Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil
Die Flucht aus der Zeit

1920 – 1927

 Hugo Ball 1927

Hugo Ball
Anfang September 1927

Emmy Ball-Hennings 1927

Emmy Ball-Hennings
September 1927

An August Hofmann

Lieber Gusti, so sieht Flensburg aus. [Emmys Heimat.] Wir bekommen ein kleines Häuschen in nächster Nähe der Ostsee. [Emmys Geburtshaus.] Ich krame in meinen Büchern und Manuskripten und finde diese Karte und möchte Dir einstweilen Grüße senden …

 

Lieber Gusti, heute komme ich endlich dazu, Dir einiges zu senden. Ich wählte kleinere Bücher und schickte sie als Drucksache. Hoffentlich kommen sie an. Pakete machen Schwierigkeiten, weil sie von der internationalen Kommission überprüft werden und öfters liegen bleiben. Schreibe mir bitte gleich, ob Du erhalten hast: Hülsenbeck, Hennings, Herron. Die letzte Publikation darfst Du gern behalten, die beiden andern Sachen hätte ich gern gelegentlich zurück. Es sind unsere einzigsten Exemplare. Wenn die Sendung gut ankommt, kannst Du gern noch mehr haben.

Eine Gegenfrage: gibt es in Nürnberg eine gute Bibliothek? Interessieren würde mich: Plotin, Augustin, Eckart und Jakob Böhme. Würdest Du mir etwas davon ausfindig machen und senden? Es wäre das eine Wonne für mich. Hier ist es ziemlich schwer, sich einige seltenere Literatur zu verschaffen. Nächstens mehr. Für heute herzliche Grüße Dein Hugo.

An Annemarie in Pirmasens

Liebe Annemarie, ich schreibe Dir auf der Maschine, mein Kindlein, weil die Feder immer spritzt und weil außerdem die Tinte umgefallen ist, und zwar gestern abend. Sie ist über das Laken gefallen, als ich den Bleistift spitzen wollte und das war eine schöne Bescherung. Aber 's Mütterli hat nicht mal so sehr »geschumpfen«, sondern nur gemeint, es sei ja schon schlimm, aber mit der Zeit würde die Tinte wohl wieder herausgehen. Tinte und Tintenstift, aber es, nämlich das Mütterchen, wolle sich daran gewöhnen. Nett von ihm, nicht wahr?

Du siehst daran, wie fleißig ein Steffgen ist, arbeitet mit Händen und Füßen, mit Feder, Blei und Tintenstift …

Hör mal zu: Herrn Hesse mußt Du unbedingt eine Karte schreiben. Vielleicht nimmst Du eine einfache Postkarte (ohne Ansicht) und bemalst sie. Er war vor wenigen Tagen hier bei uns. Mutter hatte die Bilder in der kleinen Stube anders arrangiert und von Dir etwas Neues, den schönen, bunten Engel, weißt, die Erscheinung vor dem knienden Prinzen hereingehängt. Herrn Hesse gefielen die Bilder diesmal noch mehr, als früher. Ich mußte sogar die von oben aus meiner Stube herunterholen. Er wunderte sich sehr darüber und er fand, Du malst gerade so, wie ich schreibe. Das sei recht merkwürdig, und das ist es ja auch. Also, Liebling, schicke ihm etwas recht Schönes. Er wird sich freuen … Was soll ich sonst von unsern Bekannten erzählen? Neulich in aller frühen Frühe besuchte uns Frau Base Saager. Es war Feiertag und alle drei Saagers gingen baden. Mütterchen war ganz konfus über die Morgenvisite und lud die Drei für nachmittags zu Kaffee und Kuchen ein, aus lauter Verlegenheit. Als Steffgen aufstand, war schon alles geschehen und die Tante S… kugelte unten am Strand herum und freute sich wohl auf den Kaffee. Aber Steffgen paßte es nicht, ging hinunter an den Strand, sehr freundlich und sagte, es täte ihm leid, aber nichts sei es mit Kaffee und Kuchen. Da waren sie s'bidsli verschnupft. Steffgen aber machte den Dummen und zog Fräulein Rinas Badeanzug an, franchement, und hopste mit Onkel Saschi im Wasser herum und machte einen Schwumm. Da mußten sie lachen, die Drei und wußten nicht recht, was sie vom Steffgen denken sollten. Ja, was ich noch sagen wollte. Herr Josef Englert war doch nach Rom gefahren und Fräulein Spirkel nach Wien. Nun, sie sind beide wieder zurück und haben der Mutter eine Medaille der heiligen Cäcilia aus den Katakomben mitgebracht. Herr Englert hat den Papst gesehn und erzählte schön davon. Die große Peterskirche ist so groß, daß man im Hauptraum kaum hört, wenn in einer der Seitenkapellen Orgel gespielt und dazu gesungen wird. Wenn fünftausend Priester in der Kirche versammelt sind, ist's wie ein klein Mückenspiel … Zuletzt auch noch von Doktor Müllers. Die haben wir in Montagnola besucht. Er behandelt uns doch, macht uns die Beißerchens gesund und heil und hat uns schon oft eingeladen. Nun, wie schön es, bei Müllers ist, weißt Du ja.

Wir saßen hinterm Hause im Garten, wo man die schöne Aussicht auf den Monte Salvatore und über die Seen und Bergdörfer hat. Herr Doktor Müller sprach mit Steffgen und der Mutter über »lauter« Bücher, über Philosophie. Er hat mir ein Buch aus dem Jahre 1766 geschenkt »Nuovo Leggendario delle Sante Virgini«. Wenn Du kommst, mein Kindlein, kannst auch Du darin lesen. Es sind auch interessante Holzschnitte im Buch. Das weiße Kinderzimmer mit den Müllerkinderleins haben wir auch gesehn …

Von meinem Buch (Byzanz) ist wieder ein Kapitel fertig geworden. Jetzt sind's schon zweihundert Seiten. Ich bekomme Bücher aus der alten Mönchsbibliothek in Sankt Gallen, wo der heilige Notker lebte. Weißt Du noch, wie ich den »Antonius« vorlas? Das ist jetzt schon bald ein halbes Jahr her. Und Du hast ihn gemalt, bevor er gedruckt ist.

Bis nach Pirmasens ist unser Ruhm noch nicht gedrungen, schreibst Du? Nun, das wird auch noch kommen, mein Liebling.

Später einmal … Laß Dich's nicht verdrießen, wenn man in Pirmasens nicht recht an uns glauben will. Es kommt ja auch nicht darauf an. Du willst wohl unsern kleinen Apostel machen? Das ist lieb von Dir und kann nur mit Puddings und Träublis vergolten werden, wenn Du wiederkommst. Apropos: Hast Du die Feigen im Reisekoffer gefunden? Oder waren sie wegschnabuliert? Und noch etwas: wie heißt denn Gusti Hofmanns Adresse, falls man ihm mal schreiben möchte? Na, aber jetzt genug. Ich bin ordentlich müde geworden. Der Mond lugt durchs Fenster und die Katzen schnurren. Viere sind's. Zwei gelbe und zwei graue kleine. Die Mutter, nicht die Katzen, sondern das Putzenmütterli, läßt Dich innig grüßen.

Du sollst recht bald wieder von Dir hören lassen und von uns beiden herzlich umarmt und geküßt sein. Dein Vaterli.

Der Herr Meßdiener, der liebe, stumme Giuseppe läßt Dich auch grüßen. Er hat uns Blumen gebracht und hat die heilige Catarina gemalt. Molto bello!

An Annemarie in Pirmasens

Agnuzzo, den 6. August 1921

Mein lieber Mutz, Putz, Schnutz und Hoppetutz,

zu Deinem fünfzehnten Kälbchens-Geburtstag sende ich Dir die gesamten Glück- und Segenswünsche von Agnuzzo und Umgebung (nebst den umliegenden Völkerschaften). Um vier Uhr früh krähen alle Hähne gleichzeitig, um das große Ereignis gebührend anzuzeigen. In der Coperativa und auf der Colina d'or, in Massagno und Bigogno, in Agnuzzo und Montagnola, hin und her und rum und schrumm, ist von nichts anderem die Rede, und in Carona spielt man's auf der Flöte: daß Annemarie Geburtstag hat. In der Tat ist's ja ein großes Ereignis, daß unser geliebter obengenannter Putz, Schmitz und Hoppetutz gewissermaßen mit einem Lachen in die Welt hineingepurzelt ist und immer noch nicht aus dem Lachen zu sich gekommen ist. Die Eingeborenen von Penzig bei Görlitz werden sich ganz gewiß heute abend auf dem Marktplatz versammeln und zu Ehren ihrer zukünftigen Ehrenbürgerin mit Trommeln und Ziehharmonika ihren schlesischen Nationaltanz aufführen. Nach dieser feierlichen Zeremonie werden sie kunstvolle Brezeln und Hörnchen verteilen mit der Aufschrift »Annemarie« und ein schöner Stern wird aufgehen über den Fest-Bratwurstkesseln von Penzig.

In Agnuzzo aber wird das Mütterchen dem Steffgen ein übers andere Mal in die Arme fallen und sagen: »Nein, was für ein Glück, daß wir unsren Mutzputz haben!« So schwimmt alles in Freude und Wohlgefallen (natürlich auch der Großvater und die Großmutter). Es ist gewissermaßen ein Freuden-Familienbad, an dem sich alle Umstehenden beteiligen, indem sie sich kopfüber mit hineinstürzen. Hurra, hurra, die Annemarie ist da!

Mein guter, getreuer Putz, wir haben Dich sehr lieb, und die Liebe ist noch viel größer als die Schokolade, und sie höret nimmer auf, wie der Apostel saget, aber die Schokolade hört leider einmal auf und deshalb soll man sie mit viel Nachdenklichkeit sich zu Gemüte führen. Laß Dir's gut schmecken, mein Kindchen, und kocht Euch einen feinen Kaffee und schau mal das Bildchen an, das wir Dir schicken: so werden wir sitzen und ebenfalls einen Geburtstagskaffee uns zu Gemüte führen und ein Kaffeehoch auf den Stern von Penzig ausbringen.

Die fetten Sätze aus den Besprechungen von Mutters Buch liegen hierbei, wir mußten sehr lachen über diese fette Ausdrucksweise.

Mit Deinem letzten und vorletzten Brief, mein Liebling, haben wir uns sehr gefreut. Es ist so hübsch: wenn wir aufmachen, steigt ihr immer zusammen (die Großmutter und Du) aus dem Briefkuvert. [Annemarie war bei Hugos Eltern zum Besuch.] Daß Dir Herr Hesse das Buch durch den Verlag überreichen ließ, ist ja eine ganz große Ehre. Annemarie Hennings-Ball? Wird man beim Verlag gefragt haben – wer ist doch das? Und dann werden sie im Künstlerlexikon nachgeschlagen und eine noch offene Stelle gefunden haben. Oh, mein Mutzputz, was bist Du doch für ein dummes Schäfchen. [Annemarie bekam Hermann Hesses »Indien« vom Verlag mit der Karte »Im Auftrag des Verfassers« geschickt.]

Vorgestern haben wir übrigens mit Herrn Hesse eine sehr schöne Tour gemacht. Er fragte uns, ob wir ihn nicht einmal begleiten möchten zu seinen Freunden nach Carona. Du weißt doch, wo das ist. Über Melide, von Montagnola aus durch den Wald, an den Brombeeren vorbei noch etwa zwei Stunden hinauf. Nun, da wanderten wir mit. Um elf Uhr vormittags kamen wir in Carona an, gerade als ein Gewitter aufzog. Kamen in ein äußerlich ziemlich unscheinbares Bauernhaus, drinnen aber brodelte schon das Mittagessen. Man führte uns in einen ganz vornehmen alten Saal, in dem ein Flügel steht. Kerzen an den Wänden und eine Wandmalerei mit Delphinen und Engeln aus einem früheren Jahrhundert. Die Tochter des Hauses, Fräulein Ruth Wenger, blies auf der Flöte und Frau Lisa Wenger ist eine Märchendichterin, die recht berühmt ist. Dann gingen wir auf den Balkon und da sahen wir das Haus von der andern Seite an. Hier ist oben am Giebel ein bunter Papagei hingemalt und man sieht, daß es früher ein Patrizierhaus war. Am Abend gingen wir dann in den Garten. Von dort aus sieht man über den ganzen Luganersee, hinunter bis nach Riva San Vitale. Ja, und dann trank man in einer Rebenlaube Neuenburger Wein, und es hingen bunte Lampione in der Laube; schön war's. Und Herr Hesse konnte sich gar nicht trennen, so daß es recht spät wurde, als wir den Salvatore hinunterholperten. Heut früh nun hat Frau Lisa Wenger der Mutter ihr Fabelbuch geschickt und wir sind eingeladen wieder zu kommen. Nun vielleicht sind sie im September, wenn Du zurückkommst, noch in Carona. Ruth Wenger hat alle Schweizer Volkslieder gesungen, die Du auch kennst. Das klang sehr schön, und im Dorf spielte zufällig jemand Flöte dazu …

Ich bekomme jetzt die vorzüglichsten Bücher von der Universität in Basel und aus Zürich. Leider muß ich das Antoniuskapitel noch einmal umarbeiten. Dann will ich über den heiligen Ignatius schreiben. Die Heiligen sind ja alle auch sehr große Philosophen. Da ist es nicht leicht, etwas von ihnen zu sagen, sondern man muß ihnen mit viel Mühe und großer Sorgfalt folgen. Damit man sie auch versteht. Vom ganzen Buch sind jetzt bald zweihundertundfünfzig Seiten fertig.

Nun, jetzt weißt Du ja allerhand. Jetzt will ich aber auch schließen. Schreib mal bald, wie alles verlaufen ist.

Dem Großpapa sag bitte, auch hier ist es entsetzlich heiß gewesen, bis vorgestern. Wir hatten auch einige hundert Grad Celsius im Juli. Obst gibt es auch hier nicht viel. Nur der Wein scheint gut zu werden. Abends, wenn die Sonne fort ist, schwenken wir unsere Glieder im See. Wir haben den See ja sehr nahe. Mutter schwimmt jetzt vorzüglich, und Steffgen kann vom kleinen Bach bis hinüber zu den Bootshäusern schwimmen, auf dem Magen, auf dem Rücken, auf der Seite, wie man will. Ein armer Schwachsinniger kommt abends auch zum Baden. Er paddelt dann ganz nahe am Ufer auf Händen und Füßen hin und her und ruft dabei Bahnstationen aus, wie ein Schaffner am Zug, eh er sich ans Paddeln begibt. Es ist sehr drollig-traurig anzusehn. Ihm aber gefällt es gut. Er kommt immer ganz allein und macht die Wasser-Eisenbahn nur für sich allein. Die andern haben aber auch ihre Freude daran und ich glaube, alle möchten am liebsten Wasser-Eisenbahn spielen. Sie sind nur zu »vornehm«. Also Grützi, mein Kindigen, und wegen der Reise schreiben wir noch … Viele Grüße für die Großeltern. Seid umarmt und geküßt von Eurem Steffgen.

An Annemarie

Liebe Annemarie,

das kleine Mirabellenbäumchen in Agnuzzo beim Hühnerstall läßt einen schönen Gruß sagen. Es konnte die Goldfrüchtlein nicht länger tragen, da hat es sie herunterfallen lassen.

Der Apfelbaum macht es ebenso, von Zeit zu Zeit tut's drüben in den Polentastauden einen Plumps, dann liegt ein reifer Apfel da. Die Albicoccas (Aprikosen) brauchen noch ein Weilchen und die Pflaumen ebenso. Ich werde dann von mir hören lassen …

Aus Montagnola von B. hab ich eine gruslich-schöne Pelzjacke bekommen, die für allerhand Eis und Schnee bestimmt zu sein scheint. Es ist ein schönes Stück, diese Jacke.

Leb wohl, kleine Annemarie und sei recht tapfer bei der Sache. Die Mutter wird Dir auch noch ein wenig schreiben. Dein Steffgen.

Unser Haus

Deine Stühle, großer Vater
Stelltest du in unser Haus.
Blühend auf erhobenem Tische
Breitetest du Speise aus.
In seraphische Gewänder
Hülltest du die armen Glieder.
Deine Schreine, deine Betten
Leuchteten im Schlafe wieder.

Deine Gärten, deine Himmel,
Deine Sonne, deine Quelle,
Deinen Sang und auch dein Schweigen,
Deinen Blick und seine Helle
Spürten wir in deiner Klause.
Und es dankte dir ein Lallen,
Deines Mundes Lächeln ließest
Du in unsere Herzen fallen.

Und es rief uns deine Stimme
Wir vernahmen dein Gedenken.
Es gefiel dir, großer Vater,
Deine Schönheit uns zu schenken.

Einmal wird es dir gefallen
Dieses Haus dir zu versagen.
Majestätisch auf den Schultern
Wolle uns dann mit dir tragen …

Wenn du früh …

Wenn du früh vom Lager gleitest
Ach, die zagen Füße –
Bitte ich, daß du nicht leidest
In des Morgens Süße.

Denn dann blicken deine Augen,
Gleich zwei jungen Rehen,
Die an ihrer Mutter saugen
Und zur Weide gehen.

Mittags mit den hellen Tauben
Bin ich weiße Schwinge,
Wenn ich über grünen Lauben
Dir vom Lichte singe.

Doch der Abend ist die Wiege
Für die sanften Locken,
Daß das Haar im Winde fliege,
Wenn die Pulse stocken …

Sieh, dann komm ich mit den Träumen
Und du flammst gleich einer Kerze
Und wir wandeln unter Bäumen
Und du lächelst und ich scherze …

*

Noch mischt sich das Gold unsrer Augen
Noch fällt ein scheuer Strahl
Auf die lächelnde Madonna
Im sanften Saal.

Noch öffnen sich unsere Arme
Beim Kommen und Gehen weit
Und unsere leuchtenden Herzen
Tragen wir über dem Kleid.

Und alle Liebesglocken
Hangen uns noch im Ohr.
Es fallen und steigen die Locken
Im Engelchor.

Und im tiefgrünen Raume,
Da tanzet unser Kind.
Es wiegt sich auf den Zehen
Und hebet das Röcklein lind.

Und über unserem Garten
Glänzet der Lilienschnee
Es spiegeln die weißen Flammen
Sich zart im blauen See …

Noch sind unsere Hände verschlungen
Noch schluchzen die Vögel leis
Und mit den seligsten Tränen
Füllt sich der Zauberkreis …

An Hofmann

Agnuzzo, den 6. August 21

Lieber Gusti, das war eine große Freude einmal wieder von Dir zu hören. Annemarie hatte mir schon geschrieben, daß sie Dich in Pirmasens sah, und auf meine Frage nach Deiner Adresse hörte ich, daß Du Studienrat in Zweibrücken seist. Sie (Annemarie) meinte, das genüge wohl, der Brief würde gewiß ankommen. Mir ist das eine seltsame Sache, lieber Gusti. Der Studienrat will mir gar nicht in den Kopf, sozusagen. Ist denn das möglich? Ist das nicht ungefähr dasselbe wie Geheimrat? Mir ist ganz ängstlich zu Mute dabei. Sind wir denn schon so bezopfte Knaben? Der Studienrat übt eine recht beunruhigende Wirkung auf mich aus. Kannst Du denn nichts anderes werden, lieber Gusti? Du bist ja noch so jung. Wie kommst Du nur auf die seltsame Idee, Studienrat werden zu wollen? Du mußt mir das mal erklären, lieber Gusti … Ich bin ja auch so etwas wie ein Studienrat, scheint mir, oder ich möcht's vielleicht gerne sein. Aber das ist nur vorübergehend und so nebenhin … Mein Bett ist umgeben von Theologen, Kirchenvätern, Konsistorialräten, Dekanen, Lizentiaten usw. Die Exzerpte wachsen, die Notizen schwellen … Das hätte ich mir nie träumen lassen. Was soll ich Dir sagen? Ich habe mich mit der Theologie eingelassen und sie läßt mich nicht mehr los. Ich fürchte fast, daß meine »Kritik« dazu führte. Nun halte ich mich unter Asketen, Heiligen und Wundertätern auf und vier Bibliotheken: Basel, Zürich, Einsiedeln und Sankt Gallen können meinen Heißhunger kaum bändigen … Es ist nett von Dir, lieber Gusti, daß Du Dir Emmys Roman gekauft hast. Glückliche Leute, die das Buch erschwingen können. Keiner, der die dreißig Mark auf den Ladentisch legt, würde sich träumen lassen, in welchen Kontrasten sich das Leben bewegt. Nun, das ist einmal so …

Agnuzzo ist ein kleines Dörfchen an einer verschollenen Ecke des Luganersees. Wir haben nur ein paar Schritte zum Wasser. Vom Dörfchen selbst sehen wir wenig. Unsere Front ist nach rückwärts auf den See gerichtet. Die Nächte besonders sind ganz still. Ich arbeite oft bis gegen den Morgen. Einige Freunde wohnen auf Nachbardörfern. So in Montagnola Hermann Hesse, den man sich, weil er so berühmt ist, mit einem großen Bart vorstellt, der aber sehr jung ausschaut. Wir sehen uns öfter. Sein Buch »Wanderung« mag ich recht gerne … Aber nun, was machst denn Du? Wie schön, daß Du wieder musizierst. Verliert sich gar nichts davon auf ein weißes Blatt, das den Weg nach Agnuzzo findet? Und wie geht es denn Hedwig? [Schwester Hofmanns.] Und Deiner Mutter? Sie war sehr lieb zu mir. Oft erzähle ich Emmy von den Abenden bei Euch in München. Das Leben aber ging dann rascher, als ich es hätte erklären können. Seid herzlich gegrüßt, Du und Hedwig und wenn Ihr eine gute, freie Stunde habt, schreibt doch einmal beide zusammen. Viele Grüße, denen sich auch Emmy anschließt. Euer Hugo.

Während der Arbeit am Byzanz-Buch

Die Berge meiner Schwermut wollen wandern
Aus dieser Nacht in einen fernen Tag.
Von einem Gipfel rauschet nun zum andern
Im Traum verschluchzt, was mir am Herzen lag.

Geheimnisvolles Schreiten hat begonnen.
Indes die Schläfer schlug ein irrer Stern.
Mein Morgen will erwachen und sich sonnen
Im Lande der Lebendigen des Herrn.

Schon fühlt die Höhe sich ins Licht getragen.
Schon stürmet Vogelsang, der weh entschlief.
Gelobt sei, der aus Finsternissen
Die Flüge meiner Sehnsucht zu sich rief.

Hugo: Kind und Traum

Kind und Traum und früher Garten.
Wandeln wir durch lauter Licht
Reifer Früchte weiche Schatten
Malen sich auf dein Gesicht.

Wipfel neigen grün die Zweige
Tief in den erfüllten Grund.
Wanderselig, wundertrunken
Übt ein Vogel seinen Mund.

Sieh, es hat die schöne Sonne
Sich in deinem Haar verfangen.
Deiner Augen blaue Sterne
Sind schon in mein Lied gegangen.

Hugos Frühling

So hast du in Behutsamkeit
Mit Lauben und mit Ranken
Den Garten meiner Nacht umsäumt
Jetzt lächeln die Gedanken.

Nun singen mir im Gitterwerk
Die süßen Nachtigallen
Und wo ich immer lauschen mag
Will mir ein Lied einfallen.

Die Sonne strahlt aus deinem Blick
Und geht in meinem unter.
So schenkst du mir den lieben Tag,
Ein mildes Sternenwunder.

So hast du meinen dunklen Traum
Durchleuchtet aller Enden
Und wo ich immer schreiten mag
Begegn' ich deinen Händen.

An Hermann Hesse

Agnuzzo, den 27. Mai 1922

Lieber Herr Hesse,

der Mai war recht unruhig und verregnet dazu …

Gestern abend wateten wir in strömenden Regen nach Agra, um vorzulesen. [Sanatorium auf der Collina d'Oro.] Dort oben war es recht hübsch und wir sind eingeladen, kommenden Donnerstag das Debüt eines Tuberkulosefilms mit anzusehn. Als wir zurückkamen, fanden wir einen Brief von Fräulein Faßbind vor, worin sie mitteilt, daß Annemarie am 15. Juni auf der Rigi erwartet wird.

Der Mai war ein allgemeiner Besuchsmonat, ein wenig anstrengend infolgedessen, und so kommt es, lieber Herr Hesse, daß wir Ihnen erst heute für Ihre lieben Zeilen danken. Wir sind ein wenig besorgt, wie es Ihnen ergehen mag, wie Ihnen die Kur weiterhin bekommen wird, und was für Wetter Sie haben … Draußen regnet es in Strömen. Die abgebrochenen Rebenzweige hängen traurig zu Boden und man bekommt kalte Hände davon. Der Mai widerspricht jeglichem Volkslied.

Emmy war in Ligornetto und brachte von dort zwei prächtige Hennen mit, davon eine weiß und groß wie ein Schwan. Als wir sie aus dem Rucksack nahmen, waren beide brütig. Die dritte, unsere braune eigene Henne hat fünf Küken gehabt.

Die andere zahlreiche Sippschaft erwarten wir für die nächste Woche. In jedem Zimmer sitzt ein brütiges Huhn. Da habe ich den Hühnerhof vergrößern müssen, der jetzt den Feigenbaum mit einschließt. Es ist ein sehr schöner Hühnerhof geworden.

… Lieber Herr Hesse, Sie haben in diesem Monat (was das Wetter anbelangt) nicht viel versäumt. Die Akazien blühen zwar, aber die Lucills zögern und die Maikäfer können sich nicht entschließen Abschied zu nehmen. Zur Maiandacht sind wir noch kaum gekommen und bald ist der Monat vorbei. Ein Nachtpfauenauge flog uns in die Küche. Wir haben es ein paar Tage in einem Kästchen gehalten, ich wollte es Ihnen gerne schenken. Dann aber haben wir es doch wieder fliegen lassen. Kommen Sie bald wieder und schauen Sie mal nach dem Tessin. Es scheint nicht recht vorwärts zu gehen, wenn Sie nicht da sind.

Wir grüßen Sie herzlich und mit den besten Wünschen Ihr H. B.

Ach, wo war ich in den Nächten
Und wie flog ich in den Träumen,
Daß ich kaum mich wieder finde
Zwischen Veilchen unter Bäumen.

Als ein rechter Schnitter hab ich
In den Garten mich begeben
Schaue nach den jungen Trieben
Und beschneide meine Reben.

Grün in allen Adern regt sich
Neues Blut und neue Blüte
Aus den alten Tiefen steigt es
Und verzweigt sich im Gemüte.

Blaue Blumen will ich säen
Und die roten Rosen binden
Eine Laube will ich flechten
Für die Stare und die Finken.

In die Ruhe will ich tauchen
Mit den kleinen Echsen spielen,
Will den Regenbogen bauen
Und die liebe Sonne fühlen.

Für Hermann Hesse mit herzlichen Grüßen H. B.

*

Wer schlägt hier an die Tore?

(während der Arbeit am Byzanzbuch)

Wer schlägt hier an die Tore?
Wer bricht den Traum der Nacht?
Wer heißt mich eilends öffnen
Und schmeichelt mir so sacht?
Wer nennt mich phantastisch Schöne
Jungfrau und Schwester sein?
Geliebte und Leuchtende, Süße,
Saphir und Edelstein?

Ich bin des Höchsten Gesandter
Im ersten jüngsten Gewand.
Ich bin ein Fürst aus den Sternen.
Das Wort bin ich genannt.
Vom Himmel stieg ich ins Dunkel
Und habe die Seelen befreit.
Den Tod hab ich durchschritten
Und meine Zeit.

(Nach Petrus Damianus)

Du bist der Tag

Du bist der Tag und das Licht über Sorgen
Du kleidest uns in den frühesten Morgen
Aus Deiner blassesten Himmel Grauen
Willst du die neue Welt erbauen
Du bist aus frierendem Vogelmunde
Die Süßigkeit einer Todesstunde
Du bist das Verlöschen des Mondes im Wasser
Ein Sternenhirte und Allumfasser.
Was wollen die träumenden Lilien weinen?
Sie ranken sich in den Schoß der deinen.
Du bist der Schrei, der im Schlafe erklungen.
Die Finsternis hat die Sterne versungen.
Du bist das Seufzen der Kranken im Saale.
Sie sehnen sich nach dem Abendmahle.
Du bist der Wind, der uns alle bewegt.
Oh, unser Kind, das die Sonne trägt …

*

Emmy an Hugo in der Klausur

(während der Arbeit am Byzanzbuch)

Hochzuverehrender Herr Einsiedler,

da ich mich des Mitleids mit Eurer strengen Lebensweise nicht erwehren kann, Ihr aber Eure Ehre und großen Fleiß daransetzet, Euch der Enthaltsamkeit hinzugeben, so wage ich nur bescheidentlich Euch ein Quäntlein Butter zum Brot anzubieten, da Früchte im Umkreis der Wüste nicht zu haben sind. Ich aber, Euer getreuer Diener, werden Euch Früchte in nächster Stadt morgigen Tages beschaffen.

In Demut und Ergebenheit empfiehlt sich die Botin.

Für Hugo

Die Heiligen sind Sommernachmittage
Die Worte wehen weiche Flocken,
Das Schäfchen mit den Seidelocken
Ist schimmernd helle, fromme Sage.

Verstand ich doch – oh, süß Vertrauen,
– Da menschliches mich nicht verstand -
Hindurchgeliebt durch jede Wand,
Durch jeden Schleier deinen Grund zu schauen.

Oh, du Genosse der Verwunschenheit,
Komm zu mir in den fernsten Traum.
Sieh, uns umblüht der Märchenbaum,
Die Blume aus der Ewigkeit …

*

Emmy für Hugo

Noch halten wir uns an den Händen
Zeit schimmert hell in lichten Reihen.
Sieh, es will leise Lilien schneien
Die Herzen wollen sich verschwenden.

Jetzt bist du ich und ich bin du.
Der Weg ist uns ein weißer Traum.
Wir spielen, wandern immerzu,
Vertauschen uns am fernen Saum …

Und einst wird sein ein sanft Verwehen,
Dann will ich sinken in dein Angesicht,
Lächeln in dir, mein süßes Untergehen.
Es spielt um uns das helle Licht …

An August Hofmann

(Während eines Winteraufenthaltes in München)

Mauerkircherstraße 24, 15.2.22

Lieber Gusti,

ich freute mich sehr mit den Karten und Deinem Brief. Grüß mir den guten Professor Niggl und sag ihm, mit der Berühmtheit (meiner Berühmtheit?) sei es nicht weit her. Es sei eine Berühmtheit auf Vorschuß. Gegenwärtig bin ich mit großen Transaktionen beschäftigt. Die Fülle beschriebenen Papieres in Bogenhausen und Schwabing brachte es mit sich, daß ich eine neue Schreibmaschine kaufen mußte. Die kostet 5000 Mark. Nun bin ich damit beschäftigt, eine Aktiengesellschaft zustande zu bringen, die mir Anteilscheine abnimmt. Das soll kein Wink mit dem Zaunpfahl sein, lieber Gusti, sondern nur eine Erklärung dafür, weshalb ich von früh bis abends auf den Beinen bin, richtig gehendes Briefpapier besitze und in einem Kaffeehause sitze, während zu Hause und in meinem armen Kopf über die Engel und über die Erlösung debattiert wird. Du bist ein süßer Junge. Sei mir nicht bös, wenn ich nicht gleich antworte. Ich habe unerhörte Dinge geschrieben, und dann fällt es mir schwer, mich loszureißen. Jede Postkarte und jeder Brief von Dir freut mich unsäglich. Wann kommst Du mal wieder? [Hofmann hatte uns in München besucht.] Es gibt auch einige neue Gedichte. Die stören mich sehr, wenn sie mir zwischendurch in den Kopf kommen. Neulich waren es drei auf einmal. Ich habe sie nacheinander hingeschrieben. Kurz vor dem Einschlafen, so gegen zwei Uhr. Dieser Tage erscheint auch Emmys Gedichtband. Wir lasen zusammen Korrektur. Du sollst den Band bekommen. Deiner bulgarischen Verdienste wegen. Was sagst man zur Kritik? Ich mag sie nicht mehr. Ich schäme mich, das Buch aus der Hand zu geben, ehe es überarbeitet ist … Johannes R. Becher hat hier Hymnen gesprochen. Das weißt Du. Wir saßen vorne in der zweiten Reihe und klatschten für alle andern mit. Neulich haben wir lange zusammen gesprochen. Es war mir interessant zu hören, daß Becher gar nicht weiß, was in seinen Gedichten steht. Sei herzlich gegrüßt D. H.

An Hofmann

Lieber Gusti … wir hatten Besuch aus der Schweiz, Hans Arp und seine Frau. Dann kamen noch andere Freunde … Ich schicke Dir »Tenderenda« ein neues Büchel, das vielleicht gedruckt wird. Sag mir mal, ob Du Dich hindurchfinden kannst. Es ist eine Arbeit von sechs Jahren. Kleinigkeiten ändern sich vielleicht noch.

… Laß es Dir gut gehen … Die Gedichte von Emmy sind immer noch nicht erschienen. Inzwischen ist ihr neues Buch fertig geworden. Auch ich bin jetzt bald so weit …

… ich hatte bis in die letzte Minute mit den Verträgen zu tun. Nun erscheint definitiv »Tenderenda«. Und das Byzantinerbuch kommt im Februar … Viele Grüße für Gertrud [spätere Frau Hofmanns]. Ich schreibe, wie wenn sie ein mir noch unbekanntes, schönes Buch wäre … Wir wollen noch einige Abende (Vorträge) im Schwarzwald absolvieren. Dann über Basel, Vierwaldstättersee, Davos, Engadin hinunter in den Tessin, wo wir erwartet werden. Bitte schick mir doch die versprochenen Noten! Dein Hugo. Bitte, schick uns doch ein Bild von Gertrud.

An Hofmann

Agnuzzo, den 16. November 22

Lieber Gusti, ich lasse diesen Brief der Portoersparnis wegen mit anderer deutscher Post durch meine Eltern besorgen. Wir sind also wieder in unserem Tessiner Dörfchen und es hat sich sogar eine Möglichkeit ergeben, daß wir hier unten ruhig arbeiten können. Dieser Brief soll die Anfrage sein, ob Dich eine eventuelle Notensendung in Zweibrücken antrifft … Es handelt sich um einige Stückli meines fünfjährigen Freundes Robin [Hugo war im Hause B… für das Kind engagiert, um dessen Kompositionen aufzuschreiben] … Von den Eltern wurde ich gebeten, die ersten »Stückli« des jungen Herrn aufzuschreiben, was ich sehr gerne, ja mit Vergnügen tue, da ich den drolligen kleinen Kerl recht lieb habe. Was ich Dir nun senden möchte, ist eine charakteristische Auswahl aus etwa vierzig Kompositionen, die Robin seit einem halben Jahr erfindet und dann in seiner Weise zu Gehör bringt.

Zur Sendung würde ich Dir noch einiges erzählen, was zur Beurteilung vielleicht wichtig ist.

Wie geht es Dir und Deiner lieben Braut? Oder seid Ihr schon (Violine und Klavier) in schönem Bunde vereint? Deinen letzten Brief bekamen wir noch in München einen Tag vor unserer Abreise. Emmy freute sich auch sehr. Ihr »ewiges Lied« … ich glaube, daß die Musik Deiner lieben Seele und auch Gertruds lieber Seele wohl eingehen wird.

Auch ich bin wieder beim »Simulieren« angelangt. Wenn Gott will und alles gut geht, werde ich ein neues Büchlein bauen. Gestern kam der erste Korrekturbogen der drei Byzantiner. Ende des Jahres soll ich die ersten fertigen Exemplare bekommen. Das macht viel Freude … Ich schicke Dir zwei Besprechungen mit. Ich hätte so gerne mal etwas über Gertrud gelesen. Und eine neue Musik von Dir gehört. Bist Du denn gar nicht zu erweichen? Sei lieb gehabt von Deinem Hugo.

An Hofmann

Agnuzzo, den 3. März 23

Lieber Gusti … Deine Worte über Robin waren das Beste, was zu diesem ungewöhnlichen Thema bislang geäußert wurde (und man hat sich schon verschiedentlich geäußert), … ich habe nicht nur die Kompositionen aufzuschreiben, sondern auch allerhand Abschriften davon zu machen. Daneben hab ich Gartenarbeit, Besuche, Korrekturen usw., gerade im letzten Monat reichlich gehabt … Nun sage mir doch auch ein wenig von Dir … Sei herzlich gegrüßt, auch von Emmy, Dein Hugo. Grüß mir Deine liebe Mutter, Gusti und die andern auch.

Emmy aus Florenz

Mein lieber Hugo,

gern möchte ich ausführlich fragen, wie es Dir geht und wie Dir die Einsiedelei im großen Agnuzzo bekommt und während ich mir den schiefen Turm von Pisa angesehen habe, habe ich gleichwohl an mein Steffgen gedacht, was wird er essen, was wird er trinken, womit wird er sich kleiden. Darauf wirst Du womöglich antworten: nach solch allem trachten die Heiden, denn euer himmlischer Vater weiß, was ihr bedürfet. Jawohl, sag ich, besorgt sein um Menschen, die man liebt. Du hast ja gesagt, der Turm von Pisa sei absichtlich schief gebaut worden, um das Irrationale anzudeuten. Nun, also der Turm ist schief, so schief, daß mir schwach im Kopf wurde davon. War mit Annemie ganz allein auf dem großen einsamen Platz, auf dem nur die drei heiligen Gebäude stehen, aber der Turm … Man denkt so unheimlich, wenn man allein ist. Wenn er nur nicht umfällt in meiner Gegenwart. Was würde das für ein Licht auf mich werfen? Es ist aber alles gut gegangen und ich werde Dir Pisa noch ordentlich beschreiben, denn der Turm allein tut's nicht, sondern der Fluß, der Arno, die vergilbten müden Häuser und Menschen, so mit und bei dem Turme sind. Auf dem Friedhof, wo die Seligen ruhen, war ich selbstverständlich auch um sieben Uhr früh und es ging mir ein wenig wie dem Nonnenmädchen vom Stumbelen, die das vergangene Leben der Toten spürt. Du kennst ja mein Zittern auf Friedhöfen. Um von einem zum andern zu kommen. Ich werde Dir noch später alles einzelne genau beschreiben – Euer Kurier und Berichterstatter tut, was er kann.

Ach, Steffgen, als wir uns am Morgen in Agno von Dir verabschiedeten und Du uns lange nachsahst, hab ich bitterlich weinen müssen, so daß man mich in der Bahn für eine halbe Witwe hielt. Hab mich überhaupt nicht grad benommen, als war ich »Vergnügungsreisende«, obwohl ich mir vorgenommen, mich ein bißchen so anzustellen. Wir fuhren nach Varese, wo wir umsteigen mußten. Dort nahmen wir Fahrkarten nach Mailand. Ein Billett kostete 29 Lire. Wir glaubten gleich zuviel bezahlt zu haben und bestürzten uns. Auf der Fahrkarte hat 12 Lire gestanden und da hab ich mit dem Schaltermann hin und her debattiert, so daß wir beinah den Zug nach Mailand überhaupt versäumt hätten, aber man will's doch gerne ordentlich haben. Das seien veraltete Fahrkarten, hat's geheißen. Nun, in Gottesnamen, wenn wir nur vorwärts kommen, aber billig ist diese Reiserei nicht, das kann ich Dir nur sagen. In der Bahn hab ich mein Geld hin und her gezählt und mußte es doch zu dem Zweck aus dem Säckchen, was Du uns fabriziert hast, jedesmal aus der Bluse holen. Mir war, als wären unsere vierhundert Lire schon halb fort, und wir noch lange nicht in Mailand. Die Reisenden haben gelacht, daß wir über Ponte Tresa fahren. Ja, mein Mann hat's so gesagt. Die haben geguckt, als wenn sie dachten, die Frau muß ja einen wunderlichen Mann haben, der seine Leute auf solchem Umweg nach Italien schickt. Soll kein Vorwurf sein, ich bin ja auch nicht gescheiter gewesen. Also gut, jetzt sind Emmy und Annemie in Arkadien. Kennen Sie das Land? hat man gefragt. Wo die Zitronen blühn. Es hat geregnet in der Lombardei und ich hab mir erst nicht denken können, daß das Italien sein soll. Haben Sie kein besseres? In Mailand sind wir mehr aufgefallen, als daß Mailand uns aufgefallen wäre. Wir waren ein bißchen müde von der letzten durchwachten Nacht. Wir wollten in der Nacht weiter fahren nach Genua.

