernte ich auch Admiral von Senden kennen, der sehr über die Chinesen schimpfte, von denen man nie wisse, wie man mit ihnen dran sei und die jetzt wieder alle Ingenieure von der Bahn in Shantung verjagt hätten. Ich sagte ihm, es wäre aber eigentlich nicht schwer, die Chinesen in Ordnung zu halten; das System meines Mannes, gelegentlich mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, habe stets gut gewirkt. Ich hatte die Empfindung, als sei die Marine von Ketteler nicht unsinnig entzückt. Senden erzählt mir, Prinz Heinrich käme am 13. an, es sei großer Empfang auf der Bahn und großes Diner im Schloß. Für Edmund ist bei alledem kein Platz! Ich sprach noch mit Egloffstein über den Prinzen Heinrich, und er horchte ganz verwundert auf, als ich beiläufig erwähnte, der Prinz habe 14 Tage bei uns gewohnt.
15. Februar. Großer Ball bei Kanitz, wo sich Stephanie wieder herrlich amüsierte. Vor einem Jahr tanzte ich noch so lustig, jetzt sitze ich in der Reihe venerabler Ballmütter; so dreht sich das Rad. Ich hatte ein langes Gespräch mit General von Hahnke über Transvaal und warum wir die jetzige Lage der Engländer nicht etwas benützten. Er meinte, im Auswärtigen Amt sage man, ohne große Flotte ließe sich nichts machen, und schließlich sei S. M. doch ein halber Engländer.
Wir aßen mit unserm lieben Below, der on the way to Peking ist, und mit Falkenhayns, die aus Kiautschou heimgekehrt sind. Sie erzählten, die Marine behaupte, Edmund wolle ihr den Kiautschouruhm streitig machen, auch sei er gegen die Chinesen zu scharf aufgetreten. Der erste Vorwurf ist geradezu lächerlich, wenn man bedenkt, daß jeder, mit Ausnahme eben von Edmund, eine Belohnung für Kiautschou bekommen hat. Und die jetzt gegen die Chinesen angewendete sanfte Manier hat schon glücklich dazu geführt, daß in Shantung Unruhen ausbrechen, die von der chinesischen Regierung unterstützt werden. Below ist entschieden etwas desorientiert bei dem Gedanken an die Reise nach Peking, und ich wiederum kehrte so gern dorthin zurück, without having to face new horrors in a new horrid place!
19. Februar. Enormer Ball von Solms im Kaiserhof. Ich fühle mich doch schon ganz anders bekannt als vor einem Monat beim ersten Kaiserhofball, was aber nicht bedeutet, daß ich mich amüsiere. Die pièce de résistance des Abends war die Herzogin und künftige Königin von Württemberg, der ich vorgestellt wurde. Kleine Fürstlichkeiten waren in Menge da, und ich saß neben der Fürstin Stolberg auf der Stufe des haut pas während des Kotillons, was sicher von jetzt ab le dernier cri du chic sein wird! Beim Diner neben Mutzenbecher, der über Holstein schimpfte. Er erzählte, während er in Rom unter Solms Botschaftsrat gewesen, habe er die Holsteinsche Politik des Nachlaufens als recht wenig vorteilhaft erkannt, beim Urlaub Holstein darüber Vortrag gehalten und am Schluß gesagt, vielleicht würde er bei diesen Anschauungen nicht mehr für Rom gewünscht. Holstein habe erwidert: Im Gegenteil, und alles habe ihn außerordentlich interessiert. Als aber Mutzenbecher dann nach Rom zurückkehrte, fand er, daß er auf der Botschaft boykottiert war, und Solms erzählte ihm schließlich, er habe einen geheimen Erlaß erhalten, Mutzenbecher sollen alle Nachrichten aus Berlin ferngehalten werden, und es sei zu beobachten, ob er nicht eigne Politik betreibe!
Frau von Varnbüler erzählte Edmund, sie wisse, daß man ihn im Auswärtigen Amt als brillante Feder schätze, man fände ihn aber zu unabhängig und sagte, was sollen wir machen, wenn er uns in einen Krieg verwickelt. Das ist also wieder Holstein!
21. Februar. Goltz erzählte uns, daß S. M. bei ihm speisen würde. Ich warf hin: »Fragen« Sie doch S. M., was er in Mexiko Besonderes vorhätte, daß er meinen Mann gerade dorthin schickt.« Goltz antwortete: »Soviel ich Heyking jetzt kennengelernt habe, weiß ich ganz genau, warum man ihn gerade dahin schickt; er wird nur noch Posten erhalten, wo er ganz unschädlich ist!« Ich sagte: »Auf seinem letzten hat er es doch aber gut gemacht?« »Eben deshalb! Bei uns sucht man die Leute so aus, um sicher zu sein, daß sie nichts tun!« Also so endet das Lied!
