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Tausend und eine Nacht. Band IV
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Hundertunderste Nacht.

Fortsetzung der Geschichte des Königs Omar en-Noomân und seiner Söhne

Soviel was die beiden Könige anlangt. Nachdem nun aber die alte Zât ed-Dawâhī das Heer Bahrâms und Rostems angetroffen hatte, kehrte sie ins Dickicht zurück, holte ihr Pferd hervor, schwang sich in den Sattel und sprengte zu dem Heer der Moslems, welches Konstantinopel belagerte. Dort angelangt, stieg sie ab, nahm ihr Roß und führte es zu dem Baldachin, unter welchem der Großkämmerling saß. Als dieser sie erblickte, erhob er sich vor ihr, winkte ihr zu und rief: »Willkommen dem frommen Asketen!« Dann fragte er sie, was es gäbe, und sie trug ihm ihre beunruhigenden Lügen und unheilvollen Verleumdungen vor und sagte: »Ich bin um die Emire Rostem und Bahrâm besorgt, die ich mit ihren Truppen unterwegs antraf und zu dem König und seinen Leuten schickte; sie zählen nur zwanzigtausend Mann zu Pferd, während die Anzahl der Ungläubigen viel bedeutender ist. Ich wünschte daher, du schicktest ihnen sofort einen Heerhaufen so schnell als möglich nach, daß sie nicht bis auf den letzten Mann umkommen,« und fügte noch hinzu: »Eile! Eile!«

Als der Kämmerling und die Moslems diese Botschaft vernahmen, ließen sie den Mut sinken und weinten; Zât ed-Dawâhī aber sagte zu ihnen: »Bittet Gott um Hilfe und ertragt dieses Unglück in Geduld; ihr habt einen Trost an allen denen, die vor euch in der Gemeinde Mohammeds lebten, und Gott hat das Paradies mit seinen Schlössern für alle, 6 die als Märtyrer fallen, bestimmt. Der Tod trifft jeden, doch ist der Tod im heiligen Krieg der rühmlichere.«

Als der Kämmerling die Worte der verruchten Zât ed-Dawâhī vernahm, rief er den Bruder des Emirs Bahrâm, einen Ritter Namens Tarkâsch, wählte zehntausend Reiter, trotzig dreinschauende Kämpen, aus und befahl ihm aufzubrechen. Tarkâsch gehorchte sofort und ritt den Tag und die ganze folgende Nacht über, bis er den Moslems nahe kam. Sobald nun Scharrkân am andern Morgen die Staubwolke von Tarkâsch und seinen Reitern aufsteigen sah, erschrak er um der Moslems willen und sagte: »Seht, jene Truppen kommen auf uns zu; entweder gehören sie zum Heere der Moslems, und das wäre offenkundiger Sieg, oder sie gehören zum Heere der Ungläubigen, und dann gäbe es keinen Widerspruch gegen das Schicksal.« Hierauf ritt er zu seinem Bruder Dau el-Makân und sagte zu ihm: »Sei unverzagt, ich zahle für dich mit meinem Leben; sind diese da vom Heer des Islams, so wäre das der Gnaden Übermaß, sind es aber unsere Feinde, so müssen wir wider sie streiten, doch wünschte ich, ich träfe noch mit dem Gottesmann vor meinem Tode zusammen, und bäte ihn, daß er mir den Märtyrertod erflehete.«

Während sie noch miteinander redeten, wurden mit einem Male die Banner mit der Inschrift »Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes« sichtbar, und Scharrkân rief: »Wie steht's, ihr Moslems?« Sie antworteten: »Alles gut und wohl, wir kamen nur aus Besorgnis um euch.« Darauf stieg der Führer der Truppen von seinem Pferd, küßte die Erde vor ihm und sagte: »Mein Gebieter, wie geht's dem Sultan, dem Wesir Dendân, Rostem und meinem Bruder Bahrâm, sind sie alle wohlbehalten?« Scharrkân antwortete: »Sie sind wohl;« dann fragte er ihn: »Wer ist's, der euch von uns Nachricht gebracht hat?« Tarkâsch erwiderte: »Der Asket; er berichtete auch, daß er meinem Bruder Bahrâm und Rostem begegnet wäre und 7 sie zu euch geschickt hätte. Er sagte uns, daß euch die Ungläubigen umzingelt hätten und in großer Anzahl bedrängten, nun aber sehe ich, daß gerade das Gegenteil der Fall ist, und daß ihr errettet seid.« Da fragte Scharrkân: »Und wie kam der Asket zu euch?« und sie antworteten ihm: »Er kam zu Fuß an und hatte an einem Tage und in einer Nacht einen Weg von zehn Eilmärschen zu Pferd zurückgelegt.« Scharrkân versetzte darauf: »Kein Zweifel, es ist ein Heiliger Gottes, wo aber ist er jetzt?« Sie antworteten: »Als wir fortzogen, war er bei unserm Heer, dem Volk des Glaubens, und feuerte sie an zum Streit wider das Volk des Unglaubens und der Rebellion.« Da freute sich Scharrkân hierüber, und sie priesen Gott für ihre und des Asketen Errettung und betrauerten die Gefallenen, indem sie sprachen: »Das stand in dem Buch verzeichnet.« Alsdann trabten sie eilig weiter.

Plötzlich erhob sich eine Staubwolke, bis sie den Horizont verhüllte und den Tag verfinsterte. Nach ihr hinschauend, sagte Scharrkân: »Ich fürchte, daß die Ungläubigen das Heer des Islams gesprengt haben, weil diese Staubwolke den Osten und Westen verhüllt und den Morgen und Abend erfüllt.« Nun erhob sich unter dieser Staubwolke eine finstere Säule, die schwärzer war als der pechschwarze Tag, und die Säule kam näher und näher, grausiger als das Grausen des jüngsten Tages, so daß Roß und Mann wetteifernd nach der Ursache dieses Unheils ausschauten. Da gewahrten sie den obenerwähnten Asketen und drängten sich nun um ihn, ihm die Hände zu küssen, während er rief: »Gemeinde des besten der Geschöpfe und der Leuchte der Finsternis, die Ungläubigen haben die Moslems überlistet und die Heerscharen der Unitarier überfallen. Rettet sie aus den Händen der elenden Ungläubigen, die sie im Lager überfallen und schmählich niedergemetzelt haben, als sie sich in Sicherheit glaubten.«

Als Scharrkân diese Worte von ihm vernahm, flog ihm 8 das Herz vor starkem Klopfen; bestürzt sprang er von seinem Pferd und küßte dem Asketen Hände und Füße, und Dau el-Makân und alle übrigen Streiter zu Fuß und Pferd thaten ein gleiches, bis auf den Wesir Dendân, der im Sattel blieb und sprach: »Bei Gott, mein Herz flieht vor diesem Asketen, denn immer noch sah ich nur Unheil aus solchem frommen Wesen entstehen; laßt ihn und suchet zu euern Gefährten zu gelangen, denn dieser gehört zu denen, die von dem Thor der Barmherzigkeit des Herrn der drei Welten verstoßen sind. Wie viel Streifen habe ich schon hier mit dem König Omar en-Noomân gemacht und wie oft den Boden dieser Stätten gestampft!« Scharrkân entgegnete ihm jedoch: »Laß diese nichtswürdigen Gedanken; siehst du nicht wie dieser Asket die Gläubigen zum Streit anfeuert und sich weder vor Schwert noch Speer fürchtet? Verleumde ihn nicht, denn Verleumdung ist tadelnswert, und das Fleisch der Frommen ist vergiftet.Insofern als der Verleumder für seine Verleumdung gestraft wird. Schau' doch, wie er uns zum Kampf wider unsere Feinde anfeuert; wenn Gott, der Erhabene, ihn nicht liebte, hätte er ihm nicht den weiten Weg zusammengefaltet, nachdem er ihn zuvor in schwere Martern hatte fallen lassen.« Hierauf befahl Scharrkân dem Asketen ein nubisches Maultier vorzuführen und sprach zu ihm: »Steig' auf, frommer und gottergebener Asket.« Er aber lehnte es ab und weigerte sich in seiner geheuchelten Entsagung zu reiten, um sein Ziel zu erreichen, ohne daß sie merkten, daß dieser verruchte Asket jenem glich, von dem der Dichter sagt:

Er betet und fastet, auf daß er sein Ziel erreicht,
Doch hat er's erreicht, ist Beten und Fasten vorbei.