Haben wir erst einen Kaffee getrunken in einem übertrieben feinen Haus in den Kolonnaden. Da habe ich mir den Kopf zerbrochen über das Kursbuch. Es ist mir ein Rätsel wie andere Leute aus diesem Buch klug werden. Es ist doch so schwer verständlich. Der Kellner hat uns dann geholfen, aber gemeint, wir sollen doch lieber nach Venedig fahren, dort sei es so schön. Kann ja sein, aber vorerst nach Genua. Um ein Uhr in der Nacht ist der Zug gegangen. Wir haben uns zum essen eingekauft, und da wir Hunger hatten und nicht wieder ins Café gehen wollten, auch keine Lust hatten, erst einen Park zu suchen, haben wir uns ein bißchen vor ein Schuhgeschäft hinangesetzt. Da war auch eine hübsch bunte Jalousie, die vor der Sonne schützte, und das Haus war so glücklich gebaut, daß man die Sachen auf dem Mauervorsprung ein bißchen ausbreiten konnte. Es blieben ziemlich viele Leute vor dem Laden stehn, aber es gab auch hübsches Schuhzeug, rot und grün, also ganz besondere Schuhe. Annemie hat dann den Rucksack ausgepackt und wieder eingeräumt und ich hab ein bißchen im Wörterbuch gelesen. Aber was meinst Du, Hugo? Der Dame vom Geschäft hat's nicht gepaßt und sie ist jeden Augenblick herausgekommen und hat auf uns herabgesehn, so, als hätten wir nicht die geringste Existenzberechtigung. Wir haben jeden unzufriedenen Blick tapfer ausgehalten. Wir haben in aller Ruhe zur Nacht gefrühstückt. Das war gegen vier Uhr.

Dann sind wir in den Dom gegangen, der ganz nahe dabei war, denn wir sind gleich in die lebhafte Gegend gekommen. Der Dom, den man im allgemeinen ja nicht leiden mag, hat mir sehr gefallen. Die vielen, vielen Heiligen, die man schon von außen sieht. Da ist so viel drum und dran an diesem weißen Haus, das innen so mystisch dunkel und bunt ist. Ein Zeichen, wie man den lieben Gott verwöhnt. Über das Wie werde ich Dir noch ausführlich schreiben.

Sagen muß ich noch: Die Annemie hat sich nicht grad gefällig mir gegenüber benommen. Also, wie ich Dir schon sagte, ich bemerkte, daß das Reisen teuer ist. Und wir wollen doch weit. Und in Mailand gab's auffallend billige Fahrräder. Die billigen Fahrräder scheinen mir typisch für Mailand zu sein, denn ich habe eine Occasione neben der andern gefunden. Kurz und gut, ich sagte Annemie, wir wollen uns Räder kaufen, vielleicht ein Tandem. Das wäre doch praktisch gewesen. Was meinst Du, Hugo, wie sie reagiert hat? Gesträubt hat sie sich sozusagen mit Händen und Füßen. »Wir können doch gar nicht fahren«, hat sie gesagt. Ich: »Das lernen wir in einer Stunde.« Sie hat keine Lust gehabt. Sie ist zu bequem. Sie hat gedacht, es ist ja viel einfacher in der Eisenbahn zu sitzen. Wir sind recht heftig aneinander geraten und in Pisa wollten wir uns sogar voneinander trennen. Wir waren überreizt und müde und ich hab gesagt, daß wir nicht miteinander Tandem fahren könnten. Was hilft es, wenn wir uns ein Zweirad anschaffen und Annemie nicht fahren will. Soll ich das etwa dann allein durch die Welt führen? Nun, ich hab dann alles verschmerzt und wir sind abends in Mailand im Kino gewesen, weil wir doch jahrelang keinen Film gesehen haben. Weißt Du, was wir sahen? Den Tessin, unsern über alles geliebten Tessin. Es war ein Vergnügen sondergleichen. Morcote haben wir auch gesehn. Es hat nur noch gefehlt, daß Du, mein liebes Steffgen, da spazieren gehst. Dann wäre es vollendet gewesen.

Vergiß nur nicht zu essen, Liebling und vergiß auch nicht den Hühnern zu essen zu geben, aber nicht die ganze Portion auf einmal. Kannst Du gut arbeiten? Gefällt es Dir?

Schreibe mir vorerst Florenz »hauptpostlagernd«, Du wirst meine Adresse bekommen, sobald ich eine habe. Ich hätte Dir noch vieles mitzuteilen, was in der Schwebe ist, daher ich warte, bis ich sicheres weiß. Sei vielmals gegrüßt, mein lieber Hugo, auch von Annemie. Sie ist todmüde, das arme Kind, und das Sehen strengt ja auch an. Es ist alles so neu für sie und sie guckt nur so mit großen Augen und mit geöffneten Lippen. Sie ist höchst verwundert über die Welt. Über Nervi und über das Meer habe ich einen kleinen Aufsatz geschrieben, den Du vielleicht gütigst auch als Brief für Dich ansiehst. Grüß alle Freunde und sei umarmt von Deiner E.

An Emmy und Annemarie

Mein lieb Emmylein, mein lieber Annemusch,

gelt, das haben wir fein gemacht: jetzt seid Ihr mitten in Italien, zwischen all den schönen Sachen, und ein Zimmer habt Ihr auch schon, und Aussichten für den guten Annemusch und gar vielleicht in einer englischen Pension … ich bin nur gespannt auf Eure nächsten Briefe, wie alles wird und geworden ist, ob Ihr Glück habt, ob Euch die Stadt gefällt, kurzum, wie Ihr Euch nun finden werdet. Die Strapazen der Nachtreisen habe ich schon vorausgesehn. Aber nun, es war doch schön, nicht wahr Kinderleins? Hat Euch das Steffgen einen schönen Weg gesagt? Ihr hättet vielleicht in Nervi übernachten sollen, damit es nicht zu viel wurde. Nun, jetzt werdet Ihr Euch ja längst ausgeschlafen haben und heute, am Sonntag, was Ihr da wohl alles gesehen habt? Wart Ihr in der Messe im Dom? Und Pisa war schön, nicht wahr? Es ist mir, als wäre ich dabei gewesen. Und, oh, Emmly, was Du über Nervi schreibst. Wie ist's möglich, daß Dir das so schnell eingefallen ist. Du schreibst so leicht und doch, als hättest Du viele Jahre über einen Satz nachgedacht. Dieser verschleierte Tag am Meer ist wunderschön. »Ein korallenfarbener Schleier trennt mich von allen Wirklichkeiten.« Und das am Meer gesagt. Wie das hineinsinkt ins Meer und wie die Wellen Deine Verwandlungen begleiten. Ist's wohl das Seepferdlein, was sagt »Die kleinen Seesterne umschweben mich und schenken mir von ihrem smaragdenen Schein …?« Mein Menschlein, das hat dem Steffgen arg gut gefallen … ich hab Euch sehr lieb.

Nun müßt Ihr mir nur sagen, wo die Via Cavour ist, ich meine in welcher Gegend, Domplatz, Bahnhof, San Marco, Pitti? Wenn ich das weiß, finde ich mich gleich zurecht, wenn ich in Gedanken zu Euch hereinschauen will.

Als Ihr weggefahren wart, da trollte ich demütiglich nach Hause und setzte mich auf die Treppe und weinte ein wenig, Euch nach. Aber Ihr seid unter Gottes Schutz, Ihr zwei Kindlein, es kann Euch nichts passieren.

Nun bin ich in der Küche beim Einkochen. Es sieht aus wie beim Hexenmeister: Schwefel, Gläser, Kürbisse, Feigen, Spiritusflamme und die Musch, die Katz dazwischen, die sich freut und schnurrt, weil es vom Herd her so schön behaglich ist. Das Einkochen macht mir einen Heidenspaß. Wärst Du, Emmly hier, würdest Du mir vielleicht einiges dareinreden. So kann der Steffgen in aller Ruhe seine eventuellen Fehler genießen, aber ich glaube, es stimmt. Ich tue überall Salizyl daran, sonst werdens ja keine Konserven. Die Feigen hab ich vom Baum genommen, schöne Ernte. War heut nachmittag grad recht beim wirtschaften, als Saagers ankamen. Die guckten nicht schlecht. »Aus ist's,« sagte ich, »alles ist ausgeflogen.« Die gute Frau Doktor mußte sich den Kaffee selbst kochen, den Kaffeebeutel ausspülen, die Mühle drehen, es war sehr lustig. Dann saßen wir draußen und es gab Klausnerkost: Kaffee ohne Milch, weil sie noch nicht da war und ziemlich hartes Brot mit Pflaumenmarmelade. Daran fehlt's ja nicht, mein Emmy, Du hast mich reichlich versehen. Gegen sechs gingen Saagers fort. Und dann mußte ich nochmals Feuer anmachen …

Ich schicke Dir Belege von Deinen Arbeiten. Es ist auch ein netter Batzen Honorar angekommen. Wenn's so weiter geht, ist's ja gut und recht. Sag, Emmly, gefällt es Dir in Florenz? ich möchte so gern, daß es Dir gefällt. Moment mal, ich muß nur in der Konfitüre drehen … brennt so leicht an … So, so, das hätten wir … Fein duften die Feigen … Es ist eine gelehrte Besprechung angekommen, ja gewiß. Von Stiglmayr, weißt, von dem Jesuiten, der die Hierarchien herausgab, wohl der erste deutsche Dionysiusforscher. Er ist ein wenig trocken und kann mir nicht gut zustimmen, weil er etwas ganz anderes viele Jahre gelehrt hat. Er will nicht, daß man Dionysius einen Heiligen nennt und wundert sich, daß ich es doch tue. Er kann aber nichts Stichhaltiges dagegen sagen und tut's auch nicht. Es ist im ganzen eine etwas sauersüße Anerkennung der »enthusiastischen Hingabe« des Verfassers. Die Kritik, drei enge Seiten, steht in der Zeitschrift für katholische Theologie-Pardon, aber die Konfitüre ruft schon wieder. So. Jetzt hab ich den Kochtopf vom Herd genommen und setz ihn mir morgen wieder zu Feuer. (Kinder, teilt mir doch gelegentlich mit, wo ihr die Heu-Kochkiste hingetan habt. Der Steffgen könnt sie brauchen … )

Grad am Franziskustag (4. Oktober) wollte ich nach Calprino spazieren. Da kam ich an der kleinen, blumengeschmückten Lorettokirche vorbei und ging hinein, setz mich hin und halt ein Rühlein. Hinterm Altar war ein Pater, der bemüht war, einem Dienstmädchen das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit zu erklären.

Ich hörte ihn immer ganz laut sagen: »Also der Vater isch Gott und der Sohn isch Gott und der heilige Geischt isch Gott. Es isch ein Geheimnis, wir könnets nüt verschtoh. S'ischhalt e Geheimnis.« Dann fing er wieder von vorne an: »Also der Vater isch Gott und der Sohn isch und …« so ging das wohl an die siebenmal und das Steffgen hörte sich das an, dachte nach, und hatte auch einen mächtigen Schnupfen, hat sich, aber nicht recht zu schneuzen getraut. Und ist dann über Paradiso nach Calprino gegangen … und da wars wieder anders …

Lebt wohl, Kinderleins. Ist der Brief weg, so wird mir noch tausenderlei einfallen, was ich vergessen habe zu schreiben. Der Musch geht's auch gut, den Küngelis und den Hühnlis gleichfalls.

Die Musch war untröstlich, als sie dahinterkam, ihr seid abgereist. Sie führte mich immer an die Klingeltür, sah zu mir auf und miaute. Sie ging in alle Zimmer und sah nach. Aber wir mußten konstatieren, ja, sie sind fort. Da haben wir zusammen den Rest vom Huhn aufgegessen und da ist uns wieder ein wenig besser zu Mut gewesen. Haben uns gesagt, die kommen schon mal wieder, wollen sich nur mal den Wind um die Nase wehen lassen. Lebt wohl und behaltet mich lieb. Euer Steffgen.

*

An Emmy

Emmely … das wollte ich noch sagen: Du mußt alle Energie darauf verwenden die Sprache zu lernen. Du darfst nicht zu sehr sparen, nicht zu ängstlich sein der Ausgaben wegen. Sprachbücher schicke ich Dir. Vor allem mußt Du ein gutes Wörterbuch haben. Ferner ein Gebet – auch ein Kochbuch. (Mußt nicht lachen darüber.)

Die Zeitung lesen! Kannst Dir einzelne Nummern kaufen. Da lernst Du rasch … Das Fremdenblatt brachte Dein Herbstgedicht »Es ist ein Lächeln in den Untergängen …« Das kennt man in Deutschland noch nicht und es kann nicht oft genug gedruckt werden. So schön ist es. Sag mir, was ist aus dem neuen Gedicht geworden? Du hattest es mir doch versprochen:

»Oh, laß mich tauchen in die Tiefen
In Deines dunkelen Namens Nacht,
In der die Heiligen entschliefen.
Die weißen Schläfer sind erwacht …«

Aber nein, was Du alles sollst. Ich fürchte fast, wie Deine liebe Mutter, die Dir immer sagte »Dein kleiner Kopf wird es nicht aushalten«. Und das kleine Herzlein, Liebling, auch nicht. Die große Stadt und die vielen neuen Dinge. Wie ich Dich lieb habe … Das soll Dich ganz tief tragen und ruhen lassen … Daß Du mit unserm Annemusch einen so schönen Sonntag verbracht hast! Und sie bei Dir, das ist fein. Freute sie sich wohl? [Annemarie war in einer Florentiner Familie engagiert.] Ach, ich sehe Euch sitzen auf der Bank im Boboligarten und beraten. Habt keine Furcht, Kinderleins. Das Schlimmste ist vorüber. Ihr habt viel Glück gehabt und Eure Sache gut gemacht.

Habe ich Dir erzählt, wie es mir am Sonntag mit Robin gegangen ist? Versprochen hatte ich, den jungen Herrn, bei gutem Wetter zur Messe in der Kathedrale, abzuholen. Wir verabredeten für acht einhalb Uhr. Ich stellte den kleinen Wecker auf halb acht, bereite mich ein wenig vor und schlafe getrost ein. Was denkst Du? Um halb zehn werde ich wach! Der Wecker war nicht gefallen. Nun, es ist alles gut gegangen. Ich lief in die Osteria, telephonierte, man möchte den guten Robin mir nach Gentilino bringen, es sei noch reichlich Zeit. Um halb elf sind wir dann in Lugano angekommen. Drei Musiken haben wir gehört! In der anglikanischen Kirche wurde Orgel gespielt und dazu gesungen. Von der Stadt herauf hörten wir die Kapelle und im Dom fanden wir unter Orgelklängen Platz. Robin wurde still und schüchtern. Er rückte immer näher zu mir heran wie die Orgel »et cum spiritu tuo« sagte und die Priester am Altar sich wendeten und die Hände erhoben. Robin neigte seinen Kopf gegen mich und suchte meine Hand. Er war so rührend. Wir hörten die Predigt an, darüber Robin aber höchst erstaunt war. Dann wollte er gehen und wir bekamen noch das Postauto, das nach Agra hinauffährt. Unterwegs sahen wir noch die Bergbahn und drei Dampfschiffe. Es war ein großes Erlebnis.

Wie gut Du für mich gesorgt hast, mein Liebling. Das merke ich erst jetzt recht. Ich habe außer Milch, Brot und Eiern eigentlich noch immer nichts einkaufen brauchen. Die Vorräte im Küchenschrank halten lange vor. Kaffee und Kakao habe ich noch, sogar Makkaroni. Einmal habe ich erst waschen lassen, ein paar Kragen und einige Taschentücher. Dafür wollte Giuditas Mutter nichts nehmen, kein Geld, weil ich ihr ein paar Kleidchen von Euch geschenkt habe. Morgen kommt die Frau, um die Kartoffeln aus der Erde zu nehmen. Ich möchte meine Zeit nicht damit verzetteln. Nein? Also gut … Annunziata hat mich freilich versetzt [Hugos kleine Dienerin]. Einmal hatte ich die Tür geschlossen als sie kam. Einmal gab's nichts zu besorgen. Da ist Annunziata dann nicht mehr gekommen.

Dafür aber kommt die kleine Giudita, das Töchterchen von der Milchfrau. Unser taubstummer Giuseppe läßt grüßen, ebenso Donato und seine Frau [Briefträger]. Bei denen hole ich mir abends Deine Briefe ab. Die Leute im Dorf schauen mich seltsam an. Die glauben wohl, wir bauen wieder ab, wie vor zwei Jahren.

Ich möchte Dir ein Bild von mir schicken. Frau B… könnte mich doch photographieren. Sie haben drei Apparate in Montagnola. Wem Gott halt rechte Gunst erweisen will …

Sag, mußt Du jeden Tag an den vielen Hunden vorbei? Oder sind sie eingesperrt? Schreibe mir genau darüber, weil Du Dich doch vor Hunden fürchtest. Wem gehören die Hunde? Ach, ach, ach … Versäume nicht zu Arrigo Levasti zu gehn [italienischer Schriftsteller]. Du wirst sehn, was es bedeutet. Papini ist heute der mächtigste Schriftsteller in Italien. Können mit Leichtigkeit etwas von Dir bringen. Der Verlag in Florenz heißt Valecchi … Die Übersetzung meines Buches … das ist viel schwieriger … Man verhandelt jetzt in Deutschland wegen einer neuen Geldwährung. Es geht ja so nicht mehr. Wenn das erledigt ist, wird alles besser werden.

Du kannst Levasti auch von meiner »Intelligenz-Kritik« sagen. Papini hat ein ähnliches Buch geschrieben. »Crefoscolo dei Philosophie.« Es wird Papini interessieren, daß ich Leon Bloy und Ernest Hello verehre oder verehrte und daß wir 1916 den Dadaismus schon erfunden hatten. Levasti hat in einem Aufsatz ähnliche Dinge von den Italienern erzählt.

… es wird gut sein, wenn Du Dir beim Lesen meines Briefes ein Blatt Papier nimmst und Dir Notizen machst. Man vergißt doch sonst. Emmylein: O, salutaris hostia … Gut Nacht, mein Sternlein, Dein Steffgen.

An Emmy

Nach Florenz in die Via Senese

Liebling, die Post habe ich wohl immer richtig erhalten.

Man vergißt nur mitunter auf dieses oder jenes einzugehen. Heut früh kam Dein Brief von Donnerstag und kreuzte sich mit dem meinen von Freitag, in dem auch das Bildchen lag. Hast Du das richtig bekommen? … Ich lese immer wieder Deine wunderschönen Gedichte, Liebling. Das ist so tröstlich für mich.

Wir werden doch nicht ganz mausetot sein, wenn wir einmal gestorben sind? Dein Lächeln, mein Liebling, wird auch ein wenig meiner gedenken lassen, glaubst Du nicht? Nicht wahr, mein Emmy, Du lächelst auch ein wenig für Dein armes Steffgen …

… Doktor Saagers in Massagno waren so lieb. Sie gaben mir ein paar dicke Finken [Hausschuhe] und einen Fußsack aus Pelz, ganz herrlich. Nun kann ich ohne übertriebenen Heroismus wie ein Polarforscher überwintern. Ihr solltet mich sehn, Emmy. Ihr würdet Euch totlachen. Wenn abends die kleine Giudita mit dem schmalen, blassen Gesichtchen und den blonden Härlis kommt, richte ich mich immer in meiner phantastischen Weise ein wenig her, dann macht sie große Augen. Sie bringt jetzt immer noch einige Trabanten mit, die mich grausliches Wunder wohl auch mal sehen sollen. Die stehn dann mit offenen Mündern da, über den verwunderlichen Herrn Einsiedler, der jeden Abend seine Milch und mezzo Kilo pane bekommt und so lustig ausschaut. Im Dorf verwundern sich alle, daß ich noch immer allein bin. Die Milchfrau aber sagt, sie sei schon drei Jahre allein. Da hat sie einen großen Vorsprung.

… Geld gebe ich morgen früh auf (Fünfzig Franken). Beim Fremdenblatt habe ich reklamiert, daß das Honorar geschickt wird. Dein »Carona« ist inzwischen erschienen. Anbei der Ausschnitt. Wie geschickt Du das machst, hab Dich sehr bewundert. Rose von Peru … Bei den Landpartien, zu denen man hier immer wieder genötigt ist, bin ich oft morgens sehr müde, schlafe und arbeite spät. Das kennst Du ja … Die Kaninchen haben gestern die Rinde vom Feigenbaum abgenagt. Es gibt eben kein Grün mehr. Der Garten ist kahl und naß. Ich koche den Kaninchen Kartoffeln, Birnen, Kürbis, was ich gerade habe. Die Hühner sind sehr gewachsen. Hesse fand auch, sie seien gut genährt. Der weiße Hahn hat jetzt eine pompöse Sichel. Der ist aber der allerfrechste von der Gesellschaft. Die Kaninchen hab ich übrigens einsperren müssen, weil sie immer noch beim kältesten Regen draußen übernachteten und herumknabbern wollten. Jetzt sind sie im Heustall.

Ich freue mich auf Deine nächsten Briefe. Donnerstag bin ich bei Doktor Müllers in Montagnola zum Abendbrot … Von Hesse habe ich noch nichts gehört. Er wohnt in Basel, im Hotel Krafft. Ich will nächstens von seiner Erlaubnis Gebrauch machen und mich ein wenig in seiner Bibliothek umsehen.

Das Valumbrosa (Val Umbrosa ist schattiges Tal) mußt Du mir sehr gut beschreiben, Emmylein. Ich erinnere mich so gut, wie ich Dir vergangenen Winter am Kamin aus dem Görres die seltsame Geschichte noch einmal vorlesen mußte … Ich kann mich noch immer nicht entschließen, wieder an die Kritik heranzugehen. [Die Neubearbeitung als »Reformationsfolgen«.] Mir ist immer, als müsse ich noch auf irgendein Zeichen warten … Leb wohl, Liebling, innig Euch beide umarmt Euer Steffgen.

An Emmy

Donnerstag abend

Das ist mal recht vernünftig, daß Du geblieben bist, mein Emmy. Ich konnte Dir gar nicht schreiben, weil ich nicht recht wußte, wo Du steckst. Ist's nun wirklich zu Ende mit der Hausarbeit in der Via Senese? Wenn ich's nur glauben dürfte. Du wirst sehen, wie das gut sein wird. Sag mir rechtzeitig, wann Du wieder Geld haben mußt … Das Paket schick ich Dir morgen. Die kleine Spieluhr auch. Soll ich Dir nicht etwas von der Konfitüre schicken? Wir haben doch so viel davon … Die Karte mit dem schönen Vers habe ich freilich bekommen, Liebling. Auch Deinen Bericht von der Certosa. Hesse war auch dort und mußte mir noch einiges mehr erzählen …

Deine Erlebnisse mit dem Stummen sind gar nicht verwunderlich. Oft kann es einem schon vorkommen, als seien die Menschen nur zur größeren Verwirrung mit Sinnen begabt und als müßten sie erst von Sinnen kommen, um wieder hören und sehen zu lernen. Das gibt sich gut, Liebling. Als die Menschen den heiligen Antonius nicht zu hören vermochten, kamen die Fische und er predigte diesen Stummen. Der Unterschied ist ja nicht so groß. Seitdem Du eine neue Sprache, das Lächeln, erfunden hast, mußt auch Du auf ein neues Publikum gefaßt sein. Das Lächeln ist eine große Vereinfachung. Man sollte wirklich die Sprache nicht brauchen, um deutlich vernehmbar zu sein.

Ein Bildchen sollst Du noch von mir bekommen, Emmylein …

Auf den Bergen liegt, bis nach Cademario hinunter, Schnee. Gestern abend schrieb ich Noten bei Gewitter, Hagel und Donner – da holte ich die Pelzjacke hervor und fühlte mich recht wohl.

Vielleicht gehts ganz ohne Heizung. Das scharfe, energische Wetter mag ich recht gern. Unter meiner Steppdecke stört mich die Kutte wenig. Gern hätte ich Dir auch ein Paar Filzpantoffeln aus Innovazione mitgeschickt. Mal sehen. Ich kann ja gut zwei Pakete schicken.

Doktor Saager hat mir eine Menge steife Kragen geschenkt. Nun hab ich für Monate Kragen … Ich bin noch immer bei der Jurisprudenz. Man interessiert sich doch und möchte verstehen. Monatelang hatte ich ja die Schriften von Professor Schmitt in Bonn studiert. Er bedeutet für Deutschland mehr als das ganze übrige Rheinland, die Kohlengruben mit inbegriffen. Selten habe ich eine Philosophie mit so viel Spannung gelesen, wie die seine, und es ist doch eine Philosophie der Rechte. Für deutsche Sprache und Rechtlichkeit ein großer Triumph. Er scheint mir genauer zu sein, wie sogar Kant und streng wie ein spanischer Großinquisitor, wenn es sich um Ideen handelt …

Weiß der Himmel: oft scheint mir, das Leben hat nur den Sinn, sich hier unten die passende Gesellschaft fürs Jenseits auszusuchen. Mir wenigstens ergeht es so. Das Alleinsein ist vielleicht gar nicht meine Sache, aber ich mag nicht mit Jedermann gehen. Warten will ich, nur »Ja« sagen, wenn Ausnahmen meinen Weg kreuzen. So will ich meine Gesellschaft wählen, eine Gesellschaft, die auftaucht, wenn alles vorüber sein wird. Da sage ich Dir meine heimlichste Sehnsucht. Wartend will ich im Hinterhalt liegen und keiner soll mich im Warten übertreffen. Dich, mein Kind, habe ich ja auch so gefangen. Ich bin eine große Spinne, meine Emmy, die trägt ein Kreuz auf dem Rücken und hat gar gelenkige Hände. Wir wollen uns loben und bekennen. Es tut uns ja nichts …

Du, das Photo, das Frau B… von mir machte, ist ganz komisch geworden. Sie fragte mich, wieviele ich davon haben wollte. Aber ich mußte nur lachen. Ich sagte nur: »Eins oder zwei …« Nun, Du wirst das Bild ja sehen. Nächsten Donnerstag ist's wohl so weit … Das Mützchen aber für Dich habe ich nicht zu erbitten gewagt …

Die kleine Trude Müller ist jetzt schlank, wie eine Eidechse. Ich sah sie oben in Montagnola. Sie erzählte mir Witze, sehr putzig. Ich erzählte ihr dann auch welche …

Von Englert habe ich gehört, daß ein Bekannter von ihm, ein Rechtsanwalt in Berlin, abends auftritt und »Stimmungslieder« singt, um seine Familie zu ernähren … Wir sind wie die Tropfen, die von einer Kerze fallen beim Totenamt.

Emmy-Kindlein, ich sag Dir gute Nacht. Du bist das Sternlein in dieser selbigen Nacht. Dein immer und ewiges Steffgen, Dein Hugo.

Vor einem hellen Marienbild

Vor einem hellen Marienbild
Spielte ein Bettler die Geige.
Die Vögel sangen im Herbstgefild,
Der Tag ging schon zur Neige.

Er spielte der Reben süße Last,
Die hingen ihm bis zur Stirne,
Er spielte den reifen Apfelast
Und der Berge schneeige Firne.

Er spielte der blauen Seen Licht,
Die leuchteten ihm aus den Augen.
Er sang zu der Geige und immer noch nicht
Wollte das Lied ihm taugen.

Da sang er den Mond und die Sterne dazu,
Die konnte er alle verschenken
Und weinte des Waldes einsame Ruh,
Die tät seine Geige tränken.

Er spielte und sang und merkte es kaum,
Wie Maria sich leise bewegte
Und ihm beim Spiel ihrer Hände Schaum
Auf die wehenden Locken legte.

Er drehte beim Spiele sich hin und her,
Das tönende Holz unterm Kinne.
Er wollte, daß seine süße Mär
In alle vier Winde zerrinne.

Da stieg die Madonna vom Sockel herab
Und folgte ihm auf seine Wege.
Die gingen bergauf und gingen bergab
Durch Gestrüpp und Dornengehege.

Er spielte noch, als schon der Hahn gekräht
Und manche Saite zersprungen.
Auf dreien spielt er die Trinität,
Auf zweien die Engelszungen.

Zuletzt war es nur noch das heimliche Lied
Vom eingeborenen Sohne.
Maria deckte den Mantel auf ihn,
Drinn schläft er zum ewigen Lohne.

(Wir Gedichtleins grüßen von Steffgen)

Emmy an Hugo

Sonntag früh

Mein lieber Hugo,

wie soll ich Dir für Deinen Brief danken? ich habe heut nacht im Traum von Dir geweint, Hugo. Dein Leben, mein Liebling. Ich habe wieder heimlich bei Annemie geschlafen. Aus der Via Senese bin ich fort und zwar des Stummen wegen. Es ist ein Unglücklicher, einer, der offenbar über ein Unglück geistesgestört wurde, wenn ich's recht empfinde. Er zeigte, als ich ihn abends am Lung-Arno traf, so traurig über den Fluß. Ich hab nur genickt und »Povero« gesagt. Was kann ich sagen, nicht wahr? Dann aber hat er mich durch die lange Via dei Seraglie verfolgt und vor der Tür blieb er stehen, so daß ich am liebsten umgekehrt wäre. Er hat ein Gesicht, wie etwa der Sandmann in Hoffmanns Erzählungen und er ist verwachsen, also die Flügel im Rücken, wie man sagt. Er zeigte auf seinen Mund und wollte einen Kuß von mir haben. Ich zeigte ihm meine Hand und meinen Ehering. Den küßte er dann, aber es war mir peinlich und ich zog meine Hand zurück und begehrte, daß er die Tür freigibt, was er auch ohne weiteres tat. Dann habe ich ihn beinahe täglich gesehen und er ist nur, mich ansehend, an mir vorübergegangen und ich hab nicht viel hingesehn, auch nicht etwa ostentativ weggesehn. Er ist sogar in den Laden gekommen, wo ich Einkäufe zu machen hatte und das war mir dann doch lästig. Nun, also denke, er ist oben im vierten Stock gewesen, wo ich allein neben einer jungen Dame wohne. Es ist der Bodenstock, wo wir wohnen. Er kam einfach ins Zimmer, ich war im Schreiben versunken und weiß nicht einmal, ob er an die Tür geklopft hat. Diese blieb geöffnet stehen. Die Szene, die sich abspielte, das war der reine Schauerroman. Ich hatte den Bracci-Ofen am Boden stehn und da stand ein Kochtopf darauf. Fiel um. Der Stumme war auch wie blind. Er kam auf mich zu und ich sicherte, so gut es ging, das Kerzenlicht. Ich habe zwar eine Lampe, sie war ausgebrannt. Als ich zurückwich, zog er zu meiner höchsten Verwunderung einen Revolver aus der Tasche und hielt die Waffe auf mich gerichtet. Ich konnte nur »ma perché, Signore?« stammeln. Ich habe mir gleich gedacht, daß er entweder ein Verrückter ist, oder er verwechselt mich mit einer anderen Person, aber ich weiß nicht. Im selben Augenblick kommt die Dame von nebenan aus dem Geschäft nach Hause und sieht ins Zimmer. Sie macht ein groß Hallo, was mich mehr schreckt, als die Waffe. Ich sage: »Reizen Sie ihn doch nicht. Sprechen wir ihm lieber gut zu …« Zu einer harmlosen Unterhaltung jedoch konnten wir es selbstverständlich in diesem Augenblick nicht bringen. Das Fräulein fragte: »Was wünschen Sie?« Da hat er nur schrecklich gelacht und ich bot ihm dann einen Stuhl an. Da ließ er den Revolver sinken und ich hab ihm den einfach abgenommen »Che brutto cosa!« und auf den Tisch gelegt. Hat sich's ruhig gefallen lassen. Da bekam meine Nachbarin auch Courage und sagte, er möge sich entfernen. Wir könnten hier im Hause keine Herrenbesuche empfangen und noch alles mögliche unnötige Zeug sagte sie. Vom Wetter und wie er heiße. Der Mann hat gar nichts verstanden und starrte nur immer auf mich. Plötzlich stand er ruhig auf und ging ebenso fort, ohne Deutliches zu sprechen. Ein bißchen murmeln kann er schon. Die Folge von diesem Besuch war, daß ich nach einer kleinen Stunde das Zimmer voller Gäste hatte, die mich beschworen, sofort das Haus zu verlassen. Da bin ich am Abend zu Annemie.

Nun ist aber der Baron auch nicht entzückt von mir, jedenfalls nicht davon, daß ich dort heimlich schlafe.

Da Annemariens Zimmer ein Durchgangszimmer ist, das tagsüber benutzt wird und zwar zu früher Morgenstunde, da ist's für mich nicht leicht zu schlafen, weil man mein Gesicht nicht sehen darf und ich mich meiner Anwesenheit wegen schon mehrmals habe entschuldigen müssen. Zur Köchin hat der Herr gesagt, was ich nur für eine seltsame Frau sei, daß ich fremde Häuser für Schlafgelegenheiten ansehe, die man einfach benutzen könne. Aber mein Kind ist doch hier engagiert und ich auch, ich habe an drei Nachmittagen ihm die Korrespondenz besorgt und über Ölrückgewinnung aus Walkwässern geschrieben und einen Liebesbrief ihm aufgesetzt, weil er nicht recht deutsch kann, und ich habe Öltransporte ausgerechnet und hab nur zwanzig Lire für alles verlangt. Da kann er mich doch schlafen lassen. Jetzt schlafe ich diese Nacht wieder hier. Werde doch mal sehen, ob ich nicht meinen Wunsch und Willen durchsetzen kann. Diesen Brief schreibe ich in seinem Büro und auf seiner Maschine, er ist in Gesellschaft in Fiesole und kommt mit der vorletzten Bahn zurück. Die Annemie bringt mir Kaffee und sie hat mir gezeigt, wieviele Anzüge der Baron hat und möchte gerne Dir eine von seinen Krawatten schicken. Er hat wohl an die hundert Krawatten, aber wir nehmen selbstverständlich keine. Wir waschen uns nur mit seiner Seife, weil die so gar gut riecht und er hat auch ein gutes Parfüm, drum riecht der Brief so gut. Riech nur mal, Steffgen, das ist vera violetta … Gut, nicht? Steffgen, die Annemie geht wie auf Kohlen, sie hat Angst und es wird Zeit, daß ich »verdufte« … Denn, wenn der Baron doch früher heimkommt … Morgen schlafe ich bei den grauen Schwestern in San Nicolo, da kostets aber fünf Lire. Ist ja nicht viel Geld, aber wenn man es sparen kann. Ja, ja … das ruf ich der Annemie zu, die mich drängelt. Tausend Grüße und Küsse von uns beiden. Morgen früh schreib ich weiter …

Ach, mein lieber Hugo, nichts war mit dem Schlafen. Der Baron ist früh nach Haus gekommen und hat mich gleich gesehn, weil ich die Tür aufgemacht habe, als es klingelte, und zum Spaß hatte ich noch Annemuschs Häubchen auf dem Kopf. Der Baron hat geguckt, als wenn er Reckturnen im Kopf hat, aber ich habe mich großartig entschuldigt und dann war er auch nicht uneben. Hat mich gefragt, ob Annemie mit ihm nach Venedig fahren könnte, da er übersiedeln will. Nein, also Annemie sei nicht zum mitnehmen da, und ich wurde skeptisch gegen den Herrn und kriegte eine Heidenangst, Annemie allein zu lassen. Diese aber drängte mich fort. Es war schon zu spät und ich hab geweint, daß ich nicht bleiben darf. Ich hatte Sorge um Annemie, denn sie schläft allein mit dem Herrn auf derselben Etage und ich muß doch nachdenken, aber ich flog sozusagen hinaus und unten auf der Straße mochte ich nicht weggehen und setzte mich auf einen Steinhaufen, es wird gebaut. Das Nebenhaus bekommt einen Anbau. Nun, wie ich so dasitze und recht traurig bin, weil ich auch nicht zu so später Stunde wußte, was anfangen, kommt ein Herr in Offiziersuniform und ist im Begriff, ins Haus zu gehen. Sieht mich und fragt fein salutierend, ob ich etwas suche oder brauche. Ja. Also meine Tochter sei dort und dort engagiert und ich möchte so gerne zu ihr. Das sei das wenigste, hat der Offizier gesagt und ich solle nur mit ihm kommen. Gerne. Hat mich im Lift hinaufgefahren, während ich sonst immer die Treppen hinauf- und hinuntergehe. Die Höflichkeit dieses Herrn war wirklich wunderschön. Er blieb mit mir vor der Etagentür des Barons stehen, ich wollte dankend abwehren, denn ich kann schließlich auch allein auf den elektrischen Knopf drücken. Ja, aber der Offizier hat geklingelt, einfach großartig. Kurz und energisch und dann dreimal nacheinander. Der Baron und Annemie hinterher kamen beide aufmachen. Der Offizier stellte mich vor und grüßte dann wieder ganz fein und ich sagte: »Grazie Mille, Signore«, aber der Baron war einer Verzweiflung nahe und wir hatten eine lebhafte Debatte im Korridor. Ich sagte: »Gut, hier habe ich das letztemal geschlafen und Ihre Geschäfts- und Liebesbriefe können Sie künftig vielleicht von jemandem andern schreiben lassen … Entschuldigen Sie nur, ich meine es nicht schlimm, aber ich möchte ein Wort mit meiner Tochter sprechen …« Ich wollte Annemie auf der Stelle mitnehmen, aber sie wollte nicht und ich habe mich begnügen müssen, sie an ihren Schutzengel zu erinnern. Wenigstens wollte ich's gesagt haben. In San Niccolo kam ich dann nicht mehr ins Haus, aber ich hab doch Glück gehabt, denn es war Mondnacht und ich bin bis San Miniato spaziert, das war kostbar schön, der große helle Friedhof und unter mir und weit ausgebreitet Florenz. Soll Dein sein, mein Hugo und diese Nacht, wie jede. Ich hab Dich lieb, wie alle Sterne und wenn sie fallen, wünsche ich, Dich lieb zu behalten. Deine Emmy.

 

Hugo, wie mich bei alledem, bei den verschiedenartigsten Erlebnissen, die mir begegnen, Dein Brief erschüttert hat.

