Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band III
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Vierundachtzigste Nacht.

Ebenso sagte er: »Ich disputiere mit niemand, es sei denn, daß ich wünschte, Gott möchte ihn zur Wahrheit führen und möchte ihm in ihrer Verbreitung beistehen; und niemals disputiere ich mit einem, als allein um die Wahrheit offenbar zu machen, wobei es mir gleich ist, ob Gott die Wahrheit durch meine oder durch seine Zunge offenbart.«

Ebenso sagte er – Gott hab' ihn selig! –: »Wenn du fürchtest durch deine Kenntnisse hoffärtig zu werden, so denk' daran, wessen Wohlgefallen du suchst, nach welchem Glück du trachtest und vor welcher Strafe du bangst.«

Zu Abū Hanīfe sagte man: »Der Fürst der Gläubigen, Abū Dschaafar el-Mansûr, hat dich zum Kadi gemacht und dir zehntausend Dirhem festgesetzt.« Doch wollte er es nicht annehmen. Als nun der Tag kam, an welchem ihm das Geld gebracht wurde, verrichtete er das Morgengebet und verhüllte sich mit seinem Gewand, ohne ein Wort zu sprechen, und schwieg auch, als der Bote vom Fürsten der Gläubigen kam, ihm das Geld überbrachte und ihn anredete. Da sagte der Bote des Chalifen: »Dieses Geld ist dein rechtmäßiges Eigentum.« Doch der Imâm erwiderte: »Es ist wohl mein rechtmäßiges Gut, doch widerstrebt es mir, daß die Liebe zu Tyrannen mein Herz in Beschlag legt.« Da entgegnete der Bote: »Geh' doch zu ihnen und sei auf der Hut vor der Liebe zu ihnen.« Der Imâm aber versetzte: »Kann ich etwa ins Meer gehen, ohne mir die Sachen naß zu machen?«

Zu den Vorschriften, welche Sofjân eth-Thauri dem Alī bin el-Hasan es-Salamī gab, gehört auch folgende: »Sei wahr und meide Lüge, Verrat, Heuchelei und Hoffart, denn Gott macht um eine dieser Sünden willen dein gutes Werk zu Schanden. Werde ein Schuldner allein Ihm, der gegen seinen Schuldner voll Nachsicht ist; mach' den zu deinem Freund, der dich der Welt entsagen lehrt, denk' stets an den Tod und bitte Gott unablässig um Vergebung und um 156 Frieden für den Rest deiner Tage; gieb jedem Gläubigen, der dich in Sachen seines Glaubens um Rat frägt, Unterweisung und hüte dich einen Gläubigen zu verraten, denn, wer einen Gläubigen hintergeht, hat Gott und seinen Gesandten hintergangen. Hüte dich vor Streit und Zank und laß das, was in dir Zweifel erregt, zu Gunsten dessen, was zweifellosD. h. der Koran. Vgl. Sure 2, 1. Dies ist das nicht zu bezweifelnde Buch, eine Richtschnur für die Frommen. für dich ist, fahren, auf daß es dir wohlergehe. Ermahne zum Guten und untersage das Schlechte, auf daß du von Gott geliebt wirst. Schmücke du deinen innern Menschen, so wird Gott auch deinen äußern Menschen schmücken. Nimm die Entschuldigung derer an, die dich um Entschuldigung bitten, und hasse keinen Moslem; geh' zu denen, die dich meiden und verzeihe denen, die dir Unrecht zufügen, auf daß du der Propheten Freund wirst. Befiehl deine inneren und äußeren Angelegenheiten zu Gott, fürchte Gott, wie jemand, der weiß, daß er tot ist und zur Auferweckung zieht, um am Tag der Versammlung vor dem Gewaltigen zu stehen, und bedenke, daß dein Weg zu einer der beiden Wohnungen führt, entweder zum Paradies in der Höhe oder zum brennenden Höllenfeuer.«

Hierauf setzte sich die Alte neben die Mädchen.

Als dein seliger Vater ihre Vorträge vernommen hatte und erkannte, daß sie zu den Trefflichsten ihrer Zeit gehörten, und ihre Schönheit, Anmut und außerordentliche Bildung sah, nahm er sie gastlich auf, zeichnete insbesondere die Alte aus, gab ihr und den Mädchen zu eigener Verfügung das Schloß, in welchem die Königin Abrîse, die Tochter des Königs von Rûm, gewohnt hatte, und ließ ihnen alle Annehmlichkeiten, deren sie bedurften, hinüberschaffen. So lebte sie bei ihm zehn Tage; so oft er sie aber besuchte, fand er sie völlig dem Gebet hingegeben, des Nachts wach und am Tage fastend, so daß er sie von Herzen lieb gewann und zu 157 mir sagte: »Wesir, diese alte Dame gehört zu den Frommen; mein Respekt vor ihr ist groß.« Am elften Tage besuchte er sie wieder, um ihr den Preis für die Mädchen zu zahlen. Sie sagte jedoch zu ihm: »O König, wisse, der Preis für diese Mädchen übersteigt den Preis, wie ihn sonst die Leute zahlen. Ich verlange nämlich für sie weder Gold noch Silber oder Edelsteine, sei es wenig oder viel.«

Als dein Vater ihre Worte vernahm, verwunderte er sich und fragte sie: »Meine Herrin, was ist denn ihr Preis?« Sie antwortete: »Ich verkaufe sie nur um den Preis, daß du einen vollen Monat fastest, und zwar so, daß du am Tage fastest und des Nachts wach bist um Gottes, des Erhabenen, willen. Thust du das, so sind sie dein Eigentum in deinem Schlosse, mit dem du nach Belieben verfahren kannst.« Der König verwunderte sich über ihre vollendete Frömmigkeit, Askese und Entsagung und sprach, indem ihr Wert in seinen Augen hoch stieg: »Gott gewähre uns Nutzen durch diese fromme Frau!« Dann versprach er ihr einen Monat zu fasten, wie sie es sich von ihm ausbedungen hatte, und sie sagte: »Ich will dir mit meinen Gebeten helfen, die ich für dich beten werde; jetzt aber bringe mir eine Flasche voll Wasser.« Nachdem der König ihr dieselbe gebracht hatte, nahm sie sie, sprach etwas darüber, murmelte und saß so eine Stunde lang in einer Sprache redend, die wir nicht verstanden und von der wir nichts begriffen. Dann verhüllte sie dieselbe mit einem Stück Tuch, versiegelte sie und sagte zu deinem Vater, ihm die Flasche überreichend: »Nach den zehn ersten Tagen deines Fastens unterbrich dasselbe in der elften Nacht und trinke, was in dieser Flasche ist; der Inhalt derselben wird die Weltliebe aus deinem Herzen nehmen und dasselbe mit Licht und Glauben erfüllen. Morgen will ich zu meinen Brüdern, den unsichtbaren Genossen,Die Ridschâl el-Gheib, unsichtbare auf Wolken um die Erde ziehende Wesen. 158 fortziehen, denn ich trage Sehnsucht nach ihnen. Nach Verlauf der ersten zehn Tage will ich wieder zu dir zurückkehren.«

So nahm denn dein Vater die Flasche, stand auf und suchte für dieselbe ein besonderes Gemach im Schlosse aus, wo er sie verwahrte; den Schlüssel aber zu dem Gemach steckte er in seine Brusttasche. Am andern Tage begann dann der Sultan zu fasten, während die Alte von dannen zog.

Fünfundachtzigste Nacht.

Nachdem er die zehn Tage zu Ende gefastet hatte, öffnete er am elften die Flasche und leerte sie, wobei er fand, daß ihr Inhalt seinem Herzen wohl that. Während der zweiten zehn Tage des Monats kam die Alte mit Süßigkeiten wieder, die in grüne Blätter, ganz unähnlich allen andern Baumblättern, gewickelt waren, trat bei deinem Vater ein und begrüßte ihn mit dem Salâm. Bei ihrem Anblick erhob er sich vor ihr und sagte zu ihr: »Willkommen, fromme Herrin!« Nun sagte sie zu ihm: »O König, die unsichtbaren Genossen, denen ich von dir erzählt habe, entbieten dir den Salâm; sie freuen sich über dich und senden dir durch mich diese süße Speise, die von den Süßigkeiten des Jenseits stammt. Unterbrich am Ende des Tages dein Fasten und speise sie.«

Dein Vater freute sich über die Maßen und sagte: »Lob sei Gott, welcher mir unter den unsichtbaren Genossen Brüder gegeben hat!« Dann dankte er der Alten, küßte ihr die Hände und erwies ihr und den Mädchen die höchsten Aufmerksamkeiten. Hierauf ging sie wieder für die Zeit von zwanzig Tagen fort, während welcher dein Vater fastete. Am Ende derselben kam sie wieder und sagte zu ihm: »O König, wisse, ich erzählte den unsichtbaren Genossen von unserer gegenseitigen Liebe und teilte ihnen mit, daß ich die Mädchen bei dir gelassen habe. Sie waren erfreut darüber daß die Mädchen bei einem Könige gleich dir wären, da sie, als sie dieselben sahen, auf das eifrigste für sie ihre von 159 Gott erhörten Gebete verrichteten. Ich möchte daher mit den Mädchen zu den unsichtbaren Genossen gehen, daß sie von ihrem Hauch berührt werden. Vielleicht kehren sie dann mit einem Erdenschatz zu dir zurück, so daß du nach Beendigung deines Fastens dich mit ihrer Ausstattung befassen und das Geld, das sie dir bringen, ganz nach deinen Wünschen verwenden kannst.«

Als dein Vater diese Worte von ihr vernommen hatte, dankte er ihr dafür und sagte zu ihr: »Fürchtete ich nicht, deinem Wunsche zuwiderzuhandeln, so möchte ich auf den Schatz und dergleichen verzichten. Wenn aber willst du mit ihnen fortziehen?« Sie antwortete ihm: »In der siebenundzwanzigsten Nacht; am Ende des Monats kehre ich wieder mit ihnen zu dir zurück, wo du dein Fasten beendigt haben wirst und sie dir gehören und unter deinen Befehlen stehen werden. Bei Gott, der Preis eines jeden der Mädchen übertrifft den Wert eines Königreiches um viele Male. Der König antwortete: »Ich weiß es, fromme Herrin.« Hierauf sagte sie zu ihm: »Es geht nicht anders, du mußt mit ihnen jemand aus deinem Schlosse mitschicken, der dir wert ist, daß er in Gesellschaft ist und von den unsichtbaren Männern Segen erfleht.« Da entgegnete ihr der König: »Ich habe bei mir eine griechische Sklavin, Sophia geheißen, von der mir zwei Kinder, ein Mädchen und ein Knabe geschenkt sind, doch sind sie seit Jahren verschwunden; nimm sie mit den Mädchen mit, daß sie den Segen erhält.

Sechsundachtzigste Nacht.

Vielleicht bitten die unsichtbaren Genossen Gott, daß er ihr ihre Kinder wiedergiebt, und sie wieder mit ihnen vereinigt.« Die Alte antwortete darauf: »Sehr schön ist dein Wort«, – es war aber dies ihr heißester Wunsch gewesen.

Während nun dein Vater daran ging sein Fasten zu beendigen, sagte sie zu ihm: »Mein Sohn, ich mache mich jetzt zu den unsichtbaren Genossen auf, bring' mir also Sophia 160 her.« Da ließ er sie rufen, und sie erschien sogleich, worauf er sie der Alten übergab, welche sie zu den andern Mädchen nahm. Dann begab sie sich in ihr Zimmer, holte daraus für den Sultan einen versiegelten Becher und sagte zu ihm, indem sie ihm denselben einhändigte: »Begieb dich am dreißigsten Tage ins Bad, geh' von dort in eines deiner Gemächer im Schloß, leere dort den Becher und lege dich schlafen; du hast dann deinen Wunsch erreicht. Frieden sei auf dir!«

Der König dankte ihr hocherfreut und küßte ihr die Hand, während sie ihn Gottes Schutz anempfahl. Auf seine Frage: »Wenn sehe ich dich wieder, fromme Herrin? Ich möchte mich von dir nicht mehr trennen,« segnete sie ihn und zog mit den Mädchen und der Königin Sophia von dannen. Nachdem der König drei Tage seit ihrer Trennung verbracht hatte, trat der Neumond ein; infolgedessen stand der König auf, ging ins Bad und begab sich von dort ins Privatkabinett des Schlosses. Hier befahl er, daß niemand bei ihm eintreten solle, verschloß die Thür hinter sich, trank den Becher aus und legte sich nieder, während wir bis zum Abend warteten, ohne daß er aus dem Kabinett herauskam. Wir sagten: »Sicherlich ist er vom Bade, von dem Wachen während der Nacht und dem Fasten am Tage müde und schläft deshalb so fest.« Als wir aber auch den zweiten Tag über auf ihn gewartet hatten, und er nicht herauskam, riefen wir laut, daß er aufwachen und fragen sollte, was es gäbe. Da jedoch nichts von dem eintrat, hoben wir die Thür aus, traten zu ihm ein und sahen ihn nun mit zerfetztem Fleisch und zerbröckelten Knochen daliegen.

Nachdem wir in tiefster Kümmernis ihn in diesem Zustande vorgefunden hatten, nahmen wir den Becher und fanden in seiner Hülle ein Stück Papier, auf welchem geschrieben stand: »Wer Übles thut, wird nicht betrauert, und solches ist der Lohn dessen, der Königstöchtern Fallen legt und sie schändet. Allen, denen dieses Blatt in die Hand fällt, thun 161 wir kund, daß Scharrkân bei seinem Betreten unseres Landes die Königin Abrîse von uns abspenstig machte und, nicht zufrieden hiermit, sie fortnahm und zu euch brachte, worauf der König Omar en-Noomân sie mit einem schwarzen Sklaven fortschickte, der sie ermordete, daß wir sie auf offenem Felde auf dem Boden erschlagen fanden. So handeln keine Könige, und, wer also gehandelt hat, erhält keine andere Strafe als die, welche über ihn hereingebrochen ist. Ihr aber, heget keinen falschen Verdacht wider irgend jemand, denn niemand anders hat ihn umgebracht als die schlaue Hexe, Zât ed-Dawâhī geheißen. Seht, ich habe auch die Gattin des Königs, Sophia, mit mir genommen und bin mit ihr zu ihrem Vater Afrīdûn, dem König von Konstantinopel, fortgegangen. Es ist kein Ausweg, wir müssen Krieg mit euch führen, euch töten und euch euer Land nehmen. Bis auf den letzten Mann sollt ihr vernichtet werden, und es soll euch weder ein Herd verbleiben, noch einer, der das Feuer anbläst, es sei denn daß er Kreuz oder GürtelNach einem Chalifenedikt hatten Christen und Juden als Kennzeichen einen breiten Ledergürtel zu tragen. anbetet.«

Als wir das Blatt gelesen hatten, sahen wir, daß die Alte uns betrogen und ihre List bewerkstelligt hatte. Wir schrieen, schlugen uns ins Antlitz und weinten, doch nützte uns das Weinen nichts mehr. Die Truppen aber stritten miteinander darüber, wen sie zum Sultan machen sollten, indem die einen dich, die andern deinen Bruder Scharrkân erwählen wollten. Einen Monat lang dauerte dieser Zwiespalt, bis ein Teil von uns sich zusammenthat, und zu deinem Bruder Scharrkân zu ziehen übereinkam. Unterwegs nun trafen wir dich. Solches ist der Grund von dem Tode des Königs Omar en-Noomân.«

Als der Wesir seinen Bericht beendet hatte, weinten Dau el-Makân, seine Schwester Nushet es-Samân und der Kämmerling. Dann sagte der Kämmerling zu Dau el-Makân: 162 »O König, das Weinen ist jetzt völlig zwecklos; dir frommt jetzt allein, daß du dein Herz festigst, deinen Entschluß stärkst und dein Königtum aufrichtest. Wer einen Sohn wie dich hinterlassen hat, der ist nicht gestorben.«

Nach diesen Worten des Kämmerlings hörte er auf zu weinen, und befahl den Thron außerhalb der Vorhalle aufzustellen. Dann befahl er den Truppen vor ihm in Parademarsch vorüberzuziehen, der Kämmerling stellte sich ihm zur Seite auf, die SilahdâreHöhere Offiziere; wörtlich: Waffenträger. hinter ihm, der Wesir Dendân vor ihm und alle die Emire und Großen des Reiches nach Rang und Würde an ihren Platz. Hierauf sagte der König Dau el-Makân zum Wesir Dendân: »Gieb mir Auskunft über die Schätze meines Vaters.« Der Wesir antwortete: »Ich höre und gehorche,« zählte ihm die Geldmagazine nebst ihrem Inhalt an Schätzen und Edelsteinen auf und legte ihm die Gelder seiner Kasse vor. Dann verteilte er Geschenke an die Truppen, legte dem Wesir Dendân ein kostbares Ehrenkleid an und sagte zu ihm: »Du bleibst in deinem Amte,« worauf der Wesir die Erde vor ihm küßte und ihm langes Leben wünschte. Weiter legte er dann den Emiren Ehrenkleider an und sagte zum Kämmerling: »Zeige mir, was du als Tribut von Damaskus bei dir hast.« Hierauf brachte der Kämmerling die Kisten mit dem Geld, den Kostbarkeiten und Edelsteinen vor ihn, und er nahm sie und verteilte sie unter das Heer –

Siebenundachtzigste Nacht.

bis daß nicht das Geringste mehr übrig geblieben war. Dann küßten die Emire die Erde vor ihm, erflehten ihm langes Leben und sagten: »Wir sahen noch niemals einen König gleich diesem Gaben austeilen.« Alsdann begaben sie sich in ihre Zelte.

