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Ein Waran bei der Mahlzeit – Zweikampf zwischen Riesen – Wie ich in zehn Minuten sechzig Dollar »machte« – Die geheimnisvolle Nachtkarawane – Zehn Lasten Geschenke und ein Packen guter Nachrichten – Das eingetauschte »Mtoto« – Der Weg allen Fleisches – Einer, der mit Steinen nach Löwen werfen wollte
Es war das erste Mal seit unserer Ankunft in Ol Matun, dass ich den Lauf des Korongos abwärts, nach Norden zu, verfolgte, und ich konnte nur immer wieder den Kopf schütteln, wie völlig unbekannt mir dieser Weg vorkam, den ich doch schon gegangen war. Allerdings mit ungefähr neununddreissig Grad Fieber im Blut.
Der Tag war heiss und wolkenlos. Allerwärts regte sich Leben; kaum eine Viertelstunde vom Lager entfernt ging eine unübersehbare Herde von Zebras vor mir ab. Ein Trupp von Giraffen zog in ruhigem Passgang quer zu meiner Richtung auf einer kahlen Bodenschwelle dahin; ich konnte die hochragenden Hälse der Tiere noch lange zwischen den Baumgruppen weiter östlich erkennen. Überall auf den offenen Grasflächen, im Lichtgeflimmer der Steppenhaine und im dämmerigen Schatten des Galeriewaldes zu meiner Linken bewegte sich Wild der verschiedensten Art. Einmal trat ein schöngezeichneter Buschbock unmittelbar vor mir aus dem Dickicht heraus, warf den Kopf nach mir herum, fuhr mit erschrecktem Satz wieder in die Büsche hinein, stob mit Geräusch und Geprassel hindurch und den Korongo hinab. Und gleich darauf erlebte ein anderer behufter Vierbeiner denselben Schrecken; er war schneller wieder verschwunden, als ich überhaupt feststellen konnte, zu welcher Art er gehörte – offenbar hatte ich mir auf meinen dicken Gummisohlen einen kaum noch hörbaren Schritt angewöhnt.
Ich war mit der Absicht weggegangen, unterwegs keinerlei Versuche zu Aufnahmen zu machen, denn nach der schlechtverbrachten Nacht war ich ziemlich müde und nicht gut zu Fuss, und wenn ich noch vor Dunkelheit bis zu unserem früheren letzten Lagerplatz kommen wollte, durfte ich keine Zeit verlieren. Ich hatte Mze eingeschärft, dass ich ihn am Abend dieses Tages bestimmt dort zu treffen beabsichtigte.
Gegen zwölf erreichte ich die Stelle, wo ich auf dem Hermarsch die letzte Rast gehalten und Mlomu zurückgeschickt hatte, die Nachzügler herbeizuholen. Hier machte ich kurze Rast, ass ein paar Bissen und träumte dann bei einer Zigarette noch eine Weile vor mich hin. Ich sass ganz reglos und sah mit schläfrigen Augen dem Treiben der kleinen Welt ringsum zu – in Gras und Laub, an den Stämmen der Bäume und drunten zwischen dem Steingeröll auf dem Grunde der Schlucht. Da raschelte etwas da unten; in ein Geklapper von Steinchen hinein tönte ein kurzer, schriller Aufschrei aus einer Vogelkehle, dann wurde wieder ein schlürfendes Rascheln hörbar, und zwischen dem Wurzelstock eines Baumes und einem Felsblock hervor kam ein Waran, eine Riesenechse, angewatschelt. Der gut einen Meter lange, stämmige Bursche, der aussah wie die Taschenausgabe eines Krokodils, trug einen noch leise flatternden Vogel im Maul. Kaum vier Meter Entfernung trennten uns, und in meinem Schosse lag der Kodak. Mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen stellte ich den Apparat ein und schnappte den Waran gerade in dem Augenblick, als er mit hochgeworfenem Kopfe den Vogel glatt in zwei Teile biss. Er hatte nichts gemerkt, und er merkte auch nichts, als ich ihn bei seinem Mittagessen noch zwei weitere Male photographierte.
Zu einer vierten Aufnahme aber kam ich nicht, denn plötzlich fiel ein Schatten über den sonnenbeschienenen Felsblock. Wie ein Blitz verschwand der Waran, und mit rauschendem Schwingenschlag hob sich ein Adler über die Wipfel der Bäume empor. Hätte er den Waran erwischt, so wäre ich zu einer einzigartigen Aufnahme gekommen.