Was Du mir von Deinen Bildern sagst. Gäbe es gar kein Bild von Dir, mein Hugo, und wärest Du nicht da, so unausdenkbar, ich wüßte jeden Zug in Deinem Antlitz. Ich habe Dich angesehen, so genau es nur ein Mensch vermag. Mir ist, als kenne Dich kein Mensch auf der großen, weiten Welt so gut, als ich Dich kenne. Die Einzigartigkeit aber macht mich irgendwie traurig und auch wieder ist es mein geheimes Glück, daß Dich niemand je so kennen wird, wie Emmy Dich kennt. Du sagst es ja selbst. Am besten lernt man die Menschen kennen, wenn man sie liebt und sie nur ansieht und sich freut. Sehen ist wohl lieben und belassen und lassen können. Immer wie im Abschied. Ach, Hugo …

Deine strenge Ehrlichkeit, Deine Liebesmühe in der Arbeit wird nicht verloren gehn und laß es Dich nicht bekümmern, wenn Du von der Kritik einmal falsch verstanden wirst. Es ist für, ja selbst für einen klugen Leser nicht immer leicht, zusammenzufassen und in wenigen Worten wiederzugeben, was ein anderer gedacht und gewollt hat. Und wenn Du einmal nicht arbeiten kannst, dann forciere es nicht, jedenfalls nicht zu sehr, Hugo, wenn ich das sagen darf. Daß Du immer die Empfindung hast, arbeiten zu müssen. Ja, ich versteh wohl, aber versuche ein wenig zu spielen. Und sieh, Liebling, mein Aufenthalt in Italien wird doch fruchtbar sein, wenngleich mir vieles begegnet, was ich erst sehr spät werde gestalten können … Dein Byzanzbuch hast Du im Auftrag der Heiligen geschrieben. Es wird wieder heiligmäßige und große Menschen geben und der liebe Gott wird nicht zulassen, daß ein gutes Wort umsonst und vergebens geschrieben worden ist. Du darfst ruhig sein und dankbar. Wenn Du einmal nicht arbeiten kannst, halte ein kleines Erntedankfest für das, was Dir früher gegeben wurde. Du hast so schöne Gedichte gemacht, Hugo. Die Adventsonette gefallen mir heute am besten, aber die seltsamen »Schizophrenen« interessieren mich auch sehr. Sie erinnern mich manchmal an »Tenderenda, den Phantasten«. Gut, wenn aus der früheren Zeit auch nichts verloren geht. Daß Dir die Kritik, die zu bearbeiten ist, Sorge macht, kann ich mir denken. Laß es einmal sinken, noch ruhen vielleicht. Schwer ist's wohl, weil neue Gedanken hinzugekommen sind. Ein jedes Buch aber, in dem eine genaue Wahrheit gezeigt ist, nenne ich religiös. Es muß nicht auf jeder Seite das »Weihwasser« genannt sein. Du weißt, was ich damit meine …

Ich habe in der Pension M… vorgelesen vor einigen Abenden, als ich noch in der Via Senese war. Da war ich bereits von meinem Stummen so bewegt, so daß ich die meisten Namen der Menschen, die mir vorgestellt worden sind, vergessen habe. Ein Maler wollte mich malen, aber ich will nicht.

Vielleicht reise ich bald. Ich schreibe dann noch. Mir ist, als geißelten sich nebenan die Nonnen. Ach, der Tempel des heiligen Geistes, der Körper kann auch unterjocht werden durch das Leben selbst, glaube ich. Die Aszese, nun, das ist Dein Thema, mein Liebling. Geh nicht zu hart mit Dir um, Du willst Dich doch auch geistig pflegen. Also sei umarmt, ich sende die Briefe getrennt, da sie zu schwer sind. Sei herzlich gegrüßt und geküßt. Deine E.

Emmy an Hugo

Florentinische Nacht

I

Schöne Nacht, du sternerhellte,
Still und voller Gnade,
Lauschest Du wohl einem Liede,
Einer Serenade …

Hörst Du, was die vielen Lichter,
All Dein Goldgeschmeide,
Was die Flimmernden Dir sagen:
Lebe, liebe, leide …

Alle Sterne wollen singen
Wandertrunken um die Ruh
O, wie träumet wohl die Seele
Einer fernen Heimat zu?

In jedem Lichte

II

In jedem Lichte hoff ich Dich zu lernen.
Ich weine, um Dir nah zu sein.
Und abends späh ich nach den Sternen
Und glaube Schein von Deinem Schein.

Ich bin das Kind in dunkler Fensterstufe
Und sage mir ein klein Gebet:
Hörst Du es auch, wie ich Dich rufe?
Und dann sinkt sachte der Komet.

Fällt in den See und rauscht so leise.
Ach, an den Fernen hab ich mich versehn.
Ein blindes Licht singt seine Weise
Und willenlose Zweige wehn …

Am dunklen Himmel kreisen Sterne
Sie wandern leise um die Ruh.
Es wacht der Fremdling in der Ferne
Hört einem Brunnenliede zu …

An Emmy

Liebling, heut früh bekam ich Deinen lieben schönen Brief, in dem Du so rührend über Fiesole schreibst. Hab vielen vielen Dank. Du weißt gar nicht, welche Freude Du mir mit Deinen letzten Briefen gemacht hast. Ich dachte ja nicht, daß es so schlimm steht mit dem Inseman [soll Mann im Mond heißen], daß er jetzt überhaupt kein Zimmerli mehr hat. Da kann er freilich nicht bleiben. Aber Dein Brief kam gerade recht.

Ich packte unsere Atteste [Kritiken], die ich in der letzten Zeit gesammelt habe, zusammen und sprach mit Herrn B… Ob ihnen daran gelegen sei, daß ich bleibe, meine Erfolge usw. Ich könne jetzt in Florenz erreichen, was ich mir nur erwünschte usw. Ich legte alles »Imposante« vor. B…s schienen nicht unvorbereitet zu sein. Ich sagte, daß wir einen kleinen Geldbetrag in Lugano noch hätten, daß wir aber nicht riskieren könnten usw. Ich hielt an 300 Franken fest (monatlich?). Ich wolle gerne meine Arbeit als Gegenleistung geben und unsere künftigen Honorare ihnen sichern usw. … Sonntag bin ich zu Tisch eingeladen und werde wohl Bescheid bekommen. Sie wollen die Atteste lesen und es sich überlegen.

Item: ich bin der Meinung, daß Du noch bleibst, jetzt mitten im Winter nicht zurückkommst und nicht mit halber Arbeit.

Mit dem Geld wird es auch schon klappen. Ausschlagend war ein Passus aus Deinem Brief, in dem Du mir über die Aufnahme und Möglichkeit meiner Bücher in Italien mitteilst. Das hatte ich mir säuberlich herausgeschrieben … Du, mit der Armbanduhr würde ich's lassen. Hab mir's überlegt. Das ist ja hier in Lugano vielleicht billiger, Uhren meine ich. Die Uhr Deiner Mutter habe ich jetzt gefunden. Sie wird sie als ein Geschenk von Steffgen für Dich machen lassen, wird Dir ein Kettchen dazu kaufen, damit Du nicht immer mit dem alten Wecker, den Du womöglich noch im Handtäschchen trägst, herumläufst. Ach, Liebling, wie mir Deine letzten Tage leid tun. Es soll das letztemal gewesen, daß es Dir so schlecht geht. Sollte B… meine Bitte ablehnen, komme ich sofort nach Florenz. Ich werde auch dort etwas finden. Wir wollen sehr klug sein. Miete Dir nur ein Zimmer, und vielleicht können wir eine Schreibmaschine kaufen, aber mit Vorsicht! Vorsicht! Immer Dein Steffgen.

An Emmy

Lugano, Dienstag

Emmylein, ich kann's kaum glauben. Was haben wir nur für Glück gehabt. (Wir haben Geld bekommen.) Siehst Du, das war Santa Maria Novella … Sag mir jetzt wirklich, Liebling, ob es Dir gut geht. Mußt Du wirklich nicht Dein Stiefelchen-Liedchen singen?

[Stiefeli mußt sterben
Bist noch so jung, jung, jung …
Wenn das der Absatz wüßt,
Daß Stiefli sterben müßt,
Würd er sich grämen
Bis in den Tod.]

Dann könnte ich keine Minute froh sein, wenn Du das singst mit ganz trauriger Stimme. Wie ist's mit Annemarie geworden? Ich dachte, sie hat so wenig zu tun jetzt? Findet sie nicht die Zeit, mir zu schreiben? Heute hatte ich keinen Brief von Dir. Du hast mich schon ganz verwöhnt.

Ich bin etwas verdreht im Kopf vom Schreibmaschinengeklapper. Leb wohl, Liebling, heut wirds kein rechter Brief. Schreib mir bald wieder. Nicht Briefe aufsparen, wenn's nur das Porto ist.

Die Sternlis waren besonders schön. Das hast Du fein gemacht.

Die Muschkatz läßt grüßen. Heut haben wir Makkaroni mit Ei gehabt. Abends lesen wir miteinander in all den wunderlichen Büchern (Mystik von Görres). Die Musch macht sich dann einen kleinen Balkon.

Denk Dir, im Garten blüht auf dem Rundbeet seit einigen Tagen eine ganz seltsam schöne Blume. Sie ist nicht wie die andern Herbstblumen. Die Farbe ist ganz wunderbar, ein dunkel-leuchtendes Abendrot. Ich sehe sie jeden Morgen an und muß immer an Dich denken.

Ich will zählen die Tage, wie lange sie bleibt und blüht. Immer bist Du Hugos Emmylein …

An Emmy

Oh, was bist Du für ein Kind! Jetzt hast Du wieder bis zum letzten Centime gewartet. Wenn ich doch dem Eisenbahnzug ein wenig nachhelfen könnte, daß Du meinen Brief ein wenig früher bekommst. Mein gutes Emmy, das war das letztemal, daß Du hungrig in Florenz zu Bett gehen mußtest. Wirklich das letztemal. Ich verlasse mich nicht mehr auf das, was Du mir in diesem Punkt (über Geld) schreibst … Du bist ein ganz schlimmer Schlemihl. Ich sollte es eigentlich längst wissen, aber ich patsch halt immer wieder drauf rein. Du hast mir doch vor ein paar Tagen geschrieben, daß Du nur zehn Franken brauchst (im Monat!). Das ist ja ein Unding und nur gut ist, daß ich gestern eine Ahnung hatte. Ich gab den Brief auf und man versicherte in Lugano, daß er noch mit dem Nachtzug weggeht. Auf dem Rückweg holte ich mir in Muzzano Deinen Brief. Bekam ich einen Schreck! Es ist aber gut, daß ich Deinen Brief noch heut abend bekam. Ich wollte Dir ja endlich mal wieder in Ruhe schreiben … … Sag doch, haben Dich die Menschen lieb und wie lieb? Ich meine, wie machen sie es, daß sie Dich lieb haben? Bitte, sag es mir, daß ich's weiß, wie es Dir geht und hast Du die Schreibmaschine noch? Du hast mir mit Tinte geschrieben. Du mußt unbedingt eine Maschine haben. Ich will Dir Geld schicken, daß Du eine leihen oder kaufen kannst … Aber kommst Du überhaupt zum Schreiben? Aber daß Du Dich zurücksehnen mußt, das tut mir so weh … Es kommt auf Geld nicht an … Freilich, wenn Du wenig brauchst, desto besser … Ach, mein guter Bruder Ameis, der immer zu tappeln und zu arbeiten hat, hier s'bidli und da s'bidsli … Alle wissen, wie lieb ich Dich hab … Wenn die Leut nur nicht denken: der ist bidsli übergeschnappt. Das aber schadet auch nichts. Ich beginne jetzt langsam zu merken, wie die Einsiedelei wirkt. Es zieht ein Rauschen durch den Kopf, man verliert die Distanz zu den andern. Es schwingt etwas, breiter, mächtiger und schwingt über. Es ist sehr schön … Die mysteriöse Blume im Garten blüht noch immer. Ich muß immer darüber nachdenken, von wem sie blüht. Sie ist von jemand dahin geschickt. Sie ist ganz auffallend. Sie will sich bemerkbar machen, sie will etwas sagen. Ich bin neugierig, ob sie morgen noch da ist. Erst dachte ich: wer hat nur diese Blume geschickt und warum kann ich nicht verstehn, was sie sagt? Dann glaubte ich, es ist meine Mutter. Jetzt glaube ich fast, daß es Deine Angst war, Emmy. Du bist ja der kleine Seraph aus dem Abendrot und das ist die Farbe. Ich will morgen früh gleich wieder nachsehen, vielleicht versteh ich dann …

Du hast mir geschrieben über das Verhältnis der Maria Magdalena zu Jesus. Du betonst das »Berühre mich nicht.« Du willst, daß er und sie einander nicht berühren. Du sagst, sie hält Jesus am Auferstehungsmorgen für den Gärtner und das sei Gedicht. Sie sei der mystische Garten, den der Gärtner zu betreuen hat. Sie will es, denn sie hält und anerkennt ihn für den Gärtner. Ob das Verhältnis der Maria Magdalena zu Jesus wohl dem Hohen Liede nachgebildet ist? Salomo und Sulamith? Maria Magdalena die Braut des heiligen Geistes, ich weiß nicht … In Schmerzen ist sie schmerzverliebt. Sie verschwendet ihre Wehsucht. Sie verschwendet ihre Schmerzliebe … Liebling, ich weiß es, Du hast es mir gesagt …

Es scheint ein Widerspruch, daß Magdalena anbetend seine Füße umfängt und ihn doch nicht berühren soll. Mir fällt ein, daß ich als Knabe einmal einen Schmetterling berührte, als er eben aus der Puppe gekrochen war. Da verkümmerten seine Flügel. Das ist das Geheimnis des »Noli me tangere«. Der Schmetterling ist auferstanden aus der Puppe, aber noch nicht aufgefahren. Man darf die Zartheit seiner Flügel nicht berühren; er ist ganz neu, das empfindlichste, verletzlichste Wesen …

Sulamith

Wenn sich die Tauben ängsten
Unter des Königs Schritt,
Schön bist Du in den Gärten,
Jubelnde Sulamith.

Auf Deinen Nachtpalästen
Knieen die Seraphim
Und in dem Gold Deiner Augen
Steht das Wort: Elohim …

Mutter bist Du der Stille
Und der Geheimnisse Braut,
Hohen Liedes Sibylle,
Schweigen und Zauberlaut.

Duftendes Rosengefälle
Ist Deiner Brüste Gewand,
Über die Abendröte
Raget ein Stern, deine Hand …

Immer stehst Du erwartend
Und in die Ferne gelehnt,
Winkend und leise versinkend
Tränenüberströmt …

Gleich einer Raupe

Gleich einer Raupe, die vom Maulbeerbaume
Die Blätter faßt, daß sie den Saft verzehre,
Falt ich die Hände fromm zum Miserere
Genährt von einem immergrünen Traume.

Aus meines Mundes weißem Seidenschaume
Spinn ich ein Netz, darin ich mich verkläre.
Ein starrer Schläfer, den des Lebens Chöre
Nicht mehr erreichen, hafte ich im Raume.

Es malen sich in meine Dunkelheiten
Die bunten Augen aller Jahreszeiten,
Bis der Verpuppung Mummenschanz zerbricht.

Dann steige ich aus Hülle und Gedicht …
Es straffen sich in einer neuen Sonne
Die schönen Flügel meiner Todeswonne …

Emmy an Hugo

Mein lieber Hugo,

soeben war ich in der Via Senese, um den rekommandierten Brief von Dir abzuholen. Ich danke Dir recht herzlich für alles, mein Hugo, und daß ich Dir danken darf. Deine wundervollen Gedichte fallen wie ein tröstendes Licht in die Dämmerung meiner letzten Regentage … Ich gehe unschlüssig in den Straßen umher und weiß nicht warum. Ich warte auf eine Nachricht, daß es Dir recht ist, wenn ich reise. Heute nacht schlafe ich wohl bei den grauen Schwestern in San Nicolo, die Zimmer in einem Neben- oder Gartenhaus für fünf Lire die Nacht geben, doch glaube ich mich untertags nicht dort aufhalten zu dürfen. Ich schreibe Dir in »Antico Bottegone«. Links liegt der schöne Dom, auf den viele hundert Jahre Regen, Schnee und Sonne fielen. Je älter das Haus wird, um so schöner wird es, das läßt sich nur traumhaft bedenken. Die Zeit wird weiß sein, wie Schnee …

Willst Du, daß ich bleibe?
Bald heben sich in einer neuen Sonne
Die großen Flügel meiner Todeswonne …

Verabschieden möchte ich mich nirgends, wenn ich reise … Wo bin ich angekommen? Vorgestern waren Annemie und ich in der Pension der Baronin von M… im alten Vicolo San Marco … Das Haus ist so schön. Hat die Farbe von überreifen Früchten, die in der Sonne zerrinnen. Müde … Das Haus steht einsam und es sieht sich weit in die Landschaft, die ist mattsilbern und das Haus ein wenig rosenrot und man weiß nicht, ob es jung oder alt ist, es liegt ein Flaum, ein Schimmer über allem … Nur die Zypresse, die dunkel klagende Flamme, ragt bestimmt.

Sieh, die Zypresse steht, wie eine Mythe,
Die stille Sage von der Gottesgüte
Und schweigend geh ich durch die Rebengänge …

Im Haus der Frau Baronin waren nur Menschen, um die sich die Kunst bewirbt, … Ein Kirchenmaler Melchior Lechter aus Münster, der die Glasfenster seines Heimatdomes gemalt hat. Hat ein »ländliches« Gesicht, ist alt und sitzt in seinem Zimmer in einem schönen Lehnstuhl, wie etwa der greise Glöckner im hohen Turm, der die Stadt tief unter sich hat. Er könnte der Vater von Anna Katharina Emmerich sein und in Flamschke in Westfalen wohnen … Dein Byzanzbuch hatte ich Doktor Wolfskehl geliehen, dem bekannten Stephan George und Rilke-Freund, Liebhaber der Dichter. Der hat eine große Freude an Deinem Buch gehabt und hat es weiter geliehen, und so hat's eine kleine Runde gemacht. Man war begeistert über Sprache, Inhalt, Auffassung und es gab ein allgemeines enthusiastisches Lob über Dich. Hat Dir das Herzohr nicht geklungen? Man war um so froher, da man Dich vorher gar nicht recht kannte.

Adolf Saager hat doch ein gutes richtiges Gefühl, wenn er in seinem Aufsatz Dich als reformatorische Natur überhaupt, als Reformator unserer Zeit hinstellen will.

Frau Baronin M… ist eine rechte Deutsche, die viel verloren haben mag durch den Krieg und den Mann noch dazu. Sie ist ein eigenartiger Typ, hellblond, schmal, zurückgestrichenes Haar, mädchenhaft und energisch. Sie hat einen auffallenden Gang, als habe sie sich nach langer, schwerer Zeit plötzlich zur Tapferkeit entschlossen. Es ist seltsam, wenn man ein Stück Lebensgeschichte aus einem Gang zu erkennen glaubt. Ja, also diese Frau hat jetzt auch Dein Buch gelesen und hat sich über das Kapitel »Gnostik« am sehrsten gefreut und sprach darüber so klug. Es ist doch interessant, wenn sich moderne Menschen jetzt für die frühen Dinge und Ideen erwärmen. Daß sie das können! Daran glaube ich zu erkennen, daß der Krieg doch nicht spurlos vorübergegangen ist. Fruchtbares Leid, was kann es besseres geben. Arrigo Levasti sagte mir, daß Papini sehr angeregt sei durch Dich und Papini gilt, jedenfalls nach dem, was ich gehört habe, für den anerkanntesten Mystiker Italiens. Seine Konversion ist bereits aufgefallen. Konversion, mir gefällt das Wort nicht recht, das Wort Rückkehr sagt mir nicht zu. Religiöse Konversion, ist's nicht der Entschluß zum geistigen Leben und ein Überfall. Die Beherrschung unserer Zeit und damit auch die Überwindung. Wir wollen vielleicht im Gegensatz zu unseren Vorfahren über unserer Zeit stehen, weil uns gar nichts anderes übrigbleibt … Wir müssen uns wohl auch abseits stellen, soweit es angängig ist. Wir können ja das moderne Leben nicht mitmachen. Wir haben ja keine Anpassungsfähigkeit. Das aber besagt nicht, daß wir es nicht verstanden haben. Man hat mir hier schon mehrfach gesagt, ich sei »weltfremd«, weil ich gerne zurückgezogen lebe. Darauf entgegne ich wenig. Wohl verstehe ich, wie man in Gesellschaft lebt, aber es gefällt mir nicht. Es sagt mir nicht zu, ich vertrage es nicht … Hugo, ich hoffe, Dein guter Jünger zu sein, der hier getan hat, was er tun konnte. Mir ist, als wäre ich nur gereist, um eine Kunde von Dir, von Deiner Arbeit hierher zu bringen und ist's so geschehen, wie ich es wünschte, habe ich eine Mission gehabt, die mich beglückt …

Zwei Nächte habe ich wieder bei Annemarie geschlafen. Die erste Nacht hatte ich den Herrn Baron gefragt, ob ich nicht dort ein wenig schlafen darf. Es paßt ihm aber nicht. Was er gegen mein Schlafen einzuwenden hat, verstehe ich nicht recht. Ich werde ihn überhaupt nicht mehr fragen. Zur Köchin hat er gesagt: »Eine seltsame Frau, die fremde Häuser wie Heime auffaßt, in denen man einfach übernachten kann.«. Fremde Häuser … Wieviele haben wir auf der Alp beherbergt?

»Wo haben Sie Ihr Gepäck, wenn Sie ausgezogen sind und kein Zimmer haben?« hat er mich gefragt. Braucht er sich für mein Gepäck interessieren, da ich ja doch nicht dort schlafen darf? Offenbar glaubt er mir nicht, daß ich kein »ständiges Zimmer« habe. Und wir haben viele Zimmer in Agnuzzo, ich bin traurig. Ja, das Gepäck steht hinter dem Hochaltar der Franziskuskirche, da bewahrt es der Meßdiener für mich auf, denn ich mag es nicht immer zum Bahnhof bringen. Ich geniere mich, dort jeden dritten Tag Gepäck aufbewahren zu lassen. Aber der Meßdiener, ich meine den Sakristan, also der ist schon recht gefällig. Mein Gepäck hat's gut und ist beinahe zu beneiden. Ißt kein Brot und sagt kein Wort. Beichten kann ich jetzt gar nicht. Der liebe Gott dürfte mir einmal beichten, denn es geht mir gar nicht gut. Ich fühle mich oft sehr verlassen. Schreibst Du noch immer so viel Noten, wie Rousseau? Seine Kinder schickte er ins Waisenhaus und schrieb über Erziehungsfragen. Na, das mußte wohl sein.

Ach, was soll mir all Bekennen,
Schönes Schweigen, hüll mich ein.
Trunken in mir selber brennen,
Will ich Rausch und Säule sein.
Wort und Namen – wozu nennen?
Nicht mehr hören, nicht mehr sehn,
Wenn des Lebens bunte Chöre
Klingend mir vorüberwehn.
Nur die Siegel mögen brennen
Tief in meiner Seele Grund.
Daß ich Katakombe wäre,
Flamme, Gold und Gottesmund …

Müde bin ich, sehr müde und ich möchte nach Hause. Ob ich den Brief fortschicke, weiß ich noch nicht. Vielleicht werfe ich ihn in den Arno und dann nehmen die Wellen meine Worte auf, die sachten, trägen Wellen. Es gibt wohl sieben Brücken in Florenz und eine Brücke ist schöner wie die andere Brücke.

Der Ponte vecchio aber ist am allerschönsten. Viele Goldhäuserchen, wie Vogelkäfige sieht man oben auf der Brücke und unten im Wasser, da spielen die zarten, schwermütigen Farben. Die glaube ich manchmal singen zu hören, die Grazie einer immer wieder verwehenden Melancholie …

An Emmy

Mein gut Emmy,

seit vorigen Sonntag habe ich keinen Brief von Dir. Heut ist Samstag … Am Donnerstag hatte ich Grüße von Dir, Emmylein.

Denk, es war morgens gegen elf Uhr. Da flog ein kleiner Vogel gegen mein Fenster und schlug mit den Flügeln ganz heftig an die Scheiben, nicht nur einen Augenblick, sondern immer wieder, als ob er mir eine Nachricht zu sagen habe, bis ich schließlich aufstand und ihn hereinlassen wollte. Als ich aber das Fenster öffnete, war er fortgeflogen. Es tat mir so leid, daß ich nicht gleich aufgestanden war und ihm geöffnet hatte. Es ist doch hoffentlich nichts mit Dir passiert, Liebling?

Ach, wenn ich morgen früh nur einen Brief von Euch habe. Gelt, das erste Paket, das ich schickte, war recht kahl. Das zweite, was gleich nachkam, wird Dir vielleicht Freude gemacht haben. Den Muff ließ ich hier und die Bücher mußte ich wieder herausnehmen. Das Paket hatte Übergewicht. Du hättest sonst aufs Zollamt gehen müssen. Genügt Dir die Decke oder soll ich Dir noch eine schicken?

Aus Davos erhielt ich eine Karte von Klabund, mit einem Gruß von Hesse, der hinzufügte, daß Klabund in Davos sehr krank angekommen sei. Klabund schrieb, ich solle Dich und Annemie recht herzlich grüßen und er hoffe, nach Lugano zu kommen.

Emmy, auch ich habe das Gefühl, daß Eure Reise einen ganz bestimmten Sinn hat, der uns vielleicht noch verborgen ist. Annemie kann jederzeit kommen, wenn sie will. Aber schau, Annemusch, in Agnuzzo ist's ohne die Mutter nicht so behaglich wie vorigen Winter. Steffgen ist ein strenger Eismann, der den Ofen abgeschafft hat. Er sitzt im Pelz an der Schreibmaschine und verkriecht sich abends in seine Federn, anstatt am Kamin Rousseau zu lesen. Es ist eine richtige, keine gemalte Klausnerei. Vielleicht kommst Du gegen Weihnachten, wenn Du findest, es sei besser, eine Stellung im Engadin anzunehmen. Die Internationale Katholiken-Liga hat demnächst ihren Kongreß in Venedig. Es kann sein, daß ich hinfahre, weil die Bischöfe mich interessieren, auch interessiert sich der Sekretär der Liga für mein Buch. Ich lege Dir eine Schrift von ihm bei, aus der Du ersehen kannst, was ihn interessiert (Karl Mayr).

Heute, als ich von Paradiso nach Hause kam, begegnete mir Giuseppe [der Meßdiener], ich versprach ihm, morgen ins Kirchlein zu gehen, als ob er es sei, der das Fest veranstalte.

Aber was Grusliges: als ich in meine Stube kam und in mein Bett hineinsehe, sitzt auf dem Plumeau ein Skorpion. Nicht groß, sondern nur ein Skorpiönchen wie ein Fingerglied, aber das gruselte mich noch mehr. Es war sehr gelenkig mit den Zangen, als ich's wegnahm. Nun hab ich das Gefühl, in einem Nest von Skorpionen zu liegen. Wo ein kleines ist, werden mehrere sein. Mit Skorpionen will ich Euch züchtigen … spricht der Herr …

Ich bin ein wenig unglücklich darüber.

Ich vermisse so sehr, Liebling, unsere schönen Gespräche, die eine einzige, ununterbrochene Beichte und Korrektur waren. Wer korrigiert mich, wer hilft mir jetzt? Und ich bin ein großer Sophiat im Gespräch, der es immer so zu drehen weiß, daß er Recht behält und eine gute Figur macht. Es ist gut, daß unser Herrgott mir die Skorpione im Bett ausbrütet. Sie werden ihren Stachel in mein Herz und ihre Zangen in meine Stirne schlagen, wenn ich eitel werden sollte …

Ich sehne mich nach Euch, Kinderleins und wie könnt ich mich besser sehnen, als indem ich mich anklage? Oh, wie schön war es, Liebling, wenn Du morgens zu mir ins Zimmer kamst ein wenig plaudern und wenn dann der gute Annemusch kam und immer was zu kichern und zu lachen hatte und uns zu Tisch rief. Das ganze Haus ist ausgestorben, ich spreche laut mit mir und manchmal lache ich über die Katze, als hätte sie einen Witz gemacht, wenn sie sich an meinen Rücken legt und ich singe mir Konzertstücke vor, die ich einmal hörte in einem anderen Leben …

Neulich habe ich »Verkündigung« von Claudel gelesen. Hast Du einmal hineingesehn? Es ist ein sehr schönes Buch, einige Stellen haben mich ganz innen ergriffen, wo das Schöne und das Bittere liegt. Erinnerst Du Dich an Peter von Ulm, den Dombaumeister, den Vater der Kirchen und an Violäne, die ihm den Aussatz abnimmt? Erinnerst Du Dich an die Morgenglocken und an die Weihnachtsgebete? Wäret Ihr hier, so würde ich Euch am heiligen Abend dieses Weihnachtsmärchen aus dem deutschen Mittelalter vorlesen. Wie unendlich zart und fromm ist dieses Stück. Und ist doch nur ein Schauspiel, nur eine Komödie. Und wir würden wieder den Schleier und die Kapuze nehmen, Emmylein, wenn es gegen zwölf Uhr geht, und Annemusch würde wieder den Fremdling aus Amerika machen und wir würden in die Mette gehen, den Bischof hören …

Sonntag früh,

soeben, gleich nach dem »Salutaris Hostia« finde ich Deinen Brief unter der Tür … Ich freue mich auf die Malereien. Den Ponte vecchio möcht ich auch mal sehn … Addio für heut donnicuola, kleine Frau, Herrin-lein, Euer kleine Gnaden, Euer Gnädlein, Euer gnädigstes, Euer allergnädigstes und süßestes Gnädlein und einen schönen Gruß für den ehrlichen Annemusch, Steffgen.

Emmy an Hugo

Allerseelentag

Mein lieber Hugo,

heut früh kam Dein lieber Brief. Ach, wie ich mich freue, wie mich freue. Über Deine Worte und über die Worte, die über Dich geschrieben worden sind, die guten Worte. Es hat mich so froh gemacht, mein Liebling »Ein Stück Menschheitsgeschichte«. Das ist sehr gut gesagt von Deinem Buch. Ich lese es ja, mein einzigstes Buch, ich habe ja nur Deines, nur Dich. Du bist meine Menschheitsgeschichte, darf ich das sagen, ganz still? Weil es doch so ist, willst Du es sein, bleiben? Bleibe, bleibe, Du bist schön.

Deine Sprache ist wie die eines Menschen, der lange nicht gesprochen hat, vielleicht noch nie, und doch, wieviel hast Du mir schon gesagt. Ich glaube, Einsame in der Wüste, in einer großen Stille können plötzlich von einer großen Begeisterung ergriffen werden, trunken, berauscht von Stille. Es geht mir oft mit Dir, wie es Dir mit mir geht. Wir sind Eines in einer Zweisamkeit und zwei in Einigkeit, als ich an Dich dachte, dachte ich an mich, als ich Dein Buch wieder las. Da fiel mir ein:

»Ich bin gegangen nach allen Seiten
Und jeder Weg war weiß verschneit
Es wurden Wüsten meine Weiten
Und Wunder jede Einsamkeit …«

Das ist ein Reim aus den Henoch-Liedern, die ich Dir erst schenken will, wenn ich sehr alt geworden bin. Früher werde ich sie nicht beisammen haben. Ich liebe das Henochwort, das Wort, das von ihm gesagt ist: »Weil Gott ihn liebte, nahm er ihn hinweg und ward nicht mehr gesehn …« Ich möchte ungesehn zu Menschen sprechen. Ich liebe sie und will sie nicht sehn.

Eine dunkle Glut ist oft in deinen Worten, Hugo, ein versengend Schönes und ist wie Brand, von dem ich nie genug bekommen kann. Ich bin wort- und flammensüchtig nach Dir.

… Hugo, Du sagst, Du läßt Dir nicht gerne Geld schenken. Warum nicht? Es ist schön, sich beschenken zu lassen, Liebster. Dürftest nicht gerade Du froh sein, Dich Menschen verpflichtet zu fühlen, da Du sonst wenig Grund dazu gehabt hast? Soll ich Dir von meinen abstrusen hiesigen Verhältnissen erzählen? Ja? Du willst es ja gern. Ich werde wohl nächste Woche zu den dunklen Nonnen gehn, die ein durchbohrtes Herz auf schwarzen Kleidern tragen. Sie brennen nur Licht, kein elektrisch, das gefällt mir schon. Sie sind von einer tief-stillen Freundlichkeit, die Lichte, die Nonnen. Ich könnte ein eigenes Zimmer bekommen, wegen der Arbeit ist's ja recht, sonst ist mir gleichgültig, ob ich mit zehn oder zwanzig Pensionären in einem Raum schlafe. Nun, man hat mir erlaubt, mich einzuschließen und ich darf Inkluse sein. Auch darf ich allein auf meinem Zimmer zu Mittag essen, aber ich sagte, daß ich gerne mit den andern essen wolle. Einsamsein braucht man nur zum Arbeiten oder Beten, eine und dieselbe Angelegenheit. Die Nonnen schienen gleich Sympathie für mich zu haben, auch für Annemie, die ich mitgenommen hatte. Mich hielten sie im halbdunklen Vorraum für das Kind, wie gewöhnlich, da Annemie ja so geschickt das Wort führt, auch war sie ein wenig breit in ihrem Faltenrock, ich dagegen reichlich schmal. Sie fragten, ob auch die Kleine gute Unterkunft habe und das sollte ich sein. Wir klärten dann auf, daß ich die Signora sei und da hielten sie es für angebracht, mich zu beleuchten und noch dazu mit einem dreiarmigen Leuchter, so daß mir reichlich Licht ins Gesicht fiel. Du weißt ja, wie ich aussehe und die Nonnen vom durchstochenen Herzen jetzt auch. Ich bin mager, wie ein angehendes Skelett, wie ein Yogi, sagt Annemie, wie ein Yogi-Kind sehe ich aus, sagt sie. Bei der strammen Arbeit müßte ich etwas mehr zum Essen bekommen und die ewigen vegetarischen und rohen Speisen sagen mir nicht zu, weil die Leute das Essen so ernst nehmen. Ich glaube, das ist der Grund … Es ist jetzt vier Uhr.

Heut ist Allerseelen. Ich habe das de profundis nicht gehört, aber wir waren ja oft in der Tiefe und lobten die Sterne, die Sterne Gottes und in der Tiefe waren wir vielleicht auf der Höhe …

Ich habe auch auf der Maschine zu nähen in meinem Zimmer. Ich habe vier Maschinen in meinem Zimmer und bin doch ein Mensch, der die Maschinen nicht sehr liebt, bis auf die Schreibmaschine, die »treue Volksharfe«.

Ich muß mir den Rauch vom Holzkohlenfeuer aus dem Gesicht waschen und dann esse ich ein Stück Brot. Weil ich nicht immer hetzen kann, nehme ich die freie Abendzeit zum Arbeiten, und schreibe Dir viel in der Nacht. Über mir wohnt niemand und unter mir wohnt niemand. Dieses Haus war im Kriege Lazarett für die kranken Kinder aller Länder. Auf dem Boden habe ich eine Tragbahre gefunden, da sind am Kopfende einige Blutstropfen dunkelrot. Oh, Haupt voll Blut und Wunden … Ja, ich habe auch noch einen derben alten Soldatenmantel gefunden, der so zerlöchert ist, daß man von ihm singen könnte, das Mantellied »Schier dreißig Jahre bist Du alt, hast manchen Sturm erlebt …« Va bene. Also dieser Mantel ist zur Steppdecke avanciert und wärmt mich in den Florentiner Nächten. Es schläft sich gut unter diesem friedlichen Kriegsgewand. Ein Orden ist nicht daran.

Wenn ich Besorgungen, Einkäufe mache, habe ich auch immer auf der Straße extra zu tun. Vor einigen Tagen hab ich ein überfahrenes Kind nach Haus getragen. Es war zwar nicht so schlimm, aber das kleine fünfjährige Mädchen konnte doch nicht recht gehen, Beatrice hat sie geheißen. Auf dem Lungharno, an der Goldonibrücke, auf der ich mich ein bissel verträumt und über die vielen Brücken hinwegsah, hat ein Leierkastenmann mich angesprochen. Ob ich nicht ein wenig auf seine Musik aufpassen möchte, während er in ein Espresso geht, um sich an einem Aperitif zu erlaben. Gern, hab ich gesagt, aber der Mann muß eine Ahnung gehabt haben, daß ich seinen Leierkasten nicht ins Pfandhaus trage, denn er kam und kam nicht wieder. Was meinst Du, was ich gemacht habe? Hab mich auf das Schemelchen gesetzt und gespielt und … wieviel Soldi verdient? Das heißt nicht ich, sondern mein »Prinzipal«, der Leierkastenmann. Eine Lire zwanzig Centimes … Santa Lucia hab's ich gespielt. Das war fein. Das Geld flog nur so, kannst Dir denken, ich bekam nämlich nicht alles auf einmal, piano va sano gings. Ich bekam Fern- und Heimweh dabei … O dolce Napoli … Ich dachte, ich miete vielleicht den Leierkasten, spiele ein paar Tage und fahre hin. Man muß die Lieder verwirklichen. Und Neapel liegt am Meer. Und ich bin ja die Frau vom Meer, wie Du gern sagst.

»Hast Du das Meer gesehn
Das tief erregte Meer …?«

Der Leiermann hat eine mächtige Freude gehabt, daß ich ihn so gut vertreten habe und wollte mir das ganze Geld überlassen, aber das wollte ich doch nicht. Schließlich mußte ich halbpart mit ihm machen. Du, denk, ich hab von Deutschen vier Soldi bekommen und die haben ausgesehn, als wenn sie aus München wären und mich kannten und ich glaube, ich habe sie auch einmal gesehn, aber habe die Augen fremder wie fremd gemacht. Ich hab gesessen, als wenn ich schon fünf Jahre so sitze und mein Lebtag Orgel gespielt.

Die vielen Wissenschaftler, die Du mich gebeten hast zu besuchen, sag muß das sein? Ich mag nur einen Wissenschaftler und das bist Du. Ich wünsche den gelehrten Leuten alles Gute, aber meine Alma Mater bist nur Du. Wenn Du willst, geh ich ja auch zu den Wissenschaftlern, aber ich habe sehr viel zu tun. Während ich koche, notiere ich mir für mein Buch und liebes, gutes Steffgen, ich schreibe Dir unendlich gern, aber ich kann's nicht täglich, Liebling. Du weißt, ich kann mich nicht so kurz fassen, wie der Frühling. Ich möcht ein Sommer sein von viel schönen Tagen. Gelt ja, ich schwätze genug? Die seligen Seelen hab ich gleichwohl nicht vernachlässigt, ich war gestern Allerheiligen bei ihnen und hab gebetet für das Paradies einer siebzehnjährigen Veronika. Die Sonne neigt sich, will sich verneigen. Die Toskana ist schön, Hugo … Ich sehe sie durch mein Fenster … Ich sehe auf einen weiten, sanft ansteigenden Zitronengarten, ein Hügelfeld und am Horizont, am ganz schwach blauen, müd-duftigen Himmel sieht man hohe, dunkle Zypressen … Daneben zwei Landhäuser. Das eine Haus wohl nur eine kleine Stunde vom andern entfernt. Sehen kann man beide Häuser in diesem einen Augenblick.

Grüß alle Menschen, Hugo … Du bist wohl ziemlich allein, aber wenn Du einen Menschen siehst, sag ich laß ihn grüßen. Und bist Du jetzt ganz allein, grüß Dich von mir, Emmy nennt man mich …

An Emmy

… Bei Hesse war ich. Er zeigte mir ein Manuskript von etwa vierzig Seiten, daß er nach Notizen in Baden hier in Montagnola ins Reine gebracht hat. Es war ein recht seltsamer Titel, den er mich sehen ließ »Psychologia phantastica« oder dergleichen. Ich konnte nicht so ganz verstehen. Ich fühlte nur, daß er sehr litt … Als wir dann noch im Studio ein wenig plauderten, gähnte er ein übers andere Mal, und wollte mich doch nicht gehen lassen. Ich versprach ihm den Sonntagmittag oder -abend, aber es fällt mir nicht ganz leicht, zu kommen, denn Samstag bin ich in Calprino, übermorgen in Montagnola und heute bin ich von gestern noch ganz erschöpft. Es ist eine abscheuliche Tretmühle, die mich am Abend kaum ein wenig zum Nachdenken kommen läßt. Wie soll das nur werden?