Als sie dann weiter zogen, marschierte der Asket den ganzen Weg über wie ein verschlagener, verderbenspinnender Fuchs zwischen den Reihen der Reiter und Fußtruppen, wobei er zugleich seine Stimme erhob, den Koran recitierte und 9 den Barmherzigen pries. So marschierten sie ohne Aufenthalt, bis sie das Heer des Islams erreichten, das Scharrkân gerade auf dem Punkte zersprengt zu werden vorfand, da auch der Großkämmerling sich bereits zur Flucht entschließen wollte, und das Schwert unter den Reinen und Missethätern arbeitete.

Hundertundzweite Nacht.

Der Grund dieser Mutlosigkeit unter den Moslems lag aber darin, daß, als die verruchte Zât ed-Dawâhī, die Feindin des Glaubens, Bahrâm und Rostem mit ihren Truppen auf dem Wege zu Scharrkân und seinem Bruder Dau el-Makân angetroffen hatte, dieselbe zum Heer der Moslems geritten war und die Absendung des Emirs Tarkâsch, wie oben erzählt, veranlaßt hatte, um das Heer der Moslems zu teilen und es dadurch zu schwächen. Hierauf hatte sie das Heer der Moslems verlassen, hatte sich nach Konstantinopel aufgemacht und dort den Bitrîken Rûms mit lauter Stimme zugerufen: »Lasset einen Strick herunter, daß ich diesen Brief daran festbinden kann, und bringt ihn euerm König Afrīdûn, daß er und mein Sohn, der König von Rûm, ihn lesen und was darin befohlen und verboten ist ersehen.« Hierauf hatten sie ihr einen Strick heruntergelassen, und sie hatte den Brief daran festgebunden, dessen Inhalt also lautete: »Von der schrecklichsten Plage und dem schlimmsten Unheil, von Zât ed-Dawâhī, an den König Afrīdûn. Des Ferneren habe ich euch eine List zum Verderben der Moslems ersonnen, seid darum unbesorgt. Ich habe sie, ihren Sultan und ihren Wesir gefangen genommen, bin dann zu ihrem Heere geritten und hab' es ihnen mitgeteilt, so daß ihr Mut brach und ihre Kraft erlahmte. Dann überredete ich die Belagerer zwölftausend Mann zu Pferd unter dem Emir Tarkâsch den Gefangenen zur Hilfe zu senden, so daß ihrer nur wenige übrig geblieben sind; nun verlange ich von euch, daß ihr sie gegen Abend mit eurer ganzen Streitmacht in ihrem Lager überfallet, doch dürft ihr nur alle auf einmal ausbrechen und 10 sollt ihr sie bis auf den letzten Mann niedermachen, denn der Messias schaut auf euch herab, und die Jungfrau ist euch gnädig gesinnt. Ich aber hoffe, daß der Messias nicht vergessen wird, was ich gethan habe.«

Als nun ihr Brief dem König Afrīdûn zu Händen gekommen war, hatte derselbe in mächtiger Freude sogleich einen Boten zum König von Rûm, den Sohn der Zât ed-Dawâhī, geschickt und ihn zu sich bestellt. Dann hatte er ihm den Brief vorgelesen, worauf derselbe erfreut gesagt hatte: »Schau meine Mutter, deren List das Schwert überflüssig macht und deren Antlitz wie das Grausen des Tages der Schrecken wirkt.« Darauf hatte der König Afrīdûn versetzt: »Der Messias beraube uns nicht des Anblicks deiner Mutter und erhalte dir ihre List und Tücke.« Dann hatte er den Bitrîken Befehl erteilt, den Truppen einen Ausfall ankünden zu lassen, und, sobald die Kunde davon durch Konstantinopel geflogen war, waren die nazarenischen Heerhaufen und die Streiter des Kreuzes, die blanken Klingen in der Hand, mit dem Feldgeschrei des Unglaubens und der Ketzerei, den Herrn der Gläubigen verleugnend, ausgebrochen. Bei ihrem Anblick hatte der Kämmerling gesprochen: »Die Griechen ziehen gegen uns, weil sie erfahren haben, daß der Sultan nicht hier ist, und wollen uns überfallen, während sich der größte Teil unseres Heeres zu dem Könige Dau el-Makân aufgemacht hat.« Dann hatte der Kämmerling ergrimmt gerufen: »Ihr Streiter der Moslems und ihr Schützer des starken Glaubens, flieht ihr, so seid ihr verloren, haltet ihr stand, so ist der Sieg euer. Wisset, Tapferkeit ist nichts als Ausdauer, und nichts ist so eng, das Gott nicht auf irgend eine Weise weit machen kann. Gott segne euch und schaue auf euch mit dem Auge der Barmherzigkeit.« Darauf hatten die Moslems Mut gefaßt, die Unitarier hatten den Kriegsruf erhoben, die Mühle des Kampfes hatte mit Hauen und Stechen gemahlen, Schwert und Speer hatten gearbeitet, Thäler und Gründe waren von Blut überströmt, Priester und Mönche 11 hatten gepredigt, die Gurte geschnürt und die Kreuze hochgehoben, die Moslems aber hatten den vergeltenden König angerufen und den Koran laut recitiert, und die Schar des Barmherzigen war mit der Schar Satans zusammengeprallt, die Köpfe waren von den Leibern geflogen, und die guten Engel waren über dem Volk des ausgewählten Propheten gekreist, das Schwert hatte in seiner Arbeit nicht gefeiert, bis der Tag wich und das Dunkel der Nacht hereinbrach. Die Ungläubigen hatten die Moslems jedoch rings umschlossen und glaubten der schimpflichen Tortur zu entrinnen, und die Polytheisten gierten nach dem Volke des Glaubens, bis die Morgenröte dämmerte und es tagte. Da war nun der Großkämmerling mit seinen Streitern in den Sattel gestiegen und hatte seine Hoffnung auf Gottes Beistand gesetzt, worauf sich wieder Heerschar mit Heerschar vermischte, und der Kampf zu Fuß entbrannte; die Köpfe flogen, die Tapfersten standen fest und rückten vor, die Feiglinge kehrten den Rücken und suchten ihr Heil in der Flucht, und der Richter über Tod und Leben richtete und that seinen Spruch, so daß die Degen aus den Sätteln sanken, und die Anger mit Toten bedeckt wurden, bis die Moslems langsam zurückwichen, während die Griechen einige ihrer Zelte eroberten. Schon waren die Moslems zum Rückzug und zur Flucht entschlossen, da erschien mit einem Male Scharrkân mit den Streitern der Moslems und den Bannern der Unitarier auf dem Plan und stürmte sofort wider die Ungläubigen, gefolgt von Dau el-Makân und weiter hinten von dem Wesir Dendân, Bahrâm, dem Emir der Deilamiten, und von Rostem und seinem Bruder Tarkâsch, denen beim Anblick der weichenden Moslems der Verstand fortflog. So wirbelte denn der Staub auf, bis er den Horizont verhüllte; die wahrhaftigen Gläubigen vereinigten sich miteinander, und Scharrkân stieß mit dem Großkämmerling zusammen und dankte ihm für seine Standhaftigkeit, während dieser ihn für seine Hilfe und den Sieg beglückwünschte, und die Moslems nun erfreut und 12 gestärkten Herzens ihre Feinde angriffen und einen echten und rechten heiligen Kampf vor Gott kämpften. Als aber die Ungläubigen die mohammedanischen Banner erblickten und darauf das Bekenntnis des Islams lasen, schrieen sie Ach! und Wehe! riefen die Klosterpatriarchen um Hilfe an, schrieen »Johannes, Maria und das beschmutzte Kreuz!« und ließen die Hände vom Kampf feiern. Der König Afrīdûn aber suchte den König von Rûm auf, deren jeder einen Flügel befehligte, während ein berühmter Ritter, Namens Lâwijā, in der Mitte hielt; dann reiheten sie sich wieder zum Gefecht auf, obwohl sie von Zagen und Zittern befallen waren. Desgleichen stellten sich nun auch die Moslems in Schlachtreihe auf, und Scharrkân begab sich zu seinem Bruder Dau el-Makân und sagte zu ihm: »O König der Zeit, es ist kein Zweifel, sie wollen Mann wider Mann fechten, was mein höchster Wunsch wäre. Doch möchte ich die beherztesten Streiter in die erste Reihe stellen, da Klugheit das halbe Leben ist.« Darauf fragte ihn der Sultan: »Was begehrst du, du guter Berater?« Scharrkân antwortete: »Ich will im Herzen des Heeres den Ungläubigen gegenüber stehen, der Wesir Dendân soll auf dem linken und du auf dem rechten Flügel halten; der Emir Bahrâm aber soll die äußerste Spitze des rechten, der Emir Rostem die äußerste Spitze des linken Flügels einnehmen, und du, erlauchter König, sollst unter den Bannern und Fahnen halten, dieweil du unsere Säule bist und nächst Gott unser Hort, und wir alle dich vor jeglichem Schaden mit unserem Leben bewahren.«

