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Walperga saß träumerisch am Fenster des letzten Gemaches, dessen Aussicht nach der Moldau und den Inseln hinausging. Sie hatte die Laute im Schoß, die Vertraute ihrer Liebe, ihrer Hoffnungen und Schmerzen. Die Nacht war heiß und schwül. Die Mondessichel stieg hinter den Anhöhen des Belvederes bei Buben empor, sie beleuchtete nur einen Streif des silberblauen Himmels und leichtes Gewölk, das wie flatternde Schleier und Bänder ihrer Bahn folgte. Von Süden her über Königsal zog ein Gewitter auf, die Wolken bildeten eine Riesenwand von der Stromfläche aufwärts bis zum Zenith empor, ihr Widerschein färbte die dumpf brausenden Wogen schwarz, einzelne Blitze zuckten wie Feuerfäden durch den nächtlichen Vorhang und brachen sich in der dunklen Fluth und zitterten wie Irrlichter auf seiner wallenden Fläche. Kaum hörbar murmelte der Donner, er war anzuhören wie das Gebrüll eines Löwen, der im tiefen Hintergrunde seiner Höhle erwacht und sein Dasein verkündigt.
Walperga starrte hinaus in die majestätische Nacht und einer Seherin gleich wechselte sie Worte mit ihr und vertraute ihr ihre Klagen und Wünsche und rief Fragen in sie hinaus und lauschte ihrer Antwort.
»Heilige Nacht, die du umwebst mit Schleiern und Binden die wachende Welt, die du ein räthselhaft Siegel drückst auf das sehende Auge und nur dem inneren Gesicht manchmal geheimnißvolle Deutung gewährst. Gieb mir Antwort, du, die Ruhe ist und Schlaf und Tod und doch ein geheimnißvolles Leben treibt als Ersatz und Springquell des schaffenden Tages: sprechen deine Sterne wahr? Künden sie ein lichteres Dasein, fern vom Erdensein und der ängstigenden Qual jedes erneuernden Augenblickes? Verkündigen sie der gläubigen Seele Gewährung, wie sie der Hoffnung leuchten und dem Vertrauen und die Ahnung herniedersenden in die bekümmerte Seele? Ist's kein falscher Schimmer, der uns emporlockt von den Gräbern und ihren verwelkten Blumen, um uns nichts zu gewähren, als einen trostlosen Hinblick in den endlosen Raum? Ist das Jenseits eine Lüge, wie es die Erde ist, blühen auch dort nur die Blumen, um zu verwelken? Oder küßt euer Strahl schon jetzt segnend und gewährend die geweihte Stirn, die in euch ein anderes Dasein erforscht und heischt? Soll ich euch glauben, mehr als der Erde, soll ich ihn abschütteln, diesen bunten Staub, und aus euren Strahlen mir Flügel bilden und diesen Raum durchfliegen, hinter mir lassend, was fesselt und drückt und belastet? Zieht der Strahl, der in der Menschenthräne blitzt, auch tief hinein in die Seele und bildet eine leuchtende Kette mit jenem von oben, daß Wunsch und Gedanke und Gebet an ihm emporklimmen kann zu eurer Heimat, zum Lande der Verklärung? Sind wir Kinder eurer Gattung, wenn wir sie abgeschüttelt, die Schlacken des niederen Daseins? Habt ihr dort für die Tugend einen Kranz, für die Entbehrung den Labebecher, für die Liebe einen wolkenlosen Himmel, ohne Erschlaffung? Ist, was wir für das Heiligste achten, empfinden und üben und womit wir unsere ganze Seele füllen, auch ewig bei euch? Altert die Zeit dort nicht, wie sie auf Erden jedes Leben tödtet? Herrscht der Wahn dort nicht und fristet, wie hier, ein Dasein voll Glanz und Pracht und verlockt zum Glauben, zum Streben und Lieben an seine geschminkte Leiche? – Soll ein Theil der reinen irdischen Liebe auch dort geheiligt werden und erkennen, daß in ihm etwas von Unsterblichkeit war? – Soll der Erdentod der Anfang sein aller Seligkeit, die Rosenpforte zum Licht, zur Wahrheit, zur Dauer? Stirbt dort mit der Nachtigall nicht auch der Nachtigall Gesang? Was wir hier gefühlt und gewußt, baut und rankt es sich dort fort in Fühlen und Wissen, und knüpft sich der Faden von hier eng an jenen des Jenseits? Und die Liebe, die hier gesäet ward als Korn und gedieh als Keim, reift sie dort drüben zu Garben? – O gebt mir Antwort, heilige Sterne, und du, majestätische Nacht, lege dich an meine Brust und lisple ihr leis' deine geheime Botschaft zu! Nicht den lauten Ausspruch begehr' ich, nur das melodische Schwirren einer Saite soll einen fernen ahnungsvollen Laut tragen in die lauschende Brust.« – –
Sie schwieg und harrte einen Augenblick stumm, da rauschte es hinter ihr, wie ein leiser Tritt, sie erhob sich erschrocken, wie von Geisternähe berührt, die Laute fiel zu Boden, klirrend riß eine Saite – Walperga stieß einen leisen Schrei aus und lag in Albrecht's Armen. Er hatte sie beschlichen, hatte ihre letzten Worte belauscht.