22. Februar. Pietsch besuchte mich und brachte mir sehr gute Besprechungen meiner Bilder. – Edmund und ich sind rasend deprimiert à mesure que le moment approche. Ich machte den Vorschlag, nicht nur Stephanie, sondern auch Günther und Belowchen mitzunehmen nach Mexiko; vielleicht erträgt sich das Exil dann leichter. Aber es dauert mich so sehr, daß Stephanie, die hier so gut debütiert hat, nun aus allem herausgerissen wird und ihre nächsten Jahre bei diesen Halbwilden zubringen soll. – Abends Riesenball auf der österreichischen Gesandtschaft. Viel schöner Schmuck und elegante Kleider; über das meinige, in China gestickte, wurden mir viel Komplimente gemacht, und eine Menge Menschen sprachen von meinen Bildern. Edmund sagt, wir würden durch meine Kleider und Aquarelle berühmt! Wenn es nur etwas nützte!
24. Februar. Morgens sind wir immer todmüde und deprimiert, mittags erholt man sich ein bißchen und macht Besuche; von 6 bis 8 ist dann ein toter Punkt, wo man durchaus sich etwas legen muß, und nachher zieht man sich für die Bälle an und ist schließlich in der Nacht am allerwachsten! – Mein alter Freund Üchtritz sagte mir, er hätte es noch nie erlebt, daß Menschen sich so rasch eine besondere Position in Berlin gemacht hätten wie wir. Darum muß man ja eben nach Mexiko!
26. Februar. Ganz kleines intimes Diner bei Dürckheims. Ich saß neben dem Reichskanzler. Das Männchen war ganz besonders unscheinbar, verschwand beinah unter dem Tisch und sah mehr wie je wie ein gerupftes Hühnchen aus. Wir kamen über die merkwürdigsten Themata ins Gespräch. Wiedergeburten, Buddhismus, Unsterblichkeit. Fürst Hohenlohe meinte, Unsterblichkeit tauge nicht für jedermann, sondern nur die Übermenschen verdienten das; die übrigen sollten eingestampft werden. Ich sagte, wer in völkerreichen Ländern wie Indien und China gelebt habe, wo das Menschenleben gar keinen Wert hat, könne ihm nur recht geben. Wir sprachen von Frauenfrage, kamen über den hiesigen Künstlerinnenball, auf den nur Frauen dürfen, zum Thema der Liebe zwischen Frauen! Dann erzählte mir der alte Fürst, die Kommission, vor der jetzt die Lex Heintze beraten wird, habe so absurde und verschärfte Paragraphen hineingebracht, daß das Ministerium beschlossen habe, das Gesetz lieber fallen zu lassen. Er werde nun aber von pietistischen Damen, wie Frau von Goßler und Gräfin Brockdorff, bestürmt, das Gesetz doch in dieser verschärften Form einzuführen, und den Kriegsminister hätten sie ihm damit auch schon einmal auf den Hals geschickt. Jetzt drohten sie, den Kaiser ins Gefecht zu führen; da habe er aber geantwortet, dann gäbe es eben eine Ministerkrise. Wir sprachen noch über Literatur, und er meinte, »Am Meer« von Heine sei sein Lieblingsgedicht. Wir hatten wirklich quite a pleasant chat, und nach Tisch dankte mir der Hausherr, daß ich den alten Herrn so gut unterhalten hätte. Eine Ironie ist es aber doch, daß diese liebenswürdige kleine Mumie für das Wohl und Wehe Deutschlands verantwortlich ist. Holstein mag er ja freilich sehr bequem sein. Röder erzählte, wir gelten allgemein als das Opfer Holsteins, der ja nun einmal einen anständigen, unabhängigen Menschen nicht vertragen könne. Ich hörte, auch die Kaiserin sei mit den jungen Prinzen bei Schulte gewesen und habe meine Bilder mit besonderem Interesse betrachtet, und Mme. Boutiron erzählte mir, auf einem Monstrediner des türkischen Botschafters sei beständig von Stephanie und mir gesprochen worden, und zwar immer in den höchsten Tönen. Wenn es uns nur zu etwas verhülfe!
27. Februar. Zum Lunch bei der reizenden Fürstin Ferdinand Radziwill, die besonders nett zu mir ist und es auch so beklagte, daß S. M. in einer solchen Abgeschiedenheit und Bewachung durch eine besondere Clique lebe, daß man gar nicht an ihn herankäme. Das ist ja unser ganzes Pech!
Abends sahen wir »Die versunkene Glocke« von Hauptmann.