Ich bin aber so glücklich und froh mit Dir, Du Dichterli aus dem Norden. Hesse las mir einige Passagen aus Deinem Brief vor, wie Du Genua und Du Pisa schilderst. Da sahen wir so recht, von welcher Art und Rasse unser kleiner Inseman ist. Ist ein wackrer Soldat und ein verwegener, blonder Schiffsjunge und s'bidli Till Ulenspeygel dabeigemischt. Wenn man ihn belächelt, muß man auch gleich dazu weinen. Den haben wir lieb. Loben wollen wir ihn auch. Das ist ja fein, daß Du jetzt einige Frühstunden für Dich hast. Wenn ich nur wüßte, ob Du den eingeschriebenen Brief schon bekommen hast. Sag's mir gleich. Heut und gestern hörte ich nichts von Dir, so daß ich schon wieder ängstlich bin. Aber ich will abends in Muzzano nachfragen.

Denk in Calprino fragte mich die liebe Frau U …, wie ich das nur mache, ohne Dich und ob wir Sorgen haben … Du seist doch gewiß nur deshalb verreist, weil es uns schwer wurde, durchzukommen, finanziell usw. Sie ist aber selbst arm, glaube ich. Genau habe ich ihr nichts gesagt. Die kleinen Einschränkungen sind's ja nicht. Es ist ja viel schlimmer mit uns … Daß wir bei der notdürftigen Existenz nicht unseren Plänen entsprechend arbeiten können …

… das ist es, worunter wir leiden …

Ein Hühnchen ist gestorben, das graue. Erst war es so kräftig, dann war es allmählich das kleinste in der Schar. Aber ich bin wirklich unschuldig daran, daß es gestorben ist … Es aß nicht mehr und ließ sich von den andern immer vom Napf wegdrängen. Dann fand ichs liegend im Binsenstall. Die andern sind aber alle wohlauf, denen fehlt nichts. Eier legen aber tun die niemals nie nicht … Nicht so lange Briefe schreiben, Liebling, es tut mir weh und macht mich traurig, wenn ich denken muß, daß Du bei Mondschein aufstehst, um sie zu schreiben. Ja, »obbedienza« heißt Gehorsam. Du hast recht gehört in der Certosa und gelebt, mein Emmy … Folge auch Deinem Stetigen und sprich herzhaft mit den Menschen und sage ihnen, wer Du bist.

Deine Briefe kamen pünktlich an, Sonntag früh. Ich hatte so ängstlich gewartet. Hab Euch lieb Euer Steffgen.

Ich warte immer auf Briefe von Dir und sage Dir gleichzeitig, Du sollst nicht im Mondschein so viel schreiben. Obbedienza … Es ist wohl nicht leicht, mir zu folgen. Nicht leicht, aus mir klug zu werden, oder? Aber eine Klugheit hast Du doch von mir, und eine hab ich von Dir? Ists recht so, Liebling?

An Emmy

Agnuzzo, Sonntag abend

Liebling, ich bin doch noch bei Hesse gewesen und schreibe Dir jetzt, nachdem ich zu Hause bin. Es war schon recht dunkel, als ich mich auf den Weg machte, und sehr vorsichtig mußte ich gehen, weil Glitschwetter war und ich ein Glas meiner selbstverfertigten Feigenkonfitüre für ihn unterm Arm trug. Er freute sich sehr, daß ich noch kam, wir tranken ein Glas Rotwein und dabei las er mir aus seinem neuen Manuskript vor. Es sind »Selbstbeobachtungen«. Der Autor tritt im Text höchst persönlich als »Herr Hesse« auf, etwa siebenzig Druckseiten, höchst präzis formuliert, in der Distanz zur Umgebung überraschend. Stellenweise eine Selbstbetonung in einer Weise, die man von ihm bisher nicht kannte. Das wird ihm, wir sagten's ja oft, sehr gut bekommen, wenn auch vielleicht nicht in der Bürgerpresse.

Was ich Dir sagen wollte: die Zeitschrift »Orizzonte Italico«, die H. in seinem Brief erwähnt, ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Achte darauf, ob in der nächsten Nummer – die letzte Nummer ist 9 – ein Beitrag von Hesse über deutsche Literatur sich befindet … Ein Beitrag von Spaini, den wir zur Zeit der Galerie Dada in Zürich kannten (er las Gedichte von Jocopone da Todi an einer der Soireen) ist dabei. M. Campigli, der zwei Kapitel meiner Kritik übersetzte. Campigli aus Paris. Eine Dame Lavinia Mazzucchini hat einen Artikel über Hesses Gesamtwerk geschrieben. (Sie scheint sehr gut unterrichtet zu sein. Sie schreibt in der Revue »I libri del Giorno«, Milano.) … Emmylein, ich verstehe Dich gar nicht. Wie kannst Du Dir nur von irgendeinem Besuch fremde Wäsche zum Ausbessern aufhalsen lassen. Das ist ja unmöglich, was Du schreibst. So kannst Du freilich nicht existieren. Bedenke doch, daß auch unsere literarischen Verhältnisse das nicht mehr erlauben. Oh, was bist Du für ein Schäfchen! Was machst Du nur für Sachen, mein Emmy … Du kochst, wäschst Geschirr, schreibst Gedichte, schickst womöglich Artikel fort. Wie machst Du das? Es ist ja absurd!

Warum zeigst Du niemandem Deine Bücher, damit man doch eine Ahnung hat, wer Du bist. Warum sagst denn nichts? Das ist ja ganz merkwürdig mit Dir. Und über eine fremde zerbrochene Vase klagst Du tage- und seitenlang. Was gehn Dich denn fremde, zerbrochene Vasen so sehr an, daß Du Dich darüber gar nicht beruhigen kannst. Liebling, erkläre mir's doch. Kauf eine neue Vase und fertig. Das ist doch nicht üblich, daß man über anderer Leute Geschirr ungebührlich viel jammert.

Geh doch einmal zu G… Ich werde Dich bei ihm anmelden, wenn Du es willst. Er hat in Florenz ein großes, schönes Haus. Geh doch einmal dorthin und erzähle mir dann, wie es dort war. Sei umarmt für heut, mein Emmy und immer bin ich Dein Steffgen, das hier sich den Kopf zerbricht, warum Du über eine Vase stöhnst …

An Emmy

Oh, was bist Du für ein schreckliches Göhr! Das läuft in zerrissenen Schuhen, ohne Heizung, ohne Petrolapparat, ohne Nichts sozusagen und schreibt kein Wort. Erst wenn's gar nicht weiter gehen will, dann kriegt man etwas zu hören. Davon. Also ich schick Dir noch fünfzig Fränkli, Liebling, das wird wohl die dringendsten Sorgen beheben. Nun sei aber vernünftig und schick's mir nicht gleich in Form von Weihnachtsgeschenken zurück, hörst Du? Ich kann Euch nicht viel schenken zum Fest, Kinderleins. Wir müssen es als Geschenk nehmen, daß wir einander liebhaben und jeder auf seine Weise ein klein Loblied singt.

Nun, mein Emmy, hör zu, der kleine Trompeter [Annemarie] hat sich so artig gehalten. Er soll vom Steffgen eine Armbanduhr bekommen. Die mußt Du von dem Geld vorwegkaufen … Du mußt nie Deine Miete vorauszahlen, prinzipiell nicht. Das ist nicht vornehm und macht einen schlechten Eindruck. Man weiß auch nie, was inzwischen passiert, dann ist man sein saures Geld los. Aber die Pattens müssen in Ordnung sein. Um Himmelswillen bei diesem Schmuddelwetter. Also kauf dem Trompeter die Armbanduhr, kann sich's vielleicht selbst aussuchen. Soll mir seine Adresse schicken, hab ihm was zu sagen.

Daß dieser Baron und Doktor C… schon wieder zurückkommt, ist wirklich ein Unglück. Er hätte doch mit seiner Engländerin reisen können, anstatt mit der Hausdame. Er scheint ein unpraktischer Mensch zu sein. Kann mir denken, daß Annemusch nicht entzückt ist über diese Kurve … Ich schick Dir hier die neueste Literatur. Sag mir, was Dir davon gefallen hat. [Gedichte von Hugo.] Ich hätte Dir doch den Spiritusapparat im Paket mitschicken können, campione, glaub ich, nennt man's, oder? Daß Levasti Dir italienische Stunden gibt, ist sehr gut. Sei nur immer pünktlich, sonst kann's ihm keine Freude machen und grüß ihn herzlich von mir.

An Hesse hab ich einen ausführlichen Brief geschrieben … Sag mal, Pussy, was hast denn Du für Weihnachtswünsche? Was möcht das kleine Herz denn gern haben? Frei heraus gesagt. Vielleicht können wir da etwas tun, mal schaun. Also vergeßt nicht und schreibt's, prestopresto … ich schick Euch einen Datschi (das ist Kuchen) in den drei säuberlichen, höchst artigen Gedichtchen. Sagt's mir, ich bin jetzt so im Segeln und auf einen fliegenden Holländer mehr oder weniger kommt's mir nicht an. Sagt mir, was ich Euch dichten soll und überhaupt, Ihr seid ein höchst schnurriger, armer Fritz, Emmly. Von der Baronin wollt Ihr einen Petrolapparat borgen und bringt ihr dafür ein Paar alte Stiefel. So also habt Ihr Euch das ausgedacht. Nun, Gritzi, und der kleine Trompeter soll auch einen Klaps davon abkriegen. Ich muß mir die Nase putzen und die Härlis muß ich mir schneiden und dann geht's hoch und los … Die Musch [das Kätzchen], die ich schon aufgegessen glaubte, ist wieder da. Hurra! Die geht jetzt immer spazieren für drei Tage, damit's nicht zu teuer wird, das Leben. Euer Steffgen.

Der fliegende Holländer

Sein Schiff ist eine weiße Pyramide
Die plötzlich aufsteht aus der Wetterwand.
Der irren Segel aufgetürmter Brand
Gleißt wie ein Lichtphantom der Höllenschmiede.

Der jüngste Tag brach an: aus der Kajüte
Stürzt von des Sturms Posaune übermannt
Wie Lazarus aus seines Grabes Rand
Die flüchtige Matrosenschar zum Spriete.

Er aber, der am Mittelmaste steht
Und der verdammt ist, ruhelos zu irren,
Der fernen Küste trügender Prophet,

Der Zauberer und König aller Sbirren,
Er lächelt nur, wie er vorüberweht,
Indes die Möwen kreischend ihn umschwirren.

Emmy an Hugo

Ich bitt Dich oberste Kraft,
Daß Du mir gibst gute Wirtschaft.

Ich habe Dir schon einmal geschrieben, aber ich muß Dir noch obiges Motto geben. Hast mir das einmal aus dem Lateinischen übersetzt, die Bitte stammt aus dem zwölften Jahrhundert, scheint aber immer noch am Platze zu sein …

Mein lieber guter Hugo, ich merke, daß Du nicht gerade Mathematik studierst, wenn auch sonst mancherlei Nützliches … ich wollt, ich wär so schizophren, dann möcht ich in die Wälder gehn … Dein grüner König hat mir von verschiedenen Seiten imponiert:

Wir, Johann Amadeus Adelgreif,
Fürst von Saprunth und beiderlei Smeraldis,
Erzkaiser über allen Unterschleif
Und Obersäckelmeister von Schmalkaldis

Erheben unsern grimmen Löwenschweif
Und dekretieren vor den leeren Saldis:
»Ihr Räuberhorden, Eure Zeit ist reif,
Die Hahnenfeder ab, ihr Garibaldis!«

Man sammle alle Blätter unserer Wälder
Und stanze Gold daraus, so viel man mag.
Das ausgedehnte Land braucht neue Gelder!

Und eine Hungersnot liegt klar am Tag.
Sofort versehe man die Schatzbehälter
Mit Blattgold aus dem nächsten Buchenschlag!

… Was braucht Annemie eine Uhr, wenn sie gesund ist? … ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir … Es gibt hier genug Kirchenuhren, nach denen man sich richten kann … und dann die Uhr, die einmal stille steht … und die Uhr, die einmal still steht, steht einmal richtig …

Dichte mir mehr dergleichen Schönes. Allen Sinn hat dafür, die Emmy, die Dich herzlich grüßt.

An Emmy

Weihnachten, zweiter Feiertag, abends 11 Uhr

Liebling, ich weiß nicht, ob's noch ein Brief wird. Morgen ist Donnerstag und Abrechnung und da ich ein wenig übers »Minimum« kommen wollte, habe ich die Feiertage damit verbracht, Noten zu schreiben … Ich habe in den letzten Monaten vierzehn kleine Notenheftchen für Fräulein S… abgeschrieben, außer den Reinschriften für B… und außer den Stücken, die neu dazu kamen … Deinen Brief, Emmylein, mit dem Manuskript und den entzückenden Bildern erhielt ich am ersten Feiertag, also gestern früh. Zum heiligen Abend hatte ich nur die Karte der heiligen Katharina von Siena von Dir, die mir sehr lieb ist. Am Abend bin ich eigens nach Muzzano gegangen, aber Dein Weihnachtsbrief war noch nicht da … Doktor Saagers brachte ich von Dir und mir einen ganz besonders schönen Topf großer, roter Alpenveilchen. Sie freuten sich sehr und wollten mich unbedingt dabehalten. Ich hatte mir's zwar anders gedacht, wollte zu Hause sein, aber dann hätte ich zur Mette noch einmal nach Lugano gehen müssen. Die Mette wollte ich nicht versäumen und so ging ich denn gegen zwölf von Massagno nach Lugano. Dort traf ich auch Englerts und ging von ihrer Wohnung heim nach Agnuzzo. Ich hatte ein paar Kerzlein und einen Tannenzweig. Die steckte ich dann an – es mochte drei Uhr in der Nacht sein. – Ich stellte die schöne, erschreckend schöne Katharina von Siena dazu und dachte innig an Euch … Ihr werdet wohl schon längst geschlafen haben …

… Ich werde wohl erst morgen Salami und Datteln bekommen, Du weißt ja. Dafür aber habe ich mir selbst ein Weihnachtsgeschenk gemacht von einem Honorar. Hab mir ein Paar Stiefel gekauft, sehr schöne Stiefel, ich bin recht glücklich damit und zufällig waren auch die »Laudes«, die Lobgesänge des Jacopone da Todi angekommen, die ich mir vor einigen Wochen einmal bestellte. Darin las ich in der Nacht, während die Lichtlein brannten. Jacopones Biographie ist so merkwürdig … ich werde Dir das Büchlein schicken …

Nun aber, Liebling, zu Deinem Buch und zu den Bildern, die Du mir schicktest. Ich habe gestern abend noch die ersten vierzig Seiten gelesen und finde sie hervorragend gut und schön.

Ach, Liebling, es sind so rührende wunderschöne Dinge in dem Buch, und es ist das Beste von Deiner Art. Wenn es so rund und geschlossen bleibt bis zum Schluß, dann muß ich mich nur wundern, wie und wo Du das ganze Buch in den paar Wochen hast schreiben können. Ich schreibe Dir noch ausführlich darüber. Aber jetzt sehe ich: es könnte einfach als Fortsetzung des ersten Gefängnisbuches publiziert und später mit dem ersten zu einem Band vereinigt werden. Das ist ganz der leichte gaminhafte Ton des ersten Buches. Nur schwingt jetzt der ganze Umkreis mit und gibt eine merkwürdige, mächtige Musik. Es liest sich übrigens unglaublich spannend, man kommt kaum aus dem Strom heraus, wenn man angefangen hat zu lesen. Also ich sehe schon, das ist gelungen und ich gratuliere Dir, mein Emmykind. Es wird Dir eine große Befreiung sein. Dazu gratuliere ich Dir zumeist. Jetzt mußt Du sofort anfangen, dieses »graue Haus« und alle grauen Häuser für immer zu vergessen, als war es nie gewesen … Wir haben Dich sehr lieb und immer mehr lieb … Und ein zweites Buch soll's auch noch geben? Ja, Emmylein, was hast Du vor? Nur Vorproben sind das alles? Nur Einleitungen? Was sprichst Du? Nun, und wo hinaus soll's denn gehen, mit Verlaub, wenn man fragen darf? Das sind mir schöne Sprungbretter – ein Gefängnisbuch von jetzt dreihundert Seiten und ein »Brandmal« von ebensoviel. Das läßt sich hören.

Das Tobiasbild will ich durchaus nicht weggeben. Ich denke nicht daran. Das ist von Herrn Botticelli wie für mich gemacht worden. Der jüngste Tobias aus Florenz, den die Erzengel so hübsch an der Hand gegen die Abendsonne führen, der soll mal in Agnuzzo Station machen und ein wenig ausruhen. Seinen Fisch, den er so hübsch gepackt hat, den kann er so lange auf den Küchentisch legen. Der soll mal schön bei uns bleiben. Ich bin ganz verliebt in diesen kleinen Tobias, man sieht an seinem Gang, daß es in raschem Tempo geht und daß er mehr tanzen und hüpfen als schreiten muß, um mitzukommen. Es ist wunderschön … Auch für die kleine Madonna im Rähmchen dank ich Dir sehr, Du Süßes. Und für die zierliche Federzeichnung, die Dir so gut gelungen ist. Du kannst alles, was Du willst …

Nun laß uns mal überlegen, wie wir es machen wollen … Darf ich Dir zunächst sagen, wie es mit mir steht … An meiner »Kritik der deutschen Intelligenz« ist noch nichts geschehen und an eine neue Arbeit war nicht zu denken. Das ewige Notenschreiben nahm alle meine Zeit. Ich konnte nur einige Gedichte schreiben, abends in den Erholungsstunden …

Ich habe die zeitraubenden Abschriften der Noten, die für Weihnachten bestimmt waren. Vielleicht kann ich im Januar mit Konzentration und ganz gewiß in kurzer Zeit die Kritik fertig machen und nebenbei einen Gedichtband zusammenstellen … Mit den Gedichten untersuche ich mich … Ich muß den Fond finden für ein neues, späteres Buch …

Annemarie schrieb mir vor Weihnachten einen so drolligen Brief. Sie bat um fünf Franken, liebes, gutes Steffgen, um fünf Franken und sie will mir am ersten Januar die fünf Franken wiedergeben, wenn ich sie ihr jetzt geben möchte. Sie schreibt gewandt und voller Erfindung. Wir haben sie lieb, nicht wahr Emmy? Aber Du hast es nötiger, daß man Dich sehr lieb hat und wenn das Steffgen auch manchmal streng scheint, s'ist nur halb so gemeint. Und nur Deinetwegen …

Das Bäuerli hat ein Taubenhaus – da fliegen hundert Tauben aus. Grüß Gott, mein Liebling, das neueste Versli sollst Du auch noch haben. Dein Hugo.

Dieses Gedicht, Emmykind, habe ich nach einem Traum geschrieben. Etwas sehr Schönes, Wichtiges muß ich vergessen haben. Ich weiß den Traum nur ungenau.

In dunkelblauem Sunde
Landeten wir spät.
Es stand eine rote Wunde,
Der Mond überm Rudergerät.

Wir nahmen ein wenig Zehrung
Aus einem schmalen Boot.
Wir kletterten über die Nehrung
Ins Morgenrot …

Durch wehende Oliven
Stiegen wir leicht hinan.
Wir sahen ringsum schlafen
Die Länder im Mittagsbann.

Wir saßen an steinernen Tischen
Und aßen uns weidlich satt.
Von Broten und von Fischen
Wurden die Lippen uns matt.

Um unsere Ohren stäubte
Das Meer – ein Muschelgetön.
Ein Veilchenduft betäubte
Die Sinne uns im Föhn …

Wir tauchten in die Fluten
Und schwammen weit hinaus.
Die Möwen kamen und ruhten
Am Strande bei uns aus …

An August Hofmann

Agnuzzo, den 4. Januar 24

Lieber Gusti,

ich schreibe Dir im Bett. Es ist kalt auch hier unten und ich lebe in einer strengen Eremitage. Emmy und Annemarie sind seit Oktober in Florenz. So hause ich allein, koche, besorge meine Hühner … Im Frühjahr kommen die beiden Kinder wieder zurück, dann sollen einige neue Manuskripte fertig sein, durchgesprochen und abgeschrieben werden. So haben wir unsere Solitude noch verschärft, indem wir uns den Winter über separiert haben. Maria [Hugos Schwester] schrieb schon, daß Du in Pirmasens gewesen bist und sie aufgesucht hast. Ja, dort ist das Elternhaus verschwunden. Im letzten Sommer hab ich die Mutter noch besucht und ihr auf dem Krankenbett zum letztenmal in die Augen gesehn. Jetzt liegt sie allein dort draußen und ich werde nur ihr Grab noch finden, wenn ich nach Hause komme. Die Zeit vergeht so schnell, wie lange ist's her, daß wir Kinder waren … Du hast mir so lieb geschrieben, alle die Details über Deine Familie, nur von Dir selbst sagst Du nichts und niemals in diesem Leben werde ich eine kleine Musik von Dir bekommen. Das weiß ich ja, darauf muß ich endgültig verzichten … Direkt widerborstig bist Du. Da ist's kein Wunder, daß Du mit aller Welt verkracht bist. Für einen Musiker ist das keine Manier. Der sollte mit aller Welt zur Zither tanzen. Also höre, meinem Wunderkind geht's recht gut … Du hättest an dem kleinen Kerl Deine Freude. Er lebt in den Tönen, wie der Fisch im Wasser … Ansonsten, was mach ich? Seit einigen Wochen melden sich wieder Verse. Vielleicht kriegst Du noch einmal einen Band zu Gesicht. Nur immer sachte. Ich schicke Dir Emmys letztes Buch »Das ewige Lied«. Es schlägt in Dein Fach. Es ist eine verstiegene Skala, Du wirst ja sehen. Du weißt ja so etwas zu lesen … Vor einigen Tagen erhielt ich von Hermann Hesse die Bogen einer neuen Arbeit »Psychologia Balnearia«, erscheint demnächst bei Fischer. Du könntest darin finden, wie man so lebt in der Schweiz. Hesse schreibt sehr genau und so ist er auch im Gespräch. In seinen früheren Büchern ist er verschwiegener …

Liebes Gustilein, was Du von den Pfälzern sagst, hat mich lachen gemacht. Ich bin doch gar kein Pfälzer. Ich bin doch irgendwoher aus dem Spessart und aus dem rheinischen Bauernblut. Wie es in einem pfälzischen Oberlandesgerichtsrat aussieht, habe ich Gottlob nie erfahren. Ich glaube Dir auf's Wort, daß die Bauern aus Schnaitsee sympathischer sind. Aber der Wald um den Wasigenstein herum, und schon vorher, das ist trotz aller Krähwinkelei sehr schön. Schade, daß der Wasigenstein jetzt den Franzosen gehört. Dort oben unter turmhohen Buchen – oh, ich weiß nicht, ob Du das kennst! Das gibt es in Schnaitsee wohl nicht. Wenn man das Unglück hat, in der Pfalz geboren zu werden, dann muß man immer in den Wald laufen, das ist die einzige Rettung …

An Hermann Hesse

Agnuzzo, den 9. Januar 24

Lieber Herr Hesse,

ich danke Ihnen sehr für Ihren lieben Brief, für die Fahnen der »Psychologia«. [Gemeint ist »Kurgast« von Hermann Hesse, Aufzeichnungen von einer Badener Reise.]

Verzeihen Sie mir bitte, daß ich Ihnen erst heute danke, auch für Ihren lieben Weihnachtsgruß … Ich bin ganz eingeschneit in neuen Arbeiten.

Aber ich habe meine Spielsachen liegen lassen, und auf der Stelle die »Psychologia« gelesen, die ich sehr bewundere. Sie ist ganz Aug und Ohr, und man wird es selber. Was ist das für ein vortrefflich Gesundbüchlein. Es wird neben dem Katzenberger von Jean Paul getreulich einhermarschieren durch lange Zeiten. Sie sind so sehr anwesend in dem Buche. Man möchte in einem fort sich unterhalten mit diesem und jenem Herrn Hesse (mit beiden, mit der Antithese). Neulich noch, eines Abends, haben Sie mir daraus vorgelesen, aber den »Holländer« nicht, und das hatte einen schönen Sinn, denn als Sie lasen, sprangen die Sätze so funkelnagelneu hervor, daß es eine größere Lust war, Ihnen als dem Holländer zuzuhören.

Auch Emmy überraschte mich zu Weihnachten mit einem neuen Buch »Das graue Haus«. Sie möchte die Gefängnisse aus dem Boden heben. Sie ist ein solches Kind … Mit vielen herzlichen Grüßen Ihr Ball.

Mittwoch

Nennt man die besten Namen, sind auch die unsern genannt. Ich drücke Ihnen herzlich die Hand, lieber Herr Hesse. Nochmals und immer Ihr Ball.

An Emmy

Mittwoch abend

Oh, mein Emmy, wie es Dir gehen mag und wo Du wohl diese Nacht geschlafen hast? … Donato brachte mir gestern abend spät noch Deinen Expreßbrief. Er war sehr besorgt, »hoffentlich keine Krankheit«, sagte er. Er erkundigt sich immer, wie es Euch geht und auch die Leute im Dorf fragen immer wieder. Was schreibst Du für wunderbare Briefe, mein Liebling. Und je rascher sie kommen, desto schöner sind sie. Aber Du sollst doch nicht nur an mich, sondern vor allem an Dich selbst denken. In Deinem letzten Brief schreibst Du nur von dem dummen Steffgen, dessen Buch sie »umeinand« zupsen und kein Wort davon, wie es mit Deiner eigenen Arbeit ist … Laß Dich doch von diesem seltsamen Erlebnis mit dem Stummen nicht verwirren … Freilich, aufpassen mußt Du schon. Die Menschen sind dort impulsiv und fanatisch. Wie sie verehren, so hassen sie auch. Vielleicht hatte man in Via Senese ein schlechtes Gewissen, daß man wünschte, Du mögest sofort abreisen … Warum willst Du Dich denn nicht malen lassen? Wenn Du doch in der Pension ein wenig Anschluß fändest. Man wird Dich schon gelten lassen, wenn man Dich erst mal ein wenig gewähren läßt. Vielleicht aber gefällt es Dir besser bei den Schwestern. Der Zigaretten wegen mach Dir keine Sorge. Die Erzbischöfe rauchen sogar und die Kapuziner rauchen dicke Pfeifen. Die Schreibmaschinen sind in den Klosterbüros auch nicht unbekannt. Du mußt es nur vorher sagen, daß Du schreibst, damit es kein Befremden gibt. Also, wie Du Dich nun anstellen wirst, ich weiß es nicht, Liebling. Ich schicke Dir noch fünfzig Franken. Gerade jetzt, wo Du einige Beziehungen hast, solltest Du nicht abreisen. Ich kann mich aber irren. Heute ist mein Buch an eine der wichtigsten Persönlichkeiten in Rom, an den Bischof Monsignore Essex (Dominikaner), abgegangen. Ich habe noch einige Zeilen an ihn zum Buch geschrieben. Vor wenigen Tagen erklärte der Papst in einer feierlichen Versammlung vor dem orientalischen Klerus seine »Vorliebe für den Orient und für alles, was den Orient betrifft«, also ein Aufruf. Mein Buch wird gerade zur rechten Zeit in Rom gelesen werden … Ich glaube, Du solltest in Florenz auf mich warten. Ich habe den Gedanken, in Rom zu sein, nicht aufgegeben. Ich kann unentgeltlich ein halbes Jahr und länger in den syrischen Klöstern studieren, kostet nur die Reise fünfhundert Franken, Wir werden alle zusammen dorthin fahren. Nun, das liegt ja noch in weiter Ferne. Rom aber, oder ein italienisches Kloster wird möglich sein. Gegenwärtig kann ich ernsthaft gar nichts tun und darin wird und muß eine Änderung kommen. Es gibt die Steffgens nicht dutzendweise, man wird schon dahinterkommen. Sag mir, was Du brauchst, mein kleiner Evangelist, um ruhig dort leben zu können vorerst. Wir werden's möglich machen. (Der Bischof, der mein Buch hat, ist Sekretär der Indexkongregation.)

An Emmy in Florenz

Oh, wie Du lebtest: stets im Fluge
Und stets geschwungen von den großen Händen.
Gezaust die Flügel und das Herz verzehrt
Von Trauer und von Liebesbränden.

Wie irrtest Du durch diese großen Städte,
Die Füße blutend und in Sterbeangst,
Wenn Du im Straßenstaub zerschlagen knietest
Die Hände zu den eisigen Himmeln rangst.

Wie haben Traum und Trug Dich hoch umbaut,
Wie sanken Deine Arme auf die Stufen.
Umsonst hast Du gerüttelt an den Eisentüren.
Im Schlafe noch erklang Dein wehes Rufen …

Da dämmerten die frühen Rosengründe.
Da starrten um Dein Haupt die goldenen Schlangen.
Du warst die Gorgo aller Fruchtbarkeiten,
Gleich einem Seraph bist Du in dem Glanz vergangen.

Es dringt Dein Widerschein aus allen Tiefen.
Die stummen Fische jubeln Deinen Namen.
Sie folgen Dir im übermächtigen Zuge,
Wie sie zur Predigt des Antonius kamen.

Auf grauem Haus weht Deine Siegesflagge
Und alle Fäulnis hast Du hell zerteilt.
Die Todeswunden des Gekreuzigten:
Du küßtest sie und warst geheilt.

An Emmy

Liebling, ich bin hier in Lugano, um Annemarie abzuholen. Du hast recht getan, sie zu schicken. Es ist schließlich das Beste. Ich habe nun noch ein wenig Ordnung gemacht zu Hause und ihr Dein Zimmer hergerichtet. In der Küche ist's ziemlich gruselig.

Holz habe ich heut früh, bestellt, so daß wir's ein wenig behaglich haben. Ich schreibe Dir dann ausführlicher, wenn Annemarie mir berichtet hat. Sie wird ja viel zu erzählen haben.

Und nun, mein Emmykind, gratuliere ich Dir innig zum Geburtstag. Er ist ja eigentlich erst am siebzehnten, aber da wirst Du vielleicht schon in Rom sein. Willst Du es denn wirklich wagen? Nun, hier in Agnuzzo ist Dein Steffgen und hat Dich lieb und wird immer bei Dir sein und wenn etwas ganz verstakelt und verhettert ist, dann depeschierst Du mir, nicht wahr? Das ist ausgemacht. Und dann wird's schon gehen. Ich schicke Dir hier hundert Franken. Gib nur auf Deinen Paß acht, Liebling, und auf Deine Sachen überhaupt. Gelt ja, Du versprichst mir's. Und schreib gleich. Tschau Pape nicht vergessen. Oh, mein gut Klein-Inseman, was hast Du vor?

Einen Stampati-Packen hab ich heut auch abgeschickt. Vielleicht kriegst Du ihn noch. Und hier leg ich Dir Verse bei. Sag mir, ob sie schön sind und ob Du zufrieden bist mit diesem Gestakse, oder ob ich's lieber lassen soll. Was meinst Du?

Neugierig bin ich, wie unser Schnuck wohl ausschauen und was er erzählen wird. Ich hab das Haus aufgewaschen heut, als Deine Depesche kam und die Spinnen weggejagt. Das ist eine Aufregung! Die Stille wird Annemarie ganz gut tun. Ich darf mich nur nicht aus der Illusion bringen lassen und werde ihr vorschlagen, die Küche ungefähr in meinem Stil zu lassen. Wir werden das Doppelte an Milch und Eiern nehmen. Pralinés von Weihnachten her gibt's noch. Die hab ich eigens aufgehoben, sind von Carla Faßbind. Geschrieben hat sie mir noch nicht.

Also einstweilen, mein Emmy, leb wohl. Ich muß den Brief rasch auf die Post bringen und noch eine Wärmflasche kaufen. Die alte rinnt und macht alle Leintücher naß und rostig. Nochmals sei innig umarmt, geküßt und liebgehabt von Deinem Hugo.

An Emmy in Rom

O mein Emmy, was bist Du für ein Unglückswurm. Geht's denn wieder besser mit den Zahnschmerzen? …

Wenn Rom so teuer ist, würde ich Dir raten, nicht noch weiter nach Süden, sondern nach Norden zu fahren. Nach Assisi ist's von Rom aus nicht sehr weit und von dort nach Perugia auch nicht. Perugia soll sehr schön und interessant sein. Darüber möchte ich gerne von Dir hören … Erstaunt bin ich, daß Du schon mit dem Geld fertig bist. Du hast einen kräftigen Konsum. Wollt ich Dir nur gesagt haben. Merk Dir's und richte Dich danach …

Ich habe nun auf der Stelle mit der Durchsicht meiner »Kritik« begonnen, nur kann ich gar nicht recht viel daran arbeiten. Das Buch regt mich derart auf, daß ich kaum einen Satz genau bedenken kann. Ich muß mich in einem fort künstlich zur Ruhe nötigen. Ich kenne so etwas sonst gar nicht, und bin darüber sehr verwundert. Ich brauche mich nur mit dem Text einzulassen, und mein Puls fliegt nur so. Auch jetzt, wo ich nur daran denke. Ich werde achtzig bis hundert Seiten streichen. Es muß mit diesem Buch ein besonderes Schicksal verbunden sein. Jetzt habe ich heftiges Herzklopfen …

Nun, Emmykind, hast Du inzwischen das Forum Romanum gefunden? Wo ist denn Dein Baedeker geblieben? Da gibt's doch Karten von Rom in Hülle und Fülle … Fahre doch von Rom nach Perugia. Mehr kann ich heut nicht sagen. Dein Hugo.

Emmy an Hugo

Ach, Hugo, ich hab Deinen Brief erst in der Bahn aufgemacht und ich weiß gar nicht, wo ich bin. Ich schreibe Dir im Accelerato-Zug und habe Zahnschmerzen.

Dir zu Gefallen würde ich ja gerne Assisi, Perugia und was weiß ich noch alles ansehen, aber ich muß mich doch einigermaßen danach richten, was jetzt auf meiner Fahrkarte gedruckt steht. Ich wage gar nicht zu sagen, was. Nach Norden fahre ich zufällig nicht. Wir haben soeben Cortona passiert, das ist Dir wohl nicht nördlich genug. Hätte ich nur Deinen Brief vorher gelesen, aber ich wollte eine hübsche Reiselektüre haben. Oh, hab ich Zahnschmerzen! Alle haben Mitleid mit mir. Ich hab schon Aspirin geschenkt bekommen. Bewundere Du mal mit Zahnschmerzen das Forum Romanum, da würdest Du finden, es sei ein hübscher Trümmerhaufen, der Dich gar nichts angeht. Perugia kann ich auf der Karte gar nicht finden. Mir ist, als hätte ich noch nie davon gehört. Der Wagen schüttelt hin und her und infolgedessen auch mein Bleistift und die Schrift wackelt. Ich wollte, ich wär in Agnuzzo oder auf dem Friedhof. Glaubst Du denn, ich sei eine Vergnügungsreisende, im Gegenteil: ich bin Leidreisende. Jetzt bin ich schon wieder ein Stück weiter nach dem Süden gekommen; nun, vielleicht läßt sich's korrigieren.

An Emmy in Neapel

Oh, mein lieber, guter Inseman,

wie mag es Dir ergehen bei der Signora Guerra und dem blassen Bimbo? Wir haben Deine zweimal zwei Briefe richtig bekommen und mit größter Neugier gelesen. Und mit ebensolcher Freude. Wir sind ein gutes Publikum, das die Unternehmungen der Heldin mit wohlwollender Sympathie verfolgt und mit seinem Beifall nicht zurückhält. Also jetzt ist Inseman in Napoli bei der Signora G… [E. hatte Stellung in einem sizilianischen Hause angenommen.] Laß sehen, wie es in solcher Situation zugehen wird. Wir haben ein großes Vertrauen zum Inseman und wissen, daß es an Überraschungen nicht fehlen wird. Wo er seinen Einzug hält, da geht's erst noch eine Weile im gewohnten Geleise weiter, aber dann spitzen die Leute die Ohren und sehen, daß sie da einen ganz besonderen Vogel ins Haus bekommen haben. Und dann wird es lustig und sehr unterhaltsam.

Die beiden letzten Briefe kamen an, als ich brav meinen Kakao trank. Da hat Annemie mir vorgelesen, weil ich gar mächtig zu tun hatte. Muß nach Montagnola, aber wenn das besorgt ist, freue ich mich ins Bett zu kommen, um in aller Behaglichkeit Deine Abenteuer zu genießen. Ich hab's leicht bei Dir und überhaupt und so. Ich bin bei allem mit dabei und brauche mich nicht anzustrengen.

Ja, gewiß erinnere ich mich an die kleinen Schuhe, von denen Du einmal in Zürich in der Schoffelgasse schriebst, sie haben den Golf von Neapel gesehn. Als hättest Du eine unbewußte Ahnung gehabt, das hat mich merkwürdig berührt.

Heut erzählte mir B…, wie sehr anders man ihm die Sizilianer geschildert hatte, und wie erstaunt er war, die prächtigsten Menschen unter ihnen zu finden, als er dann nach Sizilien kam … Daß Du den einfachsten Weg gewählt hast, um die Sprache völlig zu erlernen, halte ich für gut, wenn ich auch befürchte, daß es Dir nicht ganz leicht werden wird. Es kommt auf die Menschen an. Du wirst in allerkürzester Zeit das Wesen der Menschen dort kennen lernen, das ist gewiß gut. Wir wollen schon dafür sorgen, daß unser Inseman auch auf dem Eselchen auf den Vesuv zu reiten kommt und nach Capri hinüber und vielleicht einmal nach Sorrent. Manchen Tag wirst Du wohl auch frei sein. Wir wünschen so sehr, daß das Kind wirklich ein kleiner Engel sei, der dich lieb hat und die Mutter auch, den Signore nicht zu vergessen. Sei vorsichtig, daß Dir nichts passiert, gelt ja? Es ist ja so weit weg und wenn Du von den großen Palmen schreibst und von Blinden und Konzerten auf der Straße, da ist's, als wärst Du sehr, sehr weit weg. Und doch da und nah … Vergiß nie, daß es eine Hafenstadt ist, in der Du Dich aufhältst, aber Du hast ja den Schutzengel. Ich glaube, man kann Dich nach Kamerun schicken. Da würde es zwar apart, aber doch gut gehn … Mach viele Notizen. Die kleinen Stichworte in Deinen Diarien sind immer so niedlich zu lesen … Ich sehne mich auch ein wenig in die Fremde, aber ich bin hier anders wie Du. Wer in die Fremde will wandern, der muß mit der Liebsten gehn … Du weißt ja, wie ich sang, als wir von Deutschland fortreisten …

An Emmy

Lugano, Mittwoch abend

Emmylein, Dein Brief hat mich so sehr bewegt. Wie ist das Bildchen entzückend, das Du gemacht hast. Vor allem aber: ich fühle aus dem Brief, daß es Dir etwas besser geht. Gerade komme ich von Doktor Müller, dem ich Deinen Zustand schilderte. Ich war etwas ängstlich darüber, daß Du die Arseninjektionen selbst machen darfst. Aber Doktor M … hat mich beruhigt. Biomalz empfahl er sehr, gutes Essen, eben Stärkung.

Oh, mein Liebling, was hast Du alles durchzumachen. Mir scheint, jedes Deiner Bücher muß mit einem ganz persönlichen Nervenklaps des kleinen Autoren enden. Ist ja auch man ein klein schwach Küngeli, das nicht viel vertragen kann. Hör, mein Emmy, ob die im Sanatorium in Agra wohl einen Liegestuhl frei haben? Ich weiß nicht … Da hab ich dran gedacht, ob ich Dir nicht selbst einen Liegestuhl konstruieren kann – Sonne haben wir ja genug für einen kleinen Putzen – oder ob wir nicht einen Liegestuhl kaufen sollten? Dann pfleg ich Dich, wenn Du kommst. Das kann ich gut, Du wirst sehen. Ich werde eine gute Krankenschwester hinstellen (so sagen sie doch beim Theater). Vielleicht kommst Du zu meinem Geburtstag. Wenn Du mir nur gesund wirst bleiben wollen, mein Kindlein.