Dafür gelangen mir eine Stunde später drei andere, wohl ebenso seltene und wertvolle. Sie brachten mir bare sechzig Dollar ein, wie ich gleich hier erwähnen will; sie wurden vom New Yorker Naturhistorischen Museum angekauft.
Ich war eine lange Strecke über offene Grassteppe gewandert, hatte unterwegs nur dann und wann einmal das schweissüberströmte Gesicht sehnsüchtig zu einer Gruppe niederer Bäume in der Ferne erhoben und dann endlich ihren spärlichen Schatten erreicht. Aufatmend wischte ich mir die Gläser ab, da krachte und splitterte es weiter rechts im Dickicht, brach stampfend und schnaubend, umwirbelt von Staub und fliegenden Grasbüscheln, unweit von mir in die Buga hinaus – und im nächsten Augenblick sass ich schon in der Krone einer Akazie.
Drunten im Grase fuhren die schwarzen Riesengestalten zweier Büffel aufeinander los. Mir wollten Herz und Atem stillstehen, als die beiden die dunkelzottigen, massigen Schädel mit den schenkeldicken Hörnern senkten, die Schwänze steil aufrichteten und mit gewaltigem Krach zusammenprallten. Sie fuhren gleich wieder auseinander, schmetterten aufs neue die Stirnen zusammen und versuchten, mit eingestemmten, vor Anstrengung zitternden Schenkeln sich gegenseitig über den Haufen zu schieben. Doch das gelang keinem von beiden; die verklammerten Gehörne lösten sich, mit tiefgesenkten Schädeln und rotglühenden Augen galoppierten sie eine Weile umeinander herum, dass Gras und Erdschollen spritzten.
Bis jetzt war ich auf meinem unsicheren Beobachtungsposten nur Auge gewesen; nun aber gab ich mir einen innerlichen Ruck. Zur Sicherung stemmte ich die hochgezogenen Knie seitlich gegen den Stamm und machte mit nervös zitternden Händen die Kamera bereit. Dann fasste ich mit der Linken einen Ast, klemmte den Kodak in die Armbeuge, drehte den Oberkörper so weit wie möglich herum und drückte nach flüchtigem Anvisieren ab. Verwackelt! Mit zusammengebissenen Zähnen drehte ich weiter, hielt den Atem an und machte eine neue Aufnahme. Sie musste gelungen sein; doch als ich wiederum weiterdrehte, liess mich ein dumpfes Aufbrüllen aufschauen, und da fiel mir die Kamera aus der Hand. Ich konnte mich nur durch eine hastige Wendung vor dem Nachstürzen bewahren.
Die beiden Kämpen waren etwas weiter von mir abgeraten; der eine brach gerade auf die Hinterhand nieder, der andere fuhr ihm mit den Hörnern unter die Wamme und versuchte, ihn hintenüber zu werfen: da wagte ich's, sprang hinunter, überzeugte mich flüchtig, dass die Kamera unverletzt war, und machte, während ich mich an dem Baumstamm stützte und mich immer wieder zu Ruhe und Bedachtsamkeit mahnte, noch zwei weitere Aufnahmen.
Wenn nunmehr nicht der Film zu Ende gewesen wäre, hätte ich damit fortfahren können, denn der Kampf zwischen den schwarzen Riesen tobte noch eine ganze Weile weiter, aber jetzt waren sie wieder nahe meinem Standort, so dass ich es nicht wagen konnte, sogleich einen neuen Film einzusetzen. Schliesslich brach der eine – - und zwar der grössere der beiden Bullen – nochmals nieder, rollte, wie mir schien, um und um, sprang aber mit erstaunlicher Behendigkeit wieder auf die Beine und stob, verfolgt von dem andern, in wilder Flucht davon. Und erst jetzt sah ich mit schreckensvoll aufgerissenen Augen, dass unmittelbar hinter meiner Baumgruppe eine Menge dunkler Rücken, überflattert von weissen Kuhreihern, über Gras und Sträuchern auf und nieder wogten: eine Büffelherde von mindestens fünfzig Köpfen. Der strenge alkalische Geruch der gedrängten Tierleiber quoll mir in einer wahren Wolke entgegen. Ich wusste, dass die Wildbüffel als die gefährlichsten Tiere Afrikas gelten, und mit der Einsicht, dass mein niederes Akazienbäumchen für einen Kafferbüffel eine geradezu lächerliche Angelegenheit bedeutete, rannte ich auch schon unter den Bäumen dahin, auf zwei einzelstehende hohe Dumpalmen zu.