Dau el-Makân dankte ihm hierfür; gleich darauf erhob er den Schlachtruf, und schon wurden die Klingen geschwungen, als vor dem Heere der Griechen ein einzelner Reiter erschien. Als er nahe zu ihnen herangekommen war, sahen sie, daß er auf einem kurz ausschreitenden Maultier saß, wie wenn es mit seinem Reiter vor dem Schwertergeklirr flöhe, und das eine Schabracke aus weißer Seide und einen Gebetsteppich aus Kaschmir trug. Der Reiter auf seinem Rücken aber 13 war ein hübscher, grauhaariger und würdiger Scheich in einem langen Gewand aus weißer Wolle, welcher das Maultier fortwährend anspornte und mit ihm herangetrabt kam, bis er das Heer der Moslems erreicht hatte und nun rief: »Ich komme zu euch allen als Abgesandter, und, da einem Gesandten nichts anderes obliegt als seine Botschaft zu übermitteln, so gewährt mir Schutz und freie Rede, bis ich meinen Auftrag ausgerichtet habe.« Scharrkân antwortete ihm: »Der Schutz ist dir hiermit gewährt, sei unbesorgt vor Schwerteshieb oder Lanzenstoß.« Hierauf stieg der Scheich ab, nahm sein Kreuz vom Halse, legte es vor den Sultan nieder und bezeugte ihm seine tiefste Unterwürfigkeit. Als ihn nun die Moslems nach seinem Auftrage fragten, sagte er: »Ich komme als Abgesandter vom König Afrīdûn, welchem ich den Rat erteilte von der Zerstörung dieser Menschengebilde und Tempel des Barmherzigen abzulassen, und bedeutete, das Richtige wäre dem Blutvergießen ein Ende zu machen und dasselbe auf zweier Ritter Kampf zu beschränken. Er hieß diesen Rat gut und läßt euch nun sagen: Ich will mein Heer mit meinem Leben lösen, darum thue der König der Moslems ein gleiches und löse sein Heer mit seinem Leben aus. Tötet er mich, so verliert das Heer der Ungläubigen allen Halt, und umgekehrt verliert das Heer der Gläubigen allen Halt, wenn ich ihren König fälle.«

Als Scharrkân seine Botschaft vernahm, sagte er: Mönch, wir willigen ein, denn so ist's recht und billig, und soll keine Widerrede dagegen sein. Ich selber will wider ihn zum Zweikampf auf den Plan treten, denn ich bin der Ritter der Moslems, und er ist der Ritter der Ungläubigen. Hat er mich getötet, so hat er den Sieg gewonnen, und dem Heere der Moslems bleibt kein anderes Heil als die Flucht; kehre, o Mönch, daher zu ihm zurück und sprich zu ihm: »Morgen soll der Zweikampf sein, da wir soeben erst nach langem Ritt eingetroffen und heute ermüdet sind. Nach der Ruhe aber weder Scheltworte noch Tadel!« 14

Erfreut kehrte der Mönch mit diesem Auftrag zu den Königen Afrīdûn von Konstantinopel und Hardûb von Rûm zurück und überbrachte ihnen denselben, worauf der König Afrīdûn sich über die Maßen freute und, ledig von Sorge und Kummer, bei sich sprach: »Kein Zweifel, dieser Scharrkân ist ihr wackerster Haudegen und Lanzenstecher; hab' ich ihn gefällt, so ist ihr Mut gebrochen und ihre Kraft dahin.« Es hatte ihm nämlich Zât ed-Dawâhī von Scharrkân geschrieben und ihm mitgeteilt, daß er der Ritter aller Tapfern und der Tapferste aller Ritter wäre, und hatte ihn vor Scharrkân gewarnt. Aber der König Afrīdûn war ebenfalls ein ausgezeichneter Ritter, der mit verschiedenen Kampfesarten vertraut war, und ebenso geschickt war im Stein- und Speerwurf als in der Handhabung der Eisenkeule, und vor dem stärksten Gegner unbesorgt war. Als er daher von dem Mönch vernahm, daß Scharrkân in den Zweikampf einwilligte, flog er in seiner mächtigen Freude beinahe in die Höhe, da er feste Zuversicht zu sich hatte und wußte, daß ihm keiner gewachsen war.