Er sank auf den Sitz am Fenster, sie saß auf seinem Schoße. Er hielt ihr Haupt, das blasse, zitternde, an seine Brust gepreßt und drückte seine Lippen auf ihre Stirn. »Wenn die Sterne schweigen,« sagte er tiefbewegt, »zu Deinen Fragen von der himmlischen Liebe, von der wesenlosen, wie sie dort sein soll, so lass' meinen Mund Dir Antwort geben von der lebendigen der Erde, die auch dem Himmel entstammt, sonst kennte sie nicht die Sehnsucht nach ihm. – Meine Walperga, Du hast es mir noch nicht gestanden, auch mein Mund fand nicht das Wort zum Ausdruck unserer Liebe. Und doch war sie, doch kündete sie sich an in jedem Pulsschlag unseres Herzens, seit wir uns zum erstenmale sahen! Du liebst mich – ich liebe Dich! – Lass' nun den Mund auch den Siegesboten unseres Herzens sein, lass' den Quell, der zum Licht aufbricht aus tiefer Felsengrotte, rauschend und klingend sein Dasein verkünden!«
»Ja, Albrecht!« sagte sie mild und feierlich und umschlang seinen Hals und bot ihm wonneselig die Lippen dar, »ich liebe Dich! Ob Heil, ob Unheil dieser Stunde, diesem Geständniß folgen mag, ich kann nicht anders! – Und ich werde Dich lieben, ist gleich unser Leben und Lieben nur die Gegenwart, und der Augenblick nur das Bereich unserer That. – Aber vom Jenseits möchte ich gerne die Dauer herüberrufen und habe die Sterne beschworen und habe sie befragt.«
»Mir haben sie geantwortet, holdes Mädchen,« versetzte er und spielte mit ihren Locken, »sie verkündeten mir Heil im Bunde mit Dir! Dein Stern bereitet mir Glanz und Glück.«
»Und mir der Deinige?«
»Den meinen beherrscht ja Dein Gestirn. Wo Seligkeit gegeben wird, wird sie empfangen. – Die Gegenwart ist unser, sagst Du selbst; lass' sie ganz unser sein. Denk' nicht an der Blume Tod, wenn Du die blühende, die duftige an die Lippen drückst!«
»Wie aber,« unterbrach sie ihn, und das, was sie als Kind gehört, was ihr die Mutter von der Gräfin Meer, von Albrecht's Liebesabenteuern gesagt, durchflog wie ein trüber Schatten ihre Seele – »Albrecht, Du hast schon –« Sie vollendete es nicht, sie vermochte nicht ihn durch einen Vorwurf zu betrüben.
