H. Clauren
Die Großmutter
H. Clauren

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Sie sind, wie ich von meiner Tochter höre, rief mir der Vater zu, während er aufstand, und sich die ganze Gesellschaft von der Tafel erhob: ein Bekannter des Herrn Hofraths Blum. Wir hoffen ihn bald zu sehen. Wenn ihm unser Haus – wir würden ihn mit Freuden aufnehmen. Die selige Madame Milborn hat uns immer viel Gutes und Liebes erwiesen; schreiben Sie ihm gefälligst, das beßte Zimmer im Hause, Nr. 3., gleich neben meiner Tochter, stehe für ihn in Bereitschaft.

Verstimmt, wie ich durch Florentinen einmal war, ärgerte ich mich jetzt, daß ich nicht gleich mich für das, was ich war, ausgegeben hatte; ich hätte dann neben, dicht neben dem Mädchen gewohnt, und vielleicht heute Abend noch das Geschäft der Bekehrung anfangen können. Um aber auch dem Vater meinen Unwillen über seine verkehrte Erziehung zu erkennen zu geben, brachte ich feiner Weise das Gespräch auf Florentinen, erzählte, wie es schien zu seiner großen Erquickung, daß mein Freund Blum mir ausdrücklich den blauen Engel empfohlen, und mit wahrem Entzücken von der Tochter des Hauses gesprochen habe, über die er sehr genaue Erkundigung eingezogen haben müsse, da ich sie, nach seiner treffenden Schilderung, auf den ersten Augenblick erkannt hätte, daß er indessen, wenn er selbst kommen und sehen werde, seine Erwartungen weit übertroffen finden dürfte; es wäre mir aber sehr lieb, daß er heute noch nicht mitgekommen sey.

Ihnen lieb, daß er heute nicht mitgekommen ist? wiederholte Papa Engelwirth hochaufhorchend, und mochte aus dem grießgramigen Tone, mit dem ich das sagte, nichts Gutes ahnen: wie meinen Sie das?

Ich meine entgegnete ich, und freute mich im Innern, ihn unerwartet auf das Capitel gebracht zu haben, um meinem Unmuthe Luft zu machen: ich meine, daß er sich auf der andern Seite, in seinen Erwartungen von Mamsell Florentinen, auch wieder sehr getäuscht finden würde.

Papa Weinlich spitzte die Ohren.

So würde z. B., fuhr ich fort, ohne von der lauschenden Miene des gespannten Horchers mich stören zu lassen: die Sitte ihres Hauses, daß Mamsell Florentine jeden Fremden selbst empfangen muß, meinen Freund, wie ich ihn kenne, gewaltig verstimmen. Er ist in dem Punkte streng, vielleicht zu streng; aber dieses Entgegenkommen, dieser Willkommen liegt, ich höre ihn darüber sprechen, als stände er vor mir, nach seinen Ansichten, gewiß außer den Grenzen der Weiblichkeit.

Ich höre ihn auch, rief mit erzwungenem Lächeln Herr Weinlich: ob ich ihn gleich in meinem Leben nicht gesehen habe; aber gerade aus dem Tone sprach seine gute Großmutter auch. Mit der alten Frau habe ich über den Punkt immer meine tausend Tänze gehabt.

So? fiel ich ihm in die Rede, und freute mich, daß doch andere vernünftige, ältere Leute, mit leidenschaftlosem Blick, das auch anstößig gefunden hatten. –

Ja, fuhr Papa Weinlich fort: die Leute haben gut reden; die sitzen im Vollen, die wissen nicht was alles zum menschlichen Leben gehört! Gestehen Sie einmal, lieber Herr Geheimer Secretair, nicht wahr, es war Ihnen nicht unangenehm, beim Eintritte in mein Haus, von einem hübschen, anständigen Mädchen freundlich bewillkommt zu werden.

Nicht unangenehm? entgegnete ich: Herr Weinlich; an sich finde ich einen solchen Empfang bezaubernd, nur –

Auf den ersten Eindruck kommt in der Welt Alles an, erwiederte Papa Weinlich, von meinem beifälligen Anerkenntniß seiner Haussitte geschmeichelt. Wenn ein Fremder in ein Gasthaus tritt, und kein Mensch sich um ihn bekümmert, oder die Wirthsleute und die Dienerschaft mit kalten verdrüßlichen Gesichtern dastehen und Maulaffen feil halten, wäre es ihm denn da zu verdenken, wenn er gleich auf dem Flecke umkehrte und lieber in der kleinsten Kneipe abträte, wo ihm der Herr des Hauses wenigstens treuherzig die Hand reicht? Sonst, da noch meine Frau jung und hübsch war, mußte die heraus. Jetzt ist die Reihe an Florentinen gekommen, und ich kann wohl sagen, das Mittelchen ist immer heilsam gewesen; jeder Gast hat sich bei mir, wie bei sich selbst zu Hause gefühlt; wer einmal bei uns war, ist immer wieder gekommen, denn er hat sich als ein Glied unserer Familie angesehen.

Vortrefflich, entgegnete ich, vor Bosheit über des Alten Seelenverkäufer-System inwendig bis zum Ueberkochen erglüht: nur möchte einmal der künftige Mann Ihrer Demoiselle Tochter, vielleicht von einer so großen Familie kein Freund seyn

Hat Tinchen einmal einen Mann, sagte Herr Weinlich mit einer Miene, als hätte er diesen schon im petto: (am Ende meinte er mich selber, denn nach Sandlers Nachrichten sollte ich ja alle Klarenburger Schönen sammt und sonders heirathen) so mag er es mit seiner Frau halten, wie er will; jetzt muß sie thun, was ich will, und –

Sehr richtig, versetzte ich, und schnitt dem unbezwinglichen Staarkopf ein recht böses Gesicht: allein das werden Sie nicht in Abrede stellen, daß aus dergleichen, für ein so junges, für ein so schönes Mädchen unpassenden Artigkeiten zuweilen unabwendbare Verlegenheiten entstehen müssen. Heute Abend z. B., als die beiden Engländer gekommen waren; die Mamsell Tochter gestand selbst –

Nun, was gestand sie denn? antwortete Herr Weinlich, und man hörte, daß mein sittenrichterlicher Ton und mein unberufenes Einmischen in seine häusliche Anordnungen anfing, ihm lästig zu werden: das ganze Unglück, das vorgefallen seyn wird, ist höchstens ein Kuß, und du lieber Gott, davon ist noch kein Mädchen gestorben.

