Elisabeth von Heyking
Tagebücher aus vier Weltteilen
Elisabeth von Heyking

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Indien (Kalkutta)Sämtliche indische Orts- und sonstige Namen sind in der von Elisabeth von Heyking verwendeten englisch-phonetischen Schreibweise wiedergegeben, da bei einer Übertragung in deutsch-phonetische Schreibweise ganz fremdartige Wortgebilde entstanden wären.

Juni 1889 bis April 1893

22. Juni mittags kamen wir in RigaDie letzten Wochen des ersten Urlaubs verbrachten Heykings in Kurland, um die baltischen Verwandten, die Elisabeth großenteils noch nicht kannte, zu besuchen. an, wo wir von Edmunds Eltern erwartet wurden. Nachmittags machten wir eine Ausfahrt in Onkel Percys russisch bespanntem Wagen über die merkwürdige Floßbrücke, die über die Düna führt.

24. Juni fuhren wir auf Onkel Percys Gut Abgulden, das früher den Herzögen von Kurland gehörte und an einem See von Wald umgeben liegt. Die Stille und den Wald genossen.

29. Juni. Nach Mitau gefahren, das sehr unansehnlich ist, ein breitgezogenes Valparaiso, jedenfalls Ähnlichkeit im Pflaster! Unterwegs das herrliche Schloß in Ruhenthal gesehen, mit wundervollen Rokokozimmern. Das Schloß gehörte dem letzten Herzog von Kurland, kam dann an Rußland, ward von Katharina an ihren Günstling Zuboff geschenkt, der sich dort vergiftete, als Katharina seine Heirat mit einer Polin erfuhr und ihn nach Petersburg berief. In dem Zimmer, in dem er starb, hängt sein großes Porträt und gegenüber das von Katharina. Abends kamen wir in Weiß Pomusch an und waren sehr entzückt von der ganzen Behrschen Familie.

30. Juni. Sehr netter ländlicher Sonntag. Kleiner Familiengottesdienst. Flußbad. Nachmittags im Heu.

17. Juli nach Dünaburg abgereist, dort eine Fahrt durch Festung und Stadt gemacht. Letztere ist wohl das Trostloseste und Verkommenste, was ich je gesehen; die breiten, holprigen Straßen, die elenden, niedrigen Häuser, die schmutzigen, gutmütig vertiert aussehenden Leute sind Bilder, recht für Fieberphantasien geschaffen. Besonders traurig sah ein kleines, graues Dorf am Ufer der Düna aus, all die Häuserchen schienen sich aus Weltschmerz ins Wasser werfen zu wollen. Die ganze Fahrt war höchst seltsam. Der kleine schmutzige Wagen mit einer Fußdecke, auf der man noch einige Heilige entdecken konnte, der gesprächige Kutscher, der uns erzählte, »es ließe sich nicht bestreiten, es gäbe viele Einwohner in Dünaburg«, die nassen Wege, die weite, trostlose Fläche, der bleigraue Himmel, der scharfe Wind, die Melancholie und Hoffnungslosigkeit, die wie ein schwerer Traum über alles gebreitet schien, werden mir immer unvergeßlich bleiben. Rührend war es, an den Fenstern einiger ganz elender Holzhäuschen Blumentöpfe mit kümmerlichen Pflänzchen zu sehen. Der Ausdruck der Sehnsucht nach dem Schönen inmitten der größten Armut und Häßlichkeit. Wie trostreich wäre doch der Glaube, daß es für alle die, welche unter der Schönheitsleere des Lebens leiden, ein schönheitsreiches Jenseits geben wird.

4. September Es wird uns sehr zugeredet, uns hier anzukaufen. Ich bin recht perplex, was ich Edmund raten soll. Unsre Karrierechancen sind ja recht schwach, und es ist sehr deprimierend, sich zu sagen, daß alle ernstgemeinte Arbeit der letzten vier Jahre nur dazu geführt hat, daß uns jetzt SingaporeAm 16. August war Heyking das Generalkonsulat in Singapore angeboten und von ihm abgelehnt worden. angeboten wird. Aber andrerseits erscheint es mir beinah kleinmütig, so alles aufzugeben, und das Leben nachher kommt mir so ohne Streben und Ziel vor. Edmund ist in diesen Tagen und unter diesen Menschen ja viel heiterer und zufriedener, als ich ihn je früher gesehen, und ich würde meine persönlichen Neigungen gern dafür opfern, ihn immer so zu sehen, aber es ist mir eben fraglich, ob er so zufrieden bleiben würde, wenn er immer hier lebte. Es würde ihm doch vieles fehlen, denn das Leben auf einem hiesigen Gut ist einförmiger und einfacher, als er es seit langem gewöhnt ist. Dazu kommt, daß er doch bisher gar kein Interesse für Landwirtschaft hat, und zu vielen Reisen würden unsre Mittel auch nicht reichen. Mir gehen all die Gedanken wie Räder im Kopf herum. Ich möchte so gern das Beste für Edmund und Teddychen finden. Ich habe so viele Wünsche für den Jungen und kann ihn mir so gar nicht in diesem Lande vorstellen, wo die Menschen mir so zwecklos erscheinen, wo sie in fortwährender Opposition leben und sich mit keinem großen Ganzen eins fühlen. Es wäre eine solche Enttäuschung, wenn Alfredino nur ein baltischer Baron mehr würde.

6. September. Wir kamen todmüde in Dorpat an; es ist eine entsetzlich gepflasterte, hügelige Stadt, auf dem Hauptplatz stehen große, alte adelige Häuser. Ich mußte innerlich lachen, als mir einfiel, daß es früher einmal mein Cauchemar gewesen ist, nach Dorpat zu kommen. Sollten wir uns hier ankaufen, so würde eine Fahrt nach Dorpat zu den großen Rekreationen des Lebens gehören. Manchmal frage ich mich, wie es mir hier auf die Länge behagen würde. Sehr einleben werde ich mich wohl nirgends mehr, dazu fühle ich mich zu alt und habe zu sehr die Erfahrung des Episodenhaften im Leben gemacht. – Ich lernte eine Baronin Wolff kennen, die mir meine Eindrücke von hier bestätigte. Man wird als Fremde sehr freundlich aufgenommen, aber man bleibt fremd und wird als solche von der Gesellschaft angesehen, die ganz in sich abgeschlossen ist und Fremde gar nicht will. Es dauert auch sehr lange, bis man sich durch seine Persönlichkeit eine Stellung macht, denn jeder ist hier mit sich und seinen Verwandten viel zu sehr beschäftigt, um auf einen andern viel Aufmerksamkeit zu verwenden. Im ganzen merkt man sehr, daß es ein Land ist, in dem sehr selten Fremde reisen.

8. September. Baron Staël sagte mir, daß wir uns wegen des uns angebotenen Gutes entscheiden müßten. Ich dachte während der Nacht viel daran und betete sehr, daß wir eine günstige Nachricht aus Berlin bekommen und Edmund sich nicht in einem momentanen Dépit zu einem übereilten Schritt fortreißen lassen möchte.

9. September. Briefe aus Berlin erhalten, daß Herbert Bismarck Edmunds Bitte erfüllt hat, und er nach NizzaUm nicht nach Valparaiso zurückzumüssen, hatte Heyking gebeten, ihn vertretungsweise nach Nizza zu schicken. kommen soll. Wir müssen ja dankbar sein, daß man Edmunds Bitte gleich berücksichtigt hat, aber mir wird es doch nicht leicht, denn es ist ein zu erbärmliches Pöstchen, und ich habe noch nicht verlernt, für Edmund ehrgeizig zu sein. Edmund meinte, er schäme sich, nach Singapore zu gehn, ich dagegen schäme mich hierüber, weil es doch zu sehr ein Rückschritt ist. Was mir die Sache noch erschwerte, war, daß wir gleichzeitig hörten, Kalkutta sei frei geworden. Ich wäre so stolz gewesen, wenn Edmund dort Generalkonsul geworden wär. Edmund ist mir hier ganz fremd geworden, hat gar nicht mehr das Bedürfnis, sich mit mir auszusprechen. Ich bin aber dankbar, daß er überhaupt im Dienst bleibt, und daß er mich jetzt nicht nötig hat, ist vielleicht nur ein Zeichen, daß er sich sehr glücklich fühlt.

11. September. Edmund sprach mit seinen Eltern über Nizza, die sehr erfreut über die Berufung waren. Kein Mensch hier scheint für die Schattenseiten der Stellung, d. h. die Bedeutungslosigkeit, irgendwelches Verständnis zu haben. Unterwegs sprachen wir über Geldeinrichtungen in Nizza und realisierten zum erstenmal so recht, wieviel wir in Valparaiso von unserm Vermögen verloren haben.

24. September. Ein Telegramm von Kiderlen, ob er Edmund für Kalkutta vorschlagen soll! Ich war in fieberhafter Aufregung und Edmund ganz ohne Besinnen dafür, »Ja« zu sagen, er ging noch in der Nacht zum Telegraphenamt. Wir sprachen dann die ganze Nacht zusammen und waren so glücklich, dankbar, wie seit Jahren nicht. Es ist so lang mein Herzenswunsch gewesen, daß Edmund Anerkennung und Erfolg haben möchte. Er hat mich so oft gedauert. Ich habe dem lieben Gott von ganzem Herzen gedankt.

28. September in Berlin angekommen.

7. Oktober. Edmund sprach Herbert Bismarck, der sehr freundlich war und ihm sagte, Kalkutta sei ein politisch sehr wichtiger Posten.

18. Oktober. Abends endlich die Bestätigung vom Kaiser erhalten, nachdem wir während der letzten Tage in entsetzlicher Aufregung gewesen, ob nicht schließlich doch noch etwas im letzten Moment dazwischenkommen würde. Tags zuvor den Abend bei Gerlichs in Potsdam zugebracht, die viel Erfreuliches über Kalkutta erzählten, deren Hitzeschilderungen uns aber doch einigermaßen ängstlich stimmten.

November. Während allen Einpackens für Kalkutta kam am 12. die Mitteilung, daß Onkel Grimms Bruder gestorben sei. Inmitten all des bustles of life war es so recht ein Erinnern, daß alle Lebensepisoden doch nur Stationen zu dem einen bestimmten Ziele sind. Alles scheint unwahr und vorübergehend, das ist das einzig Wahre und Bleibende. Bei dem Gedanken, was jeder in diesen letzten Tagen und Stunden zu leiden haben wird, ergreift mich immer ein tiefes Weh. Das ganze Leben sollte ein einziges Betätigen des Mitleids sein; wie wunderbar inkonsequent leichtsinnig sind wir doch, daß wir das alles so vergessen können, gegen andre oft so hart sind und uns um so vergängliche Dinge oft so agitieren.

24. November. Edmund morgens nach LondonUm Informationen für den neuen Posten einzuholen, der der Botschaft in London unterstellt war. abgereist, ich schrecklich traurig. Eigentlich sollte ich mit den Kindern nach Ägypten vorausfahren, der Kurier war schon da, die Schiffsplätze bestellt, aber im letzten Moment war es mir doch unmöglich, so weit von ihm fortzugehen.

6. Dezember. Mittags bei wundervollem Sonnenschein in Genua eingetroffen. Abends kam Edmund von London, gottlob ganz gesund.

9. Dezember. An Bord der Habsburg gegangen.

16. Dezember. Ganz früh endlich in Port-Said angekommen und uns gleich sehr an den orientalischen Gestalten amüsiert, die uns dabei ganz bekannt vorkamen. Wir fuhren mit einem kleinen Dampfer den Kanal herauf bis Ismailije; an einer Station stiegen wir aus und beide Kinder ritten zum erstenmal auf Dromedaren, die da mit Beduinen lagerten. Teddy war herrlich mutig und fühlte sich sehr männlich selbständig. Von da fuhren wir per Bahn nach Kairo. Die Gegend ist nicht hübsch, aber amüsant für uns durch die Bevölkerung, die würdevollen Kamele, die zerbröckelnden Lehmhäuserchen im Stile der chilenischen. Nachmittag in Kairo eingetroffen.

17. Dezember. Schon das Heraustreten morgens früh auf den Balkon ein wahres Vergnügen, der Himmel so blau, die Luft so belebend, über allem ein Schimmer von Sonne und Freude. Man fühlt sich jung und froh, und in einem Winkelchen des Herzens wacht der längstvergessene Kinderglaube auf, daß man doch zu etwas ganz besonders Glücklichem bestimmt ist ... Mit Edmund, Fräulein BelowSeit 1889 als Erzieherin der Kinder, später als Gesellschafterin und Vertraute bis zum Tode Elisabeths 1925 im Heykingschen Hause. und den Kindern zu den Pyramiden gefahren. Wunderschöner Blick von der Nilbrücke. Der breite Fluß mit den schrägsegeligen Booten, die vielen Palmen am Ufer, unter denen sich die elenden braunen Lehmhäuschen verkriechen. Dann vom jenseitigen Ufer der Rückblick auf die Stadt mit gärtenumgebenen weißen und roten Palästen, und im Hintergrund die so traumhaft aufragende Zitadelle und Moschee, daß wir sie anfänglich für eine Fata morgana hielten. Die Pyramiden selbst erschienen mir weniger großartig, als ich sie erwartet hatte, um so mehr imponierte mir die Sphinx mit ihrem armen verstümmelten schwermütigen Gesicht und ihren großen biederen Tatzen, zwischen denen noch die Reste eines Tempelchens stehen. Am Nachmittag fuhr ich durch die Muski, wo das Volksleben wirklich bewildering ist, um so mehr, als gerade ein großes Fest stattfand. Manche Straßen waren ganz mit Teppichen überdacht, und unzählige Laternen und rote Tücher mit Stern und Halbmond hingen herab. Dazu wimmelte es von sonderbaren Gestalten, und die Straßen waren so eng, daß man mit jedem Schritt der Pferde einige zu erdrücken meinte. Später fuhren wir noch nach Gezireh, dem hiesigen Bois, und sahen das diplomatische Korps. Das Leben in Kairo scheint sehr amüsant, aber auch sehr futil zu sein.

18. Dezember. Leider mußten wir fort und nach Ismailije zurück. Dort angekommen, gleich durch die Stadt gebummelt. Ein südliches Dünaburg, so trostlos elend und öde. Dazu ein ganz verfallenes khediviales Schloß, welches zur Suezeröffnung sehr luxuriös erbaut worden ist und aus dessen jetzt scheibenlosen Fenstern einst Kaiserin Eugenie und Kronprinz Friedrich herausgeschaut haben.

19. Dezember. Mittags schifften wir uns auf dem »Peninsular« ein. Sehr schönes großes Schiff, luftige Kabinen. Die Gesellschaft fein mittel.

21. Dezember. Die Hitze ganz angenehm; erste Bekanntschaft mit den Punkas

24. Dezember. Abends Aden. Nettes Weihnachtsbäumchen für die Kinder.

29. Dezember. Morgens ganz früh in Bombay angekommen. Wir fuhren zuerst an schönen öffentlichen Gebäuden vorbei, die in ihrer Bauart mich sehr an Venedig erinnern. Dann an der See entlang nach Malabar Hill. Die Vegetation fanden wir im Vergleich mit Rio verstaubt und nicht sehr luxuriant; aber höchst interessant sind die Menschen, die man sieht. Besonders entzückten mich die schönen schlanken Frauen mit ihren malerischen Draperien und silbernen Spangen an Armen und Füßen. Reizend sind auch die ganz nackten braunen Kinder.

30. Dezember. Edmund und ich machten morgens einen Gang nach den »towers of silence«. Es ist der Ort, wo die Parsen ihre Toten von großen Geiern zerfleischen lassen. Sehr schöne Mondscheinfahrt mit Edmund, der aber in zu verkribbelter Stimmung ist, um alles so wie ich zu genießen. Wie alle indischen Kutscher wußte auch unsrer den Weg nicht, so daß noch the pleasant excitement hinzukam, to wonder if we should arrive at the right place or somewhere else.

1. Januar 1890. Morgens ganz früh aufgestanden und zu einer Parade gefahren. Ein native Regiment interessierte uns dabei besonders, und wir fanden, daß die braunen Kerle sehr gut aussahen. Die native Officers dauerten uns, denn sie sollen von den englischen Offizieren sehr schlecht behandelt und nicht einmal gegrüßt werden. Es machte aber doch einen seltsamen Eindruck, die sehr wenigen Engländer dieser Menge von Natives gegenüber zu sehen. Von da fuhren wir in die Basare. Das Leben dort ist wirklich unbeschreiblich bunt und interessant; die Menschen haben etwas faszinierend bunt Geheimnisvolles; man möchte immer mehr von ihrem eigentlichen Leben wissen und herausstöbern. Dabei sind sie still und würdevoll und machen einem sehr respektvoll Platz. Wir gingen besonders in Perlenläden, wo wir wahre Schätze sahen. Läden in unserm Sinne sind es nicht, sondern man tritt in ein Zimmer, wo sechs bis acht Kerle hocken, die man für Bettler halten würde, and they handle about millions worth of jewellery. Wir waren auch in den langen bedeckten Basaren, wo die Manchester Goods verkauft werden. Jeder Händler sitzt in einer Art kleinen Loge und unterhält sich friedlich mit seinen Nachbarn. Konkurrenz und Haß wie bei uns und Rivalität kennen sie nicht. Jeder verkauft zum selben Preis. Durch all das Menschengewühl schreitet manchmal eine heilige Kuh, die die Eingeborenen berühren und davon allerhand Heil erwarten. Auch bei Mosaik- und Schnitzereiarbeitern waren wir und bei Silberschmieden, welche aber anfangen, zu sehr in englischem Geschmack zu arbeiten. Herrn P.s Führung war uns Gold wert, denn er versteht es sehr, mit den Eingeborenen umzugehen, welche, sowie ein Europäer gegen sie freundlich ist, wissen, daß es kein Engländer ist.

5. Januar. Morgens früh in Allahabad angekommen, von wo ab die Gegend etwas hübscher wurde; bis dahin hatte es recht nach Lüneburger Heide ausgesehen. Jetzt sah man reich bebautes Land, mit hübschen Mangobaumgruppen, so daß es etwas wie ein englischer Park wirkte. Zwischen den Feldern laufen kleine Kanäle, in welche die Eingeborenen aus niedriger gelegenen Tanks das Wasser in Strohsäcken emporheben.

6. Januar. Morgens um 5 endlich in Kalkutta angekommen, wo wir von Konsul Becker und Dr. Solf empfangen wurden. Wir fuhren gleich ins Generalkonsulat, das sehr schön gelegen ist, wo aber leider kein Platz für die Kinder ist. Ich machte mich gleich auf Boardinghouse-Suche auf mit Dr. Solf. Die Straßen, die ich dabei sah, sind alle baumbepflanzt, die Häuser liegen in Gärten und sehen wie alte verlassene süditalienische Paläste aus. In der Nacht wurden wir beinah aufgefressen von Moskitos. Unser augenblickliches Kampleben ist sehr komisch.

7. Januar. Auf den Maidan gefahren, wo ein großes llluminationsfest zu Ehren des Prinzen Albert Victor von Wales stattfand. Wir sahen es ganz als Touristen und waren von dem Effekt sehr entzückt. Längs des Weges waren alle Bäume mit italienischen Lampions behangen, alle offiziellen Gebäude mit kleinen ölgefüllten Gläsern besetzt, und der Effekt war, daß die Gebäude gegen den Himmel ganz zu verschwinden schienen und nur eine Art Feuergerippe stehen blieb. Am schönsten machte sich ein ganz phantastisches, aus Bambusstäben zusammengesetztes Schloß, ebenfalls über und über mit solchen Öllämpchen behangen, das sich in einem Teich widerspiegelte. Das Interessanteste aber waren natürlich die Natives; die Ärmeren draußen auf dem Maidan und die Vornehmeren in der Enceinte. Jeder einzelne ein malerisches Bild, ob er nun Cotton oder goldgestickte Gewänder trägt. Edmund und mich frappierten sehr die Römergesichter, welche viele Bengalen haben, und die durch die togaartigen Draperien noch besonders hervortreten.

8. Januar. Als Edmund und ich uns anschickten, morgens früh auszugehen, erhielten wir die Nachricht, daß die alte Kaiserin gestorben sei. Edmund fuhr gleich zur Herzogin von Connaught, die ihn bei dieser Gelegenheit dem Prinzen Victor Albert vorstellte. Die Herzogin entschloß sich, Garden-party und Ball nicht zu besuchen, worin wir ihrem Beispiel folgten.

9. Januar. Mittags zur Lady Bayley gefahren, der Frau des Lieutenant Governors, eine liebenswürdige einfache Frau. Etwas entsetzt gewesen über Geschmacklosigkeit der Damen, die zu ihr zu Besuch kamen. Nachher zum Governmenthouse zum Lunch. Lord und Lady Lansdowne sind beide sehr liebenswürdig. Der ganze Zuschnitt des Hauses sehr hofmäßig großartig, die Räume lauter säulengetragene Hallen, in denen sich die native Diener mit ihren roten Röcken sehr gut machen. Es wurde an drei Tischen serviert und wir saßen an dem des Vizekönigs mit Lady Lansdowne, Herzog und Herzogin von Connaught, Prinz Albert Victor, Lord W. Beresford. Ich saß neben dem Vizekönig und Lord B. und unterhielt mich mit beiden sehr gut. Edmund unterhielt die Herzogin mit Berliner Witzen, was sie offenbar sehr goutierte... Abend war noch eine große Reception im Governmenthouse, bei der besonders viel native Fürsten waren in herrlichen Trachten und bedeckt mit wundervollem Schmuck. Wir konnten den Prinzen Albert Victor sehr beobachten und er gefällt uns beiden immer besser; er hat Ähnlichkeit mit unserm Kaiser. Wir waren sehr befriedigt von unserm ersten gesellschaftlichen Tag.

12. Januar. Morgens nach einer Vorstadt gewandert, um den Tempel der Göttin Kali zu sehen. In den engen Straßen um den Tempel viel merkwürdiges Leben. Reizende nackte Kinder und halbwüchsige Mädchen in bunten Draperien mit intelligenten Ziegengesichtern. Am Eingang eines Tempels kauerte ein opiumrauchender Fakir. Zum Schluß besahen wir uns noch den Kalighat, dies ist eine Treppe, die zum Gangeskanal hinfährt und wo gebadet wird. Während wir auf den Wagen warteten, der natürlich nicht da war, sprachen wir mit einem sich für einen Brahmanen ausgebenden Manne. Er wußte von Deutschland, daß dort Sanskrit gelehrt wird, und erzählte uns, er sei in einem Missionary-house erzogen worden, habe dreimal die Bibel gelesen, sei aber schließlich doch bei seinem Glauben geblieben. Die Protestanten lehrten, daß Christus Gottes Sohn sei, aber wir alle seien ja Söhne Gottes.

19. Januar. Eine hübsche Fahrt auf dem Hugli bis zum botanischen Garten, der sehr schön ist. Besonders fiel mir ein Riesenbanyanbaum auf, dessen von neuem wurzelschlagende Zweige einen kleinen Wald bilden.

23. Januar. Erste Hindostanistunde. Im Governmenthouse diniert. Ich saß neben dem Vizekönig, mit dem man sich sehr gut unterhält. Nachdem Tanz. Es ist eine leere frivole Welt. Die Männer arbeiten viel, aber the ladies keep themselves going by having always some dissipation on hand. Ich hatte ein langes Gespräch, in dem mir erzählt wurde von einer neuen religiösen Richtung in Indien, die dem Christentum sehr nahe kommt.

1. Februar. Nachmittags einen Vortrag von Reverend Gore gehört, über die Hindu-, mohammedanische und christliche Vorstellung von Gott. Das Publikum, aus lauter BabusBabu oder baboo ist der Sammelname für alle jene Indier, gewöhnlich aus Bengalen stammende Eingeborene, die es zu einer gewissen Bildungsstufe gebracht haben. Der Bengali baboo bevölkert alle Büros in Indien, ohne den baboo wäre das heutige Indien undenkbar. bestehend, war sehr interessant, so kluge ungläubige Gesichter. Mit dieser Art Vorträgen wird aber schwerlich viel Bekehrung gemacht werden. Meiner Vorstellung von Gott nach ist es ihm aber auch ganz einerlei, ob wir Hindus, Mohammedaner oder Christen sind.

7. Februar. Grisbach kam zu uns und erzählte sehr interessant von Afghanistan, wo er zwei Jahre im Dienst des Emir gestanden hat. Es herrschen dort noch ganz patriarchalische Zustände. Jeder gewöhnliche Arbeiter kann zum Emir hereinkommen, setzt sich zu ihm, trägt ihm seine Angelegenheiten vor und ruft ihn zum Richter an. Gegen Rebellen soll der Emir sehr hart sein; er läßt sie vor Kanonen binden, gibt den Befehl zum Feuern kühl lächelnd und unterhält sich dann über irgendeinen Gegenstand; besonders soll er es lieben, sich über europäische Länder erzählen zu lassen.

26. Februar. Mittags mit Edmund von Kalkutta abgereist. Wir fuhren zuerst durch jungleartige Vorstadtgärtchen, in denen nette kleine Babu-Sonntaglandhäuschen versteckt lagen. Abends kamen wir an den Ganges und gingen über eine seltsame Bamboobrücke bis zum Dampfschiff, auf dem wir im Mondschein übersetzten.

