Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band IV
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Hundertunddreiundvierzigste Nacht.

Darauf ging er zu dem Becken mit dem kalten Wasser, wo er sich, da er niemand dort fand, an ein stilles Plätzchen setzte, ein Stückchen Haschisch hervorholte und es hinunterschluckte. Als nun sein Hirn von dem Haschisch umnebelt wurde, sank er rücklings auf den Marmorboden und träumte in seinem Rausche, daß ein vornehmer Prinz ihm die Füße knetete, während zwei Sklaven ihm zu Häupten standen, von denen der eine eine Schale, der andere Badeutensilien und, was sonst ein Badewärter braucht, in der Hand hielt. Als er dieselben erblickte, sprach er bei sich: »Mir deucht's, diese da haben sich in mir geirrt oder sie gehören auch zu unserer Zunft von Haschischessern.« Darauf streckte er seine Füße aus und glaubte nun, daß der Badewärter zu ihm spräche: »Mein Herr, die Zeit ist gekommen hinauszugehen, du bist heute an der Reihe.« Da lachte er und sprach bei sich: »Was Gott will, o Haschisch;« darauf setzte er sich aufrecht hin, ohne jedoch ein Wort zu reden, und nun kam der Badewärter, faßte seine Hand an und schlang ein schwarzseidenes Tuch um seinen Leib. Hierauf stand er auf, und die beiden Sklaven folgten ihm mit den Schalen und andern Sachen, bis sie ihn in ein Gemach geleitet hatten, welches sie durchräucherten. In demselben fand er allerlei Früchte und wohlriechende Blumen, und die Sklaven zerschnitten ihm eine Melone und hießen ihn auf einem Stuhl aus Ebenholz Platz nehmen. Dann trat der Badewärter an ihn heran und wusch ihn, während die beiden Sklaven das Wasser über ihn gossen. Nachdem sie ihn tüchtig abgerieben hatten, sagten sie zu ihm: »Unser Herr und Sâhib,Herr, speciell Anrede eines Ministers von seiten des Sultans. möge es dir ewig wohlergehen!« worauf sie fortgingen und die Thür zumachten. Als er nun all dieses in seinem Rausch sich vorgespiegelt hatte, nahm er das Tuch von seinem Leib fort und lachte 174 sich fast ohnmächtig, bis er nach einer Weile bei sich sprach: »Was fehlt ihnen, daß sie mich als Wesir titulieren und zu mir sagen »O unser Herr und Sâhib?« Jetzt mögen sie noch im Irrtum sein, hernach aber werden sie mich erkennen und werden sagen: »Das ist ein Nichtsnutz,« und werden mir gehörig meinen Nacken verbläuen.« Da ihm inzwischen warm geworden war, öffnete er die Thür und bildete sich jetzt ein, daß ein kleiner Mamluk und mehrere Eunuchen zu ihm hereingekommen wären, von denen der Mamluk ein Paket trüge, das er nun öffnete und drei seidene Tücher daraus hervorholte, von denen er ihm das eine auf den Kopf, das andere auf die Schultern würfe und das dritte ihm um den Leib schlänge. Dann brachten ihm die Eunuchen Holzschuhe, und er zog sie an, worauf Mamluken und Eunuchen hereinkamen und ihn stützten, während er zu alledem lachte, bis er den Raum verlassen hatte und in den Vorsaal hinaufstieg, den er prächtig wie für Könige ausgestattet fand. Nun kamen auch schon die Pagen um die Wette auf ihn herzu, geleiteten ihn zu einem Polster und kneteten ihn, bis ihn der Schlaf überkam. Im Schlaf träumte ihm, daß er ein Mädchen in seinen Armen hielt und es küßte; wie er aber dasselbe eben auf seinen Schoß nahm, rief jemand: »Wach' auf. du Nichtsnutz, der Mittag ist schon da und du schläfst noch?« Da öffnete er seine Augen und fand sich selber am Kaltwasserbecken, und ringsherum einen Menschenhaufen, der ihn auslachte. Als er nun sah, daß alles dies weiter nichts als Traumbilder oder Haschischvisionen gewesen waren, blickte er bekümmert den, der ihn geweckt hatte, an und sagte zu ihm: »Ach, hättest du mich doch erst austräumen lassen.« Die Leute schrieen jedoch: »Du Haschischesser, schämst du dich nicht hier halbnackend zu schlafen?« und gaben ihm so lange Fausthiebe, bis sein Nacken rot geworden war. Er aber war hungrig, nachdem er im Schlaf die Glückseligkeit zu schmecken bekommen hatte.«

Als Kân-mā-kân diese Geschichte von der Sklavin 175 vernommen hatte, lachte er, bis er auf den Rücken fiel, und sagte zu ihr: »Ach meine Amme, diese Geschichte ist wunderbar; niemals hörte ich solch eine Erzählung wie diese. Weißt du nicht noch eine?« Da antwortete sie: »Gewiß« und erzählte nun Kân-mā-kân so lange tolle Schwänke und lustige Abenteuer, bis ihn der Schlaf überkam. Nachdem sie dann noch den größeren Teil der Nacht über ihm zu Häupten gesessen hatte, sprach sie bei sich: »Jetzt ist die richtige Zeit gekommen;« gleich darauf sprang sie auf, zückte den Dolch und stürzte sich auf Kân-mā-kân, um ihm die Kehle abzuschneiden, als mit einem Male Kân-mā-kâns Mutter eintrat. Bei ihrem Anblick erhob sich Bākûn vor ihr und ging ihr entgegen, doch war sie so erschrocken, daß sie sich wie im Fieber schüttelte. Kân-mā-kâns Mutter verwunderte sich, als sie die Sklavin Bākûn bei ihrem Sohne fand, und weckte ihn aus dem Schlaf, der nun beim Erwachen seine Mutter zu seinem Häupten sitzen sah, und so durch ihr Kommen vom Tode errettet war. Die Ursache ihres Kommens lag aber darin, daß Kudia-fakân die Unterhaltung und die Abmachung in betreff Kân-mā-kâns Ermordung gehört und infolgedessen zu seiner Mutter gesagt hatte: »Gattin meines Oheims, begieb dich zu deinem Sohne, bevor ihn die Hexe Bākûn ermordet.« Darauf hatte sie ihr all das Vorgefallene von Anfang bis Ende erzählt, und Kân-mā-kâns Mutter war sofort, ohne etwas zu begreifen, hinaus gegangen und gerade bei ihrem Sohn eingetreten, als er schlief und Bākûn ihm die Kehle abschneiden wollte. Wie er nun wach geworden war, sagte er zu seiner Mutter: »Mutter, du bist gerade zu guter Zeit gekommen, wo Amme Bākûn bei mir die Nacht verbringt.« Dann wendete er sich zu Bākûn und fragte sie: »Bei meinem Leben, weißt du nicht noch eine schönere Geschichte als die Geschichte, die du mir erzählt hast?« Die Sklavin antwortete ihm: »Was ist das, was ich dir vorher erzählt habe, im Vergleich zu dem, was ich dir jetzt erzählen will! Es ist viel süßer und merkwürdiger, doch möchte 176 ich es dir ein andermal erzählen.« Dann erhob sie sich und glaubte, obwohl er ihr den Salâm bot, kaum an ihr Entkommen, da sie in ihrer Tücke ahnte, daß seine Mutter von dem Vorgefallenen Kenntnis bekommen hatte.

