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Pastor Schirrmacher hatte seine Nachmittagspfeife ausgeraucht. Er klopfte sorglich den Porzellankopf aus, ließ das lange Weichselrohr trocken laufen, prüfte Schlauch und Mundstück und brachte sie endlich, frisch zusammengeschraubt, im Pfeifenregal unter. Dann tauschte er sein Hausgewand mit dem langen Gehrock, nahm Hut und Überzieher, öffnete die Fenster seines Studierzimmers und verließ das Haus, nachdem er seiner Wirtschafterin eine Weisung hinterlassen hatte.
»Ich gehe zu Werkmeister Kölsch«, hatte er gesagt.
Er traf den Werkmeister nicht daheim. Er hatte es an einem Wochentag auch nicht anders erwartet. Einer Aufforderung der Tochter, näher zu treten, folgte er wie einer, der ein gutes Anrecht hat, sich in den Häusern seiner Gemeinde daheim zu fühlen.
»Du hältst aber blitzblanke Ordnung, mein liebes Kind«, begann er erfreut und blickte prüfend von der schlichten Wohnungseinrichtung, die als Glanzstück einen hohen Mahagonibücherschrank aufwies, auf das frische Mädchen. Er war es gewohnt, seine früheren Konfirmandenkinder durch ihr ganzes Leben weiter zu duzen.
»Vater sieht darauf, Herr Pastor. Es muß alles sein, wie es bei der Mutter war.«
»Deine Mutter war eine brave und gottesfürchtige Frau. Nun ist sie im Himmel und sieht auf dich hinab, mein Kind. Du wirst der Gottseligen nur Freude bereiten.«
Anna Kölsch antwortete nichts. Sie blickte über den Pastor hinweg, der in Vaters Sessel Platz genommen hatte, auf ein Bild an der Wand, das Bild einer blassen, arbeitsmüden Frau. Sie sahen sich ähnlich, Mutter und Tochter. Dieselbe schlanke Gestalt, nur von der Tochter aufrecht und biegsam gehalten, dasselbe schwere Blondhaar, nur daß es sich bei der Tochter in dicken Zöpfen um die freie breite Stirn legte. Und was dort arbeitsmüde war, war hier arbeitheischend.
»Wie lange ist es nun her, daß ich dich konfirmiert habe? Warte – vier Jahre zu Ostern. Da mußt du jetzt schon achtzehn zählen. Also eine Jungfrau, die wohl gar schon an der Aussteuer näht ...«
»Och nein, Herr Pastor.«
»Das sagt ihr alle. Und wenn der erste anhält, sind alle Kasten voll Weißzeug, gesteppt und gestickt. Laß dich mal ansehen. Siehst du, da wirst du rot.«
»Ich werd' nur rot, weil Sie solche Sachen sprechen, Herr Pastor«, lachte das junge Mädchen und überließ ihm ihre Hände.
»Ich –? Ja, weshalb denn nicht ich? Das sind doch heilige Sachen.«
»Ich mein' nur«, sagte sie stockend, »weil – weil –«
»Weil –?«
»Weil Sie doch selber Junggeselle geblieben sind«, platzte sie heraus und wurde über und über rot.
Pastor Schirrmacher hustete. Seine Augen schlossen sich. Dann hatte er seine Züge wieder in der Gewalt.
»Nimm an, ich wäre zu wählerisch gewesen und dafür bestraft worden. Man soll nicht wählerisch sein. Ehen werden im Himmel geschlossen.«
»Ich hab' noch so viel Zeit«, lenkte das Mädchen schüchtern ab.
»Man soll sie als Vorbereitungszeit betrachten, mein Kind. Denke an das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen. Als der Bräutigam kam, gingen die, welche bereit waren, mit ihm hinein zur Hochzeit; und die Tür ward verschlossen.«
»Aber ich denke wirklich nicht an Hochzeit, Herr Pastor. Mich will keiner. Und wenn auch.«
»Und wenn auch? Also doch einer im Hintergrund.«
»Das war nur so dahingesagt, Herr Pastor.«
»Na, na, na! Kenn' ich ihn wenigstens? Ich nehme an, daß er ein ernster, christlich gesinnter Mann ist und keiner von den Lauen im Tal. Laß mich einmal raten.«
»Herr Pastor, ich lauf' weg.«
»Siehst du, da meldet sich das Gewissen.«
»Sicher nicht«, beteuerte sie. »Sie machen mich nur so verwirrt.«
»Das ist das beste Zeichen. Kennst du ihn schon lange? Seit der Kindheit?«
»Aber ich weiß ja gar nicht – –«
»Laß sehen, wer käme da in Betracht? Hm ... Die Freunde deines Bruders Ernst – die – – Wiskottens?«
»Die Wiskottens?« rief das Mädchen bestürzt.
»Das ist doch kein Grund zum Erschrecken. Aber nein, mein liebes Kind. Ich billige deine Wahl. Ich selber wüßte dir keinen besseren Mann zu nennen als August Wiskotten.«
»Den Herrn August?« – Und nun schmetterte sie ein so fröhliches Lachen heraus, daß der Kanarienvogel im Bauer den Ton als Signal nahm und aus rastlos jubelnder Kehle einstimmte.
