Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band III
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Vierundsechzigste Nacht.

Man erzählt, daß Omar einmal bei einem Mamluken vorüberging, welcher Schafe hütete, und ein Schaf von ihm zu kaufen verlangte. Der Mamluk antwortete ihm jedoch: »Die Schafe gehören mir nicht.« Da sagte Omar: »Du bist mein Mann,« kaufte ihn und ließ ihn frei. Der Mamluk aber sagte: »O Gott, wie du mir die kleine Freilassung geschenkt hast, so schenke mir nun auch die große Freilassung.«Nämlich vom höllischen Feuer.

Ferner erzählt man, daß Omar, der Sohn des Chattâb, die frische Milch der Dienerschaft zu essen gab, während er selber derbe Kost aß, daß er seine Leute in feine Stoffe kleidete und selber grobe Kleidung trug und daß er dem Volk nach Gebühr und noch dazu gab. So gab er einst einem Manne 106 viertausend Dirhem und legte noch tausend Dirhem dazu. Als man nun zu ihm sagte: »Leg' doch auch deinem Sohne wie diesem hier zu,« sagte er: »Dieses Mannes Vater stand fest am Tag vom Ohod.«In der Schlacht am Berge Ohod, nahe bei Medina im Jahre 625 wurde Mohammed von seinem erbitterten Gegner Abu Sofjân geschlagen.

El-Hasan erzählt: »Omar kam einmal mit vielem Gelde an, als HafsaOmars Tochter und eine der Frauen Mohammeds. vor ihn trat und zu ihm sagte: »O Fürst der Gläubigen, den Anteil der Verwandtschaft!« Omar aber erwiderte ihr: »Hafsa, nach Gottes Gebot hab' ich den Anteil der Verwandtschaft von meinem Gelde auszuzahlen, nicht aber von dem Gelde der Moslems; Hafsa, vor deinem Volk hast du dich angenehm gemacht, aber deinen Vater hast du erzürnt.« Da ging sie mit schleifender Schleppe fort.

Omars Sohn erzählt: »Einmal im Laufe der Jahre flehte ich zu Gott, daß er mich meinen Vater sehen ließe, bis daß er mir erschien, sich den Schweiß von der Stirn wischend. Auf meine Frage: »Wie geht es dir, mein Vater?« antwortete er: »Ohne die Barmherzigkeit seines Herrn wäre dein Vater verdorben.«

Hierauf sagte Nushet es-Samân: »Glückseliger König, vernimm nun den zweiten Abschnitt vom ersten Kapitel, dem Kapitel der Wohlerzogenheit und der Tugenden, und was darin über die Nachfolger des Propheten und die Frommen erwähnt wird.

El-Hasan von Basra sagt: »Keines Menschen Seele verläßt die Welt, ohne daß er drei Dinge beklagt: nicht mehr genießen zu können, was er zusammengeschafft hat, nicht mehr erreichen zu können, was er erhofft hat, nicht mehr genug Reisekost für sein Reiseziel beschaffen zu können.«Es sind die guten Werke gemeint.

Sofjân wurde einmal gefragt: »Kann ein Mensch fromm sein und Geld besitzen?« Sofjân antwortete: »Jawohl, wenn er Prüfungen erträgt und für Gaben Dank weiß.« 107

Als Abdallāh, der Sohn des Schaddâd das Zeitliche segnen wollte, ließ er seinen Sohn Mohammed kommen und gab ihm folgende Ermahnung: »Mein Sohn, der Bote des Todes hat mich geladen, fürchte deinen Herrn ungesehen und vor aller Augen, danke Gott für seine Gaben und sei wahr in deiner Rede; Dank vermehrt das Wohlergehen und Frömmigkeit ist die beste Wegzehrung für die Auferstehung, wie einer der Dichter sagt:

Nicht Schätzesammeln bringt Glückseligkeit,
Dem Frommen nur wird wahres Glück beschert;
Der Zehrung beste bleibt die Gottesfurcht,
Gott giebt dir alles, was dein Herz begehrt.«

