H. Clauren
Die Großmutter
H. Clauren

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H. Clauren

Die Großmutter


H. Clauren: Die Großmutter

Die längst befürchtete Nachricht vom tödtlichen Hintritte meiner guten Großmutter war eingetroffen. Die Ortsobrigkeit hatte mich, als den alleinigen Erben, aufgefordert, mich zum Antritt der Erbschaft persönlich einzufinden; durch Commissiongeschäfte in den fernsten Gegenden des Reichs behindert, hatte ich indessen mehrere Monate verstreichen lassen müssen, ehe ich jener Aufforderung hatte gnügen können. Jetzt war es mir endlich gelungen, mich von meinen Dienstverhältnissen los zu machen; seit mehreren Tagen schon hatte ich die Residenz verlassen, war Tag und Nacht gefahren, und saß jetzt still und in mich gekehrt im Wirthshause zu Binsenwerder an der Gasttafel und wartete auf die neuen Postpferde.

Mir gegenüber ließ es sich ein dürres, gelbhäutiges Männchen vortrefflich schmecken, und unterhielt sich mit den übrigen Gästen und dem Wirthe von den jüngsten Hauptvorfällen seines heute früh verlassenen Wohnortes.

Der Zigeunerfarbene kam, wie sich aus dem Verfolg der Unterhaltung ergab, aus Klarenburg, wo meine selige Großmutter sich in der letzten Hälfte ihres Lebens aufgehalten hatte, und im Flusse seiner Geschwätzigkeit lenkte sich bald das Gespräch auf sie selbst. Mehrere der Anwesenden hatten sie gekannt, und es that meinem Herzen wohl, in ihrem Urtheil über die Verstorbene ihr einstimmiges Lob zu hören; nur der Gelbe, der, nach seinen Aeußerungen, die Stelle eines Rathscopisten bekleidete, war, so viele Gerechtigkeit er auch Ihrem Wandel und Character widerfahren lassen mußte, mit ihrem Testamente nicht ganz zufrieden, weil sie, ungeachtet alle milde Stiftungen von ihr reichlich bedacht worden waren, das Rathsgremium gänzlich unberücksichtiget gelassen hatte, in dem, besonders was das Subalternpersonale betreffe, sich fast lauter arme Teufel befänden. Ich spitzte mich, fuhr er fort; wenigstens auf ein kleines Gratificatiönchen von einigen Carolins, die mir zu meiner Reise in das Karlsbad, wo ich mir die vom dreißigjährigen Actenstaube versteinerten Kaldaunen wieder restauriren soll, sehr hätten zu Passe kommen sollen, und rechnete um so sicherer darauf, als ich mir über ihrem Testament und ihren Legaten und Codicillen alle zehn Finger fast krumm geschrieben; – aber damit war es nichts; wir erhielten unsere, uns von Gott und Rechtswegen zukommenden Sportelgebühren, und damit Punktum.

Nun aber sagen Sie, Herr Sandler! hob der Wirth zum Rathschreiber gewendet an: ist denn die alte Milborn wirklich so reich gewesen, als man sie gemacht hat? Da Sie mit dem Testamente zu thun gehabt, müssen Sie das ja am besten wissen.

Ob sie so reich gewesen? versetzte Herr Sandler mit einer Art von Verwunderung, daß man so etwas nur noch fragen könne: zehn Meilen im Umkreise bei uns, hat sie bei jedem Gutsbesitzer, bei jedem Pachter, ihre sechs, acht tausend Thaler stehen; in Klarenburg ist fast kein Bürger, der ihr nicht ein kleines Hypothekencapital schuldig wäre; ihre Zinkhütte brachte ihr schmähliges Geld ein; Herzfelde, das schöne Gut, eine halbe Stunde von uns, hat sie vor 28 Jahren für einen Spottpreis gekauft, und so zusammen gewirthschaftet, daß es heute bestimmt viermal mehr werth ist, als vordem; von ihren Obstpflanzungen allein zog sie im Durchschnitt jährlich ihre dreitausend Thaler reine Revenüen; ihre Merino-Wolle ist die beßte in der ganzen Provinz, und wer einen Viehstand sehen will, wie keiner im Lande ist, muß nach Herzfelde gehen.

Nun, und das Alles? – fragte der Wirth theilnehmend.

Das Alles, fiel ihm das geläufige Rathscopirwerk in die Rede: Alles erbt ihr einziger Enkel, der als Hofrath in der Residenz angestellt ist.

Ich fertigte in der peinlichsten Verlegenheit eine ganze Hand voll Brodkügelchen und spielte damit um nur nicht aufzusehen; denn ich fühlte, wie mein Gesicht glühte, und mir war, als müßten alle Leute am Tische es mir ansehn, daß ich der Gemeinte sey; doch waren Aller Blicke zu aufmerksam auf den Raths-Sprecher gerichtet, als mich viel zu beobachten, der, als gänzlich fremd in der Gegend, am Gespräch gar keinen Antheil zu nehmen schien.