In lauter Lust und Fröhlichkeit und Zechgelagen verbrachten nun die Ungläubigen die Nacht. Als aber der Morgen anbrach, kamen die Ritter mit den braunen Lanzen und weißen Klingen heran, und unter ihnen trabte ein Reiter auf edelstem Renner in voller Kampfesrüstung auf den Plan, mit mächtigen Schenkeln, starrend in eisernem Panzer, auf der Brust einen Edelstein gleich einem Spiegel, in der Hand ein scharfes Schwert und einen Speer aus Chalandschholz im Gewicht eines Centners, ein merkwürdiges Stück fränkischer Arbeit. Nun entblößte der Ritter sein Angesicht und rief: »Wer mich kennt, der hat genug von mir, wer mich aber nicht kennt, der wird mich schauen, ich bin Afrīdûn, der bedeckt ist von dem Segen der Schawâhī, die da heißt Zât ed-Dawâhī.« Noch aber hatte er seine Worte nicht beendet, da ritt Scharrkân, der Ritter der Moslems ihm auf einem Fuchs entgegen, der tausend von rotem Golde wert 15 war; er trug eine mit Perlen und Edelsteinen besetzte Rüstung und war mit einem edelsteinbesetzten indischen Schwert umgürtet, das die Köpfe heruntersäbelte und das Schwere leicht machte.

Als er nun mit seinem Roß zwischen die beiden Schlachtreihen gesetzt war, und alle die Streiter ihn erblickten, rief ihm Afrīdûn entgegen: »Wehe dir, Verruchter, glaubst du etwa, ich sei wie irgend ein Ritter, auf den du stößest, und der dir auf dem weiten Plan nicht stand zu halten vermag?« Hierauf griff jeder seinen Gegner an, und die beiden glichen zwei aufeinanderprallenden Bergen oder zwei zusammenwogenden Meeren, und sprengten bald aufeinander zu, bald wichen sie zurück, bald hingen sie zusammen, bald wieder trennten sie sich, und kämpften ohne Unterlaß, bald zurückweichend und fliehend, bald spielend, bald in vollem Ernst, bald hauend, bald stechend, während die beiden Heere ihnen zuschauten und die einen sagten: »Scharrkân wird siegen,« die anderen aber: »Nein, Afrīdûn wird siegen.« So kämpften die beiden Ritter in einem fort unter eitlem Rufen von hüben und drüben, bis der Staub aufstieg, der Tag sich neigte und die Sonne sank und gelb wurde. Da rief der König Afrīdûn Scharrkân zu: »Beim Messias und dem wahrhaftigen Glauben, du bist ein kühner Ritter und ein kampfgemuter Degen, doch bist du leider falsch, und dein Charakter ist nicht edel. Dein Thun ist nicht rühmlich, und deine Fechtart nicht die eines Fürsten. Dein Volk behandelt dich wie einen Sklaven, denn schau, da bringen sie dir ein anderes Pferd, daß du auf ihm in den Kampf zurückkehren kannst. während ich, bei meinem Glauben, durch den Kampf mit dir ermüdet bin, und dein Hauen und Stechen mich ermattet hat. Willst du heute Abend noch weiter mit mir kämpfen, so tausche weder etwas von deiner Rüstung noch dein Roß um, daß allen Rittern deine Hochherzigkeit und deine Kampfeskunst offenbar wird.«

Als Scharrkân diese Worte vernahm, ergrimmte er über 16 seine Gefährten, daß sie ihn wie einen Sklaven behandelten, und wendete sich um, um ihnen durch ein Zeichen zu verbieten ihm weder ein frisches Roß noch andere Waffen zu bringen. In demselben Augenblick aber schüttelte Afrīdûn seinen Speer und entsandte ihn wider Scharrkân, welcher, sobald er sich umgewendet und niemand gesehen hatte, erkannte, daß dies eine List des Verruchten gewesen war. Schnell sich umwendend und auch schon den Speer heransausen sehend, bog er sich so tief zur Seite, daß sein Kopf sich bis zum Sattelbogen neigte, und der Speer ihm nur, da er eine hohe Brust hatte, die Haut derselben zerschnitt. Mit einem lauten Aufschrei sank er in Ohnmacht, der verruchte Afrīdûn aber freute sich, da er hieraus schloß, daß er ihn getötet hätte, und rief den Ungläubigen zu sich des Sieges zu freuen. Da ging ein lautes Branden und Toben durch das Volk der Rebellion, während das Volk des Glaubens weinte. Als aber Dau el-Makân seinen Bruder auf dem Rosse wanken sah, daß er fast zu Boden fiel, schickte er ihm die Ritter entgegen, und die Degen sprengten um die Wette zu ihm und leiteten ihn zu Dau el-Makân, während die Ungläubigen die Gläubigen angriffen, die beiden Heere aufeinander stießen, die beiden Schlachtreihen sich miteinander vermischten und der JemenitDer Stahl aus Jemen. sein Werk that.

Hundertunddritte Nacht.

Zuerst von allen Rittern hatten der Wesir Dendân, Bahrâm, der Emir der Türken, und der Emir der Deilamiten Scharrkân erreicht und führten ihn, indem sie den Schwankenden stützten, zu seinem Bruder Dau el-Makân. Dann übergaben sie ihn den Pagen und kehrten zum Hauen und Stechen zurück, in dessen wachsendem Toben die Waffen sprangen, die Rufe hinüber und herüber flogen, und man nichts weiter sah als Ströme von Blut und gekrümmten 17 Nacken, und das Schwert arbeitete in einem fort auf denselben, und der Streit tobte immer wilder, bis der größte Teil der Nacht vorüber war, und die beiden Scharen des Gemetzels müde wurden. Jetzt verkündeten die Herolde Gefechtsstillstand, und jedes Heer zog sich in sein Lager zurück. Die Ungläubigen aber begaben sich zu ihrem König Afrīdûn und küßten die Erde vor ihm, und die Priester und Mönche beglückwünschten ihn zu seinem Siege über Scharrkân. Alsdann zog der König Afrīdûn in Konstantinopel ein und setzte sich auf den Thron seines Reiches, worauf der König von Rûm bei ihm eintrat und zu ihm sprach: »Der Messias stärke deinen Arm und sei dein Helfer immerdar und erhöre die Gebete, die meine fromme Mutter Zât ed-Dawâhī an ihn richten wird. Wisse, die Moslems können jetzt nach Scharrkâns Tod uns nicht mehr standhalten.« Afrīdûn erwiderte ihm: »Morgen wird die Entscheidung kommen, wenn ich ins Feld gezogen bin und Dau el-Makân gefordert und getötet haben werde, da dann ihr Heer den Rücken kehren und das Heil in der Flucht suchen wird.«