Als sie nun ihres Weges gegangen war, sagte Kân-mā-kâns Mutter zu ihm: »Mein Sohn, dies war eine gesegnete Nacht, dieweil dich Gott, der Erhabene, vor dieser Verruchten errettet hat.« Da fragte er sie: »Wie meinst du das?« und sie erzählte ihm nun die ganze Sache von Anfang bis Ende, worauf er zu ihr sagte: »Mutter, wer am Leben bleiben soll, findet keinen Mörder, und stirbt nicht, auch wenn er erschlagen wird, doch ist es sicherer für uns, daß wir von diesen unsern Feinden fortziehen, und Gott wird thun was er will.«

Am andern Morgen zog Kân-mā-kân aus der Stadt fort und begab sich zum Wesir Dendân; nach seinem Fortgange fielen jedoch auch zwischen dem König Sāsân und Nushet es-Samân Sachen vor, welche sie veranlaßten ebenfalls aus der Stadt zu ziehen und sich zu ihnen zu gesellen samt all den Reichswürdenträgern des Königs Sāsân, die sich ihnen zuneigten. Als dieselben nun allesamt dasaßen und des Rates pflogen, kamen sie schließlich überein eine Streife nach dem Lande Rûm zu unternehmen und die Blutrache zu vollziehen. Wie sie jedoch die Fahrt angetreten hatten, fielen sie in die Gefangenschaft des Königs Rūmsân von Rûm, nachdem sich mancherlei Sachen zugetragen hatten, deren Erzählung zu weit führen würde, wie es sich aus dem Folgenden ergiebt.

Am nächsten Morgen befahl der König Rūmsân Kân-mā-kân, den Wesir Dendân und ihr beiderseitiges Gefolge vor ihn zu führen. Als sie vor ihm erschienen waren, hieß er sie an seiner Seite Platz zu nehmen und gab Befehl die Speisetische zu bringen, worauf sie aßen und tranken und sich in Sicherheit fühlten, nachdem sie, als er befohlen hatte sie vor ihn zu führen, ihres Todes gewiß gewesen waren, 177 und einer zum andern gesagt hatte: »Nur zu unserer Hinrichtung läßt er uns holen.«

Jetzt aber, wie sie sich sicher fühlten, sagte der König zu ihnen: »Ich hatte einen Traum und erzählte ihn den Mönchen, doch erklärten mir dieselben, daß niemand anders als der Wesir Dendân ihn mir deuten könne.« Da sagte der Wesir Dendân: »Dir träumte Gutes, o König der Zeit.« Der König Rūmsân aber erzählte nun: »Wesir, mir träumte, ich steckte in einer Grube, die ähnlich einer schwarzen Cisterne aussah, und es war mir, als ob mich ein großer Haufen folterte. Ich wollte mich erheben, doch, da ich mich aufrichtete, sank ich wieder auf meine Füße zurück und vermochte es nicht aus jener Grube herauszukommen; darauf wendete ich mich um und sah in der Grube einen goldenen Gürtel. Als ich aber meine Hand nach ihm ausstreckte und ihn von der Erde hob, sah ich, daß es zwei Gürtel waren, und, wie ich sie mir um den Leib band, waren beide wieder ein Gürtel geworden. Das, Wesir, ist mein Traum, den ich in des Schlummers Süße träumte.« Da entgegnete ihm der Wesir Dendân: »Wisse, unser Herr und Sultan, dein Traum bedeutet, daß du einen Bruder oder Bruderssohn oder einen Vetter hast oder sonst irgend jemand deines Hauses von deinem Fleisch und Blut und der in jedem Falle zu den Vornehmsten gehört.«

Als der König Rūmsân diese Deutung seines Traumes vernahm, blickte er Kân-mā-kân, Nushet es-Samân, Kudia-fakân, den Wesir Dendân und alle die andern Gefangenen an und sprach bei sich: »Wenn ich diesen hier die Köpfe abschlagen lasse, wird das Heer durch den Tod ihrer Anführer den Mut verlieren, und ich kann bald in mein Land heimkehren, daß mir nicht das Reich aus der Hand fällt.« Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, rief er den Schwertträger heran und befahl ihm auf der Stelle Kân-mā-kâns Kopf abzuschlagen. In demselben Augenblicke kam jedoch die Amme des Königs herbei und sagte zu ihm: »O glückseliger König, was hast du da zu thun beschlossen?« Er antwortete: 178 »Ich habe beschlossen diese Gefangenen hier, die mir in die Hände gefallen sind, hinrichten, und dann ihre Häupter zu ihren Gefährten hinüber werfen zu lassen, um sofort hernach mit meinem Heer auf sie loszustürmen und jeden zu erschlagen, den wir erschlagen können, den Rest aber zu verjagen, daß dies der letzte Kampf wird, und ich binnen kurzem heimkehren kann, bevor sich irgend etwas in meinem Königreiche ereignet.«

Als die Amme diese Worte von ihm vernommen hatte, trat sie zu ihm heran und sagte zu ihm in fränkischer Sprache: »Wie kannst du an des Sohnes deiner Schwester, an deiner Schwester und deines Bruderssohnes Ermordung Gefallen finden?« Bei diesen Worten seiner Amme ergrimmte der König, und er sprach zu ihr: »Verruchte, hast du mir nicht gesagt, daß meine Mutter erschlagen wurde, und daß mein Vater durch Gift umkam? Und gabst du mir nicht auch einen Edelstein und sagtest zu mir: »Siehe, dieser Edelstein gehörte deinem Vater? Warum sprachst du nicht die Wahrheit zu mir?« Da sagte sie zu ihm: »Alles, was ich dir erzählt habe, ist wahr gewesen, doch ist meine und deine Geschichte wunderbar, und dein und mein Fall seltsam, denn siehe, ich heiße Mardschâne, und der Name deiner Mutter war Abrîse, die in Schönheit und Anmut prangte, und deren Tapferkeit sprichwörtlich war, so daß sie wegen ihrer Tapferkeit unter den Helden weit und breit gefeiert wurde. Dein Vater aber war der König Omar en-Noomân, der Herr von Bagdad und Chorasân; woran kein Zweifel ist und kein Falsch und Irrtum. Derselbe hatte einst zu einer Kriegsfahrt seinen Sohn mit diesem Wesir Dendân ausgeschickt, auf welcher dein Bruder, der König Scharrkân, den Truppen voranzog und sich von dem Heere trennte, wobei er mit deiner Mutter der Königin Abrîse in ihrem Schloß zusammentraf, wo wir gerade eine einsame Stätte zum Ringen ausgesucht hatten. Er überraschte uns hierbei und maß sich mit deiner Mutter im Ringkampf, die ihn durch ihre strahlende 179 Schönheit und Tapferkeit überwand. Dann war er fünf Tage lang deiner Mutter Gast im Schloß, bis dein Großvater davon durch die alte Schawâhī, genannt Zât ed-Dawâhī, Kunde erhielt. Scharrkân hatte aber deine Mutter zum Islam bekehrt und nahm sie nun und zog mit ihr nach der Stadt Bagdad, wohin ich, Reihâne und noch zwanzig andere Mädchen sie begleiteten, nachdem wir alle durch die Hand Scharrkâns zum Islam bekehrt worden waren. Als wir dann bei deinem Vater, dem König Omar en-Noomân, eingetreten waren, und er deine Mutter, die Königin Abrîse, sah, ward er von Liebe zu ihr ergriffen, so daß er sie eines Nachts besuchte und sie mit dir schwanger wurde. Deine Mutter hatte aber drei Edelsteine bei sich, welche sie deinem Vater schenkte. Dieser wiederum schenkte einen Edelstein seiner Tochter Nushet es-Samân, den zweiten deinem Bruder Dau el-Makân und den dritten deinem zweiten Bruder, dem König Scharrkân, welchem die Königin Abrîse den Edelstein wieder fortnahm und für dich aufbewahrte. Als nun die Zeit ihrer Entbindung nahte, verlangte deine Mutter nach ihren Angehörigen und teilte mir ihr Geheimnis mit, worauf ich einen schwarzen Sklaven, Namens El-Ghadbân, aufsuchte, ihm die Sache insgeheim mitteilte und ihn überredete uns auf der Flucht zu begleiten. Darauf nahm uns der Sklave, verließ die Stadt mit uns und flüchtete mit uns, wiewohl deine Mutter ihrer Entbindung nahe war. Kaum hatten wir die Grenze unseres Landes überschritten und waren an einen wüsten Ort gekommen, da überfielen deine Mutter die Wehen. Der Sklave aber erwies sich als ein gemeines Scheusal, so daß deine Mutter mit einem lauten Aufschrei vor ihm zurückbebte und in ihrem heftigen Schrecken mit dir zur Stunde niederkam. In demselben Augenblick stieg im freien Feld in der Richtung nach unserm Lande zu eine Staubwolke auf, die sich hoch in die Lüfte erhob, bis sie den Horizont verhüllte. Da fürchtete der Sklave für sein Leben und versetzte der Königin Abrîse mit seinem Schwerte 180 ergrimmt den Todesstreich, worauf er sich aufs Pferd schwang und seines Weges zog. Als er sich aber fortgemacht hatte, ward unter der Staubwolke dein Großvater, der König Hardûb von Rûm, sichtbar; beim Anblick seiner am Boden erschlagen daliegenden Tochter, fragte er mich tiefbekümmert, wie dies gekommen wäre, und weshalb sie sich heimlich aus dem Lande ihres Vaters fortgemacht hätte, und ich berichtete ihm alles von Anfang bis Ende. Das ist die Ursache der Feindschaft zwischen dem Volke von Rûm und Bagdad. Wir luden dann deine ermordete Mutter auf und bestatteten sie in ihrem Schloß, dich selber aber nahm ich zu mir, erzog dich und hing dir den Edelstein, welchen deine Mutter, die Königin Abrîse, bei sich gehabt hatte, um den Hals. Als du groß geworden warst und Mannesreife erlangt hattest, konnte ich dir die Wahrheit nicht mitteilen, da sich, wenn ich dir den wahren Sachverhalt erzählt hätte, sofort zwischen euch Krieg erhoben hätte, und außerdem mir auch dein Großvater die Sache geheim zu halten befohlen hatte, und ich dem Befehle deines Großvaters, des Königs Hardûb von Rûm, nicht zuwiderhandeln durfte. Das ist der Grund, weshalb ich die Sache vor dir geheim hielt und dir nicht mitteilte, daß dein Vater der König Omar en-Noomân war. Als du dann zur Regierung kamst, teilte ich dir einen Teil des Geheimnisses mit, bis du nunmehr zu dieser Stunde, o König der Zeit, alles erfahren hast, und ich dir das Geheimnis und den deutlichen Beweis offenbart habe; du aber weißt nun am besten, was geschehen soll.«