Am Sonntag muß Annemie ihre neue Stellung antreten, aber sie hat Angst davor. Ich hab gesagt, es sei nicht so schlimm. Kannst Du ihr nicht das Bild von Elisabeth Bergner schicken? Das will sie doch so gerne haben. Annemie fürchtet, daß sie immer in solchen Stellungen wird bleiben müssen, da sie doch Malerin werden will.

Ob Du wohl den blauen Mantel von Ruth schon bekommen hast? Wirst Du dann reisen, wenn Du den Mantel hast und es Dir ein wenig besser geht? Dann träumen wir uns alles wieder zurecht. Viele herzliche Grüße auch von Annemie Dein St.

Emmy an Hugo

Mein lieber Hugo,

vielen Dank für Deinen lieben Brief und ich freue mich, daß Dir Höhenluft und das gute Essen bekommt.

Gestern früh habe ich Deinen weißen Karriereanzug gewaschen und zwar am Brunnen, wo die weißen Wasser plätschern. Täglich wird er bleich und bleicher. Der Anzug und auch der Inseman. Gekocht hab ich ihn nicht, nämlich den Anzug, weil ich keinen Kessel hab und Giovanna hat buntes Zeug gekocht, da konnte ich den feinen Anzug doch nicht dazu tun, sonst hättest Du einen Josephsrock bekommen, um den ihn die elf Brüder beneidet haben. Nun wohl, ich bin bei weiß geblieben. Es waren nicht weniger denn sieben Frauen, die gleichzeitig mit mir wuschen, an ihrer eigenen Wäsche selbstverständlich. Ich hab den Anzug auf den Stein geschlagen, daß Seifenschaum und Wasser meinen Nachbarinnen ins Gesicht gespritzt hat und man mich bat, ich möge meinen Eifer etwas mäßigen. Weißt Du, warum ich so energisch Deinen Anzug geklopft hab? Clemens Brentanos wegen. Anders tu ich nicht. Ich habe nämlich daran denken müssen, was Du mir am Kamin von ihm vorgelesen hast, und in Erinnerung daran geriet ich in ziemlichen Ärger. Über Anna Katharina Emmerich, über die gottselige, begnadete, stigmatisierte Jungfrau. Alle anständigen Leute in Ehren, aber was Du mir von ihr gesagt hast in bezug auf Brentano, das paßt mir nicht. Und da Du mir gesagt hast, was Dir paßt, erlaube, daß ich Dir sage, was mir nicht paßt.

Woher Deine Kopfweh über die Reformationsfolgen kommen, das kann ich mir jetzt vorstellen. Mir tut ja leid, wenn ich vorerst mal zurückgreifen darf, daß Du das Buch in der alten Fassung herausgebracht hast. Sogar Pilatus, der etwas wacklige, aber doch bescheidene Herr, sagte aufs bestimmteste »Was ich geschrieben, das habe ich geschrieben!« Darum ist er mir auch sympathisch, weil er nicht einmal die Kreuzinschrift korrigiert hat, was ja nicht viel Mühe gemacht hätte, aber nein: Das Wort sie sollen lassen stahn! Jetzt willst Du kommende oder jetzige Erkenntnisse in das Buch hineinbringen, altes und weiß Gott nicht das schlechteste streichen. Willst Dein eigener grausamer Zensor sein und Du triffst die beste Stelle. Apriori traurig bin ich darüber, Du mußt ja wissen, was Du tust. Wenn Du etwas Besseres an die Stelle setzt, die Du streichst, ist's ja recht. Womit aber ersetzt Du die Lücke? Du willst hauptsächlich das Unheil Luthers herausstreichen, das tust Du, wie das Buch in den Grundfesten, im Sinn angelegt ist, den »Modernen Katholiken«, einer gewissen Sorte, doch nicht zu Gefallen. Auch recht. Aber daß Du von Brentano sagst, daß es der Trumpf seiner Begabung, die Höhe seiner Romantik war, bei Anna Katharina Emmerich zu verwesen. (Verwesen in mehrfachem Sinne gemeint.) Das gefällt mir nicht. Daß er bestimmt war, reuig bei ihr zusammenzubrechen, um der Sekretär der Visionären zu sein, um deren Gedichte in ein vernünftiges Deutsch zu bringen, das kommt mir wie eine Sünde vor, das zu sagen. Anna Katharina hat oft die etwas derben, niederdeutschen Sprüche ihrer bäuerlichen Mutter angeführt: »Was nicht in den Topf paßt, das gehört unter den Topf.« (Also Brennholz.) Das kann grobes Motto für Materialisten sein, die alles ausnutzen und es gibt Leute, die sich für fromm halten und alles, was ihnen in den Weg kommt und was sie brauchen, ihren Zielen nutzbar machen.

So hat's den Anschein, als habe man es auch mit Brentano ein wenig gemacht und diese Darstellung vertrage ich nicht. Man hat ihm keinen Dank gewußt, daß er jahrelang bei einer leidenden Person saß und für seine beiden Bücher die er der Leisesprecherin ablauschte und neu dichtete, hat man ihn einen Fälscher genannt, während andere Anna Katharina Emmerich als Verfasserin ausgeben. Es ist das Unrecht von beiden Seiten gegen den Dichter. Man hätte auch ihn heilig sprechen dürfen, er hat eine Heilige gemacht und es ist sogar die Frage, wer mehr gelitten hat, Anna Katharina oder Brentano. Sein Leben war tragisch genug, wie wir zur Genüge erfahren haben. Wie schmerzlich berührt es, wenn ein Dichter also eingeschachtelt werden soll. Es wäre doch ratsamer, ein so weitverzweigtes Schicksal, das sich nirgends recht einfügt, auf sich beruhen zu lassen und still zu betrachten. Ich ertrage nicht, wenn eine Partei zu steif betont, »er war unser«. Als ein Stück Gegenüberstellung zu Luther, zur Reformation, will mir Brentano keineswegs einleuchten. Suche Dir ein anderes Beispiel. Es sieht aus, als wäre es wünschenswert, daß mehr Dichter vom Range Brentanos bei stigmatisierten Frauen sich niederlassen sollten. Dichter haben auch ihre Offenbarungen, die vom Himmel stammen und die groß genug sind, ja, wie oft zu groß, um von den Menschen begriffen zu werden.

Diese Wendung hat mich ungewöhnlich erregt, lieber Hugo. Es ist meiner Meinung nach nicht »christlich« gedacht, wenn man behauptet, Anna Katharina sei mehr »wert« gewesen.

Was wissen wir denn im höheren Sinn von Werten überhaupt. Wert für wen? Für die Kirche mag Anna Katharina mehr wert, nützlicher sein, aber wenn wir Menschen mit göttlichen Dingen in Verbindung bringen, sollten wir das Wort »Wert« vollständig streichen. Wir ermangeln alle des Ruhms, den wir an Gott haben sollten. Vergessen wir das nicht.

Heut habe ich wieder meinen ernsten Tag, Liebling, verzeih mir. Die Geschichte von den falschen oder echten Haaren, die Du so lustig findest, unterhält mich nicht so sehr. Wenn man Deine Haare bezweifelt, hätte ich gesagt, ich trage ein Toupet, um zu dupieren und lasse mir die falschen Haare schneiden. Ich hätte meine echten Haare nicht eingestanden …

Ich bin traurig heute … Du bist ein Kind und nicht gewohnt, mit Menschen umzugehn … Du magst sie und magst sie nicht, sagst Du. Das bedeutet, glaub ich, zur Einsamkeit prädestiniert sein … Komm bald wieder, mein lieber Hugo. Wir wollen miteinander vom Schweigen sprechen und wie Sterne miteinander stille sein.

An Hugo

Ich lag in einem Schlafe.
Mir träumte wohl bergetief.
Ich sank von Stille zu Stille,
Als eine Stimme mich rief.

Sie war das Lied ohne Worte,
Die liebe lange Nacht,
Führt mich von Pforte zu Pforte
Zu neuem Schlaf erwacht.

Bald schlaf ich wohl noch süßer,
Als ich schon einmal schlief.
Ich sah ein Licht im Dunkeln,
Da jene Stimme mich rief …

An Hugo

Sie feierten ein Fest und niemand wußte es.
Es war vorüber, als sie es empfanden.
Sie trauerten um einen Schmerz, den sie nicht kannten
Und bluteten an einer unbewußten Wunde.
Sie trugen Masken, die sie selbst nicht sahen
Und waren so einander tief verborgen.
Was sich im Traum gelöst, versiegelte der Morgen.
Und ein Vergessen stand auf ihrem Munde.
So blieb ihr Dasein stummes Rätselspiel.
Und ihre Sehnsucht ward zu einer Sage.
Verschlungen blühten sie hoch überm Tage
In einem, ihnen selbst, geheimen Bunde.

An Emmy

Rigi Klösterli im August 24

… Heute früh hab ich auf dem Rotstock einen großen Strauß Enzian gepflückt. In Gedanken schick ich ihn Euch. Ich bin Dir so dankbar, daß Du herauf gekommen bist. [Emmy war für einen Tag auf der Rigi.] In allen entscheidenden Dingen und immer, wenn selbiges Steffgen eine rechte Dummheit zu machen geneigt ist, gibst Du den nötigen Stups. Diesmal scheint es sehr notwendig gewesen zu sein. Du wirst sehen, daß ich Dir's danke.

Laß uns mehr denn je zusammenhalten, wir wollen füreinander stehn. Es kann eine Zeit kommen, Emmy, in der wir uns nur selbst noch haben. Und dann wollen wir froh sein, daß wenigstens dieses uns geblieben ist … Es hat mich so bewegt, daß mein Annemusch um das Steffgen weinte. Ich mußte lachen, als ich heute den Brief wegschickte. So schreiben sich wahrhaftig Gymnasiasten. Man verjüngt sich offenbar, wird aber auch gesund und fühlt, daß die Flut wiederkommt. Macht schöne Sachen, ihr zwei Lieben und laßt uns dann zusammen sein und uns freuen, ganz für uns allein. Ich umarme Euch innig Euer Steffgen.

Emmy an Hugo

Steffgen, liebes,

ich freu mich, daß Du Silbertapeten an den Wänden hast und Hortensien auf dem Tisch, so gehört sich's.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Du Dich wirklich ein wenig erholst und auch ich möcht's versuchen. Hier ein wenig im Hause Ordnung zu machen, gefällt mir recht gut. Vielen Dank für die Enziane, Liebling. Ich freu mich, daß Du Lust hast, einmal Blumen zu pflücken, das tut Dir gut zwischen dem studieren. Du solltest Dir überhaupt einmal für einen Monat wenigstens die Bücher versagen und Dich nach dieser Richtung hin in der Enthaltsamkeit üben, es dürfte Dir bekommen, wenn ich Dir bescheidentlich diesen Hinweis geben darf.

Höre, Deinen Anzug hab ich zum Färben gebracht. Er wird grün, selbstverständlich nicht grasgrün, sondern botticelligrün. Bitte schreibe mir, wenn Du länger oben bleiben solltest, ob ich den Kleiderschrank blau anstreichen darf. Darf ich? Weil's mich gelüstet. Ich frage Dich lieber vorher, damit Du nicht, wenn Du bei Deiner Rückkehr zur Tür hineinkommst, gleich sagst: »Was hast Du jetzt wieder gemacht!« Und es Dir nicht gefällt. Es würde aber sehr schön werden, Hugo. Ich sehe es ja schon vorher, wie sich das machen wird. Das Bücherbort hab ich schon blau angestrichen und ich habe noch blaue Farbe. Auch ein wenig Gold. Ich habe Gold in Lugano gekauft und bekam viel für zwei Franken. Wir können's ja immer brauchen.

Du meintest damals, als ich um Ostern das Bett grün angestrichen hatte und das andere weiß, es sei das grüne ein bißchen grell-hell. Ob ich das jetzt nicht gleich mit anstreiche? Wenn es geht und Du magst, depeschiere, weil die Farbe ziemlich lange zum trocknen braucht. Ich habe auch ein neues Bücherbort gezimmert. Es ist solide und schön geworden. Du wirst Dich wundern. Ich hab's jetzt heraus, wie man's machen muß.

Sag Hugo, weil ich doch das Bett streichen will, in einer Farbe, die Du nur anzugeben brauchst, kann ich nicht gleich die Matratze reparieren lassen? Es gibt hier Matratzenreparierer auf Stöhr. Der Mann kommt ins Haus und nimmt nicht viel Geld, weil er auch die Kost bekommt und einen halben Liter Wein. Mehr gebe ich ihm nicht. Ein halber Liter Wein genügt. Wenn er mehr bekommt, hat er nur einen Schwips und arbeitet nicht und nimmt draußen im Garten, wo er die Matratze heil macht, auf selbem Lager ein Sonnenbad. Nun, ich werde schon alles in Ordnung bringen. Wir haben die Härlis gestutzt, weil wir auch die große Papierschere geschleift haben – den Schleifstein hab ich jetzt gefunden. Die Schere ist schön scharf und weil ich grad beim Schneiden war, hab ich auch den Hühnern die Flügel gestutzt, damit sie uns nicht fortfliegen … Die Hühner sind ziemlich nervös. Ich hab ihnen eine Brennesselsuppe gekocht, das soll gut sein für Hühner, aber ich hab mir die Hände beim Pflücken der Nesseln verbrannt. Die Schreibmaschine war auch kaputt. Jetzt ist sie aber wieder heil. Damit Du es auch glaubst, schreibe ich Dir auf der Maschine:

»Mit meiner Schreibmaschine,
Die mit mir weint und lacht.
Sing ich Dir viele Grüße,
Sag ich Dir gute Nacht.«

Die Annemie meint, die Hühner können das Maschinengeklapper nicht vertragen, aber darauf kann man doch nicht Rücksicht nehmen.

Wir machen das Haus ganz fein in Ordnung, ich und Annemie und selbst wenn wir dann reisen, schadet es ja nicht, wenn es hübsch sauber dasteht. Laß Dir's gut gehn, mein lieber Hugo und sei treu umarmt von Deiner E.

Grüß Carla Faßbind und die liebe Frau zum Schnee, auf ihrer Schulter träumt ein Stern.

An Emmy

Samstag abend

Liebling, ich glaube, ich werde bald zurückkommen. Es geht mir wieder ganz gut und ich möchte den Garten sehen und im kleinen Agnuzzo-Dörflein sitzen.

Ja, Klein-Emmy, Du bist das Kind meiner Herzseite und Du wirst wachsen … Ich habe graue Haare bekommen. Erst hier im Spiegel hab ichs gesehn … Gestern abend sang Frau Olga Eisner in einem kleineren Kreis ihre schönsten Lieder. Und für mich eines extra: »Der Wanderer und der Mond« von Schubert. Ich hab dieses Lied sehr gern. Lieder von Hugo Wolf hat sie auch gesungen. … Ich konnte mich hier oben schon mit einigen Menschen vergleichen. Das Resultat beschäftigt mich sehr. Ich möchte, daß Du und ich nach Venedig reisen und mit den Fischern vielleicht einmal nach Ravenna. Sag ja, Emmylein. Dein Steffgen.

Dank Dir, Liebling für die schönen Kragen und für die Exerzitien des heiligen Ignatius. Will ich in Einsiedeln lesen.

Wächst der Kürbis tüchtig und gibt's schon Tomaten? Grüß auch den lieben Hesse bitte. Da bin ich nochmals Euer Steffgen … Ich bin gezeichnet worden von einem Doktor G…, der mir auch seine Kompositionen vorgespielt hat …

Emmy an Hugo

(bei einem späteren Aufenthalt auf der Rigi)

Lieber Hugo, bin glücklich auf der Rigi angekommen. Ich war heil, nur meine Sohlen durchgegangen und daß ich's gleich sag, die Schreibmaschine ist krank. Der Schlitten führt einen aufs Glatteis und läuft mir wie wild davon. Ich geh nach Brunnen oder Luzern, um die Maschine reparieren zu lassen.

Daß meine Sohlen halb durch sind, ist kein Wunder. Über den Sankt Gotthard gehen, das ist keine Kleinigkeit, zehn Stunden von Airolo nach Göschenen, wenigstens. Aber der Berg gibt was fürs Geld, alle Hochachtung: alle Jahreszeiten gehn an einem vorüber. Richtiger gesagt, ich ging vorüber. Das Haar stand mir nicht schlecht zu Berge. Der war oben ganz weiß, Berg, nicht das Haar. Noch bin ich eingeträumt von der wunderschönen Tour. In Airolo übernachtete ich privat. Eine Frau sprach mich an und hat nur einen Franken fünfzig für die Nacht verlangt. Wenn ich so billig weiterschlafen kann, da lohnt sich's. Um fünf Uhr machte ich mich auf die Come-stibile und schritt mächtig aus, mit Suckrack-Rucksack auf dem Rücken, mit immerhin leichtem Gepäck. Die Maschine hatte ich als Postpaket aufgegeben, was sie denn auch prompt übelgenommen hat. Soll sie. Hospenthal ist ein wundersüßes kleines Dorf, braune, gute Dächer und an einer hohen, sanft ansteigenden, grünen Wand. Man dürfte durch das Dorf nicht mit dem Auto fahren und die Geranien werden doch staubig davon, die Geranien an den Fenstern. Oben auf dem Hospiz, wo der heilige Bernhard daheim ist, da war's frisch. Der früheste Frühling. Und einsam. Ein Bergsee ist da, klar durchsichtig, wie das Auge des lieben Gottes.

So durchsichtig, daß man eben nichts wissen kann und wohl tief. Ja, und dann ist noch ein kleiner Beigabsee da, der tut auch was er kann an Klarheit. Ist's jetzt klar, Steffgen?

Will ich ins Kapellein gehn
Will ein bißlein beten,
Steht ein freundlich Knäblein da,
Fängt als an zu reden
Wöllet sie das Kloster sehn
Bruchets nüt so wiet zu gehn.

Ja, also das Kloster hab ich nur von außen gesehn. Da ist nicht Platz für viele. Ganz braun und alt, verwittert und für gut befunden. Ja und die Bernhardiner-Hunde, die sind sehr gut und rehbraun und verzottelt und auch ein bißchen vertrottelt sehn sie aus, sind aber doch recht gescheit. Der eine hat mir die Hand gegeben. War schon bald kein Hund mehr und hab mich schwer gefreut … In der Teufelsschlucht, uh, da hat das Wasser hoch aufgestaubt und imposant gerauscht und ganz hohe, graue Felsen sind dagewesen. Rechts und links Berge, grau und grün.

Ein kleiner Junge in Mai-bauern-leinen-kittel hat mich hell gegrüßt. Der einzigste Mensch, dem ich eigentlich begegnet bin, hat Herr Freude geheißen. So hab ich ihn für mich genannt. Beim Wasserfall hab ich mein Brot gegessen. Das war die Reuß, die vorbeikam und die ich dann begleitet hab. Ein großes Russen-Doppelkreuz hab ich noch gesehn bei der Teufelsschlucht in Riesengranit gehauen. Bald mehr, mein lieber Hugo, ich mache nach Luzern oder Weggis. Herzlich grüßt und küßt Dich Deine Emmy.

Emmy an Hugo

Hier oben sind auf der Rigi um diese Zeit (im Juni) nicht viele Menschen, das aber dünkt mich so schön. Ich glaube Carla macht's auch nichts aus, daß noch nicht viele da sind. Sie sagt, die kommen noch im Sommer und Hochsommer. Carla ist hier aufgewachsen, ich glaube sogar, sie ist hier auf der Rigi geboren. In der »Sonne«. Das Schild hängt vor meinem Fenster. Es ist doch schön, wenn vor Gasthäusern Schilder hangen. Ich mag die »Sonne« nicht »Hotel« nennen. Es paßt doch gar nicht zu dem Schindelhaus. Die kleinen Stiche von Goethe haben mir so gut gefallen, aber die wirst ja auch Du kennen. Ich hab's zu gern, wenn ich denke, er könnte noch einmal kommen, so wie von ungefähr in die Wirtsstube treten. Er hat das Wunderkapellchen gezeichnet, an einem Sonntagmorgen ganz früh und das Häuschen sieht noch genau so aus, als wie er es gesehen hat. Mit Vorliebe setze ich mich an die Stelle, wo er gesessen hat und gezeichnet. Er ist noch sehr jung gewesen damals, aber wenn man von Goldau die Rigi in der Früh hinansteigt, ja, da steigt man mit dem Nebel und den Kühleins nach oben und es wird ähnlich sein, wie es einmal war. Goethe hat hier sein Halstuch verloren, als er vor »Lachen und Durst's den Berg hinab rannte«. Das Halstuch hab ich nicht gefunden, aber allerliebste Tagebuchaufzeichnungen von Goethe, die mir viel Freude machen, weil es halt noch genau so ist, wie einst. Wenn ich mit Carla noch spät abends in der sogenannten »Offize« sitze, das ist ein kleiner, allerliebster Raum neben der großen Gaststube, da ist's wie ein Hauffmärchen, ganz still und einsam. Als ticke eine ewig-alte Wanduhr, ganz langsam, bedächtig und gleichmäßig.

Ja, aber Steffgen, Du mußt nicht denken, daß man sich hier oben so ganz und gar verträumt. Wir haben Weihnachten gehabt und gefeiert, weil grad Schnee war und es hier doch so viele Tannen gibt. Carla machte den Engel in Weiß, mit offenem Haar. Sie teilte Geschenke aus, die nicht allzuviel gekostet haben, aber viel Spaß machten. Der Drahtseilschaffner von der Rigi, der hier doch einsam und etwas traurig überwintern muß, bekam eine ausgeschnittene Frau. Ich hab ein Zigarettenetui bekommen mit nur einer Zigarette darin und ein Verslein lag dabei: »Rauchst Du täglich nur ein Stück, bringt es Dir besonders Glück.« Du siehst, ich werde hier gut erzogen.

Wir haben einen merkwürdig schönen Punsch bekommen und ich hab ein Tannenbaumlied gesungen: »Du grünst nicht nur zur Winterszeit, nein auch im Sommer, wenn es schneit.« Es hat nämlich viel geschneit. Ein paar Tage aber war der schönste Vorfrühling und wir konnten Enzian pflücken und die Wasserfälle haben gerauscht. Die Kühlein kommen jetzt auch bald in Saison. Sie dürfen nicht so früh hinauf, aber einige sind doch da und haben große Glocken, gucken einen stutzig an und bammeln so schön mit ihrem Glockenhalsband, wenn sie schwerfällig tapsen.

Und die gucken einen auch immer so tiefsinnig und bedächtig an. Ja, um von den Kühen auf etwas anderes zu sprechen kommen.

Wir haben schrecklich viel zu tun hier oben, und es ist mir hier oben eine ganz besondere Ehre zuteil geworden. Jetzt wirst Du denken, was kann das sein? Wir sind hier beim Denkmal setzen. Das ist eine wichtige Angelegenheit, die mich sehr in Anspruch nimmt. Raten kannst Du es nicht, drum sag ich's gleich. Goethe bekommt hier oben ein Denkmal und ich hab mit Carla den Stein ausgesucht. Sie hätte den Stein sicher nicht ohne mich ausgesucht. Ein großer Nagelfluhstein. Nagelfluh ist was ganz besonderes, was es nur hier gibt. Ja, also solchen Stein bekommt Goethe und zwar dort, wo er das Kapellchen gezeichnet hat. Und dann kommt ein bronzen-vergoldetes Medaillon mit dem Goethekopf darauf, was ein junger Schweizer Künstler, Hans auf der Maur, modelliert, aber den Spruch hab ich gewählt. »Rings die Herrlichkeit der Welt.« So mit Gedankenpunkten, weißt, wo jeder sich denken kann, was er Lust hat. Das hat nämlich Goethe selbst geschrieben von hier oben, aber das kann die Emmy ihm auch nachschreiben. – Rings die Herrlichkeit der Welt, man sieht sie, wenn man auf die höchste Spitze auf Rigi Kulm steht und die Sonne untergehen sieht. Das ist großartig. Die Berge, die Berge und das tiefe, weite, breite, sanfte Tal … Ich habe das Alpenglühen gesehn, Hugo. Das hab ich mir immer gewünscht. Jetzt ist auch dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Mir bleibt doch nichts erspart. So schön war's. Ich genierte mich vor mir selber, so begeistert war ich. Gottlob allein. Hätte ich einen Heinrich Heine bei mir gehabt, hätte er vielleicht gesagt: »Mein Fräulein, sei'n Sie munter, das ist ein altes Stück.« Schon, ich weiß das, aber ich war auch munter. So munter war ich seit langem nicht. »Wie sie noch einmal uns winket, ehe sie steigt in ihr Grab …« Man kann sich nicht leicht über eine untergehende Sonne beruhigen und kann sich nur im Spaß und im Ernst sagen: »Sterben ist der schönste Tod.« Jetzt mach Dir einen Reim darauf. Übermorgen bin ich wieder bei Dir. Vielleicht geh ich noch einmal über den Gotthard, noch einmal. Wenn man oben ist, geht's ja talabwärts. Dem Tannenwald hab ich schon gesagt: Leb wohl, du schöner Wald. Wir singen auf dem Heimweg noch das Lied der Dankbarkeit, auch Dir mein Hugo, sei so gegrüßt von E.

An Hermann Hesse

Rom, Piazza Pollarola 19, den 18. Oktober 24

Lieber Herr Hesse,

ich hoffte Ihnen zu schreiben, wenn wir ein wenig in Ordnung sind, aber da würden Sie wohl noch lange warten müssen. Hier in Rom ist alles auf lange Frist gestellt. Die Leute haben viel, viel Zeit. Es gibt eine Uhr an der Peterskirche, wenn die schlägt, kann man zwischen zwei Glockenzeichen sterben, ausruhen und wieder auferstehen.

Die Stadt ist gewaltig und milde zugleich. Überlebendig und selig und tot. Durch den belebtesten Corso Umberto streifen am Abend die Fledermäuse. Das ist eine rechte Genugtuung. Wir haben zwei enge Zimmerleins gefunden, aber wir werden nicht darin bleiben. Es gibt kein Licht und keine Luft. Doch sind fürs erste die Bibliotheken nah. Die Kirche des heiligen Ignatius haben wir rechts, die des großen Filippo Neri gleich links, wenn wir mit wenigen Schritten zum Corso kommen. Dort oben im alten Jesuitenkolleg haben wir uns neulich am Sonntag die ehemaligen Studienräume der drei jung verstorbenen Heiligen Aloysius, Giovanni Berchmans und Stanislaus Kostka zeigen lassen. Wir sahen auch die Dornenkrone, die der selige Jesuitenpater Baldinuzzi trug, wenn er vor ungeheuren Volksmassen predigte.

In den ersten Oktobertagen traf ich im »Campo santo teutonico« den lieben Professor Neuß aus Bonn und war recht froh, einige Gelehrte und Geistliche kennen zu lernen, die dort im Campo santo absteigen und ihre Begegnungen haben: Prälat Ehrhard aus Bonn, der mich in der Vaticana einführte, Professor Krebs aus Freiburg, der über Mystik und über den Areopagiten geschrieben hat. Die Archäologen machten unter Führung des jungen Doktor Josi allerhand Gänge durch die neueren Katakomben und wir andern schlossen uns, nach Belieben, an.

Lieber Herr Hesse, das waren dunkel erfüllte Tage und sie sind noch nicht vorüber. Man kann nämlich in ganz Rom keinen besseren Führer finden, als den Doktor Josi, weil er selbst die Ausgrabungen leitet. Wir sahen Prätextatus, Pamphili, Priscilla, wild und zerbrochen. Die Gänge gähnten und die Schädel in den Cubibulis zeigten die Zähne, als wollten sie sich zur Wehr setzen gegen die stöbernden Eindringlinge. Gestern noch waren wir gegen Abend in der Domitilla zu vieren. Ich sah, knieend, und den Kopf im Nacken, Christus als römischen Cäsar zwischen den glühenden Aposteln und blieb mit meinem Wachsfadenlicht zurück hinter den andern und streichelte die Totenköpfe. Als wir aus der Katakombe herauskamen, war es Nacht, und der Wächter hatte ein Fiasco hellen Wein aufgestellt in einem Saal zwischen Urnen und Mosaiken und wir stießen an und rieten lächelnd die Zahl unserer Lebensjahre …

Nun bin ich bereits bei der Arbeit und taste mich an den Wänden fort. Im Campo santo haben sie eine patristische Abteilung der kleinen Bibliothek, die ist wie für mich gemacht. Ich kann kommen schon früh um neun und bis abends um sechs Uhr bleiben.

Auch eine malerische Bekanntschaft haben wir angeknüpft: mit Herrn Franz Pallenberg aus München (Schwiegersohn Böklins), der ein Altarbild für Assisi gemalt hat. Durch italienische Freunde lernten wir ihn kennen.

Emmy zeichnet die Engelsburg und die Cestiuspyramide und hat viel Freude daran. Da kann es ja an der Kunst nicht fehlen. Nicht wahr? Ich bin nur ein wenig ängstlich, daß sie nicht mehr schreiben mag. Das Schreiben ist eine imaginäre Sache, und man kann leicht auf die Idee kommen, als sei es gar nicht nötig, überhaupt zu schreiben …

Wir hoffen sehr, Sie mögen in Baden einen höflichen Herbst haben und eine gelinde Ruhe. Neben mir, während ich schreibe, hängt Emmys Bildchen von Ascona. Seien Sie innig gegrüßt von Ihrem Hugo Ball.

An Hermann Hesse

Rom, den 1. Dezember 24

Lieber Herr Hesse,

Emmy hat schon recht: Sie müßten einmal hierherkommen. Wenn wir demnächst eine Bleibe haben, mit ein wenig mehr Sonne und Aussicht. Es gäbe da mancherlei zu erzählen.

In Rom hat man jetzt zu studieren begonnen, das Leben wird intensiver. Wir wohnen gleich gegenüber der Universität … Durch Vermittlung italienischer Freunde wurde ich dort mit solcher Gentilezza aufgenommen, daß ich im Laboratorium selbst ein Studio nebst noch zu setzendem Gasofen bekomme und meinen exorzistischen Interessen (vielleicht wird es ein neues Buch) nach Belieben nachgehen kann. Dieses Laboratorium ist die einzige Stelle in Rom, wo man Psychologie, Psychiatrie und die für Italien noch neue Psychoanalyse ernstlich studieren kann. [Sante de Sanctis.]

Was mir noch bevorsteht und wohin es mich besonders zieht, das ist der Ordo Exorzistarum, den es hier in Rom gibt und der neuerdings eine lebhafte Tätigkeit entfalten soll. Ich lese das »Manuale Exorzistarum« des Franziskaners Brognoli, um mich zu orientieren und das ist ein hochinteressantes Werk. Eine Interpretation des christlichen Glaubens aus dem einen Punkte des Exorzismus. Sie wissen ja, mit welcher Sorgfalt die Mönche arbeiten, wenn sie ihr ganzes Leben einem einzigen Thema zuwenden. Sie würden erstaunt sein, zu sehen, wieviel diese Leute im Mittelalter von den geistigen Krankheiten und, was mehr ist, von ihrer Heilung und von der Seelenpflege wußten.

Nebenbei habe ich die Entdeckung gemacht, daß schon der Abt Theodosius im vierten Jahrhundert ein Sanatorium für die Geisteskrankheiten der Mönche und Einsiedler leitete und ich will nun allen diesen Dingen im Detail nachgehen.

Da haben Sie das ganze Fieber, in dem ich lebe, lieber Herr Hesse und ich bitte Sie, für heut mit diesem fragwürdigen Angebinde vorlieb zu nehmen. Demnächst, wenn sich die Studien und Recherchen ein wenig beruhigt haben, will ich Ihnen stillere Grüße schicken.

Wir warten auf einige Nachrichten, deren Ausbleiben nervös macht. Es ist ein rechtes Abenteuer, daß wir so ohne weiteres hierherfuhren. Gebe Gott, es möge gut ausgehen.

Annemarie brachte ich heut früh zum Examen für die Scuola libera der Academia di belle Arti. Es sind vierzig bis fünfzig Schüler, die sich bewerben. Man hat in fünf Sitzungen einen Akt zu zeichnen, eine Knochenstudie in einer Sitzung und ein anatomisches Präparat. Wollen mal sehen, was da wird.

Emmy ihrerseits ist unermüdlich in diesem schwierigen Haushalt ohne Luft und Licht. Sie ist sehr bleich und überlastet. Sie klagt über Schwäche, muß viel liegen und oft fürchte ich, daß auch eine andere Wohnung nicht viel ändern wird. Es ist gräßlich mit anzusehen, wie ihr schönes und großes Talent unter diesen niedersten häuslichen Verrichtungen leidet. Uns sind die Hände gebunden. Nun, ich wollte nicht klagen, lieber Herr Hesse, ich wollte Ihnen nur einen raschen Gruß senden. Leben Sie wohl, lieber Freund, und grüßen Sie bitte Ihre liebe Schwester, wenn Sie nach Deutschland hinüberfahren. Viele herzliche Grüße Ihr Hugo Ball.

An Hermann Hesse

Rom, Piazza Pollarola, den 10. Januar 25

Lieber Herr Hesse,

wir hatten Ferien, das heißt, Annemarie hatte Ferien, bis heut, und das brachte eine besondere Komplikation unserer Wohnungseinrichtung mit sich. Da wir nämlich nur einen Petrolofen haben für die beiden Schauplätze unserer Bedrängnis, so war das Leben über die Feiertage sozusagen von Steigerungen begleitet, die nun, so hoffe ich, in ein ruhigeres Tempo übergehen.

Den Weihnachtsabend verbrachten wir ganz allein. Auf dem Tisch brannte das Lämpchen aus der Katakombe und Annemarie hatte ein großes Bild gemalt mit fünf Engeln … Wir wanderten nach Santa Maria Maggiore. Dort war alles Licht und buntes Leben. Unter einem großen Sonnenhimmel wurde die Jesukrippe in feierlicher Prozession durch die Basilika getragen, während die Priester noch Beichte hörten und allerlei buntes Volk, Christen, Juden und Heiden, sogar mit Kinderluftballons rings im Kirchenschiff zu Hause war. In der Santa Prassede, wo die Spottsäule Christi steht und eine kleine Mosaikkapelle in tausend Brillanten glänzt, in dieser kleinen benachbarten frühchristlichen Kirche kommunizierten wir.

Die Feiertage waren sehr schön. Auch in der Neujahrsnacht waren wir allein. Es herrscht hier ein merkwürdiger Brauch: nämlich um zwölf Uhr wirft jedermann aus dem Fenster, was er an altem Gerümpel, zerbrochenen Stühlen, Scherben und Flaschen in Winkeln und Ecken auftreiben kann. Also daran beteiligten wir uns auch. Einige zerbrochene Teller warfen wir zum Fenster hinaus. Ich lag dann noch lange wach und hörte, wie in der Frühe ein Mann kam und alle die klirrenden Scherben zusammenfegte.

Es ist hier in Rom eigentlich immerfort Fest- und Feiertag. Und wenn die Kirche einmal ausruht, dann setzt der Faschismus mit Illumination und Flaggen wieder ein.

Gestern nachmittag waren wir in Santa Pietro in Vincoli. Dort steht der Moses von Michelangelo, ein wahrhaftig lebendiger Riese. Gesetzgeber und Wächter zugleich. Man fürchtet, er könne aufstehen, um im Gericht nach dem Rechten zu sehen. Etwas elementar Faunisches mischt sich in seine Augen, in seine Haltung.

Und dann sahen wir noch Santa Croce in Gerusalemme. Das ist die Basilika der heiligen Helena, die im vierten Jahrhundert das Kreuz auffand. Die Dominikaner führen einen in die Krypta, die über Erde von Golgatha und vom Ölberg erbaut ist. In ihrem Reliquienschrein haben sie einen Finger des heiligen Thomas, die Kreuzinschrift: zwei Dornen von der Blutkrone und einen Nagel. Die Spitze dieses Nagels wurde in früheren Jahren abgefeilt und die Späne wurden zu neuen Nägeln verwandt. Da wurde es ein imaginärer, aus Nägeln bestehender Leib Christi.

… ich bin sehr in die Therapeutik versenkt und wundere mich nur, wie rasch die Zeit verfliegt …

Seien Sie herzlich bedankt für den funkelnden roten Tropfen, mit dem wir Sie erhoben haben. Herzlichst Ihr Hugo Ball.

An Josef Englert

Rom, Piazza Pollarola 19, den 25. Januar 25

Lieber Herr Englert,

Ihr Brief brachte uns viel Freude, besonders die Nachricht, daß es Klein-Jacquie, dem Kinde, gut geht und daß Sie sich alle drei glücklich und wohl befinden. Wir denken oft an Sie, wenn wir unseren Nachmittagsspaziergang in eine der vielen prächtigen Kirchen unternehmen. Morgens bin ich jetzt täglich im Studio bei Professor De Sanctis, exzerpiere und diskutiere mit dem liebenswürdigen Assistenten, Doktor Banissoni, einem Triestiner, der ganz gut Deutsch spricht und auch manchmal verdolmetscht, was der Professor mir zu sagen hat.

Nachmittags aber besuchen wir die verschiedenen Kirchen, je nach dem verlockenden Avviso, den man da und dort an der Kirchentür findet. So waren wir neulich in Santa Andrea delle Frate, wo Ratisbonne konvertierte. Ich fand dort auch eine Gedenktafel für den Franzosen Veuillot und hinter einem Bretterverschlag die Gebeine der Angelica Kaufmann, sie hat den jungen Herrn Goethe zum deutschen Dichter bekehrt. Heute früh wohnten wir für einige Stunden in der Kirche Santa Nicola in Carcere Tulliano. Dort wurde das Bild der Madonna von Guadalupe mit einem goldenen Krönchen geschmückt und über den Hauptaltar erhoben. Der päpstliche Cancellarius verlas die Urkunde und die mexikanischen Jesuiten riefen: »Evviva la Madonna!« »Evviva la Regina di Meccico!« Wir sind bei solcher Gelegenheit immer dabei und Emmy notiert alles getreu für ein späteres Büchlein, damit auch die andern ihre Freude haben.

Santa Clemente kenne ich gut, lieber Herr Englert. Damals war ein lieber Freund, Herr Professor Neuß aus Bonn gerade hier und hat für den verstorbenen Klemens Bäumker eine Messe draußen gelesen. Da stiegen wir auch hinunter in den Mithrastempel. Man hat übrigens ganz draußen, an der Porta Maggiore neuerdings einen Apollotempel gefunden, aus derselben Zeit. Den werden Sie wohl noch nicht gesehen haben. Die feinsten Stuckornamente in einer unzweifelhaft heidnischen unterirdischen Basilika. So gut erhalten, daß es wie eine Nachahmung wirkt. Wenn Sie einmal kommen, will ich Sie dort hinführen.

Auch uns ist die Chiesa di Gesu sehr lieb. Dort haben wir, ohne es zu wissen, gerade gebeichtet, als der Papst die Heilige Pforte sprengte. Zur selben Stunde. Und wir hatten uns so fest vorgenommen, bei dieser Eröffnung dabei zu sein. Wir glaubten, das sei abends um zehn Uhr, es war aber vormittags um zehn Uhr. Und so standen wir denn auf dem großen, schwarzen Sankt-Petersplatz und warteten vergebens, bis das »Volk« sich einstellen würde. Es tat uns leid um die große Peterskirche, daß in der Weih-Mitternacht dort gar keine Messe stattfand.

Nach San Sabina kommen wir schon auch noch. Dann grüßen wir von Ihnen. Und nach der Königin Tua will ich mich umschauen und es nicht vergessen, damit Sie ein Lieblingsbild, das Sie sich wünschen, bekommen.

Wir haben den Markt von Campo di Fiori gerade vor der Tür. Da ziehen auch die Bilder- und Bücherverkäufer jeden Mittwoch auf. Vor unseren Fenstern in der Seitengasse beginnt der Lärm und das Feilschen schon in der Morgendämmerung.