Auf den, fuhr Herr Sandler klatschsüchtig fort; auf den warten unsere Mädchen, wie auf den Messias. Er soll ein hübscher junger Mann seyn, unverheirathet, brav und guten Herzens, lustig und gescheit, und jetzt, mit der Erbschaft in der Tasche, ein Kerlchen, daß sich gewaschen; ist der nicht schon in der Residenz verplempert, so muß er bei uns unter die Haube, er mag wollen oder nicht. Ich sage Ihnen, ordentliche Komödien wird das setzen; wir haben bei uns eine Anzahl solch armer Dinger, die sich nach dem Rufe der Brautglocke sehnen, wie der Hirsch nach frischem Wasser, und darunter sind Mädchen, auf meine Seele, Mädchen, so sauber und niedlich, wie sie der Herr Hofrath in seiner Residenz kaum finden kann. Wo man jetzt hinkam, ward doch in ganz Klarenburg von nichts gesprochen, als von dem jungen Hofrath; Eine zieht die Andere mit ihm auf; Wochenlang schon – er muß in diesen Tagen bei uns eintreffen – sind Schneider und Putzhändlerinnen in voller Arbeit, denn Jeder fehlt noch dieß und jenes, um sich im beßten Gallastaate zu zeigen, und vor allem haben die Mütter und Tanten sich in Trab und Schweiß gesetzt, um den Töchterlein und Nichtchen diesen Goldfinken wegzufangen. Ich habe in der letzten Zeit oft mein tausend Gaudium darüber gehabt. Bald hieß es: aber Gustchen, halte Dich doch gerade, kömmt der Herr Hofrath, und Du gehst so bukkelig, er sieht Dich wahrhaftig mit keinem Auge an; bald: Fritzchen, setze doch endlich einmal die Beine auswärts; Du trittst Dir ja die Ballen noch ab; eine solche Ente nimmt der Hofrath wahrhaftig nicht. Vorgestern noch rief die Stadthauptmännin ihrem Susannchen zu: Mädchen, wie hundertmal habe ich über Dein verdammtes Schielen gepredigt, kommt der Mensch, und Du siehst ihn mit einem Auge auf den Kopf und mit dem andern auf die Strümpfe, er muß Dir ja den Rücken kehren. – Wie es heißt, spricht er sehr gut französisch; nun wird jetzt in den Häusern, wo es ein bischen elegant hergeht, vom Morgen bis Abend, um sich in aller Eile noch möglichst einzuüben, parlirt, daß es nur so donnert und wettert; andere haben wieder gehört, daß er Musik liebe; man mag nun gehen, durch welche Straße man will, so wirthschaften sie auf den Clavieren herum, und kröhlen und jodeln dazu deutsch, französisch und italienisch, daß man glauben sollte, ganz Klarenburg wäre in ein musikalisches Conversatorium verhext; kaum verbreitete sich die Nachricht, daß er leidenschaftlich gern tanze, als in den Familien höhern Ranges unsere zwei Tanzmeister so gesucht sind, daß sie kaum herumkommen können. Schnellwalzer und Hopser, Cottillon und Française, Cavatine oder Gavotte, wie das Ding heißt, alles wird eingeübt; ellenhohe Sätze machen die Kinder in die Luft, und oben zappeln sie mit beiden Beinen, als hätten sie den Krampf in den Waden; Kassenraths dicke Hildegarde ist neulich bei dem Experimente hingeschlagen, wie ein Nußsack.

Die ganze Tafelrunde platzte in lautes Lachen aus; ich mußte mitlachen, wenn ich nicht auffallen wollte; inwendig sah es aber sehr ernst bei mir aus, denn mir ward vor meinem Erscheinen in Klarenburg angst und bange.

Ermuthigt vom rauschenden Beifall seines Publikums hob der Rathscanzlist von Neuem an: die Leute wollen es sich etwas kosten lassen, dem preiswürdigen jungen Erben ihre Kinder auf die glänzendste Weise zu produciren. Der alte Geheime Landesdirectionrath veranstaltet ein Concert, in dem seine Serafine zwei Bravourarien singt; schon sind mehr denn sechs Proben gewesen, aber immer stampft dabei der Land und Leute dirigirende Papa vor Bosheit mit Hand und Füßen, denn Serafinchen detonirt wie eine verstimmte Bratsche; ihr Triller ist ihm nicht volltönig genug, und bei der Cadence puhstet er im musikalischen Glüheifer sie heimlich an, daß sie den Athem länger halten soll. Zweimal hat sie schon davon verfangen und Leibkneipen bekommen, daß es einen Stein in der Erde hätte erbarmen mögen; aber der Alte, der von der Milbornschen Hinterlassenschaft die genaueste Kenntniß hat, läßt nicht locker; Tabakadministrationvicedirectors geben einen Ball, wie er in Klarenburg seines Gleichen noch nicht gehabt haben soll; achtzehn Stück Cousinen und Nichten, worunter wahrhaftig Kinder wie die Engel, erscheinen, schlanke Tabakstengel, gleich Lilien, in den Händen, als Virginische Jungfrauen gekleidet, und ihre Eingeborne, Nina mit Namen, ein Mädchen, wie aus Meeresschaum entstanden, tritt im Costüme der Tochter eines reichen Tabakplantagen-Inhabers, als Solotänzerin auf, und reicht dem gefeierten Gaste, nach einer sinnigen Pantomime, aus goldgefaßter Perlenmutterschale eine Prise Spaniol, so daß er niesen muß, als wenn er am hartnäckigsten Stockschnupfen litte. Die verwitwete Reichsrathpräsidentin aber will Alle ausstechen. Ihr alter Anbeter, der Artillerie-Oberste hat in ihrem Garten ein Feuerwerk arrangiren müssen; in Heidelbeerblauem Brillantfeuer brennt der Name des gefeierten Gastes, und am Schlusse der Vorstellung, wenn ein Bouket von zehn tausend Raketen und Schwärmern und Fröschen und Kanonenschlägen unter einander prasselt und knackert, daß die Leute denken, der Welt Ende sey nahe, kommt, von einer Flugmaschine gehalten, deren Erfindung den alten Obersten alle Ehre macht, die zartgestaltete Caritas, der Präsidentin jüngste Tochter, aus dem dunkeln Nachthimmel vom buntfarbigen Lichtglanze eines magischen Regenbogens umflossen, als Psyche herabgeflogen und überreicht dem Bräutigam in spe ein brennendes Strahlendiplom der Unsterblichkeit.

Ich reise nicht nach Klarenburg, sagte ich heimlich zu mir selbst, und gewahrte, daß ich vor Angst und Befangenheit alle meine Brodkügelchen zu einer großen Kartätsche zusammen geknettet hatte, die mir in der Hand brannte, als hätte ich sie aus dem eben beschriebenen Feuerwerk gegriffen.

Und was das Spaßhafteste bei der Sache ist, nahm der rathhäusliche Referent das Wort wieder: so wette ich zehn gegen eins, daß mein guter Herr Hofrath von allen den Schönen, die ihm die Aeltern an den Hals singen, tanzen und feuerwerken lassen wollen, nicht eine wählt.