27. Februar. Morgens bestiegen wir die ganz kleine tramwayartige Eisenbahn und begannen den 7000 Fuß hohen Aufstieg nach Darjeeling. Der Weg ist ganz entzückend durch die Fülle der Vegetation und die reizenden Rückblicke auf die dichtbewaldeten Abhänge und die ferne Ebene. Die Eisenbahn fährt dicht an der Landstraße entlang, auf der viel Leben herrscht. Wir beobachteten die verschiedenen Menschentypen: Gurkhas, Lepchas, Bhutias. Sie haben alle etwas freundlich Lustiges und etwas Familienähnlichkeit mit den Chinesen. Nachmittags trafen wir in Darjeeling ein, das von weitem etwas Fremdartiges hat. Ich fuhr per Rickshaw ins Hotel, in dem viel Leben herrschte, weil ein tibetanischer Gesandter mit großem Gefolge gerade da war. Unser großer Koffer wurde von einer kleinen stämmigen Bhutiafrau auf dem Rücken den steilen Berg hinaufgeschleppt.

28. Februar. Morgens früh sahen wir den Kinchinjunga ganz klar vom Fenster aus. Nach der Cordillera imponierte er mir aber nicht so, wie ich erwartet hatte. Wir besahen ein Bhutiadorf, einen Tempel mit Gebetmühlen und amüsierten uns über Gebetfahnen, die an jedem Haus an langen Bambusstäben angebracht sind. Die darauf geschriebenen Gebete sollen z. T. die bösen Geister abhalten, z. T. werden sie jedesmal, daß der Wind sie bewegt, von der Gottheit dem Stifter zugute gehalten.

3. März. Mittags wieder in Kalkutta angekommen. Die Luft erscheint uns sehr drückend nach der Eiseskälte in Darjeeling.

12. März. Mittags fuhr ich ins Governmenthouse, wo ich mit Lady Lansdowne zusah, wie der Vizekönig den Amban empfing, der von China gesandt ist, um die Sikkimfrage zu regeln. Lord Lansdowne saß auf einem Thron, der Amban ward auf einen silbernen Sessel neben ihn gesetzt, und die Konversation fand durch einen Dolmetscher statt. Wir Damen standen auf Sofas hinter spanischen Wänden und sahen alles sehr gut. Abends war ein großes Konzert im Governmenthouse. Ich saß neben Lady Lansdowne, so daß ich den dicken, fidel schmunzelnden Amban gut beobachten konnte, wie er sich mit seinem ganz kleinen Fächerchen fächelte. Sehr komisch war der Moment, wie er Lady Lansdowne zum Tee führen sollte und gar keinen Begriff hatte, wie ihr den Arm zu reichen, und immer ihrem Arm auswich.

14. März. Statedinner zu Ehren des Amban. Als wir halbwegs waren, fuhr der Amban an uns vorbei, und da er zum Konzert sehr viel zu spät gekommen war, bekamen wir Angst, selbst zu spät zu kommen, jagten, was wir konnten, und trafen als chinesisches Gefolge ein! Ich saß neben dem Vizekönig, so daß ich den Amban gut sah, der neben Lady Lansdowne gegenüber saß. Es war amüsant zu beobachten, wie er mit seinen winzigen Händchen und langen Nägeln die ihm neuen Eßutensilien handhabte. Er nahm von allem, wurde aber offenbar aus vielem nicht recht klug. Lord Lansdowne brachte die Gesundheit des Kaisers von China aus, die wohl noch keiner von uns getrunken hatte. Nach Tisch hatte ich ein langes Gespräch mit dem Zivilratgeber des Amban, den sie den tibetanischen Bismarck nennen. Er sagte mir schließlich, daß er sich sehr wünsche, als Gesandter nach Berlin zu kommen, dann würde ich hoffentlich auch da sein und bei seinen Diners präsidieren. Ich wurde nachher sehr damit geneckt, daß ich mit dem Chinesen eine Flirtation zustande gebracht hatte. Wir amüsierten uns alle über the self-possession der Leute und wie sie offenbar durchaus das Gefühl hatten, to be always just doing the right thing in the right moment.

18. März. Mittags kam ein Extrablatt, wonach Fürst Bismarck abgegangen sein soll, was uns sehr konsternierte. Man fühlt in solchen Momenten die Entfernung von Hause so sehr.

22. März. All die Tage eigentlich nur in Berlin gelebt und immer wieder nachgesonnen, wie das wohl passiert sein mag. Behüte Gott unser Land und lasse nicht seine große stolze Zeit schon vorüber sein! Viel an den letzten Aufenthalt in Berlin zurückgedacht und mich gefreut, noch mit all den Leuten zusammengekommen zu sein, die eine ganze Zeit repräsentieren. Viel auch über die eigne Zukunft nachgedacht, auf die diese Begebenheit vielleicht auch von Einfluß sein wird.

31. März. Die zweite Hälfte des Monats sehr still verbracht und mit allen Gedanken in Berlin gewesen. Sehr traurig und niedergeschlagen über Herbert Bismarcks Abgang, der uns immer ein treuer Freund gewesen ist. Viel gedacht an das letzte Gespräch mit Schweninger, der meinte, daß Herbert Bismarck keinen persönlichen Ehrgeiz habe. Edmund und ich sind in Sorge um das Ganze und auch um unser eignes Vorwärtskommen, denn Freunde, die sich für uns interessieren, haben wir jetzt im Auswärtigen Amt wohl keine mehr.

12. April abends von Kalkutta abgereist.Zum Sommeraufenthalt nach Simla, wohin das diplomatische Korps jedes Jahr übersiedelte, weil der Vizekönig dort den Sommer verbrachte. Heißer, angreifender Eisenbahntag, Staub, Schwüle, scheußliche Gegend. Abends in Umballa angekommen und von da per Dakhgharries nach Kalka weitergefahren, wo wir nachts um 2 eintrafen. Die Dakhgharries sind sargartige Wagen mit Schiebetüren, in denen man zu zweit ausgestreckt liegen kann. Ich fuhr mit Teddy, und die Fahrt amüsierte mich, besonders das schnelle Ein- und Ausspannen und das lustige Blasen der Postillone.

13. April. Früh um 6 von Kalka abgefahren in leichten, offnen Wagen. Der Weg ist amüsant durch das viele Volk, dem man begegnet, und die endlosen Reihen von Ochsenkarren, die alles nach Simla hinaufschaffen, aber er ist nur an wenig Stellen wirklich hübsch. Im ganzen öde, dürr und vegetationslos und erinnerte uns sehr an Chile. Simla selbst sieht man schon von weitem auf einem langgestreckten Bergrücken und an dessen bewaldetem Abhang liegen. Wir kamen nachmittags an und waren mit unserm Häuschen sehr zufrieden. Es liegt auf einem Hügelchen, von Föhren umgeben, und hat etwas altmodisch Behagliches.

21. April. All die Tage arbeiteten wir an einer Menge Berichte fürs Auswärtige Amt.

1. Mai. Die ganze Zeit krank und Heimweh wie noch nie gehabt. Viel für Edmund abgeschrieben, der sehr viel zu arbeiten hat und den ich sehr wenig mehr zu sehen bekomme.

24. Mai. Den Geburtstag der Königin gefeiert; Edmund ging zum Statedinner und zum Lever. Währenddem hatten wir Garten und Haus illuminiert. Vom Balkon hing die Flagge herab. Der Effekt der großen weißen Fahne mit dem eisernen Kreuz war höchst malerisch gegen den nächtlichen Himmel von dem flackernden Licht der Illumination erhellt. Die braunen, weißbeturbanten Diener hielten oben und unten die Fahne und sahen recht wie Bilder aus.

16. Juni. Nachts begannen »the rains« mit großer Vehemenz. Viel gemalt und ausgegangen und das Regenwetter sehr genossen, das Simla entschieden sehr verschönt. – Die afrikanische Abmachung hat uns sehr betrübt, und wenn man sieht und hört, wie Leute, die Afrika wirklich kennen, darüber denken, kann man sich der Empfindung nicht erwehren, daß unsre Schicksale kopfloser wie früher geregelt werden und daß diese Abmachung noch einmal sehr bedauert werden wird. Edmund erhielt einen sehr netten Brief von Herbert Bismarck. Kairo ist noch immer unbesetzt und trottet uns im Kopf herum. Aber es ist überflüssig, daran zu denken; es gibt zu viele, die bessere Rechte als wir darauf haben. Wir haben ja auch allen Grund, für Indien dankbar zu sein. – Sir Robert Sandemann, der König von Beluchistan, war in dieser Zeit in Simla und lieferte Edmund Stoff zu einem interessanten Bericht. Ce n'est pas du reste ce que nous manque, und wenn man nur immer gesund bliebe, wäre wenig am hiesigen Posten auszusetzen. Wir haben aber auch gesellschaftlich eine Ausnahmestellung und sind, glaube ich, beide beliebt. Die so undemonstrativen Engländer sagen uns oft, daß sie sich freuen, daß man gerade uns hierher geschickt hat. Vielleicht ist es dank dieser Beliebtheit, daß Edmund hier so viel in Erfahrung bringt; hauptsächlich durch höhere Offiziere, die aber überhaupt eine viel freiere Art sich auszusprechen haben wie unsre Offiziere, und untereinander, von Vorgesetzten zu Untergebenen, herrscht ein viel ungezwungenerer Ton als bei uns.

August. Einen reizenden Brief von BrauerArthur von Brauer, damals Badischer Gesandter und Bevollmächtigter zum Bundesrat in Berlin. erhalten, welcher schreibt, daß man in Berlin sehr mit Edmund zufrieden sei. B. scheint es für möglich zu halten, daß man Edmund zum Gesandten in Tokio machen würde. Wir waren beide ganz starr. Wie würde sich Edmunds Vater freuen, der noch in seinem letzten Brief schrieb, es sei sein großer Wunsch, zu erleben, daß Edmund Gesandter würde. Merkwürdigerweise erhielt ich mit Brauers Brief einen von Reinhold Stael, die zwei Menschen, die immer bei großen Entscheidungen in unserm Leben auftreten.

3. August. Ein sehr nettes Diner bei Sir F. S. Roberts mitgemacht, wo der Vizekönig war und wir Sir Robert Sandemann trafen. Ein gescheiter, liebenswürdiger Mann. Man sagt, er ginge in Beluchistan herum, in der einen Hand eine Rupie, in der andern einen Stock. Er soll auf diese Weise dort sehr viel ausrichten. Man sieht ihm an, welch energischer Mensch er ist, und daß er wahrscheinlich, wenn man ihm nur freie Hand ließe, die englische Interessensphäre sehr weit hinausrücken würde. Besonders mit dem Emir würde er kurzen Prozeß machen. Von letzterem wird erzählt, daß er kürzlich auf einer Reise an ein Dorf kam, wo für ihn und seine 15 000 Begleiter nicht der nötige Proviant hergerichtet war. Die Dorfältesten entschuldigten sich, daß sie selbst nichts zu essen hätten, worauf ihnen der Emir antwortete, wenn dem so sei, dann brauchten sie auch nicht mehr zu essen, und ließ ihnen sämtlich die Zähne ausziehen. Ein anderes Mal entstand ein Gerücht: »die Russen kämen«. Als der Emir denjenigen festgestellt hatte, der die Nachricht zuerst verbreitete, ließ er einen 70 Fuß hohen Pfahl errichten, mit einer kleinen Plattform auf der Spitze. Dahinauf mußte der Unglückliche mit einer Trompete klettern und erhielt den Befehl, zu blasen, sowie er die Russen sähe, vorher dürfe er nicht herunter. Nach drei Tagen fiel er tot herab. – Sir Roberts lud uns ein, ihn in Quetta zu besuchen. Er wird aber diesen Winter am Persischen Golf sein, wo, wie es scheint, wieder im stillen eine kleine Annexion stattfinden soll!

3. September. Lord Francfort kennengelernt, der mir erzählte, daß er in Moritzburg in Südafrika gestanden hätte, wo er manchmal absolut keine Dienstboten bekommen konnte, so daß er zuweilen das Huhn rupfte, seine Frau es briet und sie es dann gemeinsam verspeisten. – Morgens ließ sich ein Maharajah bei Edmund anmelden. Während der Visite standen Fräulein Below und ich hinter einem Purdah. Der Maharajah sprach kein Englisch, hatte sich aber einen Dolmetscher mitgebracht. Er erzählte Edmund, daß ihm früher Simla gehört habe, sein Land sei ihm von der englischen Regierung fortgenommen worden, und statt dessen sei ihm ein andres gegeben. Il ne doit pas avoir gagné au change, denn er und Gefolge sahen ziemlich ruppig aus.

14. September. Nachts ein starkes Erdbeben. Höchst unbehaglich!

21. September. Ich machte einen zweitägigen Ausflug nach Mashobra, was mir sehr wohltat, da ich von den unausgesetzten Diners in und außer dem Hause sehr müde war. Wir machten einen großen Gang nach Sipi, einem heiligen Urwald, wo ein hübsch geschnitztes Tempelchen steht und alljährlich ein großer Markt stattfindet, bei dem auch Frauen erworben werden.

30. September. In Simla Herrn Ehlers vorgefunden, der aus Ostafrika gekommen, zuerst in Kashmir war und nun weiter nach Nepal, Assam, Siam will und der so amüsant erzählt.

1. Oktober. Morgens ritt Ehlers ab nach entsetzlichen Schwierigkeiten wegen seiner Leute, die er mit afrikanischer Strenge zu behandeln wünschte, was hier nicht geht. Sein Besuch war uns eine große Freude, denn die rein englische Gesellschaft wird man auf die Dauer etwas müde. Er scheint sich bei uns wohlgefühlt zu haben und betonte, wie sehr es ihm auffiele, daß wir uns mit den Engländern so gut ständen. Nachmittags trank der Vizekönig Tee bei uns. Unser Haus, besonders auch das gemalte Zimmerchen, gefiel ihm sehr, und uns erfreute der Besuch als ein Zeichen, daß wir uns hier doch sehr gut stehen. Ich sagte Edmund, daß der Vizekönig immer so aussähe, als habe er sich zum Motto genommen: »Je veux sortir de cette galère sans commettre de bêtise«, was Edmund sehr amüsierte.

In unsern Gedanken präparieren wir uns sehr darauf, noch ein Jahr ohne Urlaub in Indien zu bleiben, d. h. also den nächsten Sommer wieder in Simla zu sein. Die Kinder wollen wir für den Winter mit Fräulein Below hier oben lassen. Es wird mir sehr schwer, scheint mir aber doch vernünftiger.

20. Oktober. Um 1 Uhr fuhren Edmund und ich von Simla ab,Um der Feier der Regierungseinsetzung des Maharadschas von Patiala durch den Vizekönig beizuwohnen. Patiala ist ein native Staat in Rajputana. und während der ersten Stunden genossen wir die Wagenfahrt sehr. Um 8 kamen wir in Kalka an, wo die Luft echt indisch war, drückend und wattig, als ob man sie mit Händen greifen könne. Wir fuhren schon um 10 im Ticagharry weiter; die Nacht war greulich, da wir schreckliche Pferde und einen elenden Kutscher hatten. Einige Male blieben wir im Morast stecken, da der Kutscher vom richtigen Wege abgekommen war. Frische Pferde mußten geholt werden, und es besserte sich alles erst, als Edmund ausstieg und den Kutscher durchprügelte. Die Fahrt durch den Fluß war wieder sehr romantisch und die langen Züge beladener Kamele im Mondschein sehr malerisch.

21. Oktober. Morgens um 6 kamen wir in Umballa an und fuhren um 7 im Extrazug ab. Die Stationen waren alle geschmückt mit komischen kleinen Fähnchen, die mich an südamerikanische ästhetische Attempts erinnerten. Auf den Perrons standen überall viele Natives in ihren »Sonntagsnachmittagsgehröcken«, die in diesem Fall meist aus reizenden Changeant-Seiden bestanden. Um 9 trafen wir in Patiala ein, und auf dem Perron stand der Maharajah, uns alle zu empfangen, in einem entzückenden lachsfarbenen Gewand und sein ganzer Hofstaat ebenfalls in schönsten Kostümen. An der Bahn sahen wir Imperial Service Troops, die sehr gut aussahen, mit mehreren Elefanten. Wir fuhren nun zum Lager, das wie eine Stadt ist, mit Straßen, künstlichen kleinen Gärten, die nur für diese Tage angelegt sind, und auf dem Wege stehen viele komische Triumphbogen, auf denen Jagden, Tiere und Prizefighters in möglichst naiv kindlicher Manier gemalt sind. Unser Zelt ist in der Hauptstraße, nahe am vizeköniglichen Lager. Eigentlich müßte ich Zelte sagen, denn es sind deren zwei, ein sehr großes schönes für Edmund und ein kleines, dumpfes, stickiges, which was supposed to be good enough for me, nach echt orientalischer Auffassung, daß der Mann das beste nimmt, und die Frau, was gerade übrigbleibt. Ich bin aber zu Edmund gezogen, und wir sind sehr comfortable. Bei Tage ist es allerdings sehr heiß, so daß man den Punka braucht, aber die Nächte sind höchst angenehm. Wir besahen uns die Zelte des Vizekönigs, in denen einige wundervolle golddurchwirkte Stoffe verwendet sind, daneben europäische Kunstindustriehorreurs. In seinem Garten steht ein rein silberner kleiner Tempel, der sehr merkwürdig indisch kostbar unbrauchbar aussieht. Unsere Mahlzeiten haben wir in einem enormen Zelt, wo 2-300 Personen sitzen können; es sind viele Bekannte darunter, aber auch viele provinzialisch aussehende Rauhbeine. Nachmittags machte ich einen Ritt auf einem Elefanten, den uns der Maharajah schickte. Das Tier war prachtvoll mit Goldbrokat behangen und trug eine silberne Howdah. Um hinaufzukommen, gebraucht man eine Leiter, nachdem der Elefant sich vorher auf die Knie gelassen hat. Wir ritten zuerst durch die Stadt und besahen uns die Präparationen für die Illumination. In allen Straßen, die der Vizekönig passieren wird, sind die Häuser weiß bestrichen worden; von unsrer Höhe aus aber konnten wir den malerisch braunschmutzigen Alltagszustand dahinter sehen; auch in das Innere der Häuser konnte ich gut hineinschauen und sah einige reizend hübsche Frauen, die mir freundlich zunickten. Unser Elefant erschreckte alle Pferde, und eins sprang vor Entsetzen in einen der kleinen Basarläden hinein und zertrümmerte die Tonkrüge. Wir ritten in den großen Palasthof, an dessen Tor hübsche geschnitzte und durchbrochene Arbeit angebracht ist. Alles weiß gestrichen. Hinter einer großen Mauer befindet sich das Zenana, und da sie in diesem Staat sehr streng sind, kommen die Prinzessinnen nie heraus. Mich dauerten sie sehr, aber nachher erfuhr ich, daß sie es selbst nicht geändert haben möchten, weil sie in der Tradition aufwachsen, daß es nur sehr ordinäre Frauen sein können, die draußen frei herumgehn dürfen, und je mehr man sie hütet, desto vornehmer kommen sie sich selbst vor. Der Heimritt bei untergehender Sonne und beginnendem Mondschein war reizend. Die Dämmerung bedeckte alles lumpenhaft Häßliche in den Straßen und nur die graziösen Silhouetten der Tempeldome, der schlanken Säulchen und Kuppeln an den Altanen der Häuser hoben sich vom abendlichen Himmel ab. Auf den Dächern standen und saßen einzelne malerische Figuren mit hellfarbigen Turbanen und schön drapierten Gewändern. Unser Elefant ging mit schweren Schritten dahin und beim Wiegen der Howdah erschien es mir alles wie ein kurioses Traumgebilde.

Bedford erzählte mir, wie der Maharajah durchaus gewollt habe, daß die von Elles kommandierten Truppen für Sir J. Lyall Spalier bildeten, was Elles ihrer vielen Fieberfälle wegen nicht gewollt. Er konnte den Maharajah aber nur dadurch davon abbringen, daß er ihm sagte, dann würde die Parade sicher schlecht ausfallen und das würde entsetzlich sein, denn der deutsche Generalkonsul sei da, der Vertreter derjenigen Macht, die die schönsten Soldaten der Welt habe, und der würde gewiß in sein Land berichten, wie die Patialatruppen aussähen! Dies hat bei dem Maharajah entschieden! Er soll übrigens an den Truppen nur ein Eitelkeitsinteresse nehmen, sich nie um sie kümmern und Mellis gesagt haben, es sei einerlei, was sie kosteten, wenn sie nur besser wie die aller andern Rajahs wären.

22. Oktober. Edmund fuhr morgens in vollem Wichs, um den Vizekönig zu empfangen, und der ganze Tag zeichnete sich durch beständiges Schießen aus bei den verschiedenen Ankünften, Besuchen und Gegenbesuchen. Wir sahen den Vizekönig von einer Visite zurückkommen in einem ganz wunderbaren Wagen aus Silber mit schweren Goldornamenten, die Polster mit prachtvollem Silber- und Golddamast bezogen. Wir machten auch einen Spaziergang im Moti bagh, d. h. Perlengarten, von dem ich sehr entzückt war. Das fließende Wasser, von Marmor umsäumt, machte einen herrlich kühlen Eindruck und inmitten eines Teiches stand ein reizender weißer Marmorkiosk, zu dem man auf einer Marmorbrücke gelangt. Es ist wirklich eine Moti mit den reizenden kleinen Säulen, welche eine Art luftiges Zimmer umschließen, von dem Marmordach rauscht von allen Seiten das Wasser herunter, so daß es drinnen immer kühl sein muß. Am Ende des Gartens befindet sich eine Art Lustschloß mit einem großen, ganz bemalten Zimmer. Die Malerei hatte etwas präraffaelitisch Rührendes und stellte offenbar die verschiedenen Stadien einer Hinduliebesgeschichte vor. Aus diesem Zimmer tritt man in ein ganz kleines, das ganz goldig flimmert und dessen Wände aus verschiedenen Glasmosaiken bestehen. All die einzelnen Glasstückchen sind mit Gold bemalt und untereinander mit Goldornamenten verbunden, und der Gesamteffekt ist reizend. Aus diesem kleinen Zimmer tritt man auf einen Balkon, von dem aus man einen entzückenden Blick auf den großen Teich hat, in welchen weiße Türme weit hineinspringen und der von weißen Gebäuden umgeben ist. Das goldene Zimmer, der blaue See, die weißen Türme und die grünen Bäume machten ein reizendes Bild, und es schien mir ganz der Ort für ein indisches Liebespaar. Wir fuhren noch zum Pologround und sahen dem Spiel zu, in dem der Maharaja zu exzellieren scheint. Ich lernte ihn kennen, der ein sehr netter Junge ist und mir seine Photographie versprach. Edmund meinte, ich hätte seine Eroberung gemacht, denn er kam ins Lager uns nachgefahren und schwatzte noch viel mit mir im Messtent, während wir PegsWörtlich = Sargnagel, wird in Indien für das Getränk Whisky und Sodawasser gebraucht. tranken. Nach dem Diner war Musik im Drawingroomtent und der Maharajah erschien mit seinem Hofe, er in einem entzückenden Goldbrokatkleid mit prachtvollen Perlen. Er sang ein paar englische Lieder und wurde dabei von einem jungen Mädchen begleitet, welches beim hiesigen veterinary surgeon Cox Erzieherin ist. Der Maharajah soll sie sehr bewundern und die ganze Coxsche Familie dadurch sehr einflußreich im hiesigen Staat geworden sein. Ich saß ziemlich eingezwängt zwischen andern Damen und es amüsierte mich, daß der Maharajah offenbar gern mit mir sprechen wollte, aber nicht recht his way to it sah und wie die Katze um den Brei ging. Schließlich hatten wir noch einen langen Schwatz und dann sagte er mir »Schlafen Sie wohl«; ich antwortete »so jao«, was wohl gemeint, aber in der Form nicht seinem Rang entsprechend war. – Sehr viele der schönen Stoffe, welche die reichen Natives tragen, kommen übrigens aus Frankreich und England.

