Franz Hessel
Laura Wunderl
Franz Hessel

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5.

Dann dauerte es noch ein paar lange Tage, bis ich endlich einen Brief von Lauras Wirtin bekam:

»Liebwerter junger Herr, ich muss Ihnen nun die Meldung machen, dass die Laura Wunderl gestern ins Spital links der Isar gekommen ist und hat mir in ihrem Schnupftuch sechs Mark dreiundsiebzig gegeben, die über waren von dem, was ihr der junge Herr ins Gefängnis geschickt haben. Sie ist immer im Fieber und lacht und kennt niemand. Nur mich kannte sie an meinem Kopftuch und grauem Scheitel, gab mir das Geld und sagte: ›Da sind noch silberne Gickerchen. Tu's wieder in ihren Topf, dass sie klappern. Ich brauch's ja nimmer.‹ 27

Ich bin eine ehrliche alte Frau und ich mein, es wär nicht recht vor unserm Herrgott, wenn ichs Ihnen nicht wiedergeb. Nur wollt ich recht bescheiden gebeten haben, dass der junge Herr vielleicht die Güte hätten, noch einige kleine Schuld, die von der Laura aussteht, gefälligst zu bereinigen. – Wenn sich der junge Herr herbemühen wollten, ich bin immer in meiner Küche, möcht auch gern von den Umständen der Laura erzählen. Möcht hören, was ein gebildeter Herr dazu meint. Wann der junge Herr umsonst schellen, so bin ich drüben bei meiner Nachbarin, wo ich mir immer das Wasser aus der Leitung hole.

Untertänigst

Emilie Sippl,      
Briefträgerswitwe.«

Darauf ging ich erst ins Spital, um Laura selbst zu sehen. Aber ich wurde nicht vorgelassen. Es war kein Besuchstag für den Saal, wo sie lag.

Von da lief ich weiter zur Mutter Milly ins Sterneck. Sie machte mir auf, schlich voran in ihre Küche und setzte sich auf den Strohstuhl weinen. Ich nahm auf dem Tisch Platz und wartete bis sie ausgeweint hatte.

Nach einer Weile sah sie auf und sagte: »Nun kommt das Kind ins Arbeitshaus. Sie habens mir fortgenommen.«

»Wie ist denn das alles gekommen?«

»Ich mein, der Wastl ist schuld.« Dann fing sie an, mit leiser, singender Stimme zu erzählen.

»Es ist eben ein besonderer Fall, das hat auch der Herr Doktor im Spital gesagt. Das arme Kind. Was hab ich Zeitlang nach ihr, wo ich ihre Mutter noch so gut gekannt hab. Die Mutter, die hat dazumal hier unten im Haus gewohnt, bei ihrem Vater, dem alten Tischlermeister Wunderl. Wir waren im gleichen Alter, die Theres Wunderl und ich. Wir sind zusammen zur heiligen Kommunion gegangen. Ach, sie war immer still und fleißig und hat viel Umständ gehabt mit dem ledigen Kind. Es ist ihr einziges gewesen. Und sie hat sonst keine Sünde gehabt, hat auch nicht heiraten mögen, auch nie die Mannsbilder angeschaut. Hat immer nur ihr Kind geherzt und es ihren allerliebsten Bankert geheißen. Ach, wenn sie gewusst hätt, wies dem armen Kind gehen sollt! Aber wer weiß denn, warum der Herrgott der Laura so ein heißes 28 Herz gegeben hat. Nun wird sie Kesselkost essen müssen und war bei mir so ein gutes lindes Essen gewohnt.

Aber nun will ich Ihnen alles nach der Reihe erzählen, lieber Herr, und das fängt damit an, wie die Theres zu dem Kind gekommen ist. Das ist eine eigne Geschichte.

Das sind nun schon viele, viele Jahre, da sind wir zwei, die Theres Wunderl und ich, auf die Oktoberwiese gegangen. Da wars dazumal noch nicht so prächtig wie jetzt, auch nicht so viel Fremde. Und wenn mal ein Fremdes gekommen ist, so haben wir sehr nach ihm geschaut. Da kam denn auch einer, der uns zwei Mädchen so spazieren sah. Er hatte einen porzellanenen Knopf an seinem Stock und ein dickes Uhrgehänge und so lichtes Haar, wie es die Laura von ihm geerbt hat. Einen blonden Schnurrbart hatte er, der im Wind wehte. Es war ein stattlicher Mann, er hat manierlich zu uns gesprochen und ich hab geantwortet. Die Theres hat sich nur geduckt.