Die Gefangenen hatten jedoch die ganze Erzählung der Mardschâne, der Amme des Königs angehört, und Nushet es-Samân stieß alsbald einen lauten Schrei aus und rief: »Dieser König Rūmsân ist mein Bruder von meinem Vater Omar en-Noomân, und seine Mutter ist die Königin Abrîse, die Tochter des Königs Hardûb von Rûm; ich selber kenne diese Sklavin Mardschâne sehr genau.« Als der König Rūmsân diese Worte vernahm, wurde er heftig erregt und 181 verwirrt, und ließ sogleich Nushet es-Samân vor sich führen. Bei ihrem Anblick neigte sich Blut zu Blut, und er fragte sie nach seiner Geschichte; da erzählte sie ihm alles, was sie wußte, und es stimmte ihre Erzählung genau mit Mardschânes Erzählung, so daß der König nunmehr völlig gewiß war, daß er zum Volk des Irâk gehörte, und daß sein Vater der König Omar en-Noomân war. Infolgedessen erhob er sich sogleich und löste die Fesseln seiner Schwester Nushet es-Samân, die nun an ihn herantrat, ihm die Hände küßte und Thränen vergoß, so daß der König Rūmsân ebenfalls weinen mußte. Von brüderlicher Liebe zu seinem Neffen, dem Sultan Kân-mā-kân, ergriffen, sprang er dann auf, riß dem Schwertträger das Schwert aus der Hand und befahl die Gefangenen ihm vorzuführen, welche hierbei ihres Todes gewiß waren. Er aber hieb ihre Stricke auseinander und sagte zu seiner Amme Mardschâne: »Erzähle dieser ganzen Versammlung noch einmal deine Geschichte, die du mir vorhin mitteiltest.« Darauf sagte Mardschâne: »Wisse, o König, dieser Scheich ist der Wesir Dendân, der auch mein Hauptzeuge ist, weil er genau weiß, wie sich alles zugetragen hat.« Alsdann trat sie unverzüglich zu ihnen und allen den anwesenden Königen von Rûm und Frankenland heran und erzählte ihnen die Geschichte, während die Königin Nushet es-Samân, der Wesir Dendân und die andern Gefangenen ihre Worte bestätigten. Als sie ihre Erzählung beendet hatte, wendete sie sich zufällig um und erblickte nun den dritten von den drei Edelsteinen der Königin Abrîse am Halse des Sultans Kân-mā-kân. Ihn sofort erkennend, stieß sie einen lauten Schrei aus, daß der ganze Platz widerhallte, und sprach zum König: »Mein Sohn, wisse, nunmehr ist die Wahrheit meiner Worte über und über erwiesen, denn der Edelstein an dem Halse des Gefangenen dort ist völlig gleich dem Edelstein, welchen ich dir um den Hals legte, und ist sein Zwillingsstein; der Gefangene aber ist deines Bruders Sohn Kân-mā-kân.« Hierauf wendete sich Mardschâne zu 182 Kân-mā-kân und sagte zu ihm: »Zeig' mir doch den Edelstein, o König der Zeit.« Als ihn Kân-mā-kân von seinem Halse genommen und ihn der Amme des Königs Rūmsân überreicht hatte, forderte sie von Nushet es-Samân den dritten ein, und da sie die beiden Edelsteine in ihrer Hand hatte, überreichte sie dieselben dem König Rūmsân, so daß er nun die Wahrheit und den Beweis klar vor Augen hatte, und es ihm erwiesen stand, daß er des Sultans Kân-mā-kân Oheim und der Sohn des Königs Omar en-Noomân war. Unverzüglich erhob er sich, trat an den Wesir Dendân heran und umarmte ihn; darauf umarmte er den Sultan Kân-mā-kân und schrie laut auf vor Freude, und zur selbigen Stunde verbreiteten sich die frohen Nachrichten, die Pauken und Trommeln wurden geschlagen, die Pfeifen geblasen, und die Freude schwoll immer höher. Als aber das Heer vom Irâk und von Syrien Rûms lautes Freudengetümmel vernahm, sprangen alle bis auf den letzten Mann in den Sattel. Auch der König Es-Siblchân stieg zu Pferd und sprach bei sich: »Was mag nur die Ursache dieses Freudengeschreis im Heere der Griechen und Franken sein?« Dann zog das Heer des Irâk zum Kampf entschlossen auf den Plan und das Schwert- und Lanzenfeld. Da sich nun aber der König Rūmsân umwendete, und die Heeresmassen schlachtbereit herankommen sah, fragte er nach der Ursache hiervon und befahl, als man ihm die Sache erklärte, Kudia-fakân, die Tochter seines Bruders Scharrkân, zur selbigen Zeit und Stunde zum Heere Syriens und des Irâk hinüberzureiten und ihnen die frohen Ereignisse mitzuteilen und zu berichten, wie es zu Tag gekommen wäre, daß der König Rūmsân des Sultans Kân-mā-kâns Oheim sei. Ledig aller Mißgeschicke und Kümmernisse machte sich Kudia-fakân auf den Weg, bis sie beim König Es-Siblchân eintraf, ihn begrüßte und ihn mit den frohen Ereignissen bekannt machte und erzählte, daß es an den Tag gekommen wäre, daß der König Rūmsân ihr und Kân-mā-kâns Oheim sei. Als sie bei ihm eintrat, fand sie ihn mit Thränen 183 im Auge und um ihn die Emire und Fürstlichkeiten in großer Sorge. Nachdem sie ihm jedoch alles von Anfang bis Ende berichtet hatte, wich all ihr Kummer, ihre Freude nahm überhand, und der König Es-Siblchân und alle Großen und Edeln stiegen zu Pferd und folgten der Königin Kudia-fakân, welche ihnen bis zum Baldachin des Königs Rūmsân voranritt. Als sie dort eintraten, fanden sie ihn mit seinem Neffen, dem Sultan Kân-mā-kân, dasitzen, nachdem er sich gerade mit ihm und dem Wesir Dendân in betreff des Königs Es-Siblchân beraten hatte, und sie darin übereingekommen waren, ihm die Stadt Damaskus in Syrien anzuvertrauen und ihn wie zuvor daselbst als König zu belassen, während sie selber nach dem Irâk ziehen wollten. Nachdem sie ihn demnach zum Statthalter von Damaskus in Syrien eingesetzt hatten, gaben sie ihm Befehl sich auf den Weg zu machen und gaben ihm bei dem Abmarsch mit seinen Truppen eine Stunde Weges das Abschiedsgeleit. Hierauf kehrten sie wieder zu ihrem Lager zurück und ließen den Aufbruch zum Marsch nach dem Irâk unter den Truppen ankündigen, worauf sich die beiden Heere zu einem zusammenschlossen, während die beiden Könige zu einander sagten: »Unser Herz findet nicht eher Ruhe und unser Zorn wird nicht eher geheilt, als bis wir an der alten Schawâhī, genannt Zât ed-Dawâhī, die Blutrache vollstreckt und die Schmach gesühnt haben.« Der Sultan Kân-mā-kân aber freute sich über seinen Oheim, den König Rūmsân, wie er ihn umgeben von seinen Höflingen und Großen des Reiches einherziehen sah, und segnete Mardschâne dafür, daß sie sie miteinander bekannt gemacht hatte.