Hierauf sagte Nushet es-Samân: »Beliebe es dem Könige nun auch noch folgende Noten aus dem zweiten Abschnitt des ersten Kapitels zu hören.« Da fragte man sie: »Wie lauten sie?« und sie erzählte: »Als Omar, der Sohn des Abd el-AsîsAchter Omajjadenchalife. 99 D. H. (717). im Chalifat folgte, begab er sich zu seinen Hausgenossen, nahm alles, was sich in ihren Händen befand und legte es ins Schatzhaus. Da flohen die Banû Omajja erschrocken zu ihrer Tante Fâtime, der Tochter des Merwân, und gingen sie um Hilfe an. Fâtime schickte darauf zu ihm und ließ ihm sagen: »Ich muß dich unbedingt sprechen.« Als sie nun nachts zu ihm kam, half er ihr von ihrem Maultier herunter und sagte zu ihr, als sie Platz genommen hatte: »Tante, du hast zuerst zu sprechen, da du ein Anliegen hast; sag' mir also dein Begehren.« Fâtime antwortete: »O Fürst der Gläubigen, du hast das erste Wort, denn dein Scharfsinn durchschaut das dem Verstand der andern Verborgene.«

Hierauf sagte Omar, der Sohn des Abd el-Asîs: »Gott, der Erhabene, hat Mohammed – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – entsendet als einen Segen für die einen und eine Strafe für die andern, dann erwählte er für ihn alle, die bei ihm waren, nahm ihn zu sich – 108

Fünfundsechzigste Nacht.

und hinterließ den Menschen einen Strom, damit sie ihren Durst stillten. Hierauf erhob sich nach ihm Abū Bekr als Chalife und ließ den Strom in seinem Bette laufen, indem er that, was Gott wohlgefällig war. Nach Abū Bekr erhob sich Omar und verrichtete das beste der Werke der Gerechten, indem er wider die Ungläubigen eiferte, wie niemand nach ihm. Als sich nun Othmân erhob, leitete er von dem Strom einen Bach ab. Hierauf kam Moâwije und leitete mehrere Bäche ab; desgleichen thaten fort und fort Jesîd und die Söhne Merwâns, wie Abd el-Melik, El-Walîd und Suleimân, bis die Herrschaft auf mich kam, und ich nun den Strom wieder in seinen alten Zustand zurückbringen will.« Auf diese seine Worte sagte sie: »Ich wollte nur mit dir reden und mit dir eine Besprechung halten; ist dieses aber dein Wort, so habe ich nichts mehr zu dir zu sagen.« Darauf kehrte sie zu den Omajjaden zurück und sagte zu ihnen: »Schmecket nun die Folgen von eurer Versippung mit Omar, dem Sohn des Chattâb.«

Man erzählt, daß, als Omar, der Sohn des Abd el-Asîs, dem Heimgang nahe war, er seine Kinder rings um sich versammelte. Da sagte Maslame, der Sohn des Abd el-Melik, zu ihm: »O Fürst der Gläubigen, wie kannst du deine Kinder arm hinterlassen, da du doch ihr Beschützer bist, und dich niemand, so lange du am Leben bist, es dir wehren kann, daß du ihnen aus dem Schatzhause soviel, wie sie brauchen, giebst? das würde sich mehr geziemen als daß du es dem, welcher nach dir regiert, überlässest.« Da warf er Maslame einen zornigen und erstaunten Blick zu und sagte zu ihm: »Maslame, die Tage meines Lebens über habe ich ihnen dieses gewehrt, und wie soll ich nun durch sie nach meinem Tode elend werden? Entweder fürchten meine Söhne gleich den andern Menschen Gott und werden von ihm gesegnet oder sie sind sündhaft, und dann will ich 109 ihnen nicht in ihrer Sünde helfen. Maslame, ich und du, wir waren beide bei dem Begräbnis eines der Söhne Merwâns zugegen. Als ich darauf entschlief, sah ich ihn im Traum, wie er einer der Strafen Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, übergeben wurde. Sein Anblick setzte mich in Furcht und Schrecken und ich gelobte Gott, nicht also wie er zu thun, wenn ich zur Regierung käme. Mein ganzes Leben lang habe ich hiernach gestrebt und hoffe der Vergebung meines Herrn übergeben zu werden.«