Wie das? fragten die Umsitzenden, und rückten die Stühle näher zusammen, und ich rückte unwillkürlich mit, denn die Copirmaschine machte ein Gesicht, als ob etwas ganz Geheimes herauskommen sollte.

Ja, fuhr der Plauderer fort; ganz klar ist mir die Sache noch nicht, aber, wie ich so unter der Hand habe munkeln gehört, soll die alte Milborn ein Capital von 50,000 Thalern unserm Armenfonds vermacht haben, mit der in einem besondern Codicill bestimmten Bedingung, daß, wenn ihr Enkel das Mädchen sich zur Frau wähle, das sie nach ihren Gedanken für ihm bestimmt habe, ihm die Nutznießung dieses Capitals auf Lebzeiten zu Theil werden solle; falle aber seine Wahl auf eine andere, so sollen die Zinsen dieses Stammkapitals, gleich von ihrem Todestage an, unserm Armenfonds zu Gute kommen.

Nun, und dieses Mädchen? fragten einige Neugierige gleichzeitig.

Ja da sitzt eben der Knoten, erwiederte mit leiser Stimme Herr Sandler: genannt hat die Alte den Namen im Codicille nicht; bloß der Generalin von Waldmark, der Jugendfreundin ihrer Tochter, der Mutter des Hofraths, soll sie einen versiegelten Zettel, in dem der Name aufgezeichnet ist, zugestellt haben, mit der ausdrücklichen Aufgabe, diesen Zettel vor ihm, dem Enkel, und zwei Zeugen, dem Testaments-Vollzieher, unserm Ober-Pupillenrath, und dem Vorsteher des Armen-Directorii, nicht eher zu öffnen, als nach der Verlobung ihres Enkels. Mit Bestimmtheit ist daher die Gemeinte durchaus nicht zu errathen; wahrscheinlich aber hat sie sich in ihrer Wahl auf eine ihrer Adjutanten beschränkt.

Adjutanten? fragten mehrere aus dem Kreise, auf die nähern Details dieser mir ganz neuen Eröffnung höchst gespannt.

So nannte die alte Milborn, entgegnete Herr Sandler; die sieben Mädchen, die sie wochenweise abwechselnd immer um sich hatte. Ob sie damit die ehemaligen 7 Churfürsten, oder die 7 Weltweisen, oder die 7 Wunder der Welt, oder, weil es Frauenzimmer waren, die 7 Todsünden im Sinne hatte, lasse ich dahin gestellt. Die Zahl 7 war überhaupt der Alten immer von wichtiger Bedeutung; 35 Jahr alt war ihre Tochter, des Hofraths Mutter, als diese starb; Johanna hieß diese, sieben Buchstaben waren in deren Namen, wie in ihrem eigenen, Milborn. Am siebentem Tage des kommenden Monats, des siebenten im Jahre, ward ihr der einzige Enkel geboren. Seit langer Zeit behauptete sie, nie älter zu werden, als 84 Jahre und sie hat richtig Wort gehalten; jetzt als sie mit Tode abging, ist ihr Enkel gerade 28 Jahre alt; alles Zahlen, in denen die Zahl 7 gerade aufgeht. Jede 7 jährige Sabbathperiode, setzt sie uns oft mit gelehrtem Wortkrame und im tiefern Sinne des auf die Zeit der Erscheinung des Messias, im Fleische hindeutenden Hall- und Jobel-Jahr-Systemes aus einander, enthalte 84 Monate, und jede 7 tägige Woche 84 chaldäische Stunden; und darum behielt sie auch keins ihrer 7 Mädchen länger als 84 Monate bei sich. Sie dürften bei der Aufnahme nicht älter und nicht jünger sein, als 14 Jahre und 7 Wochen; aber kein einziges hat sie wirkliche 84 Monate lang im Kreise ihrer Adjutanten gehabt, denn die Mädchen waren alle durch ihren lehrreichen Umgang und durch ihre Weise sie zu beschäftigen und in die Welt einzuführen, so angenehm gebildet, daß jedes schon vor Ablauf jener Zeit einem wackern Manne zu Theil worden war. Die Dinger gingen immer weg, wie warme Semmel: sie mußten ihr Gesellschaft leisten, ihr vorlesen, sie und ihre geselligen Kreise unterhalten, in der Haushaltung nach dem Rechten sehen, die Wirtschaftbücher führen, ihre Correspondenz dictando erledigen, und dergleichen mehr. Seit der Verheirathung ihres Hannchens ihrer einzigen Tochter, der Mutter des Hofraths, hat diese Einrichtung bestanden, und die Leute rissen sich ordentlich darnach, ihre Töchter der Frau hinzugeben, denn das war gleichsam eine hohe Schule für die Mädchen. Sie suchte sich, ohne Rücksicht auf Stand und Herkommen allemal die Hübscheste aus; dabei mußten sie aber die nöthigen Vorkenntnisse im Französischen, Englischen und Italienischen mitbringen, denn in diesen drei Sprachen correspondirte die Frau tagtäglich; außerdem verlangte sie eine vollständige wissenschaftliche Bildung, mögliche Fertigkeit auf irgend einem Instrumente und im Singen, Uebung in allen weiblichen feinen Arbeiten, und sichtbare Fortschritte in der Tanzkunst. Uebrigens hatten die Mädchen in ihrem Hause, welches den feineren Zirkel unsers Orts und der ganzen Umgegend und allen Fremden täglich offen stand, wahre Göttertage. Die Besorgung ihrer immer sehr eleganten Garderobe, war der Alten Sache, und hatten die Aeltern kein eigenes Vermögen, so ließ sie sich deren anständige Ausstattung nicht nehmen; auch unterstützte sie die Mittellosen noch Jahre lang durch heimliche Zuschüsse, und stand allemal beim ersten Kinde Gevatter. Selbst für die, welche sie jetzt unverheirathet hinterlassen, hat sie, so weit es die Vermögensumstände dieser und jener erforderlich gemacht, durch reichliche Legate gesorgt.