Ich kletterte dann doch nicht hinauf, denn als ich dort angelangt war und mich umblickte, sah ich, dass die schwarzen Kolosse ruhig weiterästen, während weit draussen in der sonnenflimmernden Buga der Sieger des Zweikampfs stand und ein weithinhallendes Triumphgebrüll ausstiess.
Durch dieses Zwischenspiel hatte ich eine gute halbe Stunde verloren; doch der Gedanke an die Aufnahmen, die mir ein selten günstiger Zufall ermöglicht hatte, liess mich alle Müdigkeit vergessen. Am liebsten hätte ich natürlich sofort kehrtgemacht, um daheim die Aufnahmen zu entwickeln. »Wenn sie doch gelungen wären, wenn sie doch gelungen wären ...!« sagte ich immer wieder vor mich hin, während ich mit weitausgreifenden Schritten am Rande des Korongos dahinhastete.
Wieder einmal gab es einen Wettlauf mit dem Tageslicht; die Abendsonne warf bereits rotgoldene Glut durch die Akazienhaine unter mir, als ich auf dem Kamme des steilen Hügels angelangt war und in die Düsternis des Nashornwechsels tauchte. Eingedenk der alten Erfahrung, dass die meisten Zusammenstösse zwischen Mensch und Tier durch gegenseitiges Erschrecken herbeigeführt werden, polterte ich mit so viel Lärm wie nur möglich den tunnelartigen Pfad hinunter, schlug ständig mit der Speerklinge klirrend gegen die Steine und fing zuletzt vor lauter Angst an, aus voller Kehle ein Soldaten-Lied zu grölen. Derjenige, der an meiner Stelle keine Angst gehabt hätte, kann sieh bei mir einen Fünfliber abholen.
Kein Nashorn kam mir entgegen, und keines tobte hinter mir drein, aber die Luft um mich war angefüllt mit dem Geruch der Dickhäuter, den ich nunmehr schon unterscheiden gelernt hatte, und wie zur Begründung meiner nicht gerade heldenhaften Gefühle trat ich kurz vor dem Ende des Pfades in einen Haufen Losung hinein, die so frisch war, dass sie noch leise dampfte. Ich hielt sofort an, wischte mir ein paar merklich kühle Tropfen von der Stirn und betrachtete in der rasch herabsinkenden Dunkelheit eine ganze Weile lang voller Misstrauen etwas Graues, Gewölbtes drunten in der Schlucht, bis ich mich schliesslich davon überzeugt hatte, dass es einer der grossen Felstrümmer hinter unserem ehemaligen Lagerplatz war, wo mir Mze die frischen Löwenfährten gezeigt hatte.
Enttäuscht stellte ich fest, dass er mit seiner Safari noch nicht angekommen war. Trotz all seiner Zuverlässigkeit konnte er auf solch einem langen Wege natürlich durch mancherlei aufgehalten worden sein und vielleicht einen Tag später oder gar erst nach mehreren Tagen hier eintreffen. Aber mein Gefühl sagte mir, dass er heute doch noch kommen würde. So schleppte ich beim Schein meiner Taschenlampe hastig einen Haufen Gestrüpp und ein paar handfeste Treibholzstämme herbei, zündete ein grosses weithinleuchtendes Feuer an und bereitete vor allem frischen Kaffee.
Nach meinem äusserst bescheidenen Nachtessen – es bestand aus Brot, das Tumbo diesmal ziemlich missraten war, mit einem Aufstrich ranzigschmeckender Büchsenbutter und einem steinharten Stück Käse – sass ich dann in Hockstellung einsam in der Nacht; den Speer hatte ich neben mir in die Erde gesteckt, und meine Hände hingen müde zwischen den Knien herab. Ich starrte in die flackernden Flammen und schürte bei jedem Löwengebrüll, das aus der dunklen Steppe heraufhallte, mechanisch das Feuer. In derselben Stellung haben einst schon unsere Vorfahren, die Urmenschen, gehockt und die Flammen geschürt, wenn die Donnerstimmen der noch furchtbareren Genossen ihrer Zeit, der Säbeltiger und Höhlenlöwen, durch die Nacht rollten.