Sie marschierten nun ununterbrochen weiter, bis sie in ihr Land gelangten, wo ihnen der Großkämmerling, sobald er von ihrer Ankunft vernommen hatte, entgegenkam und König Rūmsâns Hand küßte, welcher ihm darauf ein Ehrenkleid schenkte. Alsdann setzte sich der König Rūmsân und ließ seinen Neffen, den Sultan Kân-mā-kân, an seiner Seite 184 Platz nehmen. Wie nun Kân-mā-kân zu seinem Oheim, dem König Rūmsân sagte: »Mein Oheim, dieses Königreich geziemt dir allein,« antwortete er ihm: »Das verhüte Gott, daß ich dir dein Königreich nehmen sollte,« und der Wesir Dendân gab darauf beiden den Rat, die Regierung in der Weise gemeinschaftlich zu führen, daß jeder von ihnen abwechselnd einen Tag um den andern amtieren sollte, worin beide einwilligten.

Hundertundvierundvierzigste Nacht.

Hierauf richteten sie Feste an, schlachteten Opfertiere und verbrachten in dieser Weise in wachsender Freude eine geraume Zeit, während welcher der Sultan Kân-mā-kân die Nächte mit seiner Base Kudia-fakân kürzte. Da begab es sich einmal, als sie fröhlich über ihre Lage und den guten Ausgang aller Dinge dasaßen, daß sich plötzlich eine Staubwolke vor ihnen erhob und hoch gen Himmel stieg, bis sie den ganzen Horizont verrammelt hatte. Gleich darauf kam ein Kaufmann schreiend und um Hilfe zeternd zu ihnen heran und rief: »Ihr Könige der Zeit, wie geht es zu, daß ich im Lande der Ungläubigen in Sicherheit war und nun in euerm Lande, dem Lande der Gerechtigkeit und des Schutzes, beraubt werde?« Da trat der König Rūmsân auf ihn zu und fragte ihn, was ihm zugestoßen sei. Darauf erzählte der Kaufmann: »Ich bin ein Kaufmann und weilte lange Zeit, wohl an die zwanzig Jahre, von der Heimat fern, in ferne Länder verschlagen. Ich habe ein Schriftstück bei mir, welches mir der selige König Scharrkân einst in Damaskus ausfertigte zum Lohne dafür, daß ich ihm eine Sklavin zum Geschenk gemacht hatte. Als ich mich nun wieder jener Stadt mit meinem Gut, bestehend aus hundert Lasten kostbarer und seltener Dinge aus Indien, näherte und Bagdad erreichte, eure unverletzliche Residenz und die Stätte eures Schutzes und eurer Gerechtigkeit, da wurden mir von einer Bande Arabern und Kurden, die sich aus allen Ländern 185 zusammengethan hatten, überfallen, meine Leute wurden mir erschlagen und meine Waren geraubt. Also ist es mir ergangen.« Hierauf weinte der Kaufmann vor dem König Rūmsân, jammerte über sein hilfloses Alter und klagte, so daß der König Rūmsân und sein Neffe, der König Kân-mā-kân, sich seiner erbarmten und ihm schworen wider die Räuber ausziehen zu wollen. Gleich darauf machten sie sich mit hundert Reitern auf, von denen jeder Tausende aufwog, mit dem Kaufmann als Führer voran, und ritten den ganzen Tag und die Nacht über bis zum Morgengrauen, bis sie zu einem wasser- und baumreichen Wadi gelangten und fanden, daß sich die Räuber hier im Wadi zerstreut und die Lasten des Kaufmanns mit Ausnahme einiger Ballen unter sich verteilt hatten. Sofort setzten ihnen nun die hundert Reiter nach und umzingelten sie von allen Seiten, der König Rūmsân und sein Neffe, der König Kân-mā-kân, erhoben das Feldgeschrei, und schon binnen kurzem waren alle gefesselt, etwa dreihundert berittene Gesellen, zusammengelaufene, trotzig dreinschauende Steppenaraber. Nachdem sie dieselben gefangen genommen hatten, nahmen sie alles, was sie von dem Gut des Kaufmanns bei ihnen vorfanden, legten sie in Stricke und zogen mit ihnen nach der Stadt Bagdad. Hier angelangt, setzten sich der König Rūmsân und sein Neffe, der König Kân-mā-kân, beide zusammen auf einen Thron, dann ließen sie alle vor sich führen und fragten sie nach ihrem Thun und Treiben und nach ihren Führern aus und sie antworteten ihnen: »Wir haben nur drei Führer, welche uns von allen Seiten und aus allen Ländern zusammenbrachten.« Darauf sagten die beiden Könige: »Zeiget uns eure Hänptlinge.« Nachdem sie ihnen dann dieselben gezeigt hatten, befahlen sie diese drei festzulegen und die andern Gesellen laufen zu lassen, nachdem sie ihnen alles Gut abgenommen und dem Kaufmann wieder zurückerstattet hatten. Als dieses geschehen war, und der Kaufmann seine Zeuge und sein Gut nachzählte, fand er, daß ein Viertel 186 von allem verloren gegangen war, doch versprachen ihm die Könige für allen Schaden aufzukommen. Alsdann holte der Kaufmann zwei Schreiben vor, das eine mit Scharrkâns Handschrift, das andere mit der Handschrift Nushet es-Samâns, denn er war ebenderselbe Kaufmann, welcher Nushet es-Samân als Jungfrau von dem Beduinen gekauft und sie ihrem Bruder Scharrkân zum Geschenk gemacht hatte, worauf dann zwischen ihnen das Bekannte vorgefallen war. Hierauf prüfte Kân-mā-kân die beiden Schreiben und erkannte sowohl die Handschrift seines Oheims Scharrkân, wie die seiner Tante Nushet es-Samân. Da er aber seiner Tante Geschichte gehört hatte, begab er sich mit dem zweiten Schreiben, welches sie dem Kaufmann mitgegeben hatte, zu ihr und erzählte ihr die ganze Geschichte des Kaufmanns von Anfang bis zu Ende. Nushet es-Samân erinnerte sich seiner sogleich und erkannte auch ihre Handschrift wieder; sie schickte dem Kaufmann Gastgeschenke heraus, empfahl ihn ihrem Bruder, dem König Rūmsân, und ihrem Neffen, dem König Kân-mā-kân, und dieser bestimmte für ihn reiche Gaben an Geld und Sklaven und Pagen zu seiner Bedienung; außerdem schickte sie ihm noch hunderttausend Dirhem bar, fünfzig Kamellasten Waren und andere Geschenke und ließ ihn zu sich entbieten. Sobald er vor ihr erschien, ging sie ihm entgegen, bot ihm den Salâm und teilte ihm mit, daß sie die Tochter des Königs Omar en-Noomân, daß der König Rūmsân ihr Bruder und der König Kân-mā-kân ihr Neffe wäre. Der Kaufmann war hierüber hocherfreut und beglückwünschte sie zu ihrer Rettung und ihrer Vereinigung mit ihrem Bruder und ihrem Neffen, küßte ihr die Hände, dankte ihr für ihre Güte und sprach zu ihr: »Bei Gott, an dir war das gute Werk nicht verloren gegangen.« Darauf zog sie sich wieder in ihr Gemach zurück, der Kaufmann aber verblieb noch drei Tage, worauf er sich verabschiedete und nach dem Lande Syrien zog.