Am nächsten Morgen befahl er ihnen aufzubrechen, und sie zogen nun drei Tage lang, bis sie am vierten Tage nach 163 Bagdad gelangten und in die festlich geschmückte Stadt einzogen.

Der Sultan Dau el-Makân stieg hinauf in das Schloß seines Vaters und setzte sich auf den Thron, die Emire des Heeres, der Wesir Dendân und der Kämmerling von Damaskus stellten sich vor ihm auf, und der Sultan befahl dem Geheimschreiber einen Brief an seinen Bruder zu schreiben, in ihm alles Geschehene von Anfang bis zum Ende zu erwähnen und am Schlusse hinzuzufügen: »Zur Stunde, da dieses Schreiben in deine Hand gelangt, beschicke deine Sachen und begieb dich mit deinem Heere hierher, daß wir in den Krieg wider die Ungläubigen ziehen, die Blutrache vollstrecken und die Schande tilgen.« Dann faltete er den Brief, siegelte ihn und sagte zum Wesir Dendân: »Kein anderer als du soll dieses Schreiben überbringen; doch mußt du ihm freundliche Worte geben und sollst zu ihm sagen: Wenn du das Reich deines Vaters begehrst, so ist es dein, und dein Bruder wird an deiner Stelle Vicekönig von Damaskus sein.«

Als ihn nun der Wesir Dendân verlassen hatte und sich zur Reise rüstete, befahl Dau el-Makân dem Heizer eine prächtige Wohnung herzurichten und sie auf die schönste Weise einzurichten; von diesem Heizer ist aber noch eine lange Geschichte zu erzählen.

Hernach zog Dau el-Makân eines Tages auf Jagd aus. Als er wieder nach Bagdad zurückgekehrt war, führte ihm einer der Emire so edle Rosse und schöne Mädchen zum Geschenk vor, daß sie die Zunge gar nicht beschreiben kann. Eins der Mädchen gefiel ihm, so daß er sie aussuchte und noch in derselben Nacht bei ihr ruhte.

Nach einer Weile kehrte der Wesir Dendân wieder von seiner Reise zurück und teilte ihm mit, daß sein Bruder Scharrkân herankäme, und sagte zu ihm: »Wir müssen ihm entgegenziehen.« Dau el-Makân antwortete: »Ich höre und gehorche,« und zog ihm mit den Vornehmen des Reiches aus Bagdad eine Tagereise entgegen, worauf er dort seine Zelte 164 aufschlagen ließ, um seinen Bruder zu erwarten. Am andern Morgen kam dann der König Scharrkân inmitten der Truppen Syriens herangezogen, ein Reitersmann allzeit voran im Feld, ein Löwe kraftgeschwellt und schwertesfroher Held.

Wie nun die Schwadronen heranrückten, die Staubwolken näher und näher kamen und die Banner und Fahnen lustig heranwimpelten, machte sich Dau el-Makân mit seinem Gefolge auf, um ihnen entgegenzuziehen, und wollte, sobald er Scharrkâns ansichtig ward, absteigen und ihm zu Fuß entgegengehen. Scharrkân beschwor ihn jedoch dies zu unterlassen, stieg selber ab und ging ihm einige Schritte entgegen, bis er vor Dau el-Makân stand. Dau el-Makân warf sich an seine Brust, Scharrkân zog ihn in seine Arme, und beide weinten laut und sprachen einander Trost zu. Dann stiegen beide wieder auf und zogen weiter, und das Heer zog mit ihnen, bis sie sich Bagdad näherten und sich lagerten. Hierauf stiegen Dau el-Makân und sein Bruder ins Königsschloß und verbrachten daselbst die Nacht, am nächsten Morgen aber ritt Dau el-Makân wieder hinaus und gab Befehl die Truppen von allen Seiten zu versammeln und den heiligen Krieg zu verkünden. Alsdann warteten sie, bis die Heeresabteilungen von den übrigen Provinzen eintrafen, zeichneten alle Erschienenen aus und versprachen ihnen das beste, bis daß in dieser Weise ein voller Monat verstrichen war, und das Kriegsvolk Schar auf Schar herbeiströmte.

Da sagte Scharrkân zu seinem Bruder: »Mein Bruder, erzähle mir doch deine Erlebnisse,« und Dau el-Makân erzählte ihm alle seine Schicksale von Anfang bis zu Ende, indem er dabei auch das Gute, das der Heizer an ihm gethan hatte, erwähnte. Darauf fragte ihn Scharrkân: »Hast du ihn auch für diesen Dienst belohnt?« Dau el-Makân antwortete: »Mein Bruder, bis jetzt habe ich es ihm noch nicht gelohnt, doch will ich es, so Gott, der Erhabene, es will, und ich Zeit dazu habe, nach unserer Rückkehr aus dem Feldzuge thun.« 165

Achtundachtzigste Nacht.

Hieraus ersah Scharrkân, daß ihm seine Schwester Nushet es-Samân in allem die volle Wahrheit erzählt hatte, doch verbarg er bei sich, was zwischen ihnen beiden vorgefallen war, und bestellte ihr durch ihren Gatten, den Kämmerling, den Salâm. In gleicher Weise übermittelte sie ihm durch denselben den Salâm, erflehte ihm Segen und erkundigte sich nach ihrer Tochter Kudia-fakân; darauf ließ er ihr sagen, daß sie wohlauf und in bester Gesundheit sei, und sie lobte Gott, den Erhabenen, und dankte ihm. Dann begab sich Scharrkân wieder zu seinem Bruder, um sich mit ihm über den Aufbruch zu beraten, und Dau el-Makân antwortete ihm: »Mein Bruder, sobald die Truppen vollzählig versammelt und die Araber von allen Orten eingetroffen sind, wollen wir ins Feld ziehen.« Hierauf befahl Dau el-Makân Proviant und Kriegsmunition zu beschaffen. Alsdann begab er sich zu seiner Gattin, die nunmehr den fünften Monat der Schwangerschaft hinter sich hatte, stellte unter ihre Befehle die Männer der Feder und die Astrologen, und setzte ihnen Gehalt und Einkünfte fest.

Im dritten Monat seit der Ankunft des Heeres von Syrien, nachdem die Araber und die sämtlichen Heeresmassen von allen Orten eingetroffen waren, brach Dau el-Makân dann inmitten seiner Haufen und Heerscharen auf, unter welchen Rostem die Deilamiten und Bahrâm die Türken befehligte; ihm zur Rechten ritt sein Bruder Scharrkân, zur Linken der Kämmerling, sein Schwager. Einen Monat lang zogen sie in der Art, daß sie in jeder Woche Halt machten und daselbst sich drei Tage ausruhten, weil das Heer sehr groß war, bis sie das Land Rûm betraten und die Bewohner der Weiler und Dörfer und die Bettler sich flüchteten und nach Konstantinopel flohen.

Als nun der König Afrīdûn die Botschaft, die sie überbrachten, vernahm, stand er auf und begab sich zu 166 Zât ed-Dawâhī, welche die List ausgedacht hatte, und nach Bagdad gezogen war, um den König Omar en-Noomân umzubringen, von wo sie dann mit den Mädchen und der Königin Sophia in ihr Land zurückgekehrt war. Als sie bei ihrem Sohne, dem Könige von Rûm, wieder eingetroffen war und sich in Sicherheit fühlte, hatte sie zu ihm gesagt: »Sei kühlen Auges, ich habe nunmehr für deine Tochter Abrîse die Blutrache vollstreckt, habe den König Omar en-Noomân umgebracht und Sophia mit mir genommen. Steh' jetzt auf, zieh' hin zum König von Konstantinopel, gieb ihm Sophia wieder und teile ihm mit, was geschehen ist, damit wir alle auf der Hut sind und uns kampfbereit machen. Ich will mich selber mit dir zum König Afrīdûn von Konstantinopel auf den Weg machen, denn ich glaube, daß die Moslems unsern Angriff nicht erst erwarten werden.«

Hierauf hatte er zu ihr gesagt: »Warte, bis sie sich unserm Lande genähert haben, damit wir uns in Bereitschaft setzen können.« Alsdann hatten sie eifrig ihre Mannen versammelt und ihre Rüstungen betrieben, so daß sie bei der Nachricht vom Anrücken der Moslems völlig kriegsbereit waren, und die gesamten Heerhaufen versammelt hatten. Zât ed-Dawâhī aber zog ihnen voran nach Konstantinopel. Als nun der Großkönig Afrīdûn von der Ankunft des Königs Hardûb von Rûm Kunde erhielt, zog er ihm entgegen und fragte ihn, sobald sie zusammengetroffen waren, nach seinem Befinden und der Veranlassung seines Kommens, worauf ihm der König Hardûb mitteilte, welche List seine Mutter Zât ed-Dawâhī ausgeführt hatte, daß sie den König der Moslems getötet und die Königin Sophia von ihm geholt hätte, und daß nun die Moslems ihre Heerscharen versammelt hätten und anrückten. »Wir aber,« so schloß er, »wollen nun insgesamt eine Hand sein und ihnen entgegenziehen.«

Der König Afrīdûn war über das Wiedereintreffen seiner Tochter und den Tod des Königs Omar en-Noomân 167 hocherfreut und schickte zu allen Klimaten Boten aus, um Hilfe von ihnen zu erbitten, indem er ihnen zugleich die Ursache des Todes des Königs Omar en-Noomân mitteilte. Da eilten die Heerscharen der Nazarener zu ihm, und, ehe noch drei Monate verflossen waren, waren die Heerscharen Rûms vollzählig zur Stelle. Alsdann kamen die Franken aus allen den andern Ländern, die Franzosen, die Deutschen, die Ragusaner, die Zaranesen, die Venezianer, die Genuesen und alle die andern Heerscharen der gelben Rasse.

Als alle Heeresmassen vollzählig beisammen waren, wurde die Erde von ihnen eingeengt, so daß der Großkönig Afrīdûn ihnen gebot, von Konstantinopel fortzuziehen. Zehn Tage lang brach nun eine Schar nach der andern auf, bis alle fortgezogen waren. In einem Wadi mit breiter Sohle unfern des Salzmeeres machten sie Halt und rasteten daselbst drei Tage. Als sie am vierten Tage wieder aufbrechen wollten, erreichte sie die Kunde von dem Anrücken der Heerscharen des Islams und der Schützer der Religion des besten der Geschöpfe.Mohammed. Infolgedessen rasteten sie daselbst weitere drei Tage, bis sie am vierten Tage eine Staubwolke so hoch aufsteigen sahen, daß sie den ganzen Horizont verhüllte. Kaum war eine weitere Tagesstunde verflossen, da zerteilte sich die Staubwolke wieder, und löste sich in Fetzen in der Luft auf, und das Blitzen der Speere und Lanzen und der weiße Schimmer der Klingen brach hell durch die Finsternis; die Banner des Islams und die Feldzeichen der Mohammedaner wurden sichtbar, und die Reiter trabten heran wie hereinbrechende Meeresfluten, umstarrt von Ringpanzern, gleich lauter Wolkenknöpfchen, die den Mond verschleiern. Gleich darauf stießen die beiden Heere zusammen wie zwei aufeinander prallende Meere, Auge bohrte sich in Auge, und der erste, welcher ins Feld zum Kampf sprengte, war der Wesir Dendân mit den syrischen Haufen in der Anzahl von dreißigtausend Zügeln. 168

Ihm schlossen sich die Deilamiten unter ihrem Führer Rostem und die Türken unter ihrem Führer Bahrâm an in der Zahl von zwanzigtausend Reitern. Hinter ihnen folgten die Mannschaften von der Küste des Salzmeeres in eisernen Panzern, strahlend wie Vollmonde, welche die dunklen Nächte durchwandeln. Nun erhoben die Nazarener den Ruf »Jesus, Maria und das beschmutzte Kreuz« und bedrängten nach Zât ed-Dawâhīs Anordnung den Wesir Dendân samt seinen syrischen Haufen von allen Seiten.

Der König Afrīdûn hatte sich nämlich, bevor er zum Kampf ausgezogen war, zu ihr begeben und sie gefragt: »Was ist zu thun, und in welcher Weise ist vorzugehen? Du bist die Veranlassung dieser schlimmen Sache.« Darauf hatte sie ihm erwidert: »Wisse, großer König und mächtiger Priester, ich will dir etwas anraten, was selbst Iblîs zu Schanden machen soll, auch wenn er alle seine gefallenen Scharen zu Hilfe riefe.

Neunundachtzigste Nacht.

Mein Rat geht nämlich dahin, daß du fünfzigtausend Mann die Schiffe besteigen und sie bis zum Rauchberge fahren lässest; dort sollen sie still liegen bleiben und sich nicht rühren, bis die Banner der Moslems herangezogen sind. Dann vorwärts mit euch! Sie fallen den Moslems vom Meere aus in den Rücken, während wir sie von der Landseite her in der Front fassen. So wird keiner von ihnen entrinnen, die Plage hört auf einmal für uns auf, und wir haben für immer Frieden!«

Dieser Rat der Alten gefiel dem König Afrīdûn, und er sagte zu ihr: »Prächtig ist dein Rat, o Herrin aller verschlagenen alten Frauen und Asyl der Priester in der Blutfehde.«

Als nun die Heerschar des Islams in jenem Wadi wider sie anstürmte, standen die Zelte, ehe sie sich's versahen, in Flammen, und die Schwerter hieben die Leiber zusammen. Dann zogen die Haufen von Bagdad und Chorasan heran, 169 hundertundzwanzigtausend Mann zu Pferd, Dau el-Makân voran im Vordertreffen. Als aber die Ungläubigen vom Meere aus dieselben erblickten, kamen sie herauf und fielen ihnen in den Rücken. Sobald Dau el-Makân sie sah, rief er: »Wendet euch um ihr Scharen des erwählten Propheten wider die Ungläubigen, und streitet wider die Heiden, die den barmherzigen Erbarmer ableugnen und hassen.« Nun kam auch Scharrkân mit einem andern Haufen der Heerscharen der Moslems in einer Stärke von hundertundzwanzigtausend Mann herangezogen, während die Ungläubigen gegen eine Million und sechshunderttausend Mann zählten. Sobald die Moslems zu einander gestoßen waren, stärkten sich ihre Herzen, und sie erhoben den Ruf: »Gott hat uns den Sieg verheißen und die Ungläubigen im Stich gelassen.« Dann klirrten die Schwerter und Speere zusammen, und Scharrkân brach sich durch die Reihen Bahn, tobte unter Tausenden und kämpfte so grimm, daß Säuglinge davon graue Haare hätten bekommen müssen; nicht eher ließ er ab sich mit dem scharfen Stahl durch die Heiden seine Bahn zu ziehen und »Allah Akbar« zu rufen, bis sich die Massen zum Meeresstrande wendeten, und die Kraft ihrer Leiber brach, und Gott dem Islam den Sieg verliehen hatte. Wie Trunkene hatten die Streiter gekämpft, und von den Heiden waren fünfundvierzigtausend geblieben, während die Moslems nur dreitausendfünfhundert Mann verloren hatten.