Und wie wir so gehen, sehen wir mit einmal die große erzene Bavaria über der Wiese. Da kehrt sich der Fremde zu der Theres und spricht: ›Sagen Sie mir doch, kleines Fräulein, wer ist die große Dame?‹

Wie die Theres darauf nur kichert, stoß ich sie in die Seite: ›Ei, so gib doch dem Herrn Bescheid.‹ Ja, sie sollte ihm die Erzene genau zeigen, er hätt gehört man könnt hineingehen, meinte der fremde Herr und ließ nicht ab, bis sie mit ihm hinging. Ich blieb bei der Ochsenbraterei stehen und sah den beiden nach, und wie sie dann weiter waren, tat er den Arm um die kleine Theres. Das machte mich traurig weil ich dazumal keinen Schatz hatte und ich ging allein nach Haus.

Am späten Abend aber kam die Theres zu mir und hatte ganz rot geweinte Augen. Nun wär alles aus, nun bekäm sie ein Kind: Wovon denn gleich ein Kind. Ja, das hätt sie wohl gespürt. Und dann erzählt sie: Wie sie mit dem fremden Herrn zu der Bavaria kam, saß der Wärter auf der Schwelle und aß sein Vesperbrot. Der wollte sie nimmer hineinlassen, weil es schon spät war. Der fremde Herr aber sagte ihm: ›Ich bin nur noch bis heut Nacht in München, und das muss ich doch gesehen haben‹, und gab ihm ein Geldstück. Da holte der Alte eine Kerze, steckte sie ihnen an und ließ die beiden hineingehen. Und wie sie bis in den Schoß hinaufgestiegen waren, wo eine Bank zum Ausruhen steht, da ging mit einem Mal die Kerze aus.

Wie das die Theres erzählte, musste ich hell herauslachen: ›Ja die andern haben auch gelacht‹, sagt sie, ›aber was hilft mir euer Lachen. 29 Ich bin wie tot dagelegen und weiß nicht, wie ich wieder heruntergekommen bin.‹ Und unten hat der fremde Herr gesagt: ›So mein Kind, ich muss heim ins Hotel‹, und hat mir den Taler hier gegeben und war weg.‹ Und dann bat sie mich recht sehr, ihr doch den Taler abzunehmen. Sie wüsst nicht wohin damit und hätt Angst er brächt ihr Unglück. Sie hatte ihn eingewickelt in Zeitungspapier und so nahm ich ihn und tat ihn in ein Glücksschwein, das auf meinem Fensterbrett stand.

Und als die Zeit um war, ist die Theres schwanger gewesen. Und die zuvor gelacht hatten, machten nun ein ernsthaftes Gesicht; und wie sie das Kind zur Welt brachte, war der alte Tischlermeister bös und wollte das ›Bankertgequäk‹ nicht hören.

Ich hatte aber dazumal meinen seligen Mann, den Sippl geheiratet und wir waren hier oben ins Haus gezogen. Und mein Mann, der ein einfacher Mann war, meinte: ›Was brauchen wir die gute Stube? Haben wir nicht an der Küche und am Schlafzimmer genug? Lass die arme Theres drin wohnen mit ihrem Kind.‹ Da nahmen wir die Theres zu uns herauf und sie saß den ganzen Tag im Zimmer, nähte und sang dem Kind Lieder. Und die Laura war lieb und still und so schön anzusehen, dass alle ihr gut sein mussten.

Aber die Theres Wunderl war seit dem Kindbett recht schwach und hinfällig und hatte Gliederweh. Und wenn sie dann in ihrem Stuhl stöhnte, dann kam die kleine Laura gekrochen, gesprungen und brachte alles was sie Schönes gefunden hatte. Und wo das Kind hinfasste am Boden, da war ein bunter Faden oder ein seidener Fetzen. Und unten auf dem Hof fand es Glasscherben, die ließ es in der Sonne glitzern; behielt aber nichts für sich, wie ichs sonst wohl gesehen hab, dass Kinder alles in ihre Ecke sammeln, sondern gabs den kleinen Buben, die vorbeikamen.