23. Oktober. Mittags fand der große Durbar statt, bei welchem der Maharajah durch den Vizekönig mit full powers investiert wurde. Die Zeremonie fand in einem großen Saal des Palastes statt, und wir Damen saßen in einer Loge, von der aus wir es sehr gut sehen konnten. Am einen Ende des Saales waren drei Thronsessel aufgestellt auf einer Art Estrade mit drei kleinen Goldsesseln davor. Die europäischen Herren in full dress rangierten sich rechts vom Thron, die native Herren links, und diese waren in ihren wundervollen Gewändern entschieden der schönere Anblick. Der Maharajah kam in unsre Loge und ließ uns seinen prachtvollen Schmuck bewundern; er trug unter anderem ein großes Diamantkollier, das früher der Kaiserin Eugenie gehört hat. Dann fuhr er fort, um den Vizekönig abzuholen. Sie kamen mit Sir James Lyall in dem großen silbernen Wagen angefahren und dann unter goldenen Schirmen zwischen der Leibwache und beim Klang des »God save the Queen« in den Saal geschritten. Der Zug sah wirklich schön aus mit den vielen A.d.C.'s in ihren roten Uniformen und den malerischen Natives. Schade, daß die drei Hauptfiguren nicht imponierender waren. Zuerst setzten sie sich in die drei niedrigeren Goldsessel, und der Vizekönig hielt eine Rede, in der er erzählte, was während der Minderjährigkeit des Maharajah im Staate geschehen, und dem Maharajah alle guten Eigenschaften eines guten Herrschers wünschte. Sehr hübsch war, wie er ihm sagte, daß ein vizekönigliches Regieren nur eine temporäre Sache sei, während die Pflichten eines wirklichen Herrschers nur mit dem Tode endigen; wieviel befriedigender, aber auch wieviel schwerer letzteres sei. Der Maharajah hielt darauf eine Antwortrede, dann erklärte der Vizekönig den Maharajah für invested und Sir James und die höchsten Beamten gratulierten. Hierauf führte der Vizekönig den Maharajah zum eigentlichen Thron, und Diener in köstlichen Kleidern mit dem Jackschwanz und Füllhörnern stellten sich dahinter auf, während Schüsse abgefeuert wurden. Das nächste war, daß Mr. Conningham die Rede des Vizekönigs auf hindostanisch wiederholte für diejenigen Natives, welche englisch nicht verstehen, eine höchst einschläfernde Zeremonie. Darauf wurden alle hervorragenden Leute des Patialastaates dem Vizekönig vorgestellt, lauter Sikhs, wunderschöne kräftige Leute, regular fighting men. Jeder brachte dem Vizekönig einige Goldmohurs, die dieser als Gnadenzeichen anrührte, aber natürlich nicht annahm... Beim Diner führte mich der Vizekönig, trotzdem mehr Berechtigte da waren. Ich erzählte ihm russische Anekdoten and we got on capitally. Die Arrangements wurden aber dadurch etwas upset, daß der Maharajah, der zum Schluß kommen sollte, um die Gesundheit der Königin auszubringen, fiebershalber nicht erschien. Der Vizekönig hielt eine höchst interessante und wichtige Rede über die War service troops, durch welche er the overzeal checken wollte. Er sprach mit viel Vertrauen von den indischen Fürsten, daß sie in Friedenszeit ganz die Kontrolle der Truppen haben sollten, und daß er nicht Geld oder zusammengewürfelte Truppen haben wollte, sondern nur in denjenigen Staaten Truppen erheben würde, die sie ganz allein zusammenstellen und erhalten könnten. Nach Tisch waren entsetzlich schwache Taschenkünstler und wir gingen sehr müde zu Bett.

24. Oktober. Wir standen vor 6 Uhr auf und fuhren zu dem Paradeplatz, wo vor Lord Lansdowne die Parade der War service troops von Patiala, Nabha und Jhind stattfand. Die Leute sahen ausgezeichnet aus, besonders die Infanterie, und ihre Kostüme und ganze Ausrüstung war vortrefflich und blinkblank, in den Farben sehr malerisch. Bei jedem Regiment waren ein paar englische Offiziere zur Inspektion, aber sonst stehen sie ganz unter Kommando von Nativeoffizieren, die sehr gut aussehen. Der Maharajah war zugegen in Patiala-Uniform, eine Art grüner Husar, und schien sehr stolz auf seine Truppen. Auf seine Frage bestätigte ihm Edmund: »die Truppen sähen splendid aus«, worauf er frug: »And do you think they will fight?« was uns sehr amüsierte. Mittags besahen wir uns das Schloß und Museum, in welchem neben alten persischen Manuskripten und wundervollem Schmuck Sammlungen von Taschenmessern, Vogelkäfigen und Zahnbürsten (!) zu sehen sind, da der frühere Maharajah es schick gefunden haben soll, wenn er in einen Laden ging, gleich die ganzen Vorräte zu kaufen. Merkwürdig sind zwei enorme Reisenecessaires, die zusammen eine Kamellast bilden und 9000 Pfund St. gekostet haben. Der Maharajah überreichte mir seine Photographie und bat mich, doch bald auf länger zu kommen. Als wir schon fort wollten, kam eine Art Minister des Maharajah zu mir und sagte, H. H. hätte befohlen, daß ich in die Stoffvorräte geführt würde und mir, was ich wolle, aussuche. Wir kamen dann in einen großen Saal, dessen Boden ganz mit kostbaren Stoffen und Shawls bedeckt war, und wo ich wirklich l'embarras du choix hatte, und schließlich reich beladen davonzog. Während wir dann beim Tiffin waren, ließ sich der Maharajah bei uns melden, und wir saßen ganz gemütlich vor dem Zelt und schwatzten. Nachmittags fuhren wir nach Umballa zurück, höchst entzückt von unserm Stay. Die Pracht war doch weit größer, als wir erwartet hatten, und alles unbeschreiblich luxuriös eingerichtet, z.B. Diener für unsre Diener und für alle diese auch Champagner zu allen Tages- und Nachtzeiten. Merkwürdig war, daß nicht ein englischer Soldat da war, wo sich die ganze Regierung inmitten dieser Tausende von Natives und Nativesoldaten befand.

Umballa gefiel uns beiden sehr gut. Es ist ein ruhiges Garnisonstädtchen mit breiten Alleen und großen Gärten, in denen einstöckige Rambling-Häuser stehen, alle weiß angestrichen, mit breiten Verandas und ganz enormen strohbedeckten Dächern.

25. Oktober. Morgens früh in Kalka und nachmittags wieder in Simla... Es ist nun sicher, daß die russischen Großfürsten den Winter nach Indien kommen, und sie sollen bis nach Peshawar gehen. Höchst kurios.

November. Fürchterlicher Packtrubel, ganz wie es in Baden-Baden immer war in diesen Tagen und viel daran gedacht. Sehr viel für Edmund gearbeitet.

6. November. Sehr schweren Herzens abgefahren,»Alle Simlaner, so auch wir, sind mit Vorbereitungen zu den üblichen Herbsttourneen beschäftigt. Wir haben sehr weitgehende Pläne und denken 6 bis 7 Wochen unterwegs zu sein.« Elisabeth von Heyking an ihren Schwiegervater. 1. Oktober 1890. weil ich die süßen Babas nun so lange nicht wiedersehen werde. Die Fahrt bis Kalka ging gut, dann fuhren wir in Tikagharries weiter; natürlich wieder niederträchtige Pferde und ein elender Kutscher, der uns gegen einen Baum fuhr. Wir sprangen in nächtlicher Toilette auf die Landstraße, die Pferde mußten ausgespannt und der Wagen von uns wieder auf den Weg geschoben werden. Edmund prügelte den Kutscher, was unser aller Gefühlen entsprach... Nachmittags um 5 kamen wir in Agra an. Man sieht die Taj etwas von der Bahn aus, sie ist aber von dieser Seite enttäuschend. Sehr hübsch dagegen ist der Blick auf das alte Fort mit seinen roten Mauern und den Tempelkuppeln, die darüber hinausragen, darunter der Fluß Juna vorbeifließend. Morgens früh gleich zur Taj, deren erster Anblick doch viel schöner ist, als man erwartete. Man tritt in ein enormes rotes Sandsteintor, mit Mosaik ausgelegt, und aus der Dunkelheit schaut man in einen tief grünen Garten, an dessen Ende das schneeweiße Marmorgebäude steht. Man kann sich nichts Poetischeres denken. Wir gingen durch den Garten, besahen uns die Taj von allen Seiten und wußten nicht, von wo sie am schönsten sei. An den beiden Seiten des großen Vierecks, auf dem sie erbaut, stehen wieder zwei rote Sandsteingebäude, mit Mosaik ausgelegt, wovon eines eine Moschee ist, das andre »jawab« d.h. Antwort, also das Gegenstück, bloß der Symmetrie halber erbaut. Zuerst enttäuschte uns das Innere der Taj etwas, weil man nicht in die Kuppel hinaufsehen kann; aber der Sarkophag, umgeben von dem wundervollen durchbrochenen Marmorgitter, ist doch herrlich und der ganze Gedanke so schön. Von der Taj aus fuhren wir in das Fort, welches der Kaiser Akbar erbaute und welches eine ganze Stadt in sich schloß. Der Eingang ist wie in eine mittelalterliche Festung mit windender Straße und schräg aufeinanderfolgenden Toren, die auch aus rotem Sandstein sind, mit wunderbaren Mosaiken aus glasierten bunten Kacheln. Zuerst sahen wir die gewöhnlichen Frauengemächer, alle aus Sandstein gehauen; kein Eisen oder Holz ist irgendwie verwendet, und ganz besonders merkwürdig sind die gemeißelten Stützpfeiler der Dächer. Aus diesen verhältnismäßig einfachen Häusern kommt man dann in Akbars eigentlichen Palast, wo es immer reicher wird, eine reizende Abwechslung von Mosaik und durchbrochener Marmorarbeit. Ganz entzückend ist ein weitvorspringender Kiosk mit Fenstern, die wie Marmorspitzen aussehen und von wo aus man einen weiten Blick auf den Fluß und die Taj hat. Schön ist auch ein Bad mit Mosaik und Springbrunnen und einem Hof davor; in den Steindallen ist eine Art großes Schachbrett eingegraben, auf denen Akbar mit lebenden Figuren Schach spielte. Sehr schön ist auch die kleine Privataudienzhalle, lauter Bogen von schlanken Säulen getragen, deren Sockel mit Mosaik ausgelegt sind; aus ihr tritt man auf einen großen Altan, auf dem ein schwarzmarmorner Thron steht, und man kann sich denken, wie die alten Kaiser da abends saßen und die Brise vom Fluß genossen. Kurios ist ein Badezimmer, dessen Wände aus runden Glasscheiben bestehen, auf die versilberte Gypsornamente aufgesetzt sind. Bei Beleuchtung ist der Effekt zauberhaft, und es existiert eine Vorrichtung, durch die ein Wasserfall schräg herunterplätschert, während dahinter Lichter brennen. Sehr großartig ist der große Audienzsaal, eine enorme Halle mit vielen Säulen, die durch Bogen untereinander verbunden sind. Aus einer reizenden Loge herab sprach dann der Kaiser mit dem Volk und den Bittstellern. In all diesen Gebäuden sieht man Reste von wundervoller goldener und farbiger Mosaik auf dem Marmor, es muß wohl über alle Begriffe schön gewesen sein.

9. November. Wir fuhren morgens früh nach Sikandra, dem Grabe des Akbar, welches weit draußen vor der Stadt liegt und zu welchem schöne breite Alleen führen. Durch ein enormes Tor, welches ganz herrlich mit großen weißen Blumen eingelegt ist, tritt man in einen weiten, verlassen aussehenden Park, dessen Stille und Abgeschiedenheit einen großen Zauber ausüben. In der Mitte steht ein mehrstöckiges Bauwerk, das ganz aus einzelnen luftigen Pavillons von rotem Sandstein besteht und entschieden früher eine Art Lustschloß gewesen sein muß und erst später zur Begräbnisstätte Akbars und vieler seiner Verwandten gemacht worden ist. Durch einen gewölbten, tief in die Erde führenden Gang kommt man in das Gewölbe, wo ganz allein Akbars Sarkophag steht und die Einfachheit und Stille wirken sehr grandios. Wir kletterten dann das ganze Gebäude hinauf, und je höher man kommt, desto schöner und weiter wird der Blick. Die oberste Etage muß offenbar erst später aufgesetzt sein, sie ist aus schneeweißem Marmor, ein offener Altan, um den ringsherum ein gewölbter Gang führt, der aus einem Fenster neben dem andern besteht, alle aus durchbrochenem Marmor und jedes Muster verschieden. In der Mitte steht ein Akbar zu Ehren errichteter Prunksarkophag und dahinter eine kleine Säule, auf der früher der Ko-i-noor gelegen haben soll. Der Blick aus diesen weißen Spitzenfensterchen ist reizend über das Gewirr der vielen Pavillons mit ihren bunt glasierten Kuppeln hinweg in den stillen Garten mit seinen vier Toren und der weiten alleendurchzogenen Ebene dahinter. Alle Anlagen aus jener Zeit, die ich bisher gesehen, haben eine schöne Symmetrie, Würde und Vornehmheit, nirgends ist an Platz, Material oder Arbeit gespart.

Von Sikandra aus fuhren wir noch in eine Steinschneiderei-Werkstatt, und es war amüsant zu sehen, mit welch primitiven Utensilien die Leute arbeiten und ihre schönen alten Muster nun auf allerhand kleine Dinge für die Globetrotters anwenden. Dann fuhren wir durch die Nativestadt mit den reizenden vorspringenden kleinen Balkons und der sehr malerischen Bevölkerung zu Ganeshee Lall, dessen Stickwerkstatt wir uns besahen. Die Arbeiter saßen in einem großen Hof, den ein offener Säulenumgang umgibt, an jedem großen Stickrahmen zirka 8 Arbeiter, und es war mir ganz merkwürdig, wie diese zerlumpten, schmutzigen Leute so reizend schöne Dinge zuwege bringen.

10. November. Morgens früh nach Fattehpur SikriFattehpur Sikri, das etwa 20 englische Meilen von Agra liegt, war ein Lieblingsaufenthalt der Mogul Kaiser. Das große Tor des Palastes gilt als eines der schönsten in ganz Indien. gefahren, die frühere Residenz Akbars, die er verließ infolge einer Weissagung, daß er einen Sohn haben würde, wenn er das jetzige Agra gründete. Die Stadt liegt auf einem Hügel und man fährt an einem sehr großartigen Stadttor vorbei, zu welchem eine imposante Treppe hinaufführt. Wir stiegen in dem Hause des Premierministers des Akbar ab, welches jetzt sehr privilegierten Besuchern und besonders Hochzeitsreisenden als Bungalow dient. Es ist aus geschnittenem roten Sandstein, in den Zimmern eigentlich kein Stückchen ohne Verzierung und in die Wände sind Nischen eingehauen mit Bogen, welche sehr sarazenisch wirken. Nachdem wir etwas gefrühstückt, begannen wir unsern dreistündigen, ziemlich heißen Gang durch die verlassene Stadt, deren Einsamkeits- und Vergangenheitscharme ich vielleicht noch mehr genossen hätte in weniger zahlreicher Gesellschaft. Denn es ist einer der Orte, den man sehen sollte in Gesellschaft eines sehr gebildeten Mannes, mit dem man auf dem Punkt der geistig-ästhetischen Flirtation steht. Wir wurden zuerst nach dem Glanzpunkt des Ganzen geführt, dem Platz, auf dessen einer Seite die große Moschee steht, auf der andern allerhand Grabdenkmale und besonders dasjenige des Sheik Selim, der dem Akbar die Weissagung über seinen Sohn gemacht hat. Der Sarkophag und Baldachin dieses Grabes ist aus wundervoller Perlmutterinkrustation, das eigentliche Grabhaus darüber ein reines Spitzenwerk aus Marmor, überall luftig und durchsichtig aus Linien bestehend, die sich ineinander aufzulösen scheinen. Das Dach von seltsamen Strebepfeilern getragen, und an den äußern Wänden ausgehauene Koransprüche, die sich getrost neben die des Evangeliums stellen können. An die durchbrochenen Fenster dieses Mausoleums knüpfen die Frauen Faden, wenn sie Wünsche auf dem Herzen haben. Ich knüpfte drei an!! Die große Moschee am andern Ende des Platzes – siebenteilig – soll nach der von Mekka erbaut sein. – Unser Führer war ein uralter Mann, der angab, ein Nachkomme des Sheik Selim zu sein; wie ein Hoherpriester in singendem Ton las er die Koransprüche von den Wänden: »The world is like a bridge, we are to pass over it, not to build our dwellings upon it.« Was ich bisher von mohammedanischen Kirchen gesehen habe, gefällt mir sehr. Der große freie Raum ohne besonderen Schmuck, die kleine Treppe für den Priester haben einen sehr geistigen Charakter. Wir sahen dann die verschiedenen Häuser der Frauen Akbars. Das der Hindufrau im Stile eines Hindutempels, das der portugiesischen Christin ähnlich dem des Premierministers, am schönsten und mit der größten Sorgfalt gemacht ist das der mohammedanischen Frau; es ist klein, liegt aber seinen Zimmern am nächsten, und man hat die Empfindung, daß er sie am liebsten gehabt hat. Alles daran ist zartes reizendes Ornament, keine Handbreit Stein schmucklos. Sehr wunderbar ist das Councilhouse, in dessen Mitte sich ein geschnitzter Pfeiler erhebt, der einen Sitz trägt. Von diesem führen schwebende Steinbrücken in die vier Ecken des Zimmers, und in jeder ist ein Sitz für je einen Minister, während der Kaiser in der Mitte saß; unten im Hof durften nur taubstumme Diener stehen.

11. November. Wir fuhren nach dem Jail, das über die Maßen sauber, luftig und human erscheint. Besonders sahen wir uns die Sträflinge an, die zur Teppichfabrikation verwendet werden und die wirklich wunderbar kunstvolle Dinge liefern.

12. November. Nach einer ganz leidlichen Nacht kamen wir früh in Jeypore an und fuhren gleich, um die Vorbereitungen zum Empfang des Vizekönigs zu sehn. Der zwei Meilen lange Weg von der Bahn bis zur Residency war mit der wunderbarsten Menschenmenge besetzt, die man sich denken kann. Zuerst Infanterie, a motley crew, die kuriosest verwahrlosesten Menschen, die man sich denken kann, dahinter Raiputedle zu Pferde in wunderbaren Getups, jeder nach eigenem Geschmack, die Pferde mit Silberketten und Schenkelbehängen, Glasperlen, silbernen Fußringen und Brokatsatteldecken. Daneben lange Reihen von Staatselefanten, Rüssel und Ohren aufs bunteste bemalt, und mit schweren Golddecken behangen. Weiter standen die früheren Staatswagen, elegante bemalte Ekkas mit weißen Ochsen bespannt, welche grüne Samtdecken trugen, in welche auch Hörnerfutterale eingenäht waren, und die den Ochsen fast wie Kleider angezogen waren. Überhaupt hatte man die Empfindung, als sähe man kein Tier mehr, wie es erschaffen, sondern alle nur verkleidet. Sehr merkwürdig war auch eine Reihe von alten Kriegern in Helmen, Panzern und Kettenhemden, und am schönsten fand ich die sogenannten Staatspferde, die sich alle wie Zirkuspferde halten und mit den wunderbarsten Schmucksachen und Behängen aus gefärbten Jackschwänzen zurecht gemacht waren. Der Einzug des Vizekönigs, der früher auf Elefanten und sehr großartig stattfand, war dagegen ziemlich plöterig.

Nachmittags fuhren wir in die Stadt, in welche man durch ein rosa und weißes Tor gelangt, und deren vier Hauptstraßen alle ebenso bemalt sind. Es sieht ein bischen zuckerbäckermäßig aus, aber doch höchst merkwürdig. Die Straßen sind voll von mit Ochsen bespannten Ekkas, Fußgängern in bunten Draperien, Händlern in offenen Buden, europäischen Wagen, Großen des Reiches, die wie bei uns im Mittelalter inmitten ihres Trosses von Anhängern reiten, und zwischen all dem Kamele mit Menschen, bunt bepackt, oder ein einzelner majestätischer Elefant. Wir fuhren in den Palast des Maharajah und sahen dort den großen Durbar, die Visite, welche Lord Lansdowne dem Maharajah machte. In der Versammlung der Natives ein fabelhafter Luxus an Stoffen und Gold. Kurios waren besonders einige noble »thakurs«, welche enorme weiße Röcke trugen, die 80 Yards Stoff brauchen sollen. Zu unsrer besonderen Freude fand ein »nautsch« vor dem Vizekönig statt, von etwa 50 Tänzerinnen. Sie tragen schwere Silberringe an den Füßen und darüber Tuchhosen, enorme Röcke, die besonders vorne sehr faltig sind, langärmelige Jacken und Saris, alles mit Gold gewirkt auf verschiedenen Grundfarben; ein höchst anständiges Kostüm. Ihre Bewegungen sind ganz langsam und rhythmisch, sie tanzen zu dreien und die übrigen singen bei einer Art Trommelbegleitung – mich erinnerte es etwas an la danse du ventre in Paris. Das ganze Bild des Maharajahs auf seinem goldenen Thron, die Versammlung von Thakurs um ihn herum und davor die Tänzerinnen, war unvergeßlich wunderbar und ausländisch. Als Lord Lansdowne fortfuhr, hängte ihm der Maharajah eine Blumenkette um und tat Rosen»attar« auf sein Taschentuch, und in die Loge, in der wir Damen saßen, kam ein Herr des Hofes und tat desgleichen für uns, so daß wir als geschmückte, wohlduftende Pfingstochsen abzogen. Abends fuhren wir durch die beleuchtete Stadt. Besonders hübsch machte sich die feurige Silhouette der alten Stadt Amber, welche auf einem Berg liegt.

13. November. Wir fuhren morgens früh in das in einem prachtvollen Garten gelegene Museum. Es ist ein herrliches orientalisches Gebäude, so recht, wie man sich ein Lustschloß des Ostens denkt, mit maurischen Bogengängen, reizenden Höfen und Säulen mit fortwährend variierenden Kapitälen. Gleich in der ersten Halle liegt ein prachtvolles Buch aus, eine alte Handschrift der Mahabaratta, mit wunderbaren Illustrationen. An den Wänden sind dann die interessantesten dieser Illustrationen im großen ausgeführt und außerdem noch Malereien, um Kunst und Geschichte andrer Völker zu illustrieren. Im Museum fesselten uns besonders die Jeyporeprodukte an Email und Brassware. Vom Museum fuhren wir zur School of arts, wo es uns besonders interessierte, wie die mit Silber eingelegten Schilder verfertigt werden. Die Zeichnung hat der Arbeiter ganz im Kopf, hält mit der einen Hand den dünnen Silberfaden und hämmert ihn mit der andern in das Eisen ein. Es ist ganz wunderbar, wie geschickt und sicher er den Faden führt. Nachmittags gingen wir nach der alten Stadt Amber. Zuerst dreiviertel Stunden zu Wagen, mit fortwährenden reizenden Blicken auf verlassene Paläste und Gräber, ihre Kuppeln und Säulchen halbversteckt zwischen tiefgrünen Bäumen und allerlei Schlinggewächs. Wo die Wagen anhielten, standen schon sieben Elefanten bereit, alle buntbemalt und herrlich gezäumt mit Silbergeschirr und bunten Behängen. Der Weg führt an einem See entlang, in dem sich die hoch oben gelegene Stadt spiegelt, dann ziemlich steil in die Höhe durch allerhand malerische Tore, und die ganze Kavalkade der Elefanten, Reiter und der ganze Troß von rotgekleideten Dienern machte sich wunderbar malerisch in dieser Umgebung. Die Stadt selbst ist nach Fattehpur Sikri ziemlich enttäuschend, und ich fand, daß so eine vizekönigliche Visite a very hurried affair ist. Nach einem hurried tea ging es nach Hause, nachdem wir noch einen Hindutempel besehen, an welchem sehr schöne Marmorschnitzereien waren, Figuren und Elefanten im Gegensatz zu den mohammedanischen Bauten, wo immer nur Ornamente daran sind. Der Tempel war offen, und im Hintergrund saß die scheusälige schwarze Göttin mit Riesenmaul und rotem Scharlachmantel; Lichter brannten darin, und das Ganze sah recht grauenhaft heidnisch aus, entschieden keine liebenswerte Gottheit. Abends war im Museum eine »Conversazione«, d. h. ein Fest für Europäer und Natives, dessen Charakteristikum aber war, daß keine Konversation stattfinden konnte, da die wenigsten von ihnen englisch und die wenigsten von uns hindostanisch können. Es war aber ein Anblick wie eine Féerie. Den Weg bis zum Museum war Spalier gebildet von Kriegern in Rüstungen und Kettenhemden, oben stand der Maharajah, ein dicklippiger, großer Mann, in Gold und Schwarz gekleidet, und um ihn herum etwa 100 Thakurs, einer den andern in Brokat und Edelsteinen und Goldmünzen überbietend. Der Maharajah spricht kein Wort englisch, und die Visite des Vizekönigs kann für beide nur peinlich gewesen sein; mit den Thakurs sprach vollends niemand, und als der Vizekönig evidently bored früh fortging, hatte ich recht die Empfindung, daß diese Art Dinge kein success sind vom sozialkonziliatorischen Standpunkt aus. Ein Theaterdekorateur dagegen hätte eine Fundgrube von Effekten gefunden, besonders als der Maharajah und sein ganzes Gefolge die Treppe herabkamen, von Fackeln und bengalischem Licht beleuchtet.

14. November. Edmund und ich fuhren morgens nach dem 8 Meilen entfernten Sanganer, eine uralte Stadt mit halbverfallener Mauer und Festungstor. Davor war offenbar früher ein Graben, der sich in einen Sumpf verwandelt hat, und in ihm fanden wir Bekannte bei der Schnepfenjagd begriffen. Wir dagegen besahen die kuriose alte Stadt, vor allem den berühmten Jaintempel, der das Schönste an Marmorskulpturen enthält, was ich bisher gesehen. Die Jains waren ursprünglich Buddhisten, haben sich aber sehr mit den Hindus vermischt. Unsre Führer waren sehr nett, nur baten sie uns, die Schuhe auszuziehen, um an das Allerheiligste heranzutreten.