»Ich habe,« fiel er ein, »noch nicht wahrhaft geliebt, ich liebe jetzt erst, liebe Dich, ja, Du bist meine erste einzige Liebe! O Walperga, Besitz ist nicht immer Liebe. Du kannst besitzen ungeliebt und nicht liebend; doch, wo Du wahrhaft liebst, lebt Dein Besitzthum ewig in der Seele. Bei dieser feierlichen Nacht, bei diesem Rollen der gewaltigen Stimme der Natur, bei dieser Blitze Flammenschein und bei den Sternen oben, die weit erhaben sind über den Dunstkreis dieses Erdenqualmes, schwöre ich Dir, ich liebe Dich und werde Dich lieben, ob das Verhängniß, ob selbst das Grab zwischen uns trete!«
»Schwör' nicht, Albrecht!« entgegnete sie sanft, »ich müßte Dir einst zürnen, nicht wegen Deiner verlorenen, abgewendeten Liebe, aber wegen des gebrochenen Schwures! Liebe läßt sich nicht geloben, allenfalls Treue.«
»Wo Liebe ewig ist, ist auch Treue!«
»Nein, Albrecht, nein! Treue ist nur jenseits ewig, sonst wäre die Erde der Himmel. Nur der Sommer hat Rosen – welke Blätter, wenn auch sorgsam auf der Brust verwahrt, sind keine Rosen mehr. Du bist jetzt mein – ich glaub' an Dich. Keine Macht der Welt vermag mir diesen Glauben zu rauben; nur Du allein vermagst es. Du hast Dich von Deiner Hoheit zu der armen Dirne herabgeneigt und der trost- und hoffnungslosen einen Lenz gegeben, so blühend und reich, wie sie ihn selbst nicht geahnt in ihren überschwänglichsten Träumen. Du fragst nicht nach der Herkunft, nach dem Stand des verachteten Zigeunermädchens. Du legst Deine stolze Brust an ein geringes Mädchenherz, nur darum, weil sein Schlag Deinem Herzen Antwort gab. Ich kann Dir nicht so viel bieten, als Du giebst; ich ermesse den Abstand wohl – ich sollte ihn meiden und den Zwiespalt, der erfolgen kann, erfolgen wird. Ich kann es aber nicht. Mich hat ein Zauber bewältigt, der mächtiger ist als mein Stolz je war und mein menschenfreundlich Mißtrauen. Die da unten am Meere wohnen, haben nur Muscheln und buntes Gestein, wie sie die Fluth an den Strand wirft, und können Jenen von der Höhe keine duftigen Kränze, keine Prachtblumen, keine Lorbeerzweige bieten. Du stiegst hinab von der Höhe zum Meer, weil Du wolltest; das Meer hat nur seine geheimnißvolle Tiefe und ungekannte Schätze darin! – Ihm vertraust Du Dich – mir?«
»Ja Dir, von ganzer Seele, süßes Wesen,« sagte er und bog ihr Haupt zurück und lehnte es über seinen linken Arm und drückte Kuß um Kuß auf ihre rosigen Lippen, auf ihre leuchtenden Augensterne. Sie lag willenlos, im leichten Nachtgewand, den Busen entfesselt, die Locken gelöst, in seinen Armen. Durch die Rabennacht leuchtete der Schnee ihrer Schultern, ihres Busens. Er preßte sie glühender an sich – die Nacht war brennend heiß, sein Blut flammte, die drückende Luft hauchte einen sinnverwirrenden Odem aus, das Gewitter zog näher empor, die Donner klangen wie Siegesrufe der gewaltigen Naturkraft, die Blitze zuckten auf und nieder und schlangen sprühende Feuerkränze um die Erde, da erlag das bebende, in Liebe zerflossene Mädchen der sinnverwirrenden Naturkraft, der wollüstigen Schwüle, seinen flammenden Küssen fast; er seines Schwures vergessend, sah nur das willenlose Opfer seiner ungezügelten Leidenschaft, die nicht mehr dem Ruf der Tugend, der Ehre, der Männerwürde folgte; da – schon hatte er im raschen Zuge ihren Gürtel gelöst und der jugendliche Busen, schneeig wie Schwanenflaum, die Nacht erhellend, quoll ihm entgegen in seiner reinen Seligkeit, und er drückte seine Lippen darauf und hielt das zitternde Mädchen in seinen Armen, das in halber Ohnmacht niederschwankte – da wie mit Riesenkräften entwand sie sich seiner Umstrickung und riß sich los und trat zurück, große Thränen füllten ihre Augen, es zuckte ein bitteres Wehe um ihren Mund, ein edler Zorn überflog ihr Antlitz, sie sah ihn stolz an, und indem sie die Hände vor das Gesicht schlug, sagte sie: »Albrecht! Albrecht!« und brach in lautes Weinen aus.