Jetzt hatte ich genug.

Ich ging ohne gute Nacht zu sagen. Florentine saß noch in einem kleinen Kreise von jungen Herren, die sich einen Napf Champagner-Cardinal hatte geben lassen, und ausgelassen laut und lustig wurden.

Mit dem grünen Herrn an ihrer linken Seite trank sie aus einem Glase.

Jetzt hatte ich mehr denn genug. Wenn sie nur nicht so entsetzlich hübsch gewesen wäre! Die dunkelblauen Liebessterne funkelten dem vom Champagner-Cardinal erglühten Mädchen doch wahrhaftig im Kopfe, als habe es auf dem Flecke, wo bei andern Leuten das Herz sitzt, einen ewig flammenden Vesuv in der Brust.

Louis, der unermüdlichste der flinken Diener dieses Engelparadieses, leuchtete mir voran die Treppe hinauf. Wir gingen über einen unabsehbar langen Gang, auf den von beiden Seiten eine Menge Thüren stießen, deren jede, wie es in Gasthäusern gewöhnlich ist, mit einer Numer versehen war.

Nummer 3., das für mich bestimmte Zimmer, wenn ich unter meinem wahren Namen eingetroffen wäre, stieß, wie der Vater gesagt hatte, an Florentinens Zimmer; also mußte dieß Numer 2 oder 4 seyn.

Was ging das eigentlich mich an, besonders nach dem, was ich diesen Abend alles von dem Mädchen gehört und gesehen hatte?– Aber solche schwache Geschöpfe sind wir Männer; ich brannte vor Neugier, zu wissen, wo Florentine eigentlich wohne.

Mit der Thüre in das Haus fallen, und gerade den Kellner fragen, welches das Zimmer der Mamsell Weinlich sey? – die beiden Engländer und der Major und der grüne Herr und tausend Andere hätten es gethan; ich konnte es nicht; ich machte einen weiten Umweg, um das heraus zu bekommen.

Ein schönes Haus! begann ich, hinter dem munteren Louis hergehend, wie zu mir selbst: das müssen ja hier rechts und links über zwanzig Zimmer zusammen seyn!

Zwanzig? versetzte Louis triumphirend: sechs und dreißig wollen Sie sagen. Ja, ja, mein Herr: das kostet Beine, so den ganzen Tag Trepp' auf Trepp' ab; des Abends ist man aber auch wie zerschlagen.

Sechs und dreißig Zimmer, wiederholte ich staunend, als hätte ich in meinem Leben noch keinen großen Gasthof gesehen: und das alles lauter Fremden-Zimmer?

Alles Fremden-Zimmer erwiederte Louis: bis auf No. 1., da wohnt der Herr und die Frau und in No. 2. die Mamsell.

Und hier in Nr. 3? fragte ich lauschend, und harrte der Antwort entgegen, daß dieses Zimmer für den Herrn Hofrath Blum im Beschlag genommen sey, wo ich dann suchen wollte, ein Mehreres über diesen Blum vom geschwätzigen Louis zu hören.

Hier in No. 3. logirt der Husaren-Major. der diesen Abend noch zuletzt kam; entgegnete der Unausstehliche, und schloß mein, dieser höllischen Numer schrägüber liegendes Zimmer auf.

Ich ging, als ich allein war, zum höchsten Mißmuth umgestimmt, in meinem Stübchen auf und ab. So gefesselt, als Florentine, hatte mich in meinem Leben noch kein Mädchen; und dieser unerträgliche Leichtsinn, dieses Verkennen ihres eigenen Werthes, dieses Blindseyn gegen meine zarten Huldigungen, dieses Hingeben an dem Major, und an die Cardinalisten, und an den Grünrock, und nun gar – dicht neben Numer zwei, die verrufene Numer drei! An allen war der unselige Vater schuld, das fühlte ich wohl, und rechtfertigte des Mädchens leichtsinniges Benehmen im Stillen; aber, mochte dieß eine Quelle haben, welche es wollte, Florentine war doch, wie die Sachen jetzt standen, für mich unrettbar verloren. Die Sucht, Allen zu gefallen, Aller Herzen zu gewinnen, war zu tief in ihr eingewurzelt, selbst wenn sie noch unverdorben war, – und bei dieser Erziehung gehörte nur noch ein halber Schritt dazu, um – Es kam jemand die Treppe herauf; ich flog an die Thür, und lüftete sie ein wenig; es war Florentine; sie schlüpfte in ihr Zimmer, und rief mir – sie mußte meine Thüröffnung bemerkt haben, – eine gute Nacht zu.