Nun, welche der schönen Adjutantinnen würde Sie denn, fragte der Wirth scherzend: dem guten Herrn Hofrathe vor allen empfehlen? –

Welche? versetzte Herr Sandler, und schenkte sich den Rest seiner Flasche ein: keine andere als meine Nichte, meines Bruders, des Stadtlieutenants Vierte; die möchte ich ihm wohl gönnen, und solch ein reicher Herr Neffe ließe dann auch wohl ein Wort meinetwegen mit sich reden; unsere Lotte ist ein kreuzbraves kerniges Mädel, na, Sie kennen sie, Herr Wirth; die Alte hat immer viel Stücke auf sie gehalten. Ein paar Augen hat das Wetterding im Kopfe, wie brennende Scheunen; die Backen, wie Borstorfer Aepfel, und im Raschwalzer kommt ihr nicht eine gleich: dabei plappert sie französisch, daß mir vor Verwunderung oft die Haare zu Berge gehen, schreibt ein Händchen zum Küssen, und singt wie eine Lerche.

Sie machen uns, hob einer seiner Reisegefährten, ein junger wohlgestalteter Mann, lächelnd an; den Mund so wässerig, daß ich, wenn Sie mir das Alles früher erzählt hätten, mich bei der Durchreise in Klarenburg ein wenig mehr umgesehen hätte; wahrhaftig, man möchte gleich noch umkehren, und bei den auserlesenen Sabbathkindern sein Heil versuchen. Unstreitig wählt der Glücklichste der Sterblichen, der Hofrath, Ihre belobte Nichte; indessen sind noch sechs andere da, die doch auch wohl der Rede werth seyn möchten.

Das wollte ich meinen, fiel ihm der Verräther meines Wahlschatzes in das Wort, und ich ließ mir noch eine halbe Flasche geben, denn zu der Musterung, die mir eben in Parade sollte vorgeführt werden, bedurfte ich der nöthigen Geistesstärkung. Pro primo, sagte Herr Sandler, und legte den rechten Zeigefinger an den Daumen seiner Linken: marschire ich mit Fräulein Adele von Strahlenthal auf: Donner und Victoria, ist das ein Mädchen! ich weiß nicht, ob Sie die Art Frauenzimmer kennen, die man in der Kunstsprache Zungenschläger nennt; dahin rechnet man nicht sowohl die, welche durch ein gewisses Lispeln ihrer Aussprache einen eigenen weichen Wohllaut zu geben wissen, sondern vielmehr solche, die mitten im Gespräch und auch, wenn sie nicht reden, unwillkührlich die Lippen mit der Zunge netzen müssen. Sachkenner halten diese Sorte von Mädchen mit für die gefährlichsten; denn die Trockniß der Lippen, sagen sie, komme vom zu heißen Blute, und darum haben auch dergleichen Frauen und Mädchen, die durch dieses bewegliche süße Zungenspiel ihren eigenthümlichen Reiz bekommen, gewöhnlich einen für manche Männerherzen äußerst entzündlichen Liebesblick im Auge. Zu diesem Genre gehört Adele; achtzehn Jahre, gewachsen wir eine Tanne, aus der ersten Familie im Orte, und tadellos in Ruf und Wandel; dabei das einzige Kind, und der Vater hat zwei Rittergüter, die zusammen größer sind, als manches kleine Fürstenthum. – Pro secundo, Prokofjewna Tschimaduno, ein Russenkind. Die Mutter, unsers Vesperpredigers Eingeborne, verheirathete sich im Kriege mit dem Obersten, der nach der Schlacht bei Austerlitz leicht blessirt zu uns kam, unser Vespertinchen, wie wir die scheinheilige Predigertochter scherzweise nannten, leicht berückt., ein halbes Jahr nach der Trauung in seine Heimath zurückkehrte, und das Versprechen, bald wiederzukommen und Frau und Kind abzuholen, bis jetzt unerfüllt gelassen hat. Prokofjewna gehört zu der Rasse der Stumpfnäschen; das ganze Ding wird höchstens sechzehn Jahr alt seyn, ein niedlicheres Migniatur-Figürchen kann nicht gedacht werden. Von klingenden Vermögen schreibt St. Paulus gar nichts, doch hat ihr die alte Milborn ein Legat ausgesetzt, mit dem die nöthige Aussteuer wohl standesmäßig zu bestreiten ist. – Pro tertio, Julie, das jüngste Kind der Laune meines Herrn Chefs, des Consulis dirigentis, von Klarenburg. Das Mädchen ist ein sogenannter Distanzblender; sie fernt gar gewaltig, und betrachtet man sie in der Nähe, so finden sich einige Pockengrübchen, in den Wangen, aber sie entstellen das Gesicht nicht; in Julchens Haltung liegt etwas Großes, sie hat den stolzen Anstand einer Czaarin, überall ist sie die Erste, in ihrem Blicke liegt der Adel ihrer Seele, und mit ihren Kenntnissen könnte sie alle Tage Professor werden: sie wollen ihr eine Art von Kälte vorwerfen; wer sie aber näher kennt, nennt es blos Selbstgefühl; sie weiß, daß sie mehr wisse, als andere. aber sie prahlt nicht damit, nur hat sie die Kunst noch nicht inne, sich zu denen, die unter ihr stehen, herabzulassen. Papa hat gespart, und wird ihr einmal einen recht leidlichen Thaler Geld hinterlassen. – Pro quarto

Hier trat der Lohnkutscher ein, der den Referenten mit einigen andern Herren unserer Tafelrunde, benachrichtigte, daß angespannt, und wenn sie vor Abend das Nachtquartier erreichen wollten, keine Zeit mehr zu versäumen sey. Wir standen vom Tische auf; ich aber, während des mir höchst interessanten Vortrags, mit meinem Plane fertig, schlüpfte in das Nebenzimmer, das man mir bei meiner Ankunft als Absteigequartier angewiesen, und lud Herrn Sandler durch einen Wink ein, mir auf einen Augenblick zu folgen.