Sie sank auf den Boden nieder und sagte im herzzerschneidenden Tone: »So wär' ich Euch doch nur die niedere Dirne, die auf der Straße Lieder sang, eine Blume zum Zerblättern, ein Geschöpf zum Verderben, meine Schmach Eure Seligkeit!«
Er war erschüttert, doch kniete er zu ihr nieder, faßte ihre Hand und preßte sie an seine Lippen und flehte mit reuigem Tone: »Verzeih', Walperga, um der Barmherzigkeit des Himmels willen, vergieb mir. Bin doch nur ein erdgeborener Mensch und heißes Blut wallt durch meine Adern, und der Versucher ist der Moment. Zerknirscht, beschämt knie ich vor Deiner Tugend. Du wohnst auf der Menschheit Höhe, nicht ich – ich bin das niedere, tiefe, unstete, treulose Meer. Schenk' mir einen Blick der Gnade. Ja, Du bist ein lichter Engel, den ich im niederen Haus gefunden, und bei diesen Flammen des Himmels sei es Dir geschworen, ich will Dich von nun an nur lieben mit einer Liebe, wie sie den Engeln gegenüber geziemt!«
Er vollendete kaum, da knirschte der Donner und stieß ein erderschütterndes Gebrüll aus, eine Feuerlanze schoß, Aug' und Sinne blendend, durch das Gemach, über die kniende Gruppe hin, suchte im zerberstenden Gemäuer seinen Ausweg, darauf ein Schlag, der das Gebäude in seinen Grundfesten erzittern ließ – und Qualm und elektrischer Dunst füllte den Raum.
Walperga lag ohnmächtig in Albrecht's Armen, er selbst war bleich und erschüttert durch diese nahe Offenbarung des Himmels. Er setzte sich und hielt das regungslose Mädchen, jede sinnliche Aufregung war verschwunden. – Eine lange Pause, nur von dem Fortrollen des Gewitters, welches, nachdem es seine Gewalt entladen, durch das Moldauthal dahinzog, unterbrochen.
Walperga erwachte. Ihr Herz schlug gewaltig, ihre Augen waren noch mit Thränen gefüllt, sie glitt von seinem Schoße und kniete wieder zu seinen Füßen, wie ehedem. Bald wogte ihre Brust ruhiger; denn auch an ihr war ein Gewitter vorübergegangen.
»Walperga,« sagte Albrecht schmeichlerisch und preßte ihre kalte Hand, »fürchte nichts, der Himmel selbst hat mir mit seiner Donnerstimme Antwort gegeben auf meinen Schwur und ihn mit Flammenschrift eingetragen in sein Buch. Ich habe, was zu irdisch an mir, abgethan in diesem Augenblicke, und wie Du eine reine Lilie warst, als Du zuerst in meine Arme sankst, so will ich Dich auch rein halten und Deinen Schmuck wahren, wie das Licht meiner Seele! Verzeih', Walperga! Sei mir der lichte Engel wieder, Du, die mir der Himmel in Flammen gezeigt. Komm', lass' mich mit Dir beten, wie es die Sitte frommer Herzen ist beim Gewitter, und dann lege segnend Deine Hände auf mein Haupt, daß ich Dir und der Tugend treu bleibe.«
Sie faltete ihre Hände, sie wandte das bleiche Antlitz wieder vertrauend zu ihm empor, denn sie rührte seine Reue; ihre Lippen bewegten sich, doch betete ihre Seele, ihr Mund ließ kein Wort vernehmen.
So weilten sie schweigend eine Stunde, das Vertrauen in sich selbst und zu einander hatte sich wieder gefunden. Es zog der Geist der Andacht und der Ruhe durch ihre Seele; endlich fanden sich auch die Blicke wieder, erst schüchtern und vorwurfsvoll oder demüthig bittend, dann wieder gläubig, man las in ihnen die Beseligung, daß eine Bergeslast von ihrer Brust gewälzt, daß nichts zu bereuen sei. Hand in Hand verweilten sie so traulich aneinander geschmiegt und hatten keinen Sinn und keine Berechnung für die enteilenden Minuten.
Das Wetter war fernhin gezogen, der Himmel hatte sich geklärt, der Mond, ungehemmt in seiner Bahn, ungebleicht in seinem Glanze von den wechselnden Dünsten der Erde, stand in voller Klarheit über der Moldau und versilberte die Kreuze der Kirchen und Thürme; sanfte Kühle, labende Ruhe kehrte in die Natur zurück; die Moldau rauschte leise und von der Malteser- und Schützeninsel herüber schmetterten aus den Erlen- und Weidenbüschen die Nachtigallen.
Wie in der Natur, war auch alsbald in die Brust der Liebenden ein sanfter Friede zurückgekehrt. Sie fühlten sich dem Himmel, der in seiner vollen Reinheit niederstrahlte, näher und der Erde höher entrückt. Was in ihrer Brust als Gewitter getobt, es war verflogen und ein milder Regenbogen wölbte sich um ihre Geister.