Soviel, was die Ungläubigen anlangt; was nun aber das Heer des Islams anbetrifft, so hatte Dau el-Makân nach seiner Rückkehr ins Lager nichts eiligeres zu thun als seinen Bruder aufzusuchen, den er in übelstem Zustand und schlimmster Lage vorfand, so daß er den Wesir Dendân und Rostem und Bahrâm zur Beratung rufen ließ, welche sich dahin entschieden, die Ärzte zu seiner Behandlung kommen zu lassen. Weinend klagten sie: »Einen Helden wie ihn schenkt die Zeit nicht mehr,« und wachten die Nacht über bei ihm. Gegen Ende der Nacht kam der Asket weinend zu ihnen. Sobald ihn Dau el-Makân erblickte, erhob er sich vor ihm; er aber streichelte seinen Bruder, recitierte etwas aus dem Koran und sprach als Talisman die Verse des Barmherzigen über ihn. Dann verbrachte er die ganze Nacht bis zum Morgen wachend, bis Scharrkân aus seiner Ohnmacht zu sich kam, die Augen öffnete, die Zunge im Munde 18 bewegte und einige Worte sprach. Da sagte der Sultan Dau el-Makân erfreut: »Der Segen des Asketen hat sich an ihm erfüllt.« Scharrkân aber sprach: »Lob sei Gott für meine Genesung, ich fühle mich jetzt ganz wohl. Jener Verruchte hatte mich überlistet, und der Speer hätte meine Brust durchbohrt, wenn ich mich nicht schneller als der Blitz zur Seite gebogen hätte. Doch, Lob sei Gott, der mich errettet hat! Wie aber steht's mit den Moslems?« Dau el-Makân antwortete ihm: »Sie weinen um deinetwillen.« Da sagte Scharrkân: »Ich bin wohl und gesund, wo aber ist der Asket?« Dau el-Makân erwiderte: »Er sitzt dir zu Häupten. Da wendete sich Scharrkân zu ihm um und küßte ihm die Hände. Der Asket aber sagte zu ihm: »Mein Sohn, sei unverzagt, Gott wird deinen Lohn erhöhen, denn je nach der Arbeit wird der Lohn bemessen.« Scharrkân entgegnete: »Bete für mich,« worauf der Asket für ihn betete.

Als es nun Tag ward, und die Morgenröte aufleuchtete und es hell ward, zogen die Gläubigen wieder auf das Schlachtfeld, und die Ungläubigen rüsteten sich zum Hauen und Stechen. Dau el-Makân hätte sich gern mit dem König Afrīdûn im Zweikampf gemessen und ritt deshalb auf den Plan, begleitet von dem Wesir Dendân, dem Kämmerling und Bahrâm, welche zu ihm sagten: »Wir wollen dein Lösegeld sein.« Dau el-Makân aber erwiderte ihnen: »Bei dem heiligen Haus zu Mekka, dem Brunnen Semsem und der Stätte Abrahams, ich lasse mich nicht von diesen Renegaten abhalten!« Sobald er dann auf dem Plan angelangt war, spielte er mit Schwert und Speer, daß die Ritter verblüfft wurden, und beide Heere erstaunten. Mit einem Satz zur Rechten erschlug er zwei Bitrîken, mit einem andern zur Linken streckte er ebenfalls zwei Bitrîken nieder und rief mitten auf dem Plan: »Wo ist Afrīdûn, daß ich ihm die Strafe der Demütigung zu kosten gebe?« Als der verruchte Afrīdûn diese Worte vernahm, wollte er auf ihn lossprengen, der König Hardûb aber beschwor ihn und sprach: »O König der 19 Zeit, gestern hast du mit Scharrkân gefochten, darum laß mich heute den König Dau el-Makân bestehen, ich bin ohne Sorge wegen seiner Tapferkeit.« Darauf sprengte er gegen Dau el-Makân vor, und dieser setzte ebenfalls auf feurigem Rappen gegen ihn, als wäre er AntarAntar, ein gefeierter Held, dessen Thaten in einem umfangreichen Heldenbuch erzählt werden. am Tage der Walstatt. Gleich darauf griff jeder seinen Gegner an, sorgsam sich vor den Hieben deckend, und zeigte seine wunderbare Kraft und Geschicklichkeit, bald kühn anrennend, bald wieder zurückweichend, bis die Brüste beklommen wurden, und alle ungeduldig den Ausgang erwarteten. Mit einem Mal sprengte Dau el-Makân mit einem lauten Schrei auf den König Hardûb los und versetzte ihm einen Streich, der ihm den Kopf vom Leibe holte und seinen Odem durchschnitt. Als die Ungläubigen dies sahen, stürzten sie sich alle zusammen auf ihn, er aber empfing sie auf dem weiten Plan und teilte Hieb um Hieb und Stoß um Stoß aus, bis das Blut in Strömen lief; und nun schrieen auch die Moslems: »Allāh Akbar! Es giebt keinen Gott außer Gott! Gott segne den Verkünder, den Strafprediger!« und stritten einen heißen Kampf, in welchem Gott den Sieg auf die Gläubigen herabsandte und die Ungläubigen zu Schanden machte. Mit dem Schrei: »Nehmt Rache für den König Omar en-Noomân! Nehmt Rache für seinen Sohn Scharrkân!« entblößte der Wesir Dendân sein Haupt und rief den Türken zu, die an seiner Seite mehr als zwanzigtausend Reiter stark fochten, und nun alle zusammen mit ihm auf einmal angriffen, so daß die Ungläubigen ihr einziges Heil in der Flucht sahen und die Rücken kehrten, während die scharfen Klingen dieselben bearbeiteten. Gegen fünfzigtausend Reiter wurden von ihnen erschlagen, noch mehr wurden gefangen genommen, und eine große Menge wurde noch in dem Gedränge bei dem Thore niedergemacht. Dann verriegelten sie das Thor und stiegen auf die Wälle, während die Moslems gestärkt 20 und siegreich in ihre Zelte zurückkehrten. Hier besuchte Dau el-Makân seinen Bruder, den er in höchster Freude antraf, so daß er sich dankend vor dem Allgütigen, Erhabenen niederwarf. Dann trat er an ihn heran und beglückwünschte ihn zu seiner Genesung, Scharrkân aber sagte zu ihm: »Wir alle stehen unter dem Segen dieses Asketen und Büßers, denn nur dadurch, daß seine Gebete erhört wurden, habt ihr gesiegt. Den ganzen Tag über hat er zu Gott für den Sieg der Moslems gefleht.«

Hundertundvierte Nacht.

»Als ich dann euer Feldgeschrei »Allāh Akbar!« hörte, verspürte ich frische Kraft in mir, und ich wußte, daß ihr über eure Feinde gesiegt hattet. Erzähl' mir nun, mein Bruder, was vorgefallen ist.« Da erzählte er ihm alles, was ihm mit dem verruchten Hardûb zugestoßen war, und berichtete ihm, daß er ihn getötet hätte. Scharrkân lobte ihn und dankte ihm für seinen Eifer; als aber Zât ed-Dawâhī in ihrer Asketenverkleidung von dem Tode ihres Sohnes Hardûb vernahm, wurde sie gelb, und die Augen strömten ihr von Thränen über, doch verbarg sie ihr Weh und stellte sich vor den Moslems als ob sie Freudenthränen weinte. Im Innern aber sprach sie: »Beim Messias, mein Leben hat keinen Nutzen mehr, wenn ich ihm nicht das Herz in seinem Bruder Scharrkân verbrenne, wie er mein Herz in der Säule des nazarenischen Glaubens und der Kreuzesheerschar verbrannt hat.« Doch verbarg sie dieses bei sich.

Der Wesir Dendân, der König Dau el-Makân und der Kämmerling blieben die Nacht über bei Scharrkân und verbanden ihn, gossen ihm Öl in die Wunde und reichten ihm die Medizin, bis Scharrkân zu ihrer großen Freude sich erholte, worauf sie seine Genesung den Truppen ankündigen ließen, und die Moslems einander die Freudenbotschaft mitteilten und sagten: »Morgen wird er mit uns aufsitzen und die Belagerung selber in die Hand nehmen.« Scharrkân 21 aber sagte zu ihnen: »Ihr habt heute gestritten und seid vom Kampf ermüdet. Ihr müßt daher in eure Zelte und euch ausruhen anstatt die Nacht über zu wachen.« Da gehorchten sie seinen Worten, und ein jeder von ihnen begab sich nach seinem Pavillon, so daß nur einige Diener und die alte Zât ed-Dawâhī bei ihm blieben. Nachdem er mit derselben noch eine kurze Zeit von der Nacht verplaudert hatte, legte er sich auf die Seite, um zu schlafen. Die Diener folgten seinem Beispiele, und bald darauf waren sie eingeschlafen und lagen gleich Toten da.