Hier eröffnete ich ihm unter vier Augen, daß der Herr Hofrath, von dem er bey Tische gesprochen, mein alter Jugendfreund sey; daß dieser, dringender Geschäfte halber, nicht selbst habe kommen können, daß ich daher, mit den erforderlichen Vollmachten von ihm versehen, mich auf den Weg nach Klarenburg habe machen müssen, um in seinem Namen die ganze Erbschaft-Angelegenheit zu reguliren; daß ich zugleich den Auftrag hätte, alle kleine Verpflichtungen, an deren Erfüllung etwa die verstorbene Madame Milborn durch ihren tödtlichen Hintritt verhindert worden, im Geiste der Frau Erblasserin zu tilgen, und daß ich daher, in Bezug auf das, was er vorhin von seiner getäuschten Erwartung, hinsichtlich der ihm billiger Weise zukommenden Gratification, geäußert, mich beeile, ihm sein Gebührniß einzuhändigen. Mit diesen Worten drückte ich ihm zehn Louisdore in die dürren Schreibfinger, und steigerte dadurch seine Verlegenheit und seine freudige Ueberraschung fast bis zur völligen Erstarrung.

Verehrter Herr, rief er, nachdem er die Sprache wieder gewonnen, im höchsten Unwillen auf sich selbst: könnte ich doch auf mein vermaledeites Maulwerk unser großes Rathssiegel drücken! Was müssen Sie von mir denken? Was habe ich nicht Alles in den Tag hineingeschwatzt! Jedennoch betheure ich bei meinem, unserer löblichen Commun vor dreißig Jahren schon geleisteten Amtseide, daß ich hierunter durchaus keine bösliche Absicht gehegt, auch erinnere ich mich nicht eines Wortes, wodurch ich der hochseligen Madame Milborn und Ihrem verehrlichen Herrn Mandanten, der – er sah in die Goldscheiben zwischen seinen stumpfgeschriebenen Fingerspitzen – ein leibhafter Engel seyn muß, im mindesten zu nahe getreten wäre; aber, wie der Mensch bei Tische nun einmal ist. – Die Hauptschuld trägt unfehlbar der Wein, den muß der abgefeimte Betrüger, der Wirth, mit spirituösen Miscellen versetzt haben, denn ich hatte kaum die zweite Flasche angebrochen, als ich handgreiflich fühlte, daß mir die, durch Amtseid und Dienstalter gleichsam zum Stockfisch gewordene Zunge, unaufhaltsam durchging, wie ein stetisches Pferd, dem man brennende Schwärmer unter den Schweif gebunden. Soll mir das aber eine Warnung seyn für die Zukunft! Zuschrauben will ich das verdammte Maul, daß Nichts heraus und Nichts hinein kann; gleichsam eine Katakombe will ich zwischen Kinn und Nase haben, zugemauert und fest verkittet für alle Ewigkeit! Aber, du mein Gott? wie konnte ich auch nur im allerentferntesten ahnen, daß unter der Zahl der Gäste an unserer Wirthstafel sich der ehrenwertheste Herr Mandatarius unsers liebreichen Herrn Hofrathes befinde.

Ich beschwichtigte den vom Weine und meinem Golde seltsam Aufgeregten durch die freundlichsten Worte, versicherte ihm, daß ich dem Zufalle außerordentlich verpflichtet sey, ihn kennen gelernt und von seiner genauen Kenntniß der Sachlage einen kleinen Ueberblick von der Erbangelegenheit erhalten zu haben, und rückte nun mit dem Hauptpunkte, weßhalb ich ihn eigentlich zu mir gewinkt hatte, mit dem Wunsche heraus, die übrigen drei kleinen, sogenannten Adjutanten, und besonders das Mädchen kennen zu lernen, das Madame Milborn ihrem Enkel vorzugweise zugedacht.

Und wenn Sie mich bei den Beinen aufhängen, erwiederte Herr Sandler, beide Hände auf das Herz, als wäre das, was er jetzt sagen wolle, gewiß wahr: über den letzten Punkt kann ich Ihnen keinen bestimmten Aufschluß geben, und meine Vermuthung vorhin, daß dieß Mädchen sich unter den sieben befinde, ist auch nur so in den Wind geredet, und bloß in meinem Kopf entstanden; auf jeden Fall hat die Wohlselige die Absicht gehabt, der Neigung des Herrn Hofrathes durchaus nicht vorzugreifen, und darum die Eröffnung des bewußten Zettels erst nach seiner Verlobung angeordnet. Wenn Sie der alten Frau im Grabe noch einen Gefallen thun, so machen Sie meinen dummen Streich wieder gut, und sagen Sie dem Herrn Hofrathe von dieser ganzen Geschichte Nichts; auf jeden Fall ist es der Erblasserin Wille nicht gewesen, daß er etwas davon wissen soll, weil er dann in der Wahl der künftigen Frau Hofräthin doch nicht so ganz unbefangen seyn würde, als er nach dem Plane der Großmutter seyn und bleiben soll. Was aber unsere Adjutantur Schönen betrifft, so kann ich Ihnen, da ich sie Alle aus- und inwendig kenne, ganz specielle Kunde von ihnen geben, und hier unter vier Augen spricht sich so etwas besser, als vorhin an der Gasttafel; daß ich Ihnen aber ganz reinen Wein einschenken, kein Wort zu viel oder zu wenig sagen, und von der strengsten Wahrheit keine Linie abweichen werde, dafür bürge ich Ihnen mit dem Theuersten, was ich jetzt habe, mit meinem Glauben an die Heilkraft der warmen, in den Eingeweiden der Erde gargekochten Carlsbader Hünerbrühe, welche meinen, am Dintenfasse versäuerten Leichnam stärken, und den unter der Actenlast fast zum Eselgrau veralteten Kopf wieder verjüngen soll.

Zur Sache, rief ich ungeduldig lächelnd; denn unterbrach ich den Redseligen nicht, so kam er, statt auf meine 7 unbekannten Augenweiden, auf die Geschichte seiner Eingeweide, und dann war es schwer, daraus den Weg in das künftige Paradieß meiner Liebe zu finden.