Albrecht erhob sich: »Walperga!« sagte er feierlich, »unseren Bund hat das Feuer des Himmels geklärt, gereinigt und erleuchtet; er war Zeuge meines Schwures! Ich werd' ihn halten, Deine reine Liebe ist sein bürgender Schutzengel. Lass' uns dieser Nacht gedenken. Leb' wohl! Wenn wir uns wiedersehen, wird selige Beruhigung aus unseren Blicken sprechen.«
Er küßte ihre Stirn und verschwand.
Sie lehnte sich zum Fenster hinaus und betete: »Heilige Mutter Gottes, Du Barmherzige, wie wird das enden?! Habe Mitleid mit Deinem unglückseligen Kinde! Und doch,« fügte sie mit Schaudern hinzu, »muß ich ihn lieben und – wäre selbst das Schreckliche geschehen – würde ihn ewig lieben. Verzeih' mir die Sünde, heilige Mutter Gottes!« –
Waldstein traf Matusch, in einen groben Mantel gehüllt, doch vom Regen durchnäßt am Gemäuer lehnen. »Ich dank' Dir, Alter,« sagte er sanfter als gewöhnlich, »Du hast viel Geduld mit mir, und fast ist Dein Dienst jetzt schon überflüssig. Unsere Feinde scheinen das Feld geräumt zu haben, da sie unseren ernsten Widerstand sehen.«
»Ich mein's noch nicht,« entgegnete Matusch, »dem Gelichter ist nicht zu trauen. Sie wollen uns vielleicht nur sorglos machen. Auch ist möglich, daß der Knecht lahm und dienstunfähig ist durch den Stich, den er ins Bein von mir erhalten. Eh' wir es uns versehen, kommt der Junker wieder, ich müßt' mich sonst schlecht auf Gesichter und deren lügnerischen Schild verstehen.«
»Bald wird auch jedes Hüteramt hier überflüssig sein; die Weiber ziehen demnächst auf das Jagdhaus, dort mag sich Scherbic einen Bannbruch vergehen lassen.« Er ging schweigend neben dem Alten; an der Malteser Kirche verabschiedete er ihn und schritt der Brücke zu. Die Nacht war gar zu schön, um ihren Zauber gegen Schlaf zu tauschen, seine Brust tief aufgewühlt wie ein See nach einem Gewitter, und wenn auch die Oberfläche glatt war, so bebte und rollte es doch noch wie fieberisch nach in seiner Tiefe. Er wollte wachen, mit sich zu Rathe gehen, sein Inneres bald fragen und ihm bald Antwort stehen. Der Mond schien hell, die Wasser unten rauschten silberklar, die Luft war rein und frisch wie der Kuß eines unschuldigen Kindes; über die Stadt, über Häuser und Thürme, über die Gärten am Ufer und den bewaldeten Lorenzberg war ein mildes, durchsichtiges, die Ferne näher rückendes Licht verbreitet. Waldstein schritt gedankenvoll auf der menschenleeren Brücke auf und nieder, manchmal hob sich seine Brust von einem tiefen Seufzer, oft flog sein Blick fragend zum Himmel empor, dann schien er sich wieder wie erwägend und ergründend in die Fluth hinabzusenken. Er lehnte sich an die Brüstung, stützte das Haupt in die Hand und sprach, als wollte er in lauten Gedanken die Last, die seine Brust beschwerte, abwälzen, für sich. »Ich liebe sie – wie ich noch nie geliebt, das ist entschieden, und wie ich mich auch mühe, ich vermag das Herz nicht länger zu belügen. Ich liebe sie so heiß wie den Ruhm, wie meine Zukunft; und das ist der Zwiespalt, hier beginnt der Kampf. Eines von beiden muß unterliegen: der Albrecht Waldstein, oder die Liebe! Es ist feige, den Ruhmeskranz zu opfern, noch bevor der Arm in Gefahren darnach gerungen, ein Dasein voll glänzender Verheißungen hingeben für die kleine Liebe. Die kleine, die gewaltige Liebe?! Wie sagte doch ihr Lied: daß die kleine Liebe so gewaltigem Mann das Herz brechen konnte! Diese mächtige Liebe, an deren Allgewalt ich nie geglaubt. Ich werde mit ihr fortziehen, mich verbergen im einsamen Thal in laubiger Hütte, fern von dem Weltgeräusch, fern von den Völkern und Thronen, von den Waffen und Ruhmesgesängen, von dem Drängen und Treiben der Geschichte. Eine kurze Frist, und der Name Waldstein, an den meine Kraft und mein Vertrauen, an den die Sterne selbst so viel Hoffnung und Verheißung geknüpft, wird verhallen im Gedächtniß der Zeitgenossen. Sie werden von mir sagen: Er ging, noch bevor er wurde! So werd' ich einem Bächlein gleichen, dessen Spur im Sand verrinnt, das den Bord des Stromes nicht erreicht hat, um sich mit ihm zu vermählen und in das Weltmeer sich zu stürzen – sein Bestandtheil zu werden. Ich werde ein Leben der Liebe verträumen, ich werde schwelgen in ihrem Besitz, und sie, sie wird