Gute Nacht? – ach um die war es bei mir geschehen. Sie hatte über ihren Cardinal und über den Major und den Grünrock mich nicht vergessen; sie hatte nach meiner Thür gesehen; sie hatte mir mit ihrer Glockenstimme freundlich eine gute Nacht gewünscht – so sind wir einfältige Mannsbilder. – Florentine kam mir jetzt nicht halb so strafbar vor, als vorhin. Wenn die Menschen unten sie alle so angezogen hätten, als ich befürchtet hatte, so würde sie mit keiner Sylbe weiter an mich gedacht haben; aber sie hatte absichtlich nach meinem Zimmer gesehen; sie mußte recht genau hergesehen haben, denn die Thür hatte kaum einen Finger breit aufgestanden und sie hatte mich doch bemerkt, und in ihrem Gutenachtwunsch lag eine ganz eigene Herzlichkeit; das klang gar nicht so, wie man die Leute vor Schlafengehen gewöhnlich begrüßt – wer sich nur ein wenig auf die Sprache des Herzens verstand, mußte in der Weise, wie sie die paar Worte sagte, einen zarten Vorwurf fühlen, warum ich mich den ganzen Abend weiter nicht um sie bekümmert, nicht mit getrunken, kein Wort mit ihr gesprochen mich sogar ohne Abschied davon geschlichen hatte. – Sie war doch nicht so verwerflich, als sie mir meine beleidigte Eitelkeit geschildert hatte; bei ihrer Seelengüte war es vielleicht – gewiß noch Zeit, ihre kleinen Angewöhnungen wieder hinweg zu bringen; nur mußte sie je eher je lieber diesem Hause und diesem gemeinen Speculanten von Vater entrückt werden. – War es nicht, als ginge ihre Thür wieder? – Am Ende wollte sie sehen, ob die meinige noch offen stehe, – sie wollte, was vorhin nur im Tone ihres Gutenachtgrusses lag, in Worten mir deutlicher machen, und mir über mein auffallendes Betragen unten im Speisezimmer ihr Schmollen zu erkennen geben. Ich hatte, ohne es selbst zu wissen, die Klinke in der Hand, öffnete leise die Thür, und – sie war nicht da; ich streckte den Kopf weit hinaus und horchte. Die Hauslampe, die den Gang vorher beleuchtet hatte, war erloschen; auf dem ganzen, langen Gange war es mäuschenstill – nein es ward gesprochen –in der Gegend von No. 2. und 3. hörte ich zwei Stimmen leise lispeln, nicht auf der Flur selbst, sondern drinnen in den Zimmern. Gewöhnlich sind die Stuben in den Gasthäusern durch Mittelthüren mit einander verbunden; wenn No. 2. und 3. es auch waren! meine Florentine und der Major! – Als drängte mich der Satan selber mit feurigen Zangen aus meiner Stube hinaus auf den Gang, so trieb es mich fort. Mit verhaltenem Athem, mit einem Herzen voll Gift und Galle, schlich ich auf den Strümpfen, heimlich wie eine Blindschleiche, hin nach No. 2. und 3. Ich hatte mich nicht geirrt. Der Major! – ich hätte mit der geballten Faust gegen die Thür donnern mögen, so krampfhaft ballte mir die Wuth alle Sehnen und Nerven zusammen – der Major sprach etwas lauter: die verbrecherische Florentine unter dem lastenden Bewußtseyn ihrer Schuld aber so leise, daß kein Wort zu verstehen war. Englisches Kind, sagte der überglückliche Bösewicht: meine einzige Seligkeit bist Du. Was habe ich mich nach Dir gesehnt; nun ich Dich wieder in meinen Armen habe, bin ich ruhig! Aber Deinem Blum schlage ich die Beine entzwei! Mit keinem Fuße soll der Seelenverkäufer wieder über Deine Schwelle.

Ich hatte, von dem grimmigsten Jähzorn überwältigt, schon die Hand nach dem Griff an der Thüre von No. 3. ausgestreckt, als mein besseres Selbst in mir erwachte. Was wollte ich bei dem Major und Florentinen? Was gingen mich Beide an! Mußte ich dem Zufall nicht danken, daß er mir hier im Pechdunkel eine Fackel aufsteckte, die mir leuchtete bis an das fernste Ende meines Lebensweges? An welchen Abgrund hätte mich Staarblinden meine hand- und zügellos gewordene Leidenschaft für das blendend schöne Mädchen treiben können! Jetzt sah ich hell und deutlich. Ich war geheilt. Nein, der theure Herr Major hatte vor meiner Seelenverkäuferei alle mögliche Ruhe; er mochte seinen Schatz behalten. Hätte er nur ein Paar so gesunde Augen gehabt, als ich jetzt in dem Augenblicke; er hätte seine süßen Worte nicht verschwendet an den bunten flatterhaften Schmetterling, der jeden Augenblick einem andern gehörte, in dessen System es lag, keinem treu zu seyn!

Ich war während diesen, mich anfänglich niederdrückenden, später aber, als ich die Sache ruhiger beim Lichte besah, mich über mich selbst erhebenden Betrachtungen, auf mein Zimmer zurückgeschlichen, und ging in diesem über eine Stunde, mit in einander verschränkten Armen, auf und ab. Warum war ich nicht, wie mir mein streifiger Schutzgeist, Zwicker, gerathen hatte, in dem goldenen Ochsen eingekehrt! Dort, wo die Böhmischen Zwirnhändler ihr sorgenvolles Markthaupt niederlegten und des ruhigen Schlafes genossen, hätte ich auch längst die Ruhe gefunden, die ich hier in dem verhexten Engel vergeblich suchte. Aber, es ist ein Verhängniß, tröstete ich mich: es mußte Alles so kommen! Des dummen Postknechts verführerisches Zureden mußte bei mir mehr Gewicht haben, als Zwickers wohlmeinende Warnung. Ueber kurz oder lang hätte ich Florentinen doch einmal gesehen; ich hatte dann nicht die Gelegenheit, die Abgründe dieses falschen Herzens so kennen zu lernen, als vor der Thür No. 3. Ihr Aeußeres hätte mich geblendet; ich hätte ihr meine Hand gegeben, und wäre bis zum letzten Augenblicke meines Seyns der allerunglücklichste Mensch auf Gottes Erdboden gewesen. –

Müde, als hätte ich einen großen Kampf gekämpft, legte ich mich endlich zu Bette. Ich schloß die Augen, aber vor meinem Innern stand – ich habe es tausendmal gesagt, manche Männer gehören zu den Pudelgeschlechtern, sie lassen sich von der Königin ihres Herzens mißhandeln, und bleiben ihr dennoch zugethan, und können sich von ihr selbst mit Gewalt nicht los machen – vor meinem Innern stand der blaue Engel in dem rosigen Lichte seiner süßesten Anmuth; sie schwebte mir in das lockende Schattenreich der seltsamsten Träume voran, und ich flog, vom leichten Wolkenschaume getragen, umflimmert von dem Frühroth der seligsten Liebe, hinter ihr her, als läge die Welt mit ihren Cardinalnäpfen, ihren Majors, Grünröcken, verschrobenen Vätern, und allen den hundert, mir am heutigen Abend widerfahrenen Kränkungen eine Million Meilen unter mir. Links und rechts wallten mir der himmlischen Herrschaaren Hymnen auf den Hochgenuß der Liebe entgegen, und, als ständen die Janitscharen des lichtern Jenseit mir zur Seite, so fielen die Gewaltschläge ihrer großen Trommel, ihrer Zymbeln und Becken taktmäßig in die Sphärenmusik, die von einem nie gehörten Porzellan-Glockenspiel melodisch begleitet wurden.