Ja, fiel er sich selbst in das Wort: von diesen wollten Sie hören; schön, schön; nun genannt habe ich Ihnen vorhin schon, wenn ich nicht irre, die Strahlenthal, die Prokofjewna, Oberbürgermeisters Adelaide, und meine Nichte, Lotte Sandler, des Stadtlieutenants, meines Bruders, vierte, in christlicher Ehe erzielte Tochter; folglich habe ich Ihnen noch von der kleinen Hälfte, das heißt, von den drei übrigen zu berichten; aber das kann ich Ihnen sagen, wäre ich der Herr Hofrath, – nicht, weil die Lotte meine Nichte, meine nächste Blutverwandte ist– aber Sie sollen das Capitalmädel selbst sehen, und Sie werden sagen, wenn mein Herr Mandant, ein Paar gesunde Augen im Kopfe hat, so wählt er diese, und keine andere. Sehen Sie, ich bin ein alter, zusammengeschrumpfter Actenmensch, und halte im Ganzen von den Weibern blutwenig; aber vor der habe ich allen Respect; sie hat so etwas Feines, Appartes und Vornehmes, daß sie, bei meiner armen Seele, schon jetzt aussieht, wie eine geborene Hofräthin; auch war das Mädchen ein so recht eingefleischter Mignon von unserer guten, seligen Madame Milborn. Herr Sandler, hat die Alte zu mir mehr als hundertmal gesagt, glauben Sie mir, Ihre Nichte, Stadtlieutenants Lotte, ist ein Schatz, ein Kronjuwel; wer das Mädchen sich einmal zum Weibe erkürt, der thut einen guten Griff; – und dann für meinen Bruder wäre solch ein Schwiegersohn eine wahre Fundgrube; der Mensch hat zwölf lebendige Würmer, die schroten den ganzen langen Tag was zusammen; mit Respect zu sagen, die Haare vom Kopfe fressen sie ihm weg, und mit der Stadtlieutenantsgage sind in der letzten Zeit wahre Revolutionen vorgegangen. Sonst hatte der Lieutenant die sogenannten kleinen Montirungsstücke, als da sind Kamaschenknöpfe, Puder und Pomade, Zopfband, Schüttgelb und Kreide zu liefern; da fiel für ihn hie und dort etwas ab; seit der neuen Organisation unserer Nationalgarde aber, bei welcher alle diese Martialcostümbedürfnisse gestrichen, ist das Alles –

Der Kellner platzte zur Thür herein, meldete, daß die drei Herren im Wagen sammt Kutscher und Pferden, nicht länger warten wollten, und wenn er nicht den Augenblick käme, so –

Aber Herr Sandler war schon, ohne den Nachsatz abzuwarten, nach einem flüchtigen Abschied und nach wiederholter Bitte um Entschuldigung wegen seiner unvorsichtigen Plauderei bei Tische, zum Zimmer hinaus, und ich hatte für meine schönen zehn Louisdore nichts, als den festen Vorsatz gekauft, Lottchen Sandler nicht zu wählen, denn mit dieser hätte ich alle eilf übrige Geschwister sammt Papa, Mama und den unleidlichen Oheim zugleich geheirathet.

Eine von den bewußten Sieben war also schon gestrichen!

Ich hatte zwar dem Eiligen noch in aller Geschwindigkeit zugerufen, von allem dem, was wir jetzt gesprochen, gegen keinen Dritten etwas zu verlautbaren, allein, ob er gleich, als er an den Wagen kam, wahrscheinlich noch im heimlichen Unmuthe über die Blöße, die er sich mir, dem vermeintlichen Mandatarius seines viel besprochenen Hofrathes, durch seine unzeitige Schwatzhaftigkeit gegeben, den großen Schraubenschlüssel des Lohnkutschers an den Mund setzte, als wollte er diesen auf immer und ewig verschließen, so mußte er doch kurz darauf seinen Reisegefährten mich als den Freund des heute bei Tische erwähnten Erben genannt haben, denn sie schielten alle mit einem Male aus dem Wagen nach meinem Fenster herüber, um sich den noch einmal anzusehen, der jetzt im Begriff stand, nach Klarenburg zu reisen, um die sieben Wahlschönen seines Mandanten in allerhöchsten Augenschein zu nehmen.

In jeder Hinsicht nannte ich jetzt den mir in meiner Bedrängniß an der Gasttafel ahgezwungenen Einfall, in der Rolle eines Dritten zu Klarenburg aufzutreten, einen sehr gescheiten. Den Concerts und Bällen und Feuerwerken ging ich glücklich aus dem Wege, ich lernte den Boten kennen, und hatte Gelegenheit, die sieben Mädchen, und die übrigen Töchter des Landes hinter meiner Maske im Stillen zu beobachten; und wenn ich auch voraussetzen konnte, daß sie sich alle auch gegen den vermeintlichen Freund des Milbornschen jungen Erben zuvorkommender, als gegen einen Fremden benehmen würden, so hatte ich doch die gegründete Hoffnung, sie jetzt ungebundener, natürlicher zu sehen, als sie sich dem erwarteten Hofrathe gegenüber gezeigt haben würden, auf den sie, wie Sandler erzählte, von den Aeltern und Angehörigen ordentlich systematisch vorbereitet worden seyn sollten.

Ich ließ mir Feder und Tinte geben, schrieb in meinem Namen an den Executor des großmütterlichen Testaments, den Stadtrath Rüderich, entschuldigte mein Nichtkommen durch eine unaufschiebliche Commissionreise, und empfahl ihm, den Ueberbringer dieses, meinen Freund, den Herrn Geheimen Secretair Straguro – ich freute mich, wie ein Kind, des schlechten Anspielwitzes der in dem Anagramm dieses Wortes lag, und das nicht leicht Jemand für Surrogat zu lesen verleitet worden seyn mochte – mit allen testamentarischen Bestimmungen der Erblasserin bekannt zu machen, und versprach, wenn dieser werde zurückkommen und mir über die Lage der Sache Bericht erstattet haben, falls meine persönliche Erscheinung dort unumgänglich erforderlich seyn sollte, in Kurzem selbst einzutreffen. Mit diesem Brief in meinen Tagebuche setzte ich mich in den Wagen, fuhr von dannen, und fühlte mich beklommener, je mehr ich dem verhängnißvollen Klarenburg mich näherte.