Mit der Theres hats dann nicht lang gedauert: Als ihre Laura in die Schule kam, ward sie schwer krank. Und einmal im Frühling, wie das Kind morgens mit seiner Schreibtafel fortging, hat sie es noch geküsst, und wie es heimkam, war sie tot.

Die Laura wurde ein recht braves Mädchen; das muss ich sagen. Gespielt hat sie am liebsten mit den Buben, und alle bunten Röcke haben ihr wohlgefallen. Wenn mein seliger Mann, der Briefträger Sippl, seine Sonntagsmontur anhatte, dann ist sie zu ihm gesprungen und hat schön mit ihm getan. Und allen Soldaten, die vorbeikamen, hat sie 30 Kusshände zugeworfen und so ist denn auch ein bunter Rock ihr erstes Unglück gewesen.

Es ist einmal – da war sie schon ein wenig erwachsen – da ist ein herrschaftlicher Diener gekommen mit Wäsche zum Ausbessern. Wie er in die Küche trat, stand die Laura am Herd und schaute ihn an, hat aber kein Wort gesprochen. Des Abends setzte ich mich wie immer an ihr Bett, schwätzte mit ihr und las ihr aus einem heiligen Buch vor. Und darüber schlief sie ein. Ich las noch ein wenig weiter. Mit einem Mal hör ich das Kind stöhnen und aus dem Schlaf sprechen. Es hatte ganz fiebrige Wangen, aber was sie sagt, konnt ich nicht verstehen. – Als aber nach ein paar Tagen der herrschaftliche Diener wiederkam die Wäsch abholen, war ich grad fort einkaufen und hatte der Laura angeschafft, auf die Schelle achtzugeben. So macht sie ihm auf. Und als ich dann heimkomm, springt sie mir entgegen, mit roten Wangen und küsst mich und lässt mich gar nicht zum Fragen und zum Schelten kommen. ›Das ist ein wunderlich Ding, ein Mann‹, sagt sie, und dann erzählt sie, sie hätt ihn eh er sich versah in die Stube hereingezogen, weil es in der Küch schon zu dunkel war, die Wäsch zu besehen. Und wie er mit ihr am Fenster stand, fasst sie seine goldnen herrschaftlichen Knöpfe an. Und das gefiel ihm wohl. Er zeigte ihr auch seine Westenknöpfe. Und sie zeigte ihm dafür ihr buntes Strumpfband – und so gings weiter – bis das Unglück geschehen war. Aber sie hat nie verstehen wollen, dass das ein Unglück war und ich hab Müh genug gehabt, dass sies nur ja nicht meinem Mann erzählte.

Und dann ist das andere Unglück gekommen, dass ich meinen armen Mann, den Sippl, verloren hab, indem er sich dienstlich verkältet hat und hat sichs ihm derart auf die Brust geschlagen, dass es bald um ihn geschehen war. Ich wollt erst selbst nachts die Leichenwacht halten, aber die Laura drängte mich immer wieder von der Kerze fort, hockte sich auf den Schemel am Bett und schaut dem Toten in sein Angesicht. Den Mund hatte sie ganz verwundert offen und sah nicht aus wie ein Christenmensch, der einen Christenmensch hat sterben sehen, sondern schier wie ein Kind, das vor einem Guckkasten, vor einem Kasperltheater sitzt.

Am andern Morgen, als es zu den Nachbarn gekommen war, dass mein Mann mit Tode abgegangen, wer steckt als erster seinen dicken Kopf in die Tür? Die hatt ich angelehnt derweil ich Wasser holen ging. – Der Wastl natürlich, des Herrn Gendarmen im dritten Stock sein 31 neugieriger Sohn. Sie sind ihm wohl schon auf der Gasse oder auf der Stiege begegnet und kennen ihn an seinem roten Haar und blöden Aug und wie ihm das Maul ein wenig hängt und wie er mit den Armen herumrudert in der Luft, eh er das Stiegengeländer zu fassen kriegt. – Der schiebt also die Tür auf und wie er mich nachkommen sieht, macht er eine schiefe Reverenz und geht voran und in der Laura ihr Zimmer, wo wir den Toten aufgebahrt hatten.