Louis, der Unausstehliche, enttäuschte mich; unter dem Fenster sangen die Schüler; die Parade zog mit fliegender Fahne und klingendem Spiel über die Straße, und mein grün geschürzter Wecker fragte mich, das an einander klirrende porzellanene Kaffeezeug in der Linken, und ein Billet, das er mir reichte, in der Rechten, lachend: ob denn der geheime Secretair heute gar nicht aufstehen wolle; zehn habe es bereits lange geschlagen, und das Mädchen, welches das Billet gebracht, sey nach der Antwort schon zweimal da gewesen.

Das zierliche Briefchen war von einer Damenhand; bestimmt von Demoiselle Zwicker.

Nein, es war von der Generalin von Waldmark, der Jugendfreundin meiner verstorbenen Mutter.

Sie schrieb, von Zwicker zufällig gehört zu haben, daß ich hier eingetroffen, und ein genauer Bekannter vom Hofrath Blum sey; sie wünsche sehr dringend, mich in dessen Angelegenheiten zu sprechen, und bäte daher, sie, so bald als möglich, mit meinem Besuche zu erfreuen.

Als ich, im Begriff, zu ihr zu gehen, aus dem Hause trat, fuhr eben Herr Weinlich nebst Frau Gemahlin und zwei Damen in einem Wagen, und Florentine mit dem Major und den beiden Engländern in einem zweiten, aus, um, wie mir Louis erzählte, eine Landpartie zu machen. Ich hatte mir eingebildet, geheilt zu seyn; beide Wagen gingen mir aber so über das Herz, daß ich jeden Radnagel darin fühlte. Gutem Morgen, Herr Langschläfer! rief mir das Mädchen mit einem zauberischen Lächeln zu, und verschwand um die nächste Ecke, und ich knirschte vor geheimen Grimme, daß Florentine sich und alle Frauenwürde und allen Anstand so ganz und gar vergessen und ich mich noch darüber ärgern konnte, so mit den Zähnen, daß ich selber vor mir erschrak.

Die Weiber taugen alle nichts, brummte ich, mir Luft machend, vor mir hin, schlug ein Schnippchen, und trat, höchlich verstimmt, in das Haus der Generalin.

Das war kein Haus, das war ein Pallast; die Treppen mit feinen Teppichen belegt, auf beiden Seiten frisch blühende Blumen, Alles geschmackvoll verziert, und im ganzen Hause eine Stille, wie in einer Kirche. Diese heimliche Ruhe – sie that meinem stürmisch aufgeregten Herzen unaussprechlich wohl. Ein alter Silberkopf von Kammerdiener hatte mich nach meinem Namen gefragt, und war dann in das Vorzimmer gegangen; ich hörte ihn zwei, drei Thüren öffnen, ehe er zum Gemache der Generalin gelangte. – Der schwere Zugang zu der Frau hier, und Florentinens Oeffentlichkeit vorhin, – die Parallele fiel zum Vortheil der Generalin aus; und wenn ich auch vor einem Augenblicke erst behauptet hatte, daß die Weiber alle nichts taugten, die Generalin nahm ich, von der tiefen Eingezogenheit, in der sie zu leben schien, gewonnen, vorläufig aus; sie war ja auch die Freundin meiner verstorbenen Mutter gewesen. Schon etwas ruhiger gestimmt, verzieh ich auch Florentinen ihren Langschläfer; hätte sie gewußt, daß ich um ihretwillen erst um zwei Uhr des Morgens eingeschlummert, und daß sie selbst eigentlich die Ursache meines späten Aufstehens gewesen sey, sie hatte das neckende Wort gewiß nicht so keck hingeworfen. Wenn sie nur nicht mit diesen dreien, gerade mit diesen dreien –

Eine junge Brünette, eine Art Kammerjungfer kam aus dem Vorsaal, ersuchte den Herrn Geheimen Secretair einzutreten, und in dem nächsten Zimmer, das sie eben öffnete, die Frau Generalin zu erwarten, und ließ mich allein.

Alle Wände dieses Gemachs waren mit Familiengemälden geschmückt. Da hingen die Bilder aus der guten alten Zeit; in den Gesichtzügen all der Frauen und Mädchen hier sprach sich die keusche Züchtigkeit ihres Zeitalters aus; da war auch nicht eine, der man die ungebundene Laune, das leichtsinnige Flatterwesen einer Florentine hätte ansehen können. Ja, das waren noch Frauen zimmer; denen war noch das Haus ihre Welt, die lebten in ihrem Zimmer, die trieben sich nicht gleich mit drey fremden unleidlichen Herren auf der Straße herum! Wie sittig und ehrbar sah nicht dort die vornehme altadelige Schöne in der apfelgrünen Andrienne aus! Wie ehrenfest und gediegen hier das allerliebste Gesichtchen, in der weißen Moorcontusche! Wie fein und anständig die stolze Frau hier in dem gelb grosdetournen Reifrocke! Wie züchtig und keusch die zarte Hausehre dort in dem weiten Pauschmantel von Brabanter Kanten! Wie fromm und tugendhaft die milden Engelszüge der bildschönen jungen – mein Gott, das war ja meine Mutter in den Tagen ihrer Blüthenzeit! Der Rahmen ihres Bildes war mit einem Kranze von lebendigen Vergißmeinnicht und Immortellen geschmückt – sie lächelte aus der Blumenwelt ihrer Verklärung mit unbeschreiblicher Wehmuth zu mir herab – ich stand, von der freudigsten Rührung überrascht, vor ihr, hatte beide Hände auf die Brust gefaltet, und konnte den stillen Thränen nicht wehren, die mir aus dem kindlichen Herzen in das Auge traten. Meine Mutter, meine liebe Mutter, sprach ich leise zu ihr hinauf und begrüßte, seit langen Jahren, die Geschiedene mit nassem Blicke. Je länger ich das Bild ansah, desto lebendiger ward es; mit frommen Sinne träumte ich mich zurück in die Zeit meiner Kindheit, als sie die einzige Freundin meines Lebens war – seit sie heimgegangen, hatte ich keine mehr.