Hierauf ließen die Könige sich die drei Raubgesellen, die 187 Häuptlinge der Buschklepper vorführen, und fragten sie nach ihrem Thun und Treiben aus. Da trat der eine von ihnen vor und sagte: »Wisset, ich bin ein Beduine und liege auf der Lauer nach Kindern und Jungfrauen, daß ich sie raube und den Kaufleuten verkaufe. Lange Zeit bis zu dem heutigen Tage hatte ich dies Geschäft betrieben, bis mich der Satan ritt mit diesen beiden Halunken alles Araber- und sonstiges Gesindel aus aller Welt zusammen zu bringen, um Raub und Buschklepperei zu treiben.« Da sagten sie zu ihm: »Erzähl' uns dein wunderbarstes Erlebnis beim Kinder- und Mädchenraub.« Hierauf hob der Beduine an: »Ihr Könige der Zeit, das wunderbarste meiner Erlebnisse war vor zweiundzwanzig Jahren die Entführung eines jungen Mädchens aus Jerusalem, das in Schönheit und Anmut erstrahlte, obwohl es nur eine Dienstmagd in zerlumpten Kleidern war und um ihren Kopf einen Fetzen von Tuch aus Kamelshaaren trug. Ich sah wie sie aus einem Chân herauskam und entführte sie sofort mit List, indem ich sie auf ein Kamel setzte und mit ihr fortmachte. Anfänglich war es meine Absicht, sie zu meiner Familie in die Steppe zu bringen und bei mir zu behalten, daß sie mir die Kamele hütete und den Mist derselben aus dem Wadi ausläse; da sie mir jedoch zu viel vorheulte, wichste ich sie jämmerlich durch und brachte sie nach der Stadt Damaskus, wo sie ein Kaufmann bei mir sah und sie sofort, durch ihre Schönheit bezaubert und von ihrer süßen Rede eingenommen, von mir zu kaufen begehrte. Er bot mir einen immer höhern und höhern Preis bis ich sie ihm schließlich für hunderttausend Dirhem verkaufte. Während ich sie ihm übergab, hörte ich sie die herrlichsten Worte reden und vernahm nachher, daß der Kaufmann sie prächtig eingekleidet und sie dem König, dem Herrn von Damaskus zum Geschenk gemacht hätte, welcher ihm doppelt so viel für sie gab, als er mir bezahlt hatte. Dieses, o Könige der Zeit, ist mein wunderbarstes Erlebnis, und, bei meinem Leben, auch dieser Betrag war noch zu gering für das Mädchen.« 188