Aber auch die Nacht über schlief weder der König Scharrkân, der Löwe des Glaubens, noch sein Bruder Dau el-Makân, sondern teilten dem Kriegsvolk die frohe Siegeskunde mit, besuchten die Verwundeten und beglückwünschten sie zu dem Sieg, zur Errettung und zur Belohnung am Tag der Auferstehung.

Soviel, was die Moslems betrifft; was nun aber den König Afrīdûn von Konstantinopel, den König von Rûm und seine Mutter, die alte Zât ed-Dawâhī, anlangt, so versammelten dieselben die Emire des Heeres und sagten zu 170 einander: »Wir hätten sicherlich unsere Absicht erreicht und unser Herz in Frieden gebracht, wenn wir nicht allzusehr auf unsere Menge gepocht hätten; das allein hat uns zu Schanden gemacht.« Da sagte die alte Zât ed-Dawâhī zu ihnen: »Es wird euch nichts anderes helfen, als daß ihr euch dem Messias nahet und euch völlig dem wahren Glauben anvertraut. Beim Messias, nur dieser Satan, der König Scharrkân, macht das Heer der Moslems stark.« Der König Afrīdûn antwortete darauf: »Ich habe mir fest vorgenommen die Schlachtreihen wider sie morgen aufzustellen und den berühmten Ritter Lukas, den Sohn des Schemlût, gegen sie herauszuschicken; tritt er wider den König Scharrkân ins Feld, so wird er ihn samt den andern Degen fällen, bis keiner von ihnen mehr übrig geblieben ist; ebenso habe ich heute Nacht beschlossen euch mit dem heiligen Weihrauch Gott zu weihen.«

Als sie seine Worte vernahmen, küßten sie die Erde vor ihm; der Weihrauch aber, den er meinte, waren die Exkremente des Großpatriarchen, des Erzverleugners und Verächters des Glaubens, nach welchem sie so leidenschaftlich begehrten, und deren Wert sie so hoch schätzten, daß die Patriarchen von Rûm sie in seidenen Lappen zu allen andern Klimaten ihres Landes mit Moschus und Ambra parfümiert verschickten. Hörten die Könige von ihnen, so zahlten sie gern für jede Drachme derselben tausend Dinare und schickten danach, um die Bräute damit zu beräuchern, so daß die Patriarchen von ihren Exkrementen dazu thaten, da der Großpatriarch mit seinen Exkrementen nicht imstande war zehn Klimate zu versorgen; und die mächtigsten Könige pflegten ein wenig davon als Kollyrium für die Augen zu nehmen und damit Krankheiten und Bauchgrimmen zu heilen.

Als nun der Morgen angebrochen war, und es heller Tag ward, und die Reiter zu ihren Lanzen eilten – 171

Neunzigste Nacht.

da berief der König Afrīdûn die vornehmsten Bitrîken und die Großen seines Reiches, legte ihnen Ehrenkleider an, schlug das Kreuz über ihr Gesicht und beräucherte sie mit dem oben erwähnten Weihrauch, den Exkrementen des Großpatriarchen und Erzlügenpriesters. Dann ließ er Lukas, den Sohn des Schemlût, rufen, den sie das Schwert des Messias nannten, und beräucherte ihn mit dem Mist; hierauf rieb er ihm den Gaumen damit ein, ließ ihn davon schnupfen, beschmierte ihm damit die Wangen und wichste ihm mit dem Rest den Schnurrbart. Dieser verruchte Lukas war aber der stärkste Mann im Lande Rûm, der sicherste Bogenschütz, der furchtbarste Schwertdegen und der tödlichste Lanzenstecher am Tage des Gefechts, dabei war er widerwärtig anzuschauen, da sein Gesicht wie das eines Esels, seine Gestalt die eines Affen und sein Blick der einer tückischen Schlange war. Seine Nähe war schlimmer als die Trennung von der Geliebten, wie die Nacht verbreitete er Finsternis um sich, sein Odem war voll Gestank, sein Wuchs krumm wie ein Bogen, und das Brandzeichen des Unglaubens stand auf seiner Stirn.

Nachdem er in solcher Weise vom König Afrīdûn geweiht war, trat er an ihn heran, küßte die Erde vor ihm und stellte sich des Befehles gewärtig vor ihn hin. Der König Afrīdûn aber sagte zu ihm: »Ich wünsche, daß du wider Scharrkân, den König von Damaskus, den Sohn Omar en-Noomâns, auf den Plan trittst, daß wir von diesem Übel und Schimpf befreit werden.« Er antwortete: »Ich höre und gehorche,« und der König schlug das Kreuz über sein Gesicht und glaubte, daß ihm naher Sieg winke. Hierauf verließ der verruchte Lukas den König Afrīdûn, bestieg ein fuchsrotes Pferd, umwallt von rotem Mantel, die Brust von goldenem, mit Edelsteinen besetzten Panzer umspannt, eine dreizackige Lanze in der Hand, völlig gleich dem verfluchten Iblîs am Tage der Rebellion, von seiner 172 Heerschar gefolgt, als zögen sie allesamt ins höllische Feuer. Nun rief ein Herold von ihrer Seite laut in arabischer Sprache: »Volk Mohammeds – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – kein anderer von euch soll heraustreten als euer Ritter Scharrkân, der Herr von Damaskus, das Schwert des Islams.«

Kaum hatte der Herold seine Worte beendet, da erhob sich ein Getöse im weiten Gefild, daß die ganze Flur davon widerhallte, und Galoppgedröhn erschallte zwischen den beiden Schlachtreihen, als nahete der Tag des Jammers, so daß die Feiglinge davor erbebten und die Hälse nach dem Getöse hinwendeten; und siehe, da war es Scharrkân, der Sohn des Königs Omar en-Noomân. Als nämlich sein Bruder Dau el-Makân jenen Verruchten auf dem Plan erscheinen sah, und den Herold vernahm, wendete er sich zu seinem Bruder Scharrkân und sagte zu ihm: »Sie verlangen nach dir.« Scharrkân antwortete: »Steht die Sache so, so ist mir nichts lieber als das.« Als sie sich dann davon überzeugt und vernommen hatten, wie der Herold auf dem Plan ausrief: »Kein anderer als Scharrkân soll ins Feld heraustreten,« wußten sie, daß dieser Verruchte der Ritter des Landes Rûm war und geschworen hatte die Moslems von der Erde zu fegen oder aufs schmählichste verloren zu sein, da er es war, welcher die Herzen verbrannte, und vor dessen Unheil die Heerhaufen der Türken, Deilamiten und Kurden erbebten.

So sprengte nun Scharrkân wie ein grimmer Löwe auf seinem Schlachtroß, das wie die flüchtige Gazelle dahinschoß, gegen Lukas, bis er nahe an ihn herankam und vor ihm, in der Rechten die Lanze wie eine Viper schüttelnd, die Verse rief:

»Mein Fuchs trägt stolz den Zügel
    Und schafft dir bittre Not;
Schwank ist mein Speer und handlich,
    Und auf ihm sitzt der Tod;
Mein Stahl fliegt aus der Scheide
    Von Blitzen licht umloht.« 173

Lukas verstand jedoch weder den Sinn dieser Worte noch das Feuer der Verse, sondern führte seine Hand wider die Stirn aus Ehrfurcht vor dem Kreuz, das daselbst gezeichnet war, und küßte sie. Dann richtete er die Lanze wider Scharrkân und schleuderte, während er gegen ihn ansprengte, den Speer mit einer Hand so hoch in die Luft, daß er den Blicken entschwand, mit der andern aber fing er ihn nach Art der Gaukler wieder auf und schleuderte ihn nun wider Scharrkân, daß er aus seiner Hand wie ein leuchtendes Meteor dahinflog, und das Volk aus Furcht für Scharrkân laut schrie. Als der Speer jedoch nahe bei Scharrkân war, fing er ihn in der Luft auf, daß alle vor Staunen starr wurden, schüttelte ihn mit derselben Hand, mit welcher er ihn von dem Nazarener aufgefangen hatte, daß er fast zerbrach, schleuderte ihn so hoch in die Luft, daß er den Blicken entschwand, fing ihn schneller als ein Augenblick wieder auf, stieß tief aus dem Herzen einen Schrei aus und rief: »Bei dem Schöpfer der sieben Himmel, diesen Verruchten will ich in allen Zonen zum Schimpf machen« – und von hinnen sauste der Speer gegen Lukas. Während nun Lukas ganz gleich wie Scharrkân verfahren wollte und seine Hand ausstreckte, um den Speer aus der Luft aufzufangen, sendete Scharrkân ihm schnell einen zweiten Speer nach, der ihn mitten ins Kreuz auf seiner Stirn traf, worauf Gott seine Seele zum Höllenfeuer jagte hinein ins harte Verließ.

Sobald als die Ungläubigen Lukas, den Sohn des Schemlût, tot niederstürzen sahen, schlugen sie sich vors Antlitz, jammerten Ach! und Wehe! riefen die Klosterpatriarchen zu Hilfe, und schrieen:

Einundneunzigste Nacht.

»Wo sind die Kreuze?« und die Mönche beteten. Alsdann scharten sich alle wider Scharrkân zusammen, schwangen Stahl und Speer und stürmten los zum Angriff; Heer traf mit Heer zusammen, Brüste lagen unter den Hufen, Stahl 174 und Speer walteten stolz einher, Arm und Handgelenk erlahmten, und die Rosse schienen fußlos erschaffen zu sein. Fort und fort ertönte des Herolds Schlachtruf, bis die Hände ermattet sanken, der Tag zur Rüste ging und das Dunkel der Nacht die Streiter umfing. Dann trennten sich die Heere, und die Tapfern waren gleich Trunkenen vom vielen Hauen und Stechen; die Erde aber lag dicht von Toten bedeckt, grause Wunden klafften, und keiner der Verwundeten wußte durch wen er starb.

Hierauf kam Scharrkân mit seinem Bruder Dau el-Makân, dem Kämmerling und dem Wesir Dendân zusammen, und sagte zu seinem Bruder Dau el-Makân und dem Kämmerling: »Fürwahr, Gott hat ein Thor zum Verderben der Ungläubigen geöffnet; Lob sei Gott, dem Herrn der drei Welten!« Dau el-Makân aber entgegnete seinem Bruder: »Wir wollen nicht ablassen Gott zu preisen, daß er das Verderben von den Arabern und AdschamernAdscham bezeichnet alle Nichtaraber, etwa wie die Hellenen alle Nichthellenen Barbaren nannten. abgewendet hat. Aber, fürwahr, singen und sagen wird das Volk von Geschlecht zu Geschlecht von deiner Heldenthat an dem verruchten Lukas, dem Fälscher des Evangeliums, rühmen wird man allezeit, wie du den Speer aus der Luft fingst und den Feind Gottes erschlugst, und dauern wird dein Gedächtnis bis zum Ende der Tage.« Dann redete Scharrkân den Kämmerling an: »Großer Kämmerling und erhabener Führer!« Der Kämmerling antwortete: »Zu Diensten,« und Scharrkân fuhr fort: »Nimm den Wesir Dendân und zwanzigtausend Reitersleute mit dir und zieh' sieben Parasangen hinunter zum Meere; eilt euch auf dem Marsch zur Küste, bis daß zwischen euch und dem feindlichen Volk nur noch zwei Parasangen liegen, und verbergt euch dort in den Bodensenkungen, bis ihr das Getöse der Heiden bei ihrem Landen hört, und die Schlachtrufe von allen Seiten erschallen. Wenn dann die Schwerter zwischen uns und ihnen an der Arbeit 175 sind, und ihr unsern Haufen zurückweichen sehet, als ob er sich zur Flucht wendete, und die Ungläubigen ihn von allen Seiten, sowohl vom Strande als auch vom Lager bedrängen, so bleibet so lange auf der Lauer, bis du das Banner schaust mit dem Bekenntnis: »Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – ist der Gesandte Gottes,« dann erhebe das grüne Banner, stoß' das Feldgeschrei »Allāh Akbar« aus und fall' ihnen in den Rücken, indem du dabei dein Augenmerk darauf richtest, daß die Ungläubigen nicht zwischen den Zurückweichenden und dem Meere ausbrechen.«

Der Kämmerling antwortete: »Ich höre und gehorche,« und so einigten sie sich zur selbigen Stunde auf diesen Schlachtplan; gleich darauf setzten sie sich in Bereitschaft, und der Kämmerling brach mit dem Wesir und zwanzigtausend Mann zu Pferd auf, wie es der König Scharrkân angeordnet hatte.

Als nun der Tag anbrach, stieg das Volk in den Sattel, gewappnet und gepanzert, mit den blanken Klingen in der Hand und mit eingesetzter Lanze. Dann breiteten sich die Scharen der Nazarener über Berg und Thal aus, die Priester erhoben ihre Stimme, die Häupter wurden entblößt, die Kreuze an den Masten der Schiffe gehißt, von allen Seiten stießen sie auf den Strand, die Rosse wurden aufs Land geführt, und vorwärts ging's zur Attacke und Flucht. Hell blinkten die Schwerter, die Haufen wälzten sich vorwärts, die Lanzen ließen Blitze von den Ringpanzern sprühen, die Mühle des Todes mahlte über den Mannen und Reisigen, die Köpfe flogen von den Leibern, die Zungen verstummten, die Augen verdunkelten sich, die Gallenblasen platzten, die Klingen arbeiteten, die Schädel flogen, die Handgelenke wurden durchgesäbelt, die Rosse wateten in Blutbächen, die Fäuste krallten sich in den Bärten, die Heerscharen des Islams riefen: »Heil und Segen über den Herrn der Geschöpfe,« und lobpreisten den Barmherzigen für all seine 176 Huld, die Heerscharen der Ungläubigen verkündeten das Lob des Kreuzes, des Gürtels, des Mostes und des Kelterers, der Priester, Mönche, des Palmsonntags und des Metropolitans.

Dau el-Makân und Scharrkân wichen jedoch zurück mit ihren Truppen, als ob sie vor den Feinden flöhen, und die Ungläubigen drängten hinter ihnen her, da sie sich durch dies Zurückweichen täuschen ließen, und machten sich zum Stechen und Hauen bereit, während die Moslems den Anfang der Sure »die Kuh«Die Suren des Korans haben nach gewissen Stichwörtern ihre Überschrift erhalten, ohne daß dadurch immer ihr Inhalt angegeben würde. Der Anfang dieser Sure, der zweiten, lautet: Dies ist das nicht zu bezweifelnde Buch, eine Richtschnur für die Frommen, so da glauben an die Mysterien, und das Gebet verrichten, und von dem, was wir huldvoll verliehen, Almosen geben, und da glauben an das, was wir geoffenbart, und an den jüngsten Tag. zu recitieren begannen, und die Toten von den Hufen der Rosse zertrampelt wurden. Der Herold Rûms aber rief laut: »Ihr Knechte des Messias und des lautern Glaubens, ihr Diener des Katholikos,Der Katholikos war der Primas der Christenheit im Gebiete des Islams. die Gnade Gottes ist euch sichtbar geworden, und die Scharen des Islams flüchten mit geknickten Schwingen; drum kehret ihnen nicht den Rücken zu, spaltet ihnen mit dem Schwerte die Nacken und erlahmt nicht in ihrer Verfolgung, sonst seid ihr verstoßen vom Messias, dem Sohn der Maria, der schon in der Wiege sprechen konnte.«Vgl. Sure 3. Nach dem apokryphen ersten Evangelium der Kindheit Jesu spricht Jesus zu Maria: Ich bin Jesus, Gottes Sohn, das Wort, das du zeugtest, als sich der Engel Gabriel dir offenbarte, und mein Vater hat mich entsendet die Welt zu erretten.