Leben Sie wohl, lieber Herr Englert und seien Sie mit Ihrer lieben Frau Spirkel und klein Schaggi recht herzlich gegrüßt von uns Dreien. Ihr Hugo Ball.

Nachschrift: Haben Sie von Hesse inzwischen gehört?

An Hermann Hesse

Rom, Piazza Pollarola, den 9. Februar 25

Lieber Herr Hesse,

wir freuten uns sehr, von Ihnen zu hören. Es ist sehr möglich, daß wir uns in nicht allzu langer Zeit wiedersehen.

… Wir müssen uns entschließen, am ersten März Rom zu verlassen. Wir schwanken nur, ob wir in den Tessin zurück sollen oder hier in Italien irgendwo aufs Land. So steht jetzt unsere Sache und ich kann Ihnen für heute gar nicht anderes sagen. Unsere Wohnung werden wir für den ersten März zu vergeben suchen und bis dahin, das heißt eigentlich nur noch für eine Woche, da wir ja auch packen müssen, bleibt uns Zeit, uns über das Reiseziel schlüssig zu werden.

Es ist schlimm genug, weil ich mitten in den Arbeiten bin und außerdem aus den Rezensionen ersehe, daß mir eine schwere Zeit bevorsteht.

Auch für Emmy ist es schade, den Aufenthalt hier abbrechen zu müssen. Sie hatte vor, ein ganzes Jahrbuch von Rom zu schreiben und hat bereits in ihren Diarien eine Fülle von Material gesammelt. Schön wird es aber sein, Sie wiederzusehen. Oder was meinen Sie: sollen wir nach Sizilien gehen?

Lieber Herr Hesse, den Jean Paul haben wir bekommen und freuen uns jeden Abend an ihm. Sie sind und bleiben der Wiederentdecker dieses Dichtervaters, schon deshalb weil Sie allgemach der Einzige sind, der noch weiß, was bei Jean Paul das Wort Freund und Freundschaft bedeutet. Wir grüßen Sie herzlich Ihr H. B.

An Hofmann

Rom, Piazza Pollarola, den 14. Februar 25

Lieber Gusti, Dein Brief freute mich sehr und die Musik noch mehr. Es soll kein Reim sein. Du kannst Dir's aber doch zusammenreimen. Leider habe ich schon längst kein Klavier mehr, so daß ich die Töne gar nicht recht vernehmen kann … Weißt, es scheint so zu sein: je »berühmter« (mon Dieu!) man wird, desto weniger kann man sich ein Klavier leisten. Na, einmal trifft sich's vielleicht doch, daß ich hören kann, wie farbig es in Dir aussieht. Es ist schon spaßig, erst muß ich Dich zehn Jahre lang bitten, mir doch mal ein paar eigene Noten zu schicken, und dann soll es weitere zehn Jahre dauern, bis ich mir sie vorspielen kann.

Daß sich Deine Mutter über meinen Erfolg freute: das ist bis jetzt der schönste Erfolg, den ich gehabt habe. Bitte, sag es ihr ausdrücklich, ja? … Hör zu, Gusti, gegenwärtig ist's wieder vorbei mit der Berühmtheit. Meine »Reformations-Folgen« sind mit Hagelschlag niedergegangen, und die früher sich zum hohen C verstiegen, die greifen jetzt grausliche Dissonanzen. Es fehlt mir an »Verantwortungsgefühl« und ich bin auf das Niveau der übelsten »Streitschriftenliteratur« herabgestiegen und vorher war ich doch »so vornehm« gewesen … Mit Emmy besuchte ich viele Kirchen, viele, viele Kirchen. Eine ist wunderbarer wie die andere. Am liebsten habe ich diese beiden: Sankta Prassede – und Aracoeli. Die erste ist uralt mit einer wunderbar in Blau und Gold leuchtenden Mosaikkapelle und Aracoeli: Das ist die Exorzistenkirche mit dem erschreckend visionären Bilde des Antonius von Padua.

Man steigt zu Aracoeli eine große Treppe von hundertzwanzig Stufen hinauf, am Kapitol. Und droben wohnen die Minoriten. Ich weiß, wenn wir auch jetzt von Rom fortgehen, wir werden wiederkehren …

Eine Bitte hätte ich, Lieber: willst Du mir den Gefallen tun? Ich möchte gerne eine katholische Apologetik lesen, wie sie in den Gymnasien im Brauch ist. Und dazu einen Studienplan fürs Gymnasium. Möchtest Du mir diese beiden Dinge wohl, wenn es Dir nicht zu viel Mühe macht, schicken? Ich möchte wissen, ob sich in republikanischen Zeiten im Schulprogramm viel geändert hat. Hast Du irgend jemandem meine »Folgen« geliehen? Und wie ist es Dir damit ergangen? Im Grunde bin ich ganz derselbe geblieben. Kannst Du das sehen? Ich bin sehr für Selbstausschließung. Das wollte ich im Byzanzbuch mit der Asketik und in den Folgen mit der Verneinung und Ablehnung der »Kultur« in aller Bestimmtheit und Zuverlässigkeit ausgedrückt haben. Leb wohl, lieber Gusti, ich soll Dir auch einen schönen Gruß von Emmy sagen. Sie geht gerade vorbei, da ich schreibe und quält mich auf ihre kindliche Weise, daß ich ihr etwas aus dem neuen Buch über Gemma Galgani, eine stigmatisierte Passionistin aus Lucca, vorlese und übersetze. Wir grüßen Dich alle Drei … Auf Wiedersehen Dein Hugo.

Lieber Gusti, ich wußte nicht recht, ob wir von Rom wegkommen würden. Nun kann ich Dir gleich unsere neue Adresse geben: Vietri Marina, bei Salerno. Das ist ein kleines Fischerdorf mitten im Paradies … Amalfi ist ganz nahe und nach Pompeji fährt eine Straßenbahn. Wir wollen hier mehrere Monate bleiben und in der Einsamkeit neue Bücher schreiben …

An Hermann Hesse

Albori, den 22. Mai 25

Lieber Herr Hesse,

die Kinder sind mit neuen Tellern und Vasen, die sie gemalt haben, nach Vietri zum Ofen gegangen. Da bin ich allein und will Ihnen einen schönen Gruß schicken.

Wir haben uns das Haus hier oben recht erobern müssen. Es war mit napoletanischem Erdenstaub reichlich angefüllt. Es war aber eine Liebe auf den ersten Blick. Nun leuchten unsere drei großen Fensterbögen blau und rot in die Gegend hinaus und das Meer möchte noch blauer sein als unsere große Glasveranda, aber das ist gar nicht möglich.

Wir haben einen Spaziergang nach Cava hinauf gemacht. Das ist das Benediktinerkloster mit dem schönen großäugigen Erzengel Michael in der Heiligengrotte. Wir kamen gerade zur Marienvesper … Im Winter habe ich viel gearbeitet im Laboratorium und auch ein wenig praktisch analysiert. Emmy tat mir den Gefallen wieder ganz gesund zu werden. Sie sprüht vor Arbeitsfreude und Energie. Sie sehen es ja an ihren Briefen, wie froh sie ist. Wenn sie schreibt, lieber Herr Hesse, soll es immer sein, wie wenn ich mitgeschrieben hätte. Emmy schreibt »sämtliche Werke,« da kann keiner mitkommen.

Ich für meine Person plage mich nun intern mit der Ausbalancierung meines neuen Buches. Das merke ich, wenn ich mir morgens meine Träume erzähle. Heute nacht sah ich einen seltsamen Mann in mittleren Jahren, halb Ziegenhirte, halb Dudelsackbläser, der einem imaginären Publikum eine eigenartige Musik präsentierte. Er trat nämlich in die Gesellschaft, in der sich schon allerlei Leute produziert hatten. Er zog seine Mütze vom Kopf und brachte durch ein merkwürdiges Auswiegen und Äquilibrieren dieser Mütze die wunderlichsten Töne hervor. Erst lachte man, dann begann man aufzuhorchen und schließlich schwollen diese Töne an zu einem unheimlich schönen Gesang. Der Mann aber lächelte. Vielleicht war es nur seine Verlegenheit, daß er die Mütze drehte. Vielleicht auch war er ein Zauberer. Man muß sich in acht nehmen.

Ihre beiden Briefe mit den Bildköpfen haben viel Freude gebracht, lieber Herr Hesse. Annemarie wird Sie überraschen und Emmy vielleicht auch, aber ich will nicht aus der Schule plaudern. Wir haben jetzt ein Atelier. Hat Ihnen Emmy das schon erzählt? Und einen Garten haben wir wieder. Mit hellgrünen Artischocken, Antoniuslilien und Zitronen. Nur das Gemüse ist ein wenig zag vertreten, weil wir ein wenig spät dazu kamen.

Und Brunnen haben wir viele, eine ganze künstliche Bewässerung, die, wenn man sie in Tätigkeit versetzt, ein Volksfest im Familienkreise entstehen läßt. Wir können binnen fünf Minuten eine regelrechte Überschwemmung arrangieren und sehen also den Gluten des Sommers gefaßt entgegen. Schön wäre es, wenn Sie kommen würden. Bis Genua ist doch nicht schlimm. Und von dort geht ein Dampfer direkt nach Neapel. Vielleicht, wenn Sie einmal kommen, werden wir einen Tschutschu haben, das ist ein neapolitanischer Dialektesel. Dann würden wir Sie mit dem Tschutschu abholen. Annemarie hat schon das Fest, das sich dann abspielen wird (auf den Dächern) gemalt. Den Wein dazu holen wir aus Getara, das ist das bunteste Sarazenendorf, gleich drunten am Meer um die Ecke. Dort sind auch die Zitronenhecken mit den Nachtigallen und die kleine Trattoria … Ich muß es doch recht verführerisch machen, damit Sie kommen. Grüßen Sie, bitte, Englert, wenn er noch da ist. Die Malerkolonie, von der er las, wird wohl Positano sein, sechs Fußstunden von hier, die Küste entlang gegen Sorrent. Dort soll's aber schon etwas berlinisch durchwirkt sein. Es geht die Sage, daß man am Strand die Lorelei singt und etwas höher hinauf »Wer hat dich, du schöner Wald«. Da liegt unser Berg, der Monte Valeri, davor. Und es ist gut so. Herzliche Grüße, lieber Herr Hesse, von Ihrem Ball.

(Nach der Aufnahme der »Reformationsfolgen«)

Dieses war wohl nicht vorher zu ahnen,
Daß Du eines Tags mit Trauerfahnen,
Die Du selbst bestickt hast,
Würdest ausgeprüglet,
Eh Dein Leichnam, den Du früh zerstückt hast,
Endlich würde wieder eingehüglet.

Dieses war wohl nicht vorher zu denken,
Daß Du solchen Chorus würdest lenken,
Daß Du Dich so hämisch zu beklagen,
Anlaß würdest haben schon in Jubeltagen.

Angenommen, daß Du dieses wußtest,
Eh den Mutterleib Du lassen mußtest –
Sage selbst: wärst Du nicht dort geblieben,
Wo Du mit erhobenem Finger lächelnd saßest
In der Weisheit, die Du träumend lasest?

An Hermann Hesse

Albori, den 16. Juli 25

Lieber Herr Hesse,

nach einem rechten Fieberschaukelbad, so zwischen 39 und 40 Grad, geht es mir heute wieder besser und ich möchte Ihnen sogleich sagen, wie sehr froh und glücklich ich bin, Sie uns nah und Freund zu wissen. Gestern abend traf Ihr Telegramm ein und heute Ihre liebe Karte …

Es ist eine rechte Kalamität. Kaum konnte ich wieder ein wenig auf sein, da bekam Annemarie hohes Fieber und seit gestern hat es auch Emmy gepackt, so daß wir abwechselnd alle drei liegen und uns die Stufen hinauf zur Küche schleppen. Es scheint nach den Augenschmerzen zu urteilen eine Art Influenza zu sein, verbunden mit einem Erschöpfungszustand, denn beim stillen Liegen geht das Fieber sogleich zurück. Auch die Trockenheit trägt wohl dazu bei, seit Anfang Mai hatten wir nur einen einzigen Regentag, die Gärten liegen gelb und versandet.

Lieber, verehrter Freund, Sie haben uns so treu bedacht mit drei schönen Aquarellen. Ich habe den Palmbaum für mich bekommen, der weht über den Träumen als eine sanfte grüne Standarte. Sonst gibt es hier in meiner Stube wenig Farben. Die Wände sind weißer Kalk und ein schwarzes Holzkreuz aus nüchternen Latten, dürftig zusammengenagelt hängt uns gegenüber.

Man kann es, wie es ist, einmal zum letzten Gang verwenden … Vor einigen Tagen erhielt ich auch die beiden schönen Aperçus, die südliche Fremdenstadt, die, wenn ich ein Urteil habe, von Ihrer besten Prosa ist, sowie den nachdenklichen Angelus Silesius, von dem ich bislang wenig wußte. Bei letzterem brauchen wir uns nur in die Augen zu sehen, lieber Herr Hesse, und verstehen einander. Die »Fremdenstadt«, die jener andern, zerfallenden, von der Natur aufgegessenen Stadt so lebendig vorausgeht (wenn sie auch später gedruckt ist) diese Fremdenstadt hat mich sehr über Ihre letzten, so qualvollen Briefe getröstet. Wer so zu schreiben vermag, überlegen und fremd, der wird schon fertig mit den Diablerien, die ihn umsitzen, der ist gefeit. Das stimmte mich froh … Besonders danke ich Ihnen, lieber Herr Hesse, daß Sie so lieb uns Ihre weitere Hilfe anbieten. Ich wünsche, es möchte nicht nötig sein, Ihre Güte weiter in Anspruch zu nehmen. Es besorgt mich im Gegenteil, wie ich Ihnen jene Summe bald wieder zustellen kann, denn ich weiß ja, Sie haben Sorgen um Ihre eigene Familie … Seien Sie herzlich gegrüßt, auch von Emmy und Annemarie. Am zwanzigsten hat unsere Dorfheilige Geburtstag. Da wollen wir sie um Ihre Gesundheit bitten. Ich hoffe so sehr, es möge Ihnen besser gehen. Ihr Hugo Ball.

An Hermann Hesse

Lieber Herr Hesse,

vielen herzlichen Dank für das Bücherpaket, das etwa gleichzeitig mit Ihrem Briefe vom 23. Juli eintraf. Es berührte mich sehr, mit welch lieber Sorgfalt Sie darauf bedacht waren, mir die Jungschen Schriften so vollständig zu schicken. [Die Jahrbücher der Psychoanalyse.] Sie haben ganz meine Wünsche erraten, die ich nicht recht zu äußern wagte. Besonders froh bin ich um die beiden frühen Bücher über »okkulte Phänomene« und »unbewußte Prozesse«. Ich möchte einige der interessanteren Fälle in mein Exorzismenbuch einbeziehen. Ihre gütige Sendung erspart mir eine Unsumme von Arbeit. Ich bekomme ja jetzt die ältere Literatur zuverlässig und pünktlich von Einsiedeln und Basel … Neuere Literatur bekomme ich zum Teil durch meinen Verlag, auch durch Kösel. Es ist aber immer eine fragliche Sache, Bücher zu erwerben, die man nicht vorher gesehen hat. Ich bin jetzt wenigstens überzeugt, mit dem Buche, das sich sehr weit verzweigt, zustande zu kommen … Alles darf es geben und alles wollen wir gerne annehmen, nur »sinnlos« dürfen die Dinge nicht werden. Dieses eine nicht. Es scheint mir der letzte Sinn unserer Bemühungen, am Kreuze zu hängen und demütiger Schächer zu sein …

An Josef und Maria Englert

Lieber Herr Englert, liebe Frau Spirkel,

es ist nicht recht, daß wir uns hinter dem Vesuvio verkriechen und nichts von uns hören lassen. Wir waren sehr bestürzt zu vernehmen, daß der Arzt es war, der Sie in den Tessin führen mußte. Das schien uns eine rechte Ironie, wo Sie im Tessin und Engadin doch Ihre sehnsüchtige Heimat haben. Geht es jetzt wieder nach Wunsch?

Als ich Ihnen neulich den Aufsatz schickte, lagen wir alle drei mit Fieber und konnten nur in kleinen Pausen auf sein. Jetzt ist auch das vorüber.

Geblieben ist uns nur eine ununterbrochene, aufreibende Exzerptenarbeit. Man schickt mir Bücher aus Einsiedeln und aus Basel, aber die Leihfristen sind kurz bemessen, ein Teil des Termins geht mit der Reise drauf und so klapperte unsere einzige Schreibmaschine (inzwischen sind's gottlob zweie geworden) Tag und Nacht beinahe ununterbrochen.

Das Napolitanische bekommt uns ganz gut. Es gibt viele bunte Kirchenfeste hier unten an der Apostelküste. Die Fischer tragen den heiligen Petrus ans Meer und die Frauen folgen barfuß, eine Kerze in der Hand und mit offenem Haar. Wir fühlen uns zur Arbeit froh und aufgeräumt und Emmy besonders hat, nach ihrer Italienreise ein »Römisches Tagebuch« folgen lassen.

Der Dritte im Bund ist Annemarie. Sie führt jetzt den Haushalt und malt nebenher Teller, Schalen, Krüge und dergleichen, die sie im nahen Vietri brennen läßt. Es gibt dort eine ganze Keramik-Industrie dieser Dinge im alten Stil.

Sie hat Proben an Hesse, nach Frankfurt und nach Pontresina geschickt. Es kommt ihr gut zustatten, daß sie in Rom tüchtig zeichnen gelernt hat. Es fehlt nur noch am nötigen Vertrieb, doch wird wohl auch das noch kommen.

Also Albori wäre schon recht. Man ist sehr ungestört hier. Wunderbar ist der Blick am Abend und früh am Morgen weit übers tyrrhenische Meer hinaus.

Alles Gute und viele herzliche Grüße von Ihrem H. B.

An Hermann Hesse

Lieber Herr Hesse,

Emmy war in Palermo für acht Tage. Es gab sich gerade eine gute Gelegenheit, und aus Emmys Reise ist auch für uns beide andern, die wir zu Hause blieben, eine kleine Wanderung abgefallen. Wir holten den Reisevogel an der Küste (in Neapel) ab und machten die Tour von Positano nach Albori zurück auf dem Eselskarren unseres Hauswirtes. Die Küstenstraße ist ein einziges Felsenwunder, von Sorrent bis hierher. Es gibt noch richtige Räuber, wie im Märchen und tiefe blaue Buchten, in denen sich die Fischer eingenistet haben. »Conco Marina«, »Piccola Verde« und ähnlich verklingen die Namen im Wasser. Als Signora delle Bandiere ist Emmy zurückgekommen, mit vielen Fähnchen und Kokarden vom Fest der heiligen Rosalia. Da gab's viel zu erzählen.

Dann hab ich eine Woche Zahnschmerzen gehabt von der Tour auf den Rädern, denn die Holperfahrt von Positano nach Albori dauert etwa zehn Stunden, und die Nacht ist immer kühl. Erst seit wenigen Tagen geht's wieder besser.

Sie haben mir eine so unerwartete, große Freude gemacht, lieber Herr Hesse, mit der Besprechung in der »Neuen Rundschau«. Es war mir, als dürfe ich nun erst glauben, daß etwas an meinem Büchlein doch auch Deutsch ist (allzu deutsch vielleicht). Doch Sie, lieber Herr Hesse, sprechen ja aus der Ruhe, nicht aus der Zeit. Also es war eine große Freude, auch für Emmy.

Und dann kam Ihr Brief mit den Geldscheinen, die uns über die Hände fielen. Wir nahmen's so, wie wenn's Schmetterlinge oder Blumen wären, es flattert ja auch so weg. Eine hübsche Geschichte muß ich Ihnen da erzählen. Neulich einmal hat man uns Geld geschickt, ziemlich viel Geld, große Scheine. Denken Sie, die ließ ich in der Rocktasche stecken und Emmy nahm den Anzug, ohne davon zu wissen, steckte ihn ins Wasser, seifte, klopfte und schwenkte her und hin, immer mit den Geldscheinen. Es war nur ein Glück, daß die Scheine noch im Kuvert steckten. Dann kommt sie vom Waschbrunnen zurück und hat die Bescherung auf den Händen liegen. Da haben wir die Scheine sorgfältig zum Trocknen aufgehängt und seltsam genug sah das aus. Das gelbe Kuvert hatte abgefärbt. Aber 's ist doch noch gegangen (das Geld). Unsere drei vereinigten Schutzengel müssen sich um die Sache angenommen haben. Einen dieser Scheine haben Sie bekommen, lieber Herr Hesse. Ist Ihnen nicht aufgefallen, was für ein abenteuerliches Exemplar das war? Wir haben viel gelacht über die Geschichte, wie Emmy das Geld gewaschen hat. Aber ich bin ganz vom Thema abgekommen. Also wir danken Ihnen schön auch für dieses Geld, mit der Versicherung, daß es diesmal nicht gewaschen wurde.

Ich lese in Ihrem »Bilderbuch«. Das macht leicht und froh. Und das Buch scheint mir, paßt gut in unsere Gegend. Man sieht durch blaues Wasser bis auf den Grund, und da unten lebt es seltsam und geheimnisvoll, Fisch, Palme und Seestern. Man weiß nicht, ist es nur Spiegelung oder ist's Wesen. Das hat sich sehr tief hineingeträumt und hinunter … Mögen die liebsten Ihrer Geschöpfe Sie in den Herbst und in den Winter begleiten.

… Die Weintrauben streifen uns über die Schulter, wenn wir in den Garten gehen. Dort oben sitze ich oft studierend auf den Dächern und komme mir vor, wie Johannes von Damaskus, der auch so studierend und in die Bilder verliebt auf den arabischen Dächern saß … Leben Sie wohl, lieber Herr Hesse und seien Sie herzlich gegrüßt von uns dreien. Ihr Ball.

An Hofmann

Rom, den 24. Oktober 25

Lieber Gusti, Dank Dir schön für Deinen letzten Brief. Bin hier in Rom, um für Dezember eine Wohnung zu mieten und die letzte Hand anzulegen an mein neues Buch. So sagt man doch, nicht wahr? Sobald wir wieder hier in Ruhe sind, schreibe ich Dir ausführlich. Erst jetzt habe ich Deine Variationen spielen können.

Du bist ein Lieber … Sei herzlich von uns Dreien gegrüßt. Dein Hugo.

An Emmy und Annemarie in Albori

(Provinz Salerno)

Rom, Mittwoch abend

Mein lieb Emmy und Annemusch,

heut war eigentlich der erste Tag in Rom, an dem ich etwas tun konnte. Erst holte ich mir in der Früh, mein Emmly, Deinen Brief, dann holte ich die Wohnungsofferten ab. Es ist nicht viel eingelaufen. Es wird vielleicht schwer sein, überhaupt etwas zu finden. Ganz draußen, auf der Piazza Caprera hat es ja wenig Sinn zu wohnen, und sonst ist eigentlich nur folgendes gewesen: eine deutsche Dame möchte ihre Möbel gerne vermieten, damit sie sie nicht in ein Magazin stellen muß. Ein römischer Beamter hat eine Wohnung, drei Zimmer mit Küche für 210 Lire, also überraschend billig, in der Nähe von Sankt Peter, in der Via Aurelio, dort wo man zum Janiculo hinaufgeht. Zu der Dame bin ich gleichfalls gegangen, aber sie war aufs Land verreist, in die Campagna, und ich kann erst am Samstag hören, was sie für die Möbel haben will. Ich sprach mit ihrer Schwester Deutsch, es ist die Frau eines Marineoffiziers, halb elegant eingerichtet. Bei dem Beamten war ich soeben. Er war nicht zu Hause. Seine Frau war aber sehr erstaunt, was das für drei Zimmer sein sollten, die ihr Mann vermieten wolle, sie hätten zwei Zimmer und vier Kinder und zwei Dienstboten. Ich möge morgen nochmal kommen, wenn ihr Mann da sei. Der Mann meinte, wir sollten die ganze Wohnung nehmen. Das wär nicht übel, die Lage ist günstig, wenn auch ultimo piano. Vierter Stock, hat gute Aussicht und Luft, das ist auch etwas wert. Freilich mit den vier lebhaften Kindern in einer Behausung. Vielleicht suche ich zu den Möbeln jener Dame ein anderes leeres Appartamento. Vielleicht haben wir Glück.

Rom ist teuer geworden. Man zahlt für einen simplen Espresso (Tasse Kaffee) eine Lira. Das Ei kostet fünfundachtzig Centimes. Das Heilige Jahr ist keineswegs zu Ende. Man sieht auf den Straßen fast ebenso viele Priester wie Laien, ganze Trupps und die eigenartigsten Typen. So begegnete mir vorhin auf dem Petersplatz eine Anzahl serbischer Bäuerinnen in kurzen weißen Röcken und schwarzen Hauben und Rohrstiefeln. Die fielen nicht auf. In den Devotionalienläden ist ein schreckliches Getriebe, wie auf dem Jahrmarkt.

Heut früh war ich auch in der Kirche Sankt Ignatio wegen der Reliquie des heiligen Aloysius. Ich kam gerade recht zu einer Messe bei der Maria Immaculata, die dort eine so wunderbare Nische hat voller Lichter und Kostbarkeiten. Dann schickte man mich nach der Piazza di Gesu, zu Pater Faiela und dieser bat mich, nächsten Montag wiederzukommen, da er der Reliquie wegen nochmals fragen müsse. Ich war schon in Verlegenheit, wie ich mich wohl benehmen müsse, wenn ich die Reliquie nun wirklich bekomme. Am besten wäre es noch gewesen, ich hätte ein eigenes (vielleicht Majolika) Kästchen dafür mitgebracht, oder die Reliquie in ein reines Taschentüchlein geschlagen. Also diese Verlegenheit steht mir jetzt am Montag bevor. Na, ich werde mich gewiß ganz närrisch pedantisch benehmen. Habe ich Dir schon mitgeteilt, daß Wittigs Buch auf dem Index steht? (Joseph Wittig »Leben Jesu in Schlesien, Palästina und anderswo«.) Das war vorauszusehen.

Der deutsche Curatus aus der Anima, Herr Pfarrer Lenffkens gab mir Nummern von »Roma aeterna«. [Eine deutsche Zeitschrift, die während des Heiligen Jahres erschien.] Darin sind auch Verse und Rhythmen oder sehr gehobene Prosa von ihm zur Passion und zur Virgo Mater, die er mir in seiner feinen, bescheidenen Weise übergab und sehr ans Herz legte. Er erzählte mir lange Zeit im Anschluß an meinen Aufsatz über »Konversion«. Als ich von ihm ging, dachte ich, es sei recht unbescheiden von mir gewesen, daß ich ihn allein erzählen ließ und seine Zeit so lange in Anspruch nahm … Ja, die geistige Zufuhr, meine liebe Emmy, damit ist's dürftig. Wenn aber etwas so Auffälliges geschieht, hat es immer und ganz gewiß eine ebenso starke Bedeutung …

Wie kommt nur der Lehrer aus Zweibrücken dazu, mir sein Büchel zu schicken? Diese Art Leute finden einen, auch wenn man im Dschungel, Hausnummer 677 wohnt, dritter Stock b. Nur die Post der Redakteure und der Verleger kommt nicht an.

Dein Traum, Liebling, ist sehr schön und daß Du die Hand des Heiligen Vaters so wundertätig noch beim Erwachen gefühlt hast, das ist ein Zeichen, das mich sehr beruhigt und froh macht. Nach einem Bild Pius des Neunten habe ich mich umgesehn. Ich hoffe, in der Laurentiuskirche dieses Bild zu finden.

Die Fassade von Aracoeli habe ich mir genau angesehn. Eingeprägt. Der Schatten jener schönen Pinie, die dort steht, fällt ganz richtig genau, wie Du geschrieben hast. Am Morgen fällt der Schatten über die ganze Breite der Treppe. Ich bin eigens hingegangen.

Für Annemarie habe ich mich der Keramik wegen umgetan. In den meisten Geschäften sieht man nur so fix und fertige Waren, allerdings in schönen Formen und nicht eigentlich teuer. Ich hätte gerne einen kolorierten Musterbogen gehabt von Annemarie.

Ehe nun die Sache mit der Wohnung klar ist, werdet ihr immer durch Karten von mir im Bilde sein. Nun aber muß ich Schluß machen. Seid herzlich umarmt von Eurem Steffgen, Eurem Euch sehr liebhabenden Steffgen.

Um den Regenschirm soll's Dir nicht leid tun, mein Emmy, daß ich den vergessen hab. Das Wetter ist schön und Gott ist's, der uns schirmt und schützt.

An Hermann Hesse

Vietri sul Mare, den 29. Dezember 25

Lieber Herr Hesse,

vielmals danke ich Ihnen für die, gerade am heiligen Abend eingetroffenen zweihundert Franken. Sie sind so lieb zu uns. Wir hatten einige wahre Frühlingstage, die wir oben auf dem Dach verbrachten. Es ist ein flaches orientalisches Dach, von dem aus man die ganze Gegend übersieht, von Pästum bis Getara und wir könnten bequem über die Dächer zur Kirche gehen … Von der Küche haben wir nur ein paar Schritte hinauf. Wir trinken nach Tisch den Kaffee dort oben und dehnen uns in der Sonne, solange sie da ist.

Weihnachten ist ganz still vorübergegangen. Zur Mette in der Vietrikirche fanden wir alles Volk versammelt. Hoch überm Altar hatten die Priester eine Krippe aufgestellt und eine große, weiße Leinwand davor ausgespannt. Die sank dann plötzlich vor den hellen Lichtersternen nieder. Und dann fand eine sehr niedliche Prozession durch die Kirche statt. Einer der Priester stieg endlich hinauf, hob das neugeborene Christkind aus dem Strohbett und trug es wiegend wie eine Amme in Begleitung eines Dudelsackbläsers und des Allerheiligsten unterm Traghimmel durch die Kirche. Durch den ganzen Kirchenraum aber waren von der Empore aus Seile gespannt, an denen ein mit elf Lichtern bestecktes Kreuz, der Bethlehemstern, hin und her gezogen wurde und auf diese Weise über dem Bambino und seiner Amme schwebend, es vom Altar und zurück zum Altar begleitete. Solchen Apparatus kann man wohl nur noch hier unten im Napolitanischen sehen.

Oft zückt es mich noch weiter nach Süden, nach Sizilien zu kommen. Ich habe immer die Idee, dort unten müsse es noch mehr donquichottisch und byzantinisch zugehen, und ich täusche mich kaum. Sizilien und Spanien, dort möchte ich gern beheimatet sein. Aber gestern, als ich mit den Kindern nach Salerno spazierte – wir machen diesen kurzen und sehr schönen Spaziergang jetzt öfters, da sagte ich zu Emmy: »Ich weiß nicht, ich habe ein schlechtes Gewissen, sowie als Junge, wenn ich zu lange ausgestreunt war, wir müssen schauen, daß wir nach Hause, in die Schweiz kommen.«

… Eine freundliche Überraschung waren mir einige Nummern eines in Wien erscheinenden Kulturblattes »Die schönere Zukunft«, worin die Doktoren Rost und Debus meine »Folgen« erörterten. Ja, und das hätte ich fast vergessen: Pater Beda Ludwig, der Benediktiner, hat ein prächtiges Buch über die Lucceserin Gemma Galgani geschrieben. Pater Beda hat sich um unser letztes, unser Gebetsleben angenommen und gehört seit Weihnacht zu unserer kleinen Familie (oder vielmehr wir gehören zu seiner großen Familie, denn er hat achtzigtausend Menschen Beichte gehört). Es ist ein wundersames Gefühl, lieber Freund, einen Beter für sich gewonnen zu haben und einen solchen, der Führer der Stigmatisierten ist.

Gemmas Bild stand auch unter unserem Weihnachtszweig und ein kleines Lichtlein brannte unter diesem Bilde noch, als wir die andern Lichter verlöschen sahen.

Emmy schenkte mir auf meine Bitte ihre ungedruckten Verse, ein hübsches, dünnes Heft, auf das sie eine kindliche Madonna mit einem noch kindlicheren Kindlein gemalt hatte und von Annemarie bekam ich einen Erzengel [Michael, der Schutzherr Deutschlands]. Jener Erzengel ist's, der mit Blitzen über den Drachen hinweggeht. Sehr, sehr schön.

Wir sagten Annemarie gestern, es wäre schön, wenn ein Maler nur ganz wenige Bilder und diese immer wieder malt, damit sich der Typus aller Welt einprägt. Da schaut sie mit großen Augen. Wir grüßen Sie sehr herzlich, lieber Herr Hesse und bitten Sie, auch ihren lieben Freunden einen schönen Gruß zu sagen. Wir erinnern uns noch sehr wohl des Ostertages in Agnuzzo.

Stoßen wir an auf unsere Schönheit, sagt Dorian Gray.

Stoßen wir zweimal auf unsere Schönheit und schweigend zuletzt auf Denjenigen an, der sie uns gibt als das tägliche Brot. In herzlicher Verehrung und Liebe immer der Ihre. Hugo B.

An Hermann Hesse

Vietri, den 24. Januar 26

Lieber Herr Hesse,

wir haben uns so sehr gefreut mit den »Geschichten aus dem Mittelalter« und ich danke Ihnen vielmals für das schöne Buch, wie für die freundliche Erwähnung meiner »Folgen«. In den »Geschichten« habe ich fleißig gelesen. Zu meinen liebsten Stücken gehört die Geschichte von dem Laienbruder, in dessen Gliedern der Gekreuzigte noch heutigen Tages leidet und aus den »Gesta Romanum« die Legende vom heiligen Alexius. Ich bewundere Ihre Auswahl, die überall auf jene Einfalt bedacht ist, in der das Wort und der klärliche Sinn der Menschen zum Zauber werden …

… Wir sind ganz in die Arbeit versunken, sitzen immer noch in Mänteln und grau von Asche. Einmal ist Emmy in Positano gewesen und hat Gilbert Clavel in seinem Turmkastell aufgesucht. Sein Sarazenenturm scheint wirklich die Burg eines Klintekongen zu sein. Er kämpft mit dem Meer um die Felsen, sprengt, bohrt, stützt, befiehlt und hat eine ganze Arbeiterkolonie im Turm eingenistet. Seien Sie herzlichst gegrüßt, lieber Freund von uns Dreien, Ihr Hugo Ball.

Emmy an Hermann Hesse

Lieber Herr Hesse,

wie mag es Ihnen gehen? Ihre Mutter Gottes mit dem Kinde hängt über unserem Tisch in der Küche. Da denken wir an Sie und fragen einander beim Essen, wie es Ihnen wohl gehen mag. Und auf der Karte, für die wir Ihnen herzlich Dank sagen, steht, daß es Ihnen nicht gut geht. Das aber kann man jetzt nicht mehr lesen, weil das Bild fest angemacht ist. Da meine ich, es kann sein, daß es Ihnen besser geht.

Unsere Küche sieht eigentlich aus, wie es in Wildwest, im Blockhaus aussieht, was ich freilich nur vom Kino her kenne.

Die Küche ist in der Mitte durch eine rohe Bretterwand geteilt und daran hängen bunte Krüge, ja, und dann eben das Madonnenbildchen. Wir haben auch noch den heiligen Joseph. Der hing schon in der Ecke, als wir einzogen. Da ich nun doch schon einmal bei den Heiligen bin: der heilige Antonius aus der Wüste, sein Tag ist mein Tag. Geburtstag hab ich am Antoniustag. Da ist es so nett gewesen in Salerno. An diesem Tag werden die Pferde geweiht, denn die Pferde sind Christen ohne Worte. Das hat mir ein Droschkenkutscher gesagt. Und wenn die Pferde geweiht sind, laufen sie viel schneller und lieber. Das ist mir am Sonntag aufgefallen.

Ich habe auch einen kleinen Vogel zum Geburtstag bekommen. Dem hab ich zuerst vorgesungen. Jetzt singt er, wenn ich Maschine schreibe. Wir haben noch einen kleinen Vogel zur Probe bekommen und den haben wir auch gleich gern gehabt. Wir wollen ihn behalten. Der erste Vogel hat sich gefreut, als der andere kam und jetzt stehen wir mit Vorliebe vor dem Gitter und zwitschern mit unseren Schützlingen. Abends werden sie zugedeckt. Ich habe Deckchen gemacht mit bunten Kreisen behäkelt. Die sollten für die Stühle sein, aber wir haben die Stühle nicht mehr, weil der Hauswirt bald heiratet und die Stühle braucht. Wir haben aber ein paar Stühle bekommen, die keine Schondecken brauchen.

Ruth hat mir zu Weihnachten eine braune Decke geschenkt, die uns viel Freude macht. Einen Sweater hat sie mir auch geschenkt, den ziehe ich nimmer gerne aus. Ich trag ihn so gern, als wär's kein Stück von mir. Weil's von Ruth ist, ich möchte, daß sie bald gesund wird. Ja.

… Wie geht es wohl Ihren Kindern, lieber Herr Hesse. Ich grüße sie. Muß Bruno noch Soldat spielen? Eine phantastische Beschäftigung, aber die Menschen haben halt solche Ideen. Hier singen die Faschisten gar viel »Giovinezza«, so daß man es ihnen bald nicht mehr glauben kann. Sie tragen ihre Fahnen zum Auslüften ans Meer. Manchmal kommt auch das Jesukind aus der Kirche und wird vom Pfarrer spazieren getragen, sogar bei Sturmwetter. Wir haben drei Priester hier in Vietri, die sind alt, lieb und sehr arm, wirtschaften miteinander. Der eine hilft dem andern jedesmal, wenn einer vom Kniefall sich nicht mehr erheben kann. Das aber ist die Jugend, wie es in der Messe heißt: »Zu Gott, der meine Jugend froh macht.« Ihr Heiligenbuch macht uns viel Freude. [Geschichten aus dem Mittelalter.] Vergelts Gott. Er wird das gern tun, lieber Herr Hesse, Ihre Emmy.

An Hermann Hesse

Vietri, den 15. März 26

Lieber Herr Hesse,

es geht uns nicht gut. Wir sind erschöpft von Sorgen und Arbeit. Das Beste wäre, man nähme uns die Schreibmaschinen weg und brächte uns für einige Wochen in ein Sanatorium. Emmy ganz besonders. Sie hustet seit Wochen, hat Nachtschweiß und schwere Magenstörungen. Mir selber geht es noch leidlich. Nur, daß meine Zähne das Aufeinanderbeißen nicht mehr vertragen.

Emmys neues Buch »Die heilige Stadt« [erhielt später den Titel: »Der Gang zur Liebe«] ist von Kösel & Pustet angenommen, aber wir wissen noch nicht, ob die Rate weitergeht, denn über das Erscheinen der Romreise ist noch nichts bestimmt und das Honorar ist abgelaufen.

In diesen Tagen ist auch mein Buch fertig geworden, ein Tagebuch von etwa fünfzehn Bogen, vielleicht wird der Verlag Duncker & Humblot es bringen, ich weiß noch nicht. [»Die Flucht aus der Zeit.«] Dieses Buch wird die Quelle zeigen, das nationale Motiv, woraus meine Ansichten kommen. Was aber hilft alles Bemühen?

Wir wissen schon, lieber Herr Hesse, daß der Satan uns am liebsten den Hals umdrehen möchte. Er brummt und tappt in unseren Zimmern und im Gebälk herum. Dann wieder ist in der Nacht eine sonderbare Musik zu hören, von der wir glauben, daß Pater B… sie schickt.

Möge es Ihnen gut gehen, lieber Freund, wenigstens Ihnen, damit wir nicht alle zugleich gequält werden, sondern einer dem andern ein Trostwort zu schreiben vermag … Wir dürfen uns nicht wundern, es wundert sich um uns … Gestern ist unser kleiner Hänfling gestorben, er hat so lustig gesungen. Am Morgen lag er tot in seinem Käfig.