Pastor Schirrmacher zog die Augenbrauen hoch. Auf diesen Erfolg seiner Diplomatie war er nicht vorbereitet gewesen. Was er erwartet hatte, war eine glückselige Überraschung, ein scheues, ungläubiges Zurückweichen des Mädchens, als fühle es sich nicht würdig dieses Mannes, und ein dankbares, hoffnungsfreudiges Vorwärtstasten, ob die Botschaft wahr sei. Und statt dessen: ein ausgelassenes, kindisches Lachen! Pastor Schirrmacher fühlte, daß seine Kenntnisse eines Mädchenherzens auf schwachen Füßen stünden, daß es etwas andres sei um die Ermahnung zum himmlischen Seelenbräutigam und um das Freiwerben für einen Ehelustigen des Wuppertals. Der alte Junggeselle wurde ärgerlich. Er räusperte sich mißbilligend.
»Das ist wohl nicht die rechte Art, die Werbung eines ernsten Mannes aufzunehmen«, sagte er verweisend.
Da brach das Lachen ab, als wäre es mitten durchgebrochen. Ein Stuhl knackte in der Stille ... Dann wiederholte Anna Kölsch langsam: »Die – Werbung – –?«
Pastor Schirrmacher wurde es schwül unter dem klaren Mädchenblick. Eine kindliche Verlegenheit überkam ihn. Er war wohl zu weit gegangen? Er hatte August Wiskotten am Sonntag nach der Kirche nur versprochen, einmal zu sondieren, für ihn ›aufzuklären‹. Und nun hatte er sich von seinem Ärger über das unverständige Ding hinreißen lassen. Das war ihm mehr als peinlich. Er dachte an seine Armen und Kranken, die von ihm Rat und Hilfe verlangten. Hier verlangte man beides nicht.
»Wenn ich ›Werbung‹ sagte, mein Kind, so meinte ich damit, daß es doch sehr wohl möglich sei, daß August Wiskotten diesen Gedanken fassen könnte. Hast du irgend etwas gegen ihn einzuwenden? Als ich zuerst im Scherz nach den jungen Wiskottens fragte, da fuhrst du doch bestürzt zusammen?«
»Nein, Herr Pastor – nein, nein – –«
»Ich hab's doch gesehen. Du mußt deinem alten Seelsorger, der dich an den Tisch des Herrn geführt hat, doch nichts vormachen. Solltest du etwa mit einem andern der jungen Wiskottens – –«
»Nein, Herr Pastor. Wahr und wahrhaftig nicht. Ich hab' nichts. Mit keinem.«
»Das wäre auch eine große Verirrung gewesen. Eine echte christliche Ehe wird nicht auf Augenliebe gegründet, sondern auf dem positiven gemeinsamen Glauben an unsern Herrn und Heiland. Steht doch schon in den Sprüchen Salomos: ›Lieblich und schön sein ist nichts; ein Weib, das den Herrn fürchtet, soll man loben!‹«
Das Mädchen schwieg und nagte an der Unterlippe. Dann hob es den Kopf und sagte aufatmend, als ob ihm eine Erlösung gekommen wäre: »Meine Eltern haben aus Liebe geheiratet.« Das klang so schlicht und stark, daß Pastor Schirrmacher stutzte.
»Mein liebes Kind – wer will denn etwas andres von dir? Aber die Liebe auf einen würdigen Gegenstand richten, das ist Christenpflicht. Und August Wiskotten –«
»Ich mag ihn nicht«, sagte sie kurz.
»Nun, nun«, beschwichtigte er, »schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort. Du wirst dich prüfen.«
»Ach –«, machte sie, »prüfen – –! Vater sagt immer: Das kommt und ist da. Da hilft kein Wehren.«
»Ja, wenn du Vater mehr glaubst als deinem alten Seelsorger –«
Da lachte das junge Mädchen wieder im alten Übermut.
»Aber Herr Pastor, Vater muß es doch wissen! Der ist doch nicht Junggeselle geblieben.«
Pastor Schirrmacher erhob sich. Seine buschigen Augenbrauen zogen einen Halbkreis. Er nahm seinen Hut und verabschiedete sich.
»Grüße deinen Vater. Wenn deine Zeit da ist, werde ich mit ihm sprechen. Vorläufig hast du recht. Du bist wirklich noch zu jung dazu. Adieu, mein Kind, und vergiß nicht, daß wir uns immerzu, bei Tag und bei der Nacht, prüfen sollen.«
Er war gegangen, und Anna Kölsch kehrte ins Zimmer zurück. Erst horchte sie auf die kurzen feierlichen Schritte, die sich vom Haus entfernten. Dann tanzte sie mit dem Temperament ihrer achtzehn Jahre vor das Vogelbauer.
»Hast du gehört, Hänschen? Der Herr August! Ist das nicht zum Schreien? Dreißig Jahr' ist er, und keinen Schnurrbart hat er! Einen Schnurrbart, einen ganz kleinen, hat selbst der dumme Jung', der Ewald! Hänschen, Hänschen!«
Der Kanarienvogel tirilierte wie verrückt, und das junge Mädchen warf sich atemlos in Vaters Sessel und begann plötzlich, ohne Ursache, aus Leibeskräften zu weinen ... Unaufhaltsam strömten die Tränen über das junge frische Gesicht. Dann ließ das wilde Kinderschluchzen nach ... ein vereinzeltes Schlucksen folgte, und sie setzte sich aufrecht, schämte sich vor sich selber, wischte mit dem Taschentuch die letzten Tränenspuren fort und putzte sich energisch die Nase.