Auch der König Afrīdûn von Konstantinopel glaubte, daß die Heerscharen der Ungläubigen siegreich seien, da er nicht ahnte, daß dieses eine geschickte Kriegslist der Moslems war, und sandte zum König von Rûm Glückwünsche für den Sieg, denen er hinzufügte: »Uns hat allein der heilige Weihrauch vom Großpatriarchen geholfen, indem daß sich sein Duft aus den Bärten über alle Knechte des Messias nah und 177 fern verbreitete; und ich schwöre bei den Wundern, bei deiner Tochter Abrîse, der Nazarenerin, der Anbeterin der Maria, und dem Taufwasser: Nicht einen einzigen Streiter des Islams will ich auf der Erde übrig lassen und will diese Absicht im bittersten Ernste durchführen.« Mit solchem Auftrag zog der Bote ab.

Zweiundneunzigste Nacht.

Die Ungläubigen aber riefen einander zu: »Nehmt Blutrache für Lukas!« und der König von Rûm rief: »Heran zur Blutrache für Abrîse!« Da rief mit einem Male der König Dau el-Makân: »Ihr Diener des Vergeltung übenden Königs, schlagt das Volk des Unglaubens und der Rebellion wider Gott mit den weißen Klingen nieder und durchbohrt sie mit den braunen Lanzen!« worauf sich die Moslems wieder gegen die Ungläubigen umwendeten und die Schärfe des Schwertes an ihnen ihr Werk verrichten ließen, während der Herold der Moslems seine Stimme erhob und rief: »Vorwärts wider die Feinde des Glaubens Mann für Mann, wer da liebt den erwählten Propheten! Dies ist die Stunde das Gefallen des Allgütigen, Vergebenden zu gewinnen. Horcht auf, alle, die ihr hofft dem Tag der Furcht zu entgehen, das Paradies winkt unter dem Schatten der Schwerter.« Und siehe! Da brach Scharrkân mit seinem Haufen wider die Ungläubigen los, schnitt ihnen den Rückzug ab und wütete und wüstete in ihnen umher, als plötzlich ein Ritter von hübscher Erscheinung sich in dem Heere der Ungläubigen eine Rennbahn öffnete und hauend und stechend unter ihnen einherfuhr, daß sich die Erde mit Köpfen und Leibern bedeckte, und die Ungläubigen, entsetzt über sein Toben, bei seinen Hieben und Stößen die Nacken krümmten. Er war mit zwei Schwertern gegürtet, seinem Auge und seinem Stahl, ebenso führte er zwei Lanzen, seinen Rohrschaft und seine schlanke Gestalt, und sein wallendes Haar ersetzte ihm eine ganze Heerschar, wie der Dichter passend auf ihn sagt: 178

Den Jüngling schmückt nur langes Haar,
    Zieht er gescheitelt aus ins Feld,
Und stürzt von seinem Lanzenstoß
    Durchbohrt ein schnauzerschneid'ger Held.

Oder wie ein anderer sagt:

Ich sprach zu ihm, da er zum Schwerte griff:
    Dein Schwert sei deines Auges Strahl.
Er sprach: Mein Auge treff' der Schönen Herz,
    Der Männer Haupt mein Indierstahl.

Als Scharrkân diesen Ritter erblickte, rief er ihm zu: »Ich beschwöre dich beim Koran und den Versen des Erbarmers, wer bist du, aller Degen kühnster? Fürwahr durch dein Walten hast du den vergeltenden König, den ein Ding von dem andern nicht abbringt, erfreut, insofern du das Volk des Unglaubens und der Rebellion wider Gott in die Flucht gejagt hast.« Da rief ihm der Ritter die Worte entgegen: »Du bist's ja, der erst gestern mir den Treueid geschworen hat, wie schnell doch hast du mich vergessen!« Hierauf hob er den Schleier vom Antlitz, so daß seine verhüllte Schönheit sichtbar wurde, und siehe, da war es Dau el-Makân. Scharrkân freute sich über seinen Bruder, doch war er dabei besorgt, die Kämpen und Degen könnten ihn zu sehr bedrängen und bedräuen, einmal, weil er noch so jung war und er das böse Auge meiden sollte, dann aber auch, weil sein Leben für das Königreich der größere der beiden schirmenden Fittiche war. Er sagte deshalb zu ihm: »Mein König, du setzest fürwahr dein Leben aufs Spiel, halte dein Roß an meiner Seite, denn ich bin um deinetwillen vor den Feinden besorgt; besser ist es, du ziehst nicht wider diese Scharen aus, und wir entsenden deinen sichern Pfeil aus der Ferne.« Dau el-Makân erwiderte ihm darauf: »Ich wollte es dir im Gefecht gleich thun und nicht vor dir mit meinem Leben knausern.«

Hierauf drängten sich die Heerscharen des Islams wider die Ungläubigen, umringten sie von allen Seiten, und führten 179 gegen sie einen echten heiligen Kampf, bis sie die Kraft, den Trotz und die Verruchtheit des Unglaubens gebrochen hatten, und der König Hardûb bei diesem Anblick über den Schimpf, der über Rûm herabgekommen war, bekümmert seufzte.

Schon hatten sie die Rücken gekehrt und waren in völliger Flucht zu den Schiffen begriffen, da stürmten plötzlich die Heerhaufen vom Meeresstrande wider sie, ihnen voran der Wesir Dendân, vor dessen Schwerthieb und Lanzenstoß noch jeder Kämpe in den Sand gebissen hatte, und desgleichen der Emir Bahrâm, der Führer der syrischen Haufen, inmitten zwanzigtausend grimmer Löwen.

Während nun die Heerscharen des Islams die Ungläubigen von der Front und im Rücken packten, löste sich ein Haufen von den Moslems ab, fiel über die Ungläubigen, welche noch auf den Schiffen waren, her und ließ das Verderben über sie niederfahren, so daß sie sich ins Meer stürzten, und von ihnen mehr als hunderttausend Schweine erschlagen wurden, und keiner ihrer Degen, sei es groß oder klein, entrann. Außerdem aber eroberten sie noch ihre gesamten Schiffe, bis auf zwanzig, mit allem Geld, den Schätzen und der Ladung, so daß niemand in allen Zeiten zuvor eine solche gewaltige Beute gemacht, und noch kein Ohr von solchem Hauen und Stechen vernommen hatte. Unter der gesamten Masse der Beute befanden sich allein fünfzigtausend Pferde ohne die unermeßlichen und unberechenbaren Schätze und Beutestücke, und heller Jubel herrschte deshalb bei den Moslems über den Sieg und die Hilfe, die Gott ihnen gnädig gewährt.

Die Geschlagenen aber flüchteten sich nach Konstantinopel. Dort war ihnen zuerst die Botschaft vorausgeeilt, daß der König Hardûb die Moslems geschlagen hätte, worauf die alte Zât ed-Dawâhī gesagt hatte: »Ich weiß, daß mein Sohn, der König von Rûm, sich nicht in die Flucht jagen läßt und sich nicht vor den Heerhaufen des Islams fürchtet; er wird die ganze Welt wieder unter das christliche 180 Bekenntnis bringen.« Dann hatte sie dem Großkönig Afrīdûn befohlen die Stadt zu schmücken; und das Volk feierte Freudenfeste und zechte Wein, ohne eine Ahnung von dem Verhängnis zu haben. Mitten in ihrem Siegesjubel aber krächzte plötzlich der Rabe der Trauer und Trübsal über ihnen, und die zwanzig geflüchteten Schiffe trafen mit dem König von Rûm bei ihnen ein. Der König Afrīdûn von Konstantinopel zog ihnen zum Strande entgegen und hörte dort von ihnen, wie es ihnen von den Moslems ergangen war. Da weinten sie und wehklagten, und die Siegesfreude verwandelte sich in Jammer und Verlust. Weiter berichteten sie ihm, daß auf Lukas, den Sohn des Schemlût, die Wechselfälle des Schicksals niedergekommen wären, und daß ihn des Verhängnisses tödlicher Pfeil getroffen hätte; da überkam den König Afrīdûn das Grausen des jüngsten Tages, da er wußte, daß niemand diese Krümmung wieder gerade machen konnte, lautes Wehklagen erhob sich, aller Entschluß erlahmte, die Klageweiber heulten, und Stöhnen und Weinen erscholl von allen Seiten. Wie nun aber erst der König von Rûm sich mit dem König Afrīdûn in den Palast begab und ihm dort die wahre Sachlage mitteilte, daß die Flucht der Moslems nur eine Kriegslist gewesen war, und seine Botschaft mit den Worten schloß: »Erwarte nicht, daß vom Heere noch andere kommen als die, welche bereits eingetroffen sind,« stürzte der König Afrīdûn ohnmächtig mit der Nase unter die Füße zu Boden.

Dreiundneunzigste Nacht.

Als er sich wieder von seiner Ohnmacht erholt hatte, sagte der König Hardûb von Rûm zu ihm: »Wir bedürfen weder des Großpatriarchen noch seines Gebetes, sondern haben nur nach dem Rat meiner Mutter Zât ed-Dawâhī zu handeln und abzuwarten, was sie in ihrer grenzenlosen Verschlagenheit mit dem Heere der Moslems anfängt, die jetzt mit aller Kraft auf uns loskommen und binnen kurzem bei uns sein und uns umzingeln werden.« 181

Als der König Afrīdûn diese Worte vernahm, wurde sein Herz von gewaltigem Schrecken gepackt, und zur selbigen Zeit und Stunde schrieb er an die andern Klimate der Nazarener die Worte: »Es ist notwendig, daß niemand von dem Volke des nazarenischen Bekenntnisses und der Kreuzesstreiter, insbesondere das Volk der Burgen und Festen dahinten bleibt, sondern daß alle zu Hauf, Mannen und Reisige, Frauen und Kinder zu uns kommen, da die Heerschar der Moslems bereits unsern Boden stampft. Eile, Eile, bevor der Schrecken naht.«

Was nun aber die alte Zât ed-Dawâhī anlangt, so war dieselbe mit ihrem Gefolge aus der Stadt gezogen und hatte demselben die Tracht von moslemischen Kaufleuten angelegt. Außerdem hatte sie hundert mit antiochenischen Zeugen, sowohl golddurchwirkten Seidenstoffen als auch Königsbrokaten und dergleichen, beladene Maultiere mit sich genommen und sich vom König Afrīdûn ein Schreiben ausstellen lassen, dessen Inhalt also lief: »Diese Kaufleute sind aus dem Lande Syrien und kommen aus unserer Stadt; es geziemt sich daher, daß niemand sie irgendwie schädigt oder ihnen den Zehnten auferlegt, damit sie in ihr Land und in Sicherheit gelangen, weil durch die Kaufleute die Länder blühen, und sie weder das Waffenhandwerk betreiben noch Verderben anrichten.« Nachdem die verruchte Zât ed-Dawâhī also ihren Begleitern Kaufmannstracht angelegt hatte, sagte sie zu ihnen: »Ich will eine List zum Verderben der Moslems ins Werk setzen.« Darauf antworteten sie: »O Königin, gebiete uns, was du willst, wir stehen in deinem Gehorsam, und der Messias vereitele nicht dein Werk!« Nun legte sie Gewänder aus zarter weißer Wolle an, rieb sich die Stirn wund und salbte sie mit einer selbsterfundenen Salbe, bis sie einen hellen Schein ausstrahlte. Die Verruchte war aber mageren Leibes und hohläugig. Alsdann schnürte sie sich Stricke um die Beine dicht über den Füßen und zog vorwärts, bis sie das Heer der Moslems erreicht hatte. Hier löste sie wieder die 182 Stricke von ihren Beinen, welche tiefe Spuren in ihre Waden gezogen hatten, salbte sie mit Drachenblut und befahl ihren Begleitern sie grausam zu schlagen und in eine Kiste zu packen. Auf ihre Entgegnung: »Wie könnten wir dich schlagen, da du unsere Gebieterin Zât ed-Dawâhī bist, die Mutter des hohen Königs!« erwiderte sie: »Trifft etwa jemand ein Vorwurf oder ein Tadel, wenn er auf den Abtritt geht? Die Not bricht das Verbot. Habt ihr mich in die Kiste gepackt, so nehmt sie zu dem andern Gut, ladet sie auf die Maultiere, und zieht damit durchs Heer der Moslems, ohne irgend welchen Tadel zu befürchten. Wenn euch aber einer der Moslems in den Weg tritt, so übergebt ihm die Maultiere samt allen ihren Lasten, begebt euch zu ihrem König Dau el-Makân, erflehet seinen Schutz und sprechet: »Wir waren im Lande der Ungläubigen, die uns nicht nur nichts nahmen, sondern uns obendrein noch einen Fermân ausstellten, daß uns niemand Hindernisse in den Weg legen sollte; wie wollt also ihr unser Gut nehmen? Hier ist das Schreiben des Königs von Rûm, welches besagt, daß uns niemand Gewalt anthun soll.« Wenn er dann fragt: »Was habt ihr mit euren Waren im Lande Rûm profitiert?« so antwortet ihm: »Wir hatten den Gewinn, daß wir einen Asketen befreiten, welcher in einem unterirdischen Verließ gegen fünfzehn Jahre gefangen gehalten wurde, ohne daß ihm jemand auf seine Hilferufe zu Hilfe kam, vielmehr Nacht und Tag von den Ungläubigen gefoltert wurde. Wir hatten, obwohl wir längere Zeit in Konstantinopel verweilten, keine Ahnung hiervon, sondern verkauften unsere Waren und kauften dafür andere ein, bis wir uns zurecht machten und in unser Land heimzukehren beschlossen. Nachdem wir uns in jener Nacht über die Reise besprochen hatten, erblickten wir am nächsten Morgen auf der Stadtmauer das Bild einer menschlichen Gestalt. Wie wir nun näher herantraten und sie scharf ins Auge faßten, regte sich das Bild plötzlich und redete uns an: »Ihr Moslems, ist jemand unter euch, 183 welcher im Dienste des Herrn der Welten arbeiten will?« Auf unsere Frage: »Wie das?« antwortete jenes Bild: »Sehet, Gott hat mir die Sprache verliehen, daß euer Vertrauen auf die Wahrheit gestärkt würde und euer Glauben euch inspirierte, und ihr aus dem Lande der Ungläubigen hinauszöget und euern Weg nähmet zur Heerschar der Moslems, unter welcher sich befindet des Barmherzigen Schwert, der Held der Zeit, der König Scharrkân, der da brechen wird Konstantinopel und vernichten das Volk des nazarenischen Bekenntnisses. Sobald ihr einen Weg von drei Tagen zurückgelegt habt, werdet ihr eine Einsiedelei finden, die bekannt ist als die Einsiedelei des Matrûhinā, in welchem sich eine Zelle befindet. Suchet dieselbe in lauterer Absicht auf und bemühet euch, sei es auch mit Gewalt, in dieselbe einzudringen. In derselben ist nämlich ein gottergebener Mann aus Jerusalem, Namens Abdallāh eingeschlossen, einer der frömmsten Menschen, von welchem Wunder gewirkt werden, die Zweifel und Unklarheit zerstreuen. Einer der Mönche hatte sich seiner mit List bemächtigt und in das Verließ vor langen Jahren eingesperrt; seine Befreiung trägt das Gefallen des Herrn der Gläubigen ein, denn seine Rettung kommt dem schönsten Glaubensstreit gleich.«

Nachdem die Alte dies mit ihren Begleitern verabredet hatte, sagte sie noch zu ihnen: »Wenn dann der König Scharrkân diese Worte, die ich euch hier auftrage, hört, so fügt hinzu: Als wir dies von dem Bild vernahmen, wußten wir, –

Vierundneunzigste Nacht.

daß jener Asket einer der größten Frommen und einer der heiligsten Gottesdiener war. Nachdem wir dann drei Tage gereist waren, sahen wir die Einsiedelei und stiegen zu ihr hinauf, worauf wir daselbst den Tag über nach Kaufmannsbrauch verkauften und kauften. Als nun aber der Tag sich neigte und das Dunkel der Nacht hereinbrach gingen wir zu jenem unterirdischen Verließ, und hörten den 184 Frommen Stellen aus dem Koran recitieren und in Versen sein Leid beklagen.« Darauf schloß die Alte: »Wenn ihr nun mit mir zum Heere der Moslems gekommen seid, und ich unter ihnen mich aufhalte, werde ich wissen, welche List ich ins Werk zu setzen habe, um sie in die Falle zu locken und sie bis auf den letzten Mann zu töten.«

Nachdem die Nazarener die Worte der Alten vernommen hatten, gaben sie ihr in Ehrfurcht die jämmerlichsten Schläge, weil sie einsahen, daß Gehorsam unumgängliche Pflicht war, und packten sie in die Kiste. Dann zogen sie, wie bereits erwähnt, geradeswegs auf das Heer der Moslems los.