15. November. Wir fuhren mit dem Vizekönig und der ganzen Party in das Museum, wo im Garten ein großes Zelt aufgeschlagen war, in welchem Arbeiter von jeder im Jeyporestaat kultivierten Industrie versammelt waren und uns ihr Handwerk zeigten, besonders Emaillearbeiter, Marmorschnitzer und Kattundrucker. Von da fuhren wir in den Palast des Maharajah, um Tierkämpfe zu sehen, Elefanten, Büffel, Antilopen, Wildschweine, Hähne, Schnepfen, Lerchen. Es war ganz amüsant, nur wurden die Tiere immer getrennt, ehe es recht ernst wurde, damit man nicht sagen konnte, daß der Vizekönig bei eigentlichen Tierkämpfen gewesen sei. Abends war großes Statedinner im Palast, und danach begaben wir uns in einen offenen Hof und sahen bei Fackelschein einen sehr hübschen Nautsch. Wenige Tänzerinnen waren wirklich hübsch, aber alle graziös und wundervoll gekleidet, und es war sehr hübsch, wie sie das Drachenfliegen und Schlangenbeschwören in ihrem Tanzen imitierten.

16. November. Morgens früh fuhren wir nach Ulwar, wo wir in der Residency von dem Residenten aufs liebenswürdigste empfangen wurden und uns in dem großen, luftigen Hause inmitten eines schönen Gartens sehr behaglich fühlten. Sehr schade ist es, daß der Maharajah abwesend ist, denn er gehört zu der vorgeschrittenen Sorte indischer Fürsten, interessiert sich für sein Land, spricht gut englisch, möchte seine Frauen gern aus dem Zenana herausbringen, ist kürzlich in Australien gewesen und soll sehr amüsant erzählen über die dortigen free und easy Manieren der Leute, die einen orientalischen Despoten allerdings erstaunen müssen. Wir besahen seinen modernen Sommerpalast, der inmitten eines schönen Parks mit geraden Alleen steht, und ich hatte sehr die Empfindung, daß der Architekt eine Erinnerung an Versailles ins Orientalische übertragen hat. Es sollen ja im vorigen Jahrhundert an den Höfen der indischen Fürsten sehr häufig abenteuerliche europäische Gestalten aufgetaucht sein.

18. November. Von Ulwar, wo wir eine sehr behagliche, ruhige Zeit gehabt, fuhren wir nach Delhi, wo wir erwartet und in Sir James Lyalls Lager gebracht wurden. Dort haben wir ein sehr nettes, behagliches Zelt. Dann fuhren wir zum Haus des Vizekönigs und von da aus alle zusammen, um die verschiedenen Punkte zu sehen, welche in der Zeit der Belagerung Delhis 1857 wichtig gewesen sind.

20. November. Wir ritten nach dem Kootob, welcher von einigen für eine muselmanische Siegessäule, von andern für das eine fertig gewordene Minarett einer riesenhaften geplanten Moschee gehalten wird. Unser Frühstück hatten wir in einem alten Grab, was lustiger war, als es hier klingt. Rund um den Kootob sind allerhand entzückende Gebäude mit schönen Zeichnungen, sie sollen zirka 700 Jahre alt sein. Man sieht aber nicht gut mit all diesen Menschen, die sich doch nicht für die Sachen interessieren und von einem zum andern getrieben werden, immerwährend in der Angst, daß sie sich irgendwo langweilen könnten, which is the surest way of doing so.

23. November. Wir kamen durch viele alte interessante Städte und abends nach Katharpur, wo Sir James den Maharajah auf den Thron setzen soll. – Wir besuchten hier auch die Maharani. Sie ist ein hübsches Mädchen von 16 Jahren, sieht aber wie zwölf aus und ist sehr klein und zart. Sie trug gelbe Atlaspantöffelchen, rosa durchbrochene Strümpfe, rote Atlashosen, eine grüne Jacke mit Gold bedeckt, im Haar eine muschelartige Goldkrone, Perlenschnüre, an denen allerhand Schmuck herabhing, und in der Nase einen Knopf aus Perlen und einem großen Smaragd. Über alles dies einen weißen Gazeschleier, in den sie sich reizend drapierte.

Wir reisten sehr bequem im eigenen Wagen weiter, kamen abends durch Lahore und sahen während der Nacht beim Mondschein eine merkwürdig zerklüftete, wildbergige Gegend, welche aus lauter natürlichen Festungen zu bestehen scheint. Die Luft hat etwas Europäisches; an den Stationen erinnern die herbstlich gelb und rot gefärbten Bäume at home, und das eigentliche Indien scheint weit fort. Mittags waren wir in Attock, wo wir auf hoher eiserner Brücke über den Indus fuhren, der gelbbraun zwischen starren Felsen fern nach Süden fließt. Nach Norden dagegen wird das Land offener; wir konnten vom Zug aus die Festung sehen, die sehr an mittelalterliche Stadtbilder erinnert. Wir sahen merkwürdige Bilder, noch belebt durch große Zeltlager um Attock, wo jetzt die Herbstmanöver stattfinden. Bei dem strömenden Regen aber sahen die Zelte recht uncomfortable aus, und mich dauerten besonders auch die armen Pferde, für die kein Unterkommen da zu sein schien. Ich wurde sehr an Bilder von Brandt erinnert: der graue, schwere Himmel, die gelblich nassen Zelte, die dunklen Gestalten der Soldaten in lange schwarze Mäntel gewickelt, die auf ihren Köpfen spitze Mützen zu bilden schienen.

Nachmittags trafen wir in Peshawar ein, und es war herrlich, in ein gemütlich warmes Haus zu kommen, wo in jedem Zimmer große Feuer brannten und der Schein der Flammen auf tiefrote turkestanische Teppiche fällt oder an glänzenden alten Waffen und kuriosen Bronzen entlangspielt.

27. November. Großer Regentag. Grau. Die Stadt sieht wunderbar malerisch aus in diesem Regen und ganz verschieden von den indischen Städten, und auch die Bevölkerung war uns ganz neu. Große, wild aussehende Kerle mit langem, struppigem Haar, die Bärte in Erinnerung an den Propheten mit Hennah gefärbt, wunderbare Turbane auf dem Kopf und um die Schultern einen Schaffellmantel geworfen. Frauen sah man nirgends, aber sie müssen sehr schön sein, wenn man von den bildhübschen Kindern auf sie schließt. Wir fuhren in mehrere Teppichläden und wurden im ersten, ehe es an die Geschäfte ging, vom Händler mit Tee und Obst bewirtet. Der Laden war mit Oberlicht eingerichtet, und an den Wänden lagen Berge von Teppichen, Pelzen und Bokhara-Seiden.

28. November. Gottlob der Regen aufgehört, so daß wir uns nach dem Khyberpaß aufmachen konnten. Zuerst fuhren wir durch das breite Tal, das immer steiniger wird bis Jumrad, einer kurios malerischen Erdfestung, wo wir eine Menge seltsam wilder Gestalten, Afridis und Hazaras Leute aus Afghanistan und Bokhara sahen. Nun begann der Aufstieg durch eine wilde, öde, zerklüftete Gegend. Auf den Hügeln stehen vereinzelte Türme, welche die Engländer während des letzten afghanischen Krieges erbauten. Dies sowie die militärische Eskorte, unter der man reitet, und der kalte, schneidende Wind gaben einem ein angenehm gruseliges Gefühl. Mittags kamen wir in Ali Musjid an, dem sehr hoch gelegenen Fort, welches die Mitte des Passes bewacht. Abends sehr müde zurückgekommen.

29. November. Die Stadt bei Sonnenschein besehen, wo wir es sehr amüsant fanden, auf die Dächer der Häuser zu sehen, welche alle von Strohbalkons umgeben sind und auf denen sich das ganze Familienleben abspielt. Unwillkürlich dachte man an biblische Geschichte. Je vornehmer ein Mann ist, desto höher baut er sich sein Haus, damit ihm der Nachbar nicht auf sein Dach schauen kann.

1. Dezember. Früh in Lahore eingetroffen, wo wir gleich das Abenteuer hatten, daß die Pferde unsern Wagen zertrümmerten. Behaglicher Ruhetag bei Lyalls. Das Haus ist ein alter muselmanischer Grabpalast, das eigentliche oktogone Grabgemach ist jetzt Speisesaal, die Wände ganz mit indischen Ornamenten bemalt.

2. Dezember. Wir sahen im Museum interessante gräko-buddhistische Altertümer und bestellten uns indische Möbel in der School of arts. Sehr begeistert von der großen Moschee, ihr äußeres Tor ist ganz aus glasierten Kacheln von wundervollen Farben und Zeichnungen. Im Torweg herrschte malerisches Gedränge von Bettlern, Hökern, Käufern und allerhand Leuten, die viel Zeit haben. Wir sahen nach dem Grab Ranjit Singhs, wo er, vier Frauen und sieben Sklavinnen verbrannt wurden. Wir finden, daß man von Lahore im Vergleich zu andern indischen Städten viel zu wenig Wesens macht.

5. Dezember. Morgens abgereist und um 10 in Amritsar eingetroffen. Zuerst nach dem goldenen Tempel gefahren, der mitten in einem See liegt und zu dem eine weiße Marmorbrücke mit goldenen Laternen führt. Der untere Teil ist aus weißem Marmor mit mattfarbenen Mosaikeinlagen, der ganze obere Teil und das Dach aus Gold. Wundervoll ist die Spiegelung im Wasser, es erinnerte uns sehr an Venedig. Es fand in dem Tempel gerade ein Kultusakt statt, und die Musik dabei erinnerte merkwürdig an die Tingeltangel in der Rue de Caire auf der Pariser Weltausstellung... In einem Garten in der Stadt hingen an einem Baum Tausende von enormen fledermausartigen Geschöpfen, die sich in ihre schwarzen Flügel wie in Trauerschleier einwickeln und sehr lugubre aussehen; die Köpfe sind fuchsartig, und sie haben an einer Stelle rotbraunes Fell. –

6. Dezember. Per Bahn nach Kalkutta zurück. Dr. Solf ist abgereist, so daß Edmund niemand zur Hilfe außer mir hat. Mit Lord Frederic Hamilton angefreundet, Bruder des Vizekönigs, der bis jetzt in der Diplomatie war, zuletzt in Buenos Aires, mit dem ich über Südamerika schimpfte. Innerlich hatte ich dabei die große Angst, ob wir diesen Weltteil nicht einmal wiedersehen werden, denn Baron G. will im März fort, und wir haben aus Berlin gehört, daß Edmund auf der Liste demnächstiger Gesandten steht. Der Kaiser soll unter einen seiner Berichte eigenhändig »sehr gut« geschrieben haben.

24. Dezember. Den ganzen Tag für Edmund abgeschrieben und abends unser erstes Diner, seitdem wir wieder hier sind. Wir waren ganz fidel, trotzdem wir zum erstenmal keinen Baum hatten.

31. Dezember. Ball im Governmenthouse. Keine sehr sympathische Art, das neue Jahr zu beginnen. Seit wir zurück in Kalkutta sind, bin ich beständig angegriffen und oft furchtbar melancholisch. Ich habe niemand, mit dem ich mich darüber und manches andere aussprechen kann. Edmund ist überarbeitet und so präokkupiert, daß man ihm nicht gern mit Dingen kommt, für die er doch kein Interesse hat. Ich beneide oft die Katholiken, die einen Priester haben, dem sie all ihre Ängste und inneren Nöte sagen können; wir Protestanten sollten uns das gegenseitig sein, aber es ist wohl bei allen wie bei uns, daß wir knapp die kleinen täglichen Fragen miteinander erledigen und für nichts anderes Zeit ist. Man geht nebeneinander her, hat sich auch gegenseitig recht lieb und wird sich doch fremd. In mir geht so vieles vor, von dem Edmund keine Ahnung hat, und vielleicht ist es umgekehrt ebenso. Es ist recht unsatisfactory, und ich hatte es mir so anders gedacht. Behüte uns, Gott, und hilf mir gut sein!

5. Januar 1891. Die Post brachte dicke Packen von Lesse, wonach Putlitzens Stephaniechen enterbt haben, wenn sie von mir erzogen wird!

Es ist sehr schwer, hier einmal ein interessantes Gespräch zu führen. Die meisten Leute sind immer noch viel ungebildeter, als man glaubt. Das hiesige Auswärtige Amt ist darin geradezu erstaunlich. Die Leute sind gar nicht imstande, einem etwas über das Land zu erzählen; zuerst hält man es für diplomatische Verschwiegenheit, es ist aber die reine Unwissenheit.

26. Januar. Nachmittags kamen der Großfürst-Thronfolger und Georg von Griechenland hier an. Der Thronfolger hat ein sympathisches Gesicht mit schönen Augen, seine Figur ist aber nicht gut. Der Grieche dagegen ist ein Hüne, hat etwas Ungeniert-Harmloses und spricht deutsch wie ein Student. Ich lernte noch einen netten Prinzen Oblensci und den gefürchteten Onu, russischen Gesandten in Athen, kennen, den die Engländer sehr ungern bei dieser Expedition sehen. Die ganze Reise aber ist so hurried, sie sehen so absolut nichts der wirklich wichtigen Punkte und lernen die Natives nur so oberflächlich kennen, daß ein noch viel größerer Fuchs wie Onu in dieser kurzen Zeit doch nichts anzetteln oder ausspüren könnte. Es war amüsant zu sehen, wie die Natives den Großfürsten zu sehen suchten; ob sie dabei rein loyale Gefühle hatten, lasse ich dahingestellt. Ich hörte einen Native zu Onou sagen, wie sehr er sich freue, daß der Großfürst the poor Indians besuche, und ob der Zar nicht auch kommen würde. Jemand bezeichnete Onu als den Typ des russischen Diplomaten, der aus dem Dragoman entstanden sei. Sehr gut! Die vornehmen Russen haben einen großen Charme durch ein gewisses chevalereskes Wesen und ihre gesellschaftliche Liebenswürdigkeit und Leichtigkeit in der Unterhaltung, was den Engländern so sehr abgeht.

27. Januar. Wir waren von E.s zum Dinner zu Ehren des Zarewitsch eingeladen. Das so schöne Gebäude war von außen so wenig erleuchtet, daß es etwas suspekt aussah, als solle ein Mord darin passieren. Bei seiner Ankunft wurde der Großfürst an allen Gästen entlanggeschleppt und mußte mit jedem shakehands machen, wobei manche Dame eine Verbeugung nur schwach andeutete. Das Dinner fand in einem gänzlich undekorierten Balkon statt, und Geschirr und Glas hatten etwas Schenkenhaftes, auch Essen und Trinken natürlich sehr schlecht. Ich saß neben Onu, mit dem ich mich vortrefflich unterhielt. Der Großfürst guckte oft herüber und sah so resigniert gelangweilt aus. Sehr komisch war, daß während des Dinners plötzlich eine Detonation stattfand. Der Großfürst ward leichenblaß, die E.s puterrot. Es sollen Champagnerflaschen gewesen sein, die barsten. Onou wollte aber durchaus, daß es ein mißglücktes Attentat gewesen sein sollte, und sagte mir: »Maintenant embrassons-nous«, denn das sei obligatorisch nach einem mißglückten Attentat, da es der Zar und die Zarin nach dem von Borki getan. Nach dem Dinner eine große Reception, bei dem der arme Großfürst entsetzlich gedrückt, gestoßen und gepufft wurde und Hunderten der langweiligsten Menschen die Hände schütteln mußte. Ein Schauerfest!!

28. Januar. Nachmittags sehr hübsches Gartenfest beim Vizekönig. Der Thronfolger erzählte mir, daß ihn die Besuche an den Nativehöfen besonders amüsierten und er nur wünschte, langsamer reisen zu können. Besonders die Sikhs scheinen ihm sehr gefallen zu haben.

Februar. Sehr müde und angegriffen in dieser Zeit durch die Geselligkeit, die so sehr nichtssagend ist. Dabei große Sorgen wegen der Revolution in Chile, die für uns so Schlimmes bedeuten kann. Das Leben hier ist so aufreibend durch das bloße wear und tear des Alltäglichen; Edmund und ich spüren es beide, man wird nervös und irritable. Wir beide sind ja sehr zufrieden mit der Stellung, und es wird uns überall gezeigt, daß man uns gern mag – der Vizekönig sagte mir neulich: »We are delighted to have you!« –, aber wir sehnen uns nach etwas Ruhe. Und es ist empfindlich für uns beide, daß gar keine Sekretärhilfe vorhanden ist. Mir wäre es am liebsten, es fiele uns ein hübsches Gut vom Himmel, und wir könnten da ruhig leben und alljährlich eine Reise machen. Edmund aber muß vorwärts kommen, der liebe Gott hat ihm alles dazu gegeben, und ich habe ihn in Indien in ganz neuem Licht sehen gelernt; denn hier, wo ihn alles interessiert und er wirklich Selbständiges leisten kann, ist es erstaunlich, welche große Arbeitskraft er entwickelt. Wenn ich mich je in ihm getäuscht, so ist es, daß ich ihn unterschätzt habe. Ich glaube, wenig Frauen erleben diese angenehme Überraschung.

Sehr viel Globetrotters hier gehabt und nach Möglichkeit hospitable gewesen. Darunter eine Lady Sykes, eine wirklich amüsante gescheite Frau, mit der es sich angenehm kontinental sprach. Gescheite Männer, wenn auch nicht gerade Genies, gibt es in Indien häufig; die Frauen der Beamten und Offiziere dagegen stehen geistig sehr zurück; man vergißt das, solange sie schön, jung, elegant sind, aber bei den mittelalterlichen tritt es doch sehr an den Tag. Sie tanzen auch wahrscheinlich darum noch in einem Alter, when they ought to know better, weil sie selbst dunkel fühlen, daß sie zur Konversation nicht taugen. Hier ist alles physisches Vergnügen, geistige sind sehr selten.

10. Februar. Behaglich ruhig gelebt und diese stille Woche mit Edmund sehr genossen, als ob wir auf einer Hochzeitsreise wären. Edmund arbeitete viel, und wir besprachen das alles und abends lasen wir zusammen. Eine glückliche Zeit, wenn nicht die große Sorge um Chile wäre.

19. Februar. Sehr amüsant zu beobachten ist, wie der allzu gute Eindruck, den der russische Thronfolger gemacht hat, nachträglich verwischt werden soll, indem die Zeitungen erzählen, er hätte ein so sehr ängstliches Auftreten gehabt und sei in beständiger Angst vor Attentaten gewesen, was durchaus falsch ist.

25. Februar. Hier ist große Aufregung wegen des sogenannten »Age of Consent Bill«, eines Gesetzes, wodurch die Regierung verbieten will, daß die Ehen unter Hindus vor dem 12. Jahr der Frau gestattet werden, während es jetzt vor dem 10. ist. Die greulichen Hindus führen ihre heiligen Bücher an, welche es für eine Todsünde erklären sollen, wenn ein Mädchen, sobald es aufhört, völlig Kind zu sein, nicht auch gleich mit seinem Mann lebt. Die Priester, Pundits, sind an der Spitze dieser Bewegung! Heute wurde von Tausenden von Hindus auf dem Maidan ein Monstremeeting abgehalten, um der Regierungsvorlage Opposition zu machen, und nachher zogen sie nach dem Governmenthouse und schrien und schimpften davor. Hoffentlich bleibt der Vizekönig fest und läßt die Bill nicht fallen, wie es ihm einige Members of Council zu raten scheinen.

1. März. Seit ein paar Tagen aufregende Telegramme wegen der Pariser Reise der Kaiserin Friedrich und der dort gegen sie stattgefundenen Demonstrationen. Münster soll abgehen und Waldersee an seine Stelle kommen. Edmund meint, Münster müsse wahrscheinlich über die Pariser Stimmung zu günstig berichtet haben und erklärt es damit, daß alle Diplomaten mehr oder weniger Kosmopoliten sind und den Ort, an dem sie leben, zu freundlich ansehen, weil sie sich, falls sie eben geschickt sind, beliebt machen und die Freundlichkeit, die man ihnen zeigt, leicht als allgemeine Stimmung ansehen.

16. März. Ich machte ein kleines Wickelkind, das ich bemalte, und legte es Edmund hin als symbolisches Geburtstagsgeschenk!....

17. März. Abends Dinner beim Viceroi zu Ehren der Großfürsten Alexander und Serge, Söhne des Großfürsten Michael und der badischen Prinzeß. Der Vizekönig führte mich, und neben mir saß ein Staatsrat aus Tiflis, der mit dem Großfürsten reist, Museumsdirektor in Tiflis und von deutscher Abkunft ist und Edmund aus Tiflis her bekannt. Ein merkwürdiges Wiedersehen! Der Großfürst Alexander, mit dem ich viel sprach, ist einer der schönsten Menschen, die ich je gesehen. – Auf einer Fahrt in einen großen Staubsturm hineingekommen. Es war unheimlich, wie blitzschnell die große schwarze Wolke aufstieg. Mit einmal waren wir wie in Sand eingehüllt, die Pferde gingen auf einer Brücke durch, und die Postillione konnten sie erst nach sehr unheimlichen Minuten in Trab zurückzwingen.

24. März. Am 21. nach Simla abgereist, am 24. angekommen. Die Kinder sehen gottlob prächtig aus; es ist grauenhaft kalt, regnerisch, hagelig, schneeig, und ich recht unbehaglich.

14. April. So krank gewesen, daß ich zu sterben glaubte. Edmund kam endlich an; seitdem erscheint mir alles leichter zu ertragen. Es ist alles wie vorher, aber doch so ganz anders, weil er eben the light of my life ist.

21. April. Ohne die große Angst um Chile, von wo sehr schlimme Nachrichten kommen, wäre unser diesjähriger Sommer ideal, denn Edmund und ich führen ein sehr stilles und glückliches Leben.

22. April. Es kam ein Telegramm, daß der Großfürst-Thronfolger von einem die Fremden fanatisch hassenden Polizisten in Kyoto verwundet worden sei. Der Polizist war ihm als »Bewachung« beigegeben, und der Prinz Georg von Griechenland rettete ihn, indem er einen zweiten Schwerthieb verhinderte, dadurch, daß er den Polizisten niederschlug. Wie angenehm für die Engländer, daß es nicht hier geschah.

25. Mai. Es kam die Rede auf die merkwürdigen europäischen oder Halbblutgauner und Abenteurerexistenzen, die suchen, sich an den Höfen der reichen native Prinzen niederzulassen, um diese auszusaugen. Patiala soll auch so einem in die Hände geraten sein, dünkt sich aber für so klug, daß er Ratschläge nicht braucht. – Dann hatte ich ein langes Gespräch mit General Brackenburg, dem neuen Kriegsminister. Er erzählte mir, welch interessantes Leben er in London und an der Botschaft in Paris gehabt und wie hart ihm Indien danach dünke. Anstatt der so vielseitigen europäischen Interessen hätte hier jeder nur sein eignes enges Arbeitsinteresse, sähe alles vom beschränkt indischen Standpunkt an, und jeder dünke sich dabei furchtbar wichtig. Die Männer seien meist überarbeitet, und die Damen und durch sie der ganze gesellige Ton nicht bloß frivol, sondern albern frivol, worin ich ihm beistimmte. Der General sagte, er mache täglich dasselbe Gebet, daß es ihm in einem Jahr nicht besser gefallen möge, weil das ein Zeichen seiner eignen geistigen Deterioration sein würde. Ich mußte so an Baron Gutschmid denken und an unsere eignen Stimmungen in Chile. Ich erzählte Brackenburg, wieviel schlimmer es dort gewesen. Ich finde es ja hier auch oft unendlich flach und uninteressant, aber unter den außereuropäischen Posten bleibt es doch einer der besten.

16. Juni. Nachmittags besuchte mich Brackenburg, der ein wirklich gescheiter Mensch ist, und mit dem ich einen langen Schwatz hatte, und zwar nicht, wie gewöhnlich hier, über Tagesklatsch oder indian affairs, sondern über allgemein interessante Dinge. Man schätzt das immer mehr, je länger man aus Europa weg ist. Au cours de notre conversation machte er mir eine förmliche Deklaration, was mich erfreute, weil es ein so kluger Mensch ist, der eben aus einem gescheiten Milieu kommt und also Vergleiche machen kann. Außerdem ist es in my condition besonders schmeichelhaft, noch imstande zu sein, jemand zu einer Deklaration anzufeuern ... Ich sehne mich sehr nach Urlaub und Erholung, und der Gedanke, noch 1 ½ Jahr hier zu sein, wird mir täglich schwerer. Von Jahr zu Jahr fühlt man eben doch, wie man das außereuropäische Leben mehr und mehr müde wird.

28. Juni. Das Buch gelesen »Cavour« von Mazade, das mir in seiner angenehmen Schreibweise sehr gefiel. Cavour erscheint einem darin ungeheuer sympathisch mit einer glücklichen Mischung von Konservativem und Liberalem und der großen Gabe, alle Vorkommnisse für seine Pläne zu verwerten. Man bedauert ihn so sehr nach dem Frieden von Villafranca. In einem seiner Briefe an Gräfin Circourt aus dieser Zeit steht, daß ein gefallener Minister, der boudiert, sich immer ins Unrecht setzt und lächerlich macht. Beim Lesen dieses Buches ist mir übrigens so recht aufgefallen, daß diejenigen Staatsmänner, welche ihrer Zeit den Stempel geben, doch die Minister at home und nicht die Botschafter abroad sind, und zum erstenmal in meinem Leben habe ich für Edmund ersteren Posten ambitioniert. Ambition überhaupt ist aber bei mir sehr im Wachsen begriffen, und ich wünschte nur, ich wüßte, was zu tun, um uns vorwärts zu bringen. Ich wünsche so sehnlichst, daß Edmund sich einen Namen und Platz in der Welt machte. Das Klima hier bedrückt mich immer wieder und macht mich apathischer, als es in meiner Natur ist; atmete ich a more exhilarating air, so würde ich in der Hinsicht ganz anders rastlos sein. Es ist aber sehr schwer, so aus der Entfernung zu wissen, what to do and what to leave undone.