Ueber das Ende meiner Maskerade war ich nicht in Verlegenheit, denn, wie mein Plan gemacht war, ging Alles in dieser Hinsicht ganz vortrefflich; ich hielt mich einige Tage dort als wohl bestallter Geh. Secretair Straguro auf, reis'te, nachdem ich über alle Umstände die genauesten Erkundigungen eingezogen, ab; schrieb dann an den Executor des Testaments, den Oberpupillenrath Strom, daß ich der vermeintliche Straguro selbst gewesen sey, wendete gegen diesen vor, daß ich die ganze Maskenscene gespielt, um unter fremdem Namen die mir wünschenswerthen Nachrichten desto unverfälschter einziehen zu können, ließ die Leute darüber kurze Zeit sich satt und müde reden, erschien, wenn ich der gerichtlichen Umständlichkeiten halber unausweichlich in Person zu Klarenburg auftreten mußte, dann wieder dort, mit Allem ganz genau bekannt, und erklärte denen, die mich allenfalls über mein früheres Incognito zur Rede setzten, die ganze Geschichte für einen Scherz. Dem jungen, reichen Erben der Madame Milborn verzieh man den launigen Spas, bei dem keinem Menschen ein Haar gekrümmt ward, gewiß gern, und ich hatte den Zweck meiner Recognoscirung erreicht.

Aber, bist du nicht ein einfältiger Mensch, sagte ich mit erzwungenem Lächeln zu mir selbst: quälst dich da mit der Angst vor den sieben Mädchen, als ob es in der ganzen lieben, weiten Welt die allereinzigen wären, auf welche du bei deiner Wahl beschränkt wärst. In der Residenz, – fast Haus bei Haus gibt es dort der reizendsten Evenstöchter die Hülle und Fülle, von denen die Hälfte wenigstens, über kurz oder lang, sich bestimmen lassen würde, ihre Hand einem jungen, gesunden, ehrlichen Manne zu geben, der mit seinem Diensteinkommen die ganze großmütterliche Verlassenschaft, und mit seiner heitern Laune sein treues Herz der Geliebten zu Füßen legen kann – und – ach Gott, auf dem Lande und in den kleinen Städten, wo Jahr aus Jahr ein die niedlichsten Mädchen frisch und lustig aufschießen wie die Pilze, und in deren Augen die Aussicht, in der Residenz zu leben, und das Hofrath-Patent auch nicht von ganz unbedeutendem Gewicht sind; – nein, die Angst, woher eine Frau zu bekommen, ist, in Deutschland wenigstens, die lächerlichste von der Welt. Überdem hat ja die selige Großmutter durchaus nicht darauf bestanden, daß ich eine ihrer sieben guten oder bösen Sieben, oder überhaupt diese oder jene achte wählen solle und müsse; sie hat nur auf den Fall, daß meine Wahl auf sie treffe, die sie für mich in Gedanken bestimmt hat, mir die Nutznießung eines Kapitals von 50,000 Thlr. zuerkannt, die, im gegentheiligen Falle, der Armuth zu Gunsten kommen soll. Also auf Kosten der Hülfbedürftigen, der Krüppel und Kranken, der Lahmen und Blinden sollte ich – nimmermehr! ein solcher Erwerb könnte mir ja weder Freude noch Segen bringen – und endlich – man kennt ja den Geschmack der alten Leute! Gott weiß, was mir die gute Frau ausgesucht hat! Wonach sich das Herz eines raschen, lebenslustigen, acht und zwanzigjährigen Mannes sehnt, ist nicht immer in den Augen einer vier und achtzigjährigen Matrone das Preiswürdigste, und was Großmutter Milborn vielleicht für das Höchste in der Mädchenwelt angesehen, ist dem Herrn Enkel, – ob mit Recht oder Unrecht, gilt hier gleichviel – vielleicht – gewiß das unbedeutendste Geschöpf auf Gottes Erdboden. Ueberhaupt, – recht ernstlich habe ich an das ganze Heirathen – ein tüchtiges Liebesabenteuer in Secunda und ein zweites im ersten Halbjahre meiner academischen Laufbahn abgerechnet, – noch gar nicht gedacht, und wenn der dumme Sandler die Geschichte mit den sieben Mädchen heute nicht auf das Tapet gebracht hätte, es wäre mir auch jetzt nicht ein Gedanke daran in den Sinn gekommen; – frank und frei will ich noch ein Weilchen durch das Leben gehen; es findet sich immer noch eine, die Ja sagt, und wenn ich sie auch erst in zehn Jahren darum frage.

Bei den letzten Worten dieses Selbstgesprächs ward ich doch ein wenig kleinlauter; denn ich berechnete, daß ich dann volle acht und dreißig Jahre alt wäre, und daß sich dann am Ende doch Manche bedenken möchte, meine stolze Rechnung so ohne alles Weitere wahr zu machen. Ich hatte schon den jovialen Beschluß meiner Selbstbetrachtungen auf der Zunge, und wollte sagen, weg also mit der ganzen Heirathgeschichte, als ich der Zunge in den Zügel fiel, und bei mir selbst meinte, daß man so etwas nicht verschwören müsse.

Zu diesem fast abergläubigen Wahlspruch stimmten mich die Thürme von Klarenburg, die mir in diesem Augenblick unten im fernen Thale ansichtig wurden. Es war, als lägen sie alle der Länge nach auf meinem Herzen, so sonderbar ward mir zu Muthe, als ich der alten Stadt, die von den letzten Strahlen der scheidenden Abendsonne beleuchtet, ein sehr düsteres Ansehn zu haben schien, immer näher kam. Schon konnte ich die halb verfallenen Wälle und Ringmauern von weitem erkennen, in denen die Eine lebte, welche von einer Todten mir zur Gefährtin meines Lebens hienieden bestimmt war. Ich stemmte mich mit Gewalt gegen den Gedanken, der mich um meine ganze Heiterkeit der Seele zu bringen drohte; aber er hatte mich so umstrickt und beschäftigte mich so ernst, daß ich seiner nicht los werden konnte.