Soviel was die verruchte Zât ed-Dawâhī und ihre Begleiter anlangt; was nun aber die Heerscharen der Moslems betrifft, so saßen dieselben nach dem Siege, den ihnen Gott über ihre Feinde verliehen hatte, und nach der Erbeutung aller der Güter und Schätze, die sich auf den Schiffen befanden, still da und unterhielten sich miteinander. Hierbei sagte Dau el-Makân zu seinem Bruder: »Nur um unserer Gerechtigkeit willen und wegen unserer Eintracht und Fügsamkeit hat uns Gott den Sieg verliehen. [Nach der Kalkuttaer Ausgabe.Darum, Scharrkân, fahre fort meinen Befehlen zu gehorchen, in Gehorsam gegen Gott, den Mächtigen und Herrlichen, da ich zehn Könige für meinen Vater erschlagen, fünfzigtausend Griechen den Hals abschneiden und in Konstantinopel einziehen will.« Scharrkân entgegnete: »Mein Leben sei dein Lösegeld vom Tod! Gewiß muß gestritten werden, sollte ich auch noch manch liebes Jahr in ihrem Lande verweilen. Aber, mein Bruder, ich habe in Damaskus eine Tochter, Kudia-fakân geheißen, an welcher mein Herz hängt, da sie zu den Wundern der Zeit gehört und bald herangewachsen ist.« Da sagte Dau el-Makân: »Auch ich habe meine Sklavin schwanger und nahe ihrer Zeit verlassen und weiß nicht was Gott mir von ihr bescheren wird. Aber, mein Bruder, 185 versprich mir, daß du mir, falls Gott mir von ihr einen Sohn schenkt, deine Tochter zur Frau für ihn gewährst und Eid und Schwur darauf ablegst.«] Scharrkân antwortete: »Viel Ehre und Vergnügen,« und seine Hand zu seinem Bruder ausstreckend, gelobte er: »Bringt sie dir einen Sohn, so gebe ich ihm meine Tochter Kudia-fakân.« Da freute er sich hierüber, und sie beglückwünschten einander zum Sieg über die Feinde. Auch der Wesir Dendân beglückwünschte Scharrkân und seinen Bruder und sagte zu ihnen: »Wisset, meine Könige, Gott hat uns den Sieg verliehen, darum daß wir unser Leben Gott weihten, dem Mächtigen und Herrlichen, und Haus und Heim verließen. Mein Rat geht nun dahin, daß wir ihnen nachsetzen und sie einschließen und bekämpfen, bis uns Gott unser Ziel erreichen läßt, und wir unsere Feinde mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben. Beliebt es euch, so besteigt die eroberten Schiffe und segelt übers Meer, während wir zu Land vorwärts marschieren und weiter kämpfen und fechten.« In dieser Weise ließ der Wesir Dendân nicht ab sie zum Kampf anzuspornen und schloß mit den Worten: »Preis Ihm, der uns mit seiner mächtigen Hilfe gestärkt hat, und uns solche reiche Beute an Gold und Silber hat gewinnen lassen.«

Dau el-Makân befahl nun dem Heere sich marschbereit zu machen, und die Truppen brachen auf und zogen in Eilmärschen auf Konstantinopel zu, bis sie an eine weite Wiesenflur gelangten, die reich an allen hübschen Dingen war, an fröhlich einherspringendem Wild, und wandelnden Gazellen. Sechs Tage lang hatten sie bereits große Wüsten durchzogen und waren ohne Wasser geblieben, als sie nun mit einem Mal sich dieser Wiese näherten und ihre springenden Quellen erblickten, die roten Früchte und das Land, das anzuschauen war, als hätte es Edens Schmuck genommen und sich angelegt; die Zweige waren trunken vom Nektar des Morgenthaus und schaukelten sanft im Wind, Tasnîmfüße mit dem Hauch des Zephyrs verbindend, so daß der Verstand und 186 das Auge bestrickt wurde. Als Dau el-Makân diese Wiese mit ihren nickenden Bäumen, den leuchtenden Blumen und trillernden Vögeln erblickte, rief er seinen Bruder Scharrkân und sagte zu ihm: »Mein Bruder, wahrlich, selbst in Damaskus giebt es nicht solche Stätte wie diese hier; wir wollen von hier erst wieder nach drei Tagen aufbrechen und uns hier ruhen, damit sich das Heer des Islams erholt, und sich ihre Seelen zum Empfang der verworfenen Ungläubigen stärken.« So machten sie denn Halt. Während sie aber hier lagerten, hörten sie mit einem Mal von fern ein Geschrei; als Dau el-Makân sich danach erkundigte, sagte man ihm: »Es ist eine Karawane syrischer Kaufleute, welche sich hier lagern wollte; kann sein, daß die Truppen auf sie gestoßen sind, und daß ihnen irgend einer etwas von ihren Waren genommen hat, da sie sich im Lande der Ungläubigen befinden.« Nach einer Weile kamen die Kaufleute schreiend an, um vom König Schutz zu erflehen. Als Dau el-Makân dies sah, befahl er dieselben vorzuführen. Sobald als sie vor ihm erschienen waren, sprachen sie: »O König, wir waren im Lande der Ungläubigen, wo man uns nichts raubte, wie dürften also unsere Brüder, die Moslems, uns unser Gut plündern, wo wir in ihrem Lande sind! Als wir eure Heerhaufen sahen, zogen wir ihnen entgegen, sie aber nahmen uns all unser Gut. Nun haben wir dir vermeldet, was uns zugestoßen ist.«

Alsdann holten sie das Schreiben des Königs von Konstantinopel hervor, und Scharrkân nahm es und sagte zu ihnen, nachdem er es gelesen hatte: »Wir werden euch alles, was euch genommen ist, zurückerstatten, doch hätte es sich für euch geziemt im Lande der Ungläubigen keinen Handel zu treiben.« Hierauf entgegneten sie ihm: »Unser Gebieter, Gott hat uns in ihr Land geschickt, daß wir dort etwas erbeuteten, was noch kein GhâzīUrsprünglich einer, welcher Heiden bekriegt, ein Glaubensstreiter, dann Feldherr, heute ein Titel, »der Siegreiche«. erbeutet hat, und auch ihr 187 nicht auf euren Kriegsfahrten wider die Heiden.« »Was ist's?« fragte Scharrkân. Da antworteten sie ihm: »Wir können es dir nur an einem geheimen Ort sagen, weil die Sache leichtlich, sobald sie unter dem Volk ruchbar wird, jemand zu Ohren kommen kann, und wir dadurch sowohl uns als auch jeden andern von den Moslems, der nach dem Lande Rûm zieht, ins Verderben stürzten.« – Die Kiste aber, in welcher die verruchte Zât ed-Dawâhī saß, hatten sie versteckt. – Hierauf nahm sie Dau el-Makân und sein Bruder Scharrkân in ein Privatgemach, wo sie ihnen nun die Geschichte des Asketen erzählten und dabei fortwährend weinten, daß auch Dau el-Makân und Scharrkân mitweinen mußten.

Fünfundneunzigste Nacht.

Nachdem sie ihnen alles nach der Weisung der Hexe Zât ed-Dawâhī berichtet hatten, wurde das Herz Scharrkâns von Mitleid und Liebe zum Asketen ergriffen; aufflammend in heiligem Zorn für Gott, den Erhabenen, fragte er sie: »Habt ihr diesen Asketen befreit, oder steckt er noch in der Einsiedelei?« Sie antworteten: »Nein, wir haben ihn befreit und erschlugen den Einsiedler aus Furcht für unser Leben; dann machten wir uns schnell davon, um dem Verderben zu entrinnen. Wir vernahmen aber von einem zuverlässigen Menschen, daß in jener Einsiedelei viele Centner Gold, Silber und Edelsteine liegen.«

Hierauf brachten sie die Kiste und holten aus ihr jene Verruchte hervor, die wegen ihrer schwarzen Farbe und großen Magerkeit einer Kassiaschote glich und noch dieselben Ketten und Fesseln trug. Als Dau el-Makân und die Anwesenden sie erblickten, hielten sie sie für einen Mann und einen der besten Diener Gottes und ausgezeichnetsten Asketen, insbesondere da ihre Stirn von der Salbe glänzte, mit welcher sie ihr Gesicht eingerieben hatte, und Dau el-Makân und sein Bruder weinten laut. Dann erhoben sich beide vor ihr, küßten ihr Hände und Füße und schluchzten bitterlich. Sie 188 aber winkte ihnen zu und sagte: »Lasset euer Weinen und hört auf meine Worte.« Da hörten sie, ihrem Befehle gehorchend, auf zu weinen, und sie sagte nun zu ihnen: »Wisset, ich war mit dem, was mein Herr an mir gethan, zufrieden, weil ich weiß, daß das Leid, welches über mich verhängt wurde, eine Prüfung von Ihm, dem Mächtigen und Herrlichen, war, und weil der, welcher in Leid und in der Drangsal nicht stand hält, auch nicht eingehen darf in die Gärten der Seligkeit. Allerdings verlangte ich nach der Heimkehr in mein Land, aber nicht um ein Ende des Leides, das über mich verhängt wurde, zu finden, sondern um unter den Rosseshufen der Glaubensstreiter sterben zu dürfen, welche nach ihrem Tod in der Schlacht zum ewigen Leben erstehen.« Darauf sprach sie die Verse:

»Unsre Burg ist der TürDer Sinai., und das Feuer die lodernde Schlacht,
Moses bist du, und dies die gesegnete Zeit.
Wirf hin deinen Stab, und verschlungen ist all ihre List,
Zag' nicht, denn du stehst vor dem Zauber der Stricke gefeit;Sure 20: Sie sagten: Willst du, o Moses, deinen Stab hinwerfen, oder sollen wir die unsrigen zuerst hinwerfen? Er antwortete: Werfet nur zuerst hin! Und siehe, es kam ihm durch ihre Zauberei vor, als liefen ihre Stricke und Stäbe wie Schlangen umher, worüber das Herz Moses in Furcht kam. Aber wir sagten zu ihm: Fürchte dich nicht, denn du wirst siegen; darum wirf nur hin den Stab, den du in deiner rechten Hand hast, damit er verschlinge, was jene gemacht haben.
In die Nacken der Heiden schreib' Vers auf Vers mit dem Schwert
Und bet' von den fliehenden Reihen die Suren im Streit.«

Als die Alte ihre Verse beendet hatte, rannen ihr die Thränen aus den Augen, während ihre gesalbte Stirn hellen Lichtschein ausstrahlte; Scharrkân aber erhob sich vor ihr, küßte ihr die Hand und holte ihr etwas zu essen, doch lehnte sie es ab, indem sie sagte: »Seit fünfzehn Jahren habe ich den Tag über standhaft gefastet, wie sollte ich also jetzt das Fasten brechen, wo der Herr mich in seiner Güte aus der Gefangenschaft der Ungläubigen errettet und von mir 189 genommen hat, was mir qualvoller als die Strafe des höllischen Feuers war? Ich will bis zum Sonnenuntergang warten.«

Als nun der Abend gekommen war, gingen Scharrkân und Dau el-Makân zu ihr, trugen ihr Speise auf und sagten zu ihr: »Iß, o Asket.« Sie antwortete jedoch: »Dies ist nicht Essenszeit, sondern die Stunde dem vergeltenden König zu dienen.« Dann stellte sie sich in die Gebetsnische und betete bis die Nacht vorüber war. In dieser Weise verfuhr sie drei Tage und Nächte und setzte sich nur zur Zeit des Salâms am Ende der Gebete, so daß der Anblick solcher Frömmigkeit das Herz Dau el-Makâns mit festem Vertrauen auf sie erfüllte, und er zu seinem Bruder Scharrkân sagte: »Laß für diesen frommen Mann ein Lederzelt aufschlagen und beauftrage einen Kammerdiener mit seiner Wartung.« Am vierten Tage endlich verlangte sie nach Speise. Als man ihr aber von allen Arten, die das Herz erfreuen und die Augen entzücken, vorgesetzt hatte, aß sie von alledem nur ein Gerstenbrötchen mit Salz, worauf sie wieder das Fasten begann, bis die Nacht kam und sie zum Gebet aufstand. Da sagte Scharrkân zu Dau el-Makân: »Fürwahr dieser Mann treibt die Weltentsagung bis zum höchsten Grad; wäre nicht dieser heilige Krieg, ich schlösse mich ihm an und diente Gott, indem ich seiner wartete, bis ich vor ihm stehe. Gern aber möchte ich zu ihm ins Zelt und mich mit ihm eine Weile unterhalten.« Dau el-Makân entgegnete: »Ich möchte das gleiche; doch, da wir morgen wieder zum Streit wider Konstantinopel aufbrechen, finden wir keine bessere Stunde als eben jetzt.« Nun sagte auch der Wesir Dendân: »Ich möchte gleichfalls diesen Asketen von Angesicht schauen; vielleicht bittet er zu Gott, daß ich in diesem heiligen Krieg mein Leben lasse und vor meinen Herrn trete, denn ich bin der Welt satt.«

Als nun das Dunkel der Nacht sie verbarg, traten sie in das Zelt der Hexe Zât ed-Dawâhī und fanden sie stehend 190 und betend. Weinend aus Mitleid mit ihr traten sie näher, doch sie wendete sich nicht eher nach ihnen um als bis die Mitternacht gekommen war, und sie ihre Gebete mit dem Salâm beendet hatte. Dann trat sie ihnen entgegen, wünschte ihnen langes Leben und fragte sie, weshalb sie gekommen wären. Sie antworteten ihr: »O heiliger Mann, hörtest du denn nicht wie wir rings um dich weinten?« Sie entgegnete jedoch: »Der, welcher vor Gott steht, hat alle irdische Wesenheit verloren, so daß er weder etwas hört noch sieht.« Hierauf sagten sie zu ihr: »Wir möchten gern, daß du uns die Ursache deiner Gefangenschaft erzählst und für uns heute Nacht betest, was heilsamer für uns sein wird als der Besitz Konstantinopels.«

Als sie ihre Worte vernahm, sagte sie: »Bei Gott, wäret ihr nicht die Fürsten der Moslems, so würde ich euch nie und nimmermehr etwas davon erzählen, denn allein zu Gott klage ich mein Leid. Nun aber will ich euch die Ursache meiner Gefangenschaft berichten. Wisset, ich lebte zu Jerusalem zusammen mit einigen Heiligen und Ekstatikern ohne Hoffart vor ihnen, da mich Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – mit Demut und Entsagung begnadet hatte, bis es sich traf, daß ich eines Nachts zum Meere ging und auf dem Wasser wandelte. Da überkam mich die Hoffart, von wannen, das weiß ich nicht, so daß ich bei mir sprach: »Wer kann wohl gleich mir auf dem Wasser wandeln!« Von Stund an verhärtete sich mein Herz und Gott, der Erhabene, strafte mich mit der Lust zum Reisen. So zog ich denn aus zum Lande Rûm und zog in seinen Gebieten ein ganzes Jahr umher, bis kein Ort mehr übrig war, an welchem ich nicht Gott gedient hätte. Als ich nun an diese Stätte hier kam, stieg ich auf dieses Gebirge, in welchem sich die Einsiedelei eines Mönches, Namens Matrûhinā befindet. Wie mich der Mönch erblickte, kam er zu mir heraus, küßte mir Hände und Füße und sagte zu mir: »Ich sah dich, seitdem du das Land Rûm betratest, und hast du mich mit 191 heißem Verlangen nach dem Lande des Islams erfüllt.« Hierauf faßte er mich bei der Hand, führte mich in jene Einsiedelei und betrat mit mir einen dunkeln Raum. Kaum aber war ich hier eingetreten, da verriegelte er unversehens hinter mir die Thür und ließ mich dort vierzig Tage lang ohne Speise und Trank, da es seine Absicht war mich langsam sterben zu lassen.