»Wie dumm«, murmelte sie dabei, »wie furchtbar dumm ...« – –
Als der Werkmeister Kölsch am Abend aus der Fabrik heimkam, war der Tisch gedeckt, und der Kaffee brodelte nach bergischer Sitte zum Abendtrunk. Nachher erst wurde die Bierkanne gefüllt. So war die patriarchalische Vorschrift. Kölsch küßte sein Mädchen und sah ihm in die Augen.
»Na? Du machst ja gar keinen Radau? War jemand hier?«
»Nur der Pastor.«
»So, so. Wollte er was Besonderes?«
»Er läßt dich grüßen, Vatter.«
»Danke«, sagte Kölsch trocken, ließ sich von seinem Mädel die schweren Stiefel ausziehen, das gestrickte braune Hauskamisol und die geblümten Pantoffeln reichen und setzte sich behaglich an den Abendtisch. Anna strich ihm die Butterbrote und belegte sie dicht mit Wurst und Schinkenscheiben.
»Nicht so üppig, Anna.«
»Wer arbeitet, der muß auch essen. Das ist meine Sorge.«
»Ich steh' wohl unter Vormundschaft, du Nixnutz?«
»Hast du das bei Mutter nicht getan? Jeder befiehlt da, wo er am Platze ist. Du in der Fabrik, ich bei Tisch.«
Kölsch strich sich schmunzelnd den grauen Vollbart. Dann aß er schweigend und mit starkem Appetit. Während der Mahlzeit zu reden, war nicht Landesbrauch. Erst als er den letzten Schluck Kaffee ausgetrunken hatte und sein Mädel ihm den Bierkrug zurechtrückte, begann er von der Fabrik zu reden.
»Der Gustav! Donnerwetter noch mal, der Gustav Wiskotten! Der geborene Feldherr. Kaum hat er Hand auf das neue Terrain gelegt, da ist auch schon der Mobilmachungsplan heraus. Alles auf dem Papier vorbereitet, bis auf den letzten Mauerstein. Zeichnungen, Konstruktionen, Berechnungen – alles! Heute haben die Erdarbeiter schon angefangen auszuschachten. Ein Leben, sag' ich dir! Und alle Wiskottens ruhig auf ihrem Posten. Doch Kerls, die Jungens! Selbst der Duckmäuser, der August, weiß ganz genau, was er will.«
»Der – August?«
»Ja. Der August. Weshalb?«
»Och, ich – – Hier ist die Zeitung, Vatter!«
Der Werkmeister breitete das Blatt unter der Lampe aus und beugte den Kopf über den kleinen Druck. Anna saß ihm am abgeräumten Tisch gegenüber und blickte von ihrer Handarbeit verstohlen nach ihm. Die Lampe surrte leise, und der Kanarienvogel piepte im Traum.
»Du sprichst ja gar nicht, Kind.«
»Ich wollt' dich nicht stören.«
»Ach wat, die dumme Zeitung. Die läuft mir nich weg. Hast du Verdrießlichkeiten gehabt?«
»Weshalb soll ich denn?«
»Mach mal keine Ausflüchte. Du bist nicht wie sonst. Hast ja auf einmal den Mund verloren. Du? Der Pastor war hier. Hast du 'ne Strafpredigt bekommen?«
»Ach laß ihn doch ...«
»Nee, ich laß ihn nich. Allen Respekt vor Pastor Schirrmacher. Die Gemeinde kann stolz auf ihn sein, und für die Armen und Kranken gibt er den letzten Groschen her. Denen ist er wie ein Vater. Aber et is nu mal seine Art, den Vater auch in andern Häusern zu spielen und in den intimsten Familienangelegenheiten mitzuberaten, als wären't die seinen. Dat mag ich nich leiden. Dafür bin bei uns ich da. Na, mal 'raus damit: Hat er auf Ernst gescholten?!«
Das junge Mädchen blickte auf die Arbeit, die in ihrem Schoß ruhte. »Er hat gar nicht nach Ernst gefragt ...«
»Ja, wat in aller Welt kann er denn haben?«
»Vater!«
»Sapperlot, Mädel!« Der Alte hielt sein Kind, das sich ihm mit jäher Bewegung an den Hals geworfen hatte, fest in den Armen. Er setzte sie auf seine Knie. Er streichelte ihr das Haar und versuchte ihr Gesicht, das sie gegen seine Brust gedrückt hatte, zu sich aufzurichten. »Ruhe! Ruhe! Wat is passiert?«
»Du – – och sag du – ich brauch' doch – ich brauch' doch nicht –«
»Wat denn nur, Kind –?«
»Ich brauch' doch nicht – den Herrn August zu heiraten – –?«
Der Alte ließ so rasch sein Mädel fahren, daß es fast hingefallen wäre. Er warf sich in den Sessel zurück und lachte schallend, unaufhörlich gegen die Zimmerdecke. Verdutzt blickte Anna auf ihn hin. Dann hatte sie verstanden. Den Arm um seinen Hals gelegt, lachte sie fröhlich mit.