Wie er da nun aber den Toten liegen sieht und das Mädchen, die Laura, dabei sitzen, kriegt ers mit der Angst und will zurück. Da winkt ihm die Laura herzukommen und er kriecht auf allen Vieren bis zu ihren Knien. Und dann packt sie mit ihren Fingerchen den großen Gesellen am Schopf und lacht und stupft ein paar Mal seinen dicken Schädel ganz dicht an das Gesicht des Toten und sagt: ›Schau ihn dir recht an, Wastl, dass du ihn nicht vergisst.‹

Und seitdem ist der Wastl jeden Tag heraufgekommen, und die Laura hat ihn gehalten wie einen Hund mit Schlagen und mit Streicheln. Er hat ihr alles zulieb tun müssen: die Schuh ausziehn, wenn sie müd war, und Gesichter schneiden und auf einem Bein stehn, bis er umfiel. Und da sie mir dazumal mit Nähen fleißig beigestanden ist, so hat sie immer eine Nadel in der Hand gehabt, mit der hat sie den Wastl gestochen und dann das Blut mit ihren Lippen aufgesogen.

Und ob sie ihn schon immer einen dummen Buben geheißen hat, so konnt sie doch keinen Tag ohne ihn sein, und wenn er mal nicht kam, so blieb sie im Bett liegen bis Mittag und sagt: ›Ich mag nichts nähen, ich mag nichts essen. Wo bleibt der dumme Bub, der Wastl?‹

Und über eine Zeit, so habens die beiden schon schlimmer getrieben, aber ich hab ein Auge zugedrückt, weil ich die Laura so lieb hatte und die andern Mädel treibens ja auch nicht besser. Nur dass sie so gar keine Scham gehabt hat, wo sich doch sonst die Mädchen nicht genug tun können, mit Heimlichkeit und in den Schoß gucken und 's Licht ausblasen und was derlei Schamhaftigkeiten mehr sind. Die Laura aber hat mir nicht Ruh gelassen, bis ich noch hereinkam, wenn sie den langen Buben da auf ihrer Bettstatt liegen hatt. Und das erste Mal hab ich nicht gemocht. Das andre Mal bin ich in der Tür gestanden und hab gelacht. Und zuletzt musst ich ganz herein und mich auf den Stuhl am Bett setzen, und die Laura stützt ihren Ellbogen auf mein Knie und mit der andern Hand streichelt sie ihrem Wastl das rote Haar und sagt: ›Mutter Milly, erzähl uns was Schönes.‹ 32

Und so wunderlich michs ankam, so hab ich den beiden Geschichten erzählt, wie zwei kleinen Kindern. Und dann hat die Laura schelmisch gelacht und gesagt: ›Mutter Milly ich hab Durst, bring mir ein klares Wasser‹, und da bin ich hinausgegangen, hab aber erst ein Weilchen gewartet eh ich mit dem Wasser wiedergekommen bin.

Und so wärs denn auch leidlich weitergegangen, aber der Herr Gendarm ist seinem Sohn auf die Spur gekommen. Und weil der Bub faul war in seinem Handwerk (er war bei einem Spengler in der Lehre) und oft um der Laura willen den ganzen Tag ausblieb, so mochte der Alte ihm keine Entschuldigung mehr für den Meister schreiben und ließ ihn nicht mehr zu uns herauf.

Da ist die Laura erst zwei Tag lang mäuschenstill im Bett gelegen, am dritten ist sie in die Küche gekommen und hat meine Mietzkatze gestreichelt und geplagt, und am andern Abend hat sie ihren Hut aufgesetzt, den sie von meinem seligen Mann zur Kommunion gekriegt hat, ein schönes Stück mit Kirschen drauf, und ist auf die Gasse gegangen. Und spät ist sie wieder gekommen und war nicht allein. Da hats mich geschauert und ich bin ihr nicht an die Tür entgegen wie sonst, bin in meiner Küche sitzen geblieben und hab still geweint. Wie ich so sitz, hör ich mit einmal ihre helle Stimme: ›Mutter Milly, ich hab Durst, bring mir ein klares Wasser.‹

Ich hab gezittert vor Schreck, aber was das Kind anschaffte, musste man tun. Und so kam ich mit dem Wasser an die Tür und da ist es mir aus den Händen gefallen. Kommt die Laura heraus, ach was war sie hold anzuschauen in ihrem hellen Haar und blanken Hemd. ›Mutter Milly, was verschrickst du dich?‹ sagt sie. Und nun wo sie vor mir stand, war auch mein Schreck vorbei.