Seien Sie herzlich gegrüßt, lieber Herr Hesse, Ihr Hugo Ball.

An Emmy in Rom

(Um Ostern)

Vietri am Mittwoch

Mein lieb Emmylein, Deine beiden Briefe mit den schönen Karten habe ich heut früh bekommen, grad, als ich mich auf den Weg nach Salerno machte. Da habe ich mich am Meer auf einen Baumstamm hingesetzt und Deine Briefe gelesen. Die strömen über und es paßt gut zusammen, das Meer und Deine Briefe … In Cava würden wir nicht deutsch beichten können, hat es geheißen. Ich traf gestern den Pater, der alle vierzehn Tage von Sankt Trinita kommt, um den Nonnen von Vietri die Beichte abzunehmen, der sagte es mir. Nun war ich heute früh in der Kathedrale und sprach mit dem Pönitentiar, an den man mich verwies. Dieser geistliche Herr meinte, ich spräche doch sehr gut Italienisch. Warum ich nicht auf Italienisch beichten wolle? Also gehen wir nun morgen, Donnerstag früh nach Salerno zur Beichte und Kommunion. Ich werde dabei auch innig an Dich denken, mein Emmy.

Mir ist angst und bang, wie es Dir im großen Rom gehen wird, mein Emmy. Verlier nur 's Ühri nicht und 's Geldlein auch nicht. Halt Dich nur recht zusammen, mein Liebling. Deine Stiefeli hast Du hier vergessen. Tuts was? Kaum, kaum …

Du bist ja so lieb, Du bist die Liebe, ganz sicher. Über dem Stephanusgrab hast Du eine Messe lesen lassen für meine Mutter? Das werden Dir die Engel danken, mein Emmy, Süßes … Nimm mich in Deine Arme … ich weiß, daß es Deine Gebete sind und sein werden. Dein Hugo.

Emmy an Hugo in Vietri sul Mare

Rom am Dienstag

Liebster Hugo, bald weiß ich nimmer, ob es Dienstag oder Pfingsten ist, Weihnachten oder Mittwoch und es geht ja auch in einem. Kommt ja immer wieder und ist nichts Neues. Nur, daß ich »in Heiligen« reisen muß, da hoffe ich, daß es das erste und letztemal gewesen ist. Ob ich aber morgen bereits werde zurückkehren können, bezweifle ich. Ich sitze mit meinen Heiligen im Koffer in Sankt Peter und außerdem stellt der Koffer noch Schreibtisch vor. Möge die fromme Gesellschaft doch helfen, daß ich sie los werde. [Emmy hatte Keramikplatten, auf denen Heilige gemalt waren, nach Rom genommen, um sie zu verkaufen oder auszustellen.]

Wenn nur der Koffer nicht so schwer sein wollte. Die elektrische Bahn ist so vornehm geworden, daß sie mich nicht mit dem Koffer aufnehmen will, obwohl ich Heilige bei mir habe, was ich dem Schaffner auch gesagt habe. Nützt nichts. Der heilige Petrus, den Ihr mir mitgegeben habt, ja, da muß ich sagen: Giotto hat ihn doch besser gemalt und man muß schon sehr viel Mitleid mit mir haben, wenn mir einer diesen Petrus abnimmt. Sag ihm nur, N. meine ich, daß er nicht so schiefe Nasen malen soll und Annemie soll den Kreuzbalken ein bißchen breiter machen, das ist ja das reinste Kistenholz, was sie da präsentiert. Das ist doch kein Kreuz. Das Kreuz, das einen Menschen trägt, muß groß, stark, muß gewaltig sein. Es ist das doch nicht nur ein Zeichen. Gewiß auch ein Zeichen, aber man muß doch an die Realität der Symbole glauben können. Es ist überhaupt verwunderlich, daß so viele Künstler sich an Kreuzigungen heranwagen und man sieht ihren Produkten von weitem an, daß sie keine Ahnung von Gekreuzigtsein haben. Und auf der Insel Patmos, wo der Evangelist Johannes seine Offenbarungen schrieb, gab es keinen Friseur, daß er jetzt so gar geschneckelt und gelockt gezeigt werden darf. Ich sage dieses für Annemarie selbstverständlich, lieber Hugo und für N…, der unter jeden Teller »Anno Santo« schreibt. Es handelt sich nicht um Odolgläser, bei denen es angebracht ist, wenn man Odol aufs Glas schreibt, aber wer das Anno Santo vergessen kann, dem ist auch nicht geholfen, wenn er's schwarz auf weiß hat. Ich sag's jetzt, damit nicht fortwährend weiter »Anno Santo« geschrieben wird. Also stellt's ab.

Da ich mir in Rom die Läden ansehe, bin ich hin über die vielfach widerwärtige Süßlichkeit der sogenannten »heiligen Kunst«. Ausgerechnet in Sankt Peter muß ich das niederschreiben. Die Heiligen dürften sich die schlechten Darstellungen nicht gefallen lassen, meine ich, und sollten einmal aufräumen mit dem verlogenen Kitsch. Wir aber dürfen nicht dazu beitragen, den Kitsch zu vermehren. Nur nicht, nur das nicht.

Schärf's der Annemie nur recht ein.

In der Ausstellung der »Roma aeterna« ist man nicht abgeneigt, die Platten in Kommission zu nehmen, aber die Arbeiten müssen tadellos sein. Die Aussicht ist gut, aber man muß sich richten nach dem, was ich oben gesagt habe.

Mit einigen Platten, die ich in Papier gewickelt trug, bin ich beim Regenwetter ausgeglitten. Wenn Scherben Glück bringen, mir nebenbei auch eine mächtige Brausche am Knie, so daß ich kaum gehen kann. Mit der ganzen Kreuzigung bin ich gefallen, das »Venite Adoremus« ist heil geblieben. Die Glocken von San Silvestro läuteten so gut.

Wißt, ich komme morgen mit dem Nachtzug, aber holt mich um Allerheiligen willen an der Bahn ab, damit ich den schweren Koffer nicht durch die Nacht allein tragen muß, sonst etabliere ich mich in der blauen Blumenlaube neben dem Wartesaal. Oh, Kinder, ich möcht mich im Kinderwagen fahren lassen, so weh tun mir die Füße. Nun, wir sind ja in der Fastenzeit.

Ich schreibe unter dem Gemurmel des »Miserere nobis«. Das ist auch meine Meinung, die ich nicht aussprechen brauche.

Wir werden erhört sein, auch wenn sich die Bitte still in uns bewegt: Dominus vobiscum und auch ich will mit Euch sein, die Emmy.

Ich depeschiere noch, wann ich komme. So ungerne möchte ich den Koffer, gefüllt, wieder mit zurücknehmen. Vielleicht stelle ich mich an die Engelsbrücke und verkaufe ein Stück nach dem andern. Wenn ich meine Ware verschenke, werdet Ihr wohl kaum mit mir zufrieden sein. Ich setze mich, meine ich, in die Engelsburg und schreibe einen Aufsatz über den Maler Cellini, oder über Beatrice Cenci und hab ich die Reise auch wieder verdient und schreib vielleicht noch einen kleinen Sonntagsbraten heraus, das wäre fein. Jetzt muß ich aber das schöne Lokal verlassen, sonst wird man glauben, ich schreibe hier Hymnen an die Kirche oder »sämtliche Werke«. Emmy macht eine Flatterhand. Oh, Fratelli miei …

An Annemarie in Solln

(bei München)

Lugano, den 30. Juni 26

Mein lieb Annemusch,

wir freuten uns sehr mit Deinem Brief. Du machst den kleinen Evangelisten und Freudenverkündiger.

Ich bin hier in Lugano unseres Aufenthaltes wegen. Wir sollen achtzig Franken in Muzzano zahlen und eine Quittung darüber vorlegen, dann bekommen wir die Domizilverlängerung. Ich weiß nicht, wie wir das machen sollen. Mit meinem Buch werde ich vor dem 20. Juli nicht fertig. Und dann bin ich völlig erschöpft. Unseres dortigen Aufenthaltes wegen haben wir hier viel gesprochen. Man bietet mir hundert Franken im Monat an. Auf den Abdruck meines letzten Aufsatzes habe ich dreiviertel Jahre warten müssen. Wir können uns nicht entschließen zu übersiedeln, wenn ich nicht eine, meiner geistigen Stellung entsprechende Position und Einladung habe. Ich kann und will in Deutschland nicht so gedrückt leben, wie ich im Ausland leben kann. Wenn man mein Kommen nicht höher einschätzt als auf hundert Mark im Monat, dann verhungere ich lieber im Ausland als in München …

Ich habe für Deutschland alles geopfert, alles bis auf mein letztes Hemd … Es ist zu viel von mir verlangt, daß ich mich dort gleich wieder als Bettler präsentieren soll … Nun, das alles kann ich sagen, wenn ich komme. Laß Dir das Herzlein nicht schwer werden davon. Wir haben den Plan in die Toscana zu gehen, dort eines der Bauernhäuser zu mieten. Dort fragt niemand danach, wie ich lebe und wie ich angezogen bin und ich brauche keine Zugeständnisse zu machen.

Es scheint mir diesmal viel komplizierter wie früher. Ich weiß nicht, ob man Görres oder Spinoza in ihrem vierzigsten Lebensjahre zugemutet hätte, einen Katalog zu machen, anstatt Bücher zu schreiben. Kann man aber den Zweck und das Geschenk meiner Bücher nicht einsehen, von Mutter gar nicht zu sprechen, dann soll man es frei heraussagen. Wir können mit hundert Mark dort unmöglich leben … und meine Aufsätze werden nur Eifersucht erregen. Dabei weiß ich noch gar nicht, wie man mein neues Buch (Die Flucht aus der Zeit) aufnehmen wird. Kurz und gut: wir gehen lieber in die Toscana.

Da wir in nächster Zeit keine Honorare zu erwarten haben, so werden wir mit meinen Aufsätzen auf ein Wohlwollen angewiesen sein, das wir gewiß dankbar aufnehmen wollen. Es erregt mich nur, daß immer alles bei Versprechungen bleiben soll … Mutter müßte ihre Arbeiten liegen lassen und alle Dienstbotenarbeit verrichten, weil wir es uns anders nicht leisten können. Nein! Ich kann verstehen, daß auch sie sich streubt. Es wird, wenn man in München nicht mehr für uns tun kann, schon etwas anderes kommen. So geht es nicht.

Ich lege Dir, Liebling, den letzten, gestern gekommenen Brief von Pater X. bei, damit Du siehst, wie ihm Dein Besuch lieb ist. Geh nur bald hin. Erzähle ihm unseren Plan und bitte ihn um seine Meinung. Sage ihm, daß unsere Freundin in der Toscana Dich Sorellina nennt. Das wird ihn, glaube ich, freuen. Erzähle dem Pater, was man uns vorschlägt und sage ihm Deine Bedenken dazu. Auch die Bedenken, die nicht in diesem Briefe stehen und die Du ja kennst.

Wie Pater X… entscheidet, soll es geschehen. Also dieses vertraue ich Dir an. Schreibe dann gleich, damit ich ungefähr weiß … und mich vorher mit G… in der Toscana verständigen kann. Es schwebt mir vor, aus dem Gut dort eine große Kolonie für Schriftsteller und Künstler zu machen. Eine Art Laienkloster und Gottesschule, wie im frühen Mittelalter die ersten Klöster waren.

Leb wohl, mein Liebling und sei nicht traurig. Pater X. ist unser Freund und Bruder. Und unser Priester. Er wird entscheiden, wie es für uns gut ist. Sei innigst gegrüßt und umarmt, mein Kindlein von Steffgen.

Viele Grüße vom Mütterli und schreib mir bald wieder.

An Emmy

(Aus München)

… nach Signa bei Florenz können wir noch im Winter, wenn wir unsere Pläne in Berlin erreicht haben. Es ist dann noch Zeit, daß ich mir einen Mantel anschaffe … Meinst Du nicht auch? Für den Tessin geht der Mantel noch. Mantel und Anzug würden zusammen rund 200 Mark kosten. Und ich brauche hier in München doch ziemlich viel Geld. Die Elektrische allein kostet jedesmal zwanzig Pfennige, dann Zigaretten, Porti und auch Ria (unserer Schwägerin) muß ich etwas geben. Ich sehe ja selbst, wie teuer alles ist. Und sie [der Bruder und dessen Frau] haben momentan gar nichts anderes, als was er durch Klavierspielen am Sonntag und sie durch Adressenschreiben verdient. Nach einem Privatzimmer habe ich mich umgesehen. Das Einfachste aber kostet 35 bis 40 Mark und ich müßte es für einen ganzen Monat mieten. So lange will ich nicht bleiben. Es ist mir hier bei Heiner, wo ich mich um die Mahlzeiten nicht zu kümmern brauche, viel praktischer. Sie versichern mir außerdem, daß sie sich viel wohler fühlen, seitdem ich hier bin. Heute half ich Heiner bei der Bewerbung um eine neue Anstellung. Ich glaube fast, daß er diese neue Stellung – wieder bei einer Bank – bekommen wird. Er war schon siebzehn Jahre Bankbeamter. Seine Pianisten-Träume habe ich ihm endgültig ausgeredet. Wo früher der Flügel stand, da steht jetzt ein Grammophon. Das ist freilich ein wenig traurig. Bekommt er aber die neue Stellung, so kann er sich wenigstens wieder ein Instrument leisten … Addio, mein Liebling. Was hast Du wohl alles für Eisen im Feuer? Grüß Hesse vielmals und auch die andern. Dein Hugo.

Nachschrift: Bitte doch Hesse um den psychoanalytischen Almanach mit seinem Aufsatz über »Psychoanalyse und Künstler«. Ich möchte diesen Aufsatz nennen. Du mußt mir das Buch aber gleich schicken.

Da Stoffmangel an Aufsätzen ist, verabredete ich mit Professor M., daß ich sofort einen Aufsatz für zwei »Hochlandsnummern« schreibe. Soll die Gnosis, Dämonologie und dergleichen behandeln. Über den zehnten und elften Band der Papstgeschichte von Baron Pastor soll ich auch berichten für das Dezemberheft.

Wegen dem Anzug hatten wir heute große Debatten. Heiner und Ria waren schon damit beschäftigt, wollten mich in die Stadt zum Schneider führen, aber ich habe mich dann doch nicht entschließen können. Es eilt nicht, da ich doch nicht nach Berlin fahre. Der Auftrag fürs Hochland ist wichtig. Das Material ist zu Hause in Agnuzzo. Mit meinem »byzantinischen Christentum« bin ich wohl für manche Verlage ausgeschieden und auch für die alten früheren Freunde … Könnten wir doch erreichen, daß Elisabeth Bergner aus Deinem »Grauen Haus« etwas vorliest. Zu dem Zweck müßte ich sie besuchen. Ja und der Anzug? Nein, nein.

Arbeiten kann ich hier in München kaum. Es ist hier im Hause allerlei »Trumbull«. In Berlin wird's nicht anders sein. Und die Reise kostet 150 Mark alles in allem. Hier in München möchte ich nur so lange bleiben, bis ich das Gefühl und die Überzeugung habe, mit den Verlagen ist alles besorgt und aufgehoben. Ich glaube fast, mein Liebling, dieser Winter wird eine Wendung in unserem Schicksal bringen.

Annemusch aber kommt zum Maler Albert Müller, nach Obino. Müller hat den echten Verfolgungswahn eines Künstlers, wie ihn van Gogh auch hatte. Diese ansteckende Intensität ist viel wert. Müllers Wesen wird sehr gut sein für A. Sie wird eine gewisse Enge verlieren und frei in Farbe und Form werden. Daß Müller immer im Suchen ist, das ist gut. Du kannst schon Vertrauen haben, Liebling. Ich verstehe doch ein wenig von Menschen und von der Kunst. Wir wollen es also dabei bewenden lassen, daß sie zu Müller kommt.

An Hugo geschickt

(Für den Maler Albert Müller)

Bin ich der Durst in zarten Farben
Mein Schicksal blühend tief versunken?
Steh ich allein in Sonnengarben
Neigt sich ein Zweig, so leise trunken …

Jubelt der Wald in meinen Augen?
Klagt eine Lust in meinem Haar,
Will rote Blume mir am Herzen saugen?
Wie glüht das Leben wunderbar …

Ach, wem gehören wohl die Hände?
Sie schimmern dankbar wie das Licht,
So fremd und freund durch alle Wände,
Fällt Lächeln in mein Angesicht.

Ich bin der Strom in allen Dingen
Und meine Seligkeit erwacht.
Der grüne Weg will klingen, singen …
Bin Sommertag und Liebesnacht …

An Emmy

Mein lieb Emmy,

jetzt bin ich auch mit den Strichen zum zweiten Teil fertig geworden und habe nur noch einige Direktiven für die Verlagspropaganda aufzusetzen. Dann ist das Buch besorgt und aufgehoben. In den nächsten Tagen wird das der Fall sein.

Einstweilen dank ich Dir schön für Deine beiden letzten Briefe und für das wunderschöne Gedicht. »Der Grüne Weg will klingen, singen …« Ja, das will er wohl, mein lieber süßer Singvogel. Es ist ja Sommer, dort bei Dir, und immer bei Dir. Hast Du meinen Bleistiftbrief, viele, viele Seiten bekommen, und die Fränklis? Wenn Du noch brauchst, schreib mir nur, ohne Verlegenheit. Und wie wärs denn: könntest Du wohl Zigaretten brauchen, gute, billige Zigaretten? Wir haben da im Haus bei Heiner einen Verwandten, der beim Zollamt ist und der die schönsten Zigarettenmarken für ein Pfennig das Stück zum Verschleiß bekommt. Soll ich mir nicht einige hundert geben lassen? Ich könnte Dir doch so von Zeit zu Zeit kleine Postkollis davon schicken. Was meinst Du?

In den letzten Tagen nahm mich das Buch wieder sehr in Anspruch; bei der Korrektur werde ich nicht viel mehr ändern können. Durch die Striche hat aber das Ganze nur gewonnen. Nun will ich in den nächsten Tagen Korrespondenz erledigen und einige kleinere Sachen schreiben … ich bin ein wenig erschöpft, dergestalt, daß ich eine Abneigung gegen Bücher habe und weiß noch gar nicht, ob ich etwas Rechtes werde schreiben können. Nun, muß mal sehn.

Für den Brief aus der Toscana, den Du mir geschickt, noch vielen Dank. Ja, sie schreiben, sie wollen mich dort aufnehmen wie ihren Babbo und ich möge doch ein Trostwort an den armen Giovanni schreiben, der habe es so schwer. Sie wollen das Haus nicht verkaufen, sie haben so viel dafür gearbeitet (und Schulden). Sie setzen ihre letzte Hoffnung auf mich, sie wüßten nicht, an wen sie sich noch wenden können, also ich solle doch kommen. Es geschehe alles, wie ich es wolle. Was hältst Du von dem Brief? …

Emmy an Hugo

Liebster, ich habe Deine Briefe bekommen, auch den langen bleistiftgeschriebenen Brief. Ich wollte nur, daß andere Menschen nur den zehnten Teil so gut wären zu Dir, wie Du zu mir. Ich glaube, dann wärest Du weniger erschöpft. Es hat mir so leid getan, daß man Dir einen Anzug hat anmessen wollen und es dann unterläßt. Gut, soll man aber nicht davon sprechen. Ich versteh genug, aber ich will nicht verstehn und mache mir gerne einen grünen Weg vor, den es nur in mir gibt. Du ja, Liebling. Wäre es denn nicht möglich, daß man ein Stück aus Deinem Buch vorabdruckt? Ist denn das so ganz und gar ausgeschlossen? Du ruinierst Dich ja, Hugo und ich soll das ruhig mit ansehen. Wenn man Deine Aufsätze schätzt und will, wird man wohl auch in einem so reichhaltigen, vielseitigen Buch etwas finden, damit Du Dir nicht die Augen aus dem Kopf herausdenken mußt. Es ist doch leicht einzusehen, daß Du nach einer solchen Riesenarbeit nicht ein, zwei, drei über Gnostik schreiben kannst. Ich wundere mich nicht, daß Du keinen Appetit auf Bücher hast zur Zeit. Diese ewige Exzerptenarbeit werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Bedenke doch diese unsägliche Vorarbeit, die Du schon für kommende Dinge gemacht hast. Du darfst das Deinem Kopf nicht zumuten, Hugo. Jetzt sagst Du: Ja, ich mach's, und wenn Du zu Hause bist, kommst Du um vor Nervosität und das alles wäre gar nicht nötig. Dabei siehst Du es ja selbst ein. Du weißt ja, wie recht ich habe. Laß Dir's nicht leid tun, mein Hugo, daß Du den Anzug nicht bekommen hast, man hätte Dir das Geld dafür geben können, ich glaube, das wäre passender gewesen, aber nimm es nicht! Es wird auch »ohne« gehn, Hugo. Jesus ließ sich sämtliche Kleider ausziehen und mußte nackt am Kreuze hängen, aber ich glaube, wenn er manche unserer modernen Katholiken sehen würde, da würde er sagen: »Ich habe keine Lust, diese zu erlösen« und er würde vom Kreuz heruntersteigen. Verzeih, daß ich so spreche, aber meine Empörung, die ich nicht immer unterdrücken kann, hat einen tiefen Grund und diese »Frommen«, die der Meinung sind, daß sie Gott allein gepachtet, die sind's, die einmal die großen Hasser hervorbringen werden. Ohne zu wollen. Wenn man nicht ein anderes wüßte, diese würden mich nicht zum Christentum verführen. Ach, Worte, Worte. Du sagst, Du willst keine Zugeständnisse machen, aber Du tust es ja doch, Hugo. Und aus Not? Ich tu es auch, vielleicht noch mehr wie Du, ich weiß. Der Humor geht mir aus, ist mir fortgeflogen, daher ich nicht für fliegende lustige Blätter schreiben kann.

Giovanni in der Toscana braucht Deinen Trost. Wie gut Du dort verstanden wirst. Es ist auffallend, daß man in der Toscana so sehr nach uns verlangt. Aber weißt Du was, lieber Hugo, dort haben sie noch ein Haus, das sie nicht verkaufen wollen, aber wir haben das nicht und womit kannst Du denen helfen? Nur mit Trostworten wird ihnen wenig gedient sein. Man erwartet Deine Arbeit und vielleicht ist man der Meinung, Du bist imstande, Geldmittel zu beschaffen und das bist Du nicht. Wir werden es uns überlegen.

Ich freue mich, daß Du mit Deinem Buch zustande kommst, mein Liebling und daß wenigstens nicht dieses so schwer gewesen ist und es wird jawohl weiter gehen. Es ist ja noch immer weiter gegangen und schließlich muß man auch bedenken, daß das Leben nicht so sehr lang ist …

Grüße Annemarie und Heiner und Ria recht herzlich und besonders Pater X. Er möchte versuchen, ein wenig Geduld für mich zu erbitten, alles hinzunehmen. Da braucht's nämlich schon eine Hilfe … Sei vielmals gegrüßt, mein Liebling. Laß Dir's ein bißchen gut gehn, mein Steffgen und nimm Dir's nicht so hitzig, es geht ja alles vorüber. Und wir werden schon durchkommen, immer Deine Emmy.

Emmy an Hugo

Darüber nachgedacht habe ich, was Zugeständnisse sind. Im Grunde wollen uns die Menschen nicht. Weil sie spüren, daß wir etwas hinter uns erlebt haben, das ihnen nicht sympathisch ist. Die Menschen wollen nichts von uns. Das ist zu viel gesagt. Sie wollen etwas von uns und wollen uns nicht ganz. Das ist es, was verletzt und quält. Es gibt aber nichts, was so fruchtbar ist als einen Menschen aufzunehmen mit allen Vorzügen, allen Nachteilen. Mir ist oft, als wäre das Wertvolle an Dir noch nie angenommen, begriffen worden, als habe man eine Scheu davor. Die Welt ist bequem. Sie will nichts, was irgendwie Schwierigkeiten macht, nur nicht teilnehmen, nur nicht arbeiten, nur nicht sich durchdenken. Das aber ist die große Lieblosigkeit, die kaum zu verzeihen ist.

Du selbst sagst immerwährend, man will uns unterdrücken, man will uns nicht »hochkommen« lassen, aber Du bist verliebt in Deine »Unterdrücker« gleichwohl und das ist schlimm. Um Katholik zu sein, dürfen wir die Katholiken nicht brauchen, das ist es. Nichts Ungerechtes möchte ich sagen. Ich sage nur, wie ich es aufgenommen habe, wie man uns begegnet ist.

Schreibe einmal die Folgen dieses »Katholizismus«, die vielleicht ebenso gefährlich, noch gefährlicher sind, als die Folgen der Reformation. »Ich verrate die Dunkelmänner, die unter dem Schein von Religion, Treue, Glauben usw. den Menschen erwürgen.«

Das wird mir nie aus dem Gedächtnis kommen, wie sehr Du mir das vorgepredigt hast, als Du die Kritik schriebst. In allen Tonarten hast Du mir das gesagt, bis es in mich eindrang und ich Dir geglaubt habe. Verrate einmal weiter. Hätten wir nur ein paar ausgesprochene Judasse, dann hätten wir ausgesprochene Christen. Mir ist heut, als hätten wir gar nichts …

Du hast mir wie taub einen Brief geschrieben und Du weißt nicht, was Du geschrieben und vielleicht weiß auch ich nicht tief genug, was ich hier schreibe, aber ich kann nicht anders. Komm bald wieder. Ich habe Anfälle von Erregung, die ich nie zu nennen wagen werde, wie das ist.

Wenn Du zu Deinem Anfang zurückkehren könntest, zur Glut Deines Anfangs, aber man hat Dich müde, mürbe gemacht und das ist etwas, das ich kaum mehr mit ansehen kann. Ich will nicht unnötig aufstacheln, lieber Hugo, unnötig nicht, aber sieh doch ein, was ich sage, bedenke es wenigstens einmal und ziehe die Konsequenz aus dem, was Du erkannt hast. Komm bald zu mir und Du weißt, wie ich es mit Dir meine, Deine Emmy.

Noch einmal muß ich darauf zurückkommen, Hugo, wie fürchterlich es mich aufregt, daß man Dir zumuten mag, einen neuen Aufsatz wegen »Stoffmangel« zu liefern, wo Du eigentlich in ein Sanatorium gehörtest und man Dir von weitem ansieht, wie herunter Du bist. Nichts würde ich sagen, wenn man Dir nicht mitgeteilt hätte, daß man in Deiner Flucht aus der Zeit nur Belangloses gefunden. Bei einem Buch, an dem Du zehn Jahre gearbeitet hast. Da wagt man Dir mitzuteilen »Ich habe in Ihrem Buch nur Belangloses gefunden, allein ich kann mich irren.« Der Mann hat sich geirrt, aber ich kann nicht vergessen, daß das erste war, was Du von außen über Deine »Flucht« hörtest. Ich wiederhole Dir, was ich Dir schon einmal gesagt: »Jeder Soldat wird Dich im Tornister tragen, wie man es Nietzsche in der Kriegszeit gemacht und der selbst seine Bücher drucken mußte.« Ich bitte Gott täglich, daß er mich nicht verrückt werden läßt. Ich weiß besser, wer Du bist als die gescheitesten Menschen es jemals wissen können und wenn jeder von ihnen drei Köpfe zur Verfügung hat. Ich sehe anders, wie andere Menschen und wie ich Dich sehe, kann Dich niemand sehen. Ich lebe ja mit Dir und weil ich zu genau weiß, wie es mit Dir kommen wird und daß Du einmal großen Erfolg haben wirst, regt es mich über alle Begriffe auf, daß man Dich derart zu hetzen wagt. Du weißt, ich habe ein gutes Gedächtnis und erinnere mich, wie Du Dich in Albori einmal erregt hast, daß man Dir so gar wenig beisteht. Gut, man soll Dich an den Galgen hängen, aber soll Dich nicht wieder vom Galgen herunternehmen, wenn man Dich braucht. Wer die Verzweiflung in unser Leben brachte, das weißt Du ja. Wüßte nur ein Mensch, was es mir bedeutet diese Ungerechtigkeit gegen Dich anzusehen und daß Du diese so gar leicht vergißt! Ich kann ja auch vergessen, Hugo, dann aber besinne ich mich wieder. Die Sonne scheint über Enttäuschte und über Beleidigte, gleich milde. Ich weiß, ich weiß. Ach, Hugo, wenn es ginge, daß wir in die Toscana könnten, es würde mich freuen. Dein Lieblingstraum soll auch der meine sein. Ach, es lag ja einzigartig schön, das Haus. Erinnerst Du Dich an das seltsame Votivbild, unter dem wir mit Giovanni standen, als es noch so stark regnete? Warum blieben wir eigentlich stehen? Ja, so, es regnete, es war ein unsäglich schmerzlich-strenges Madonnenbild. Den toten Sohn im Arm. Daß sie nicht empört war, Hugo. Gewiß, sie wußte wofür … wofür ihr Kind sterben mußte. Wofür? Für solche Menschen! Ging es denn gar nicht anders? Dabei sagen wir immer noch »unter Deinen Schutz und Schirm fliehen wir, heilige Gottesgebärerin …« Während ihr Sohn unentwegt geopfert wird.

Es schimmerte das Herz, das sie getötet,
Und das sie nun mit Blütenzweigen loben
Um schwarzer Tyrus Kreuze glomm das Feuer
Der Liebe und der wehen Abenteuer …

Etwas in mir wird traurig bleiben bis an mein Lebensende. Daran wird wohl nichts mehr zu ändern sein …

Möge es Dir gut gehn, mein Hugo, während Du »die letzte Hand« an Deine »Flucht« legst. Kleiner Henoch, dem man keinen Anzug schenken wollte … Es muß sich helfen, mein Hugo. Du bekommst schon einmal einen Anzug. Nur Geduld, die Kunst zu hoffen … Aber wir können ja auch verzichten. Der Verzicht ist ja auch eine Errungenschaft. Freilich, wenn man bedenkt, daß man nur aus Höflichkeit für die Mitwelt einen Anzug trägt …

Hast Du kalt, Hugo? Sag. Komm bald wieder. Es ist hier Sommer.

Für Hugo

Wie Kinder sind wir hilflos, die nicht wissen,
Ob sie im Diesseits oder Jenseits gehen
Vor hohen Fenstern sieht man scheu uns stehen
Man scherzt mit uns – doch schweigen wir beflissen.
Denn: wenn wir gingen – würde man uns missen?
Und so beschleicht uns nur auf leisen Zehen
Das Heimweh mit dem Sommer zu verwehen
Und zu zerrinnen in den Dämmernissen.
Oh, man war wohl besorgt – man war bemüht
Mit manchen Schätzen uns vertraut zu machen.
Um unsere hellen Lippen aber zieht
Ein ängstlich Fremdsein – unsere überwachen,
Erstaunten Augen sind der Nähe müd.
Auf weiter Fläche grüßen sie den Nachen …

An Hermann Hesse

(während der Arbeit an der Hesse-Biographie)

Sorengo, im Herbst 1926

Lieber Bruder Wolf,

mir ist es kurios gegangen, als ich von Zürich zurückkam. Mit den seltsamsten Träumen wachte ich auf. Schade, daß ich sie Dir nicht erzählen kann. Du würdest sehr lachen.

Einmal, als Du ganz wütend warst, setzte ich mich zu Tisch, schlug das Kreuz und sagte mit meiner ganzen Bauern-Feierlichkeit: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Ich wußte, daß Du dagegen nichts einwenden kannst.

… Hier war in diesen Tagen ein scheußlicher Föhn. Die Ziegel flogen fort und wir saßen, vom Dach her rhythmisch betropft, unter Wasser. Heute ist's nun wieder ganz still …

Gute Reise und herzliche Grüße für Herrn und Frau Leuthold. Mit einem Mozart-Trio bin ich weggefahren, hold bedacht. Das war sehr schön. Immer Dein Ball.

An Hermann Hesse

Sorengo, den 16. Dezember 26

Lieber Freund,

eine triste Nachricht: heute früh wurde Albert Mueller in Obino begraben. [Bekannter Schweizer Maler, Freund von uns und Lehrer von Annemarie, starb mit siebenundzwanzig Jahren, seine noch jüngere Frau folgte ihm wenige Wochen später. Mueller wurde zuerst bekannt durch seine herrlichen großen Glasfenster an der Basler Universität. Einige Landschaften von ihm hängen im Kunsthause zu Basel, nahe dem Christus von Holbein.]

Seit vier Wochen lag Mueller krank. Annemariens Typhus war schon konstatiert, als man mir von Obino telefonierte, Signore Mueller könne nicht mehr kommen. [Zur psychiatrischen Behandlung.] Er habe febbre scarlattina, sagte man (Scharlach). Ich telefonierte und schrieb sofort, er möchte sein Blut untersuchen lassen, aber es war schon zu spät. Jetzt erst nach meinem Brief hin, drei Wochen später nach der Erkrankung, als schon Lungen- und Nierenentzündung hinzugekommen waren, fand man den Typhus, der offenbar primär war. Es ist sehr traurig.

Nur durch einen Zufall scheine ich selbst der Ansteckung entgangen zu sein. Ich hatte ja keine Ahnung, pflegte und besorgte Annemarie in unseren Dachstuben, bis sie vierzig Grad Fieber hatte. [Annemarie war im Hause Mueller gewesen, hatte sich die Krankheit dort geholt und kam, während meiner Abwesenheit nach Sorengo zurück.] Es geht ihr inzwischen, wenn man ihrem Zustand trauen darf, langsam besser. Die Ärzte blieben hartnäckig bei Gehirnhauttyphus. Es ist eine Epidemie in Mendrisio bei Obino; auch eines der Kinder, die kleine Judith, hat den Typhus.

Als ich beim Bakteriologen in Lugano war, meldete man am Telefon sieben neue Fälle.

Ungeachtet all der Aufregungen schrieb ich in diesen Tagen Deiner Schwester und sagte ihr, ich sähe schon, ich müsse sie ganz und gar zur Mitarbeiterin gewinnen … [Es handelte sich um Angaben für die Biographie.] Vor acht Tagen las ich gerade »Roßhalde« und war erschüttert von der Darstellung des kleinen Pierre. [Roßhalde, Roman von Hermann Hesse. Der kleine Pierre ist ein schwer erkranktes Kind, um das die Eltern Sorge tragen.]

Und ich las die »Märchen« wieder. Wie schön und gut ist es, daß ich Dich Freund nennen darf …

Emmy ist in die Stadt gegangen (Besorgungen machen), sie läßt Dich auch innig grüßen. Stets Dein Ball.

Wußtest Du, daß in der Chopin-Biographie ein Adolph Friedrich Hesse eine Rolle spielt? Chopin lernte ihn, der später als Orgelspieler berühmt wurde, 1830 in Breslau kennen.

Könnte es ein Verwandter von Dir sein?

An Hermann Hesse

Lieber Freund,

… hast Du Emmys kleine Huldigung in der »Frankfurter« bekommen? Sie schreibt so schön betrunken von den Grottoabenden mit Mondschein in den Tassen … Und dann erhielt ich heute früh auch Deinen Brief mit dem Geburtstagsgeschenk. Laß Dich in Treue dafür umarmen. Dein Brieflein rührt mich so sehr. Ach, lieber Freund, was ist das doch für ein Plunder mit den Menschen. Was gehn sie uns schließlich an! Wir sollten gleich dem edlen Ritter von der Mancha nie vergessen, daß es einzig wichtig ist, Kontenance zu bewahren und auf lächerlicher Mähre aufrecht, sehr gerade, Brust heraus zu sitzen, immer die Nase zehn Ellen hoch über dem Gestank. Das wird noch lange nicht Dein Todestag sein. Und außerdem ist bei uns Katholischen der Todestag immer der Geburtstag. Als guter Haruspex und Zeichendeuter kann ich Dir übrigens versichern, daß das Ende der Tage und der Musiken noch lange nicht gekommen ist. Bedenke Deine Großväter, mein Sohn.

Die sind fast hundert Jahre alt geworden. Wenn es Dir ähnlich geht, bist Du jetzt ein Jüngling in den besten Jahren … Für das Geld, das Du so lieb geschickt hast, werde ich Emmy eine Freude machen. Ich kann ihr einen kleinen Schreibtisch und ein paar Stühle dafür kaufen, denn die M. will ihre Stühle wieder zurück haben … Ich kann sogar elektrisch Licht jetzt legen lassen. Dann wirst Du unser doppelter Scheinwerfer und Lichtbringer.

Der Turm in Agnuzzo wird, wie die Kinder, Emmy und Annemie versichern, entzückend, reizend, großartig. Sie schleppen Farbe und Tünche herbei und schuften und malen den ganzen Tag. Am Abend, wenn sie von Agnuzzo heim nach Sorengo kommen, haben sie die Haare weiß gesprenkelt von der Tünche, sind anzusehen, wie die Handwerksgesellen. Es gibt sogar eine Kantine beim Turm, die können wir als Grotta domestica einrichten.

Wir freuen uns sehr auf Dein Kommen. Viele herzliche Grüße Dein Hugo.

Aus dem Söhneken ist jetzt ein »Sönneken« geworden. Emmy sägt, hämmert, schabt und bohrt, es ist ein wahres Vergnügen.

An Hermann Hesse

Sorengo, den 16. Februar 27

Dolce Maestro,

ich gratuliere zur Steppenwolf-Lösung und freue mich, daß das Buch schon sobald da sein wird. Kein Mensch wird natürlich bemerken, daß das unter anderem auch der Wolf ist, der die vielen Stepps hat tanzen müssen …

Meine kleine Arbeit über Dich; es steht damit so: sechs Kapitel sind geschrieben, das siebente ist morgen fertig, zwei bleiben noch. In wenigen Tagen wird das Ganze beisammen sein …

Unangenehm ist mir, daß ich den Termin (Ende Februar) um etwa zehn Tage überschreiten muß, aber Du weißt ja am besten, was für scheußliche Monate diese letzten gewesen sind.

Ich wußte, daß es nicht einfach sein würde, sich in Deinen Klingsor-Garten hineinzubegeben und mit einer Art Topographie für Nachfolger herauszukommen … Und da war dann Annemariens Typhus und all die andern Dinge, die damit zusammenhingen.

Mein Versuch war, Deine Lebenslinie zu lesen und das Geschriebene darauf zu beziehen. Ich glaube, es ist mir gelungen, denn ich verneige mich tief vor Deiner Art und Herkunft.

Du bist eine sehr unheimliche Kreuz- und Querspinne, caro Maestro, die ihre Fäden tief zu verschlingen und zu verknüpfen weiß und Du bist außer dem Wolf auch ein feines Fuchsgetier, das seine unterirdischen Gänge hat und nicht leicht auszugraben ist.

Die »Contes Drolatiques«, die man im Hause Leuthold gefunden hat, sind leider nicht von mir. Die hat gewiß der böse Feind dort abgegeben, um mich zu hänseln. Leb wohl!

Den Bimbos geht es gut. Dein H. B.

An Hermann Hesse

Frühling 1927

Lieber Freund,

nun sind wir also wieder in Agnuzzo, und ich habe schon den Acker umgegraben und Beete angelegt. Wir haben einen hübschen Grasplatz unter alten Kastanien bekommen und ein Stück vom Bach, der dort hinten von Capellini herunterkommt. Es stehen da viele Maiglöckchen und es gibt wilde Trauer- und Aurorafalter und braune Farren. Da können wir dann residieren.

Das Häuschen, das wir ergattert haben, ist nicht, was ich eigentlich haben wollte, aber nun, es wird schon gehen. Es hat den Vorteil, daß Du mir von Viglio aus ins Zimmer rufen kannst, wenn wir baden gehen wollen.

Der Turm ist ein wenig eng und ich bleibe überall hängen oder stoße mit Armen und Beinen an, aber es läßt sich ja lernen: daß man ohne anzustoßen durchkommt … Auf baldiges Wiedersehen! Die Pfirsiche blühen und die kleinen Vögel singen.