1. März. Below besuchte uns morgens. Er reist übermorgen nach Peking und nimmt unsern guten Dagobert mit, der mir ein so wahrer Trost gewesen ist. Er selbst möchte gerne bleiben, aber seine Eltern quälen ihn mit Briefen. Mir ist das Herz oft zum Brechen schwer. Wieviel lieber ginge ich nach Peking zurück. Dabei hört man, daß Ketteler dort alles verkehrt macht und unbeliebt ist. Selbst Holstein sagte das zu Below! Hätte es Edmund doch noch länger dort ausgehalten. Es wäre so viel weiser gewesen. Abends kam Below noch einmal, und wir erzählten ihm viel von Peking. Wie anders wäre alles gegangen, hätten wir wenigstens ihn dort gehabt!
2. März. Vormittags besuchten wir Bertuchs, die mir die freundlichsten Dinge über meine französischen Gedichte sagten. Sie schlugen mir vor, im Frühling nach Paris zu ihnen zu kommen und dort Malerei zu studieren und Literaten kennenzulernen; ja, wer das könnte! Als wir von Bertuchs kamen, begegnete uns Prinz Heinrich, der an uns vorbeifuhr und uns sehr freundlich grüßte. Nachmittags kam die Nachricht, daß er uns morgen nachmittag sehen will.
3. März. Um 1 Uhr brachten Edmund, Stephanie, Günther und ich den guten Dagobert auf den Anhalter Bahnhof, von wo er mit Below abreiste. Es war uns allen schrecklich schwer ums Herz, und ich mußte beständig weinen. Es war unser letztes Stücklein China, das da fortging, ein Rest aus der Zeit, wo wir etwas auf der Welt waren und wollten, wo wir noch mit so viel Mut und Energie ans Leben herantraten. Von da fuhren wir zur Leichenfeier des alten Groeben. Ich war so verweint wegen Dagobert, daß man sicher glauben mußte, ich hätte eine unglückliche Liebe für den alten Groeben gehabt!
Nachmittags fuhren wir ins Schloß zur Audienz beim Prinzen Heinrich. Er empfing uns ganz so harmlos freundlich wie in China; ist womöglich noch schöner und dem Kaiser Friedrich noch ähnlicher geworden. Wir saßen am Kamin bei ihm, ich servierte den Tee, es wurde geraucht und natürlich fortwährend von chinesischen »brennenden Fragen« geredet. Ehe der Prinz von andern Dingen sprach, sagte er gleich, er habe, sobald er Bülow gesehen, ihn auf Edmund angeredet und schien alles, was der ihm geantwortet, sehr befriedigend zu finden. Er hat sich offenbar von Bülows Glattheit ganz und gar täuschen lassen. Wir mußten ihm natürlich danken, aber er merkte mir an, wie mir's ums Herz war, und ich fand Gelegenheit, ihm von den Kindern zu sprechen, und bat ihn, ein Wort wegen Hamburg bei dem Kaiser für uns einzulegen. Er meinte, Hamburg sei doch ein viel zu kleiner, unbedeutender Posten für Edmund, und sagte schließlich, an S. M. wendete er sich nicht einmal für seine militärischen Kameraden. Wir blieben 1 ½ Stunden bei ihm. Es war ja ziemlich ergebnislos, aber eine Freude, einen so guten und echten Menschen zum Freunde zu haben. Ich habe immer das Gefühl, daß alles für uns an einem Wort hängt, daß man aber wie im Traum nicht vermag, dieses eine Wort zu sagen. S. M. ist für uns wie mit einer chinesischen Mauer umgeben! Könnten wir doch aus all dieser Erniedrigung heraus. Wären die Kinder nicht, ich zögerte keinen Augenblick. Ich muß dabei immer an die »Versunkene Glocke« denken. Es hat jeder so einen tiefen, unheimlichen Schicksalsbrunnen, in den er hinab muß, er mag wollen oder nicht. –
10. März. Wir waren zum Diner bei Hohenthals, wo wir den Reichskanzler und Richthofen trafen. Letzterer ist wirklich ein guter, wenn auch vielleicht ungeschickter Freund. Er hat versucht zu erlangen, daß Edmund provisorisch zur Stellvertretung Metternichs nach Hamburg geschickt würde; es ist ihm aber abgeschlagen worden, um nicht die Gefühle des Legationssekretärs Prinzen Schönburg zu froissieren. An unsre Gefühle denkt kein Mensch! Zum Schluß kam der alte Reichskanzler zu mir und sagte mit seinem hohen Stimmchen: »Sie waren heute so entouriert, daß man gar nicht zu Ihnen gelangen konnte!« Gräfin Hacke suchte mich über Mexiko aufzuheitern und zwar mit derjenigen Erfahrungsphilosophie, zu der man selbst ja immer mehr kommt, daß eben jeder sein Päckchen zu tragen hat und die Welt keine Vergnügungsanstalt ist.
