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Ein Ziel wenigstens hatten sie dann wirklich bald erreicht. Wolf erhielt eine Gesandtschaft.
Dieser neue Posten lag an der entgegengesetzten Ecke des großen Weltenschachbrettes, auf dem die Schicksal spielenden Großen der Wilhelmstraße die ihnen unterstellten Figuren hin und her schieben – scheinbar planlos – vielleicht aber geheimnisvollen Regeln und Erwägungen folgend.
Manchmal aber, so hieß es, fuhr eine mächtigere Hand plötzlich mitten hinein ins Spiel, faßte diese oder jene Figur und rückte sie ganz unerwartet an besondere Stelle.
Daß solches tatsächlich hier und da vorgekommen war, wurde in anderen Fällen verwertet, um manche Einwendungen und Klagen unangenehm Betroffener achselzuckend mit den geflüsterten Worten abzuschneiden: »nichts zu machen, mein Bester – Entschließung von oben!«
Denn je höher einer steht, desto mehr läßt sich auf sein Konto schieben!
In Wolfs Fall aber erschien es glaubwürdig, als ihn der Personalrat mit den Worten empfing: »Ihre letzten Berichte, lieber Herr von Walden, sollen Allerhöchsten Orts so gefallen haben, daß Sie, wie ich Ihnen wohl vertraulich mitteilen darf, Ihre jetzige Ernennung als Beweis dieser maßgebenden Zufriedenheit betrachten dürfen. – Gestatten Sie auch mir, Sie zu beglückwünschen, mein lieber Herr von Walden.«
Nicht der wehmütige Duval mehr war es, der also sprach. Er, der mitleidsvollen Herzens so vielen ihre Versetzungen verkündet, war inzwischen selbst an jenen Ort »berufen« worden, für den alle Menschen, vom Anfang ihrer Lebenskarriere an, zu endgültiger Verwendung »in Aussicht genommen« sind.
An seinem Platze in dem mit Personalakten überfüllten Zimmer waltete nunmehr der Geheime Legationsrat Dr. von Norbert. – Der hatte in einer langen Dienstlaufbahn mit so viel geheimen und ganz geheimen Dingen zu tun gehabt, daß es ihm zur Gewohnheit geworden war, nur im Flüsterton zu sprechen, und alle Angelegenheiten, auch solche, die abends bereits in den Zeitungen standen, als tiefe Geheimnisse zu behandeln; besonders wachsam aber achtete er darauf, daß völligste Verschwiegenheit über Revirements bewahrt wurde, bis sie offiziell »raus« waren, wie eine lebendig gewordene Akte mit der Aufschrift »streng vertraulich«, so wirkte Herr von Norbert.
Seine erste Weisung an Wolf war: »Es wäre dem Chef erwünscht, daß Sie Ihren neuen Posten mit tunlicher Beschleunigung antreten.«
Denn das war nun einmal behördliche Eigentümlichkeit, sogar Posten, die monatelang unbesetzt und wie vergessen gelassen worden, sobald ein Inhaber ernannt war, plötzlich für so wichtig zu erklären, daß der neu Ernannte gar nicht rasch genug hinkommen konnte.
Mit der anbefohlenen Eile besorgte Ilse die für die neue Stellung erforderliche Ausrüstung, indessen Wolf trachtete, in den wenigen ihm gegönnten Tagen seine Kenntnisse über das Land, in dem er fortan wirken sollte, zu erweitern und auch zu erfahren, welche Ziele der deutschen Politik er dort eigentlich vertreten und fördern solle. »Informationen und Instruktionen holen« nennen das die Herren, die zu Aktenlektüre und kurzer Audienz bei den verschiedenen Chefs zur Wilhelmstraße wallen.
Es ward aber Wolf nicht sonderlich viel gesagt – vielleicht gab es auch niemand, dem jene Ziele völlig klar waren. »Ein Posten von wachsender Bedeutung,« »ein Posten, aus dem sich was machen läßt,« und ähnliche verheißungsvolle Worte vernahm er von den Lippen eiliger Vorgesetzter, aber was zu machen sei und worin die Bedeutung lag, wurde nicht näher erörtert. Das würde sich ja alles an Ort und Stelle ergeben.