Die Könige verwunderten sich über diese Erzählung, als aber Nushet es-Samân die Geschichte des Beduinen vernommen hatte, ward das helle Licht in ihrem Angesichte Finsternis, und, laut aufschreiend, sagte sie zu ihrem Bruder, dem König Rūmsân: »Dies ist der Beduine, welcher mich aus Jerusalem fortschleppte, es ist kein Zweifel daran.« Hierauf erzählte ihnen Nushet es-Samân alle die Widerwärtigkeiten, die sie von ihm erlitten hatte, und wie sie in ihrer Fremdlingschaft durch ihn Schläge, Hunger, Niedrigkeit und Verachtung hatte erdulden müssen, und sagte zu ihnen: »Jetzt ist es mir erlaubt ihn zu töten.« Dann zog sie ein Schwert und trat an den Beduinen heran, um ihn niederzuhauen. Er aber schrie: »Ihr Könige der Zeit, lasset sie mich nicht eher niederhauen, als bis ich euch noch mehr von meinen wunderbaren Erlebnissen erzählt habe.« Da sagte ihr Neffe Kân-mā-kân zu ihr: »Tante, laß ihn noch eine Geschichte erzählen und thue mit ihm hernach nach deinem Belieben.« Infolgedessen trat Nushet es-Samân wieder zurück, und die Könige sagten zu ihm: »Erzähl' uns jetzt eine Geschichte.« Der Beduine entgegnete jedoch: »Ihr Könige der Zeit, wenn ich euch eine wunderbare Geschichte erzähle, werdet ihr mich dann begnadigen?« Die Könige antworteten ihm: »Ja.« Darauf erzählte ihnen der Beduine sein wunderbarstes Abenteuer und begann also: »Wisset, vor kurzer Zeit lag ich die ganze Nacht über von Schlaflosigkeit gequält und konnte kaum den Tag erwarten. Als der Morgen endlich anbrach, stand ich zur selbigen Zeit und Stunde auf, schlang mir mein Schwert um, bestieg meinen Gaul, setzte meine Lanze ein und zog hinaus auf die Jagd. Unterwegs stieß ich auf einen Reitertrupp, welcher mich nach meinem Wege fragte. Als ich ihnen Antwort gab, sagten sie: »Wir wollen deine Gesellen sein,« worauf wir alle zusammen weiterzogen. Während wir nun so des Weges ritten, sahen wir mit einem Male einen Strauß und setzten ihm nach. Er aber flüchtete vor uns mit ausgebreiteten Schwingen, und lief so bis zur Mittagszeit immer 189 vor uns her, wobei er uns in eine wasser- und graslose Wüste führte, in welcher wir nichts als das Zischen der Schlangen, das Geschrei der Dschânn und das Geheul der Ghâle vernahmen. Hier aber war der Strauß plötzlich verschwunden, ohne daß wir wußten, ob er gen Himmel geflogen oder in der Erde versunken wäre. Wir lenkten daher die Gäule wieder um und wollten von hier fort, merkten aber, daß die Rückkehr zu dieser drückend heißen Tageszeit uns übel bekommen würde, da die Hitze schwer auf uns lastete, und wir nach Wasser lechzten, und überdies unsere Gäule sich nicht vom Flecke rührten, so daß wir unser sicheres Ende vor Augen sahen. In dieser Lage sahen wir plötzlich in der Ferne eine weite Wiese, auf welcher Gazellen lustig sprangen, und gewahrten auch dort ein aufgestecktes Zelt, dem zur Seite ein Roß angebunden stand, und eine mit dem Schaft in den Boden aufgepflanzte LanzeDie Abzeichen eines Beduinenscheichs. schimmerte. Bei diesem Anblick schöpften wir, nachdem wir schon alle Hoffnung aufgegeben hatten, neuen Mut, lenkten die Köpfe unserer Gäule in der Richtung jenes Zeltes um und ritten alle auf jene Wiese und das Wasser los, ich an der Spitze meiner Gefährten, bis wir auf der Wiese anlangten und dort an einer Quelle unsern Durst und den Durst unserer Gäule stillten. Nun aber trieb mich eine heidenmäßige Neugier an die Thür des Zeltes, um zu sehen, wer darinnen war, und ich gewahrte beim Hineinblicken einen Jüngling mit bartlosen Wangen gleich der neuen Mondsichel, zu dessen Rechten ein schlankes Mädchen gleich der Rute des Bân saß, die sofort mein ganzes Herz entflammte. So begrüßte ich denn den Jüngling und fragte ihn, nachdem er mir den Salâm erwidert hatte: »Bruder Araber, sag' an, wer du bist und in welchem Verhältnis du zu diesem Mädchen hier stehst?« Da senkte der Jüngling sein Haupt eine Weile zu Boden; dann aber erhob er sein Haupt wieder und sagte: »Sag' du mir, 190 wer du bist, und was das da für Reiter bei dir sind?« Darauf antwortete ich: »Ich bin Hammâd, der Sohn des El-Fasârī, der hochberühmte Ritter, der von den Arabern gleich fünfhundert gezählt wird. Wir waren von Haus auf die Jagd gezogen, und, da wir durstig wurden, kam ich zur Thür dieses Zeltes, ob ich bei euch wohl einen Trunk Wassers fände.« Als der Jüngling diese Auskunft von mir vernahm, wendete er sich zu dem hübschen Mädchen und sagte zu ihr: »Bring' diesem Manne Wasser und was an Speise vorhanden ist.« Da erhob sich das Mädchen und eilte mit schleifenden Säumen fort, wobei ihre goldenen Fußspangen klirrten und sie über ihr langes Haar strauchelte. Nach kurzer Abwesenheit brachte sie in ihrer rechten Hand ein silbernes Gefäß mit kaltem Wasser, in der linken einen Becher voll Milch und Datteln und was gerade an Wildbret vorhanden war, ich aber konnte wegen meiner glühenden Liebe von ihr weder Speise noch Trank annehmen sondern nur die beiden Verse auf sie anpassen:

Die dunkle Schminke, die an ihren Händen prangt,
Sie gleicht dem Raben, der auf weißem Schnee steht.
Sonne und Mond schaust du nahe beisammen in ihrem Gesicht,
Doch scheint die Sonne nur matt und der Mond wie in Furcht.

Nachdem ich mich dann an Speise und Trank gestärkt hatte, sagte ich zu dem Jüngling: »Araberfürst, wisse, ich habe dir die volle Wahrheit über mich mitgeteilt und wünsche, daß du mir ebenfalls volle Wahrheit über dich zu teil werden lässest.« Da sagte der Jüngling: »Was dieses Mädchen anlangt, so ist dieselbe meine Schwester.« Nun sagte ich: »Ich will, daß du sie mir in Gutem zur Frau giebst, wenn nicht, so erschlage ich dich und nehme sie mir mit Gewalt.« Auf diese meine Worte senkte der Jüngling sein Haupt eine Weile zu Boden; dann hob er den Blick zu mir und sagte: »Fürwahr, du rühmst dich mit Recht ein berühmter Ritter und preislicher Degen zu sein, denn du bist der Löwe der Wüste. Fallet ihr alle treulos über mich her 191 und erschlaget mich und raubet meine Schwester, so würde dies ein Schandfleck auf euch sein; seid ihr jedoch Ritter, wie ihr es euch rühmet, und werdet ihr zu den Degen gezählt, die wohlgemut einen Waffengang antreten, so lasset mir nur so viel Zeit, bis daß ich mich gewappnet, mein Schwert umgehängt, die Lanze eingesetzt, und mein Roß bestiegen habe. Dann wollen wir auf dem Plan antreten; hab' ich euch besiegt, so erschlag' ich euch bis auf den letzten Mann, habt ihr mich jedoch besiegt, so erschlaget ihr mich, und dieses Mädchen, meine Schwester, ist euer.« Auf diese seine Worte entgegnete ich: »Das ist nur billig, und haben wir nichts dawider einzuwenden.« Hierauf wendete ich, in immer heißerer Liebesglut für jenes Mädchen entbrennend, den Kopf meines Gauls um und kehrte zu meinen Gefährten zurück, denen ich die Schönheit und Anmut des Mädchens beschrieb und mitteilte, daß er sich tausend Rittern gewachsen zu sein gerühmt hätte. Dann erzählte ich ihnen auch von all den Schätzen und Kostbarkeiten im Zelt und sprach zu ihnen: »Wisset, dieser Jüngling lebte nicht so einsam in dieser Wüste, wenn er nicht sehr tapfer wäre. Ich mache euch nun den Vorschlag, daß jeder, der diesen Burschen fällt, seine Schwester nimmt.« Darauf gaben sie mir zur Antwort: »Wir willigen ein,« rüsteten sich sofort, bestiegen ihre Gäule und ritten dem Jüngling entgegen, den sie bereits gewappnet und im Sattel antrafen, während seine Schwester herzugesprungen kam und sich jammernd und den Schleier mit ihren Thränen netzend an seinen Steigbügel hing. Er aber sagte zu ihr: »Meine Schwester, hör', was ich dir sage und was ich dir ans Herz lege.« Da entgegnete sie: »Ich höre und gehorche,« und er sagte zu ihr: »Falle ich, so gieb dich in keines Gewalt.« Sobald sie diese Worte vernahm, schlug sie sich vors Gesicht und rief: »Das verhüte Gott, mein Bruder, daß ich dich zu Boden gestreckt sehe und mich den Feinden hingebe.« Darauf streckte der Jüngling seine Hand zu ihr aus und lüftete den Schleier von ihrem 192 Antlitz, so daß ihr Gesicht uns sichtbar wurde wie die Sonne hinter Wolken. Nachdem er sie zwischen die Augen geküßt und von ihr Abschied genommen hatte, wendete er sich gegen uns und rief: »Ihr Ritter, seid ihr Gäste oder kommt ihr zum Hauen und Stechen? Seid ihr Gäste, so seid willkommen zum gastlichen Mahl, steht euer Herz aber nach dem leuchtenden Mond, so trete von euch ein Ritter nach dem andern wider mich auf diesen Plan und diese Schwert- und Lanzenstätte.« Als nun nach dieser Herausforderung ein wackerer Kämpe wider ihn ins Feld ritt, fragte ihn der Jüngling: »Wie heißest du, und wie ist deines Vaters Name? Denn, siehe, ich legte einen Schwur ab, keinen zu töten, dessen eigener Name und der seines Vaters mit meinem und dem meines Vaters übereinstimmte. Sollte es also sein, so gebe ich dir das Mädchen.« Da rief der Ritter: Mein Name ist Bilâl.« Der Jüngling aber antwortete ihm:

Du lügst, wenn du hier von WohlthatEin Wortspiel mit dem Namen Bilâl. sprichst
Und mit Falsch und Lüge zu mir kamst.
Bist du ein Degen, so höre mein Wort:
Ich bin's, der die Kämpen zu Boden streckt;
Mein Stahl ist scharf wie die Sichel des Monds,
Und Berge erzittern vor meinem Stoß.