»Wer hat denn dat Stücksken ausgeheckt? Dat is nich schlecht. Dat is wahrhaftig nich schlecht.«
»Der Pastor wollte mich hintenherum fragen. Aber er fragte sehr vorneherum.«
»Nich möglich!« staunte der Werkmeister.
»Wohl, Vater, das geht doch gar nicht? Wir passen doch auch gar nicht zusammen? Der Herr August, der muß doch eine sanfte, vornehme Frau haben, die immer seiner Meinung ist, wie sich das für so fromme Leute schickt. Und ich – wenn ich mal heirate, muß ich nur immer für meinen Mann sorgen dürfen, und er hat gar nix hineinzureden und sich das so ganz wohlig knurrend gefallen zu lassen. So wie du, Vater! Ach Gott, was sind das für Dummheiten ...«
Kölsch stand auf. Er nahm den Kopf seines Mädels in die breiten Hände und sah ihr ernst in die hellen Augen.
»Du –!« sagte er, »ein Wiskottenscher Antrag – mein Mädel eine Wiskottensche – so was kommt nur einmal.«
»Och, Vater«, wies sie hastig ab, »so rar sind doch die Wiskottens nicht. Es sind ja ganze fünf von ihnen zu haben.«
»Du Aff' du! Sie werden sich um dich reißen!« Und er fuhr ihr mit der breiten Handfläche liebkosend über das heiße Gesicht. Dann saßen sie nebeneinander und sprachen von ihrem Ernst im nahen Düsseldorf.
»Wenn der Jung' so selten malt, wie er Briefe schreibt, kann er gut werden.«
»Ich glaub' wirklich, er arbeitet schrecklich viel. Er hat die Woche wieder nicht die Wäsche geschickt.«
»Bummeln wird er«, grollte der Alte. »Wenn der mir nur kein verkommen Genie wird.«
»Na, Vatter, das glaubst du doch selber nicht. Ihm wird nur alles so leicht. Deshalb läßt er sich gehen. Ich werde mal wieder nach Düsseldorf reisen müssen, um nach dem Rechten zu sehen. Vor mir schämt er sich nämlich fürchterlich.«
Der Alte nickte. Daß der Vagabund von Jung' sich vor dem heiteren keuschen Ding da, seiner Schwester, in Grund und Boden schämte, wenn sie ihn unter seinen Kumpanen überfiel, das verstand er.
»Gut, fahr hin«, sagte er, »aber mach's ihm nicht bequem.«
Dann wünschten sie sich gute Nacht. Doch dem Werkmeister wurde es in dieser Nacht schwer, einzuschlafen. Die Geschichte mit dem Herrn August und seiner Anna war ihm doch näher gegangen, als er dem Mädel zeigen wollte. Wenn nun der August darauf bestand? Wie hatte doch der Herr Gustav ihn, den Werkmeister der Wiskottens, genannt? Hagen hatte er ihn genannt. Hagen – – das war der, der unwandelbar treu zu seinem Herrn stand. Mit einem tiefen Seufzer schlief er endlich ein.
Als er erwachte, war auch der Gedanke der Nacht mit ihm lebendig geworden. Nachdenklich saß er beim Kaffeetisch, und ganz heimlich beobachtete er sein Kind. Ihr Anblick tat ihm heute weh.
Da erhob er sich schnell, um in die Fabrik zu gehen. Er mußte mit Gustav Wiskotten sprechen.
Gustav Wiskotten war jetzt schon des Morgens um Sechs in der Fabrik zu finden. Wenn die ersten Spaten und Spitzhacken erklangen, die den Grund aufwühlten, und kreischend die ersten Schubkarren über die Bretterstege gedrückt wurden, kam er aus dem Haus und begab sich an die Wupper. Der schwarze Fluß, der sich trüb und übelriechend über die eingebauten Wehre stürzte, erschien ihm wie eine kraftstrotzende Lebensader. Er war sein Freund, sein Jugendgespiel und sein Kampfgenosse, und er nickte ihm zu. Dann stand er neben dem Schachtmeister, um mit ihm den Grund zu prüfen, verhandelte mit dem Bauführer wegen der notwendigen Betonarbeiten, untersuchte die Zufuhren an Kalk, Sand und Kies auf ihre Güte und die ersten Sendungen Ziegelsteine. Zwischendurch schritt er durch Fabrik und Färberei, dort mit den Bandwirkermeistern die eiligen Artikel besprechend, hier mit seinem Bruder Fritz am Färberbottich die ›Couleuren‹ vergleichend. Zur Postzeit erschien er auf dem Privatkontor, las mit August die Briefeingänge und vergewisserte sich durch einen scharfen Blick, daß Paul nicht über dem Hauptbuch träume, ließ sich von Wilhelm über das englische Geschäft unterrichten und begrüßte die Mutter unter ihren Haspelmädchen. In den Vesperpausen gönnte er sich zu seiner Erholung einen Gang durch den funkelnden Maschinenraum und den anstoßenden, immer zitternden Transmissionssaal. Wenn die Kolben ihm entgegensprangen und die breiten Riemen ihm entgegenzusausen schienen, lachte er behaglich in sich hinein. »Geduld, Geduld! Ihr sollt schon schwitzen!« Und wieder stand er, unermüdlich, auf dem Bauland der dampfenden, speienden Färberei.