Bei einem großen Diner bei den Hans Wedels trafen wir Frau Cosima, die hier ist mit Tochter und Sohn, um den Bärenhäuteraufführungen beizuwohnen. Sie ist eine energisch und gescheit aussehende Frau und hat dabei etwas sehr Liebenswürdiges. Komisch ist es aber, die Gemeinde zu beobachten. Sie sprechen alle mit Frau Cosima mit einem Augenaufschlag und Stimmfall, als träten sie in eine Kathedrale, und doch kann man beim Betrachten des Lebens der Frau Cosima am allerwenigsten religiöse Empfindungen haben.
13. März. Zum Diner beim Reichskanzler. Das alte Herrchen empfing uns mit seinem Sohn Alexander an der Tür und verschwand ganz unter seinen vielen Gästen. Die schöne Prinzeß Daisy Pleß war da und die viel schönere Gräfin Schönborn. Fürst und Fürstin Stolberg, Henckels, Castells und die russische und englische Botschaft. Wir dinierten im großen Kongreßsaal, und auf dem Tisch standen schöne Empire-Bronzeaufsätze. Nach Tisch setzte sich der Reichskanzler neben mich. Schwarzkoppen und Röder versuchten in das Gespräch sich einzudrängen, aber der alte Fürst verstand sie zu ekartieren und zu zeigen, daß er mit mir allein reden wollte. Er fing zuerst wieder von der Lex Heintze an, und sein Refrain war: »Die Welt wird zu dumm, zu dumm!« Er sagte: »Posadowsky hat mich betrogen, er hat mich versichert, das Gesetz würde nicht durchgehen, sonst hätte ich es niemals eingebracht!« Wir sprachen von den allgemeinen Wahlen und welch unglückliches Geschenk Bismarck damit dem deutschen Volk gemacht hat in seiner Feindschaft gegen die Bourgeoisie, im Vergleich zu der ihm sogar die Gefahren der Sozialdemokratie gering erschienen. Der Fürst sprach dann von Bismarcks »Erinnerungen« und erzählte, daß er jetzt die Jugenderinnerungen Eugen Richters läse. »Den Mann hätte man zum preußischen Finanzminister machen sollen, wir haben nie eine so große Kapazität gehabt, aber er hatte sich das preußische Beamtentum verfeindet, und wo das einmal haßt, da wächst kein Gras mehr!« Er erzählte, daß er daran dächte, seine Memoiren zu schreiben, aber jetzt käme er nicht dazu, und wenn er erst mal vom Dienst zurückgetreten sei, würde es ihm gewiß wie so vielen gehen, die mit dem Zwang zum Schreiben auch die Fähigkeit dazu verlieren. In bezug auf unsern Kummer über Mexiko sagte er mir ganz crûment, es kämen jetzt so große Ungehörigkeiten vor, weil S. M. sich eben in alles mische und die Versetzungen ganz allein bestimme. Bei dem ganzen Gespräch war der alte Herr wieder reizend teilnehmend, und er hat large vornehme Ansichten, wie man sie von preußischen Junkern nie hört. Wir hatten sehr lange gesprochen, so daß alle Gäste darauf aufmerksam geworden waren, und als wir gingen, ward ich von vielen damit geneckt.
Aber in einer gutmütigen Weise, es waren ja auch beinah lauter Fremde, und unter denen hat man ja nie Feinde.
14., 15. M ä r z. Zwei Ruhetage, die aber durch scheußliche Sitzungen beim Zahnarzt verdorben waren. Man stirbt stückweis. Mit Haaren und Zähnen fängt es an, und was schließlich von einem übrigbleibt, wird so eklig sein, daß man froh sein wird, diese Hülle der endgültigen Verwesung zu übergeben.
16. März. Edmunds Geburtstag gefeiert. Sein letztes Lebensjahr ist das härteste gewesen, dessen ich mich entsinne. Möchte sich doch in diesem Jahr das Blatt endlich für ihn wenden! Major von Falkenhayn kam, ihm zu gratulieren, und war so warmherzig, wie es eigentlich nur die Leute sind, die draußen zusammen gewesen sind. Er ist soeben mit großem Avancement nach Karlsruhe versetzt worden, und Kapitän Müller ist geadelt und kommt in das Marinekabinett. So hat jeder andere, der in Ostasien war, etwas Gutes bekommen.
17. März. Ich hatte die große Freude, daß morgens ein Exemplar der »Revue blanche« eintraf, in der die »Fleurs de Lassitude« abgedruckt sind. Das war wirklich einmal etwas ganz Erfreuliches, uns selbst Erarbeitetes. – Nachmittags war eine ganz kuriose Versammlung bei Frau Richter. Das geistreiche und vornehme Berlin, vor dem ein Mr. van der Velde vortrug, wie wir eigentlich unsre Häuser einrichten sollten und was eigentlich schön ist. Danach sollten wir alle unsre schönen behaglichen Erinnerungsstücke verbrennen und in modernem linienverzierten Mobiliar wohnen!