meine Seele ganz ausfüllen. Die Krone und den Lorbeer, den ich im Traume sah' – werd' ich vergessen, sie wird auch in meine Träume nur Blumenkränze flechten. Mit Liebesliedern wird sie die Erinnerung an den Klang der Kriegsdrommete und des Schlachtgesanges übertäuben, zu meinen Füßen werden holde Kinder spielen, geboren für die Vergangenheit, für die Ruhmlosigkeit, der Waldesschatten ihre Welt, die Arbeit im Ackerboden ihre That! Warum nicht – Du ungestümes Herz, sollte auch ein solches Leben endlich Deine Sehnsucht stillen und Dir genügen? Ein solch' idyllisch Dasein lebten auch die Götter Griechenlands, und blieben doch Götter. Und dann, nach einiger Jahre Rast, nach reich genoss'ner Seligkeit, wenn dann die Streithörner tönten in meine Einsamkeit, und wenn meine Zeit erschienen wäre, die mir die Sterne verhießen, könnt' ich dann nicht hervorbrechen aus der Verborgenheit, vom Weibe zärtlich Abschied nehmend, in die Welt stürmen und den goldenen Lorbeer mir erringen, heimkehren und ihn meinem Weibe in den Schoß legen? Walperga! Walperga! Was hast Du aus mir gemacht? Du ziehst als Siegerin ein in diese Brust, als Beherrscherin meiner Zukunft! Und ihr goldenen Sterne oben; Eure nahe Verheißung hat keine Gewalt mehr über mich!? Euch soll ich lassen? Werdet Ihr später mir auch noch günstig lächeln? Kaum; denn das Glück hat seine Stunden. Ich wollte eine Eiche werden, auf der sonnigen, goldenen Höhe stehen, die Aeste weit ausbreiten, gesehen von jedermann, angestaunt, den Fuß tief in der Erde, das Haupt stolz in die Wolken gehoben, vom ersten und letzten Sonnenstrahl begrüßt, hineinragend, dauernd für künftige Zeiten – und ich werde nur eine Weide sein, dort am Schmerlenbach, mit niederer Krone und blassen Zweigen; kaum daß ein Fink' in meinen Aesten nistet, gesehen, angestaunt, beachtet von keinem Menschenauge. An meinem Fuß schleicht bald trüb, bald hell eine kleine Welle vorüber und Sommer und Winter und Lenz zieht dahin in gleichmäßiger Folge. Walperga! Welch' ein Anrecht hast Du Dir erworben auf mich! Der ein Held werden wollte und das Leben ausbeuten in seinem weitesten Bereiche – ist ein Träumer geworden, dessen Gedanke, dessen Gott, dessen Athemzug nur die Liebe ist! Das ist ein Zauber, an den ich glauben muß; stellt seine Macht doch die meiner Sterne in Schatten. Sollte er in der That mächtiger sein als ihr gewaltigen Feuergloben in der ungeheueren Wanderbahn des Himmels? Die Sterne sind ihr günstig, sie verheißen mir Heil von ihr, doch schweigen sie von einem Bunde fürs Leben. Das soll eine andere Wahl sein. Vielleicht hat Keppler sich geirrt und an ihrer Hand hol' ich mir das goldene Vließ vom Argonautenzuge!«
Er schwieg träumerisch, abgerissene Gedanken zogen wirr durch seine Seele, ihm ward fast wehmüthig zu Sinne; welchen Kampf des Entsagens, des Verlangens hatte er zu gewärtigen. Er fuhr gedrückt fort: »Wie konnte ich doch so hart sein gegen jenes liebeflehende, schmerzzerrissene Weib Camilla, und so weich, so schmiegsam dem Mädchen gegenüber, das keine Hoheit kennt als ihren reinen Sinn, ihre Demuth und das freie Geständniß ihrer Niedrigkeit. Die Demuth hat mich hier besiegt, die Drohung dort gereizt und erbittert. O es giebt auch siegende Gewalt unterhalb der Kreise, die wir die unserigen, die hohen nennen! Ich bin ein Mann, der männlichen Kraft gegenüber – in Waffen; der weiblichen entgegen muß ich weichen, unterliegen. Walperga, Du besiegst mich? So besiegst Du mich also?«
Er wandte sein Haupt wieder zum Himmel empor. »Du schönes Sternbild, also Dir und Deiner Verheißung soll ich treulos werden. Oder schimmerst Du auch nach Jahren noch heilbringend mir, wenn dieser Traum verflogen? – Verflogen? Nein – wenn er nur des Zaubers bindende Macht verloren, diese lähmende Gewalt. Ich bin ich selbst nicht mehr, und je mehr ich diese Gefühle niederringen will in ein geheimes Versteck meiner Seele, um desto mehr ermattet meine Kraft. – Ich will Keppler noch einmal fragen. – Und dann, dann will ich, ja ich will! – Es ist abgeschlossen über meine Zukunft.«
Er raffte sich auf und eilte nach dem Hradschin hinauf. – Zu Hause angelangt, fand er eine Einladung vom Fürsten Erzbischof, der ihn am Morgen in seinen Palast beschied.