Am andern Morgen aber wollt ich ihr ins Gewissen reden und sagt ihr so ein wenig, was sie tat. Da gab sie mir ein großes Goldstück und sagte: ›Das hat mir einer geschenkt, den ich lieb hatte. Ich glaub, ich hab viele lieb, und wenn mir jeder was schenkt, so haben wir beide, du und ich, keine Not. Und wenn der Wastl nicht dabei ist, kann ich nicht nähen und was du unter deiner Brille zusammennähst, das reicht nicht aus.‹

Und ich sagt ihr darauf, dass sie so nie einen Mann zur Ehe bekäme und dass alle sie schelten und schief ansehen würden und nimmer mit ihr reden. Sagt die Laura wieder: ›Ansprach brauch ich keine, außer wer mich lieb hat. Und Männer möcht ich viel und nicht einen zur 33 Ehe, und ich bin besser gemacht zum Liebhaben als zum Nähen und wenn der Wastl nicht da ist, kann ich doch nicht nähen . . .‹, und so gings immer fort.

Und so ists gekommen, dass die Witwe eines rechtschaffenen Mannes, wenn mans recht besieht, die Magd einer Hure geworden ist. Ich hab wohl noch an meinem Küchentisch genäht, aber wenns dann schellte, so musst ich aufmachen und Bescheid geben, ob das Fräulein zu Haus wär. Und das Fräulein hat auf dem Bett gelegen und mit der Katz gespielt. Das ganze Zimmer war voll Blumen, davon konnt sie nie genug haben, ob ich ihr schon oft gesagt habe, dass in so einer Kammer Blumenduft gefährlich ist auf die Nacht.

Ich hab mich auch oft gewundert, dass sie keine Zeitlang nach der Arbeit gehabt hat. Sie hat sich nicht einmal ihre Wäsch genäht und wenn sie eine Nadel in der Hand hat, näht sie damit bunte Blumen auf seidene Tücher. Aber ohne allen Nutzen. Sie hat nie einen seidenen Rock gehabt oder wie sonst die schlechten Mädchen seidene Jupon und seidene Wäsch. Ging immer in Leinen und Kattun.

Und bei all der Sünde ist sie von Tag zu Tag lieblicher geworden. Und so ists wohl auch gekommen, dass ein so feiner Herr, wie Sie, junger Herr, dem armen Ding nachgegangen sind. Und dazumal glaubt ich schon, das Kind hätt ein Glück gemacht. Wie sie erzählte, dass Sie gut mit ihr waren, hab ich ihr zugesprochen: ›Schreib ihm, Laura, geh nicht mehr auf die Gasse. Es ist ein junger Herr noch, er wird sich zu dir halten und acht auf dich haben.‹

Und sie hört ganz still zu und sagt: ›Wenn du meinst, Mutter Milly, ich wills einmal probieren‹, und ist wieder ein paar Tage im Bett und bei der Katz geblieben. Zum Schreiben konnt ich sie aber nicht bringen, hab oft den Bogen parat gemacht, aber sie hat nur auf das blanke Papier geweint. Und wie nun einmal auf dieser Welt alles anders geht als man meinen sollt, so ward die Laura grad in diesen Tagen matt und blass, dass ich erst meint, sie war in der Hoffnung. – ›Nein, das wärs nicht‹, sagt sie, ›aber es gäb einen Buben mit rotem Haar und dummen Augen, der läg ihr wieder im Sinn.‹ Und wie sie dann einmal dem Wastl, der nach allerlei Gesellreisen heimkam, begegnet ist, hat sie ihn heimlich heraufgeholt und in aller Herrgottsfrühe wieder hinuntergeschickt, dass es keiner merkt.