Auf einem sehr netten Diner bei den Muskauer Arnims wollte mir Sommerfeld einreden, daß es ohne Holstein im Auswärtigen Amt nicht ginge, und ich sollte doch suchen, mich mit ihm gut zu stellen. Ich möchte wohl wissen, wie! Graf Kanitz erzählte, im »Lokalanzeiger« seien meine Gedichte bereits annonciert.
19. März. Nachmittags besuchten wir Gräfin Tiele-Winckler in ihrem schönen neuen Haus in der Tiergartenstraße. Berlin ist noch so kleinstädtisch, daß man über sie mißgünstig spricht, weil sie sich etwas auffallend kleidet und soviel reicher wie andre Leute ist. Mißgunst scheint mir überhaupt die charakteristische Seite von Berlin, nur ja nicht jemand aufkommen lassen! Abends gingen wir in den »Biberpelz« und amüsierten uns köstlich.
20. März. Auf der Soiree bei Lucadous wurde ich auf meine Gedichte angeredet. Die »Norddeutsche« hat »Etoile mysterieuse« abgedruckt. Sehr komisch, daß ich gerade da hineingekommen bin!
22. März. Mittags mit Stephanie und Edmund nach Kiel gefahren, wo uns Herr von Witzleben und Fräulein von Plänckner abholten. Im Schloß standen Prinz und Prinzessin Heinrich auf der Treppe, empfingen uns aufs herzlichste und führten uns selbst in unsre Zimmer. Bei Tisch erzählte Prinz Heinrich, daß er von Bülow die schriftliche Zusicherung habe, daß wir nur ganz kurz in Mexiko gelassen würden. Danach erzählte der Prinz Edmund, der Kaiser habe bei seinem neulichen Besuch in England aufgezeichnet, wie die Engländer es machen müßten, um die Buren zu umgehen. Diese Richtschnur des Kaisers sei genau von Lord Roberts befolgt worden, der dadurch allein gesiegt habe, und der englische Botschafter habe neuerdings namens seiner Regierung dem Kaiser für den ausgezeichneten Rat gedankt. Es scheint doch kaum glaubhaft, wenn man dabei an das kaiserliche Telegramm an Krüger denkt!
23. März. Gleich nach dem ersten Frühstück kamen der Prinz und die Prinzessin, uns zu einem langen Spaziergang abzuholen trotz heulenden Sturms. Zum Dejeuner war der ganze Hofstaat da und ein Marinedoktor, der sehr lange in einem Hospital in Yokohama gewesen ist. Der Prinz spricht am liebsten über ostasiatische Dinge; man sieht, daß sein ganzes Herz daran hängt und ihm die hiesige Abhängigkeit und Untätigkeit schwerfallen. Ich kann es ihm sehr nachfühlen. Für mich hat der Orient einen ewig hinziehenden Charme. Über viel Dinge sieht der Prinz hier zu Hause auch sehr klar, gerade weil er weggewesen. So war die Rede vom Fürsten Hohenlohe und seiner absoluten Effaziertheit. Dazu bemerkte der Prinz: »Das ist der einzige Reichskanzler, den mein Bruder vertragen kann!«
24. März. Morgens mit Prinz und Prinzeß bei Sturm und Schnee zur Werft gefahren, wo die »Deutschland« liegt. Es war mir ganz melancholisch, sie so abgetakelt hier wiederzusehen, und dem Prinzen ging es ebenso. Er empfindet es so sehr, daß seine Expedition damals mit so unendlichem Trara begonnen wurde und nun so im Sande verlaufen ist. Nach dieser sehr kalten Expedition noch Déjeuner und dann Abschied. Der Prinz fuhr nach Bremen und wir nach Berlin zurück.
In Berlin fand ich einen Brief von Gräfin Bethusy vor, daß ihre Schwester, Gräfin Moltke, anbietet, Stephanie zu sich zu nehmen, während wir nach Mexiko gehen. Das wäre für Stephanie eine sehr glückliche Lösung.
26. März. Unendlich viel zu tun alle diese Tage mit Reisevorbereitungen. Wir wollen am 25. April auf »Wilhelm dem Großen« von Cherbourg reisen und vorher noch ein bischen in Paris sein. Ich plane die Herausgabe meiner Gedichte als Bändchen und will das dort besprechen.
28. März. Nachmittags war ich bei Wildenbruch, der über meine Gedichte ganz fabelhaft anerkennend und freundlich sprach. Der hat es verstanden, wie einem ums Herz ist, um gerade so schreiben zu müssen, und seine Herzlichkeit war mir unendlich wohltuend.
Ich lernte Herrn von Waecker-Gotter kennen, der viel über Mexiko erzählte. Die Stadt muß recht unerquicklich sein, ebenso die Kolonie. Es scheint so ein Reiseexplorationsland zu sein. – Baron Korff, der aus Ostasien zurückkommt, sagte, dort hieße es nur: »Ja, zu Heykings Zeiten ging es alles besser!«
30. März. Wir begannen Abschiedsbesuche zu machen und hatten dann ein sehr nettes Diner mit Sascha Schlippenbach, Dirksens, Keßler im Bristol. Es wurde mal von gescheiten Dingen gesprochen, und ich genoß den Abend sehr. Keßler kennt die ganze neue Literaturrichtung und interessierte mich sehr. Er forderte mich auf, für den »Pan« zu schreiben.