Einer der Exzellenzen sagte ermahnend: »Auch mit der dortigen deutschen Kolonie müssen Sie und Ihre Frau Gemahlin sich zu stellen trachten – das ist nicht immer leicht und nicht jedes Diplomaten Sache – aber schon wegen all dem Getratsch der liberalen Presse über die allzu ausschließliche Verwendung von Adligen im diplomatischen Dienst muß es uns darauf ankommen, daß keinerlei Klagen über Exklusivität unserer Beamten laut werden.« – Dieser Herr wußte offenbar gar nichts von der bisherigen Laufbahn Wolfs und Ilses, die sich allerorten gerade unter ihren deutschen Landsleuten warme Freunde erworben hatten. Wolf aber war weise geworden; er zeigte nicht die schmeichelhaften Nachrufe aus seinem letzten Posten, die ihm gerade an dem Tage zugegangen waren. Er verbeugte sich nur und dankte ehrerbietig für den so kostbaren Wink, den er und seine Frau »zu beherzigen nicht verfehlen würden.«
Am ergiebigsten, wenn auch nicht gerade ermutigend, erwies sich Wolfs Besuch bei den Herren, denen die Behandlung der Rechtsbeschwerden deutscher Interessenten im Auslande obliegt. Da war man auf den Staat, in den Wolf gesandt wurde, nicht gut zu sprechen. Stets, so wurde gereizt gesagt, gab es dort etwas zu reklamieren, und in dem, durch die Mißwirtschaft wechselnder Diktatoren, ausgesogenen Lande hielt es schwer, die Forderungen deutscher Gläubiger einzutreiben. Besonders viel Weitläufigkeiten verursachte eine Bahn, an der deutsches Kapital stark beteiligt war. Unermüdliche, eindringliche Ermahnungen des Gesandten würden da oftmals von nöten sein! –
Im ganzen bemerkten Wolf und Ilse bei diesem kurzen Berliner Aufenthalt einen neuen Ton in der Art, wie man ihnen begegnete, vielleicht war die Anerkennung, die Wolfs Berichte »oben« gefunden, bekannt geworden, oder es lag an dem Interesse, das ihr neuer Posten in manchen finanziellen Kreisen erregte – aber sie empfanden, daß die Aufmerksamkeit sich auf sie zu richten begann. In einigen Blättern erschienen Bilder von Wolf mit den üblichen Begleitworten, die ihn als »einen der begabtesten und zukunftsreichsten unter unseren jüngeren Diplomaten« priesen. Und auch die Verehrer, die sich Ilse nun doch mal erworben hatte, feierten Wolfs Ernennung etwas geräuschvoll als einen Triumph, und sprachen gelegentlich von ihm als »kommenden Mann«. – Dies alles erweckte in der Gesellschaft alte und neue Mißgunst, und auch dienstlich fand man, daß um diese Waldens ein bißchen viel Aufhebens gemacht werde; so folgte der Geheime Legationsrat Dr. von Norbert denn auch nur vertraulicher Weisung, als er, die Wimpern wie Geheimniswächter über die Augen senkend, mit gespitzten, schmalen Lippen den Rat flüsternd wiederholte: Der neue Gesandte möge nun doch wirklich möglichst rasch seinen Posten antreten.
Kaum zu den nötigsten Vorbereitungen hatten Wolf und Ilse Zeit gehabt, noch war es ihnen möglich gewesen, Gisi zu besuchen, die ihren sterbenden Mann in einem Badeorte pflegte. Und Taudien, der mehr und mehr zum Weltvaganten geworden war und die Freunde eigentlich gleich begleiten wollte, mußte sich darauf beschränken, ihnen seinen Besuch für etwas später in Aussicht zu stellen.
Am Tage, ehe die beiden nun abreisen mußten, begegnete ihnen zufällig in dem Restaurant, wo sie zwischen allerhand letzten Besorgungen zu Mittag essen wollten, ein Marineoffizier, Kapitänleutnant von Plenker, der auf einem der Kriegsschiffe gewesen war, die Wolfs vorletzten Posten besucht hatten, und der ihm seitdem eine freundliche Erinnerung bewahrte.
Er beglückwünschte Walden zu der Ernennung auf seinen neuen wichtigen Posten, der so große Möglichkeiten enthalte, und den er persönlich wohl bald kennen lernen würde, da er zum Kommandanten des voraussichtlich in die dortigen Gewässer beorderten Schulschiffes ernannt worden sei. Dann fuhr er fort: »Na, jetzt wo Sie hinausgehen, da könnte vielleicht auch noch mal was aus unseren Hoffnungen dort werden.«
Dann zog er seinen Stuhl an Waldens Tisch und begann leise und eifrig zu reden.
Nachdem Herr von Plenker gegangen, sahen sich Wolf und Ilse erstaunt an, und Wolf sagte: »Davon hat man mir im Amt kein Wort gesagt.«
Ilse aber, in deren Augen plötzlich wieder der einstmalige Glanz verzückter Begeisterung aufleuchtete, den sie hinter banaler Korrektheit zu verbergen gelernt, dachte mit innerem Jubel: »Aber das wäre ja herrlich! Endlich, endlich solch eine Aussicht für Wolf – – und«, setzte sie hinzu, »für Deutschland!«