Während Matusch so mitten im Gewitter und im Regen zwischen den verfallenen Mauern harrte und nach Feinden spähte, hatte er seine eigenen Gedanken. »Ich bin nur ein gemeiner und ungelehrter Mann,« brummte er für sich hin, »aber ich habe so meine eigene Ansicht. Was ich sehe, das seh' ich, und was ich erkenne, das glaub' ich. Der alten Marga wegen und um des ritterlichen Schutzes willen schleicht der Herr von Waldstein nicht allnächtlich in die Klosterruine. Die Vornehmen schenken oft gern und viel, aber es muß ihnen weiter keine Lebenssorge machen; sie dienen dem Beschenkten nicht. – Also kann's nur die Walperga sein, was ihn hertreibt. – Die liebt er – das ist kein Wunder; denn schön ist sie, so gut für meine Augen, wie für die seinigen. Er ist jung und stattlich, und was sie damals vom Schnee sprach und vom Eis, worin keine Blume aufgeht, das war so unerfahrene Redensart. Aber auch Herr Otto von Los liebt die wunderbare Dirne, und gar in bescheidener schöner Art. – Welchen sie nur erhört? Und wie das enden wird zwischen den beiden Herren und guten Freunden? Gott mag's wissen! – Mich kümmerte es auch nicht! Aber ich habe oft gesehen, daß sich zwei Falken stritten um eine Taube, wer sie haben sollte; und als es entschieden war – da war die Taube zerrissen. – Mich jammert nur die Taube, und müßt' ich nicht die beiden Herren nach allem, was ich weiß, für brav und edel halten, so hielt' ich sie für Sperber, ich meinte Falken – und sie, sie wär' die Taube. – Das verhüte Gott! – Man mag auch alles noch so gut bedenken und lenken; da kommt der folgende Tag, das Geschick, und bringt ein neues Räthsel in die Umstände. – Daß ich in meinen alten Tagen noch um dergleichen mich grämen muß; ich weiß doch nicht, warum; ich muß freilich und weil – nun, weil ich will! – Daß aber Herr Otto blind ist für das Fräulein von Rosenberg und daß sich das kleine Mädchen schier zergrämt aus Liebe zu ihm, um seinetwillen, das macht mich fast noch ärgerlicher. – Ich bin ein alter Mann, und ich muß dafür Augen haben. Ha! – Da hat Jeder sein Ziel dicht vor sich und geht doch einen anderen Weg. Den Vornehmen wird's so gut geboten; sie wissen gar nicht, was sie wollen, und sind – undankbar, recht undankbar gegen das, was ihnen der Himmel schenkt. Bald höher hinauf verlangen sie, bald gar zu uns herab. – Die Walperga konnten sie uns lassen, dem gemeinen Volke, sie sang für uns, uns war sie ein Edelstein! Was wollen sie mit ihr oben? – Spielzeug? – Pfui! Das wär' schlecht – das kann der Otto vollends nicht. – Du sollst nicht begehren, sagt die Schrift; nun – nun, so lass't doch auch dem Volk etwas von dem – was Ihr ihm noch nicht genommen habt. – Es muß so Hohe als Niedere geben, das ist wahr – und wir sind daran gewöhnt. Aber das Mädchen hat uns Gott gegeben, nicht Ihr; so lass't sie uns. – Und Herr Otto wieder: so brav, so sanft, verständig und ruhig. Das Fräulein Jaroslava ist doch fast so schön, ja – auf andere Weise fast schöner als Walperga, und ein Edelkind dazu, von gar vornehmem Stande. Art freit die Art und soll es! Wie hat er keine Augen für die – warum für das, was ihm so fern liegt? – Es ist ganz gegen die Natur und alles Herkommen. Die alte Marga ist gar nicht dumm und sieht recht scharf, nun sie wird ein Einsehen haben; freilich meinte sie, ihr Töchterlein sei ganz besonderer Art, und will recht hoch hinaus mit