Eines Tages nun traf es sich, daß ein Bitrîk, Namens Decianus, mit zehn seiner Mannen und seiner Tochter Tamāthîl, einem Mädchen von unvergleichlicher Schönheit, jene Einsiedelei aufsuchte. Als sie die Einsiedelei betreten hatten, und der Mönch Matrûhinā ihnen von mir erzählte, sagte der Bitrîk: »Holt ihn heraus, da er nicht mehr für einen Vogel genug Fleisch zum Fressen an seinen Knochen haben wird.« Wie sie nun aber die Thür jenes dunkeln Raumes öffneten, fanden sie mich in der Gebetsnische aufrecht im Gebet, den Koran recitierend, Gott, den Erhabenen, preisend und mich vor ihm demütigend, so daß Matrûhinā bei meinem Anblick sagte: »Das ist ein Erzzauberer.« Als sie seine Worte vernahmen, kamen alle auf mich los, und Decianus packte mich mit seiner Schar und schlug mich so grausam, daß ich mir den Tod herbeiwünschte und mich tadelte und bei mir sprach: »Das ist die Strafe für den Hoffärtigen, der sich der Gnade seines Herrn in dem, was außer seinem Vermögen steht, überhebt. Du, meine Seele, warst stolz und hoffärtig geworden; wußtest du nicht, daß der Stolz den Herrn erzürnt, das Herz verhärtet und den Menschen ins höllische Feuer führt?«

Hierauf fesselten sie mich und brachten mich wieder in meinen Raum, der ein unterirdischer Keller jenes Gebäudes war. Alle drei Tage gab man mir nun einen Laib Gerstenbrot zu essen und einen Schluck Wasser zu trinken, und jeden kommenden oder dritten Monat kam der Bitrîk mit seiner Tochter Tamāthîl zur Einsiedelei, bis ich fünfzehn Jahre in der Gefangenschaft verbracht hatte, und Tamāthîl, 192 die ein Mädchen von neun Jahren gewesen war, als ich sie zum erstenmal gesehen hatte, nunmehr vierundzwanzig Jahre zählte und schöner als alle Mädchen in unserm Lande oder im Lande Rûm geworden war. Ihr Vater aber war besorgt um sie, daß der König sie ihm fortnehmen könnte, da sie ihr Leben dem Messias geweiht hatte, nur daß sie mit ihrem Vater in Rittertracht ausritt, so daß sie, obwohl sie unvergleichlich schön war, von keinem als Mädchen angesehen wurde. Außerdem aber hat ihr Vater all sein Gut in dieser Einsiedelei aufbewahrt, da jeder, der etwas an Kostbarkeiten besitzt, sie in dieser Einsiedelei zu deponieren pflegt, so daß ich eine Menge von Gold- und Silbersachen, Juwelen, wertvolle Gefäße und Kostbarkeiten dort sah, die Gott allein zu zählen vermag. Ihr seid derselben würdiger als jene Ungläubigen, darum nehmt alles, was sich in der Einsiedelei befindet, und verschenkt es an die Moslems, insbesondere an die heiligen Gottesstreiter.

Als nun jene Kaufleute nach Konstantinopel gekommen waren und ihre Waren verkauft hatten, redete jene Figur auf der Mauer durch ein Wunder, mit dem mich Gott begnadete, zu ihnen, worauf sie zur Einsiedelei kamen und den Patriarchen Matrûhinā erschlugen, nachdem sie ihn zuvor auf die grausamste Weise gezüchtigt und ihn an seinem Bart geschleift hatten, bis er ihnen mein Verließ zeigte. Dann nahmen sie mich und fanden aus Furcht vor ihrem Verderben keinen andern Ausweg als zu flüchten. Morgen Nacht aber wird Tamāthîl nach ihrer Gewohnheit wieder zur Einsiedelei kommen, begleitet von ihrem Vater und seinen Mannen, da er für sie besorgt ist. Wollt ihr diese Dinge mit eigenen Augen sehen, so nehmt mich mit, daß ich euch das Geld und den Schatz des Bitrîken Decianus, welcher sich in jenem Berge befindet, übergebe. Ich hatte es gesehen, wie sie die goldenen und silbernen Gefäße hervorholten und aus ihnen tranken; auch gewahrte ich ein Mädchen unter ihnen, das ihnen arabische Lieder vorsang; 193 wie schade, wenn diese schöne Stimme nicht den Koran vortragen dürfte! Wollt ihr, so verbergt euch in jener Einsiedelei, bis Decianus mit seiner Tochter kommt, und nehmt sie gefangen, denn, siehe, nur für den König der Zeit, für Scharrkân, paßt sie oder auch für den König Dau el-Makân.«

Als sie ihre Erzählung vernommen hatten, freuten sie sich bis auf den Wesir Dendân, in dessen Verstand ihre Erzählung nicht wollte; doch mochte er, wiewohl er über ihre Worte betroffen war, und auf seinem Antlitz die Spuren des Mißtrauens gegen sie sichtbar wurden, aus Respekt vor dem König mit ihr nicht reden. Zât ed-Dawâhī aber hob von neuem an: »Ich fürchte, daß der Bitrîk, wenn er kommt und diese Heeresmassen auf der Wiese lagern sieht, es nicht wagen wird die Einsiedelei zu betreten.«

Infolgedessen befahl der Sultan dem Heere gen Konstantinopel aufzubrechen und sagte: »Wir wollen hundert Reiter und einen Troß Maultiere mit uns nehmen und nach jenem Berge ziehen, um das Geld aus dem Kloster zu holen;« dann ließ er unverzüglich den Großkämmerling und die Führer der Türken und Deilamiten zu sich entbieten und befahl ihnen: »Sobald der Morgen tagt, so macht euch auf den Marsch gegen Konstantinopel. Du, mein Großkämmerling, sollst meinen Platz im Rat und in der Leitung einnehmen, und du, Rostem, sollst meines Bruders Stellvertreter in der Schlacht sein. Laßt aber zu keinem etwas darüber verlauten, daß wir nicht bei euch sind; nach drei Tagen werden wir wieder zu euch stoßen.« Alsdann wählte er hundert der tapfersten Reiter aus, zog mit seinem Bruder Scharrkân und dem Wesir Dendân aus dem Lager und nahm Maultiere und Kisten mit sich, um das Geld aus der Einsiedelei, welche ihnen die verruchte Zât ed-Dawâhī beschrieben hatte, fortzuschaffen. 194

Sechsundneunzigste Nacht.

Am nächsten Morgen ließ der Kämmerling unter dem Heer den Befehl zum Aufbruch verkünden, worauf die Truppen im Glauben, daß Scharrkân, Dau el-Makân und der Wesir Dendân unter ihnen seien, und ohne zu wissen, daß sie sich nach der Einsiedelei aufgemacht hatten, den Marsch antraten.

Soviel, was das Heer anlangt; was nun aber Scharrkân, seinen Bruder Dau el-Makân und den Wesir Dendân betrifft, so hatten dieselben bis zum Ende des Tages sich verweilt, während welcher Zeit die Ungläubigen, die Begleiter der Zât ed-Dawâhī heimlich abgezogen waren, nachdem sie zuvor sie aufgesucht, ihr Hände und Füße geküßt und sie um Erlaubnis zur Abreise gebeten hatten; und sie hatte ihnen nicht nur die Erlaubnis gewährt, sondern auch ihren ganzen listigen Plan anvertraut.

Als es dann finstre Nacht geworden war, sagte die Alte zu Dau el-Makân und seinen Begleitern: »Auf, brecht jetzt mit mir zum Berge auf und nehmt etwas Bedeckung mit.« Sie gehorchten ihr und ließen am Fuß des Berges fünf Reiter, während die andern vor Zât ed-Dawâhī ritten, welche in ihrer großen Freude von neuer Kraft beseelt wurde, so daß Dau el-Makân sagte: »Gepriesen sei Er, welcher diesen Asketen, desgleichen wir nimmer gesehen haben, gestärkt hat!« Die Hexe hatte jedoch einen Brief auf den Schwingen eines VogelsDie Taubenpost war im Orient früh bekannt. zum König von Konstantinopel entsandt, in welchem sie ihm das Geschehene mitteilte und zum Schluß sagte: »Ich wünsche, daß du mir zehntausend der tapfersten Reiter Rûms schickst, doch müssen sie unbemerkt am Fuß des Gebirges entlang ziehen, daß sie nicht vom Heer des Islams bemerkt werden; sind sie zur Einsiedelei angelangt, so sollen sie sich daselbst verbergen, bis 195 ich in Begleitung des Königs der Moslem und seines Bruders zu ihnen komme. Ich habe sie nämlich durch eine List gefangen und mich mit ihnen nebst dem Wesir Dendân und hundert Reitern, nicht mehr, zur Einsiedelei aufgemacht, wo ich ihnen die Kreuze, die daselbst sind, ausliefern werde; auch bin ich entschlossen den Mönch Matrûhinā zu erschlagen, da die List nur durch seinen Tod gelingen kann. Ist dieselbe ausgeführt, so wird von den Moslems kein Mann und kein Feueranbläser heimgelangen, und Matrûhinā wird das Opfer sein für das Volk des nazarenischen Glaubens und der Kreuzesheerschar, und Lob und Preis dem Messias von Anfang bis zu Ende!«

Als nun der Brief nach Konstantinopel gekommen war, begab sich der Taubenwärter mit dem Blatt zum König Afrīdûn, welcher sofort, nachdem er dasselbe gelesen hatte, Truppenschau hielt, zehntausend Mann mit je einem Roß, einem Dromedar, einem Maultier und mit Proviant ausrüstete, und ihnen nach jener Einsiedelei aufzubrechen befahl.

Soviel, was jene anlangt; was aber den König Dau el-Makân, seinen Bruder Scharrkân, den Wesir Dendân und ihre Bedeckung betrifft, so waren sie sofort, als sie bei der Einsiedelei angelangt waren, in dieselbe eingedrungen, wo ihnen der Mönch Matrûhinā entgegenkam, um zu sehen, was sie wollten. Da rief der Asket: »Schlagt diesen Verruchten nieder,« und sie erschlugen ihn mit ihren Schwertern und gaben ihm den Becher des Todes zu trinken. Hierauf führte sie die Verruchte zu dem Raum, in welchem sich die frommen Gaben befanden, und sie schafften noch mehr Kostbarkeiten und Schätze heraus, als sie ihnen beschrieben hatte. Nachdem sie alles zusammengeschafft hatten, packten sie es in die Kisten und luden sie auf die Maultiere. Tamāthîl kam jedoch weder selbst noch ihr Vater aus Furcht vor den Moslems. Dau el-Makân wartete deshalb den ganzen Tag über auf sie und den folgenden und dritten, bis Scharrkân sagte: »Bei Gott, mein Herz ist über das 196 Heer des Islams in Unruhe, da ich nicht weiß, wie es mit den Truppen steht.« Sein Bruder antwortete ihm: »Da wir nunmehr dieses große Gut erbeutet haben, und ich nicht glaube, daß Tamāthîl oder irgend ein anderer nach den Ereignissen, die das Heer Rûms betroffen haben, hierher nach der Einsiedelei kommen wird, so geziemt es uns, uns mit dem, was Gott uns gewährt hat, zufrieden zu stellen und aufzubrechen, daß Gott uns vielleicht bei der Eroberung Konstantinopels Hilfe gewährt.«

Hierauf ritten sie den Berg hinunter, ohne daß Zât ed-Dawâhī ihnen, aus Furcht ihren Betrug zu verraten, entgegenzutreten gewagt hätte. Schon waren sie an den Eingang der Thalschlucht gekommen, als plötzlich die zehntausend Reiter, welche ihnen dort die Alte in den Hinterhalt gelegt hatte, sie von allen Seiten umringten, im Fluge die Lanzen richteten, die weißen Klingen zückten, ihres Unglaubens Schlachtruf erhoben und die Pfeile ihrer Tücke auf die Sehne setzten.

Als nun Dau el-Makân, sein Bruder Scharrkân und der Wesir Dendân diese Streiter sahen und wahrnahmen, daß es ein großer Haufen war, sagten sie: »Wer hat diesem Heerhaufen von uns Kunde gegeben?« Scharrkân aber entgegnete: »Mein Bruder, jetzt ist keine Zeit zum Reden, jetzt heißt es das Schwert zu schwingen und die Pfeile zu schießen. So stärket also euern Mut und festigt eure Seelen, denn diese Schlucht ist wie eine Straße mit zwei Thoren; beim Herrn der Araber und Adschamer, wäre dieser Platz nicht so eng, ich wollte sie vertilgen, auch wenn es ihrer hunderttausend Reiter wären.« Dau el-Makân erwiderte darauf: »Wenn wir das hätten ahnen können, so hätten wir fünftausend Reiter mit uns genommen.« Der Wesir Dendân aber sagte: »Wenn wir auch hier in diesem Engpaß zehntausend Reiter bei uns hätten, so würden sie uns nichts nützen können. Ich kenne diesen Ort, und weiß wie eng die Straße ist, doch weiß ich auch, daß es hier viele 197 Schlupfwinkel giebt, da ich hier schon mit dem König Omar en-Noomân eine Razzia machte, als wir Konstantinopel bedrängten, und hierselbst lagerten, wo es Wasser giebt, das kälter als Schnee ist. Vorwärts, daß wir aus diesem Engpaß herauskommen, bevor uns die Haufen der Ungläubigen zu stark bedrängen und früher als wir auf die Gipfel der Berge gelangen, und dann Felsstücke auf uns niederwälzen, daß wir hilflos dastehen.«

Wie sie nun in aller Hast dem Ausgang aus der Schlucht zustrebten, sah sie der Asket an und sagte zu ihnen: »Was soll diese Furcht, wo ihr doch eure Seelen für die Sache Gottes des Erhabenen verkauft habt? Bei Gott, ich steckte fünfzehn Jahre lang im Gefängnis unter der Erde und trat Gott niemals in seinem Ratschluß entgegen; kämpfet drum für Gottes Sache, und denkt daran, daß jeder, der von euch fällt, das Paradies als Asyl erlangt und durch seinen Tod sich Ruhm erwirbt.«

Als sie diese Worte des Asketen vernommen hatten, wich alle Sorge und Angst von ihnen, und sie standen fest, bis die Ungläubigen von allen Seiten auf sie anstürmten, die Schwerter auf ihrem Nacken spielten und der Becher des Todes unter ihnen kreiste. Die Moslems aber kämpften im Dienste Gottes den bravsten Kampf, indem sie ihre Feinde mit Speer und Schwert bearbeiteten, und Dau el-Makân teilte seine Hiebe gegen die Mannen aus, stürzte die Tapfern zu Boden und ließ ihre Köpfe zu fünf und fünf und zehn und zehn springen, bis er ihrer eine unberechenbare Zahl und unabschätzbare Menge vertilgt hatte. Während er nun so focht, sah er, wie die Verruchte mit dem Schwerte ihnen zuwinkte und sie stärkte, daß alle, die sich fürchteten, zu ihr flüchteten; sie gab ihnen aber auch Zeichen Scharrkân zu töten, und Schar auf Schar wendete sich gegen ihn, doch so oft eine Schar wider ihn rannte, berannte er sie desgleichen und trieb sie zurück, worauf eine neue Schar auf ihn stürmte, die er von neuem zurückjagte, das Schwert 198 auf ihre Nacken sausen lassend. In dem Glauben aber, daß der Segen des Asketen ihm den Sieg über sie verlieh, sprach er bei sich: »Wahrlich, auf diesen frommen Mann schaut Gott mit dem Auge seiner Gnade, und sein lauterer Wandel allein ist's, der meinen Mut wider die Ungläubigen stärkt; ich schaue, wie sie sich vor mir fürchten und nicht imstande sind stand zu halten, sondern bei jedem Angriff den Rücken kehren und ihr Heil in der Flucht suchen.«