Soviel, was Scharrkân und die Diener anlangt; was aber die alte Zât ed-Dawâhī anbetrifft, so war dieselbe allein im Zelte wach geblieben; wie sie nun nach Scharrkân schaute und ihn in Schlaf versunken daliegen sah, sprang sie wie eine unbehaarte Bärin oder eine gefleckte Viper auf die Füße, zog aus ihrem Busen einen Dolch hervor, der so stark vergiftet war, daß er einen Felsen hätte schmelzen können, wenn man ihn darauf gelegt hätte, zog ihn dann aus seiner Scheide, trat zu Scharrkâns Häupten und trennte ihm mit einem Schnitt den Kopf vom Rumpf. Dann sprang sie von neuem auf die Füße, trat zu den schlafenden Dienern hin und schnitt ihnen, damit sie nicht wach würden, die Köpfe ab. Hierauf verließ sie das Zelt und ging zum Lager des Sultans, dessen Wächter sie jedoch wach antraf, so daß sie deshalb weiter zum Zelt des Wesirs Dendân ging, welchen sie den Koran lesend antraf. Sobald sein Blick auf den Heiligen fiel, sagte er: »Willkommen, frommer Asket.« Zât ed-Dawâhīs Herz aber erbebte bei diesen Worten des Wesirs, und sie erwiderte auf seinen Gruß: »Der Grund, weshalb ich zu dir komme ist der, daß ich den Ruf eines der Heiligen Gottes vernommen habe und nun zu ihm gehen will.« Hierauf wendete sie den Rücken, der Wesir Dendân aber sprach bei sich: »Bei Gott, ich will diesem Asketen in der Nacht folgen.« Darauf erhob er sich und ging ihr nach. Als die Verruchte jedoch Schritte hinter sich hörte, wußte sie, 22 daß es der Wesir Dendân war, und sprach, um die Entdeckung ihres Verbrechens besorgt, bei sich: »Wenn ich ihn nicht überliste, so komme ich zu Schimpf und Schanden.« Darauf wendete sie sich zu ihm um und rief ihm von fern zu: »Wesir, ich ziehe dem Heiligen nach, daß ich ihn kennen lerne, und will ihn, sobald ich weiß, wer er ist, um Erlaubnis bitten, daß auch du ihn besuchen kannst. Ich werde alsdann zu dir kommen und es dir mitteilen; jetzt aber fürchte ich deine Begleitung. da der Heilige sich vor mir verbergen könnte, wenn er dich ohne seine Erlaubnis bei mir sieht.«

Als der Wesir ihre Worte vernahm, schämte er sich ihr darauf zu antworten und ließ sie gehen, indem er wieder in sein Zelt zurückkehrte. Da er jedoch keinen Schlaf finden konnte, und es ihm vorkam, als hätte sich die ganze Welt auf ihn gelegt, stand er wieder auf und verließ sein Zelt, indem er bei sich sprach: »Ich will zu Scharrkân gehen und mit ihm bis zum Morgen plaudern.« Als er nun Scharrkâns Zelt betrat, und das Blut in Strömen laufen und die Diener mit abgeschnittenen Kehlen daliegen sah, stieß er einen lauten Schrei aus, daß alle Schläfer davon aufgeschreckt wurden, und alles Volk zu ihm stürzte. Beim Anblick des strömenden Blutes weinten und wehklagten sie laut, so daß der Sultan Dau el-Makân davon erwachte und fragte, was es gäbe. Sobald er vernahm, daß Scharrkân samt seinen Dienern ermordet wäre, erhob er sich und eilte nach dem Zelt seines Bruders, wo er beim Anblick des jammernden Wesirs Dendân und des kopflosen Leibes seines Bruders Scharrkân in Ohnmacht sank, während alle Truppen schreiend und weinend Dau el-Makân umstanden, bis er nach einiger Zeit wieder zu sich kam und beim Anblick seines Bruders laut weinte. Gleich ihm weinten der Wesir Dendân und Rostem und Bahrâm, der Kämmerling aber schrie und klagte noch lauter über den Toten und verlangte in seinem großen Schrecken mit Sack und Pack fortzuziehen. 23

Als nun der König fragte: »Wisset ihr nicht, wer diesen Mord an meinem Bruder vollführt hat, und warum sehe ich nicht den Asketen, welcher der irdischen Dinge entsagt hat?« antwortete der Wesir Dendân: »Wer anders als dieser Satan von Asket hat all diesen Kummer angestiftet! Bei Gott, mein Herz floh vor ihm vom ersten bis zum letzten Augenblick, weil ich weiß, daß jeder Frömmler voll Ruchlosigkeit und Falsch ist.« Hierauf brach alles Volk von neuem in Weinen und Wehklagen aus und betete demütig zu Gott, dem allzeit Nahen, dem Erhörer, daß er den Asketen, der die Wunder Gottes verleugnete, in ihre Hände fallen ließe. Alsdann rüsteten sie Scharrkâns Leichenbegängnis zu, begruben ihn in dem erwähnten Berge und betrauerten all seine gefeierten Tugenden.

Hundertundfünfte Nacht.