Aber ich hab einen leisen Schlaf und habs wohl gemerkt, und bin mit meiner Kerze – so dunkel wars noch – zu ihr gekommen und hab 34 ihr die Höll heiß gemacht, dass sies jetzt wo sie einen schönen Herrn haben könnt, mit Spenglerbuben hielt. Aber die Laura hat immer nur mit den Fingern ihr helles Haar gestrählt und geweint und gesagt: ›Wenns das wär, wenns nur das wär, aber es ist viel schlimmer.‹

›Was möchtst denn, Kind‹, fragt ich. – Da hat sie seltsam gelacht und wie eine Hexe ausgeschaut. ›Ich möcht wohl dies und das und allerlei. Und den Hut möcht ich aufsetzen mit den roten Kirschen und Gassi-Gassi gehen.‹

Und danach hat sie wieder gelacht und hatte rote Wangen. Mich aber hats traurig gemacht, das neue Glück. Zumal sie nun oft mindere Leute heraufgebracht hat. Und ich hatte Not, das Treiben vor den Nachbarn zu verbergen. Da waren oft Bursche bei ihr, die haben ihr nicht einmal was zahlen können. ›Schenkst du mir nichts, schenk ich dir was‹, hat dann die Laura gesagt und hat mit dem Geld geklappert.

Und gesungen hat sie den ganzen Tag und nicht ein Lied rechtschaffen zu Ende, sondern vielerlei durcheinander. Und auf die Weise von frommen katholischen Gesängen hat sie Gassenlieder gesungen.

Und dazumal ist sie des Abends oft in die Johanneskapelle hinüber gelaufen und wie ich fragt, ob sie denn mit einmal fromm geworden war, sagt sie: ›Ich bet zur Herzliebsten Mutter Gottes dass sie mir einen schickt, der so lieb haben kann wie ich lieb hab, und manchmal mein ich, es müsst ein Engel vom Himmel sein; ich wollt ihn auch so besonders karessieren, dass ihm sein Himmel verging.‹

 

Es ist aber kein Engel vom Himmel herabgestiegen, vielmehr ist eines Morgens der Herr Gendarm heraufgekommen. Mag sein, dass sein Bub es ihm aus Eifersucht gesteckt hat. Der sagt: Er wüsst zwar nichts Gewisses, was die ledige Laura Wunderl trieb, aber wenn er ihr auf die Spur käm, so sollts ihr schlecht gehn. Das gäbs fein nicht, den außerehelichen Firlefanz. Da brauchts einen Schein von der Polizei.

Darauf sagt das törichte Kind, er sollt ihr doch so einen Schein schreiben, wenns den brauchte, und was es kostet. Und darauf der Herr Gendarm, sie sollt acht geben, dass sie nicht eines schönes Tages eingefangen würd und ins Gefängnis hinten am Girgl käm. Und damit schmiss er die Tür ins Schloss.

Und bald darauf wars, dass Sie, junger Herr, die Laura wieder getroffen haben, und haben sie zu sich genommen, wo auch ihre Herren Freunde waren. Und es war lieb, dass sie ihr noch Bücher mitgegeben 35 haben zum Lesen. Da sind sie, ich hab sie zusammengepackt. Sie selbst hat zwar nicht darin gelesen, aber mir hat sie sie in die Küche gegeben, und da ist mir manchen Abend die lange Zeit kurz geworden. Manchmal hab ich ihr auch daraus erzählt. Denn die Laura sagt immer: ›Geschichten kann ich nicht lesen. Geschichten muss einer erzählen.‹

Aber anstatt, dass sie dann schrieb und wieder zu Ihnen kam, lauert sie immer, ob sie nicht dem Wastl begegnet. ›Was willst denn mit dem Schandbuben‹, fragt ich. ›Ei, ich meine er ist eifersüchtig und bös auf mich. Das ist gut: da lernt er am Ende so lieb haben wie ich lieb hab.‹

Der Wastl aber wich ihr dazumal überall aus und lief andern Mädchen nach. Das sagte mir seine eigne Mutter. Doch einmal hat ihn die Laura erwischt und gleich heraufgeholt. Am Nachmittag wars. Ich saß in der Küche und mir ahnte nichts Gutes.