1. Juli. An Brauer geschrieben: »Vielleicht wird es Sie interessieren, daß der Bakkaratskandal auch auf Indien eine Rückwirkung hat. Hiesige Militärs behaupten nämlich, daß es dadurch unmöglich gemacht wird, daß der Herzog von Connaught Nachfolger des jetzigen Commander in Chief in Indien werde, wovon viel die Rede war, und das wäre den alten Generälen, die alle selbst nach diesem fetten Posten schauen, gerade recht. Loyalität in unserm Sinne mangelt in Indien nicht nur bei den Natives, was ja nicht so gar erstaunlich ist, aber auch die Anglo-Inder, mit Ausnahme des jeweiligen Viceroy und seiner nächsten Umgebung, zeichnen sich nicht dadurch aus. Unter den hiesigen Beamten ist ein starkes Kontingent von Irländern und auch von Leuten aus Klassen, in denen überall das Frondieren zu Hause ist. Man kann es jetzt hier von Beamten und Offizieren oft offen hören, daß es sich sehr fragen würde, ob, falls die Königin bald sterben sollte, man den Prinz von Wales überhaupt an die Regierung ließe ... Die gestern hier eingetroffene telegraphische Nachricht von dem glänzenden Empfang unsres Kaisers in London erregt hier namentlich unter den Militärs große Freude, hauptsächlich aber, daß die Londoner großen Blätter auf die große politische Bedeutung des Besuches hinweisen. Die Militärs in Indien, welche sich keine Illusion über die Schwäche ihrer Armee machen, wiegen sich jetzt in der Hoffnung, bei dem Kriege, den sie früher oder später nach ihrer Ansicht mit Rußland zu bestehen haben werden, der Bundesgenossenschaft Deutschlands sicher zu sein ...«

7. Juli. Einen sehr erfreulichen Brief von Onkel Grimm erhalten, welcher von Mohl gehört, daß es nur eine Frage der Zeit und Opportunität sei, wann Edmund in den diplomatischen Dienst übertreten werde. Wir beide genossen diese Ermunterung sehr und in unsrer Freude darüber umarmten wir uns, obschon der Chuprassi im Zimmer hockte und die Zeitungen ordnete.

10. Juli. Kostümierter Kinderball, den Lord Beresford gab. Teddy saß, sooft er nur konnte, bei Lady Lansdowne, für die er eine wahre Schwärmerei hat und mit der er ganz wie ein Erwachsener Konversation macht. Er war schon 14 Tage vorher in größter Angst, ob nicht irgend etwas passieren würde, ihn am Ballbesuch zu hindern, und seine letzte Idee war, ob uns der Kaiser nicht am Ende vorher versetzen würde. Ich wünschte, er hätte damit recht gehabt.

22. Juli. Edmund hat jetzt besonders viel zu tun, um über alle russischen Machinationen, die hier an der afghanischen Grenze getrieben werden, zu berichten. Die Russen sollen ein Netz von Agents provocateurs in Indien haben, welche hauptsächlich die Nativepresse bestechen und zur Verbreitung von Unzufriedenheit veranlassen. Man sagt auch hier, daß während der Reise des Zarewitsch Geschenke an Natives gemacht worden sind, die weit über den Wert dessen gingen, was bei solchen Anlässen üblich ist. Augenblicklich sollen die Russen nach Persien und dem Pamir zu sehr tätig sein. Hier weiß man das wohl, verfolgt aber eine Politik des Nichtdaranrührens. Sir F. Roberts, General Collin und Sir I. Browne bilden diejenige Partei, welche die augenblickliche Ruhezeit benützen möchten, um die Grenze und ihre Bahnen zu verstärken, aber sie dringen nicht durch, denn der Viceroy neigt persönlich sehr dazu, to leave well alone, und der ihm neu hergesandte Kriegsminister General Brackenburg hat offenbar von zuhause den Auftrag, ihn darin zu bestärken, alles zu vermeiden, was Rußlands Susceptibility erregen könnte, und Lord Wolseleys Ansicht zu vertreten, daß im Fall eines Krieges die anglo-indische Armee eine rein defensive Haltung einnehmen soll. Während des letzten Ministerconseils hat Sir James Browne auf die Gefahr des russischen Vordringens im Pamir hingewiesen. General Brackenburg erwiderte, dieses fortwährende Vordringen der Russen erinnere ihn an den Ruf »der Wolf kommt!« und er glaube nicht daran, daß Rußland daran dächte, je Indien anzugreifen. Darauf soll der Commander in Chief, Sir Frederick Roberts aufgestanden sein und gesagt haben: »The Hon'ble Member forgot, to tell us the end of the fable, how after all the wolf came and did get the sheep!«

27. Juli, geschrieben an Kiderlen und über hiesige Russenfurcht erzählt.

24. August. Abends ein großes Fest beim Rajah von Kapurthalla, wo tout Simla war. Ich sagte ihm, wie sehr es mich erfreue, daß er mein großes Ölbild von der Magelhaensstraße, welches ich hier in der Amateurausstellung hatte, gekauft hat. – Nachmittags kam ein langes Telegramm von einer noch unentschiedenen Schlacht bei Valparaiso!

30. August. Erregende Nachricht, daß die russische Pamirexpedition eine Grenzverletzung bei Gilgit begangen habe und unter Androhung bewaffneten Widerstands zurückkomplimentiert worden sei ... Die Russen gehn mal wieder in Zentralasien vor und versuchen, wie weit man sie without rebuke wird gehen lassen. Nachmittags kam ein Telegramm, daß Valparaiso genommen und Balmaceda, wie man glaubt, geflohen sei. Edmund und ich waren so froh und dankbar, daß wir bei unserm Spaziergang alles schön fanden, sogar die Berge und einzelne Bäume, an denen wir hundertmal vorbeigegangen, ohne sie zu beachten.

31. August. Edmund schrieb mehrere hübsche Berichte über die zentralasiatischen Vorgänge, und wie die Pamirexpedition die Leute hier aus ihrem Halbschlummer aufgerüttelt hat, so daß jetzt allerhand Grenzbahnen gebaut werden sollen. Da sie aber alles aus ihren regulären Budgeteinnahmen bestreiten wollen, hapert es mit den Mitteln. Eine Anleihe in Gold in England wollen sie nicht aufnehmen, weil sie ja hier ihre Einnahmen alle in Silber beziehen, und da man nie weiß, wie tief die Rupie noch sinken mag, mit der Zinszahlung in unberechenbare Verpflichtungen geraten könnten. Die neuste Idee ist nun, in Indien selbst, und zwar in Silber, eine Anleihe zu erheben, die auch den Vorteil böte, alle eingeborenen Aktionäre durch ihre Interessen an die Regierung zu fesseln ... Nachmittags Telegramm, daß Santiago den Kongressionisten übergeben und Balmaceda geflohen sei, nachdem er noch vorher 60 Söhne von Insurgenten, die er als Geißeln hielt, habe hinrichten lassen.

3. September. Lord Harris, der neue Gouverneur von Bombay angekommen zu Besuch des Vizekönigs, mit dem es sich sehr gut spricht. Er erzählte mir viel von Japan, der netten Art der Leute und ihren poetischen Blumenfesten, was meinen Wunsch, nach Tokio gesandt zu werden, sehr erhöhte. Er hat ein recht ungeniertes Wesen, und ich kann mir lebhaft vorstellen, daß er den Zarewitsch durch seine burschikose Art und sein Erscheinen beim Empfang in gelben Morgenschuhen etwas chokiert hat.

4. September. Große Gesellschaft im Governmenthouse mit gutem Liebhabertheater. Das eine Stück merkwürdigerweise eine große Persiflage der englischen Aristokratie und ihrer Tendenz, to go into business. Leider sind beunruhigende Telegramme über die Gesundheit des Kaisers gekommen, an die wir aber nicht glauben wollen, da die Reutersche Quelle doch keine sehr klare ist. Auch über russische Versuche (gestärkt durch die neue enthusiastische französische Freundschaft) den Dardanellendurchgang zu erwerben, kommen allerhand Telegramme. Wir meinen, man sollte ihnen das doch lieber freiwillig geben.

5. September. Unterhielt mich viel mit Maitland, der ganz Buddhist ist, dies Leben als unser Life of causes ansieht, deren Folgen wir während dem von uns Tod genannten Zustand als ein Life of effects sehen werden, worauf wir dann später wieder geboren werden sollen zu einem Life of causes. Als was wir dann geboren werden, können wir durch unser jetziges Leben und dadurch, daß wir bestimmte Eigenschaften und Anlagen in uns besonders entwickeln, sehr beeinflussen. Diese erweiterte Theorie der Seelenwanderung hat mir etwas außerordentlich Anziehendes.

14. September. Nachmittags besuchte uns der Maharajah von Kapurthalla und trank ganz zivilisiert Tee mit uns, was mich höchlichst erstaunte. Er erkundigte sich viel nach Deutschland, dem Kaiser, den Bismarcks, deren Photos wir ihm zeigten.

27. September. Großes Sonntagstiffin, zu dem auch Pemberton kam, welcher meinte, er habe geträumt, daß er und seine Töchter nach Sibirien verschickt würden, nachdem die Russen Indien erobert. Ich sagte ihm, es sei doch traurig, daß die Handvoll Russen im Pamir sogar bis in die Träume eines Member of Council hineinspukten. Es scheint dort doch Ernsteres passiert zu sein, als wir anfänglich wußten, und die russischen Zeitungen sprechen sehr hochtrabend. Edmund glaubt, daß die Engländer nachgeben werden, denn ihnen selbst liegt an den besagten Gegenden nichts. Es sind aber z.T. vom Emir selbst eroberte Länder, an denen er hängt, und wenn die Engländer ihn in dem Besitz nicht schützen, so fürchtet man, wird er das als Vertragsbruch ansehen und sich mehr den Russen zuneigen.

Oktober. Ende des Monats besuchte mich einmal der Maharajah von Patiala, dem ich zu seinem ersten Söhnchen gratuliert hatte. In Edmunds Abwesenheit halfen mir die Kinder ihn zu empfangen und es war sehr amüsant, wie Teddy sich mit ihm über seine Elefanten unterhielt, ihm nachher eine korrekte Tanzstundenverbeugung machte und ihn bis vor die Haustür begleitete. Dieses frühzeitige Verständnis für Zeremoniell muß einem Orientalen doch sehr gefallen haben. November. Die Kinder sind in Mashobra zu Besuch von Lady Barbours Kindern. Edmund und ich führen währenddem ein ruhiges Dasein, was er damit variiert, daß er den wenigen schönen Damen, die noch hier sind, afternoon tea Visiten macht, oder sie zu solchen »zu mir« auffordert ... Il y a des femmes, qui considèrent le mariage comme un gagne-pain tout comme un autre. Die meisten Männer sind Egoisten. Die liebenswürdigeren sind es unbewußt, die pedantischeren, unangenehmen dagegen érigent leur égoisme en principe und finden so eine Rechtfertigung dafür.

14. November. Nachmittags kam Dr. Harvey aus Abbotabad an, der mir sehr gefiel und mir Courage machte.

17. November. Morgens um 4 aufgewacht und die ersten Schmerzen gefühlt. Ich weckte Edmund aber erst um 5 ½, um ganz sicher zu sein. Gegen 11 war alles vorbei und unser zweiter Junge auf der Welt. Edmund schien sehr glücklich, und ich war dem lieben Gott so dankbar, daß dieser Wunsch so schön in Erfüllung gegangen.

28. November. Edmund reiste nach Kalkutta ab. Es war mir schrecklich schwer, ihn allein reisen zu lassen ... Güntherchen ist eine täglich wachsende Freude. Er gedeiht Gottlob gut bei seiner Flasche, nachdem er es absolut abgelehnt hat, sich von mir nähren zu lassen, obschon ich eine Menge Nahrung hatte. Es war mir das eine große Enttäuschung, denn ich habe grade für dies Baby eine so große Zärtlichkeit, daß ich es so gern genährt hätte. Aber alle Versuche blieben erfolglos. Bei alledem stand ich mehr aus, als bei der eigentlichen Niederkunft.

10. Dezember. Einen sehr netten Geburtstag, nur leider ohne Edmund, zum zweitenmal seit wir verheiratet sind. Er schrieb mir einen reizend lieben Brief mit viel zu viel Anerkennung. Das Baby hat uns einander wieder näher gebracht, was ich von ihm hoffte, und Edmund weiß, daß ich wenigstens suche, das Rechte zu tun, wenn es mir auch oft nicht gelingt, und er muß auch wissen, daß mir nichts zu schwer würde, um ihm Freude zu machen. Ich dachte viel über das letzte Jahr nach, das mir trotz allem Kranksein doch auch viel nette Stunden gebracht hat, mit Edmund wenn er mir vorlas, oder wenn er arbeitete und wir dann seine Berichte besprachen ... Ich bin in diesem Jahr mehr und mehr zur Erkenntnis gekommen, daß wir doch in einem Zusammenhang stehen mit Gott und daß er uns wohl hört. Es ist dies ein tröstlicher Gedanke, und er führt mich zum weiteren Hoffen und Glauben, daß wir mit dieser Existenz nicht zu Ende sind, sondern daß sich das Gute in uns später noch weiter entwickeln wird. Während der langen Stunden, die ich in den letzten Wochen gelegen und nachgedacht habe, ist mir manches klarer geworden, und es kam mir vor, als sei ich Gott plötzlich näher gerückt. Der Wunsch, wirklich gut zu sein, ist in mir sehr wach geworden, und etwas von jenem Mitleid, das Christus unter der Nächstenliebe gemeint, das er selbst im höchsten Maße für uns gehabt und das uns helfen soll, alle kleinlichen Gefühle von Ärger, Ungeduld und Neid zu überwinden.

16. Dezember. Die letzten Zeitungen bringen schlimme Nachrichten von sehr ernsten Kämpfen zwischen den britischen Truppen Gilgits und den wilden Hunza- und Nagartribes. Mehrere englische Offiziere sind schwer verwundet, und es können ihnen in dieser Jahreszeit keine Verstärkungen gesandt werden, denn die hohen Pässe sind jetzt für größere Truppenteile unpassierbar. Man sagt, daß die Hunzas und Nagars russische Gewehre gehabt und von den Russen aufgewiegelt worden seien; erstes greifbares Resultat der Pamirexpeditionen.

30. Dezember. Am 27. reisten wir nach Kalkutta ab, wo wir am 30. eintrafen.

5. Januar 1892. Abends aßen Schwabachs bei uns, ein reizendes junges Ehepaar, das um die Welt reist. Sie erzählten sehr viel vom neuen Regime zu Haus, und wie alle Welt sich über den Kaiser entrüstet und er sich mit seinen unglückseligen Reden lächerlich macht, und wie sehr wir doch seit Bismarcks Abgang in allem zurückgegangen sind. Bismarck soll dem alten Herrn Schwabach gesagt haben: »Ich gehe nicht ab, ich werde wie ein Hund fortgejagt.« Es ist zu betrübend, solche Dinge zu hören. Die Version der englischen und französischen Zeitungen über die Ohrenkrankheit des Kaisers soll doch die richtige sein, und seine stete Unruhe, die seltsamen Reden usw. sollen eben das Resultat seiner furchtbaren Schmerzen und Nervosität sein.

Am 7. Januar war State-ball, zu dem Edmund nicht konnte, weil er nicht wohl ist. Ich ging zum erstenmal in meinem Leben allein zu einem Ball und amüsierte mich wider Erwarten sehr gut. Ein wahres Ereignis bildete das Erscheinen einer Mme. B., alleinstehende Globetrotterin. Sie trug ein weißes Korsett und im übrigen nichts wie zwei Perlenketten über den Schultern. Lady Lansdowne sah ich zum erstenmal steif aussehen, als ihr dies Ungeheuer vorgestellt wurde, und der Viceroy, mit dem ich tanzte, sagte mir: »I have never seen such an exhibition since I was weaned.«

12. Januar besuchten uns drei reizende deutsche Globetrotter: Baron Herrmann, ein entfernter Verwandter Edmunds, Graf Spee und Graf Königsmark, der ein Verwandter Stephaniechens ist, aber von den Vorurteilen seiner Familie frei zu sein scheint, denn er besuchte mich gleich und war sehr nett. Zum Abschied sagte er mir: er könne nun wie ganz Kalkutta sagen: »how awfully nice the baroness is!«

16. Januar. Obschon ich mich noch recht schlecht fühlte, morgens ganz früh aufgestanden und mit Edmund zum Dampfer nach Umbassa gefahrenZu einer Reise nach Burma. ... Um 9 fuhren wir endlich ab, nachdem wir eine Masse Kühe, Bullocks, Kälber und Schafe eingeladen hatten, die alle für Burma bestimmt sind, da dort gar kein Vieh gedeihen soll. Unter den Passagieren amüsierten uns sehr die Burmesen, die alle einen so nett lustigen Eindruck machen. Erster Klasse fuhren auch einige indische Kaufherrn aus Rangoon in der beliebten Tracht der Lackschuhe, weißbordierten Hosen und darüber ein dunkler kaftanartiger Rock. Wir fanden viel Ähnlichkeit zwischen ihnen und den Juden.

20. Januar früh kamen wir in Rangoon an, mußten aber lang im Fluß liegen bleiben, bis uns die Flut erlaubte, anzulegen. Vom Fluß aus gefiel uns Rangoon gar nicht, da man nur große Schuppen und uninteressante europäische Häuser sieht. Die Bevölkerung am Kai war aber sehr malerisch, Burmesen in ihren hellseidenen Tüchern, die sie von der Taille bis zu den Füßen straff spannen, und besonders eine Gruppe von Indern, ein alter Mann mit schneeweißem Bart, golddurchwirktem Turban und faltenreichem, gelblichem Wollkaftan, um ihn herum mehrere reizende braune Kinder. Sie sahen aus wie eine Gruppe aus der Bibel oder aus einem alten 1001-Nacht-Märchen. Die Häuser in der Stadt sind alle aus dünnem, braunem Holz und erinnern darin an die Schweizer Häuser; früher waren sie alle auf hohen Pfählen gebaut wegen der Feuchtigkeit, und man sieht noch einige der ältesten, die nur aus einem Stockwerk bestehen und zu denen von außen eine Treppe hinaufführt, während der offene Raum zwischen den Pfählen als Remise benutzt wird und den Kindern und dem Federvieh als Spielplatz dient. Nachmittags fuhren wir zu der goldenen Pagode, die uns sehr überraschte, da uns niemand erzählt hatte, wie ungeheuer interessant sie ist. Der Weg führte an grauen Holzhäusern der buddhistischen Priester vorbei, Kyaungs genannt, bis an den Eingang zur Pagode. Das Tor wird von zwei Riesendrachen aus Stein beschützt, und von da führte ein bedeckter Treppengang zum Hügel hinauf. Auf beiden Seiten sind Buden, in denen Lichte und sonstige Opfergaben, aber auch burmesisches Spielzeug verkauft wird. Im Halbdunkel dieses Ganges kam uns die steilen, glatten Stufen herab eine Schar reizender junger Burmesinnen entgegen, alle mit den hellroten seidenen Tüchern, von der Taille bis zu den Füßen eng um sie geschmiegt, der leichten Musselinjacke, der Rose hinterm Ohr und der dicken grünen Zigarre im Mund. Alle heiter und mit einem lachenden Gruß für jeden und dem Ausdruck angeborener Koketterie. Ein großer Kontrast nach den verschüchterten eingeschlossenen Inderinnen. Oben angelangt, fanden wir uns auf einem weiten, viereckigen Platz, dessen Mitte von der eigentlichen goldenen Pagode eingenommen wird. Um diese herum erheben sich zahllose kleine Pagoden, Reihen kniender Steinelefanten, zahllose Privattempel, in denen ein oder mehrere ernste Gautamas sitzen, hohe Fahnenstangen mit einem abenteuerlichen Drachen oder Vogel aus schillernder Goldarbeit auf der Spitze. Große durchbrochene Sonnenschirme aus Goldblech, merkwürdige Schlangen mit goldenen Köpfen, die hoch oben in den Lüften von einer Stange zur andern sich winden. Das Ganze ist so märchenhaft und unglaublich, daß mir anfänglich ganz träumend zumute war. Erst allmählich findet man sich zurecht, und aus dem verblüffenden Gesamteindruck lösen sich die einzelnen Bilder und Details aus. Da ist vor allem die herrliche Schnitzarbeit, welche die Dächer der Tempel schmückt und die Säulen darunter zu Portalen vereinigt, phantastische Schnörkel schlingen und verschlingen sich, und durch sie winden sich lange Blumenkränze, aus denen Vögel hervorschauen und zwischen denen Ochsenwagen, Boote, Menschen und Tiere verwachsen scheinen, während oben auf den Kanten der Dächer ganze Reihen von bizarren Tänzerinnen zum blauen Himmel aufschweben und an den weit vorspringenden Ecken seltsam groteske Wesen, halb Engel, halb Drachen, auslaufen. Pagoden, Tempel, Buddhas, Schirme, Stangen, alles wird verbunden durch eine herrliche Vegetation; überall schießen schlanke Palmen hervor, Schlinggewächse spinnen sich am Gemäuer entlang, und große unbekannte Bäume bilden ein Dach über Hallen, in denen Reihen stiller Buddhas sitzen. Erst die einbrechende Dunkelheit vertrieb uns, und wie ein märchenhaftes Liedchen steigt das Läuten der zahllosen Glöckchen auf den Spitzen der Pagoden zum abendlichen Himmel empor.

21. Januar. Edmund und ich machten eine selbständige Expedition per Ticagharry nach der goldenen Pagode. Eine Menge Gläubige hatten sich versammelt, und es sah so poetisch aus, wie sie kniend ihre Blumenopfer den Buddhas darbrachten. Es ist eine gar zu reizende Bevölkerung, so freundlich, heiter und harmlos; all die hübschen Frauen und Mädchen lachen die Fremden an und bringen ihnen Rosen. Sie erinnern halb an Italienerinnen, halb an die kleinen Mädchen im Mikado. Wenn man sie so in der Sonne trippeln sieht, in ihren enganschmiegenden Seidenstoffen, ihren weißen Jäckchen und hellen Crepetüchern, mit ihren graziös manierierten Bewegungen und ihren kleinen freundlichen Gesichtchen, ihren Rosen im Haar und bunten Glasperlen um den Hals, ihren zierlichen Händchen und Fäßchen, sehen sie aus, als seien sie aus einem Märchenbüchel herausgesprungen. Das ganze Land hat etwas Irreelles, als sei es auch nur ein für ein Weilchen lebendig gewordenes Märchen, und als müsse mit der untergehenden Sonne all das Glitzern und Schimmern der Glassäulen, das Glänzen der goldenen Pagoden, das Blinken und Funkeln der bunten Steine auf den Thronen der Buddhas, das Klingeln der tausend kleinen Glöckchen, das Schillern der Drachen und Vögel auf den bunten Fahnenstangen, als müsse das alles dann auch gänzlich verschwinden.

Drei heitere Burmesen erkannten uns sofort als Globetrotter und führten uns herum, wobei wir manches schauten, was wir am ersten Abend übersehen hatten. In manchen Hallen sind ganze Reihen stiller sitzender Buddhas, die wie eine versteinerte Teegesellschaft aussehen. – Mittags fuhren wir in den Rangooner Louvre, wo wir mit einem Ladenkommis ein amüsantes Gespräch hatten. Er erklärte strahlend, daß ganz Burma sich mehr und mehr anglisiere, und zeigte uns mit strahlendem Gesicht horrible englische Wollshawls, von denen er sagte, sie würden bald all die burmesischen Stoffe verdrängen. Wirklich sahen wir auch mehrere Burmesen, die diese greulichen Shawls schon tragen. Arme, reizend heitere und bunte Seidenstöffchen, die ihr von prosaischer englischer, brauner Wolle verdrängt werden sollt; ich freue mich, euch noch gesehen zu haben. Und arme, reizend heitere und sorglose Burmesen, die ihr auch allmählich durch Engländer und die wachsende indische Einwanderung verdrängt werden sollt. Denn die Burmesen sind indolent, und ihr Land hat weite unbebaute, fruchtbare Strecken; der Inder aber ist im Vergleich fleißiger und sein Land ist übervölkert, und so ist es denn nur zu wahrscheinlich, daß die lieben kleinen Burmesen allmählich ganz von Madrasses, Bengalen und Babus überschwemmt werden.

Abends reisten wir ab. Noch lange nachdem wir Rangoon verlassen, sahen wir die Silhouette der goldenen Pagode sich vom abendlichen Himmel abzeichnen, und uns beide erinnerte der Blick, so verschieden er auch ist, an die St. Peterskuppel, die man auch noch sieht, nachdem man Rom schon lange verlassen.