Werkmeister Kölsch war ihm wohl ein dutzendmal am Morgen begegnet. Aber jedesmal, wenn er den vielbeschäftigten Fabrikherrn sah, schien es ihm nicht angebracht, ihm den Sinn von der handgreiflichen Arbeit abzulenken. Erst als das Mittagssignal schrill durch die Fabrik pfiff und wie ein fern sich verziehendes Gewitter das Rollen und Sausen ringsumher abschwoll, um in Schweigen zu versinken, hielt er es an der Zeit.
Gustav Wiskotten wandte sich um, als er den Schritt des Werkmeisters hinter sich vernahm.
»Noch hier, Kölsch? Anna wird die Suppe anbrennen lassen, wenn Sie sich nicht sputen.«
»Ich möcht' noch was mit Ihnen besprechen, wenn Sie Zeit haben.«
»Und ob! Herrgott, schauen Sie mal die Buddelei! Da geht einem 's Herz auf in dem Dreck.«
»Herr Wiskotten, gestern nachmittag, wie ich nich zu Haus war, war der Pastor Schirrmacher bei meiner Anna.«
»Na nu? Doch nich auf Freiersfüßen? So 'n alter Junggesell!«
»Er kam auf anderleuts Freiersfüßen.«
»Wat Sie sagen! Wegen der Anna? Kölsch, geben Sie acht, da wird noch manche Leckerschnute kommen. Geben Sie Ihr Prachtmädel nicht unter Preis weg.«
»Der Preis, der geboten wird, scheint mir sogar en bißchen zu hoch.«
»Unsinn. Darauf soll ich Ihnen doch keine Antwort geben? Ich sag' nur: schad, dat ich schon verheiratet bin.« Und er schlug dem Graubart derb auf die Schulter.
»Herr Wiskotten, der Pastor hat vorläufig nur so getan, als wenn er mal freundschaftlich auf den Busch klopfen wollt'. Aber er hat da einen Namen genannt, der – der –«
»Mir können Sie ihn doch sagen, Kölsch.«
Der Werkmeister richtete sich gerade auf und sah seinen jungen Herrn fest an: »Er sprach vom Herrn August.«
Gustav Wiskotten antwortete keine Silbe. Es herrschte ein langes Schweigen zwischen den Männern. Dann sagte der Werkmeister mit einem Anflug von Bitterkeit: »Ich hätt' lieber gesehen, daß Sie lachten, Herr Wiskotten.«
»Kölsch! Sind Sie des Deubels? Ich sollt' Sie auslachen? Kölsch, wenn Sie nich so 'nen langen grauen Bart hätten, würd' ich sagen, Sie sollen sich wat schämen. Wer sind denn die Wiskottens, und wer sind die Kölsch? Ein Schlag! Un passen ineinander wie Hand in Hand. Kölsch, wenn ich vorhin sagte: ›schad', dat ich schon verheiratet bin‹, so war ein gewisser Ernst in dem Scherz. Wer die Anna kriegt – Deubel noch mal – der hat et große Los! Jetzt verstehen Sie wohl, weshalb ich nicht sofort antwortete.«
Kölsch reichte ihm die Hand. »Entschuldigen Sie, Herr Wiskotten.«
»Aber weil Sie sagten, der August! Un durch den Herrn Pastor ... Das is die Sache. So was macht man doch allein ab, wenn man sich sauber im Kollett fühlt. Kölsch, wir beide sind alte Freunde. Wir ziehen doch an demselben Strang und brauchen uns doch, weiß Gott, nix weiszumachen. Also: der August als Geschäftsmann Nummer eins! Aber als Mensch – en kleiner Heimtücker – auf Filzsohlen. Ich möcht' ihn nich heiraten.«
»Die Anna auch nich.«
»Mann!« rief Gustav Wiskotten überrascht. »Ja, wat wollen Sie denn? Dann is ja alles in schönster Ordnung! Hält mich der Kerl 'ne geschlagene Viertelstunde vom Mittagessen ab.«
»Nee, Herr Gustav, in Ordnung ist die Sache für mich nich. Ich bin nu mal mit den Wiskottens so verwachsen, un ich möcht' nich, daß – daß – durch die Geschichte mit der Anna – ein ander Verhältnis aufkäm'! Die Fabrik, die is wie ein Stück von mir.«
»Kölsch, da haben Sie ein wahres Wort gesprochen. Ohne Sie könnt' ich mir den Betrieb gar nich denken. Und den alten Spaß daran müssen Sie behalten. Ich werd' also die Sache sofort in die Hand nehmen. Entweder der August soll Farbe bekennen und das Mädel karessieren, bis er von ihm selber ja oder nein hört, oder er soll sich beim Buchbinder einen gemalten Engel kaufen. Recht so?«
»Recht so.«
»Mahlzeit, Herr Kölsch.«
»Mahlzeit, Herr Wiskotten.«
Gustav Wiskotten schritt, ohne erst in seiner Wohnung Bescheid zu sagen, über die Straße zum Haus seiner Eltern. Er traf sie mit den Jungen zusammen, beim Mittagessen.
»Is wat passiert?« fragte die Mutter erstaunt.