31. März. Wir fuhren zur Eröffnung der Meyerheim-Ausstellung. Seine früheren Bilder gehören einem überwundenen Standpunkt an und sind doch die besseren. Das Bestreben eines alten Künstlers, sich dem ihm fremden jungen anzupassen, hat mir immer etwas Tragisches. Es ist auch so schade, daß er nicht beim Tiermalen blieb; seine Affen sind so unendlich viel besser als seine Mensehen. Daß wir doch alle vom Affen zum Menschen wollen! Selten Erkenntnis der Grenzen! – Nachmittags waren wir bei van der Vliet. Er hat meinen »Repos« ins Russische übersetzt, und wir hatten ein mich sehr interessierendes literarisches Gespräch, bei dem er mir viel von den jungen deutschen Dichtern erzählte, über die ich so wenig weiß. Van der Vliet dichtet und übersetzt die schwermütigsten Dinge, und dabei sind er und seine Frau so reizend rundliche, wohlige Menschen, Urbilder der Behaglichkeit. Sie tragen ihren Weltschmerz wie eine gebratene Wachtel in Speckscheiben eingewickelt. – Wir sagten bei Varnbülers adieu, und sie war wieder reizend anzuschauen. Dem unschuldvollen Stephaniechen gefällt sie besonders – der Zauber der Frauen, die sehr geliebt worden sind!
1. April. Abschiedsbesuche, die ich ganz schrecklich finde, denn die Sache geht mir zu nah, und es ist furchtbar, sie so mit jedem durchzusprechen. Bei Oriolas war viel die Rede vom Flottengesetz, und Waldemar erzählte Edmund, in der geheimen Sitzung habe Bülow den Abgeordneten gesagt, vor zwei Jahren habe er ihnen noch erklären können, daß keine Gefahr für einen Krieg mit England bestände, das könne er ihnen heut nicht mehr sagen! Es ist sonderbar, daß alles so kommt, wie wir es in Ägypten vorausgeahnt haben. Nur für Edmund ist bei alledem kein Platz. –
2. April. Bei Whites adieu gesagt und einen musikalischen Nachmittag mitgemacht. Diese Art der Unterhaltung entspricht dem weiblichen Betäubungsbedürfnis. Musikalisches Opium! – Edmund und ich sahen Björnsons »Über unsre Kraft« in Lindaus Loge. Ein ergreifendes Stück und ein genußreicher Abend!
4. April. Keßler war früh bei mir, und ich las ihm meine Gedichte vor. Er, Wildenbruch und auch Goldmann sagen, ich müsse Deutsch schreiben. Ich versuche es jetzt, aber es geht unendlich holperig.
Edmund hat einen Konsul aus Mexiko kennengelernt, der ihm erzählte, das dortige Klima sei wegen der Erkältungen so sehr gefährlich. Am Abend bekäme man Schüttelfrost und morgens sei man tot. Wenn die dazwischen liegende Nacht nicht gar zu unangenehm ist, wäre diese Art und Weise wenigstens eine rasche; sie nennen das pleuresia fulminante!
6. April. Frau von Kurowski war bei mir und riet mir, ich möge doch zu Holstein gehen und ihn direkt bitten, uns zu helfen, er habe einen Fond von Gutherzigkeit. Sie meinte, ich solle es ganz ohne Edmunds Wissen tun, aber dazu konnte ich mich nicht entschließen. Ich besprach es doch mit Edmund. Ihm geht es gegen das Gefühl, wie mir auch; aber vielleicht wird man sich später einmal Vorwürfe machen, dies Mittel nicht versucht zu haben. Ich fuhr nachmittags in die Großbeerenstraße, wo Holstein wohnt. Es war mir eine ganz unheimliche Fahrt. Die Parterrefenster waren mit Hyazinthen bestellt – das nahm mich eigentlich für den Mann ein – vielleicht hat er doch irgendwo einen weichen Punkt. Ich sprach nur mit der Portiersfrau, die meinte, morgens vor 10 Uhr sei er zu Hause. Ich konnte den ganzen Tag an nichts andres denken, und es ist alles Unsicherheit und Unruhe. Da steht man wieder vor einer Frage und weiß nicht, was recht und unrecht ist. Das Richtige zu tun, ist ja gar nicht schwer auf der Welt, nur das Richtige zu erkennen. Wüßte man mit absoluter Sicherheit, was das Wahre ist, wer würde noch in das Unwahre verfallen!