22. Januar. Wir hatten eine angenehme kühle Nachtfahrt, und gegen Morgen sahen wir auf unsrer rechten Seite eine blaßblaue Gebirgslinie, der wir allmählich immer näher kamen, und einen Vordergrund von Palmendickichten, aus denen weiße Pagoden, braune geschnitzte Kyaungs und burmesische strohgeflochtene Häuschen, auf hohen Pfählen gebaut, hervorlugten. Es war eine fortwährende Abwechslung entzückender landschaftlicher Bilder, und die Staffage bildeten große graue Bullocks, die tief im Schlamme steckten, während allerhand bunte Wasservögel um sie herumflogen und eine Art weißer Kraniche sich ihnen frech und behaglich auf die feisten Rücken setzte.

Nachmittags kamen wir in Mandalay an und wurden von Kolonel Cooke, dem Commissioner, empfangen. Auch erwartete uns ein bequemer zivilisierter Landauer, der durchaus nicht in meine Vorstellung von Mandalay passen wollte und den uns Mulla Ismael Khan, früherer Bankier des Königs Theebaw, an den wir eine Empfehlung hatten, zur Verfügung stellte. Kolonel Cook brachte uns in das Dak Bungalow und überließ uns als Führer während unsres Aufenthalts einen seiner burmesischen Sekretäre, Mangi, ein zierliches irreelles, gelblich braunes Wesen, welches einen engen rotseidenen Lappen um Hüften und Beine trägt, einen rosa Turban auf dem Kopf hat und nur halb kniend und mit gefalteten Händen zu uns spricht.

23. früh fuhren wir in Mulla Ismaels Landauer mit dem malerischen Mangi auf dem Bock nach der Arrakan-Pagode. Die Wege sind lang, breit und staubig, aber die malerische Bevölkerung amüsierte uns sehr, und zu ihr wollte uns die amerikanisch nüchterne Benennung der Straßen nach Nummern gar nicht passen. In der mysteriösen, halbdunklen Tiefe der Pagode sitzt ein enormer goldener Buddha, der ganz rauh und schrumpelig ist vor lauter Gold, das ihm allmählich von den Gläubigen als Opfer angeklebt worden ist, und noch immer, während wir ihn anschauten, kletterten fromme Menschen an ihm empor und beklebten ihn mit feinen Blättchen pursten Goldes. Um ihn ist der ganze Tempelhof gefüllt mit knienden Menschen, in helle Seiden gehüllt, welche blaßlila Lotosblumen zu ihm emporhalten. Die wundervollsten geschnitzten Kasten, große eingelegte Glasvögel, Lackspeiseschüsseln stehen herum, während von der Decke Hunderte von verschiedenen europäischen Glaskandelabern herabhängen und die gelb drapierten Pungis ihre Gebete murmeln.

Später fuhren wir nach dem Basar, in welchem horribler europäischer Schund verkauft wird, daneben aber burmesisches Silber, Lackarbeiten, Glasschmuck und vor allem die reizenden burmesischen Seiden. Die Läden werden meist von Frauen gehalten, die ja überhaupt weit tüchtiger, intelligenter und fleißiger als die burmesischen Männer sind. Im Basar trafen wir Mulla Ismael jr., ein burmesischer Dandy, der eben aus London zurückgekommen ist, europäische Kleider trägt und uns nach seinem Hause brachte. Nachmittags fuhren wir nach dem früheren Palast. Derselbe war einst von einer ganzen inneren Stadt umgeben und gegen die äußere durch breiten Graben und Mauer abgeschlossen. Von dieser inneren Stadt aber existiert nichts mehr; sie ist vollkommen rasiert, und auf den weiten, leeren Plätzen stehen jetzt einzelne englische Cottages und Holzkasernen, auf Pfählen erbaut. Der Palast zerfällt zu Ruinen; in der früheren goldenen Audienzhalle wird englische Kirche für die rotberockten Tommy atkins gehalten, und das Ganze heißt Fort Dufferin. Wir wurden ganz melancholisch über den Verfall des Wenigen, was noch übrig ist. Für ihren neuen Zweck ist die Audienzhalle jetzt mit Matten eingeschlossen worden, früher aber war sie ganz offen, und die in ihr kniende Menge konnte von da aus den König und die Königin sehen, die wie Heiligenbilder auf einem Goldthron hinter golddurchbrochenen Türen erschienen, von der Menge noch durch goldene Balustraden getrennt. Es muß ein merkwürdiger götzenhafter Anblick gewesen sein, diese beiden Gestalten in den steifen rubinbesäten Goldanzügen hoch über dem Boden auf einem altarschreinartigen Thron, der nach vorn glatt abfällt und zu dem sie, von der Menge ungesehen, von hinten aufstiegen und dann plötzlich hinter den sich öffnenden Goldtoren standen. Ich verträumte mich ganz in diesen Gedanken, und es war mir, als hätte ich es alles selbst gesehen, den kleinen versimpelten König, die grausame Königin, die Pagen mit den weißen Sonnenschirmen, die bunte Menge, die sich zu Boden wirft, die Tausende gefalteter brauner Händchen, die sich zum Thron emporheben, die Hofdamen und Prinzessinnen, die verräterischen Minister, die europäischen Abenteurer und über dem allem die goldene Halle mit all ihren grotesken geschnitzten Figuren und Schnörkeln, ihren glitzernden eingelegten Glaswänden, die sich wie ein Traumgebilde tropischer Phantasie vom blauen Himmel abhebt. Wir bestiegen bei untergehender Sonne noch einen hohen Turm, den der König erbaute, um von da aus seine ganze Stadt sehen zu können, denn er fürchtete sich doch so sehr vor den Folgen seiner Mißwirtschaft in Gestalt von Rebellen und Mördern, daß er sich nie in sein Land hinauswagte und seinen Palast außer mit der einen großen Mauer, die noch jetzt das Fort Dufferin umgibt, von vielen inneren Barrikaden umgeben ließ. Wir bummelten noch etwas in den Gärten herum, sahen das Sommerhäuschen, wo der König Theebaw und die Königin vom General Prendergast gefangengenommen wurden, kletterten über allerhand verfallende Brückchen und kamen schließlich an den ganz von Lotos und Binsen überwucherten See, auf dem früher vor König und Königin die Ruderwettfahrten gehalten wurden. Ich war so müde, daß wir den malerischen Mangi nach dem Wagen schickten und auf der Landstraße auf ihn warteten. Es dauerte aber so lange, daß uns ganz abenteuerlich zumute wurde und es mich gar nicht verwundert hätte nach all dem Seltsamen, wenn der so irreal aussehende Mangi nie wieder zurückgekehrt wäre und statt seiner ein heiliger weißer Elefant erschienen wäre, uns an den Hof Theebaws zu bringen, um in Gesellschaft steinerner Buddhas Afternoontea aus Rubintassen zu trinken.

24. Januar. Wir fuhren früh zu einem uns sehr gerühmten italienischen Photographen, Signor Beato. Er freute sich offenbar sehr über unsre italienischen Brocken, und wir waren schleunigst so gute Freunde geworden, daß er uns bat, zum Chota hazri-Lunch bei ihm zu bleiben. Dazwischen erzählte er uns von dem Krimkrieg, der Sudanexpedition, der Plünderung des Sommerpalastes, der Eröffnung der japanischen Häfen, lauter Länder und Gelegenheiten, die er gesehen und z. T. photographiert hat. Dabei kennt er alle Welt, hat alle denkbaren Handwerke getrieben und ist ein kurioses Original, wie man es nur in dieser entlegenen Weltecke zwischen diesen kuriosen Ungeheuern, Drachen, Pagoden und all diesen steinernen und hölzernen Unwahrscheinlichkeiten finden kann. Seine Wirtschaft, sein photographisches Atelier, sein Kuriositätenhandel wird von einer reizenden Burmeserin geleitet, die er »Suzanna« getauft hat und deren kluges Gesicht und flinkes Arbeiten mich entzückten. Signor Beato sprach, wahrscheinlich mir zu Ehren, viel von Suzannas Mann, der einer seiner photographischen Arbeiter sein soll; ich fürchte, er ist ein fiktives Wesen. Während wir dort waren, kam ein anderes Original dazu, ein junger Franzose, Conte de la Lande. Sein Onkel war Armeeorganisator bei König Theebaw, konnte aber mit seinen Reformplänen nie durchdringen wegen des Neides und der Eifersucht auf die königliche Gunst seitens der eingeborenen Minister. Er ließ diesen jungen Neffen, der sehr arm ist, herüberkommen in der Hoffnung, daß er einige Geschäfte durch königliche Bestellungen machen würde. Er erhielt auch richtig Aufträge, aber als die Waren aus Frankreich ankamen, war es auch mit der königlich Theebawschen Herrlichkeit zu Ende und die Engländer Herren im Lande. Seitdem lebt nun der Conte de la Lande in Mandalay in einem kleinen Holzhäuschen von einer kleinen Rente, zusammen mit einem burmesischen Pony und einigen Jagdhunden, macht etwas Geschäfte in Rubinhandel und geht dazwischen auf die Jagd. Er hat etwas Verträumtes, Geistesabwesendes wie jemand, der jahrelang ganz allein gelebt hat; dazwischen erzählt er sehr amüsant von früheren burmesischen Zeiten, der Eroberung und den Dacoits, und es ist eine weitere Wunderlichkeit an diesem wunderlichen Ort, jemand zu treffen, der von alten Schlössern in der Bretagne spricht und von seinem Großvater, der ein Chouan gewesen ist.

25. Januar. Graf de la Lande frühstückte bei uns, und nach Tisch bestiegen wir einen Steamlaunch, um die Ruine einer enormen Pagode zu besuchen. Sie ist nie fertig geworden, sondern wurde von einem Erdbeben zerstört, als ein Drittel erbaut war. Sie wäre eins der Weltwunder geworden und macht auch so, wie sie heute ist, einen Eindruck, den ich nur mit dem der Pyramiden vergleichen kann. Es ist ein kolossaler Backsteinbau, durch das Erdbeben von mächtigen Rissen durchzogen, dessen Silhouette an die Engelsburg erinnert. Vom Fluß aus sollte ein von Drachen bewachter Weg heraufführen. Zwei dieser enormen halb sitzenden Drachen existieren noch, zur Hälfte mitten im Dickicht einer alles verschlingenden und überwuchernden Vegetation. Nicht weit von der Pagode hängt oder vielmehr steht eine riesige Glocke, von der niemand recht weiß, wie sie dahingekommen ist. Überall herum liegen Trümmer von Marmorsäulen und geschnitzten Engeln, und alles ist geheimnisvoll still.

26. Januar. Wir mußten früh auf den Dampfer, der uns nach Bhamo fahren soll ... Die Luft auf dem Schiff ist herrlich kühl, und uns beiden tut diese ruhige Fahrt sehr wohl ...

Am 29. kamen wir morgens an den Eingang des sogenannten zweiten Defilés. Der Fluß wird viel enger und tiefer. Die hohen bewaldeten Ufer treten dicht aneinander, und die Vegetation ist so undurchdringlich dicht, daß die Tiger, Leoparden und Bisons, die allein darin hausen, sich unter dem Dickicht Tunnel durchwühlen, um an das Wasser gelangen zu können. Es ist eine merkwürdig stille und einsame Welt, aber so schön, daß sie allein schon die Reise wert ist. Wir begegneten vielen Shans in ihren langen, schmalen Booten mit ihren enormen Hüten. Mittags waren wir aus dem Defilé heraus und kamen nun in ganz seichtes Wasser, das von vielen gefährlichen Sandbänken durchzogen ist. Wir wurden auf einen kleineren, weniger tiefgehenden Dampfer übergeladen, der die Räder hinten hat und wie ein zweistöckiges Puppenhaus aussieht oder wie eine der früheren in Hölle, Erde und Himmel eingeteilten Theaterbühnen. Das beste daran ist entschieden sein netter schottischer Kapitän, der aussieht wie jemand, der bessere Tage gesehen. Nach einigen Stunden kamen wir in Bhamo an. Die Bevölkerung, Burmesen, Shans, Kachims, Chinesen, drängte sich am Ufer, und das Landen in dieser kuriosen, vielartigen Menge war sehr amüsant. Zuerst war einige Schwierigkeit, wo wir unterkommen würden, aber der Agent der Irrawaddy Flottilla Cie. brachte uns in sein gemütlich luftiges Holzhäuschen, dicht beim Jungle gelegen, von dem aus gelegentlich Leoparden in sein Compound wandern. Bei Tisch war viel von Expeditionen die Rede, welche die Engländer von hier aus weiter ins Innere senden. In diesem Jahr sollen 10 Kolonnen unterwegs sein, und da bei ihrem Aufbruch sich eine Menge Generale und Officials zusammengefunden hatten, verbreitete sich im hiesigen Basar und von da aus weiter, wie bei allen orientalischen Neuigkeiten, das Gerücht, daß die Engländer einen Krieg mit den Chinesen beginnen würden. Ganz unbestimmt scheint die hiesige Grenzdemarkation. Die Chinesen reklamieren das Land jenseits des Tayping, der unweit Bhamos in den Irrawaddy fließt, und der hiesige Kommandant Kolonel Prendergast soll sehr der Ansicht sein, es ihnen zu überlassen, da es ganz wertlos ist; aber vermutlich wird auch hier die englische Herrschaft sich wie ein Fettfleck immer weiter verbreiten.

30. Januar. Wir gingen in den chinesischen Tempel, an dessen Tor zu Ehren des Feiertags, chinesisches Neujahr, Würfel gespielt wurde, fanden aber die greulichen, bemalten Götzen recht scheußlich nach den schönen ernsten Buddhas. Sehr amüsant aber waren die Chinesen selbst in ihren buntseidenen Feiertagskleidern. Ein Kind war besonders komisch mit einer großen grünen Jadebrosche inmitten des Hutes und einer Reihe kleiner goldener Götter auf jeder Seite. Wir verlangten Opiumpfeifen zu sehen und waren bald von einer Menge lachender, schnatternder Chinesen umgeben, die nach dem nötigen Zureden aus ihren weiten, seidenen Ärmeln sehr schöne elfenbeinerne und Ebenholz-Opiumpfeifen, mit Silberbeschlägen und Cabochons verziert, produzierten. Nach vielem Lachen, Handeln und Hinundherreden erstanden wir zwei sehr schöne Exemplare. Wir kauften noch ein paar kuriose Waffen und Kleidungsstücke und amüsierten uns sehr über die vielen seltsamen menschlichen Typen, denen wir begegneten. Am kuriosesten sehen die Kachimfrauen aus. Sie tragen als Rock einen gelben oder blauen bis an die Knie reichenden Baumwollappen, der in verschiedenen bunten Garnen gestickt ist. Die Jacke ist dunkelblau, mit roter Wolle und weißen Muscheln benäht, an den Beinen tragen sie gelbe, bestickte Wadenfutterale, die durch eine Masse beinahe haardünner Bambusreifen fest in die Höhe gehalten werden. Ähnliche, nur viel weitere Reifen tragen sie auch um den Leib, und da diese natürlich nicht eng sich anschmiegen können, sondern steif abstehen, sehen sie aus wie wandelnde schwindsüchtig gewordene Tonnen. Es sind alles sehr kleine, aber sehr kräftig gedrungene Gestalten mit struppigem, schwarzem Haar, welches so lang wie die Ohren gehalten ist.

1. Februar. Wir schifften uns morgens zur Rückfahrt ein, lagen abends bei einem kleinen Dorf vor Anker und machten einen sehr abenteuerlichen Spaziergang. Vor einer Pagode standen Stangen, auf deren Spitzen Hähne sitzen, was wohl ein Überrest des alten Glaubens ist, daß Hähne durch ihr Schreien die Geister verscheuchen. Im Dorf waren alle Frauen mit Reismahlen beschäftigt, was mich daran erinnerte, daß Lippert sagt, mit der wachsenden Geschicklichkeit, Wild zu erlegen, sei die Ernährung durch Körner und die Beschäftigung damit immer mehr auf die Frau übergegangen. Ich habe bei dieser Reise überhaupt häufig an Lippert denken müssen, so auch in Bhamo, als die Chinesen am Neujahrstag so viel Lärm machende Crackers abbrannten, offenbar ein Überrest der alten Sitte, durch allerhand Lärm die Geister zu verscheuchen.

4. Februar. Kolonel Cook erzählte sehr interessant über die Punghis, die gegen andere Religionen so merkwürdig tolerant sein sollen, daß wir und besonders unsere Missionare sich recht ein Beispiel daran nehmen könnten. Er meinte, daß die buddhistischen Lehren sich vor Christus auch in Palästina verbreitet hatten und daß Christus sehr unter ihrem Einfluß gestanden hat, daher die große Ähnlichkeit beider Lehren. Die Punghis stehen unter einer der katholischen sehr ähnlichen Hierarchie. Ihr oberster Priester, der ungefähr dem Papst entspricht, lebt in Ceylon, wo der Buddhismus auch am reinsten ist; er entscheidet über alle schwierigen Fragen. In Birma gibt es einen obersten Erzbischof, viele Bischöfe, und über jedem Konglomerat von Kyaungs steht ein Abt. Der Erzbischof ist neulich neu erwählt worden, und die Engländer wünschen sehr, daß ein alter, besonders heiliger Punghi, der in der Nähe der großen Glocke bei Mingun wohnt, die Würde erhalten sollte. Er schlug es aber aus, weil er fand, daß er sich dann zu sehr mit weltlichen Dingen beschäftigen müsse. Nirwana, meint Kolonel Cook, hieße nicht »im Nichts aufgehen«, sondern »der Zustand, wo die Seele Ruhe hat«. Cook sagte, daß die englische Regierung sehr versuchte, die Punghis zu ihrem Nutzen zu verwenden, meinte aber, daß der Einfluß, den sie auf das Volk hätten, zwar groß genug sei, um ihnen schaden zu können, selten aber, um ihnen wirklich zu nützen. Es fiel mir übrigens sehr auf, wie der klerikale Typus sich überall auf der Welt gleich bleibt. Die gelben Punghis hier sehen ganz aus wie Mönche des heutigen Italiens oder wie Heilige des Quattrocento.

Wir frühstückten im Klub, der sich in einigen Räumen des früheren Palastes befindet. Ein moderner englischer Frühstückstisch inmitten solch eines vergoldeten, geschnitzten Thronzimmers ist ein recht kurioser Kontrast. An einer goldenen Tür findet sich der blutige Abdruck einer Hand; es soll dies eine Erinnerung an eine Hofdame sein, an welcher König Theebaw Gefallen fand, und welche die eifersüchtige Königin am Tage vor dem Einzug der Engländer ermorden ließ. Die Wände des Klubzimmers bestehen ganz aus der reizendsten bunten Glasarbeit, daneben aber liegen die gemeinsten Brüsseler Bettvorleger als Teppiche und auf Schritt und Tritt sieht man solche barbarische Incongruites.

Am 7. verließen wir das seltsam verträumte und mir kaum wirklich erscheinende Mandalay. Ein Engländer, der bei der Eroberung von Mandalay zugegen gewesen, erzählte uns viel davon, wie prächtig der Palast einerseits, aber wie bodenlos schmutzig er andrerseits gewesen sei, da die Burmesen nur Hunde und Schweine als Scavengers kennen, so daß es nötig war, sofort eine Armee Sweepers aus Indien zu verschreiben. Die Beute muß fabelhaft gewesen sein, und die Sergeants kauften sich gegenseitig um 300 Rupies das Recht ab, eine Nachtwache im Palast zu haben. Ich hörte auch von einer Expedition zu den Chins, die die Engländer jetzt machen, bei welcher sie zu einem Stamm kommen, der die Sitte hat, die toten Vorfahren, wahrscheinlich gedörrt, auf Brettern in seinen Hütten zu bewahren.

Am 8. wider in Rangoon angekommen, wo ich den sehr amüsanten Dr. Marx kennenlernte, der schon zur Zeit von König Theebaws Vater in Mandalay tätig war. Er sagte, dieser König sei ein so toleranter Mann gewesen, daß er ihm sogar eine Kirche und Schule erbaut habe und immer zugestimmt hätte, daß die christliche Religion eine sehr gute sei; die buddhistische sei es aber auch. Er meinte, die Burmesen hätten in ihrer Art viel Patriotismus und Nationalstolz und seien mit der englischen Herrschaft nicht ausgesöhnt.

Am 9. mußten wir uns schon früh um 5 aufmachen, um den Dampfer zu erwischen, der uns nach Moulmain bringen sollte. Man ist ein paar Stunden auf See, dann fährt man den Fluß Salween aufwärts. Auf dem Dampfer war eine seltsame Gesellschaft Eurasier aller Schattierungen, in den merkwürdigsten grellsten Farben gekleidet. Mr. Ferras, ein halber Deutscher, und Mrs. Ferras, eine Nürnbergerin, erwarteten uns auf dem Kai. Es sind beides sehr originelle Menschen, sehr verschieden von allen Anglo-Indern, sehen die Welt von einem eignen ästhetischen Standpunkt an und erziehen ihre drei Töchter und einen kleinen Jungen ganz anders als andre Menschen. Sie erinnerten mich etwas an Tante Gisela und an die Olferssche Familie, mit der sie auch das Bestreben nach bilderhaften Anzügen gemein haben und die Vorliebe für sanfte graue Töne. Die Kinder haben nie wirkliche Stunden, sondern werden von ihrem Vater durch Vorträge und Gespräche unterrichtet. Das erinnert mich auch an das, was ich über Tante Giselas Erziehung gehört. Mr. Ferras hat eine Ähnlichkeit mit Onkel Friedmund, auch dieselben grauen Töne und ein gewisses Etwas, als lebe er nicht ganz in der Wirklichkeit, sondern in einer imaginären Welt.

12. Februar. Als wir abends zur goldenen Pagode gingen, erlosch gerade das letzte Glühen der untergehenden Sonne, aber nur um dem herrlichen Silberlicht eines enormen im Himmel hängenden Vollmonds Platz zu machen. Es war so wunderbar schön, daß wir ganz still wurden, und die Frage eines auf uns zukommenden Punghis, »ob wir gekommen seien, den Herrn zu verehren«, schien uns ganz natürlich und nur mit »Ja« zu beantworten. Wir saßen lange auf einem Altan und schauten auf den Fluß und das Palmenmeer, aus dem unzählige Pagoden und Kyaungs sich erheben und steile greifenbesetzte Treppen zu uns heraufführen. Es war ein idealer Abend, so wie man von Indien geträumt hat und wobei man alle bedauert, die zu Hause bleiben müssen. Am Vollmond feiern die Burmesen ihre Feste, und so waren denn viele Andächtige da, die Glocken mit Geweihen zu schlagen, mit denen sie zuerst den Boden berührt haben als Zeichen, daß sie sich mit allem, was auf der Welt lebt, eins fühlen. In einem großen Tempel sahen wir einen enormen weißen Buddha. Sein Antlitz mit den großen, dunklen Augen und geraden Brauen ist seltsam lebend und dabei doch so wunderbar weiß und ruhig. Der Mund scheint sich eben zum Sprechen öffnen zu wollen. Vor ihm auf einem pyramidenartigen Leuchter sind Hunderte von Kerzen angezündet von frommen Händen, auf den Steindallen knien die Gläubigen, winzig klein, und eintönig gemurmelte Worte steigen zu ihm auf, nicht wirkliche Gebete, sondern das hundertfache Wiederholen einzelner Worte, welche die Haupttugenden bedeuten, nach denen wir streben sollen, und die Betrachtungen, die wir machen sollen: »Vergänglichkeit von allem, Unabhängigkeit des Menschen von den Umständen, Gleichgewicht der Seele.« Einer nach dem andern verlassen die Andächtigen den Tempel, eine nach der andern erlöschen die Kerzen, und aus ihrem Qualm schaut fern, geisterhaft und traumartig der kolossale Buddha hervor mit seinem unergründlich rätselhaften Antlitz, ein unerreichbares Etwas. Ein ungreifbares Ideal von Ruhe, Gleichgewicht und Wunschlosigkeit.

Am 20. wieder in Kalkutta eingetroffen und das Landen mittels kleiner elender Boote, in denen man auf einer Matte kauern muß, ganz greulich.

März 1892. Fürst Galitzin dinierte bei uns. Mit seinem leidenden Gesichtsausdruck und einem Arm, sieht er viel mehr wie ein Stubengelehrter aus, als wie ein Reisender, der halsbrecherische Touren durch den Pamir und über den Hindukusch gemacht hat. Er hat eine halb träumerische, aber höchst interessante Art, zu erzählen. Da er auch gerade dort gewesen, sprachen wir viel über Burma und er sagte, niemand scheine hier für die Religion und Kultur Burmas Interesse zu haben, dagegen sei es die erste Frage gewesen, die man an ihn gerichtet nach seiner Rückkehr, ob er glaube, daß Burma ein künftiges Schlachtfeld für England und Frankreich werden würde! Er meinte, es sei ihm aufgefallen, daß die Engländer sich diese ebenso wie die Russengefahr übertreiben. Abgesehen von tatendurstigen Menschen in Turkestan gäbe es keinen Menschen in Rußland, der je ernstlich an einen Zug nach Indien denke. Es läge aber in der russischen Politik, diese Frage immer als eine Drohung gegen England zur Erreichung andrer Zwecke zu benutzen. Der Fürst meinte, ein Krieg gegen Indien sei für Rußland der geographischen Schwierigkeiten halber ganz undenkbar; aber auch angenommen, daß er geführt und glücklich geführt würde, so wäre es für die Russen unmöglich, sich in Indien zu halten. Er sagte: »Wir sind eine große zivilisatorische Macht, wenn wir uns wie im Turkestan dem Chaos gegenüber befinden; aber Indien haben wir nichts zu bringen, denn hier sind die öffentlichen Einrichtungen, die Ordnung und die allgemeine Bildung besser als bei uns.« Ein Viceroy und ein Sir Mortimer Durand seien sehr leicht ersetzt, aber der anglisierte Baboo, die Masse der kleinen Beamten, würden weder zu russifizieren noch aus dem dünnbevölkerten Rußland zu importieren sein. Fürst Galitzin sprach noch viel über Rußland, und wie auffallend es sei, dort in denselben Personen neben höchstem Wissen eine seltsame moralische Unbildung zu finden, eine Mißachtung des Gesetzes.