Alsdann sprengten sie wider einander, und der Jüngling durchbohrte ihm die Brust mit der Lanze, daß die Spitze blitzend aus seinem Rücken fuhr. Gleich darauf stürmte ein anderer wider den Jüngling, doch lag derselbe in der kürzesten Zeit in seinem Blute schwimmend am Boden. Dann rief er: »Will noch jemand gegen mich auf den Plan?« Da stürmte ein dritter gegen ihn los, doch durchbohrte ihn der Jüngling, daß die Lanzenspitze auf dem Rücken herausfuhr, und rief: »Ist noch einer, der wider mich auf den Plan will?« Da trat der vierte wider ihn heraus, und der Jüngling fragte ihn nach seinem Namen. Der Ritter antwortete ihm: »Mein Name ist Hilâl.« Da sprach er die Verse: 193

»Du irrst, wenn du im Meer meines Blutes zu waten gedenkst,
Du, der du mit Lüge und jeglichem Falsch zu mir kamst;
Ich, dessen Verse du jetzt vernimmst,
Will rauben deine Seele, wiewohl dir unbekannt.«

Hierauf griffen sie einander an und wechselten zwei Hiebe miteinander. Der Hieb des Jünglings kam dem des Reiters jedoch zuvor, so daß er tot zu Boden sank. Als er in dieser Weise alle, die wider ihn antraten, erschlagen hatte, und ich meine Genossen tot daliegen sah, sprach ich bei mir: »Wenn ich mit ihm mich messe, so muß ich unterliegen, fliehe ich aber, so bin ich hinfort ein Schandfleck unter den Arabern.« Der Jüngling ließ mir jedoch keine Zeit übrig, sondern stürzte sich auf mich, riß mich mit seiner Hand vom Sattel und schleuderte mich zu Boden, daß mir die Sinne schwanden. Hierauf schwang er sein Schwert und wollte mir den Kopf abschlagen, ich aber hing mich an den Saum seines Gewandes, und nun hob er mich mit der Hand wie einen Sperling auf. Als das Mädchen dies sah, freute sie sich über die Heldenthaten ihres Bruders und kam auf ihn zu und küßte ihn zwischen die Augen. Dann übergab er mich seiner Schwester und sagte zu ihr: »Nimm ihn und sorge gut für ihn, dieweil er sich in unsern Schutz begeben hat.« Da packte mich das Mädchen am Kragen meines Panzers und führte mich, wie man einen Hund fort führt. Nachdem sie dann ihres Bruders Stahlhemd geöffnet und ihn in einen Anzug gekleidet hatte, stellte sie ihm einen Stuhl aus Elfenbein hin, auf welchem er sich niederließ, und sagte zu ihm: »Gott mache deine Ehre weiß, und schirme dich vor den Wechselfällen des Geschickes!« Ich aber war niedergeschlagen und kam mir selber verächtlich vor, als ich meine Lage bedachte und mich in Gefangenschaft sah. Dann schaute ich wieder das Mädchen an, die Schwester des Jünglings, und sprach, ihre Schönheit betrachtend, bei mir: »Sie allein hat das Unheil angerichtet.«

Als sie nun ihrem Bruder ein Mahl vorsetzte, lud mich 194 der Jüngling ein mit ihm zu essen, worüber ich erfreut war, da ich mich nunmehr vor dem Tode sicher fühlte. Nachdem er seine Mahlzeit beendet hatte, brachte sie ihm dann ein Gefäß mit Wein, und der Jüngling machte sich daran und trank so lange von ihm, bis ihm der Wein zu Kopfe stieg, und sein Gesicht sich rötete. Dann wendete er sich zu mir und sagte zu mir: »Wehe dir, Hammâd, ich bin Abbâd, der Sohn des Tamîm, des Sohnes des Thaalabe; siehe, Gott hat dir dein Leben geschenkt und dir zu einer Braut verholfen.« Hierauf füllte er mir einen Becher zu meinem Wohlsein und ich trank ihn aus, und einen zweiten, dritten und vierten, und ich trank sie alle aus. Während wir nun so miteinander zechten, ließ er mich schwören, daß ich ihn nie verraten wolle, und ich schwor ihm fünfzehnhundert Eide ihn nie zu verraten, sondern ihm vielmehr beizustehen. Infolgedessen befahl er seiner Schwester mir zehn seidene Ehrenkleider zu bringen, von denen dieser Anzug an meinem Leibe noch einer ist, und eine seiner besten Kamelstuten, und sie brachte mir eine mit Kostbarkeiten und Wegzehrung beladene Kamelin. Hierauf befahl er ihr mir noch einen Fuchshengst vorzuführen, und sie that es, und er schenkte mir alles. Drei Tage lang blieb ich bei ihnen und aß und trank, und alle Geschenke, die ich von ihm erhielt, sind noch heute in meinem Besitz. Am vierten Tage aber sagte er zu mir: »Mein Bruder Hammâd, ich möchte ein wenig schlafen, um mich auszuruhen, und vertraue dir mein Leben an; solltest du aber Rosse herankommen sehen, so sei unbesorgt, denn wisse, es sind die Banû Thaalabe, die mit mir kämpfen wollen.« Hierauf legte er sein Schwert unters Kopfkissen und entschlief. Als er aber in tiefem Schlafe dalag, flüsterte mir Iblîs es ein, ihn zu ermorden, und ich erhob mich schnell, zog das Schwert unter seinem Kopfe hervor und versetzte ihm einen Streich. daß sein Haupt von seinem Leibe zu Boden fiel. Seine Schwester hatte es jedoch bemerkt und kam aus dem Zelt herbeigesprungen; ihre Kleider zerreißend, warf sie sich über 195 ihren Bruder und klagte über seinen Tod und meinen Verrat. Dann wendete sie sich zu mir und sagte: »Du Sohn verruchter Ahnen, warum hast du meinen Bruder meuchlings ermordet, wo es seine Absicht war, dich mit Wegzehrung und Geschenken heimzuschicken und dich am ersten des kommenden Monats mit mir zu vermählen?« Darauf zog sie ein Schwert, das sie bei sich hatte, pflanzte es mit der Spitze gegen ihre Brust in den Boden und warf sich hinein, daß die Spitze auf ihrem Rücken wieder herauskam, und sie tot zu Boden stürzte. Da betrauerte ich sie und empfand Reue, wo Reue nichts mehr nützen konnte, und weinte; dann aber machte ich mich eilends auf ins Zelt, nahm alles, was leicht fortzuschaffen und wertvoll war, und zog meines Weges, ohne in meiner Furcht und Eile mich nach einem meiner Gefährten umzusehen oder das Mädchen und den Jüngling zu bestatten. Diese Geschichte ist noch wunderbarer als meine erste Geschichte, welche ich mit der jungen Dienstmagd erlebte, die ich aus Jerusalem stahl.«

Als Nushet es-Samân diese Worte des Beduinen vernahm, verwandelte sich das Licht vor ihren Augen in Finsternis;

Hundertundfünfundvierzigste Nacht.