7. April. Ich war so erkältet, daß ich zu Bett blieb. Im andern Zimmer lag Günther ebenfalls zu Bett an Röteln, dabei wurde bei mir und im Salon gepackt, und draußen regnete es in Strömen. Der Straßenlärm, das Klingeln im Hotel und das unaufhörliche Knistern des Papiers beim Packen machten mich ganz nervös und unglücklich. Wieviel solcher unbehaglicher Packzeiten habe ich schon durchgemacht. Mir ist manchmal, als bestände mein ganzes Leben in Vorbereitungen für Reisen, die ich nie zu machen wünschte, an Orte, die ich nie sehen wollte.
8. April. Edmund fuhr um ½ 12 zur Audienz beim Kaiser und da es so sehr lange dauerte, hoffte ich so sehr, daß er mit etwas Gutem heimkehren möchte, und ich betete so sehr darum, daß dieser Kelch an uns vorüberginge. Als Edmund wiederkam, waren seine ersten Worte: »Ich habe gar nichts über uns sagen können, aber es war sehr interessant!« Der Kaiser soll in größter Eile gewesen sein, weil er so lang mit einem Professor über die Wiedererbauung der Saalburg gesprochen hatte. Er sagte: »Na, Heyking, Sie wollen auf ›Wilhelm dem Großen‹ fahren, das ist ein gutes Schiff. Sagen Sie Holleben ganz persönlich von mir, daß der Burenkrieg von den amerikanischen Wahlen abhängt, denn wenn Mc Kinley gestürzt wird und die demokratische Partei siegt, so werden die Amerikaner intervenieren, und das wäre doch sehr wünschenswert. Versichern Sie Porfirio Diaz meiner besonderen Hochachtung und tun Sie alles, was Sie können, um ihn zu stärken. Vielleicht fällt Ihnen etwas Besonderes dafür ein. In 20 bis 30 Jahren wird es doch zu einem Kampf zwischen denen und Nordamerika kommen, und wir müssen sie stärken, um uns den Markt offenzuhalten. Wenn Sie kulturgeschichtlich etwas für unsre Museen bekommen könnten, wären wir Ihnen sehr dankbar.«
Edmund war über diese wenigen Worte sehr froh. Natürlich haben S. M. Militärinstrukteure vorgeschwebt, und darauf muß man nun suchen hinzuarbeiten. Edmund will an S. M. direkt über die nordamerikanischen Dinge schreiben.
11. April. Nachmittags bei Covarrubbias, die uns eine herzbeklemmende Schilderung von Mexiko machten, wie ungesund es sei und wie entsetzliche Schwierigkeiten das ganze Leben dort böte. Edmund und ich waren ganz herunter, ich rettete mich in mein Bett und las ganz neue deutsche Dichter. Wie gut, daß jedem sein Opium wächst!
12. April. Heut besuchte uns Goldmann, der immer voller Sympathie ist. Er erzählte uns, daß er ein paarmal dies oder jenes versucht habe, über Edmund in die Blätter zu bringen, aber Bülow habe mit den Journalisten eine Art Liebenswürdigkeitsring geschlossen, und alles, was im entferntesten nach einer Kritik Bülows aussehen könnte, sei nicht in die Blätter hineinzubringen.
15. April. Ein grauer, trüber Ostertag. Edmund sieht Mexiko etwas heiterer an, seitdem er von dort ganz zivilisierte englische Zeitungen gelesen hat. Ich erhielt von Mistral Empfehlungskarten an Anatole France und an Henry de Régnier. Nachmittags letzte Abschiedsbesuche. Wenn man hier in Berlin ganz unabhängig leben könnte und nur mit ein paar gescheiten Menschen verkehrte, würde es ganz nett und anregend sein. Aber an diesen Winter denke ich wie an eine große Strapaze zurück. Meine ganzen Interessen liegen in einer total andern Richtung. Zuletzt noch zum Klausner Onkel Grimm, den wir endlich einmal zu sehen bekamen. Er sieht elend aus, aber sobald er ins Sprechen kommt, ist er voll Geist wie immer. Auch das wird alles bald zum Vergangenen gehören. Von dort ins Lessingtheater; wir bekamen noch die zwei letzten Billetts, um die Sorma in dem entsetzlich quälenden Stück »Nora« zu sehen. Dort trafen wir Varnbülers, die sehr freundschaftlich waren. Ich merke überhaupt, wie schlecht es uns geht, auch daran, wie freundlich viele Menschen gegen uns sind, denn quoiqu'on en dise, man hat mehr Freunde im Pech wie im Glück. Dies sage ich nicht aus einer optimistischen Auffassung des menschlichen Charakters, ganz im Gegenteil – es macht den meisten Leuten viel mehr Spaß, bemitleiden zu können, als beneiden zu müssen. –
17. April. Obschon es unser Abreisetag war, mußte ich den Vormittag liegen bleiben, weil ich so rasende Kopfschmerzen hatte. Auch der Nachmittag ging wie im Halbtraum vorbei. Ich war eigentlich ganz dankbar, mich so elend zu fühlen, denn wir waren schließlich auf der Bahn, ohne recht zu wissen, wie. Wir stiegen ein und sahen auf dem Perron die Gesichter der Kinder – – und dann verschwand alles im Dunkel – es war vorbei! – und wir fahren wieder hinaus ins Weite. Wenn es nur den Kindern gut geht! Und möchten sie doch ruhigere Leben wie wir haben. – –
18. April. Die Fahrt durch das Konkurrenzländchen Belgien frappierte mich sehr. Es ist so enorm bebaut, und eigentlich steht eine Fabrik neben der andern. Es regnete noch immer in Strömen, wie die letzten drei Monate in Berlin, aber nach der französischen Grenze wurde es schön, und wir fuhren schließlich bei herrlichstem Sonnenschein nachmittags in Paris ein.