»Nee, ich möcht' nur mal eben den August sprechen.«
»Ja? Was ist denn los?«
»Ich wart', bis du fertig bist. Dann gehen wir wohl in dein Zimmer.«
»Geheimnisse hat et hier noch nie gegeben«, sagte Frau Wiskotten. »Wir haben Gott sei Dank nix zu verstecken.«
»Du kannst ja den August nachher fragen, was ich von ihm gewollt hab', Mutter.«
»Dat wird ja immer netter. Hast du denn wat auf dem Gewissen, August?«
»Ach, Mutter, der Gustav macht sich wohl mal wieder wichtig. Ich hab' nichts mit ihm. Ich brauche kein anderes Zimmer.«
»Also, du willst nicht mit mir herüberkommen, August?«
»Du tust ja bald so, als ob es sich um eine Verschwörung handelte.«
»Weiß ich nich. Kann sich ja finden. Wenn du also meinst, wir sind genügend unter uns, kann ich dich ja fragen, ob du gestern nachmittag Pastor Schirrmacher zu Anna Kölsch geschickt hast.«
»Geht das dich was an?«
»Aber sehr viel geht das mich an. Der Vater is unser Werkmeister.«
»Hab' ich dich gefragt, als du dich um Emilie Scharwächter kümmertest?«
»Aha, da haben wir's ja. Emilie laß gefälligst aus dem Spiel. Das is ein Kapitel, das du damals noch gar nich verstehen konntest, weil du noch zu grün warst.«
»Ich verbitte mir ...!« fuhr August Wiskotten auf. Sein blasses Gesicht war noch weißer geworden.
»Wenn du Skandal machen willst, geh nach Haus und stör uns hier nich beim Mittagessen«, bestimmte Frau Wiskotten, und auch der Alte mahnte: »Gustav – Gustav –!«
»Ich hab' ihm ja gleich gesagt, er soll mit mir in ein ander Zimmer gehen.«
»Ich hab' nicht nötig, mich von dir unter vier Augen einem Verhör unterwerfen zu lassen.«
»Ja, wenn dir dat so lieber is, mir soll's auch recht sein. Also, du willst Anna Kölsch heiraten?«
»Weiß ich nicht!«
»Dat weißt du nicht? Ja, weshalb schickst du dann den Pastor hin, um sie auszukundschaften?«
»Das sind meine Sachen!«
»Nee, August«, sagte Frau Wiskotten energisch, »dat sind nu nich so ohne weiteres deine Sachen. Da hat der Gustav ganz recht. Wat man von einem anständigen Mädchen will, dat muß man wissen.«
»Nun hör mal, August«, lenkte Gustav Wiskotten ein, »wir wollen uns als Brüder nicht streiten. Aber weshalb bist du denn nicht selber zu Anna Kölsch gegangen? Weshalb denn nur den Mittelsmann?«
»Weil ich nicht wollte, daß die Sache gleich einen offiziellen Anstrich bekäme. Erst wollt' ich sehen, ob sich das Mädchen über die Aussicht so freute, daß ich meine Bedingungen stellen könnte.«
»Donnerwetter! Bedingungen?«
»Jawohl: Bedingungen.«
»Darf man die hören?«
»Der alte Kölsch soll sich auf seine Renten zurückziehen. Ich kann doch keinen Schwiegervater haben, der unter mir Werkmeister ist.«
»Bist du verrückt?« brüllte Gustav Wiskotten außer Fassung.
»Nein, ich bin nicht verrückt. Ich wünsche keine verlodderte Disziplin im Betrieb. Das sagt doch genug!«
»Aber seine Sparpfennige, was, die riechen nicht? O du Kirchenlicht! Das is ja zum Katholischwerden!«
»Red nich so sündhaft«, rief Frau Wiskotten zornig.
Wilhelm Wiskotten, der Engländer, strich nervös seine Bartkotletts. Jetzt pochte er mit dem Siegelring auf den Tisch.
»Ich bitte mir etwas mehr Vornehmheit aus. Es ist ja unmöglich, einen gut erzogenen Menschen hierher zu bringen.«
»Das sind nun Leute, die sich zum Offizierkorps zählen«, schnarrte Fritz Wiskotten höhnisch.
Paul Wiskotten saß still. In Ewald wogte es, aber als Jüngster wagte er nicht loszubrechen, denn er sah Gustav in höchster Gereiztheit.
»Ihr steht ihm wohl noch bei? Nur zu, nur zu! Wenn euch die lächerlichen Liebesgedanken des August über die Fabrik gehen, dann können wir ja in einem hin unseren gesunden Menschenverstand bankrott erklären lassen. Die Anna Kölsch ist ein Patentmädel. Die würd' noch ganz andere glücklich machen können als den frommen August. Aber die kommt hier überhaupt nicht mehr in Betracht. Hier kommt nur noch Albert Kölsch in Betracht. Un solang der noch auf zwei Beinen herumkrauchen kann, bleibt der der Werkmeister der Wiskottens! Der ist mir so viel wert wie die halbe Fabrik, und die andere Hälfte, die andere, die bin ich mir wert, wenn's drauf ankommt. Verstanden?«
»Du hast hier nicht allein zu reden!«
»Stehst du allein im Handelsregister oder wir auch?«
»Arbeitst du allein, oder schuften wir nicht ebenso?«
»Jawohl! Tut ihr! Aber ihr habt das ganze Leben vor euch, und mein Leben – meines? Das ist nur die Fabrik!«
Gustav Wiskotten starrte finster geradeaus.