[Nach der Kalkuttaer Ausgabe.Hierauf zogen sie wieder vor das Stadtthor, doch wurde es weder geöffnet noch sahen sie irgend jemandes Spur auf den Wällen, so daß sie sich aufs äußerste verwunderten. Der König Dau el-Makân aber sagte: »Bei Gott, ich ziehe nicht fort von hier und müßte ich lange Jahre hier sitzen, bis ich meinen Bruder Scharrkân gerächt, Konstantinopel verwüstet und die Nazarenerkönige erschlagen habe, ja, sollte mich auch der Tod hier erreichen, daß ich vor der vergänglichen Welt die Ruhe finde.« Dann befahl er die Schätze zu bringen, welche sie in der Einsiedelei des Matrûhinā erbeutet hatten, und verteilte unter die versammelten Truppen die Schätze, so daß niemand übrig blieb, der nicht genug geschenkt bekommen hätte. Hierauf ließ er von jeder Schar dreihundert Reiter vor sich kommen und sprach zu ihnen: »Schickt euern Familien Geld, weil ich vor dieser Stadt lange Jahre liegen will, bis ich meinen Bruder Scharrkân gerächt habe, und sollte ich auch hierselbst sterben.« Als die 24 Truppen diese Worte vernommen hatten, nahmen sie die Schätze, die er ihnen geschenkt hatte, und sprachen: »Wir hören und gehorchen.« Alsdann ließ Dau el-Makân Kuriere vor sich kommen, übergab ihnen Briefe und legte ihnen ans Herz dieselben zugleich mit dem Gelde den Familien der Kriegsleute zuzustellen und ihnen mitzuteilen, daß sie gesund und guter Dinge seien und Konstantinopel so lange belagern wollten, bis sie es erobert und verwüstet hätten oder gestorben wären, denn nur nach der Eroberung Konstantinopels, und sollte es auch Monate und Jahre währen, würden sie abziehen und heimkehren. Weiter befahl er dann dem Wesir Dendân einen Brief an seine Schwester Nushet es-Samân zu schreiben und sprach zu ihm: »Teile ihr mit, wie es uns ergangen ist, und wie wir uns jetzt befinden, und leg' ihr die Sorge für mein Kind ans Herz, denn damals, als wir von Bagdad fortzogen, war meine Frau der Entbindung nahe und muß jetzt geboren haben. Ist sie aber mit einem Knaben beschenkt, wie ich es vernahm, so eile dich zurückzukommen und bringe mir Nachricht.« Nachdem er ihnen dann noch etwas Geld geschenkt hatte, machten sie sich zur selbigen Zeit und Stunde auf den Weg, und das Volk zog hinaus, um von ihnen Abschied zu nehmen und ihnen ihr Geld anzuvertrauen. Nach ihrer Abreise befahl der König dem Wesir Dendân das Kriegsvolk nahe an die Wälle rücken zu lassen, doch fanden sie trotzdem niemand auf denselben, so daß sie sich hierüber verwunderten, und der König sich hierüber bekümmerte und sich zugleich über den Verlust seines Bruders grämte und durch den Verrat des Asketen ganz niedergeschlagen war. Drei Tage lagen sie so vor der Stadt, ohne daß sie jemand bemerkt hätten. Soviel über die Moslems; was aber die Griechen anlangt, so lag die Ursache davon, daß sie diese drei Tage lang den Kampf mieden, darin, daß Zât ed-Dawâhī nach Scharrkâns Ermordung zu den Wällen gelaufen war und den Wächtern in griechischer Sprache zugerufen hatte ihr einen Strick herunterzulassen. 25 Auf ihre Frage: »Wer bist du?« hatte sie geantwortet: »Ich bin Zât ed-Dawâhī,« worauf sie sie erkannten, ihr den Strick herunterließen und sie, nachdem sie sich daran festgebunden hatte, nach oben zogen. Sobald sie dort angelangt war, begab sie sich zum König Afrīdûn und fragte ihn: »Was ist's mit dem, was ich von den Moslems hörte, daß mein Sohn Hardûb gefallen ist?« Als er es bejahte, schrie sie laut auf und weinte, bis sie den König Afrīdûn und seine ganze Umgebung ebenfalls zu Thränen gerührt hatte. Dann teilte sie dem König Afrīdûn mit, daß sie Scharrkân samt dreißig Dienern die Kehle abgeschnitten hätte, worauf Afrīdûn ihr erfreut dankte, ihr die Hände küßte und ihr Trost über den Verlust ihres Sohnes zusprach. Sie aber erklärte: »Beim Messias, ich gebe mich nicht zufrieden mit der Ermordung eines moslemischen Hundes für den Tod eines der Könige der Zeit, ich muß einen Plan ersinnen und eine List aushecken, durch die ich den Sultan Dau el-Makân, den Wesir Dendân, den Kämmerling, Rostem, Bahrâm und zehntausend moslemische Ritter erschlage; nimmermehr soll meines Sohnes Haupt allein für Scharrkâns Haupt weggegangen sein.« Dann sagte sie zum König Afrīdûn: »Wisse, o König der Zeit, ich möchte für meinen Sohn eine Trauer abhalten und meinen Gürtel zerschneiden und die Kreuze brechen.« Afrīdûn erwiderte ihr: »Thu', wie du willst, ich bin dir in keiner Sache entgegen; wolltest du aber deine Trauer auf eine lange Zeit ausdehnen, so würde das auch nur wenig sein, denn, mögen die Moslems uns auch Jahre und Jahre belagern, sie würden ihre Absicht doch nicht erreichen und nichts als Mühsal und Verdruß einheimsen.«]

Nachdem nun die Verruchte ihr Unheil bewerkstelligt und den Schimpf, den sie in ihrer Seele geplant hatte, ausgeführt hatte, nahm sie Schreibzeug und Papier und schrieb folgendes: »Von Schawâhī, genannt Zât ed-Dawâhī, an die wohlgeborenen Moslems. Wisset, ich kam in euer Land, wo ich euere Edeln durch meine Verschlagenheit betrog und 26 zum ersten euern König Omar en-Noomân mitten in seinem Palast umbrachte; weiter brachte ich in dem Gefecht im Engpaß und bei der Höhle viel Volks um, und zuletzt fiel durch meine List, meine Durchtriebenheit und meinen Falsch Scharrkân samt seinen Dienern. Hätte aber die Zeit mir geholfen, und wäre mir Satan gefolgt, so hätte ich auch den Sultan und den Wesir Dendân umgebracht. Denn ich war's, die zu euch in der Asketenverkleidung kam und euch in meinen Listen und Schlichen fing. Wollt ihr nun aber heil davonkommen, so ziehet von dannen, wollt ihr jedoch euern Untergang, so bleibet auch ferner hier. Mögt ihr aber auch Jahre und Jahrhunderte hier liegen bleiben, ihr werdet doch nimmer euer Ziel erreichen.«

Nachdem sie diesen Brief geschrieben hatte, trauerte sie drei Tage lang um ihren Sohn, den König Hardûb; am vierten Tage rief sie dann einen Bitrîken und befahl ihm, das Blatt auf einen Pfeil zu stecken und ihn zu den Gläubigen hiuüberzuschießen. Hierauf begab sie sich in die Kirche, klagte und weinte über ihren Sohn und sagte zum König Afrīdûn: »Ich muß Dau el-Makân samt allen Emiren des Islams umbringen.«

Soviel von Zât ed-Dawâhī; was nun aber die Moslems anlangt, so saßen dieselben drei Tage lang trauernd und bekümmert da. Als sie dann am vierten Tage nach den Mauern hinschauten, erblickten sie mit einem Male einen Bitrîken mit einem Pfeile, an welchen ein Brief gesteckt war, und warteten nun so lange, bis er denselben zu ihnen geschossen hatte, worauf der Sultan dem Wesir Dendân befahl ihn zu lesen. Nachdem er denselben gelesen und seinen Inhalt vernommen und den Sinn verstanden hatte, schwammen ihm die Augen in Thränen; laut aufschreiend vor Schmerz über ihre Tücke, klagte er: »Bei Gott, mein Herz floh vor ihr.« Der Sultan aber rief: »Wie konnte diese gemeine alte Vettel uns nur zweimal überlisten! Aber, bei Gott, ich will nicht eher von hier fortziehen, bis ich ihren 27 Rachen mit geschmolzenem Blei vollgegossen und sie wie einen Vogel in einen Käfig gesperrt habe. Hernach will ich sie mit ihren Haaren festbinden und an das Thor von Konstantinopel schlagen lassen.« Nach diesen Worten gedachte er wieder seines Bruders und weinte laut. Die Ungläubigen aber freuten sich über die Ermordung Scharrkâns und Zât ed-Dawâhīs glückliches Entrinnen.