Sie erhob sich, zog das Schwert und versetzte dem Beduinen Hammâd damit einen Streich ins Genick, daß es zur Kehle herausfuhr. Wie nun die Anwesenden sie fragten, weshalb sie es mit seinem Tode so eilig gehabt hätte, erwiderte sie: »Gelobt sei Gott, welcher mein Ende so weit hinaussetzte, daß ich die Rache mit eigener Hand vollstrecken konnte!« und befahl den Sklaven ihn an den Füßen herauszuschleppen und den Hunden zum Fraß vorzuwerfen. Hierauf wendeten sie sich zu den beiden andern der drei Räuberhauptleute, deren einer ein schwarzer Sklave war, und fragten diesen: »Wie heißt du? doch sprich die Wahrheit.« Darauf antwortete er: »Ich heiße El-Ghadbân,« und erzählte ihnen, was ihm 196 mit der Königin Abrîse, der Tochter des Königs Hardûb, des Königs von Rûm, begegnet war, wie er dieselbe erschlagen hatte und dann geflohen war; doch ehe er noch seine Erzählung beendet hatte, hatte auch schon der König Rūmsân ihm mit seinem Schwert den Kopf heruntergeholt und rief: »Gott sei gelobt, welcher mich am Leben ließ, daß ich die Blutrache für meine Mutter mit meiner eigenen Hand vollstrecken konnte!« Dann erzählte er ihnen, was ihm seine Amme Mardschâne von diesem Sklaven El-Ghadbân berichtet hatte.

Nunmehr wendeten sie sich zu dem dritten, welcher derselbe Lastträger war, den das Volk in Jerusalem einst gedingt hatte, daß er Dau el-Makân auflüde und ihn nach dem Krankenhaus zu Damaskus in Syrien schaffte, der ihn aber auf den Misthaufen geworfen hatte und dann seines Weges gezogen war. Als sie ihn fragten: »Gieb Auskunft über dich und sprich die Wahrheit,« erzählte er ihnen alles, was ihm mit dem Sultan Dau el-Makân zugestoßen war, wie er ihn in Jerusalem krank aufgeladen hatte, um ihn nach Syrien ins Krankenhaus zu schaffen, wie ihm das Volk von Jerusalem Geld gegeben und er es angenommen hatte, wie er ihn dann jedoch auf den Misthaufen des Warmbades geworfen und sich davongemacht hatte. Als er seinen Bericht beendet hatte, faßte der Sultan Kân-mā-kân sein Schwert, holte ihm mit einem Streich das Haupt herunter und rief: »Gelobt sei Gott, welcher mich am Leben ließ, daß ich diesem Verräter den Lohn für seine Schurkerei, die er an meinem Vater beging, heimzahlen konnte, denn ebendieselbe Geschichte vernahm ich von meinem Vater, dem Sultan Dau el-Makân.«

Hierauf sprachen die beiden Könige zu einander: »Nunmehr bleibt uns allein noch die Alte Schawâhī, genannt Zât ed-Dawâhī, übrig, denn sie ist's, die all dieses Elend verursacht und über uns all das Unheil gebracht hat. Wer aber wird sie zu uns herbringen, daß wir die Blutrache an ihr vollstrecken und die Schande tilgen?« Da sagte der 197 König Rūmsân zu seinem Neffen Kân-mā-kân: »Sie muß unbedingt zur Stelle geschafft werden.« Zur selbigen Zeit und Stunde schrieb dann der König Rūmsân einen Brief an seine Großmutter, die alte Schawâhī, genannt Zât ed-Dawâhī, des Inhalts, daß er das Königreich von Damaskus, Mossul und dem Irâk erobert, das Heer der Moslems zersprengt und ihre Könige gefangen genommen hätte, und fügte hinzu: »Ich wünsche nun, daß du mich unter allen Umständen besuchst und die Königin Sophia, die Tochter des Königs Afrīdûn von Konstantinopel und wen du sonst noch willst von den vornehmen Nazarenern mitbringst; eines Heeres bedarf es nicht, da das Land in unsern Händen ruht und deshalb sicher ist.« Als der Brief bei ihr eingetroffen war, und sie ihn gelesen und die Handschrift des Königs Rūmsân erkannt hatte, freute sie sich mächtig und machte sich sofort mit der Königin Sophia, der Mutter Nushet es-Samâns, und ihrer Begleitung reisefertig. Alsdann reisten sie ohne Aufenthalt bis sie sich der Stadt Bagdad näherten, wo sie einen Boten mit der Meldung ihrer Ankunft vorausschickte. Da sagte der König Rūmsân: »Wir thun gut daran, wenn wir fränkische Tracht anlegen und der Alten entgegenziehen, damit wir vor ihrem Falsch und ihrer Tücke sicher sind.« Die andern erwiderten: »Wir hören und gehorchen,« und legten sofort fränkische Tracht an. Als sie nun Kudia-fakân erblickte, rief sie: »Bei dem wahrhaftigen Herrn, dem wir dienen, kennete ich euch nicht, ich hätte euch unbedingt für Franken gehalten.« Hierauf ritten sie, mit dem König Rūmsân an der Spitze, in der Zahl von tausend Mann zum Empfang der Alten hinaus. Sobald sich Auge in Auge traf, stieg der König Rūmsân ab und eilte seiner Großmutter entgegen, die ebenfalls, sobald sie ihn erblickte und erkannte, ihm zu Fuß entgegen ging und ihn umarmte. Er aber kniff sie dabei so stark in die Rippen, daß er sie fast zerdrückt hätte, so daß sie schrie: »Was bedeutet das?« Ehe sie aber noch geendet hatte, kam Kân-mā-kân 198 und der Wesir Dendân über sie, während die Reiter schreiend auf die Mädchen und Knappen losstürmten und sie gefangen nahmen, worauf alle nach Bagdad umkehrten und auf Befehl des Königs Rūmsân die Stadt schmückten. Nach Verlauf von drei Tagen führten sie dann Schawâhī, genannt Zât ed-Dawâhī, mit einer roten, mit Eselsmist verzierten Kappe auf dem Haupte hinaus, während ein Herold vor ihr einherzog und ausrief: »Solches ist der Lohn für jeden, der sich an Könige und Königssöhne wagt.« Hierauf kreuzigten sie die Alte an dem Thor von Bagdad; ihre Begleiter aber nahmen beim Anblick der Strafe, die an ihr vollzogen wurde, allesamt den Islam an, während Kân-mā-kân, sein Oheim Rūmsân, Nushet es-Samân und der Wesir Dendân sich über diesen merkwürdigen Verlauf der Dinge verwunderten und den Schreibern die ganzen Ereignisse in ein Buch einzutragen befahlen, daß man sie auch in späterer Zeit lesen könnte. Und von nun an verbrachten sie die Zeit im schönsten und glücklichsten Leben, bis der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen sie aufsuchte. Das ist das Ende der Geschichte, die bis auf uns gekommen ist von all den Wechselfällen der Zeit, von denen der König Omar en-Noomân, seine Söhne Scharrkân und Dau el-Makân, und dessen Sohn Kân-mā-kân, Nushet es-Samân und Kudia-fakân betroffen wurden.«

Als Schehersad ihre Erzählung beendet hatte, sagte der König zu ihr: »Ich möchte von dir auch noch etwas über die Vögel vernehmen.« Schehersad erwiderte darauf: »Freut mich und ehrt mich.« Da sagte ihre Schwester Dunjasad: »Mit Ausnahme dieser Nacht sah ich die ganze Zeit über den König mit beklommener Brust, nun aber hoffe ich, daß dein Ausgang mit ihm ein preislicher sein wird.«

 


 

Ende des vierten Bandes.

 


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