4. März. Ich fuhr zu einer Garden-party im Governmenthouse und unterhielt mich gut mit Prinz Dam Rong von Siam. Captain Herbert hatte Dienst bei ihm und war mir sehr dankbar, daß ich lang mit dem Prinzen sprach, wozu Engländerinnen in ihrer perennierenden Verlegenheit, sobald es sich um Ausländer handelt, ja nicht zu kriegen sind. Der Prinz sieht wie alle Burmesen aus, spricht sehr gut Englisch und zieht sich wie ein Europäer an. Er erzählte mir von Berlin, daß ihm dessen Klima nicht sehr gefallen habe, und machte die Bemerkung, daß es im Vergleich zu andern europäischen Städten doch noch recht unfertig sei. Es würde so sehr viel da gebaut. Wir wurden sehr gute Freunde und er lud mich sehr dringend ein, ihn doch in Bangkok zu besuchen.

6. März. Alle Welt spricht jetzt von den bevorstehenden Wahlen und von der ziemlichen Sicherheit von Gladstones Rückkehr. Alle hiesigen Beamten und Offiziere sind unglücklich darüber, denn sie erwarten, daß der grand old man in Ägypten und in Afghanistan Dummheiten machen wird. Lord William meinte, es sei zu schade, daß die vielen Selbstmörder, ehe sie ihrem eignen Leben ein Ende machen, nicht auf den Gedanken kämen, Gladstone umzubringen, sie würden ja damit ihren Zweck erreichen und hingerichtet werden und vorher noch eine Wohltat ganz England erwiesen haben!

9. März. Ein außerordentlich erfreulicher Postmorgen, da ein sehr lieber Brief von Didi kam, welche von Rotenhan und Kiderlen sehr schmeichelhafte Dinge über Heyking gehört hat. Man läßt uns sagen, wir sollten nur warten, wir bekämen bestimmt etwas Gutes. Wir waren um so froher, als wir jetzt so oft an Deprimiertheit und der allgemeinen zweijährigen indischen Mattigkeit leiden.

11. März. Zu Tisch kam die reizende Frau Schwabach. Nette Deutsche sind mir doch zehnmal interessanter, als all die Engländer put together; oh home, sweet home! Warum kannst du für uns nicht ganz sweet sein!

14. März. Beim Dinner saß ich zwischen Sir Charles und Mr. Beverley, die sich beide in wenig schmeichelhaften Betrachtungen über die letzte Rede des Kaisers ergingen, in welcher er alle Unzufriedenen auffordert, Deutschland zu verlassen. Der Ton, in welchem Fremde über unsre deutschen Angelegenheiten reden, hat während der letzten zwei Jahre nicht gerade an Achtung zugenommen!

3. April. Recht heißer Reisetag. Aber wir waren sehr lustig zusammen, und da wir erfahren hatten, daß wir erst am 6. eine Tonga in Kalka für Simla bekommen konnten, freuten wir uns darauf, im Hotel zwei Tage zu bleiben.

4. April. Wir waren eben in Kalka ausgestiegen, als ein Nativearzt an uns herantrat und uns sagte, er riete uns, gleich weiterzufahren, da die Cholera aus dem Wallfahrtsort Hadwar nach Kalka geschleppt worden sei, und ziemlich stark auftrete. Gleichzeitig wurde mir ein Briefchen von Miß Thomson gegeben, welche schrieb, Teddy hätte Fieber. Wir beschlossen sofort weiterzufahren.

5. April. Wir trafen mittags in Simla ein. Auf der Tongastraße unter Kennedy Cottage erwartete uns Miß Thomson, deren erste Worte waren, Teddy sei delirious, habe Sunfever und würde uns gewiß nicht erkennen. Wie im Traum befand ich mich plötzlich in Kennedy Cottage, sah Teddy in seinem Bettchen mit bläulichrotem Gesicht, purpurnen Lippen, geschorenem Haar und gräßlich schielenden Augen. Während ich ihn ansah, war mir, als stünde jemand hinter mir und sagte unablässig: »there is death written on his face.«

Mai. Des Tags saßen wir nun entweder in Teddys Zimmer oder auf einer überheißen Veranda, nachts wachte ich oder schlief meistens angezogen in einer Art Dachkammer neben Teddys Zimmer. Ich erinnere mich vieler Nächte, die ich dort durchwacht, wie allmählich der Morgen graute und sich die Berge duftig vom Himmel abhoben. Kalte bläuliche Schatten lagen auf den Abhängen, und der Weg, der hinab nach Kalka führt, schimmerte in einem fahlen Licht. Unter dem Haus zogen die Kamelkarawanen vorüber, und ich hörte das Klingeln ihrer Glöckchen, das wie Pagodenglöckchen klang. Dicht am Haus stand ein wilder Kirschbaum, und in seinen Zweigen saßen Spatzen. Ich war damals so abergläubisch, daß ich mir oft sagte: »Fliegt der Spatz links, so wird Teddy schlimmer, fliegt er rechts, so wird er wohl.« Wie kindisch und welche Freude, wenn er rechts flog! Was habe ich dort in dem kleinen Badezimmer gekniet und für Teddy gebetet. Ich erinnere mich einer Nacht besonders, wo ich ganz deutlich fühlte, daß mir all meine Toten nah waren. Ich hätte darauf schwören können, daß sie dicht neben mir standen, und ich habe sie alle gebeten, für Teddy zu beten, und ich bin sicher, sie hörten mich, auch der, der so viel um mich gelitten, hat mir in jener Nacht vergeben, um all der Angst willen, die ich durchgemacht... Wie sehr erinnere ich mich an einen Abend, als ihn die Ärzte besonders schlimm fanden. Wir fuhren zu Tisch nach Haus, und durch den Abenddunst sahen wir auf einem fernen Bergrücken den feurigen Kranz eines Waldbrandes, und mir war, als könnte ich in dem mondklaren, blaßgrauen Himmel Teddys Seelchen höher und immer höher fliegen sehen. Nach Tisch fuhr ich dann allein nach Kennedy Cottage zurück, um mich war alles Dunst und der eine tiefe Abgrund, in den man von unserm Wege aus sieht, sah aus wie die Leere, das Nichts. Darüber stand der Mond, und es war mir, als flöge ich durch diese endlose Weite zu Teddy; als sei er schon längst tot und winke mir, ihm nachzukommen. Während der ganzen Fahrt murmelte ich vor mich hin: »Nun gehe ich, mein Kind sterben zu sehen,« und dann wieder war es mir, als sei nicht ich es, die es sagte, sondern eine andre Frau, weit weit fort, und als hörte ich es nur. Wie habe ich auf jener Fahrt geweint. Wie glücklich sind doch die Katholiken. Und wie sehr habe ich mir in jener Nacht einen Beichtvater gewünscht, dem ich alles hätte sagen und den ich alles hätte fragen können, und ob Gott wirklich Teddys Leben würde als Opfer verlangen. Die Krise kam wirklich in jener Nacht. Das Fieber sank und er schlief friedlich.

18. Mai. Teddy schläft und ißt gut und sein Körperchen und Gesichtchen fangen an, sich etwas zu füllen. Jeder kleine Fortschritt ist eine Wonne für das ganze Haus, und es ist besonders rührend, welches Interesse die native Diener, besonders der gute Manovar an ihm nehmen ... Seitdem Teddy besser ist, haben wir viel Freude daran, unser Haus hübsch einzurichten. Wir haben noch nie so reizend gewohnt. Der große Saal ist entzückend mit seiner Holzdecke und Glaswänden, und all unsere Teppiche und Goldstoffe kommen darin so schön zur Geltung. Für mich ist ein allerliebstes Schreibzimmerchen arrangiert, winzig und höchst gemütlich mit all meinen Lieblingssachen und einem niedrigen Liegesofa mit Teppichen, Shawls und Kissen belegt und dem Dänenprinz darüber.

25. Mai. Die Nachricht kam, daß der Maharajah von Ulwar gestorben und sein bisheriger Premierminister, der während der Minderjährigkeit des jetzigen Rajahs wahrscheinlich zu großer Macht gelangt wäre, ermordet worden sei. Ein orientalisches, 1001nachtartiges Episödchen, wie es im anglisierten Indien nur selten noch vorkommt.

24. Oktober. Nachmittags kamen viele Freunde uns Adieu zu sagen; unter anderem auch Brackenburg, der ein wirklicher Freund ist und uns sein schönes, warmes Haus für die Kinder zum Winter leihen will. Mir wurde recht melancholisch bei all diesen Adieus, denn trotz der furchtbaren Sorge im Frühling um mein Teddykind war doch dieser Sommer der glücklichste und lustigste meines Lebens, und die vielen Freunde, die wir uns hier in Indien erworben, haben doch sehr dazu beigetragen.

Am 25. Oktober reisten Edmund und ich ab.Zu einer Tour durch indische Vasallenstaaten. Es wurde mir sehr schwer, von den drei Kindern fortzugehn. Möchte der liebe Gott sie hüten. Es ist so schwer, hier das Richtige für sie zu finden.

26. 0ktober. Heißer ermüdender Eisenbahntag. Um 6 Uhr trafen wir in Gwalior ein; schon von weitem sieht man den malerischen Felsen, auf dem das berühmte Fort steht, und die Silhouette der Wälle und Türme hob sich violettblau vom rotgoldenen Abendhimmel ab... Der augenblickliche Herrscher Gwaliors ist ein 16jähriger Knabe, der vor zwei Jahren mit einem 11jährigen Mädchen verheiratet wurde. Die Herrscher Gwaliors sind Maharattas, die vom Süden kommend, früher eine sehr kriegerische Rasse waren, ganz Rayputana und die Könige von Delhi unterworfen hatten, als sie ihrerseits von den Engländern besiegt wurden. Alle Großen in den Maharattastaaten tragen immer ein großes Stück feinsten Musselins auf dem Arm, eine Sitte, welche bedeutet, daß ein Maharattakrieger jeden Augenblick fallen kann und sein Leichentuch immer bei sich haben muß, um sich sterbend noch selbst zu verhüllen.

27. Oktober. Über allen britischen Residenzen in Nativestaaten, die ich bisher besuchte, liegt ein gewisser schläfriger sanfter Zauber. Wenn einst mein unruhiges wechselreiches Leben vorüber ist und die 1000 Jahre verflossen sind, nach denen jede Seele wiedergeboren werden soll, so will ich beten, daß dann British rule noch stark und mächtig in Indien sei, und ich als British resident geboren werde, um so dem Nirwana um einen großen Schritt näher zu kommen. Den Maharajah haben wir nicht gesehen. Er hat noch seine 30jährige Mutter, eine sehr temperamentvolle Dame, die es mit den Purdah Regeln nicht allzu genau nimmt, verschleiert in die Basare geht, oder in Häuser eindringt und sich dort Jünglinge sucht. Colonel B. meint, daß die meisten Witwen ein höchst immorales Leben führen, und daß das Suttee eigentlich ein dem Temperament der hiesigen Frauen wohlangemessenes Institut sei. Seitdem es abgeschafft ist, sollen viel mehr Männer von ihren Frauen vergiftet werden, die nachher, da sie sich nicht wieder verheiraten dürfen, ein recht liederliches Leben führen. Der Vater des jetzigen Maharajah soll auch ein arger Wüstling gewesen sein, der seine Großen zwang, ihre Frauen zu seinen Gelagen mitzubringen. Jede Frau mußte dann ein Bracelet in eine verdeckte Urne tun, und die Männer mußten Bracelets und damit auch die Frau ziehen; zog einer das Armband seiner eignen Frau, so zahlte er eine große Strafe; die andern mußten dann vor den Augen aller übrigen sich für diese Nacht verheiraten, eine Art Kotillontour ins Indische übersetzt.

Am 30. Am Morgen schrieben und lasen wir, und genossen die Ruhe und Behaglichkeit des hiesigen Dasein. So oft ich mal ein paar ruhige Tage habe, denke ich immer, wie sehr ich eigentlich dafür geschaffen war, ein beschauliches Dasein zu führen. Es ist doch nur ein dummer Ehrgeiz, der einen davon abhält, sich irgendwo still zurückzuziehen und dem inneren Menschen zu leben... Es fiel mir hier besonders auf, wie finster und geheimnisvoll all die Leute dreinschauen. Sie gehen wie wandelnde Rätsel einher, und über ihre Art zu denken und fühlen, wissen Europäer, die hier dreißig Jahre gelebt, so wenig wie am ersten Tag. Je mehr man in Indien lebt und je mehr man sich die Existenz dieser Millionen von unzufrieden und unzuverlässig aussehenden Menschen vergegenwärtigt, desto wunderbarer erscheint es, wie die Engländer es fertigbringen, diese Massen zu beherrschen.

31. Oktober. Morgens kam uns zu besuchen ein natürlicher Sohn des letzten Maharajah, der Member des Gwalior Council of State ist. Er sah sehr pittoresque aus mit seinem schön geschwungenen roten Hut, einer enormen Smaragdkette und dem großen weißen Stück Musselin unter dem Arm, von welchem er uns vormachte, wie es als Schlafdecke, als Mantel, als Schwertträger und schließlich als Shroud zu benützen sei. Es war sehr amüsant zu sehen, wie dieser Staatsminister sich mit uns auf den Boden kauerte und uns Musseline zeigte, die er in der Stadt für uns bestellt hatte zum Besehen und von denen wir einige kauften. Ich mußte die ganze Zeit denken, wie urkomisch es gewesen wäre, wenn so ein heimatlicher Staatsminister, etwa Bötticher oder Puttkamer da gehockt hätte!

2. November. Am 31. nachmittags von Gwalior abgereist und heut endlich abends in Hyderabad angekommen, wo uns der nette George Irwin an der Bahn erwartete. Edmund und mich hatte die 50 Stunden lange Fahrt beinah gar nicht ermüdet, aber ich war doch froh in ein nicht schüttelndes Bett zu kommen. Nachmittags fuhren wir in den Klub, um die Ankunft des Viceroys zu sehen. Die Straßen waren alle mit Massen kleiner Fähnchen und Triumphbogen geschmückt und dicht besetzt mit einer Fülle kurioser, malerischer Menschen in allen Schattierungen von blaßgelb bis braunschwarz. Die Truppen des Nizzam bildeten Spalier, und es amüsierte mich besonders die African guard, lauter tiefschwarze Mohren, von Europäern kommandiert. Letztere sahen recht broken down und betrübend aus, und mir war es geradezu schmerzlich, einige Gesichter zu sehen, die einen so absolut deutsch-adeligen Schnitt hatten. Von einem hätte ich geschworen, daß es Maltzahn von den Karlsruher Dragonern war! Wir hatten einen sehr guten Platz, von dem wir die Ankunft des Vizekönigs in einem enormen, mit gelbseidenen Draperien verhangenen Staatswagen gut sahen... Eine globetrottende ältere Jungfrau sagte einem hohen Native: »I hear that your Maharajah, who is only 16, is going to marry; is n't that much too young?« worauf der Native sehr seriös antwortete: »Madame, we have tried him with an adult female und found him quite adequate.«

4. November. Bald nach sieben fuhren wir zu dem großen Bankett, das der Nizzam dem Vizekönig gab. Der über zwei Meilen lange Weg war auf das reizendste illuminiert, und überall auf den Dächern, Balkonen, in den Straßen eine bunt verschiedenartige Bevölkerung, die von den spalierbildenden Arabern und Afrikanergarden kaum zurückgehalten werden konnte. Schließlich hielten wir unter einem Portal, dessen Decke ganz mit Rosen bedeckt war; zu unserm nicht geringen Erstaunen wurden wir dann durch schmutzige, enge Korridore geführt, die den ganz provisorischen Charakter eines wandernden Zirkuseingangs trugen, dann aber, als wir aus ihnen heraustraten, befanden wir uns in Fairyland. Ein weiter Platz von weißen Gebäuden umgeben, in der Mitte Gartenanlagen und alles über und über besät mit tausenden kleiner Flämmchen. Auf der einen Seite eine große Rampe, die in den eigentlichen Palast hineinführt. All dies gefüllt mit einer indischen und europäischen Menschenmenge, unter der sich zwar keine einzige Schönheit befand, die sich aber doch im ganzen durch die vielen europäischen Uniformen, orientalischen Kostüme und dekolletierten Toiletten sehr originell machte. Nach langem Warten erschien endlich der Nizzam. Er ist ein ganz kleines Männchen von zirka 28 Jahren, trägt einen schwarzen Gehrock mit enormen Diamantknöpfen und einen gelben Turban, der wie eine Bischofsmütze aussieht. Sein Gesicht ist ganz regungslos, blaßbräunlich mit dünnem Kotelettebart, und seine Augen sehen stier und stumpf aus, mit schweren müden Lidern. Zu seinem 16. Geburtstag soll ihm eine Tante als passendes Geschenk 350 Mädchen beschert haben – und er sieht danach aus! Als darauf Lord und Lady Lansdowne erschienen waren, wanderte der ganze Gästezug in den enorm langen Speisesaal, der die ganze Länge der einen Seite des großen Platzes einnimmt. Considering die Menge Gäste, so war das Dinner merkwürdig gut. Kuriositäten waren eine Art Pfannkuchen, aus denen kleine lebende Vögelchen herausflogen und zum Dessert Zuckerteller. Ganz neu war es, bei einem Dinner mit einer Masse Natives zusammenzusitzen, die von allem wie wir aßen. Schöne imponierende Gestalten wie in Rayputana habe ich nicht gesehen, sie gleichen mehr den Persern und Türken und dasselbe Intrigenspiel scheint auch hier an der Tagesordnung zu sein. Zu Ende des Dinners hielt der Viceroy eine lange Rede, in der er famos über alle Angelegenheiten des Haidarabad-Staates sprach und Sparsamkeit in militärischen Ausgaben empfahl und dem Nizzam ans Herz legte, sich um die Regierung selbst zu kümmern. Letzteres war ein Hieb gegen den Premierminister, der, selbst ein halber Idiot, von einigen Intriganten beherrscht wird, die damit das ganze Land regieren, d. h. mißregieren.

5. November. Wir standen schon um 5 auf und fuhren alle nach Sekunderabad, was in herrlicher Morgenfrische und Dogcarts ein rechtes Vergnügen war. Dort nahm der Viceroy eine Parade ab von den hier stehenden englischen Regimentern und Nativetruppen. Die Parade war selbst für Laienaugen sehr bummelig und rechtfertigte sehr die herrschende geringe Meinung von der Madrasarmee. Sehr originell sahen die Elefantenbatteries aus; je eine Kanone ist mit zwei enormen Elefanten bespannt, deren Krokodillederdecken, blitzblanke Ketten und funkelndes Zaumzeug ganz wundervoll aussahen, dahinter kamen die Munitionswagen, je mit sechs ganz weißen langhornigen Ochsen bespannt. C'est très beau, mais ce n'est pas la guerre! denn wo das je verwandt werden sollte, ist ganz unerfindlich. – Colonel Neville, ein reizender alter Herr, der jahrelang, wie früher viele katholische Engländer, in der österreichischen Armee gedient hat und nun seit bald 18 Jahren die regulären Truppen des Nizzam befehligt, erzählte mir viel über hiesige Verhältnisse und besonders auch über den Nizzam. Dieser hatte als Kind einen englischen Tutor, welcher aber von den Nobles bestochen wurde, um den Nizzam ganz dumm zu erhalten, damit sie die Herrschaft weiter führen könnten; und als er dann ein bischen herangewachsen war, wurde er ganz in sein Zenana gesteckt und absichtlich möglichst débauchiert... Wir fuhren zu Colonel Neville, um seine Frau zu besuchen, die reizendste und gescheiteste alte Frau, die ich seit Jahren gesehen, und deren Erzählungen zuzuhören, ein real treat war. Sie hat ein wirkliches Verständnis für die Natives, vergleicht sie mit den Italienern, und meinte, daß man mit beiden gut auskommt, wenn man nur genügend mit ihren Lügen rechnet. Sie hat ganz die Empfindung, die Edmund und ich häufig gehabt, daß die Engländer überflüssig rauh gegen Natives sind, und daß eine gewisse Manierlosigkeit überhaupt charakteristisch für anglo-indische Beamte ist.

6. November. Nach dem Tiffin fuhren wir alle nach dem alten Golconda. Ich saß zusammen mit Lady Lansdowne auf der Coach, die Lord William kutschierte. Bei der Fahrt schrien uns viele Leute in den Dörfern an: »Ihr habt das Korn teuer gemacht, gebt uns zu essen!«, was sich auf eine momentane Steigerung der Kornpreise bezog, die die armen Menschen natürlich gleich in Zusammenhang mit dem vizeköniglichen Besuch gebracht haben. In absoluter Unkenntnis des Hindostanischen werden Lord und Lady Lansdowne es wohl nicht verstanden haben und sich mit der Erklärung beruhigt haben: »Those people were making jokes.« Wieder mal ein Fall, wo Ignorance bliss ist. Das alte Golconda liegt hoch auf Felsen und ist mit schönen alten Mauern umgeben. Ein enormes Tor mit gewundenem Eingang führt in den eingeschlossenen Raum. Wir Damen wurden in großen goldenen Sedanchairs die Stufen hinaufgetragen, und die Herren folgten zu Fuß, was dem Nizzam entschieden eine ungewohnte Anstrengung war. Von der Plattform eines alten Gebäudes sahen wir die Reste des einst großen Golconda, Ruinen und Trümmerhaufen und einige schöne weiße mohammedanische Grabstätten mit hohen Kuppeln.

8. November. Wir standen schon um 5 Uhr auf, um zu einer Cheeta hunt zu fahren. Weit draußen bei Serinugar erwartete uns der Nizzam mit Elefanten, Reittieren und Tongas und zwei Karren, auf denen je ein Cheeta in ein gelbes Deckchen gekleidet und mit verbundenen Augen saß. Ein Cheeta ist eine Art Leopard, der in Nativestaaten dressiert wird, um Antilopen zu jagen. Nun ging es holterdiepolter querlandeinwärts, und bald sahen wir eine Herde Antilopen; die Weibchen und Kleinen liefen sofort davon, und es sah reizend aus, wie sie durch das Gras hüpften, ein großer Bock aber blieb ruhig stehen. Mittlerweile war der eine Karren ganz nahe an ihn herangekommen, der Cheeta wurde losgelassen, und obschon die Antilope nun davonsprang, hatte sie der Cheeta doch in wenigen Sätzen erfaßt. Wir ritten, liefen und fuhren nun, so schnell wir konnten, nach dem Ort, wo die Antilope gefallen, und fanden sie am Boden röchelnd, vom Cheeta fest an der Gurgel gepackt. Als Sport fand ich die Sache sehr schwach, aber es war amüsant, die Sache einmal zu sehen, und das hübscheste war entschieden die reizende Fahrt in der kühlen Morgenluft.

10. November. Wir unternahmen eine Fahrt, um alte Waffen zu kaufen. Die Waffenschmiede wohnen alle in einem Gäßchen zusammen, und sobald es sich verbreitete, daß wir Waffen kaufen wollten, waren wir von allen Sorten Indern, Afrikanern, Afghanen umringt, die uns die Waffen, die sie selbst trugen, feilboten. Es sah ganz grauslich aus, diese braune Menschenmenge, die alle ihre Schwerter, Dolche und Blunderbusses auf uns zwei Europäer zu richten schienen. .. Wir begegneten einer vornehmen muselmanischen Hochzeit. Zuerst zirka 10 Männer in allen möglichen Trachten und Waffen. Dann der nach allen Seiten salaamende Bräutigam in Goldbrokat auf einem reizenden Araber, dem man das Gesicht vergoldet hatte; dann nach einer weiteren Schar Männer 6 große Elefanten, auf denen eine Menge Nautschmädchen ritten, in goldverzierten bunten Röcken und grellen Saris. Ihnen folgte die Braut in einem Palaquin, über den ein roter Samtvorhang mit Goldstickerei geworfen war. Dann kamen eine Menge Kulifrauen, welche eine Art Türme und Bäume aus Goldflittern und buntem Papier trugen, die hier immer aus dem Haus der Braut in das des Bräutigams gebracht und an dem Dach befestigt werden. Weitere Kulis trugen ein enormes Bett mit silbernen Füßen nach einer Masse Truhen, Silbergeräten, großen Metalltöpfen mit Essen darin und Geschenken, worunter auch Spielzeug.