Ich hörte eine Thür gehen; ich wendete mich schnell nach dem Fenster, wischte mir die Thränen vom Gesicht, und wollte mich sammeln, um vor der Generalin die Empfindungen, die mich hier so unvermuthet überwallt hatten, nicht zu verrathen; aber sie trat schon ein, und wollte mit einer Entschuldigung anfangen, daß sie den Herrn Geheimen Secretair so lange habe warten lassen. Aber kaum hatte sie die in Fällen der Art gewöhnliche Einleitung begonnen, als sie mitten in der Rede stockte, und nach einem freundlich forschenden Blicke mit wohlwollendem Lächeln rief: Robert, mit mir wirst Du doch kein Spiel treiben? mein guter Robert, tausendmal herzlich willkommen! Diesem Bilde gegenüber, fuhr sie tief ergriffen fort: darfst Du Dich nicht verläugnen. Ihr seyd ja Beide ein Gesicht, es ist ja, als sähe ich mein Hannchen, Deine Mutter, in Dir lebendig vor mir.

In der weichen Stimmung dieses Augenblickes, von der Herzlichkeit des vertraulichen Empfanges unbeschreiblich angeregt, in der bildlichen Gegenwart meiner verklärten Mutter, vor der Vertrautesten ihrer Jugendzeit – wo hätte ich in der angenommenen Rolle eines fremden Dritten bleiben können!

Beschämt und verlegen zog ich, die Augen noch von vorhin voller Thränen, ihre Hand an meine Lippen; sie aber brach in ein sanftes Weinen aus, umschloß mich mit mütterlicher Liebe, und sagte, das thränenschwere Auge auf das mit Blumen geschmückte Bild gerichtet: o mein Hannchen mein einziges liebes Hannchen könntest Du doch jetzt hier unter uns seyn! Könntest Du doch aus Deiner Friedenswelt mit Deinem Segen ihn hier an meiner Seite grüßen! – Dem Mutterherzen gibt es ja nichts Süßeres, als den Stolz auf gute Kinder. Ach, daß ihr der Tod diesen Lohn ihrer Tugend, diese Freude hienieden so früh rauben mußte! – Nein – fuhr sie, mich wohlgefällig betrachtend, fort – da ist doch aber auch jeder Zug, als wäre sie es selbst. Die Söhne, die ihrer Mutter so gleichen, sollen, sagt man, gute, sanfte Männer seyn, in deren Character das Strenge ihres Geschlechts an der Milde des unsrigen verschliffen ist. Man will behaupten, daß sie Glück in der Welt haben, und daß kann auch mit natürlichen Dingen zugehn; denn das Glück der Menschen schafft sich in der Regel von selbst, besonders wenn unser Äußeres gleich etwas empfehlendes hat. Ein wohlgebildeter junger Mann gewinnt überall leicht das Vertrauen seiner Mitmenschen, und wenn die Mutter den äußeren Stempel der Sittenreinheit, der Frömmigkeit, des Zartgefühls auf den Sohn vererbt hat, kann ihm das Wohlwollen seiner Mitwelt, die Hauptquelle unsers glücklichen Fortkommens unter dem Monde, nicht fehlen. Aber Robert, fiel sie sich selbst in das Wort, ich nenne Dich Du, einen Hofrath, der Land und Leute regieren helfen soll, Du? –

Gnädigste Frau, rief ich bittend: lassen Sie mir dieß trauliche Du; es ist mein schönster Ehrentitel. Ihre wohlwollende Huld ist mir ja das wertheste Erbtheil meiner lieben seligen Mutter. Nehmen Sie ihren Platz ein. Ersetzen Sie mir ihren Verlust; nennen Sie mich nie anders als Du; lassen Sie mich Ihren Sohn seyn.

Ihre erste Frage, als sich allmählig unser Gespräch auf den Zweck meiner Herreise, auf die Uebernahme der großmütterlichen Erbschaft wendete, war, warum ich hier unter fremdem Namen aufgetreten sey. Sie schien anfangs die Verlarvung zu mißbilligen; als ich ihr aber Sandlers Mittheilungen erzählte, und aus einander setzte, warum ich den Namen des Herrn Straguro, statt meines eigenen hier angenommen habe, gab sie mir heimlich lächelnd ihren Beifall. Ich brachte, mit dem Entwurfe der Großmutter, mich zu verheirathen, fast mehr als mit ihrer ganzen Erbschaft beschäftigt, das Gespräch auf den bewußten Zettel. Sie stutzte, als sie hörte, daß ich davon wisse, und klagte über die Schwatzhaftigkeit unseres Geschlechtes, die selbst in Geschäftsachen sich nicht zu zügeln wisse; denn, da sie eidlich betheuern könne, von der ganzen Sache bis jetzt keine Sylbe über ihre Lippen gebracht zu haben, so müsse vom Ober-Pupillenrath oder vom Vorsteher des Armen-Wesens etwas darüber in das Publikum gekommen seyn, und Herrn Sandler zählte sie auch nicht zu den Verschwiegensten, da er sogar an einer öffentlichen Gasttafel sich darüber ausgelassen habe; über den Inhalt selbst aber, über das Mädchen, das die Großmutter zu meiner dereinstigen Gattin ausersehen hätte, wollte sie nicht näher unterrichtet seyn.