Sei herzlich gegrüßt von Deinem Ball.

Hugo's kleines Sterbgedicht

Das weiße Linnen leuchtet so rein,
Vielleicht, es könnte das deine sein.
Wer weiß, es mag dich schon morgen decken.
Die Lippe flieht, die Zähne blecken.
Der Schopf liegt still, so unerreicht.
Eine liebliche Hand darüber streicht,
Ein blondes Haar darüber fällt,
Eine liebe Stimme weint und gellt.
Sie tragen dich schwankend aus dem Haus,
Sie bringen dir einen Blumenstrauß.
Sie heften dir ein Kreuzlein an,
Damit man dich erkennen kann.
Dann bist du allein und sinnst wohl nach,
Ob es die Nacht war oder der Tag,
Ob du erst kommen willst, oder gehst,
Ob du im Diesseits, im Jenseits stehst.
Aber ein Linnentuch warst du doch wert,
Man hat es nicht zurück begehrt.
Du darfst es behalten, man will es dir schenken
Zu einem freundlichen Angedenken.

An Emmy

Agnuzzo, am Himmelfahrtstag 27

Mein lieb Emmy,

ob Du jetzt wohl in Waldsassen sein wirst? Ich muß viel an Dich denken. Und hast Du wohl meinen Brief (gelbes Kuvert mit Prospekt) in München noch erhalten? Mir ging es inzwischen nicht so ganz gut. Wir, Annemarie und ich, waren gestern abend auf einem Spaziergang bei Saagers – ach, er hat so nett über uns geschrieben –. Ich habe nun dort zwar nichts gegessen, aber der lange Weg zurück machte mir Herzschmerzen und ich aß, als wir zurückkamen, noch ein wenig »Bircher Müsli«. Die Folge war, daß ich die ganze Nacht kein Auge zutat … Heute habe ich in der Frühe eine Tasse Milch getrunken, sonst nichts gegessen. Das tut mir gut. Ich habe dann keine Beschwerden, wenn ich nichts esse. Und will ich die strengen Fasten weiter halten, das heißt nur Milch trinken, ein Keks und ab und zu ein Ei nehmen. Ich glaube, dann geht's vorüber. Das Fasten strengt mich nicht an, nur das Nichtschlafen ist lästig. Mach Dir aber keine Sorgen, mein Emmy. Es ist sicher nichts Ernstliches. Wird es in den nächsten Tagen nicht gut, dann frage ich mal den Arzt.

Also ja, Saager hat sehr nett geschrieben. Ich lege Dir die »Basler National-Zeitung« bei. Saager hat wenigstens die beiden Bücher auf sich wirken lassen. Das kann man nicht immer von Rezensenten sagen. Ich sah letzthin eine Besprechung meiner »Flucht«, da war ich als Nietzsche-Epigone vorgestellt, obgleich ich durch das ganze Buch hindurch eine konträre Welt aufzustellen suchte …

Was Du von München mitteilst … Die Leute empfinden selbst ihre Unsicherheit und dies in einer Zeit wie der unseren … Reise Du in Frieden, mein Emmy, und kümmere Dich nicht … Reise Du in Gottes Namen, wohin es Dich treibt und weht. Und wenn Du Geld brauchst, dann schreibe oder depeschiere mir. Du bist für den Himmel unterwegs. Je mehr Du ausgibst, desto mehr wirst Du einnehmen. Mich hast Du schon ganz eingenommen. Der Schlußerfolg wird doch auf Deiner Seite sein, und darauf allein kommt es an.

Ich freue mich sehr auf Deinen nächsten Brief und auf jeden Brief, der von Dir kommt … Von der Frankfurter Zeitung kam beiliegender Brief für Dich. Annemariens David ist jetzt bald fertig. [Annemarie hatte den Auftrag, die »Geschichte Davids in Fresco zu malen«.] Sie hat ein sehr schönes Stück dazu gezeichnet, einen Trubel von Musik und Menschen um die Bundeslade. Es wird tänzerlich geschritten und gestaunet mit Zimbel, Harfen und Hörnern … Und unten im letzten Feld machen David und Jonathan das dreimal geliebte »O Fratelli miei« Oh, fratelli miei … [Oh, meine Geschwister.] Das will auch ich sagen, mein Emmy. Ich umarme Dich, wie wir es oft im Messespielen taten und ich hab Dich innig lieb, mein kleiner Tobias. Stets Dein Hugo.

Agnuzzo, den 31. Mai 27

Mein lieb Emmy,

ich danke Dir vielmals für die schönen Briefe, auch für die nach Himmelfahrt, für die beiden, die gestern früh ankamen.

Gestern war wieder ein lebhafter Tag. Hesse war da und Frau Doktor L. Da kam ich nicht recht in Ruhe zum Schreiben und für abends hatte ich mir vorgenommen, zu Doktor Maag zu gehen. Er hat Literatur, die in das Thema meines nächsten Buches einschlägt. Ärzte als Freunde sind mir gegenwärtig willkommen.

Meine Magengeschichte, um das noch gleich zu sagen, hängt wohl mit den Zähnen zusammen. Doktor Mueller gab mir sein vielgepriesenes Zauber- und Hexenmittel und Doktor Maag die erbetenen Anweisungen für eine rationelle Fastenkur, die ich dann durchführen will.

Ich habe ein Gefühl im Körper, als würden mir strenge und andauernde Fasten gut bekommen und auch meiner nächsten Arbeit förderlich sein … Doch nun, nach dem Gleichgültigen und Nebensächlichen zu Dir, mein Emmy. Du solltest nicht so rasch weiter reisen. Besorgt bin ich nur, ob Du nicht frierst. Ich weiß, wie kalt es in Bayern sein kann. Soll ich Dir nicht extra einen Mantel schicken? … Ich bin so froh, Emmy, Deine Reise kann nicht mehr fehlschlagen.

Wie lieb hast Du von der kleinen Taube geschrieben und von dem blinden Lautenmädchen aus dem Böhmerwald, das gerne geheilt sein möchte. Alles ist mir seltsam und bedeutsam im höchsten Grade … Du bist, scheint mir, selbst die kleine Taube, die Du so gar besonders beschrieben hast. Schau sie Dir ja genau an und schreib's gut auf, Du Schreiberlein des Lieben Gottes … Denk, gestern las ich gerade, daß Louise Latour, die belgische Stigmatisierte, die die Vision eines goldenen Herzens hatte, und daß daraufhin beantragt wurde, das ganze Land in den Schutz des heiligen Herzens zu stellen. Da fiel mir eine Stelle aus Deinem Chioggia-Aufsatz ein »Mein Land ist ein einziges großes Herz …«

Hast Du den Jean Paul bekommen, den ich Dir nach Waldsassen schickte? Du findest darin eine Selbstbiographie und eine Art Auswahl aus Jean Pauls wichtigsten Büchern. Du mußt Dir dann Wunsiedel ansehen, sonst wird Hesse sehr traurig sein. Er läßt Dich herzlich grüßen. Ich habe für Mittwoch, also für morgen mit ihm in Montagnola verabredet und ihm versprochen, ihm ein wenig aus Deinen Berichten vorzulesen. Dann freut er sich …

Wir machten gestern zusammen einen kleinen Spaziergang unten am See. Da wachsen die wunderlichen Wellengräser und gelbe Lilien. Wir belauschten einen ganz seltsamen, hellbraunen Vogel, der die absurdesten hohen Töne anschlug …

Die Post muß im Moment kommen und ich will den Brief mitgeben. Adieu, mein Emmy. Unsere Rosenstöcke blühen … Deine und meine Rosen … Ich lege Dir ein paar Blättchen bei …

Am Sonntag, als die heilige Hostie erhoben wurde, dachte ich an Dich bei jedem Herzschlag. Dein Hugo.

Emmy an Hugo

Waldsassen, am Abend des zweiten Pfingstfeiertages

Mein lieber Hugo,

Du hast mir mit Anima ein so gutes Telegramm geschickt und Du teilst darin neben den Pfingstgrüßen mit, daß es Dir gut und besser geht. Ach, Hugo, wenn ich Dir gestehen darf, wie es mir mit diesem Telegramm, mit dieser Nachricht ergangen ist … ich holte es mir ab auf der Post in Waldsassen, wo der Wagen stand, um viel Volks nach Konnersreuth zu fahren. Als ich jedoch Dein Telegramm las, hab ich so sehr weinen müssen und konnte leider gar nicht aufhören. Habe mich selbst etwas verwundern müssen darüber und versuchte mich zu trösten, indem ich mir sagte, ich verweine etwas längst Vergangenes oder Zukünftiges. Als ich das Posthaus verlassen hatte, stand noch immer der Wagen da und ich weinte, ohne es eigentlich zu bemerken. Man fragte mich, weil ich so stehen blieb und vor mir her sah, ob ich nach Konnersreuth wolle. Da konnte ich nur den Kopf schütteln. Ob ich etwa dort gewesen sei und darüber jetzt weine? Nein, wie sollte ich wohl. Nur Dir kann ich zuweinen, Hugo, und weiß nicht, warum. Vielleicht lächelst Du und es geht Dir gut. Du teilst es ja mit und ich habe Dir zu glauben, aber wäre ich nur erst wieder bei Dir. Die Reise wird ja gleichwohl nicht vergeblich gewesen sein … Zwar habe ich nicht ganz Deutschland gesehen, aber ich werde Dir doch vieles aus Deutschland sagen können, was Dich freuen wird und es wird sein, als wärest Du hier gewesen … Ein Stück werde ich durch den Frankenwald gehn und durch Thüringen vielleicht, und vom sagenhaften Hörselberg will ich Dir dann sagen. Ja.

Heute hat man gesungen:

»Komm, Heiliger Geist, kehr bei uns ein,
Besuch das Herz der Kinder dein …«

Und auch:

»Komm, Heiliger Geist, mit höh'rem Licht
Wir Menschen verstehn das Göttliche nicht.«

Da dachte ich an das Taubenbild, das ich Dir geschenkt, als Du das Byzanzbuch schriebst und das Dich so gefreut. Denk, daß ich es Dir heute noch einmal schenke, mein Hugo und auch Dir Annemarie.

… ach, Hugo, wer ist nicht stigmatisiert? Jeder, der willig zum Leben ist, trägt eine Spur des Gekreuzigtseins in sich und wer hängt nicht zwischen Himmel und Erde? Ich hab hier doch viel denken müssen, was Rilke einmal gesagt: »Tu mir kein Wunder zu lieb – gib Deinen Gesetzen recht.« …

Heut war der Himmel so nachgiebig und treu und blau … Hugo, der deutsche Himmel … Im Fichtelgebirge hab ich doch jeden Baum daraufhin angesehn, wie deutsch er ist. Du weißt ja … Grüß auch unsere Rosen vor dem Fenster. Es gibt in Hildesheim einen tausendjährigen Rosenbaum. Gedacht hab ich, wie schön es wäre, wenn wir wenigstens einen hundertjährigen Rosenstock in Agnuzzo hätten, so daß nach uns niemand mehr weiß, wer die Rosen gesät und sich nur über die Blumen freut.

… Alles Liebe sei mit Euch, meine Lieben und bald werdet Ihr mehr hören von Eurer Emmy.

Bitte, Hugo, schreibe mir doch ja genau, wie es Dir geht … Da Du nie krank warst, beschäftigt mich so sehr, was Du mir mitteilst. Und was mir aufgefallen ist: jedesmal, wenn ich wegfahre, wird jemand krank. Das ist nicht, weil ich weggefahren bin … Ich erinnere mich an meine früheren Jahre und habe jetzt bemerkt, daß schon mehrmals Menschen, die mir nahe standen, krank wurden, nachdem ich eben fortgefahren war. Es ist mir das unerklärlich. Nur die Tatsache weiß ich, die mich beschäftigt.

Nun, noch einmal, möge es Dir gut gehn, ich kann nichts anderes wünschen.

An Emmy

(Aus Agnuzzo nach Deutschland)

Emmylein, in Eile nur diese Karte, damit Du eine Nachricht hast. Ich würde unbedingt noch einstweilen bleiben. Du wirst viel Schönes noch erleben. Hesse, der heute nachmittag da war, meint das auch. Aber dann mußt Du schon auch Wunsiedel besuchen, sonst wird Hesse traurig, wenn Du nicht Wunsiedel besuchst. Das mußt Du um seinetwillen tun. Ich schickte Dir ein Buch, das Dir zustatten kommen wird. (Das Buch über Jean Paul.) Ich war bei Doktor Mueller meines Magens wegen und um dreiviertel acht geht mein Zug zurück, daher ich nur eine Karte schreibe. Morgen folgt ausführlicher Brief. Wollte Dir nur sagen, daß Du ruhig noch ein wenig bleiben sollst. Vielen schönen Dank für Deinen merkwürdigen schönen und interessanten Brief. Deine Briefe sind alle gut bei mir aufgehoben. Innig Dein Hugo.

Das mit dem Magen, meint Doktor Mueller, sei nicht schlimm. Er hat mir von seiner berühmten Tinktur gegeben.

An Emmy

Agnuzzo, den 20. Juni 27

Mein lieb Emmy,

gestern früh kamen Deine beiden Briefe aus Berlin. Wir freuten uns schrecklich. Das geht so flott zu: Du wirst schon etwas erreichen. Falls Du noch einige Tage auf den Rundfunk warten mußt, dann schaust Du Dir eben den Spreewald oder irgendeine interessante Stadt in der Nähe von Berlin an. Da gibt es ja allerlei. Nach Hamburg fährt man z. B. in zwei und einer halben Stunde Schnellzug. Dort gibt es auch eine Rundfunkstelle, die gleiche, die eine Anzeige Deines »Gang zur Liebe« brachte. Nun, Du wirst selbst sehen.

Die Sonette, die Du gerne haben möchtest, lege ich hier ebenfalls bei. Hesse habe ich schon von Deiner Absicht erzählt, er freut sich sichtlich. [Ich wollte von Hermann Hesse, und ein Kapitel aus der Hesse-Biographie von Hugo lesen.]

Ich habe von Freiburg im Breisgau eine Einladung erhalten, an der Universität vor den Studenten über Hesse zu sprechen. Ich stellte den Herren anheim, mich später noch einmal aufzufordern. Es sei eine Möglichkeit, daß ich den Vortrag mit einer Reise nach Deutschland verbinden könne.

Grüß mir alle Freunde recht herzlich. Wenn Du Herrn Geheimrat Saenger sehen solltest, bitte, bestelle ihm meinen schönsten Gruß und Dank für seine letzten Zeilen. Ich sei bereits mit »Rom und Wittenberg« beschäftigt.

Auch Herrn Doktor Kayser bitte ich Dich besonders zu grüßen … Gestern, am Sonntag, kam überraschend Doktor Mueller. Ich lag ein wenig und da hat er mich nochmal untersucht. Samstag war ich auch bei Doktor Maag zur Untersuchung und werde heute gegen Abend dort wieder erwartet. Beide Ärzte versichern mir, es sei nichts Ernstliches, sonst hätte ich Fieber. Was es nun eigentlich ist, weiß man noch nicht genau.

Alle Welt interessiert sich schon für meinen Zustand, und es ist wirklich gar nicht schlimm. Ich habe nur einige Stunden nach dem Essen Beschwerden, kann aber jetzt bei reduzierter Kost wieder schlafen und habe auch wieder zugenommen. Ich fand es ganz rührend von Doktor Mueller, daß er eigens nach Agnuzzo kam, mich ebenfalls zu untersuchen. Sie luden dann Annemie und mich nach Sorengo zu Bernardone zum Essen ein.

Samstag war Hesse und Doktor Lang zum Abendbrot bei uns. Annemusch hatte vorzügliche Spaghettis gemacht, wenigstens versicherten es die Gäste. Ich selbst war von den Genüssen ausgeschlossen … Ein zweites Kätzchen haben wir bekommen, mein Emmy. Wir haben es »Pummel« getauft, weil es gar so pummelig aussieht. Es hat merkwürdigerweise, obgleich es von einer anderen Mutter stammt, dieselbe Semmelfarbe wie der andere, etwas größere Gesell, den wir in Sorengo ergatterten. Die beiden Tierleins haben sich sehr aneinander angeschlossen und schlafen in derselben Schachtel im Vorraum, wo das Velo steht. Auch blühen jetzt die Nelken, mein lieb Emmy, wunderschön und das Land spendiert Erbsen und Karotten. Es ist jetzt richtig Sommer hier, sehr, sehr schön, und Du mußt nun bald wiederkommen, damit Du auch noch etwas davon hast.

Auf Wiedersehen, mein Liebling. Und alles Gute. Fein wär's, wenn Dir das Funkensprühen etwas Rechtes einbringt. Dann fahren wir nach Italien, nach Mailand einen Anzug kaufen … Was meinst Du? Also grüß alle und sei innig umarmt und geküßt von Deinem Hugo.

Sonette von Hugo

I

Dreimal gepriesen sei mit tiefem Neigen
Dein Tag, o Herr, der mich in Zärtlichkeit
So ganz gehüllt hat und so eingeschneit,
Daß ich die Stille suche, um zu schweigen.

Es gab die lieblichste der Engelsgeigen
Mir bis ins Nachtgelände das Geleit.
Zum Tränenhimmel Deiner Seligkeit
Sah ich die weißen Prozessionen steigen.

Im Dreischritt aus den grünen Grüften hoben
Sich Füße, die vom Rebensaft gerötet
Es schimmerte das Herz, das sie getötet.

Und das sie nun mit Blütenzweigen loben
Um schwarzer Tyrus-Kreuze glomm das Feuer
Der Liebe und der wehen Abenteuer.

II

An lichtgewobener Kette muß ich hängen
Aus hohen Himmeln in das trübe Leben
Genötigt leise hin und her zu schweben,
Weil sanfte Ätherwellen mich bedrängen.

Man haucht mich an mit Worten und mit Klängen
Und schon will meine Flügelwage beben,
Um die Erschütterungen aufzuheben
Dreh ich mich in den ewigen Gesängen.

So sieht man wohl in frommen Kemenaten
Aus Watte und aus Werg an einem Faden
Die Geistestaube schweben im Geviert.

Sie lauschet über Kerzen und Gebeten
Den sieben Gaben und den scheuen Reden,
Dieweil ein Krönlein ihre Haube ziert.

III

(Orpheus)

Oh, königlicher Geist, dem aus den Grüften
Die Leoparden folgten und Delphine
Im Tiergeschlecht sahst Du die Menschenmiene
Gegrüßt von allen Brüdern in den Lüften.

Die Leier eingestemmt in junge Hüften
So standest Du umbrandet auf der Bühne.
Vom Tode trunken summte deine kühne,
Berauschte Stimme mit den Blumendüften.

Du kamst aus einer Welt, in der das Grauen
Die Marter überbot, da war dein Herz
Zerronnen erst und dann erstarrt zu Erz.

Durch jede Sehnsucht drang dein liebend Schauen
Es führten dich die Vögel und die Fische
Im Jubelchor zum höchsten Göttertische.

IV

Entrückt und nah, belebend und doch Schein
So seh ich, Liebste, Dich vor mir errichtet
Ein Umriß, der vor meinen Blicken flüchtet
Und dem es doch bestimmt ist, Bild zu sein.

Die Hände haben längst darauf verzichtet
Zu fassen nach Gestalt von Fleisch und Bein.
Genug zu wissen, daß Du Brot und Wein
Und zartes Feuer bist, das mich belichtet.

Die Augen werden einst in Moder fallen.
Was war ich ohne Dich? Ein irres Lallen
Ein Dunkel und ein Rausch der Bitternisse.

Laß wehen durch mein Wort die lichten Küsse,
Laß sinken in mein dämmerndes Gedicht
Vom Brunnenrande her Dein Angesicht.

V

Schmücke Dich, Liebste, der Abend naht,
Winde Dir Ketten ins leuchtende Haar.
Siehe, die Sonne will sich verneigen,
Tiefer noch will sich die Stille verschweigen,
Kerze brennt am Altar.

Wisse, die Seele liebt sich zu verschwenden
Brennende Feier und wehe Musik.
Leiser noch will ihr Geheimnis lallen,
Goldener Tropfen zögerndes Fallen
Ist ihr unsägliches Glück.

Hülle Dich, Liebste, in weiße Gewänder,
Ehe die Saite zerspringt.
Lächle im Saale der Engel und Rosen,
Laß Dir die kindliche Stirne kosen,
Ehe das Echo verklingt.

Sei mir ein Fest und ein zärtliches Wunder,
Milder noch blühe Dein Schein.
Wenn wir die magischen Worte tauschen,
Geht durch die Seele ein Flügelrauschen,
Dem wir uns weihn.

Schmücke Dich, Liebste, oh, süßes Verwehen,
Bald ist der Sommer verklungen.
Über den Hügeln welken die Kränze,
Doch in die Höhen der himmlischen Tänze
Sind wir entrückt und verschlungen …

An Emmy

Lugano, den 23. Juni 27

Mein lieb Emmy, es ist acht Uhr früh. Ich bin in Lugano beim Zahnarzt gewesen und warte jetzt auf mein Bähnchen, um zurückzufahren. Es ist ein so schöner Sommermorgen … Wann wirst Du wohl wieder hier sein? …

Annemarie, die vielmals grüßen läßt, ist auch schon früh unterwegs: mit Frau Doktor R. auf den Generoso. Sie fahren ein Stückchen mit der Bahn und gehen dann zu Fuß. Frau R… kam vorgestern, als ich gerade in Lugano war per Rad und kaufte dem Annemusch drei Keramikteller ab. Nun, Du kannst Dir die Freude vorstellen. A… will sich jetzt ein Sparbuch anlegen … Sie hat auch einen wunderbaren antiken Stoff für ein Kleid bekommen und Erdbeeren. So geht's bei uns zu …

Komm bald, mein Liebling … Mir ist, als wärest Du schon sehr lange fort … Ich bin neugierig, wie es mit dem Rundfunk geworden ist, ob Du gesprochen hast … Das ist wohl eine schöne Strapatze gewesen, diese Reise … Nun, Du kannst Dich hier erholen, mein Emmy. Viele Grüße Dein Hugo.

Wir haben von Frau Reber ein entzückendes Glockenspiel bekommen, eine Glocke für unser Haus. Es sind drei Glocken, die wunderschön läuten … Nochmals und immer Dein H.

An Emmy

… ach, mein Emmly, Du fragst so lieb nach meinem Befinden. Es fehlt mir gar nichts, Herz, mein Herzblatt. Aber sag, Kind, tut Dir vielleicht etwas weh. Es kommt mir so vor, obwohl Du mir die Wartburg und die heilige Elisabeth und die Bilder von Schwind so schön beschrieben hast. Es ist, als lebtest und schriebest Du, wie in einem stillen Traum … Hier, Liebling, in Agnuzzo ist's zur Zeit leider sehr unruhig. Täglich kommen Gäste zu mir. Das ist schrecklich. Wie soll man da arbeiten, denken können? Das ist keine Einsiedelei mehr. Wir müssen wieder irgend wohin, wo wir arbeiten können, nach Rom oder noch besser nach Albori, wo wir nur den Brunnen rauschen hörten … Freilich, die Fremden werden ja wieder fortgehen, aber sie kommen wieder und das therapeutische Buch will ich in großer Stille schreiben. Und dann machst Du, Liebling, mir wieder Exzerpte und ich übersetze Dir und lese Dir vor und Du mir. Wir müssen uns wieder einspinnen, da hilft nichts. Wir können nur arbeiten in einer großen Einsamkeit. Dein Traum von der weißen Nachtigall, die nach oben stieg hat mir gut gefallen. Wenn ich Kopfschmerzen habe und nur einen Satz aus Deinem Briefe lese, wird mir gleich besser. Und wenn Du jetzt kommst – zum Geburtstag von Hesse mußt Du da sein, Liebling – ja, also wenn Du kommst, kommst Du zu mir. Ach, daß ich weiß … Ich weiß es ja, Emmy und auch Du weißt mich. Dein Hugo, der Dich mit Annemie grüßt und umarmt. Bald sind wir wieder im Kreis, unsere kleine Dreieinigkeit, wie Du immer sagst. Emmly, sag, wer hat Dir die schönen, tiefen Worte gegeben? Im Anfang war … sag mir das Wort …

Wer kann's so freundlich singen, wie Du …

Bin Sommertag und Liebesnacht … Daran habe ich heute denken müssen. Sagte ich Dir schon, daß die Rosen blühen? Ja, also sie blühen, Emmylein. Das Vergrößerungsglas, das Du mir »für den Anfang« geschenkt hast, brauche ich jetzt nicht mehr, aber ich benutze es gleichwohl ab und zu. Die Rosen sind groß und rot, dünkt mich und sie brauchen kaum größer werden …

Heute nacht habe ich nicht geschlafen, aber die Schlaflosigkeit hat mir nicht geschadet. Was Du mir von Eisenach mitgeteilt hast, hat mich sehr zur Arbeit angeregt. Rom und Wittenberg. Ach, wir haben doch alles gut machen wollen, Emmely.

Glaubst Du, daß Hesse sich über die Biographie freut? Er ist rührend gut. Einmal, als er mir aus seinem neuen Buch vorlas, war er ganz besonders schön. Immer ist er das, Du weißt ja. Mir scheint, Emmylein, ich schreibe alles durcheinander.

Ich freue mich doch so sehr, daß das Buch dem Verlag zu gefallen scheint. Ja, das freut mich wirklich. Du weißt ja, was diese Freude für mich bedeutet. Jetzt wirst Du wohl denken, daß Steffgen den Brief beenden wird mit »Freude, schöner Götterfunken«. Dir wär's ja recht, Emmyherz … Daß Du Papa, meinem »getreuen Vater Carl Ball«, wie er sich mir unterschreibt, ein Paket geschickt hast, das freut mich mächtig. Das wird die daheim wohl auch freuen. Daß Du gern auch nach Pirmasens wolltest, dank auch schön. Ich besorgte nur, daß es Dich zu weit ablenkt.

In Dülmen bist Du jetzt nicht gewesen, Emmy, aber es wird auch so und ohne gehen (ich spreche schon ganz wie Du). Du hast so lieb von Anna Katharina, als der Sonne Deutschlands, geschrieben. Du beklagst, daß sie noch nicht heilig gesprochen ist. Das kommt schon alles. Piano va sano, so sagt die Kirche, so sagt das Menschentum, die Menschheit sagt so.

Du selbst betonst so allerliebst, wenn Du »zu spät« oder »zu früh« aufstehst: »Wir haben Zeit, weil wir Ewigkeit haben.« Das ist Emmy, die ihre Sprüche gescheit anzubringen weiß … Heut geht's dem Steffgen, wie man sagt »glänzend«. Ciau, Liebes, Du hast meine Stube so weiß gestrichen, die reine Lilienpracht ist das. Also: zu Gott, der unsere Jugend froh macht. Immer Dein getreulich Steffgen.

Nachschrift: Was Du sagst vom Botticellibild, was wir Hesse zum Geburtstag schenken wollen. Das Bild vom Tobias, das ich hier hab und von Dir aus Florenz, das ist verblaßt und gleichwohl möcht ich grad das nicht gern hergeben. Weißt, wir probieren Hesse zu sagen, wie lieb wir ihn haben, dann ist er auch zufrieden. Das kannst Du vielleicht machen, auch für mich mit. Ich bin ja manchmal so befangen. Dein Flatterzünglein aber versteht's ja.

Singst im Grotto vielleicht »Schön sind die Blumen … schöner sind die Menschen …« Emmy, Passionsblüte, ich liebe Dich besonders. Sei gegrüßt. Du bist bei mir, mein Kind, Dein Hugo.

An Emmy

Mein lieb Inseman,

soeben kamen Deine Briefe, von Samstag und Sonntag früh. Briefe, die uns ungemein freuten …

Nun, der Annemusch ist gar treu und lieb besorgt um mich. Kocht Tee zur rechten Stunde und Hafersuppe und geht dann einkaufen. Das »Birchermüsli« haben wir auf Anraten abgeschafft. Du brauchst wirklich keine Sorge haben, Emmykind. Und Du kannst wirklich ruhig reisen. Weder habe ich Fieber, noch fühle ich mich in der Arbeit behindert. Im Gegenteil, es macht mir Freude, mich langsam wieder einzuspinnen.

… ich habe wohl öfter zu rasch gegessen … Nun warte ich das Mittel ab, wie dieses wirkt und lese inzwischen einen interessanten Traktat von der Heilkunde, worin ein Autor namens Blüher der Psychoanalyse den Prozeß macht, ganz in meinem Sinne, von der »Priesterwissenschaft« aus. Nur ist dieser Autor, scheint mir, Protestant, und infolgedessen geht's stellenweise ein wenig kompliziert und eigenwillig bei ihm zu. Ich kann mich indessen irren …

Nun sag ich Dir, Adieu, mein Emmy. Nochmals, Du mußt Dich nicht meinetwegen ängstigen. Es ist wirklich nichts Besonderes … Annemie läßt aus der Küche grüßen und schreibt morgen. Der König David ist inzwischen um zwei Szenenbilder vermehrt worden. Die Salbung zum Priester und das Harfenspiel vor Saul. Im ganzen sind's jetzt fünf Szenen. Ein Raum bleibt noch auszufüllen und der Herr Maler studiert dazu im Kirchenlexikon. Das Schlußbild soll etwa sein »Davids Begräbnis« oder »Davids Aufbahrung«. Dann liegt der tote Sängerkönig in der Bundeslade, vor der er einst getanzt …

Leb wohl, mein Emmy, hab Dich lieb. Dein Hugo.

Rotes Kreuz

(nach einem Traum)

Es wird ein Mann begraben
Das ist der gute Mond.
Es steht eine Trauerversammlung
Vor dem Hause, wo er wohnt.

Das ist ein mystisch Gebäude
Mit Kammern und Räumen gar viel
Mit Zeichen und Wandfiguren
Im Pyramidenstil.

Des Mondes verwaiste Töchter
Eilen mit Salben und Wein
Die Rosen in ihren Händen
Können nicht bleicher sein.

Es setzt sich der Zug in Bewegung
Und steigt immer höher hinan,
Wie so der Mond im Bogen
Nur steigen und leuchten kann.

Ich stehe baß erstaunet
Und doch betrübt dabei.
Mich dünkt, daß ein sehr lieber
Freund mir gestorben sei.

Bin ich's am Ende selber?
Ich weiß und weiß es nicht.
Der Abgeschiedene lächelt
Mir zu im Dämmerlicht.

Der Tote geht mir nahe,
Es tut mir von Herzen leid,
Daß ich's erst jetzt erkenne
Bei seinem Sterbegeleit.

Ich möchte manches wissen
Von seiner Wesensart,
Nun ist er mir entrissen
Und alles ist zu spat.

Annemarie an Hugo im Roten Kreuz

Agnuzzo, den 3. Juli 27

Mein liebes Steffgen,

sehr freue ich mich, daß es Dir gut geht, und um Dir meine Freude zu zeigen, schicke ich Dir ein paar Rosen.

Leider habe ich nicht mehr Rosen bekommen. Ich habe immer an Dich gedacht und war gestern sehr traurig, daß Du nicht dabei warst. Es war wunderschön. Herr Hesse hat über Dich eine kleine Rede gehalten und gesagt, daß Du einer seiner liebsten, treuesten Freunde seiest und ihm das schönste Geburtstagsgeschenk gegeben hättest und beim Wein hab ich dreimal mit ihm angestoßen für Dich und fürs Emmy-Mütterlein.

In den Bäumen, im Grotto habe ich Laternen befestigt. Das war wunderschön und Hesse war wie Klingsor bei Novalis …

Es waren einige reizende Menschen da … ich habe geholfen Tee servieren und Wein einschenken … und die Laternen im Wald … meine Idee … ach, ein so schönes Bild … Steffgen, liebes, wenn Du wiederkommst, machen wir alles noch einmal. Du hast doch mit dem lieben Dichter auch Geburtstag gehabt, Du treuer Ekkehards-Freund, ich liebe Dich …

Nachher gingen wir mit den Laternen durch den Wald und irgendwo trommelte jemand … Ach, die bunten leuchtenden Farben der Laternen … Es war ein Himmel voller Sterne, Steffgen und ich haben Herrn Hesse die schöne Geschichte von Jehova erzählt, wie er in die Sterne zeigt und dem Abraham sagt: »So zahlreich werden Deine Nachkommen sein.« Ich dachte an die Sänger und Dichter, an alles Schöne, an alle Lieder und an die Liebe … Wie schön der Sommer ist. Steffgen, liebes, Du wirst es sehen, wenn Du wiederkommst. Wir sind ja schon im Himmel. Wir werden ewig sein … Auf das Bild, das ich für Hesse gemalt, habe ich in Lateinisch geschrieben vom Wort, das bei Gott war im Anfang … Und durch das Wort ist alles gemacht, was gemacht worden ist. Das Wort ist das Licht der Menschen und das Licht leuchtet in der Dunkelheit … Das ist schön, gelt, mein Steffgen? … Es ist jetzt zwölf Uhr … Auf Wiedersehn, liebes Steffgen! Ich umarme Dich und küsse Dich herzlichst in aller Liebe, Du Joseph, Du treuer Begleiter, mein Bruder, Freund und Vater, Dein Kindlein Annemarie.

An Annemarie

Zürich, Rotes Kreuz

Mein lieb Annemusch,

ich freue mich sehr mit den Rosen, die noch blühen wie am ersten Tage. Ein bißchen kann ich jetzt schon schreiben. [Hugo war bereits mit seinem Aufsatz für »Die Neue Rundschau« beschäftigt, der das Thema »Rom und Wittenberg« behandeln sollte.]

Ich darf sogar langsam wieder Fleisch essen und ein wenig im Stuhl liegen. Doktor Korrodi von der Neuen Zürcher Zeitung hat mich besucht und heute früh war Carla Faßbind da, die mir eine schöne Lilie schenkte. Ich schicke Dir ein kleines Paketchen Schokolade. Laß Dir's gut schmecken. Ein Ausschnitt über die pompejanische Fresko-Technik liegt bei. Das wird Dich interessieren. Laß es Dir gut gehn, mein Kindlein und schreibe bald wieder. Viele Grüße auch vom Mütterli Dein Steffgen.

An Hermann Hesse

Zürich, Rotes Kreuz, den 20. Juli 1927

Lieber Freund,

vielen Dank für Deinen Brief und für die Drucksachen. Ich konnte gar nicht schreiben, der schweizerische Teil meines Magens hat sich noch nicht assimilieren wollen. Nun reisen wir wohl Montag (in den Tessin), aber ich werde noch liegen müssen. Ja, ja, das sind so Sachen. Auf Wiedersehen und herzliche Grüße von Deinem Ballo.

Nachschrift: Der »Ewig junge Dichter« ist doch eine sehr schöne Sache!

(Im Roten Kreuz geschrieben)

Wenn je ich still und ganz mich zu Dir kehre,
Dann mußt Du groß und schweigend mich empfangen
Aus irrer Dunkelheit kam ich gegangen,
Besorgt, daß ich Dein lichtes Bild verzehre.

Wenn ich zu forschen lächelnd Dir verwehre,
Nach Lust und Leid, die doch auch mir erklangen,
Nach Stern und Freund, die mir am Wege sangen,
So wisse, daß ich tiefer Dir gehöre …

Nur eines war's, das mich bewegte
Hervorzugehn aus jedem Ungemach,
Das eine nur, das fiebernd mich erregte,

Und das mich schützte, daß ich nicht erlag:
Der Kindesglanz in Deinem Seelengrunde …
Noch einmal trinken mit berauschtem Munde …

Emmy an Hugo im Roten Kreuz

(in Zürich)

Mein Hugo, mein Liebling,

ich bin im Begriff zu reisen und Dir nur schnell »Auf Wiedersehn« sagen. Im Roten Kreuz schreibe ich und ich hoffe, daß Du schläfst. Da will ich Dich nicht stören. Heile, heile Segen … Es wird schon alles gut werden, Hugo … ich werde alles recht machen mein Hugo und Dir den schönsten Garten und das liebste Haus besorgen, daß Du Dir wünschest. Finden werde ich, was Du willst. Sorge Dich nicht, daß wir wieder umziehen müssen, Hugo, ich bitte Dich, mein Kind, sorge Dich nicht. Du weißt doch, Hugo, daß wir bei jedem Umzug einander sagten »wir haben hier keine bleibende Statt, aber die ewige suchen wir.« Ach, ich liebe Dich so sehr und Dein Kreuzbäumchen, jede Wunde heilt. Zeit eilt, Zeit heilt alles, das weißt Du ja.

Läute der Schwester, wenn Du nicht schlafen kannst. Es ist gut, wenn Du gut schläfst, mein Hugo. Ich werde schnell wieder zurück sein bei Dir, um mit Dir zu hospitieren, mein Köppi auf Dein Kissen legen neben Dir und neben Dir sein. Ich habe das sichere Gefühl, das schönste Haus zu finden, das wir je gehabt haben. In der Bahnhofstraße habe ich zwei weiße Pferde gesehn, die bekanntlich Glück bringen. Das waren ganz besondere Pferde, die einen grün- und blumenbekränzten Wagen zogen. Und in diesem Wagen saß ein junges Hochzeitspaar. Da habe ich Glück gewinkt und Glück gewünscht. Leben, Hugo … Das junge Paar rief mir »Glück« und Dank zu und drei Bonbons, die wohl für Kinder bestimmt waren. Hier ist eines, Steffgen. Annemie soll auch eins bekommen.

Wir sind Kinder, wir glauben. Wir sind Kinder und der Vater über den Sternen ist gut. Dein Kreuzbaum wird heilen, Hugo, ich habe Dich zu lieb, als daß Dir etwas weh tun kann und darf. Nein, Dir tut nichts weh. Du hast mir ein so liebes Gedicht geschenkt … Jetzt gehn die Sterne silbern ihren Gang – bis zu der Stunde mildesten Versagens … Ich bleibe ja bei Dir, Liebling. Wir werden schon gesund, mein Hugo … Ich telefoniere Dir von Lugano das Resultat, welches Haus ich gemietet habe. Dann fahren wir miteinander an Ort und Stelle. Freund Hesse wird uns dann erwarten, wenn wir kommen, Hugo … Ich weiß das schon. In einigen Tagen bin ich wieder bei Dir. Also auf Wiederlieben Dein Emmely.

Rotes Kreuz

Wie sind doch diese Stunden weh und krank,
Sogar die Amseln in den Zweigen klagens.
Der Park hat die Gebärde stummen Tragens,
Die Blätter rauschen leise: Gruß und Dank …
Jetzt gehn die Sterne silbern ihren Gang,
Bis zu der Stunde mildesten Versagens.
Oh, Labsal fern und nahen Glockenschlagens,
Bald kehrt die Mutter wieder, licht und schlank.
Wie ist doch eine Welt so bald versunken,
In Gottes Hand zurück, aus der sie kam.
Kaum haben wir dem Morgen zugewunken
Ist schon der Abend da, der alles nahm.
Du sendest Herr, uns aus wie Frühlingslieder.
Erhöre uns, wir klingen wieder …

Epitaph

Der gute Mann, den wir zu Grabe tragen
Sieht wächsern aus und scheint erstarrt zu sein
Doch war er so verliebt in allen Schein,
Daß man sich hüten muß, ihn tot zu sagen.

Er liebte es in allen Lebenslagen
Dem Unerhörten nur Gehör zu leihn.
Umgeben so von hundert Fabulei'n
Kann man nur zögernd ihm zu glauben wagen.

Drum, wenn auch jetzt sein schmaler Maskenmund
Geschlossen liegt und nicht mehr sprechen mag:
Er lauscht vielleicht nur in den Schöpfergrund …

Und steht dann wieder auf wie jeden Tag.
Laßt ihn getrost bei seinem Leichenspiele.
Er lächelt schon … und wir sind kaum am Ziele …


 << zurück