»Kurz und gut, August, du wirst deine Bedingungen fallen lassen.«
»Ich bleib' dabei. Ich weiß, was ich meiner Stellung schuldig bin. Gerade um des lieben Friedens willen.«
»Schön! Dann kann ich dir nur noch sagen, daß Anna Kölsch, wenn du nicht durch den Alten einen Druck ausüben läßt, dich auslachen wird. Und ich, ich werd' sorgen, daß ganz Barmen mitlacht.«
August Wiskotten biß sich auf die Lippen. Einen Moment trat Stille ein. Und in diese Stille tönte aufgeregt die Stimme des Jüngsten: »Und ich tu auch nicht mehr mit! Ich will nicht Theologe werden! Jetzt sag' ich's gerad' heraus!«
»Wat will de Jung nich?« fragte schwerhörig Frau Wiskotten.
»Kein Theologe! Donnerwetter auch!«
Da saß dem Langaufgeschossenen die Hand der Mutter auf der Backe. Stürmisches Gelächter folgte. Schnell nahm Paul den Bruder beim Arm und zog den so plötzlich rabiat Gewordenen hinaus. Der Bann war gebrochen.
»Eigentlich«, sagte die alte Frau knurrend, »sollt' man euch all so traktieren.«
»Na, August«, lachte Gustav, »dann nix für ungut. Die Mutter haut. Komm, gib die Hand. Wir haben mehr zu tun, als uns um en klein Mädchen zu zanken, die dich gar nicht will. Mensch, sei stolz! Du hättst sie ja auch gar nich gebrauchen können, sie is ja viel zu fidel, un ihr Bruder Ernst, der Maler, der is so weltlich, dat er dich nur blamiert hätt'. Siehst du et ein? Na, Gott sei Lob un Dank. Endlich! War en schwer Stück Arbeit. Aber du wirst mir noch danken, daß du den Albert Kölsch hast statt der Anna Kölsch. Donnerkiel, ich hab' ja noch gar nich zu Mittag gegessen – – –«
»O je«, sagte die Mutter, »die Emilie – –«
Mit lachendem Gruß polterte Gustav Wiskotten die Treppe hinunter.
In seinem Hause herrschte eine auffällige Ruhe. Er trat ins Kinderzimmer und fand es leer. Im Eßzimmer lag nur noch ein Gedeck auf dem Tisch. Er klingelte nach dem Mädchen. »Wo ist meine Frau?«
»Frau Wiskotten is in't Schlafzimmer gegangen.«
»Und die Kinder?«
»Sind spielen.«
»Sagen Sie meiner Frau, daß ich hier bin.«
Es verstrichen einige Minuten, bis Emilie Wiskotten erschien. Sie trug einen Morgenrock, der nicht mehr neu war.
»Weshalb hast du mich rufen lassen?«
»Weshalb? Weil ich da bin. Ja, ja, ja, ich hab' mich verspätet. Entschuldige nur. Wenn man so ein Gesicht zu sehen kriegt, bleiben einem die Entschuldigungen in der Kehle stecken.«
»Bemüh dich doch nicht. Ich weiß ja längst, daß deine Mutter vorgeht.«
»Meine Mutter ist eine alte Frau und eine Frau, die den ganzen Rummel zusammengehalten hat. Du darfst schon ruhig mit etwas mehr Respekt von ihr sprechen.«
»Ach, jetzt bin ich auch noch schuld, daß es bei uns so ungemütlich ist. Jetzt drehst du alles wieder herum, nur um deine schlechte Laune an mir auszulassen.«
»Ich drehe gar nichts herum und hab' auch keine schlechte Laune, sondern Hunger. Aber wenn du so weitermachst, wird die schlechte Laune kommen und der Hunger vergehen.«
»Natürlich! Wenn du dich bei deiner Mutter geärgert hast, bin ich gut genug, um es auszubaden. Jetzt mußt du warten, bis die Minna ein Beefsteak gebraten hat. Man kann nicht stundenlang das Essen warm halten.«
»Übertreib doch nicht immer so. Und den Morgenrock hätt'st du auch ausziehen können. Alte Kleider seh' ich bei den Fabrikmädchen genügend.