Laß Dich, hob sie, als ich ihr auf dieses Vermächtniß ein vorzügliches Gewicht zu legen schien, etwas ängstlich an: laß Dich in der Wahl Deiner künftigen Gattin durch diese letztwillige Verordnung der guten seligen Milborn nicht binden. Wen sie im Auge hatte, weiß ich nicht bestimmt, nur so viel kann ich Dir mit Gewißheit sagen, daß sie Dir keine ausdrückliche Vorschrift darüber zurückgelassen hat; dazu war sie zu klug, dazu kannte sie die Welt und das menschliche Herz zu genau. Ist Dein Herz noch frei, so wähle, welche Du willst, hier oder anderwärts; die Einkünfte der 50,000 Thalern, die Dir auf den Fall, daß Deine Wahl dem Wunsche der Großmutter entspricht, für Lebenszeit noch zufallen, können in der Sache keinen Ausschlag geben, da Du auch ohne diese Zinsen, bei dem großen Vermögen der Erblasserin sehr auskömmlich leben kannst.

Diese, fiel ich ihr in das Wort: können und sollen in der Sache keinen Ausschlag geben, gnädige Frau: selbst wenn ich zufällig die wählte, die mir zugedacht ist, würde ich auf den Nießbrauch dieses Capitals zum Beßten der Armen ausdrücklich verzichten; aber es liegt in dem Gedanken, derjenigen, die mein ganzes irdisches Glück lebenslänglich begründet hat, in jeder Hinsicht zu Gefallen zu handeln, etwas, was mich bindet, ohne mir drückend zu seyn. Fällt meine Wahl auf eine andere, so wird mir ewig der Vorwurf vor der Seele schweben, daß ich nach dem Willen –

Wille war es nicht, hob die Generalin, mich unterbrechend, an: nur Wunsch; aber ich wüßte nicht, was mir verdrüßlicher seyn könnte als Sandlers häßliche Geschwätzigkeit, Du solltest von der ganzen Geschichte kein Wort eher erfahren, als nach Deiner Verlobung. Doch, da Du nun einmal darum weißt, und ich vermuthen darf, daß Mutter Milborn auf eines der hiesigen Mädchen ihr Auge gerichtet hatte, so sollst Du sie alle kennen lernen. Ich hatte schon, ehe Du kamst, die Veranstaltung eines Balles im Sinne, auf dem keines fehlen sollte, das zum Kreise ihrer Bekanntschaft gehörte. Es ist mir jetzt selbst lieb, daß Du unter fremdem Namen kommst; denn trätest Du als der längst erwartete Hofrath auf, so würden Dir, bei Deinen äußeren Annehmlichkeiten, bei dem guten Rufe, der über Deine Kenntnisse und Deinen Wandel aus der Residenz vorausgegangen ist, und bei der glänzenden Lage, in die Dich Deine hiesige Erbschaft gesetzt hat, auf plumpe und feine Weise, von manchen Aeltern, denen der Wunsch sich einen solchen Schwiegersohn zu gewinnen, nicht zu verargen ist, so viel hübsche und zum Theil liebenswürdige Mädchen zugeführt, und hie und da gar aufgedrungen werden, daß Du, im engsten Verstande des Wortes, über die Wahl eine wahre Qual haben solltest. Heute über acht Tage also – Deine Trauerzeit ist ja, nach unseren Gesetzen seit einigen Wochen schon vorüber – und Dein Geburtsfest, das gerade heute über acht Tage auf den siebenten dieses Monats fällt, kann ich nicht besser feiern, – heute über acht Tage also bist Du zu unserm Freiwerber-Balle hiermit förmlichst eingeladen, dessen eigentlichen Zweck aber, außer uns beiden, kein Mensch wissen darf. Du wirst unter unseren Klarenburger Schönen sehr anziehende Mädchen finden; laß Dich nicht von dem Gefühl, unter ihnen eins wählen zu müssen, bestechen. Sagt Dir keines so zu, daß Du wünschest, näher mit ihm bekannt zu werden, so fahre ruhig in Deine Residenz zurück. Thue, als wüßtest Du von der Wahlklausel Deiner Großmutter kein Wort. Dadurch, das sichere ich Dir in ihrer Seele zu, erfüllst Du ihre Absicht am Beßten.

Vor dem großen Balle ward mir bange. Wäre ich zufällig in solch einen Kreis gekommen, so hätte es mir wohl Spaß machen können, über die Huldinnen des Klarenburger Weichbildes im Geheimen eine genaue Musterung zu halten; aber so war die Generalin mein Muster-Inspector. Natürlich belauschte diese jeden meiner Blicke jedes meiner Worte, und darum, das sah ich schon im Voraus, gefiel mir von den Ballschönen keine Einzige. Doch die Generalin baute sich, einmal auf diesen Gedanken gekommen, den Plan mit zu vielem Selbstgefallen aus, als daß ich sie davon hätte abbringen können; auch wies sie meinen spätern Vorschlag, bloß die sieben Mädchen, die wochenweise bei der Großmutter gewesen waren, zu einem kleinen gesellschaftlichen Kreise einzuladen, lachend mit den Worten ab: sie müssen Alle dabei seyn, Alle oder Keine! und ich entnahm mir halb und halb daraus, daß die Generalin am Ende doch die von der Großmutter auserwählte Person namentlich kenne, und daß diese sich unter den sieben kleinen Adjutantinnen nicht befinde.

Den ganzen Tag hatte ich bei der Generalin verbracht. Ihre geistreiche Unterhaltung, und die Herzlichkeit, mit der sie von meiner theuern Mutter und der seltenen Frau meiner Großmutter, sprach, hatte ihn mir zu der Spanne einiger Stunden verkürzt; ich mußte versprechen, während meines Hierseyns täglich zu kommen und mit ihr zu speisen. Der Mensch sollte für die Zukunft auch nicht die geringste Verpflichtung übernehmen; ich versprach, ihre Bitte zu erfüllen, und aß bis zum Balle doch nicht ein einziges Mal bei ihr.