Nachdem sie in solcher Weise den ganzen Tag über gekämpft hatten, zogen sie sich beim Anbruch der Nacht ermattet von der großen Arbeit und dem vielen Werfen von Felsstücken in eine in jener Schlucht gelegene Höhle zurück, nachdem von ihnen an jenem Tage ihrer fünfundvierzig gefallen waren. Als sie nun alle beisammen waren, fanden sie trotz eifrigsten Suchens keine Spur von dem Asketen, so daß sie hierdurch schwer bedrückt wurden und sagten: »Vielleicht ist er als Märtyrer gefallen.« Scharrkân aber sagte: »Ich sah, wie er die Reiter mit göttlichen Winken stärkte und mit den Versen des BarmherzigenKoranverse, die als Talisman gelten. beschirmte.«

Während sie in dieser Weise noch miteinander redeten, kam plötzlich die verruchte Zât ed-Dawâhī an, mit dem Haupt des Großbitrîken in der Hand, des Feldherrn über Zwanzigtausend, eines trutzigen Recken und widerspenstigen Satans, welchen einer der Türken durch einen Pfeilschuß erlegt, und Gott ins höllische Feuer gejagt hatte. Als die Ungläubigen das Werk der Moslems an ihrem Führer gesehen hatten, waren sie alle zu Hauf über ihn gefallen, hatten das Verderben über ihn gebracht und ihn mit ihren Schwertern zerhauen. Gott aber hatte seine Seele ins Paradies gejagt. Darauf hatte die Verruchte das Haupt des Bitrîken abgehauen und kam nun an und warf es Scharrkân, dem König Dau el-Makân und dem Wesir Dendân vor die Füße. Als Scharrkân sie erblickte, sprang er auf 199 seine Füße und rief: »Lob sei Gott für deinen Anblick, du frommer Mann, du Glaubensstreiter und Asket!« Sie aber entgegnete: »Mein Sohn, mich verlangte nach dem Märtyrertum an dem heutigen Tage, und ich stürzte meine Seele unter die Heerschar der Heiden, sie aber flohen vor mir. Da ihr nun abzoget, entbrannte in mir um euretwillen ein heiliger Zorn, ich stürzte auf den Großbitrîken, ihren Feldherrn, los, der tausend Ritter wert war, und gab ihm einen Streich, daß sein Kopf vom Rumpf flog, ohne daß einer der Ungläubigen mir zu nahen vermochte; dann brachte ich euch seinen Kopf her –

Siebenundneunzigste Nacht.

damit sich eure Seelen zum heiligen Kampf stärkten, und ihr mit den Schwertern den Willen des Herrn der Gläubigen erfüllet. Ich will nun, während ihr im heiligen Kampf zu thun habt, zu euerm Heer gehen, wäre es selbst vor Konstantinopels Thoren, und will mit zwanzigtausend Mann zu Pferd zurückkehren, daß sie diese Ungläubigen vertilgen.« Da fragte Scharrkân: »Wie willst du zu ihnen hingehen, Asket, wo das Wadi von allen Seiten von Ungläubigen verrammelt ist?« Die Verruchte antwortete: »Gott wird mich vor ihren Augen verhüllen, daß mich keiner sieht, und daß niemand, falls ich auch bemerkt würde, den Mut hat mir entgegenzutreten. Denn, siehe, zu jener Stunde werde ich ganz in Gott aufgegangen sein, und er wird seine Feinde von mir abwehren.« Scharrkân erwiderte hierauf: »Du sprichst die Wahrheit, Asket; ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Könntest du aber zu Beginn der Nacht fortgehen, so wäre das besser für uns.« Der Asket versetzte: »Ich werde mich noch in dieser Stunde aufmachen, und wenn du ungesehen mit mir kommen willst, so mach' dich auf; will dein Bruder ebenfalls mit uns fort, so wollen wir ihn ebenfalls mitnehmen, doch weiter keinen, da der Schatten eines Heiligen nur zwei verhüllen kann.« Scharrkân 200 entgegnete ihm: »Was mich anlangt, so will ich meine Gefährten nicht verlassen, wenn aber mein Bruder einwilligt, so kann es nichts schaden, daß er mit dir fortgeht und aus dieser Klemme loskommt, da er die Burg der Moslems ist und das Schwert des Herrn der drei Welten. Wünscht er es, so mag er auch den Wesir Dendân mit sich nehmen oder einen andern, den er sich erwählt, und uns dann zehntausend Berittene zur Hilfe wider diese Elenden schicken.«

Nachdem sie sich hierüber geeinigt hatten, sagte die Alte: »Lasset mir Zeit, daß ich vor euch ausgehe und mich nach den Ungläubigen umsehe, ob sie schlafen oder wach sind.« Sie antworteten ihr darauf: »Nein, wir wollen nur mit dir zusammen fortgehen und unsre Sache Gott anheimstellen.« Sie erwiderte jedoch: »Wenn ich mich euch füge, so macht nicht mir, sondern euch selber Vorwürfe. Mein Rat geht dahin, daß ihr mir so lange Zeit lasset, bis ich die Ungläubigen verkundschaftet habe.« Nun sagte Scharrkân: »Geh' zu ihnen hinaus, doch bleibe nicht zu lange aus, da wir auf dich warten.«

Hierauf ging Zât ed-Dawâhī fort, während Scharrkân nach ihrem Fortgange im Gespräch mit seinem Bruder sagte: »Wäre dieser Asket kein Wunderthäter, so hätte er jenen reckenhaften Bitrîken nicht erlegt. Dies ist genügender Beweis für seine Wunderkraft; durch den Tod jenes Bitrîken ist die Kraft der Ungläubigen in der That gebrochen, da er ein trutziger Recke und ein widerspenstiger Satan war.«

Während sie noch miteinander über die Wunderkräfte des Asketen redeten, trat die verruchte Zât ed-Dawâhī wieder bei ihnen ein und verhieß ihnen den Sieg über die Ungläubigen, worauf sie dem Asketen hierfür dankten, ohne zu wissen, daß dieses eine listige Falle war. Nun fragte die Verruchte: »Wo ist der König der Zeit Dau el-Makân?« Dau el-Makân antwortete: »Hier,« worauf sie zu ihm sagte: »Nimm deinen Wesir mit dir und folge mir nach, da wir nunmehr nach Konstantinopel gehen.« Zât ed-Dawâhī hatte 201 aber den Ungläubigen ihren listigen Plan mitgeteilt, worauf diese in höchster Freude gerufen hatten: »Unser Herz wird nicht eher wieder froh sein als bis wir ihren König für den Bitrîken erschlagen haben, den besten Ritter, den wir hatten.« Dann sagten sie noch zur alten Hexe Zât ed-Dawâhī, als sie ihnen mitgeteilt hatte, daß sie zu ihnen mit dem König der Moslems kommen würde: »Hast du ihn gebracht, so wollen wir ihn vor den König Afrīdûn führen.« Wie nun die alte Zât ed-Dawâhī, gefolgt von Dau el-Makân und dem Wesir Dendân, aufbrach, sagte sie zu ihnen: »Ziehet hin unter dem Segen Gottes, des Erhabenen!« und sie gehorchten ihr, durchbohrt von dem Pfeile des Schicksals und Verhängnisses. Sie schritt nun in einem fort mit ihnen weiter, bis sie mitten unter das Heer Rûms gelangt waren und die obenerwähnte enge Schlucht erreicht hatten, während die Streiter der Ungläubigen sie anschauten und unbehelligt ließen, weil die Verruchte es ihnen also geboten hatte. Als Dau el-Makân und der Wesir Dendân das Heer der Ungläubigen sahen und bemerkten, daß die Ungläubigen sie zwar anschauten aber nicht aufhielten, sagte der Wesir Dendân: »Bei Gott, das ist ein vom Asketen gewirktes Wunder! Kein Zweifel, er gehört zu den Auserwählten,« worauf Dau el-Makân entgegnete: »Mir scheint es, als ob die Heiden mit Blindheit geschlagen wären, da wir sie sehen, sie aber nicht uns.« Während sie in solcher Weise den Asketen priesen und seine Wunder, seine Enthaltsamkeit und seine frommen Werke aufzählten, stürzten plötzlich die Ungläubigen auf sie, umringten sie, packten sie und fragten: »Ist noch sonst jemand bei euch, daß wir ihn festnehmen?« Der Wesir Dendân antwortete: »Seht ihr denn nicht jenen dritten Mann dort vor uns?« Die Ungläubigen erwiderten ihnen jedoch: »Beim Messias, den Mönchen, dem Katholikos und dem Metropoliten, wir sehen niemand weiter als euch.« Da sagte Dau el-Makân: »Bei Gott, unser Geschick ist eine von Gott, dem Erhabenen, verhängte Strafe.« 202

Achtundneunzigste Nacht.

Hierauf legten ihnen die Heiden Fußfesseln an und übergaben sie einigen Leuten zur Bewachung die Nacht über, während sie seufzten und zu einander sprachen: »Der Widerspruch gegen die Frommen verdient noch schlimmeres als dieses; die Klemme, in der wir jetzt stecken, ist unsere gerechte Strafe.«

Soviel was Dau el-Makân und den Wesir Dendân anlangt; was aber den König Scharrkân betrifft, so hatte er, nachdem er die Nacht über geruht hatte, und der Morgen angebrochen war, das Morgengebet verrichtet, war dann mit seinen Streitern aufgesprungen und hatte sich mit ihnen zum Kampf wider die Ungläubigen gewappnet, wobei er ihre Herzen stärkte und ihnen alles Gute verhieß. Dann waren sie aufgebrochen, bis sie nahe an die Ungläubigen gekommen waren.

Als aber die Ungläubigen sie erblickten, riefen sie ihnen zu: »Ihr Moslems, wir haben euern Sultan und den Wesir, welcher mit der Leitung eurer Angelegenheiten betraut ist, gebunden, und werden euch, lasset ihr nicht ab gegen uns zu streiten, bis auf den letzten Mann erschlagen. Ergebt ihr euch jedoch, so werden wir euch zu unserm König führen, welcher mit euch unter der Bedingung Frieden schließen wird, daß ihr unser Land verlasset und in euer Land heimkehrt, und wir uns gegenseitig in keiner Sache irgend ein Leid zufügen wollen. Willigt ihr hierin ein, so ist es euer Glück, wenn nicht, so müßt ihr sterben. Nun haben wir es euch vermeldet, und dies ist unser letztes Wort.«

Als Scharrkân ihre Worte vernommen und Gewißheit von der Gefangennahme seines Bruders und des Wesirs Dendân erhalten hatte, fiel es ihm schwer auf die Seele; weinend, und mit gebrochener Kraft erwartete er den sichern Untergang und sprach bei sich: »Was mag nur ihre Gefangennahme herbeigeführt haben? Haben sie sich etwa in 203 ihrem Benehmen gegen den Asketen vergangen oder haben sie ihm zuwidergehandelt, oder was ist es sonst gewesen?« Dann sprangen sie zum Kampf wider die Ungläubigen auf und erschlugen von ihnen eine große Menge; an jenem Tage ward der Tapfere von dem Feigling unterschieden, und Schwert und Speer rot gefärbt. Die Ungläubigen fielen in Schwärmen über sie her wie Fliegen über den Trank, und Scharrkân und seine Mannen hörten nicht auf zu streiten wider die, so den Tod nicht fürchten und sich nicht durch den Tod vom Kampf um den Sieg abschrecken lassen, bis das Wadi von Blutströmen floß, und die Erde von Erschlagenen bedeckt wurde.

Als dann die Nacht hereinbrach, trennten sich wieder die Haufen, und jede der beiden Parteien zog sich an ihren Platz zurück. Wie nun aber die Moslems in ihre Höhle zurückgekehrt waren, sahen sie, daß ihrer nur noch wenig übriggeblieben waren, und daß sie allein von Gott und ihrem Schwert Hilfe erhoffen konnten. Ihrer fünfunddreißig Rittersleute von den vornehmsten Emiren waren an jenem Tage gefallen, während sie mit ihren Schwertern von den Ungläubigen Tausende zu Fuß und Pferd erschlagen hatten. Als Scharrkân dieses festgestellt hatte, machte ihn die Sache beklommen, so daß er seine Gefährten fragte: »Was ist zu thun?« Seine Gefährten antworteten ihm darauf: »Nichts kann geschehen, als was Gott, der Erhabene, beschließt.«

Am andern Morgen sagte Scharrkân zu dem Rest seiner Streiter: »Wenn ihr zum Streit auszieht, so bleibt keiner von euch am Leben, zudem haben wir nur noch wenig Speise und Trank übrig. Mein Rat, den ich zu erteilen habe, trifft das Richtige, nämlich, daß ihr eure Schwerter zieht und euch draußen am Eingang der Höhle aufstellt, um jeden, der hier eindringen will, abzuwehren. Inzwischen hat wohl der Asket das Heer der Moslems erreicht und bringt uns zehntausend Reiter zur Hilfe wider die Ungläubigen. Vielleicht haben die Ungläubigen ihn und die 204 Truppen, die er bringt, gar nicht bemerkt.« Hierauf antworteten seine Gefährten: »Dieser Rat trifft das Richtige, und ist kein Zweifel in seiner Vortrefflichkeit.« Alsdann besetzten die Streiter den Eingang der Höhle und faßten zu beiden Seiten derselben Posto, jeden der Ungläubigen, der es versuchte, bei ihnen einzudringen, niederhauend und standhaft alle Angriffe der Ungläubigen von dem Eingang abwehrend, bis der Tag zur Rüste ging und das Dunkel der Nacht sie umfing –

Neunundneunzigste Nacht.

und dem König Scharrkân nur noch fünfundzwanzig Mann, und nicht mehr, übrig blieben.

Da sagten die Ungläubigen zu einander: »Wann sollen diese Tage ein Ende nehmen? Wir sind des Kampfes wider die Moslems müde geworden.« Einige von ihnen antworteten darauf: »Auf, wir wollen sie überfallen, denn nur noch fünfundzwanzig sind ihrer übrig geblieben; überwältigen wir sie aber nicht in dieser Weise, so wollen wir sie ausräuchern. Werden sie dann gefügig und übergeben sie sich uns, so nehmen wir sie gefangen; wenn nicht, so lassen wir sie das Feuer heizen, daß sie für alle Verständigen zur Lehre dienen, und der Messias erbarme sich nicht ihrer Väter, und lasse die Wohnung der Nazarener nicht ihre Herberge sein!« Hierauf schleppten sie Holz an den Eingang der Höhle und legten Feuer daran, so daß Scharrkân mit den Seinigen des Unterganges sicher war.

Während sie in solcher Lage waren, wendete sich der befehlshabende Bitrîk zu denen, die ihren Tod angeraten hatten, und sagte: »Sie sollen nicht anders als vor dem König Afrīdûn sterben, daß er seinen Rachedurst stillt. Wir müssen sie daher bei uns gefesselt halten und morgen mit ihnen nach Konstantinopel aufbrechen, wo wir sie dem König Afrīdûn ausliefern, daß er mit ihnen nach seinem Belieben verfährt.« Hierauf entgegneten sie: »Das ist das Richtige;« 205 dann befahlen sie ihnen die Hände auf dem Rücken zu fesseln und gaben ihnen eine Wache zur Seite.