Am 14. früh fuhren wir von Haidarabad ab nach Oodeypore, wo wir am 17. früh ankamen. Der Weg führte zuletzt durch eine ganz enge Schlucht, welche mit einem großen befestigten Tor abgesperrt ist; die Hügel zu beiden Seiten sind auch mit Festungsmauern bezogen, und dieser Eingang ist recht charakteristisch für Oodeypore, das sich noch ganz von aller europäischen Kultur abschließt. Oodeypore ist der älteste und vornehmste Rayputanastaat; die Maharajahs behaupten, von der Sonne abzustammen, und ihren Stammbaum können sie 3000 Jahre zurückführen. Der große Stolz von Oodeypore ist, daß es nie ganz von den Kaisern von Delhi unterworfen wurde, und daß es der einzige Rayputanastaat ist, der nie seine Königstöchter hat in den kaiserlichen Harem von Delhi geben müssen. Zweimal, als Oodeypore hart bedrängt war, brachten die Krieger ihre Frauen in ein Fort, verbrannten sie alle und machten dann selbst einen letzten Ausfall, von dem keiner zurückkehrte.

19. November. Wir hatten den Besuch des Premierministers, und dann schickte uns der Maharajah als Gastgeschenk eine Menge Körbe mit Süßigkeiten und Obst und einen Sack voll Rupies, welchen letzteren wir natürlich dankend zurücksandten. Wir hörten vom Rajah von Ulwar, der kürzlich an seinem dritten Delirium-tremens-Anfall gestorben ist. Er hatte eine Liebschaft mit der Frau eines seiner Nobles und bezahlte den Mann dafür, der überhaupt sein schlechter Genius war und ihm besonders auch Trinkgelage bereitete. In einem hellen Augenblick hatte der Maharajah versprochen, nicht mehr zu trinken, und den Premierminister angewiesen, ihm nur vier Gläser Whisky täglich zu geben. Der Rajah aber wurde dieses Regime bald überdrüssig, und von dem Cocu volontair aufgestachelt, hielt er eine fürchterliche Schnapsorgie. Vorher hatte er seiner Liebsten geschrieben, ihr Mann möge den Minister umbringen. Der Cocu ermordete denn auch den Minister, sicher, daß der Rajah ihn schützen würde; letzterer aber starb 24 Stunden darauf an Delirium tremens, die Sache kam vor englische Richter, und der Cocu wurde zum Tode verurteilt!

Wir fuhren, um den Palast des Maharajah anzusehen, der, wie alle derartigen indischen Gebäude, eine Mischung von wirklich Schönem und absoluten Incongruities, europäischen Horreurs, ist. Am interessantesten war, zu sehen, wie die Leute in dem Palast leben, welche Scharen da existieren, Hofpoeten, Sekretäre und wie sie alle heißen. Sehr merkwürdig ist der sogenannte Peacock-Saal, mit großen Pfauen aus eingelegtem Glas in Hochrelief an den Wänden. Hier kauern alle Morgen die »Besten« des Landes, die den Maharajah zu sehen wünschen, sei es in seiner Eigenschaft als Landesfürst oder als Hoherpriester. Der Maharajah sitzt auf einer Galerie, die um den Saal läuft, und Petitionen werden von unten zu ihm hinaufgelesen. Die meisten begnügen sich aber mit seinem Anblick, da er ihr Fetisch ist. Die strenggläubigen Oodeyporer sollen, wenn sie krank sind, stets ein Bild des Maharajah am Fußende des Bettes haben und morgens nichts essen, ehe sie ihn nicht verehrt haben.

21. November. Abends fuhren wir alle an das Tor der Stadt, um dem Einzug des Rao von Kotah zuzusehen, welcher kam, die älteste Tochter des Maharajah zu heiraten. Sie ist 19 Jahre alt, was für eine hiesige Braut ein sehr ehrwürdiges altjüngferliches Alter ist. Der Zug kam vorbei, als es schon ganz dunkel war und die neue Sichel des Mondes eben erschien; zu der Stunde, die die Brahminen nach langem Geheimhalten und allerhand Hokuspokus als glücklich bestimmt hatten. Voran kam die kleine Armee des Rao, dann allerhand Nobles zu Pferd und zu Fuß und dann inmitten des Scheins vieler Fackeln der Rao selbst in goldener Howda auf einem enormen Elefanten, der ganz bedeckt war mit silbernen Ketten, Stirnschmuck und schwerer goldgestickter Decke. Auf beiden Seiten dieses enormen Elefanten schritten zwei kleinere, ebenfalls über und über geschmückt, auf denen zwei Sirdars ritten, die den Rao mit großen weißen Yackschwänzen umfächelten. Vor dem Rao ging eine goldflimmernde Menschenmasse von all seinen Anhängern, und in ihrer Mitte schritt eine Schar von Nautschmädchen, die alle paar hundert Schritt stehenblieben und einen ihrer langsam sich drehenden Tänze mit Gesang aufführten. Diese Nautschmädchen werden dem Bräutigam von der Braut samt ihrer eigenen Standarte entgegengesandt und geleiten ihn zu ihrer Wohnung. Das ganze Bild war das echtindischste, was ich je gesehen und hatte den großen Charme, nicht für das Amüsement von Europäern arrangiert zu sein. Hinter dem Rao wurde seine goldene Krone einhergetragen sowie die dichtverhangene große Sänfte, in der seine künftige Frau in ihr neues Land getragen wird. Eine Reise von zirka 200 Meilen, die sie in einem engverschlossenen Kasten machen muß, verheiratet an einen Jüngling, den sie nie vorher gesehen hat. In Oodeypore ist man noch so konservativ, daß eine dortige Prinzeß nie in einem Wagen fahren darf, geschweige denn je in der Eisenbahn reisen. Da unsre Pferde von den unmittelbar vor uns losgehenden Raketen wild wurden, mußten wir aussteigen und wurden sehr freundlich von einem fetten Sirdar des Reiches Oodeypore in seinen Wagen genommen. Wir fuhren nun zum Palast, um bei der Ankunft des Rao dort zugegen zu sein. Wir Europäer wurden alle auf dem Dach eines kleinen Seitengebäudes untergebracht, von welchem aus wir einen herrlichen Blick auf den inneren Schloßhof hatten. Zu unsrer Linken erhob sich schneeweiß das große Palais; wir konnten in eine Art Loggia sehen, in der sich die Höflinge und Prjiwalki dicht geschart hatten, und in der Etage darüber war eine Art Bogenhalle, wie in venezianischen Palästen, in welcher der Maharajah und sein kleiner Sohn saßen, umgeben von einer dichten Menge der Größten des Reiches. Neben diesem schneeweißen Palast ist ein großes Tor, das in das Zenana führt. Vor diesem Tor war eine Art goldenes Gerüst errichtet, in das der Bräutigam einen Speer werfen muß, ehe er in das Zenana eingelassen wird, ein altes Symbol der Zeiten, als sich Männer ihre Frauen noch raubten. Endlich stiegen die Raketen auf, die das Nahen des Rao verkündeten. Endlich schritt der ganze goldene Aufbau von Elefant, Howda und perlenbedecktem Rao durch das Schloßtor an der »God save the Queen« spielenden Wache vorbei, und hielt endlich vor dem Zenanator. Nun erhob sich der Rao und warf seinen Speer genau in die Mitte des goldenen Turrum; dann kniete der Elefant nieder, der Rao stieg ab (keine bequeme Prozedur in seinen goldenen Röcken) und trat in das Zenana. Bei der eigentlichen Feier sind nur der Vater der Braut und ein brahminischer Hoherpriester zugegen, dagegen alle weiblichen Verwandten mit Ausnahme derer, die Witwen sind und die daher Unglück bringen. Die Braut wird given away von ihrem Vater, und die Feier besteht aus gemeinschaftlichem Essen, Zusammenbinden der Kleider und dreimaligem gemeinsamem Umschreiten des heiligen Feuers. Dicht neben dem Dach, von dem aus wir den Einzug sahen, steht ganz unerleuchtet mit schweren Mauern das Zenana, und es war merkwürdig, sich vorzustellen, was hinter solchen Mauern alles vor sich gegangen. Hier war es, daß eine Prinzessin auf Befehl ihres Vaters vergiftet wurde, weil der Ruf ihrer Schönheit nach Jeypore und Jodhpur gedrungen war und die Rajahs beider Reiche um ihre Hand warben und der Rajah von Oodeypore glaubte, nur durch ihren Tod einem Krieg entgehen zu können. Zuerst befahl er einem seiner Sirdars, sie zu töten, der aber empört den Durbar mit gezogenem Schwert verließ, die größte Beleidigung in Indien. Dann wurde ein gewöhnlicher Mörder gedungen, der aber, als er die Schönheit der Prinzessin gewahrte, seinen Dolch fallen ließ und floh. Nun griff man zu Gift, aber zweimal wirkte es nicht. Als ihr zum drittenmal Gift gebracht wurde, stieß die Prinzessin den Fluch aus, »daß nie wieder ein Sohn seinem Vater auf dem Thron von Oodeypore folgen solle« und dann »schlief sie ein«. Von den Morden und Vergiftungen, die in den Zenanas vorkommen, soll man sich keine Vorstellung machen können, und von dem ganzen wunderbaren Leben darin. Durch ihre Sklavinnen erfahren die Purdah nashin Frauen alles, was im Lande vor sich geht, und viele von ihnen sollen so im Staate einen großen Einfluß gewinnen. Ein reizender Irländer, Dr. Mullen aus Bikaner, der sein lebelang in Rayputana gewesen, sprach viel über die native Frauen und meinte, anständig seien nur die gewöhnlichen aus den niedersten Kasten, die es gewohnt seien, mit Männern zu verkehren; aber all die Frauen der höheren Kasten went wrong, wo sich nur immer eine Gelegenheit böte. Daß Männer ihre Frauen andern abträten oder daß Frauen durch ihre Sklavinnen sich Verhältnisse einrichteten, sei ganz alltäglich. Er erzählte viel von Bikaner, wohin seit einem Jahr eine Bahn durch die Wüste führt; in alten Zeiten war es so schwer zu erreichen, daß all die alten Bunnias dorthin ihre Frauen und Schätze brachten, und noch heut ist es ein großer Ort für Bunnias, die hauptsächlich in Opium spekulieren und denen schon von alters her mittels einer originalen Art, zu heliographieren, von Ijmere über die Berge und durch die Wüste täglich die Opiumpreise mitgeteilt werden. Natürlich werden auch andere Dinge so mitgeteilt, und die Natives sollen überhaupt einen Nachrichtendienst haben, von dem die Engländer sehr wenig wissen.

23. November morgens kam Dr. Sheperd, ein Arzt und Missionar, und fuhr mit uns nach den Königsgräbern. Es sind dies Plattformen, zu denen Stufen hinaufführen und über denen säulengetragene Kuppeln sich erheben. Auf den Plattformen stehen meist Steinbilder von Göttern und ein Stein mit einer kleinen Abbildung des Rajah und bei den älteren der Frauen, die mit ihm verbrannt sind. Wenn ein Maharajah verbrannt wird, so kommt seine Asche zunächst in ein vorläufiges Grab, bis der eigentliche Cenotaph fertig ist, und die Rayputen glauben, daß sein Gespenst ein Jahr lang unruhig in dem Grab hause. Später, wenn die Brahminen einen glücklichen Tag bestimmt haben, wird seine Asche zum Ganges getragen und in den Fluß geworfen. Möglichst viel Profit scheinen die Brahminen, wie aus allem, so auch aus dem Tod zu ziehen. Als der letzte Rajah starb, sollen sie ganze Lakhs von Rupien aus den Schatzkammern geschleppt, und als der Rajah schon ganz bewußtlos war, seine Hände auf das Geld gelegt haben, als Zeichen, daß er es ihnen schenke ... Am Abend fanden die großen Illuminationen auf dem See statt, one of the sights of India und entschieden die Krone unsres Aufenthalts. Auf dem Wasser fuhren die Boote zwischen zahllosen schwimmenden Lichtchen hindurch, Lotosblumen aus geöltem bunten Papier geformt, in denen je ein Lichtchen brannte, das Einfachste und dabei Poetischste, was ich noch an Erleuchtung gesehen. Wir landeten am Palast und wurden oben vom Maharajah empfangen. Er ist ein schöner und vornehm aussehender Mann, der aber dabei doch etwas entschieden Bäuerisches hat. Er erinnerte mich an einen norwegischen Bauer, der auch einen längeren Pedigree wie mancher König hat und dabei doch immer etwas verlegen und gänzlich ungebildet bleibt. Ich lernte den Maharajah kennen und auch den Rao von Kotah, ein noch ziemlich ungeschlachter Wilder, obschon er drei Jahre im Maja-College in Ajmere zugebracht hat.

24. November. Morgens früh fuhren wir ab und trafen abends in Chitor ein, wo wir froh waren, in den Zelten eine ruhige Nacht haben zu können.

25. November ritten wir ganz früh auf einem Elefanten nach der alten Festung hinauf, um welche zwischen den Rayputen und den Kaisern von Delhi so lange Kämpfe geführt worden sind. Das schönste Gebäude ist eine reizende Siegessäule, über und über mit reizenden Steinfiguren bedeckt.

26. November. Wir trafen nachts in Ajmere ein und fuhren früh zum Maja-College, das für die Söhne der Rayputfürsten und Sirdars bestimmt ist, und kein Sohn eines Bunnias wird darin aufgenommen. Den Jungen wird Englisch, Persisch und Sanskrit gelehrt, aber das Hauptgewicht wird auf die Erziehung gelegt; Bekehrungsversuche werden nie gemacht, im Gegenteil werden die Jungen sehr zum Innehalten ihrer Religionsvorschriften gezwungen. Die Konservativen in den Rayputstaaten sollen aber doch sehr dagegen sein, die jungen Fürsten nach Ajmere zu senden, weil es eben ganz in ihrem Interesse liegt, sie möglichst dumm und zurück zu halten. Vom College fuhren wir in die Stadt und besahen uns einen großen mohammedanischen Platz mit alter Moschee, und man erzählte uns, welch unheimliche, unzufriedene Gesellschaft diese Mohammedaner seien. Zur Mohurrumzeit sollen sich um diesen Platz die gefährlichsten Geister vereinigen, unter denen Emissäre des Emir von Afghanistan, die scheinbar zum Beten kommen, Aufruhr predigen. Das Material für eine Mutiny ist in Indien stets vorhanden, es fehlen nur die Führer. Ein Trost ist, daß der Haß zwischen Mohammedanern und Hindus stärker als je ist; wenn ihre Feste auf den gleichen Tag fallen, soll es stets zu Schlägerei kommen.

27. November. Mittags trafen wir in Delhi ein, wo wir gleich wie in einer echten Globetrotterstadt von Fremdenführern, Hotelagenten und allerlei Shawlmerchants umringt waren. Edmund schüttelte sie energisch ab, und dann fuhren wir in der Stadt herum, a perfect wild goose-chase, um unsre Briefe zu finden, die an den Deputycommissioner adressiert waren und ihm leider in sein Camp nachgeschickt worden sind. Abends nach Kalkutta abgefahren.

1. Februar 1893. Morgens früh kam der Erzherzog Franz Ferdinand an, und Edmund fuhr nach dem Governmenthouse, ihn zu empfangen. Ich hatte einen starken Fieberanfall.

2. Februar. Ich blieb den ganzen Tag zu Bett, um abends zu dem Dinner gehn zu können, das Lady Elliott für den Erzherzog gab. Trotzdem war es eine große Anstrengung, hinzugehn. Sie wurde aber belohnt, denn gleich als ich ankam, stürzte Lady Elliott auf mich zu und sagte, sie hätte so gefürchtet, ich würde nicht kommen können, und ich solle gerade neben dem Erzherzog sitzen, weil er kein Englisch könne und ich mit ihm deutsch sprechen müsse. Der Erzherzog ist groß und schlank, hat schöne, aufrichtige blaue Augen, erinnert sehr an Jugendbilder des jetzigen Kaisers von Österreich und hat eine ganz faszinierend liebenswürdige, so ungeheuer einfache und natürliche Art, zu sein und zu sprechen. Er hat die große Gabe, gegen jeden so zu sein, daß man sich sofort mit ihm zu Hause fühlt und als kenne man ihn seit Jahren. Ich war nach den ersten Minuten ganz unter dem Charme seiner schönen Augen und seiner ganzen so reizenden Art und Weise. Er frug mich viel über Indien und wie mir die Leute hier gefielen. Er sagte, es sei ihm so unangenehm, kein Englisch zu können, aber von zivilisierten Menschen erwartete man doch eigentlich, daß sie Französisch könnten. Er sagte, er habe für Österreich allein 7 Sprachen lernen müssen und hätte überhaupt soviel zu lernen. »Als ich noch ein Privatmensch war«, sagte er, habe er Zeit für Malen, Musik und Photographie gehabt, jetzt müsse er das alles aufgeben, um zu arbeiten. Wir sprachen über die Engländer in Indien, und der Erzherzog frug mich nach unsrer Reise an der Nordwestgrenze, und so kamen wir auf die Russenfurcht der Engländer, die dem Erzherzog auch aufgefallen war. Ich erzählte ihm dann von der Visite des russischen Thronfolgers und von dem Diner mit dem Sodawasserattentat, und als ich ihm sagte, Mr. Onu meinte, man müßte sich nach manquierten Attentaten umarmen, sagte er, er würde jetzt bei Diners, wo er nette Nachbarinnen hätte, auch manquierte Attentate einführen! Später sprachen wir von meiner Rückreise, und der Erzherzog sagte, ich solle doch ja nicht über Italien gehn, das sei ein horribles Land, welches er nicht leiden könne, schmutzig und armselig. Und die Italiener seien lauter Halunken. »In der Geschichte haben sie nie etwas Wirkliches getan, allen andern haben sie Länder weggestohlen, und nun spielen sie sich als Könige auf.« Er wurde bei dem Gespräch ganz erregt, und ich dachte dabei, wie sehr diese so prononcierte und in seinem Fall ja so begreifliche Abneigung in der Zukunft geschichtliche Folgen haben könne! Er schloß damit: »Leider Gottes haben wir sie in unsrer Tripleallianz.« Der Erzherzog erzählte mir dann von seinen indischen Einkäufen und sagte, er sei ein unglücklicher Mensch, denn er habe gar zu viel Verwandte und müsse jedem etwas mitbringen. Er sprach auch von seiner Sammelpassion, und daß er eine große Vogelsammlung mache, für deren Ausstopfung er sich einen besonderen Gelehrten mitgebracht habe. Er sprach von seinen Jagden und daß er seine englischen Adjutanten dadurch entsetzt habe, daß er um 6 Uhr und in seinen Flannels habe essen wollen, während sie um 8 ½ und im Frack zu erscheinen dachten. Er sagte, er liebe es so, »wie es bei uns zu Hause Sitte ist«, um 5 Diner, um 6.30 Theater und um 10 zu Bett. In allem, was er sagte, zeigte sich so viel Natürlichkeit und Einfachheit, so verschieden von all den hiesigen gespreizten Großwürdenträgerchen. Bei Tisch stand vor dem Erzherzog ein Tellerchen mit kleinen indischen Mandeln, von denen er sich ab und zu welche mit der Hand nahm. Lady Elliott sah das und gab ihm einen Löffel, worauf er sich zu mir wandte und sagte: »Da sehen Sie, da habe ich nun eine Lektion im Anstand bekommen.« Die Sportmanie der Engländer scheint ihn sehr zu amüsieren, und ich erzählte ihm, wie man hier bei Minister- oder Generalsernennungen immer fragt: »Ist er ein guter Cricketer, Reiter oder Schütze?« Weil er aber ein so großer Schütze ist, gefällt er den Engländern so sehr, und er erzählte mir, daß er in Hyderabad den Nizzam im Flaschen- und Rupieschießen geschlagen habe, was alle Europäer sehr gefreut habe. Stockinger sagte mir, daß der Erzherzog ungeheuer wißbegierig sei, sich über alles aufs genaueste unterrichte und mit wirklichem Nutzen reise. Er soll täglich ausführliche Notizen schreiben.

14. Februar. Nachmittags war ein Lawn-tennis im Governmenthouse, wo ich Don Miguel de Braganza kennenlernte, der als Graf Riva globetrottet. – Ein fideler Ungar, Herr von Promei, meinte, wir seien hier alle etwas eingeschlafen und bedürften sehr der Aufrüttelung!

6. März. Edmund und ich machten unsre gewohnte Sonntagsnachmittagsfahrt in den Botanischen Garten, wo wir uns ein reizendes 1 Monat altes Tigerchen besahen. Die schlechte böhmische Damenkapelle, die herumsitzenden Menschen, nachher die Fahrt durch den red road, wo man den Ticagharries begegnet, dann weiter den Fluß entlang, wo sich die Masten und Taue der ruhenden Schiffe wie ein feines Gewebe vom roten Abendhimmel abheben und das kleine Tempelchen grünspanartig schillert, – über all dem lag die Melancholie, welche wohlbekannte Dinge tragen, wenn man sie bald verlassen wird. Die indische Lebensperiode war ja schön und interessant, aber Gott gebe, daß sie bald definitiv vorüber sei. – Nach Tisch stand ich im Garten, wo der Mond schien und chinesische Lampen brannten, und ich dachte, wie freundlich alle Menschen hier für mich gewesen und wie sehr anders das doch zu Hause sein wird. Ich freue mich so gar nicht auf den Urlaub.

11. März. Nachmittags fuhr ich spazieren und hörte die Kapelle der »Kaiserin Elisabeth«, welche hier auf den Erzherzog wartet, ganz vortrefflich spielen. Der so lang entbehrte »Lohengrin« klang reizend heimatlich, und es kam mir dabei der Gedanke, daß es doch noch Dinge zu Hause gibt, auf die man sich freuen kann, so fremd und depaysiert man sich auch dort vorkommen wird.

15. März. Sehr, sehr busy mit allerhand Packereien und letzten Besorgungen. Dann ins Governmenthouse gefahren, wo wir zum Abschiedstiffin geladen waren und ich sehr daran dachte, wie wir da am selben Platz vor 3 ¼ Jahren bei unsrer Ankunft geluncht haben. Lord und Lady Lansdowne waren sehr freundschaftlich und sagten, sie wünschten uns Kairo und wollten uns dort besuchen! Er warnte Edmund vor Teheran und meinte, die Mißwirtschaft des Schahs sei so arg, daß da sicher bald eine große Conculsion entstehen würde ...

21. März. Morgens früh trafen wir in Bombay ein, und die Verwirrung des vielen Kindergepäcks war wirklich fürchterlich. I settled die Kinder mit Frl. Kruse im Wartesaal, machte selbst einige Kommissionen und fuhr dann zu Syburg. Sein Bungalow liegt entzückend nahe am Meer, mit herrlich kühlen Verandas. Syburg erzählte mir, er habe aus Berlin gehört, daß man mit Heyking sehr zufrieden sei und daß er Bogota oder Teheran bekommen solle, ersteres wäre schrecklich! Dann erzählte er mir recht Betrübendes aus Deutschland und wie wir doch eigentlich heruntergekommen sind. Vom Ostafrikanischen Vertrag sagt man, daß derselbe ganz allein von S. M. gemacht sei; auch von Caprivi war die Rede, und wie ganz ideenlos seine Politik sei, aber man müsse wünschen, seine Politik zu behalten, da später vielleicht ein Schlimmerer an seine Stelle käme. Es war alles Schrecklich deprimierend. Wir fuhren um 2 von Bombay nach Neral, wo wir die Bahn verließen und in Dandies nach Matheran heraufgetragen wurden. Meine Not mit Kulis und Gepäck, der Kampf gegen die allgemeine Hilflosigkeit meiner Familie, die beständige Angst, ob die Kinder nicht zu heiß oder zu kalt hätten, werde ich nie vergessen. Ich war recht froh, als wir oben anlangten und uns in unserm kleinen Bungalow installiert hatten. Wäre ich mit weniger Verantwortung gereist, so hätte ich es genossen, denn der Weg war hübsch im Zickzack an den kurios geformten Bergen entlang. Zuerst hatten wir die untergehende Sonne, und nachher ging die schlanke Mondsichel auf, der Weg ging durch einen dichten Wald, und unsre Schar von Kulis stimmte bei jedem steilen Stück des Wegs einen wilden Gesang an. Es war eigentlich recht merkwürdig und romantisch, und ich dachte mir, wie abenteuerlich das alles wohl Menschen zu Hause erschienen wäre, aber ich war zu angegriffen, um es zu genießen. Aber vielleicht wird es mir in der Erinnerung schön erscheinen, denn ich habe ja die große Gabe, mir nachträglich im Gedächtnis alles hübsch zurechtzulegen; dadurch ist so vieles Schwere verhältnismäßig leicht an mir vorübergegangen. Ich grüble nie über vergangene Unannehmlichkeiten nach.

30. März. Mittags Edmund in Bombay getroffen.

1. April. Morgens um 5 auf und mit mehr als schwerem Herzen gepackt. Mir war ganz herzbrechend zumute, besonders als die Diener adieu sagten. Es war doch die schönste Zeit meines Lebens im lieben Indien, in dem wir so viel Freundliches erfahren und so viele Freunde zurücklassen. Wir schauten aus, solange wir die Küste sehen konnten, und die Diener winkten uns zu, und dann verschwand alles, und es ist wieder ein Kapitel unsres Lebens vorbei. – –


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