Bei meiner Rückkunft in dem blauen Engel berichtete Louis, auf meine Erkundigung nach Herrn Weinlich, daß dieser mit der Familie und den Fremden noch nicht zurück sey, und äußerte seine Besorgniß, daß das Gewitter, das sich am Horizont aufthürmte, sie überraschen möchte. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, daß Herr Weinlich eine kleine Besitzung auf dem Lande habe, wohin er seine Gäste gewöhnlich mitzunehmen pflege; dort fänden sich mehrere junge Herren und Damen aus der Stadt ein, und man belustige sich gewöhnlich bis spät in die Nacht; versteht sich, alles auf Kosten der Fremden. Je tiefer Papa Weinlich jetzt bei mir sank, desto mehr fing meine Gutherzigkeit an, Florentinen zu entschuldigen. Bei solch einem berechnenden Speculanten, dem die ganze Welt feil war, konnte das Mädchen, selbst mit dem beßten Willen und dem rechtlichsten Grundsätzen, sich nicht halten. Ich ging mit Louis, der mir voran leuchtete, eben über den Gang vor Nr. 2. und 3. vorbei. Dem Major gedachte ich in meinem geheimen Grolle, seine Abendunterhaltung mit der leichten Fliege, der Florentine, doch ein wenig zu Wasser zu machen, und theilte daher dem Kellner mit, daß, wie er wohl wissen werde, dem Herrn Hofrath Blum das Zimmer Nr. 3. von Herrn Weinlich im Voraus bestimmt sey, daß nach meinen heutigen Nachrichten aus der Residenz der Herr Hofrath diese Nacht unfehlbar hier eintreffen werde, und daher diesen Abend noch diese Numer 2. geräumt seyn müsse.

Louis hatte wohl von der frühern Anordnung seines Herrn gehört; aber er zuckte verlegen die Achsel, und meinte, indem er mir das Zimmer aufschloß, daß dieß mit der Aussicht in den Hof hinaus gehe, und für den Herrn Hofrath offenbar zu klein sey. Ich trat mit gedrücktem Herzen in die Stube, denn ich sollte die Thür sehen, durch die der Major diese Nacht zu Florentinen oder diese gar zu jenem geschlüpft war – aber ich holte wieder frischen Athem; vor der Thür, die zu Florentinens Zimmer führte, stand ein großer Secretair vorgerückt. – Die Eifersucht läßt sich nicht so leicht beschwichtigen; diese satanische Leidenschaft will mathematische Gewißheit, wenn sie zu Kreuze kriechen soll. – Weggerückt konnten sie ihn gestern Abend nicht haben. Ich griff ihn, während Louis mit Aufräumen von umher liegenden Kleidungsstücken des Majors beschäftigt war, und mir eben den Rücken zukehrte, unvermerkt an und wollte ihn heben; aber der war gar massiv gearbeitet, den rückten zwei Menschen nicht von der Stelle. Das ist gut, sagte ich, als besähe ich das Zimmer im Namen seines baldigen Bewohners: das ist gut, daß der Secretair hier steht, man hört dann in dem Nebenzimmer nicht so leicht, was hier gesprochen wird.

O dafür ist gesorgt, entgegnete Louis und machte mir das Herz noch leichter: drüben im Zimmer der Mamsel, steht vor der Thür accurat auch solch ein Secretair, da können Sie hier sprechen, so laut Sie wollen, sie versteht keine Sylbe drüben; aber – setzte er verlegen hinzu: der Major wird es nicht gern sehen, daß er diesen Abend noch heraus soll.

Ja, da kann ich nicht helfen, erwiederte ich schadenfroh, dem unerträglichen Herrn Major in seine Abendbelustigung so unerwartet einen gewaltigen Riegel vorschieben zu können: ich bezahle das Logis von heute an, auch wenn der Hofrath nicht kommen sollte; träfe er aber ein, und fände das Zimmer, von dem ich ihm bereits nach Biesenwerder entgegen geschrieben habe, besetzt, so würde er bestimmt, ich kenne ja seinen Eigensinn, sehr ungehalten seyn, wenn sie ihm ein anderes anweisen wollten, selbst wenn es dreimal besser seyn sollte, als dieß; und ist er grade nicht recht aufgelegt, so wendet er auf dem Flecke um und steigt irgend wo anders in der Stadt ab. Eine solche Kundschaft sich aber entgehen zu lassen, möchte ich an Herrn Louis Stelle meinem Herrn nicht leicht verantworten, denn der Herr Hofrath wird jährlich einige Mal hier seyn, und er läßt gern etwas darauf gehen; besonders ist er gegen die Diener des Hauses, wenn sie gut aufpassen, gern erkenntlich, und kann zuweilen gar freigebig seyn.

Ja dann, erwiederte der Kellner: müssen wir schon Rath schaffen; die Frau Majorin wird freilich ein böses Gesicht machen, aber –

Die Frau Majorin? fragte ich stutzend und Florentinens Stocks stiegen bedeutend.

Nun ja, versetzte Louis: die wohnt mit ihrer Schwester hier neben an, Nr. 4. Sie ist schon seit Ostern hier; ihr Regimentsarzt, Herr Doctor Blum, wenn Sie ihn kennen, hat sie nach ihrer letzten Entbindung ganz falsch behandelt; sie kam todtkrank hierher; unser Kreisphysikus hat Wunder an ihr gethan. Alle 14 Tage kam der Major und besuchte sie, und wohnte immer hier in dem Zimmer; jetzt wird er sie in einigen Tagen mit zurücknehmen; das Frauchen blüht wieder, wie eine Rose. Haben Sie sie mit ihrer Schwester heute früh nicht gesehen? Sie saß mit der Herrschaft im ersten Wagen! –

Das bis in das Tiefste der Erde verwünschte Laster der Eifersucht! Hätte ich doch alle die Jämmerlichen, die an dieser elenden Krankheit leiden, in diesem Augenblicke um mich gehabt, die kraftvolle Rede, die ich, ungehört an mich selbst hielt, hätte sie vor diesem furchtbaren, alles Seelenheil und allen Erdenfrieden zerstörendem Übel gewiß heilen sollen.