Halt! rief ich dem Postkutscher zu, als wir, ungefähr eine halbe Stunde vor der Stadt, in einem der freundlichsten Dörfchen, das ich in meinem Leben gesehen, vor einem niedlichen Wirthshause vorbeifuhren, das, nach den im Freien, unter Baumschatten stehenden, sehr zierlich weiß und grün angestrichenen vielen Stühlen und Tischen zu urtheilen, an welchen hier und da einzelne Personen und Familien saßen, und verschiedene Erfrischungen genossen, ein stark besuchter Vergnügungsort der Klarenburger Honoratioren zu seyn schien: ich muß einmal trinken, sonst komme ich vor Durst um; laß dir auch geben, Bier, Wein, was du willst! Ich mußte aus dem Wagen heraus, wieder unter Menschen, denn in dieser Stimmung nach Klarenburg hinein zu fahren, hätte mir den Ort auf Lebenszeit verleiden können.

Der Postknecht, von meiner gastlichen Aufforderung gewonnen, hielt mir gegen den Hausknecht der ihm die verlangte Erquickung und den Pferden einige Bunde Heu brachte, eine vollständige Lobrede, erzählte, was ich seinem Vorgänger für ein stattliches Biergeld gegeben, und wie ich ihn, mit christlichem Einsehen, bei dem heißen gewitterschwülen Nachmittage nicht übertrieben habe, so, daß er, was ich, vertieft in meine sehr ernsten Betrachtungen, nicht einmal bemerkt hatte, fast nichts als Schritt gefahren sey, und trank in dem eben eintreffenden Schoppen Wein meine Gesundheit.

Zwischen der Straße und dem grünen Schattenplatz vor dem Hause, auf dem die vorhin erwähnten Tische und Stühle standen, befand sich ein Geländer; über dieses lehnte sich ein kleiner runder Herr, mit einer holländischen Pfeife, die fast so lang war, als er selber. Er hatte des Postknechts prosaische Hymne mit angehört und lächelte ihm beifällig zu: mich sah er an, als müsse er mich kennen, und, die ihm zugehörige Familie, die hinter ihm um einen mit Früchten, Wein und andern Erfrischungen besetzten Tisch saß, zischelte den Blick auf mich gerichtet, sich einander so viel in die Ohren, daß ich in die peinlichste Verlegenheit gerieth, denn ich stand auf dem Punkte, mich für verrathen zu halten, und mein schon berechnetes Incognito mit all seinen gesegneten Folgen aufgeben zu müssen. Aber, das war ja nicht möglich; hier war ich in meinem Leben nicht gewesen; in der fast 100 Meilen von hier entfernten Residenz selbst, wo der kleine rothe Bausback mich allenfalls konnte gesehen haben, hatte ich in der letzten Zeit kaum einige Monate gelebt; und wäre mir da so ein dickpurzeliges Stehaufchen zu Gesicht gekommen, so würde ich mich dessen bestimmt jetzt haben entsinnen können; und früher war ich am entgegengesetzten Ende des Reichs angestellt gewesen; studirt aber hatte ich auf einer ausländischen Universität, und zwischen dem akademischen Leben und dem Eintritt in den Dienst hatte ich einige Jahre auf Reisen zugebracht; aber auf allen diesen verschiedenen Lebenswegen war ich diesem Burgundergesicht nirgends begegnet, folglich konnte der Mann mich nicht kennen.

Ich ließ mir Kaltschale von englischem Ale geben, setzte mich an einen Tisch so, daß ich ihm und seinem Kreise den Rücken zukehrte, und nahm von der ganzen Familie weiter keine Notiz. Mit beifälliger Behaglichkeit schweifte dagegen mein Blick an den übrigen Tischen umher, und der Rathscopist Sandler, hatte nicht Unrecht gehabt, wenn er von den Liebenswürdigkeiten der Klarenburgerinnen einiges Aufheben gemacht: denn, wo ich nur hinsah, traf ich auf eine hübsche Frau oder auf ein schönes Mädchen, so daß mir die Stadt in welcher derlei edle Erzstufen in solchem Ueberflusse zu Tage gefördert wurden, gar nicht mehr so finster und schreckhaft vorkam, als vorhin. Auch das Romantische des Dörfchens selbst mochte mit dazu beitragen, meine Gemüthsstimmung aufzuheitern. Der Dorfplatz war mit Blumen und ausländischen Gebüsche geziert; sieben kleine Springquellen plätscherten dem, in den sieben Behältern herumschwimmenden Gänse- und Entencorps, eine stille Abendunterhaltung vor; sämmtliche Häuser waren neu und geschmackvoll gebaut; vor jedem befand sich ein Blumengärtchen; die kleinen Fenster waren von Weingeranke oder großbuschigen Blumen umdunkelt, und was von den fleißigen Dörflern nicht im Felde beschäftigt war, saß vor den Thüren und spann, oder schärfte die Erntesensen, oder hatte sonst eine landwirthschaftliche Arbeit vor, und Alle, Mann wie Frau, Mägde wie Knechte, Kinder wie Alte, alle gingen sauber und reinlich gekleidet, aber alle trugen um Hut oder Haube einen schwarzen Krepp oder ein schwarzes Band.

Was bedeutet das? fragte ich die junge hübsche Wirthin, die eben kam und mir in einer kleinen silbernen Schüssel meine Ale-Kaltschale darreichte, und selbst ihr Häubchen und ihr weißes Kleid mit schwarzem Bande besetzt trug: ist daß hier Mode so, oder habt Ihr allgemeine Dorftrauer?

Unsere Gutsherrin, Madame Milborn, ist vor einem halben Jahre gestorben, sagte die junge Frau mit gesenktem Blick: und das war eine wackere Frau, die wir Alle lieb hatten. Es hat Keins dem Andern gesagt, daß wir Trauer anlegen wollten, aber früh starb die alte Frau, und den Nachmittag schon gingen die Leute im ganzen Dorfe, wie Sie sie hier sehen; so lieb und gut kriegen wir aber auch keine Herrschaft wieder. Sie wollte noch mehr sprechen, aber die Stimme fing ihr an zu schwanken, und als sie nach dem Hause zuging, wischte sie sich unvermerkt die Augen.


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