Aus den düstern Kronen der Bäume über mir ertönte das Schnalzen und Kichern der Nachtaffen, und in dem tiefen Schatten des Korongos setzte das heisere Geheul einer Hyäne ein. Es endete mit jenem Hohngelächter, das neben andern Eigenschaften dieses Tier dem Menschen so widerwärtig und verhasst gemacht hat. Ich griff unwillkürlich nach der schweren Pistole, die vor mir lag – da horchte ich auf. Von weit her drang, schwach und dumpf, ein rhythmisches Dröhnen durch die Nacht; es wurde schwächer, verlor sich ganz, um dann wieder lauter und zweifellos näher hörbar zu werden. Nach ein paar Minuten angestrengten Lauschens war ich überzeugt, dass dieses Geräusch nichts anderes als der von Trommelschlägen an die Kistenwände begleitete Gesang marschierender Träger war. Ich warf einen Armvoll dürrer Zweige aufs Feuer, die Flammen loderten hoch auf, und daraufhin rollte ein antwortender Schuss und ein brausendes Gebrüll durch die Nacht. Es mussten doch meine Träger sein, aber wie sechs Mann einen derartigen Höllenlärm vollführen konnten, war mir unerklärlich. Als dann noch die tanzenden Lichtpünktchen zweier Sturmlaternen sichtbar wurden, war mir die ganze Sache noch rätselhafter, denn ich besass nur eine solche Laterne, und diese eine war daheim. Jetzt hielt ich's nicht mehr aus, eilig stolperte ich den Hang hinab, der geheimnisvollen Karawane entgegen.
Eine lange Reihe dunkler Gestalten löste sich aus der sternenschimmernden Nacht; ich zählte vierzehn oder fünfzehn Mann, und weiter hinten johlten noch viel mehr. Die Stimme aber, die auf mein lautes: » Nani anakuja? – Wer kommt?« mit einem geistvollen: » Sisi, Bwana – Wir sind es!« antwortete, war die meines Aufsehers, und auch die eines laternentragenden schlanken Jünglings in Khakirock und kokettem rotem Tarbusch neben ihm kam mir bekannt vor. Er begrüsste mich munter: » Jambo, Bwana Hayes!« Und da wusste ich, wer es war: John, der Boy Burtons, den sein Herr vor einem halben Jahre mit einer schweren Schussverletzung im Spital zu Mombasa zurückgelassen hatte.
»Ja, wo kommst du denn her, und was sind das für Leute da?« fragte ich erstaunt.
»Aus Nairobi, Bwana«, antwortete er lächelnd, fuhr dann herum und herrschte die stehengebliebenen Träger an: » Jallahjallah, ihr da! Macht, dass ihr weiterkommt zum Lagerplatz! Es ist keine Art, sich hinzustellen und zu glotzen, wenn ich mit einem Msungu spreche!«
» Jambo, Bwana!« sagte jetzt auch der alte Mze und streckte mir seine magere schwarze Hand entgegen. »Ich führe die Leute hinauf; der da wird dir alles sagen. Er hat ein besseres Mundstück als ich. Hier ist dein Gewehr, Bwana. Ich habe nur vorhin den einen Schuss daraus abgefeuert.«
Während die Leute in langer Einzelreihe an uns vorbeischritten, berichtete John. Burton hatte ihn vor einer Woche mit zehn Lasten und fünfzehn Mann nach der Station Simba geschickt. Sie hatten Auftrag, dort zu warten, bis Leute von Ol Matun hinkamen, und sie dann mit den zehn und fünf von meinen dort lagernden Lasten nach Ol Matun zu begleiten.
Burton liess mich grüssen und mir sagen, dass ich die zugesandten Sachen sicherlich würde gebrauchen können. Nach einem oder zwei Ruhetagen sollte ich die Leute zur Station zurückschicken, von wo sie heim nach Nairobi fahren würden. Sie hätten sich nur für einen Monat verpflichtet; ihre Rückfahrt wie auch ihre Löhne seien bezahlt. Das war alles. Einen Brief für mich hatte der Boy nicht mitbekommen. Was mich nicht wunderte, denn ich kannte die Schreibfaulheit Burtons schon.