Mit eins hör ich auch schon den schweren Schritt des Herrn Gendarmen die Stiege herauf. Ich lauf an der Laura ihre Tür und ruf: ›Kind, Kind, tu den Wastl in den Schrank, geschwind, der Herr Gendarm kommt.‹ Antwortet das unvernünftige Kind: ›Das geht nicht, das geht nicht gut, Mutter Milly‹, und lacht aus voller Kehle. Und es schellt und es pocht und der Herr Gendarm kommt herein und ich hör, wie in der Kammer der Bub fort will, sich verstecken. ›Bleib, bleib, mein Schatz‹, ruft die Laura und ob er schon viel stärker war wie das zarte Kind, so hat sie ihn doch gehalten, ich weiß nicht wie, und hat nicht abgelassen, bis der Herr Gendarm vor ihr stand und fragte: ›Sind Sie die außereheliche Wunderl?‹

 

Und so ist sie ins Gefängnis gekommen; und wie es ihr da erging, das hat sie Ihnen geschrieben, wo Sie dann so lieb waren, junger Herr, und haben ihr Geld und gute Grüße geschickt.

Aber denken Sie nur, das Kind war mit einem Mal krank und bös krank. Und es muss der Schandbub der Wastl daran schuld sein. Das hat auch der Herr Doktor gemeint im Spital, wo sie sie dann hingebracht haben, als es schlimmer mit ihr war.

Und da haben sie mich hingeholt; und die Laura hat mir ihre Hand heraufgereicht aus dem Bett und gebeten: ›Mutter Milly erzähl mir was‹, und ganz hell war ihre Stimme geworden. Hätt man die Augen zu gehabt, man hätt gemeint, es wär ein kleines Kind. 36

 

Den andern Tag lag sie im Fieber und war über alle Maßen munter, aber der Herr Doktor meinte, das war nicht recht und keine Natur, und hatte Sorge, weil sie so ein heiß Herz hat.

Was kuriose Dinge hat das Kind geredet als: ›Ich hab ein buntes Blut und wenns hervorkommt, ist es weiß. Weiße Blumen hab ich auf meinem roten Mund‹ und ›die herzlichste Mutter Gottes hat einen blauen Stift genommen und mich angemalt. Bis ich in den Himmel komm, bin ich durchsichtig und schimmerig wie Kristall. Die Engel im Himmel sind alle licht wie Kristall.‹ Und einmal als sie ein wenig Schmerz hatte, sagt sie: ›Sieben Schwerter im Herzen, ihr Herren, das tut gut. Ich wollt es wären sieben mal sieben.‹

 

Wie ich nun gestern bei ihr war, sind Herren da gewesen vom Gericht und haben mich befragt, von wegen der Laura ihrem unmündigen Lebenswandel, und dann haben sie gesagt, sowie sie auf könnt, müsst sie ins Arbeitshaus.

Da war nicht zu helfen, obwohl der Herr Doktor gemeint hat, für den Lebenswandel, für den könnt sie nicht, der käm von einem Nymphenwahn oder wie ers geheißen hat.

Dawider gäbs nur strenge Zucht, meinten drauf die Herren, und ich dürft sie schon ab und an besuchen, aber keine Mannsleut und kein Herrenbesuch.

 

Wie wir dann wieder allein waren, fragt ich die Laura, ob ich dem jungen Herrn nicht noch einen Gruß und ein gutes Wort von ihr bringen sollt. ›Was hilft das Grüßen und das Reden‹, sagt sie drauf: ›Sie saßen um mich herum, die drei selbigen, und haben auf mich geschaut und gewartet, dass was kam, aber ich könnt ihnen nicht helfen, es geschieht nichts. Die liebe Liebe, sie schickt wohl allerlei Boten, aber sie kommt nicht zu uns. Ich hab auch lange genug gewartet und konnts nicht rufen . . .‹

Und so hat sie fortgesprochen, das irre Kind. Und keinen bessern Bescheid kann ich Ihnen auch nicht geben, junger Herr.«

 

Das ist das Letzte was ich von der Laura Wunderl erfahren habe.

Von der Mutter Milly aber bekam ich ein paar Wochen später einen Brief: Es wohnte jetzt eine neue bei ihr, eine Kellnerin außer Stellung, und wenns mich interessierte, so sollt ich doch einmal herankommen. 37



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