Bald darauf lagerten sich die Moslems wieder vor den Thoren Konstantinopels, und der Sultan versprach ihnen nach der Eroberung der Stadt ihre Schätze unter ihnen zu gleichen Teilen verteilen zu wollen, wobei ihm die Augen aus Kummer über seinen Bruder fortwährend überliefen und sein Leib sich verzehrte, bis daß er dünn wie ein Zahnstocher geworden war. Infolgedessen besuchte ihn eines Tages der Wesir Dendân und sagte zu ihm: »Sei guten Mutes und kühlen Auges, dein Bruder mußte sterben, weil seine Stunde abgelaufen war. Solch Trauern hat gar keinen Nutzen, und herrlich spricht der Dichter:

Was nicht geschehen soll, bringt keine List zu Wege,
Und, was geschehen soll, das muß geschehen.
Ja, was geschehen soll, geschieht zu seiner Zeit,
Und nur ein Narr sitzt da geprellt.

Laß darum das Weinen und Klagen um den Toten, und stärke dein Herz zum Waffentragen.« Dau el-Makân erwiderte ihm auf diese Worte: »Wesir, mein Herz ist bekümmert um den Tod meines Vaters und meines Bruders und um unserer Abwesenheit von unserem Lande willen, denn meine Gedanken sind voll Unruhe wegen meiner Unterthanen.« Da weinte der Wesir samt allen Anwesenden.

Nach diesen Ereignissen hatten sie geraume Zeit Konstantinopel belagert, als sie eines Tages durch einen Emir von Bagdad Nachricht erhielten, daß die Gattin des Königs Dau el-Makân mit einem Knäblein beschenkt wäre, und daß ihm des Königs Schwester Nushet es-Samân den Namen 28 Kân-mā-kânWas geschehen ist, das ist geschehen. gegeben hätte; der Knabe würde aber sicherlich nach all dem Wunderbaren und Merkwürdigen, das sie bereits an ihm gesehen hätten, hochberühmt werden. Dann hätte sie auch den Ulemā und den Predigern befohlen für den Sultan und das Heer von den Kanzeln zu beten, daß es ihnen im übrigen allen gut erginge, daß sie reichlichen Regen gehabt hätten, und daß des Sultans Freund, der Heizer, in Hülle und Fülle, von Eunuchen und Pagen bedient, vergnüglich lebte, nur wüßte er bis jetzt noch nicht, was aus dir geworden wäre. Dau el-Makân erwiderte dem Emir auf seinen Bericht hin: »Jetzt, nachdem mir ein Sohn, des Name Kân-mā-kân ist, geschenkt worden, ist mein Rücken stark geworden.«

Hundertundsechste Nacht.

Hierauf sagte er zum Wesir Dendân: »Ich will jetzt mein Trauern lassen und für meinen Bruder Koranverlesungen veranstalten lassen und fromme Stiftungen machen.« Der Wesir antwortete ihm: »Dein Vorhaben ist sehr schön.« Alsdann erteilte er Befehl, die Zelte beim Grab seines Bruders aufzuschlagen und ließ aus dem Heere diejenigen, welche den Koran lesen konnten, aussuchen. Während nun die einen den Koran verlasen, priesen die andern Gott bis zum Morgen, worauf der Sultan Dau el-Makân an das Grab seines Bruders Scharrkân trat und unter Thränen die Verse sprach:

Sie trugen ihn hinaus, und alle folgten ihm weinend
Mit Mosesgeschrei wie am Tag, da der Tûr geschütteltVergl. Sure 2. Nach einer jüdischen Sage hat Gott den Berg Sinai über die Häupter der Israeliten erhoben und gesagt: Wenn ihr das Gesetz annehmt so ist's gut, wenn nicht, so sei hier euer Grab. wurde,
Bis sie die Grube erreichten, doch war seine wahre Gruft gegraben
In die Herzen aller, die den einigen Gott bekennen.
Vor deinem Leichenzug hätte ich nimmer geglaubt
Meine Freude getragen von Männerhand fortziehen zu sehen, 29
Nimmer auch glaubt' ich vor deiner Bestattung im Staube,
Daß die leuchtenden Sterne in dunkler Erde versänken.
Ist der Bewohner der Gruft ein Pfand für eine Stätte,
In welcher Licht und Glanz sich über sein Antlitz ergießen?
Der Ruhm hat gelobt ihn wieder lebendig zu machen,
Denn seit er eingewickelt ruht, tönt sein Name in aller Welt.«

Als Dau el-Makân sein Lied gesprochen hatte, weinte er, und alles Volk weinte mit ihm; dann trat der Wesir Dendân an das Grab, warf sich in heißem Weh darüber und sprach die Verse des Dichters:

»Das Vergängliche hast du verlassen und hast das Unvergängliche erreicht,
So wie du thaten Völker und Völker vor dir;
Geschieden bist du von dieser Wohnung ohne Tadel und Fehl
Und wirst nun an reicherem Glück dich erfreuen.
Vor den Feinden warst du unser Hort in der Schlacht,
Wenn die Pfeile in sausendem Flug uns bedräuten.
Die irdische Welt ist voll Falsch und ist eitel
Und nichts frommt als das Streben nach Gott, der ewigen Wahrheit.«

Als der Wesir die Verse gesprochen hatte, weinte er laut, und die Thränen entströmten seinen Augen wie Perlenschnüre. Dann trat einer der Tischgenossen Scharrkâns vor, zählte unter strömenden Thränen die edeln Tugenden Scharrkâns her und sprach zu seinem Ruhme ebenfalls eine Reihe von Versen, wobei Dau el-Makân und der Wesir weinte, und das Heer in lautes Klagen ausbrach. Alsdann kehrten sie wieder ins Lager zurück, wo der Sultan sich mit dem Wesir Dendân in betreff des Kampfes Tage und Nächte beriet, wobei der Sultan Dau el-Makân sich fortwährend grämte und bekümmerte, bis er eines Tages zum Wesir Dendân sagte: »Ich möchte Geschichten hören, Erzählungen von Königen, oder von Liebenden, die in den Fesseln der Liebe schmachten; vielleicht erleichtert Gott hierdurch mein Herz von seiner schweren Sorge, und hören meine Thränen auf zu fließen.« Da erwiderte ihm der Wesir: »Wenn deine Sorgen allein durch Abenteuer von Königen und alten Liebesmären und dergleichen zerstreut werden können, so läßt sich das leicht machen, 30 da ich zu Lebzeiten deines seligen Vaters kein anderes Geschäft hatte, als Geschichten zu erzählen und Gedichte vorzutragen. Heute Nacht will ich dir die Geschichte eines Liebespaares vortragen, daß sich deine Brust wieder ausdehnt.«

Als Dau el-Makân die Worte des Wesirs Dendân vernahm, hing sich sein Herz ganz an das, was er ihm versprochen hatte; er that nichts anderes als daß er den Anbruch der Nacht erwartete, um des Wesirs Dendân Abenteuergeschichten von Königen und alte Liebesmären zu hören. Kaum war noch die Nacht angebrochen, da befahl er auch schon die Kerzen und Lampen anzuzünden, das Nötige an Speise und Trank und die Sachen zum Räuchern zu bringen. Sobald alles aufgetragen war, schickte er zum Wesir Dendân und nach dessen Erscheinen zu Bahrâm, Rostem, Tarkâsch und dem Großkämmerling und sagte, nachdem alle vor ihm erschienen waren, zum Wesir Dendân: »Wesir, die Nacht ist gekommen und hat ihren Schleier tief auf uns herniedergelassen; wir wünschen, daß du uns nunmehr die versprochenen Geschichten erzählst.« Der Wesir Dendân antwortete: »Freut mich und ehrt mich.«


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