Als es nun finstre Nacht geworden war, vergnügten sich die Ungläubigen mit Spiel und Schmaus, verlangten nach Wein und zechten bis alle von ihnen auf dem Rücken lagen, während Scharrkân, sein Bruder Dau el-Makân und alle ihre Gefährten gefesselt waren. Da blickte Scharrkân seinen Bruder an und fragte ihn: »Mein Bruder, wie kommen wir los?« Dau el-Makân antwortete: »Bei Gott, ich weiß es nicht, wir sind wie Vögel im Käfig.« Nun ergrimmte Scharrkân und dehnte und streckte sich stöhnend vor Zorn, daß seine Fessel sprang und er frei wurde. Dann trat er an den Hauptmann der Wachen heran, zog aus seiner Tasche die Schlüssel zu den Fesseln und löste Dau el-Makân, den Wesir Dendân und die übrigen seiner Gefährten. Hierauf wendete er sich zu seinem Bruder Dau el-Makân und dem Wesir Dendân und sagte: »Ich will drei der Wächter erschlagen, und dann wollen wir drei ihre Kleider nehmen und anlegen, daß wir als Griechen verkleidet unbemerkt zwischen ihnen hindurchschreiten und unser Heer aufsuchen.« Dau el-Makân erwiderte jedoch: »Das ist kein guter Rat, da wir, wenn wir sie erschlagen, zu befürchten haben, daß jemand ihr Todesröcheln hört und die Ungläubigen von allen Seiten her wach werden, über uns herfallen und uns niedermachen. Das Richtige ist vielmehr, daß wir aus der Schlucht herauszukommen suchen.« Darauf pflichteten alle ihm bei.

Als sie sich nun eine kurze Strecke hinter der Schlucht befanden, sahen sie Rosse angebunden und ihre Reiter schlafend daliegen. Da sagte Scharrkân zu seinem Bruder: »Es wäre gut, wenn sich jeder von uns eins von diesen Pferden nimmt.« Hierauf nahmen sie sich, da sie ihrer fünfundzwanzig waren, fünfundzwanzig Pferde, und Gott hatte über die Ungläubigen Schlaf geworfen um eines Ratschlusses willen, den er wußte. Alsdann raffte Scharrkân soviel Schwerter und Lanzen von den Waffen der Ungläubigen 206 an sich, als sie brauchten, und sie bestiegen nun die geraubten Rosse und trabten von dannen, während die Ungläubigen des guten Glaubens waren, daß niemand Dau el-Makân, seinen Bruder Scharrkân und ihre Waffengefährten zu lösen imstande wäre, und sie kein Mittel zur Flucht finden könnten.

Als nun alle der Gefangenschaft entronnen waren und sich vor den Ungläubigen in Sicherheit befanden, wendete sich Scharrkân zu ihnen und sagte: »Fürchtet euch nicht, dieweil Gott uns beschützt; doch habe ich einen Vorschlag zu machen, der vielleicht das Richtige trifft.« Da fragten sie ihn: »Wie lautet er?« Scharrkân antwortete: »Mein Wunsch geht dahin, daß ihr auf die Berge steigt, und alle auf einmal den Schlachtruf »Allāh Akbar« ausstoßet und hinzufüget: Die Heerschar des Islams ist über euch gekommen.« Hierdurch werden sie in Verwirrung geraten und werden die List nicht entdecken, da sie zur Stunde trunken sind und glauben werden, daß das Heer des Islams sie von allen Seiten eingeschlossen hat und bereits mitten unter ihnen ist. Dann werden sie von Rausch und Schlaf verwirrt übereinander mit den Schwertern herfallen, während wir sie mit ihren eigenen Schwertern in Stücke hauen und der Flamberg unter ihnen bis zum Morgen die Runde macht.« Dau el-Makân erwiderte ihm darauf: »Das ist kein guter Vorschlag; das Richtige ist, daß wir zu unserm Heer ziehen und kein Wort reden. Sobald wir das Feldgeschrei erheben, werden sie aufwachen und uns nachsetzen, so daß keiner von uns mit dem Leben davon kommt.« Scharrkân entgegnete jedoch: »Bei Gott, würden sie auch wach werden und uns nachsetzen, so machte es nichts für uns aus; ich brenne vor Verlangen, daß ihr meinen Vorschlag annehmt, denn nur Gutes kann daraus kommen.« Da willigten sie ein, stiegen auf den Berg und stießen das Feldgeschrei so laut aus, daß die Berge, die Bäume und Felsen aus Schrecken vor Gott »Allāh Akbar« mitriefen. Sobald nun die Ungläubigen das Feldgeschrei der Moslems vernahmen – 207

Hundertste Nacht.

schrieen sie einander zu, legten die Waffen an und riefen: »Beim Messias, die Feinde sind über uns gekommen!« Dann schlugen sie von ihren eigenen Leuten eine so große Menge tot, daß Gott, der Erhabene, ihre Anzahl allein kennt.

Als sie nun am Morgen nach den Gefangenen suchten und keine Spur von ihnen entdecken konnten, sagten die Anführer zu ihnen: »Niemand anders als unsere Gefangenen haben dieses Unheil unter euch angerichtet. Vorwärts, im Galopp ihnen nach, daß ihr sie einholt und ihnen den Becher des Verderbens zu trinken gebt; seid unbesorgt und laßt euch nicht verblüffen.« Hierauf sprangen sie in den Sattel und jagten ihnen nach, und es handelte sich nur um einen Augenblick, daß sie sie eingeholt und umzingelt hätten.

Als Dau el-Makân dies gewahrte, packte ihn großer Schrecken, und er sagte zu seinem Bruder Scharrkân: »Sieh', was ich befürchtete, ist nun eingetroffen; uns bleibt nun kein anderer Weg, als das Schwert für den Glauben zu ziehen.« Scharrkân antwortete hierauf kein Wort. Alsdann stürmte Dau el-Makân vom Gipfel des Berges mit dem Schlachtruf »Allāh Akbar«, desgleichen erhoben die andern Streiter das Feldgeschrei, und stürzten sich in den heiligen Kampf, um ihr Leben im Dienste des Herrn der Gläubigen zu verkaufen.

Während so das Gefecht entbrannte, hörten sie plötzlich laute Stimmen das Bekenntnis und Feldgeschrei und den Segen und Heilsspruch über den Freudenboten und StrafpredigerMohammed, insofern er das Paradies und die Hölle verhieß. rufen, und erblickten, als sie sich nach jener Richtung hinwendeten, die Heerschar der Moslems und die 208 Streiter der UnitarierUnitarier, im Gegensatz zu den Christen, welche Trinitarier sind. Vgl. Sure 112: Sprich: Gott ist der Einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich. im Anzug. Bei ihrem Anblick stärkten sich ihre Herzen, Scharrkân sprengte gegen sie los und stieß mit all den Bekennern der Einheit Gottes, die bei ihm waren, das Feldgeschrei »Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes, Allāh Akbar!« so laut aus, daß die Erde wie bei einem Erdbeben erdröhnte, und die Streiter der Heiden in die Berge auseinanderstoben, während ihnen die Moslems mit Schwert und Lanze nachsetzten, ihre Köpfe vom Rumpfe holten und unverdrossen ihre Nacken mit dem Schwerte bearbeiteten, bis der Tag zur Rüste ging, und das Dunkel der Nacht sie umfing. Hierauf sammelten sich die Moslems wieder und verbrachten die ganze Nacht über in heller Freude über den Sieg.

Als nun der Morgen anbrach und es hell ward und tagte, sahen sie, wie Bahrâm, der Feldherr der Deilamiten, und Rostem, der Feldherr der Türken, mit zwanzigtausend Mann zu Pferd gleich trotzig dreinschauenden Löwen ihnen entgegenkamen. Sobald die Reiter Dau el-Makân erblickten, stiegen sie ab, begrüßten ihn mit dem Salâm und küßten die Erde vor ihm. Dau el-Makân aber sagte zu ihnen: »Freuet euch über den Sieg der Moslems und die Vernichtung des Volkes der Ungläubigen.« Dann beglückwünschten sie einander zur Errettung und dem herrlichen Lohn am Tag der Auferstehung.

Der Grund aber dafür, daß sie an diesen Ort gekommen waren, war folgender: Nachdem die Emire Rostem und Bahrâm und der Großkämmerling mit den Heerhaufen der Moslems, die wehenden Banner über ihren Häuptern, abgezogen und vor Konstantinopel angelangt waren, sahen sie, daß die Ungläubigen, sobald als sie von dem Herannahen der islamischen Streiter und mohammedanischen Banner Kunde 209 bekommen hatten, die Wälle bestiegen, die Türme und Kastelle besetzt und in alle Burgen Verteidiger gelegt hatten, um bald darauf das Geklirr von Waffen, und den Lärm von Schlachtrufen zu hören. Als sie hinschauten, sahen sie die Moslems und hörten das Dröhnen der Rosseshufe unter den Staubwolken, als käme ein Heuschreckenheer herangezogen oder ein tosender Platzregen, und vernahmen die Stimmen der Moslems, die den Koran recitierten und den Erbarmer lobpreisten. Daß die Ungläubigen aber von dem Herannahen der Moslems Kunde erhalten hatten, bevor die Heeresmassen, in ihrer Menge an Mannen und Reisigen, an Weibern und Kindern gleich der tosenden Flut, heranrückten, hatte allein die alte Zât ed-Dawâhī mit ihrem Falsch, ihrer Verleumdung und ihrer Verschlagenheit zu Wege gebracht.

Wie sie nun vor Konstantinopel angelangt waren und dort die Massen der Ungläubigen erblickten, sagte der Emir der Türken zu dem Emir der Deilamiten: »Wir sind in Gefahr vor den Feinden dort auf den Wällen; schau nur jene Burgen und die Menschheit dort gleich der wellenbrandenden Flut. Jene Ungläubigen übertreffen uns um das Hundertfache, und wir sind nicht sicher vor einem Späher, der ihnen mitteilt, daß wir ohne Sultan sind. Wir laufen in der That Gefahr von diesen Feinden, deren Menge nicht zu zählen und deren Hilfsmittel unerschöpflich sind, zumal da der König Dau el-Makân, sein Bruder und der hochberühmte Wesir Dendân fern sind. Sobald sie das erfahren haben, werden sie wider uns entbrennen und uns mit dem Schwert bis auf den letzten Mann zusammenhauen, so daß keiner mit dem Leben davon kommt. Mein Rat geht demnach dahin, daß du mit zehntausend Reitern von den Mesopotamiern und Türken nach der Einsiedelei des Matruhinā und der Wiese des Malûhinā aufbrichst und nach unsern Brüdern und Gefährten suchst. Wenn ihr mir folgt, so könnt ihr ihnen Hilfe bringen, falls sie die Ungläubigen in die Enge getrieben haben, wenn nicht, so trifft mich kein 210 Vorwurf. »Ihr müßt aber schnell wieder zurück sein, denn Argwohn gehört zur Klugheit.« Der erwähnte Emir hieß den Rat gut, wählte sich zwanzigtausend Reiter aus und zog dann, alle Straßen bedeckend, mit ihnen nach der genannten Wiese und der berühmten Einsiedelei fort.

Was nun die alte Zât ed-Dawâhī anlangt, so hatte dieselbe, nachdem sie den Sultan Dau el-Makân, seinen Bruder Scharrkân und den Wesir Dendân in die Hände der Ungläubigen hatte fallen lassen, ein Roß bestiegen und zu den Ungläubigen gesagt: »Ich will das Heer der Moslems einholen und eine List zu ihrem Untergang ersinnen. Ich will ihnen mitteilen, daß ihre Führer umgekommen sind; dann wird ihr Zusammenhalt sich lösen, ihr Band wird zerreißen und ihre Haufen sich zerstreuen. Hierauf will ich den König Afrīdûn von Konstantinopel und meinen Sohn Hardûb, den König von Rûm, aufsuchen und ihnen von allem Mitteilung machen, daß sie ihre Truppen wider die Moslems ins Feld führen und sie bis auf den letzten Mann vernichten.« Hierauf war sie querfeldein auf ihrem Roß die ganze Nacht über geritten. Als sie dann am nächsten Morgen das Heer Bahrâms und Rostems erblickte, suchte sie ein Gehölz auf, verbarg dort ihr Pferd, trat dann wieder heraus und schritt zu Fuß ein Stück feldein, indem sie bei sich sprach: »Vielleicht ist das Heer der Moslems auf der Flucht begriffen, nachdem es bei dem Angriff auf Konstantinopel zurückgeschlagen ist.« Als sie aber näher kam und nun ihre Banner aufrechtDas umgekehrte Banner deutet die Niederlage an. erblickte, sah sie, daß sie nicht auf der Flucht begriffen waren, sondern um ihren König und ihre Gefährten besorgt waren. Als sie dies festgestellt hatte, lief sie ihnen, so schnell sie es vermochte, wie ein rebellischer Satan entgegen, bis sie sie erreicht hatte, und rief: »Eile, Eile, ihr Streiter des Barmherzigen, zum heiligen Kampf wider Satans Schar!«

Als Bahrâm sie erblickte, ritt er auf sie zu, stieg vor 211 ihr ab, küßte die Erde vor ihr und fragte sie: »Heiliger Gottesmann, was bringst du?« Sie entgegnete: »Frag' nicht nach dem Unheil und dem Entsetzlichen! Nachdem unsere Gefährten das Geld aus der Einsiedelei des Matrûhinā genommen hatten und gen Konstantinopel aufbrechen wollten, trat ihnen eine streitbare kühne Heerschar von den Ungläubigen entgegen.« Darauf trug sie ihnen die Geschichte vor, um sie in Furcht und Schrecken zu setzen, und sagte: »Die Meisten von ihnen sind umgekommen und nur fünfundzwanzig Mann sind übrig geblieben.« Bahrâm fragte sie darauf: »Asket, wann hattest du sie verlassen?« Sie antwortete: »In dieser Nacht.« Da rief Bahrâm: »Preis Ihm, welcher dir die weite Erde zusammenrollte und dich auf deinen Füßen wie auf der Rippe eines Palmblattes gehen ließ! Doch du gehörst zu den Heiligen, welche auf Flügeln dahinziehen, wenn sie von der Offenbarung seines Befehles inspiriert sind.« Dann stieg er wieder auf den Rücken seines Rosses, niedergeschlagen und bestürzt von allem, was er von der Meisterin in der Lüge und Verleumdung vernommen hatte, und rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Unsere Mühe ist verloren und unsere Herzen sind beklommen, denn unser Sultan ist mit allen seinen Begleitern gefangen.« Unverzüglich sprengten sie nun querfeldein in der Länge und Breite, in der Nacht und am Tage, bis sie gegen Anbruch der Morgendämmerung an den Eingang der Schlucht gelangten und Dau el-Makân und seinen Bruder Scharrkân erblickten, wie sie gerade das Feldgeschrei »Allāh Akbar, Es giebt keinen Gott außer Gott,« erhoben und Segen und Heil über den Freudenboten und Strafprediger erflehten. Da sprengte er mit seiner Schar gegen die Heiden los, stürzte sich von allen Seiten auf sie, wie der Sturzbach die Wüsten überflutet, und erhob mit seinem Kriegsvolk ein solches Feldgeschrei, daß die Tapfersten davor aufschrieen und die Berge sich spalteten. 212

Als nun der Morgen anbrach, und es hell ward und tagte, wehte ihnen der Duft und Wohlgeruch der Morgenfrühe von Dau el-Makân entgegen, und einer erkannte den andern, wie oben erzählt wurde. Nachdem sie dann die Erde vor Dau el-Makân und seinem Bruder Scharrkân geküßt hatten, und Scharrkân zu ihrem Staunen erzählt hatte, wie es ihnen in der Höhle ergangen war, sagten sie zu einander: »Laßt uns nach Konstantinopel eilen, da wir unsere Gefährten dort gelassen haben, und unsere Herzen bei ihnen sind.« Infolgedessen brachen sie, sich dem Allgütigen und Allwissenden anvertrauend, eilends auf, und Dau el-Makân feuerte ihre Herzen zur Ausdauer an, nachdem er seinen Bruder Scharrkân beglückwünscht und ihm für alle seine Taten gedankt hatte.

 


 

Ende des dritten Bandes.

 


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