ihr. Ja, von ihrer Art ist sie in der That nicht – obgleich die übrigens nicht schlecht. Sie hat etwas Besonderes, die Walperga, das sich mehr schickt für die goldenen Gemächer als für die Bürgerhäuser; aber der Standpunkt ist einmal ein anderer und ist die Taube noch so schön, sie kann mit dem Edelfalken nicht brüten. – Daraus erwächst Unheil und es wär' eine Schande für meine grauen Haare, wenn ich das noch erleben und mir sagen müßte, ich hätte auch die Hand im Spiel gehabt dabei. – Die eine Gefahr, das seh' ich nunmehr ein, ist so groß, wie die andere. Ich hab's freilich nicht bedacht, als ich die Herren zum Schutz aufrief. Schon ihrer eigenen Ehre wegen, dächt' ich, dürften sie nichts suchen – was die arme Dirne zu Grunde richten könnte. – Ich will mir aber ein Herz nehmen und will die gestrengen Barone geradezu fragen als ehrlicher Mann, was sie eigentlich vorhaben und – was das Ende werden soll von diesem Spiel. Herr Otto muß die kleine Jaroslava freien, das hat Gott so bestimmt und auch die Menschen wollen es so. Ich hab' so etwas erlauscht, als der gnädige Herr von Slavata sich lange mit Frau Elisabeth besprach nach des Ritters Besuch. Die verschiedene Religion ist kein Hinderniß; war doch der sel'ge Herr von Rosenberg ein Utraquist und Jaroslava's Mutter ist noch eifrige Papistin. – Ich will nicht ruhen, ich, der alte Matusch, bis er sie hat. Und Slavata wird's auch genehm sein, wenn er einen der obersten der protestantischen Herren sich verbindet, verschwägert und zu des Königs Partei bringt. – Es ist ein Jammer – hab' selbst keine Kinder und muß mich grämen und quälen für die anderer Leute. – Allein, man wird schwach, wenn man alt wird.«
Aber er nahm sich kein Herz, als Waldstein kam und ihn ernst und freundlich grüßte. Er wandelte fortan schweigend neben ihm; denn in des Herrn Wesen war etwas, das bezeugte, daß er nichts Schlechtes vollbracht oder im Sinne haben könnte.
Matusch' Vermuthung war richtig. Vojta, des Scherbicer's Knecht, lag geraume Zeit krank darnieder an der Wunde, die ihm des Alten blinder Stoß auf der Mauer beigebracht. Indessen, seit einigen Tagen genesen, war er wieder rührig im Dienste seines Herrn. Dieser selbst hielt sich noch immer verborgen; er hatte Waldstein's Absagebrief erhalten, aber ihn gelüstete nunmehr nicht nach einem ritterlichen Strauß um den Besitz der Dirne. Hoffte er doch jetzt, sich ihrer durch List bemächtigen zu können. Er hatte durch Vermittlung fremder Hand eines der der Ruine gegenüberliegenden Häuser, das nach dieser Seite hin von einer Gartenmauer umschlossen war, an sich gekauft. Dort weilte er fast allnächtlich – er konnte sich unbemerkt dahin schleichen, da der Zugang von der Aujezder Straße hinführte, bei der heutigen Ziegelhüttengasse. Von dem Garten aus beabsichtigte er durch seine Leute einen unterirdischen Gang nach dem Kloster hinführen zu lassen und bis an eines der unter demselben befindlichen Gewölbe vor und in das Innere des Castells zu dringen. Auf diesem Wege wollte er in einer Nacht das Mädchen rauben und die geknebelte und gefesselte in einem dicht verschlossenen Wagen aus Prag entführen. Die Keller unter seinem eingestürzten Hause selbst waren noch gut erhalten und konnten im Nothfall zu einem Verstecke und dem Mädchen zum Gefängniß dienen, während der Zeit etwa, wo sie durch ihre Beschützer verfolgt werden dürfte.