19. April. Es ist eine Wonne, diese heitere, sonnige Stadt wiederzusehen, mit den vielen Leuten, die zu leben scheinen nicht irgendeines tragischen Fluches halber, sondern um das Leben zu genießen. Ich fuhr morgens aus, um Mistrals Empfehlungsbriefe bei Anatole France und Henry de Régnier abzugeben. Anatole France wohnt in Villa Said 5., so bekam ich die Avenue du bois de Boulogne zu sehen, mit all den Reitern, den schönen Häusern und knospenden Bäumen. Ich wartete auf Anatole France in einer netten kleinen Halle voll alter Kuriositäten, aber leider war er krank, so daß ich ihn nicht zu sehen bekam. Régnier ist in Amerika. Ich fuhr dann noch zur Redaktion der »Revue blanche«. Monsieur Felix Fénélon und noch ein andrer Herr empfingen mich aufs liebenswürdigste und sagten mir, meine Gedichte hätten hier sehr gut gefallen. Es war ganz anders, als ich mir einen Redaktionsbesuch vorgestellt hatte, so behaglich und freundschaftlich. Ich las ihnen noch einige neue Gedichte vor, und sie wollen sie herausgeben, sowie ich einen Band zusammen habe. Außerdem aber sagten sie mir, daß sie auch sehr gern Blätter aus meinem chinesischen Tagebuch herausgeben würden, und forderten mich auf, ihnen einen Roman, der in Berlin spielen sollte, zu schreiben. Wir besprachen alles gründlich, und der ganze Besuch war ein succès complet.
21. April. Tagsüber in der Ausstellung, die mir lange nicht so imponiert, wie die letzte. Alles noch unfertig, furchtbarer Staub und trotz der großen Ausdehnung verbaut und crowded up, so daß eine Sache die andere verdeckt und man die Plätzebestechung wittert. Abends holte uns Herr Wolf vom Berliner Tageblatt ab. Mit ihm fuhren wir in das Cabaret des Quatre Arts in Montmartre. Interessantes Lokal. Die Wände sind bedeckt mit Karikaturen von Léandre, die Sänger Leute, die ihre Lieder und Gedichte meist selbst machen, die Sujets politischer und sozialer Art. »Inauguration du Pont Alexandre III«, »Complainte des petit déménagements«. Von da noch in zwei Cabarets »Le ciel« et »L'enfer«, die Kellner als Engel resp. Teufel travestiert, in dem ersten eine Art Abendmahltisch, in dem zweiten wurden die Herren als »cocus«, wir als »belles impures« betitelt. Von da auf den Platz, wo der Moulin rouge ist und dann zum Schluß soupiert bei Maxim, wo zahllose aufgedonnerte Kokotten waren. Es mißfiel mir sehr, aber weniger die armen Frauenzimmer, als die Männer, die da ihre Nächte zubringen.
22. April. Zum Tee bei Funck-Brentanos. Er ein reizend gescheiter alter Herr, die Frau sehr lieb, aber am nettesten die Tochter Claudine, die sehr schön dichtet. Diner bei Münster mit seinem Neffen Groeben, Schlözers, Asseburgs und Bassewitz. Münster erzählte, die Russomanie der Franzosen sei sehr abgekühlt, der Haß gegen die Engländer sei dagegen in fortwährendem Zunehmen.
23. April. Wir dinierten bei Mme. St-Cère, mit Braun und Gautier vom »Figaro.« Es war ein reizend amüsantes Diner in einem winzigen Zimmerchen mit einem kleinen parfum de bohème.
25. April. Morgens von der Gâre St. Lazare ab auf dem Norddeutschen Lloyd-Extrazug nach Cherbourg. Ich hatte so Kopfschmerzen, daß ich den Abschied von Europa kaum merkte. Um 3 Uhr 30 in See gegangen. Ginge es nur auf einen guten Posten, ich würde Europa nicht regrettieren! –