»Von den fünf freien Trägern habe ich nur vieren je eine Last aufgeladen, Bwana«, fuhr John fort, »denn einer musste die fünf Ziegen treiben, die mir der Goa in Simba mitgegeben hat. – Lakini, Bwana ...«, setzte er hinzu, und bei der gedehnten Aussprache dieses »Aber, Herr ...« wusste ich schon, dass jetzt etwas Unerfreuliches und auch nicht ganz Eindeutiges kommen würde – es gibt viele Weisse in Afrika, die bei diesem Wort aus Negermund schon schweigend zu einer Maulschelle ausholen. » Lakini, Bwana, zwei Ziegen sind unterwegs abhanden gekommen, und eine dritte ist fusskrank geworden, so dass wir sie heute mittag schlachten mussten.«
»Das arme Tier! Wo mögen denn die beiden andern hingekommen sein? War keine Spur von ihnen zu finden?«
»Nein, Bwana, keine!«
»Nun, ich hätte bestimmt eine gefunden. Nämlich in eurem Kochkessel!« erwiderte ich und sah ihn mit einem schnellen Blicke an. Er wich auf alle Fälle ein wenig beiseite und rollte stumm das Weisse seiner Augen.
Das erste, was mir Mze droben am Lagerplatz sagte, war eine Bestätigung meines Verdachts: die fremden Träger hatten sich bei jedem der Nachtlager, während sie den Alten schlafend wähnten, über eine der Geissen hergemacht. Angesichts der Herrlichkeiten, die mir schon die ersten flüchtigen Blicke auf die von Burton geschenkten Sachen enthüllten, verlor ich keine weiteren Worte über die veruntreuten Tiere, aber der Alte und ich liessen die beiden überlebenden in der Nacht keinen Augenblick aus unserem Gesichtskreis.
Ich sass mit ihm und dem kecken John noch lange am Feuer, während ringsum alle andern schnarchten, dass die Schlucht nur so dröhnte. Der Alte berichtete, dass sie auf dem Hinweg einmal von einem Nashorn angegriffen worden waren. Keiner von ihnen hatte dabei Schaden genommen, aber Semakweli, einem der Wanyamwezi, war der Schrecken derart in die Beine gefahren, dass er auf der Station erklärt hatte, er ginge nicht wieder mit nach Ol Matun. Er wäre schon früher ein paarmal von wilden Tieren angegriffen worden, und letzte Nacht hätte ihm der Geist seines Vaters verkündet, er würde ums Leben kommen, wenn er wiederum ins Pori zurückkehrte. Seinen Lohn möchte ich doch an den Agenten nach Nairobi schicken.
»Er hat sich nicht überreden lassen, Bwana«, berichtete der Alte weiter. »Aber wir sind dennoch unser sechs zurückgekommen, denn am andern Tage kam jener › Mtoto‹ da zu mir und fragte, ob er mit uns kommen könne. Er war vor vielen Tagen mit dem Zuge von Voi gekommen, zusammen mit seinen Eltern. Auf der Station war er ausgestiegen, um Wasser zu trinken, und da hat ihn der › Peppo‹ befallen, und als er ihn wieder losliess, war der Zug fort. Er hat den Goa um Arbeit gefragt, aber der weigerte sich, ihn zu nehmen, wegen des Peppos. Er wollte eine Last tragen, aber er ist zu schwach, und so hat Mlomu die seine mit übernommen. Wenn du ihn nicht gebrauchen kannst, so mag er mit John wieder nach Simba zurückgehen.«
Das Wort »Mtoto« bedeutet in diesem Fall Knabe, und der »Peppo« ist eine Art Dämon, der nach, Ansicht der Neger manchmal in bestimmte Menschen hineinfährt und sie in Krämpfe verfallen lässt. Ein vorteilhafter Tausch gegen den kräftigen Semakweli schien die jämmerlich magere Knabengestalt, die da zusammengerollt wie eine junge Katze und ohne jede Decke am Feuer schlief, nicht gerade zu sein, aber ich gedachte, den Jungen vorläufig erst einmal zu behalten.