»Ich bin keine Prinzessin und weiß überhaupt bald nicht mehr, wem ich es recht mache. Ziehe ich im Haus ein gutes Kleid an, so krieg' ich eine Predigt von deiner Mutter: ›Dat war doch früher nich so, als ich im Tal jung geworden bin, un ein Christenmensch soll nich hoffärtig sein‹ und so weiter; und geh' ich mit meinen paar Fähnchen sparsam um und trag' im Haus die alten Sachen bei der Arbeit auf, so kommst du und ziehst ein Gesicht, als ob ich eine Schlampliese sei.«
»Emilie«, sagte Gustav Wiskotten ruhig, »das muß ich dir überlassen. Aber ich meine, eine Frau sollte ihre Freude daran haben, in den paar Stunden, in denen ihr Mann daheim ist, so nett und schmuck zu sein, daß er darüber allen Geschäftsärger vergißt.«
»Du bist aber nie zu Haus. Soll ich mich für mich selber putzen und mich im Staat aufs Sofa setzen?«
»Wenn ich nicht sehr Wichtiges gehabt hätte, hätt' ich dich nicht warten lassen.«
»O ja, ich bin immer unwichtig, und deine Mutter ist immer wichtig. Ich hab's satt, immer hinter den Wiskottens herzurennen.«
»Ich hatte mit August zu reden.«
»Der war doch bis zwölf Uhr in der Fabrik, und um halb drei könnt'st du ihn schon wieder auf dem Kontor treffen. In der Zwischenzeit wird die Fabrik doch nicht bankrott gehen.«
»Es handelte sich nicht um die Fabrik, sondern um eine Privatangelegenheit.«
»Mit deiner Frau konnt'st du die wohl nicht besprechen?«
»Himmelsakra, jetzt reißt mir aber auch die Geduld. Der August hat die Anna Kölsch heiraten wollen. Nu weißt du's.«
»Wen –? Was –? Die Anna Kölsch –? Was hat denn die alberne Person sich an den August zu hängen?«
»Ist ihr nicht im Traum eingefallen. Der August hat sich an sie gehängt!«
»Och, das will die euch jetzt wohl weismachen? Ist wohl schon Zeit dazu?«
»Emilie!« – Gustav Wiskotten schlug auf den Tisch. – »Herrgott, was seid ihr Frauenzimmer für Geschöpfe! Keinen sauberen Faden laßt ihr an einer anderen, wenn's euch in euren verärgerten Kram paßt. Bevor ihr für eine andere Mitleid haben könnt, macht ihr euch lieber selber häßlich. Na ja, das hast du erreicht.«
»Nun willst du mir das dumme Ding wohl noch als Muster aufstellen? Sie hat ja nun den August. Ich freu' mich ja.«
»Nein, sie hat nicht den August. Sie will ihn nicht geschenkt! Wenn sie heiratet, will sie aus Liebe heiraten, um mit ihrem Mann vergnügt zu sein, nicht um Trauerpsalmen zu singen. Das hab' ich dem August auseinandergesetzt, deshalb bin ich drüben gewesen, deshalb hab' ich meine freie Zeit geopfert, damit die Fabrik nicht darunter leidet. So. Nun ist wohl alles klar.«
»Das kannst du mir doch alles ruhiger sagen ...«, weinte Emilie Wiskotten.
»Ruhiger? Ja, hab' ich denn den Streit mit dir angefangen?«
» Ich vielleicht?« weinte sie heftiger. »Ich mach' doch alles falsch. Ich – ich – die Anna Kölsch, die ist gar nicht so dumm, daß sie nicht in die Wiskottens hinein will, die weiß weshalb – und ich – ich wollt' – ach Gott – ich wollt' – –"
»Emilie – –«
Aber sie rannte weinend hinaus. Er sah noch den Morgenrock – dann klappte die Tür zu.
Gustav Wiskotten drückte die Stirn gegen die Fensterscheibe. Er fühlte sich plötzlich müde. Allerlei weiche Bilder höhnten ihn. Dann wandte er sich rasch herum. Das Mädchen hatte das Beefsteak hereingetragen, und er schlang die Bissen hastig hinunter. Zehn Minuten darauf schritt er über den Fabrikhof.
Vor dem Maschinenhaus türmte sich ein Berg Asche. Dort spielten seine Kinder, schwarz wie die Mohren. Er rief sie zu sich her.
»Papa, Papa!« rief der Junge, »ich hab' dir was zu sagen.«
»Wird 'ne nette Dummheit sein.«
»Der Christian hat's gesagt. Dann is es keine Dummheit.«
»Los! Was willst du?«
»Ich weiß jetzt, was ich werden will. Heizer will ich werden.«
»Heizer? Auf einmal?«
»Der Christian hat gesagt, was Höheres gäb' es nich. Wenn er wollt', ständ' die Fabrik still. Er braucht' nur eine Schippe Kohlen nicht aufzuwerfen. Das hätt' er ganz allein in der Hand.«
Aus dem Feuerraum tauchte das Zebragesicht des alten Christian.
»Dat Kroppzeug schnappt einem die Wort' vom Mund weg«, meinte er stolz, als wär' es sein Nachwuchs, und er spuckte kräftig in die Hände, um die schwerbeladene Schaufel zu schwingen. Gustav Wiskotten nickte ihm zu, ließ die verwunderten Kinder stehen und ging nachdenklich den Weg zur Wupper.
»Wahrhaftig«, sagte er vor sich hin, »so ein Heizer hat's gut ...«
Die schwarze Wupper gurgelte vor ihm auf. »Tätig, tätig!«
›Ja‹, dachte er, ›die fängt an der Quelle auch ganz blank und vergnügt an, und eben hat sie Oberwasser, da muß sie auch schon Hammerwerke und Fabriken treiben. Na, was denn? Es kann nicht jeder Arbeitsbach ein strahlender Rhein werden.‹
Er ballte die Fäuste fest und ging mit steifem Nacken zu seinem Neubau. Bei der Färberei sah er Kölsch. Er rief ihm zwei Worte zu. » All right!« – –