Also nicht Florentinen, sondern die Majorin hatte ich gestern Nacht sprechen gehört. Daß der Major, als er gestern Abend in das Zimmer trat, seinen Arm um Florentinen schlang, hatte ich zwar mit eigenen Augen gesehen; allein bei der langen Bekanntschaft zwischen Beiden, und bei der leichten Manier, mit der die Husaren überhaupt sich dem zweiten Geschlechte zu nähern pflegen, war das allenfalls zu entschuldigen; auch – ich mußte in diesem Augenblicke der Versöhnung gerecht seyn – auch hatte ich wohl bemerkt, daß Florentine ihn, als sie das Zimmer betrat, abwehrte, und also zu erkennen gab, daß sie dergleichen Umarmungen nicht liebe. – Daß sie heute mit den beyden Engländern in einem Wagen fuhr, war mir wohl auch nicht ganz recht, aber – wer weiß, wie dieß zusammenhing. Etwas Unrechtes konnte indeß da nicht vorfallen, denn der Major, ein verheiratheter Mann, ein Mann, der sich für ihr Haus, das sich seiner Frau mit so ausdauernder Liebe angenommen hatte, gewiß verpflichtet fühlte, ließ ihr sicherlich nichts zu Leide thun. Auf jeden Fall hatte ich gestern alles in zu schwarzen Farben gesehen, und je ruhiger ich heute ihr ganzes Benehmen zersetzte, desto mehr hatte ich ihr in Gedanken abzubitten, und fand ich hie und da noch eine Bedenklichkeit, wie z. B. wegen ihres Anstoßens mit dem Grünrock, so kamen dergleichen Verstöße gegen das Schickliche lediglich auf Rechnung des unbesonnenen Vaters.

Während mir das Alles im Kopfe herumging, erklärte ich gegen Louis, daß mir, bei näherer Überlegung, die Ankunft des Hofrathes noch für heute Abend doch unwahrscheinlich sey; er möchte daher den guten Major nur in Gottes Nahmen bis auf weiteren Auftrag von mir in Nr. 3. ruhig lassen.

In diesem Augenblicke kamen die beiden Wagen von ihrer Landpartie wieder zurück. Florentine saß jetzt bei ihrer Mutter und der Majorin und deren Schwester. Sie machte mir, als ich sie aus dem Wagen hob, freundliche Vorwürfe, daß ich, da ich einmal das Mitfahren verschlafen, nicht nachgekommem sey, löschte, durch ihre nicht undeutliche Beschwerde über die langweilige Gesellschaft der beiden Engländer, auch den letzten Verdacht in mir aus, und nahm sich heute weit ernster und gemessener, als gestern.

Von der Hitze des schwülen Tages angegriffen, blieb sie nicht zum Abendessen; ich hielt mich daher in der Gesellschaft auch nicht lange auf, und legte mich, ruhiger und mit mir selbst zufriedener, als gestern, zeitig zu Bette.

Aber kaum hatte ich einige Stunden geschlafen, als ich, von dem Donnerrollen eines schweren Gewitters aufgeweckt, aus meinen Träumen hoch auffuhr. Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag, Hagel und Schloßen und Regen und Sturm, Alles wüthete wild gegen einander und drohte rund um mit Tod und Vernichtung; und noch nicht ganz hatte sich nach einer halben Stunde des furchtbarsten Aufruhrs das grausende Wetter verzogen, als nahe und fern in den Straßen die Wächter in den widrigsten Heultönen ihrer brüllenden Hörner das Feuerzeichen gaben. Von allen Thürmen riefen die Sturmglocken zur Hülfe auf, die Trommelschläger der Garnison durchkreuzten alle Gassen. und die mahnenden Nothschläge, mit denen sie den rasenden Wirbel ihrer Trommeln verstärkten, hätten Todte aus den Gräbern zu wecken vermocht.

Wo ist denn das Feuer? rief ich auf die Vorbeieilenden drei, vier Mal zum Fenster hinab, doch keiner stand mir Rede; einige nur entgegneten im Vorüberlaufen, daß sie es selber nicht wüßten. Doch dort, die Hauptstraße herauf, kam eine große Feuerspritze mit mehreren Fackeln in vollem Trabe angerasselt. Die alte Rathsspritze, schrieen die Leute unter meinem Fenster, als die Riesenmaschine vorbei polterte; und hoch oben stand, das Spritzenrohr in der Linken und eine brennende Pechfackel in der Rechten, der ehrbare Schlauchmeister, mein kleiner dicker Zwicker, angethan mit einem buntzitzenen Schlafrock, auf dem Kopfe einen weißen runden Hut, und den Merleton im Nacken, in fliegendes Haar aufgelös't. Verstand ich den schlauchmeisterlichen Heros recht, der die Gaffer ihm zu folgen aufforderte, so brannte es in Herzfelde.

Ich flog in die Kleider, stürmte die Treppe hinab, und bath Louis, der mir unten in der Hausflur entgegenkam mir Pferde und Wagen zu verschaffen. Nur das Reitpferd des Herrn war zu haben; ich ließ es mir rasch satteln. und jagte der Rathsspritze in gestreckten Laufe nach. Leider hatte ich Freund Zwicker recht verstanden. Herzfelde, das freundlichste Dorf der ganzen Umgegend, stand in vollen Flammen. Das erste Grauen der Morgendämmerung im Hintergrunde, die schwarzen, halb entladenen Wetterwolken auf der entgegengesetzten Seite des Horizonts, das Leuchten der schwachen Blitze in der Ferne, die stillen Sterne, die hie und da über uns durch die vorüberjagenden Nebelschleier hervorblickten, das wüthende Feuer vor uns, dessen gluthrothe Lohe himmelan stieg, der dunkele, schwarze Rauch, der sich aus einem Hause nach dem andern emporhob, und vom Winde getrieben weit fortwälzte, das Rasseln der aus der Stadt herbeieilenden Spritzen und Wasserfässer auf der langen Chaussee, das Jammergeschrei, welches uns aus dem brennenden Dorfe immer näher und näher entgegen tönte, die Angst, wohin zuerst sich zu wenden, wo zuerst zu helfen, der niederschlagende Gedanke, das Hab und Gut mehrerer unglücklichen Menschen hier vernichten zu sehen, deren Wohl und Wehe das Schicksal mir so nahe an das Herz gelegt hatte – ich durchflog das Dunkel der schrecklichen Nacht fast athemlos, fand, als ich anlangte. schon mehrere Häuser in Asche und hatte nun so viel zu laufen, zu tragen, zu retten und zu helfen, daß ich in vielen Stunden nicht zu mir selbst kommen konnte.


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