Ich war müde wie ein Jagdhund, fühlte aber, dass ich trotzdem noch keinen Schlaf finden würde. So warf ich eine Ladung Gestrüpp ins Feuer und fing beim Schein der Flammen an, die Post zu lesen, die Mze mitgebracht hatte. In der Hauptsache bestand sie aus einer ganzen Anzahl von Zuschriften aus dem Leserkreis der »Mussestunde«, für die ich als Reiseberichterstatter tätig gewesen war. Die Absender waren zum grössten Teile junge Burschen, die sich mir, und manchmal auf Grund sehr komisch anmutender Vorzüge, als Reisebegleiter anboten. Aber auch einige unternehmungslustige Mädchen waren darunter; statt trockener Befähigungsnachweise enthielten ihre Briefe durchweg eine Photographie. Und manch eines dieser Bilder war eine ausgesprochene Augenweide. Mit nachdenklichem Kopfnicken tat ich auch sie beiseite – ich hatte weder die Zeit, noch auch nur das Porto für Antwortbriefe übrig.
Das Schreiben der Redaktion, das dem Briefpaket beigelegt war, enthielt die schon früher erwähnte Freudenbotschaft, dass ich die der Zeitschrift gehörende Tropenkamera behalten dürfe. Die Hauptsache aber war eine fast unleserliche Postkarte von Dr. Morgenstern, auf der er mich in scharf gewürzter Ausdrucksweise benachrichtigte, dass eine skandinavische Agentur sich bereit erklärt hatte, monatlich vier bebilderte Artikel von mir zu nehmen, und den »Bockmist« mit dreihundert guten Kronen zu bezahlen gewillt war. Wenn nicht die Träger ihren Schlaf so nötig gehabt hätten, wäre ich auf diese Botschaft hin in ein Apachengeheul ausgebrochen.
Nun konnte ich erst recht nicht schlafen und verbrachte noch eine weitere gute Stunde damit, in Burtons Kisten zu stöbern. Fabelhafte Schätze entdeckte ich da: ausser allerlei Dunkelkammergeräten, Chemikalien und Papieren, einem ganzen Paket Rollfilme, einem Primuskocher, verschiedenen Werkzeugen und Küchengeräten, zwei wundervollen Kamelhaardecken, einigen Zeltplanen, einem grossen Trinkwasserfilter, einem Kasten mit Medikamenten und Verbandzeug, zwei Kanistern Petroleum und zwei Kisten voll Fleisch-, Gemüse- und Fruchtkonserven hatte er mir auch eine Strickleiter aus reiner Seide, seine alte Gummibadewanne, einen zusammenklappbaren Kamptisch und Stuhl und fünf Flaschen Whisky mitgeschickt. Was ich allerdings mit der Strickleiter anfangen sollte, vermochte ich nicht zu ergründen – wenigstens an jenem Abend nicht mehr; Whisky trank ich nicht, und für all die luxuriösen Ausstattungsstücke würden mir, wenn ich jemals Ol Matun verliess, keine Träger zur Verfügung stehen. Aber in Anbetracht alles dessen, was mir dieser Tag gebracht hatte, fühlte ich mich, als ich mich doch endlich zum Schlafen niederlegte, wie ein Kind nach der Weihnachtsbescherung.
Die Spannung auf das Ergebnis meiner Aufnahmen liess mich nicht lange schlafen. Als die Nachtluft mit wahrer Eiseskälte durch meine Decke zu dringen begann, wusste ich, dass es höchstens noch eine Stunde bis Sonnenaufgang sein konnte. Ich weckte die schnarchende Gesellschaft ringsum und brachte sie so energisch auf die Beine, dass wir noch bei völliger Dunkelheit den Lagerplatz verliessen.
Eine brennende Laterne in der Hand, ging ich wie gewöhnlich voraus. Vor dem finsteren Loch des Nashornwechsels blieb ich einen Augenblick stehen und überzeugte mich, dass unter mir die andere Laterne in der Hand Mzes entlangschwankte, ein Zeichen, dass sich wirklich alle Träger in Bewegung gesetzt hatten. Wenn ich diesen versichernden Blick nicht zurückgeworfen hätte, wäre ich von dem Nashorn, das ich in dieser Sekunde herabkommen hörte, drinnen in dem engen Tunnel erwischt worden! Mir blieb gerade noch Zeit, mit einem gewaltigen Sprunge hinter einem Felsblock zu verschwinden und den gellenden Warnungsruf » Faru!« auszustossen, als das Tier mit der Schnelligkeit einer Lokomotive auch schon aus dem Tunnel geschossen kam. Als es mich erblickte – oder witterte –, erschrak es sichtlich, entgleiste sozusagen und stürzte polternd in den Korongo hinunter.
Unter mir polterte es ebenfalls in der Dunkelheit: es waren die Lasten, die von ihren Trägern prompt abgeworfen worden waren, kaum dass sie das unheilverkündende Wort gehört hatten. Als ich aber die ruhige, beschwichtigende Stimme Mzes vernahm und gleich darauf die Riesengestalt Mlomus hinter mir aus der Finsternis trat, tauchte ich entschlossen, wenn auch mit Herzklopfen und ein bisschen zitternden Knien, in den unheimlichen Tunnel, und ohne weitere Fährnis gelangte ich am andern Ende wieder hinaus.
Ein allererster schwacher Lichtschimmer glomm im Osten auf; in der Bodensenke unter mir lag leichter Morgennebel. Ich löschte meine Laterne, doch als das drahtumflochtene Schutzglas klirrend auf den Brenner herunterklappte, war mir, als ob ich rechts von mir etwas gehört hätte. Es war ein kurzabgebrochener, tiefer Ton gewesen. In dem sehr schwachen Morgenlicht vermochte ich nichts deutlich zu erkennen, aber mir schien, als ob sich an einem hohen Gebüsch irgend etwas bewegte. Unsicher verharrte ich noch einen Augenblick; der vernommene Ton hatte nicht sehr vertrauenerweckend geklungen.
Keuchend kam jemand hinter mir den Wechsel heraufgestapft. Mlomu trat heraus. Warnend hob ich den Finger an die Lippen, wies auf das Gebüsch und fragte halblaut: » Nini huko? – Was ist dort?«
Der Goliath warf einen einzigen Blick hinüber, riss die Augen auf und taumelte mit einem geflüsterten: » Lo, Bwana, Masimba – Löwen!« ein paar Schritte zurück. Dabei verfing sich ein Kochkessel, den er auf seine Last geschnürt hatte, im Gezweig, das Ganze krachte ihm polternd vom Kopf herunter, und von drüben antwortete ein mehrstimmiges, dumpfes Aufgrollen. Im nächsten Augenblick sah ich ganz deutlich einen Löwen vor das Gebüsch heraustreten, ein zweiter folgte und schliesslich noch ein dritter. Er trug anscheinend etwas im Rachen. Ich trat, um besser sehen zu können, einen Schritt vor, da tauchte, keine zehn Meter von mir entfernt, der Kopf eines vierten im Grase auf. Er war hinter dem Busch herumgegangen, um zu sehen, was hier los war.
Ein paar lange, lange Sekunden verharrte er mit erhobenem Kopfe und leise pendelnder Schweifquaste und starrte mich an. Ich stand wie versteinert, wagte kaum zu atmen; als ich dann aber den Speer langsam in die linke Hand gleiten liess, um mit der Rechten nach der Mauser zu langen, wendete der Simba den Kopf, schaute seinen langsam in die Steppe hinausziehenden Genossen nach und verschwand mit einem kurzen Sprunge wieder hinter dem Gebüsch.
Ich tat einen erlösten Atemzug, da schreckte ich aufs neue durch die Stimme Johns zusammen, die plötzlich unmittelbar hinter meinem Ohr sagte: »Fünf Löwen, Bwana Hayes! Das war ein ganz junger, der soeben hier geguckt hat. Und dort in der Mitte geht eine Löwin. Sie hat ein grosses Stück Fleisch im Rachen. Wahrscheinlich nimmt sie es ihren Kindern mit heim. Wenn der fünfte endlich dort weggeht, will ich nachschauen, ob sie vielleicht für uns etwas übriggelassen haben.«
»Der fünfte?« fragte ich. »Ich habe nur vier gesehen.«
»Der fünfte ist noch dort, Bwana. Er hat nur einmal vorgeguckt. Ich werde mal einen Stein hinwerfen!«
Und damit bückte sich der verrückte Kerl tatsächlich, um einen Löwen bei seinem Frasse mit Steinen zu bewerfen!
Er sah mich vorwurfsvoll an, als ich ihn am Arme packte, und sagte: »Was ist, Bwana? Die Löwen hier sind ungefährlich. Bwana Burton ist oft sehr böse geworden, weil sie immer so schnell ausrissen, dass er sie gar nicht photographieren konnte!«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, machte ein Besserwissergesicht und schritt schweigend fürbass.