Maslame erzählt: »Es lebte einmal ein Mann, bei dessen Begräbnis ich zugegen war. Als die Bestattung vorüber war, entschlief ich und sah ihn, wie ein Schläfer im Traume sieht, auf einer Aue mit fließenden Bächen in weißer Gewandung. Er kam auf mich zu und sagte zu mir: »O Maslame, für einen Lohn wie diesen sollten die Regenten regieren.«

Ähnliche solcher Beispiele giebt es viele. So sagt eine der Autoritäten: Ich melkte einst unter dem Chalifate Omars, des Sohnes des Abd el-Asîs, die Schafe und ging bei einem Hirten vorüber; da gewahrte ich unter seiner Herde einen oder mehrere Wölfe, glaubte aber, daß es Hunde wären, da ich zuvor noch niemals einen Wolf gesehen hatte. Wie ich ihn nun fragte: »Was machst du mit diesen Hunden?« antwortete er mir: »Das sind keine Hunde, sondern Wölfe.« Da fragte ich ihn: »Thun denn Wölfe in einer Herde keinen Schaden?« worauf er mir zur Antwort gab: »Ist das Haupt gesund, ist es auch der Leib.«

Einmal predigte Omar, der Sohn des Abd el-Asîs, von einer Kanzel aus Lehm, und sprach, nachdem er Gottes Lob und Preis verkündet hatte, drei Worte, nämlich: »Ihr Menschen, reinigt euer Herz, so daß euer Wandel euern Brüdern gegenüber rein ist, machet euch frei von den Sorgen um euer irdisches Gut und wisset, daß zwischen euch und Adam kein Lebendiger im Tode ist. Gestorben ist Abd el-Melik samt allen Früheren, und sterben wird Omar samt allen, die nach ihm kommen.« 110

Maslame fragte: »O Fürst der Gläubigen, sollen wir dir nicht ein Kissen geben, daß du dich ein wenig anlehnen kannst.« Der Chalife aber erwiderte: »Ich fürchte, es könnte dadurch mein Nacken mit einer Sünde am Tage der Auferstehung belastet werden.« Dann röchelte er und sank ohnmächtig zurück. Da rief Fâtime: »Marjam, Musâhim, o ihr Leute, schaut diesen Mann!« und goß ihm weinend Wasser ins Gesicht, bis er wieder aus seiner Ohnmacht zu sich kam und, da er sie weinen sah, sie fragte: »Was weinest du, Fâtime?« Sie antwortete: »O Fürst der Gläubigen, ich sah dich vor uns hingestreckt daliegen und dachte, wie du vor Gott, dem Mächtigen und Herrlichen, im Tode niedergestreckt liegen würdest und du die Welt verlassen und dich von uns trennen müßtest; das machte mich weinen.« Er versetzte darauf: »Genug, Fâtime, du übertreibst.« Dann wollte er sich erheben, doch fiel er dabei um, und Fâtime fing ihn mit den Worten auf: »Du bist mir wie Vater und Mutter, keiner von uns ist imstande mit dir zu reden.«

Hierauf sagte Nushet es-Samân zu ihrem Bruder Scharrkân, ohne daß sie von der Anwesenheit der vier Kadis und des Kaufmanns etwas wußte: »Hier endet der zweite Abschnitt des ersten Kapitels.«

Sechsundsechzigste Nacht.

Einmal schrieb Omar, der Sohn des Abd el-Asîs, zu den Festteilnehmern in Mekka: »Des Ferneren, so nehme ich Gott zum Zeugen im heiligen Monat, in der heiligen Stadt und am Tage der großen Pilgerfahrt, daß ich unschuldig bin an eurer Vergewaltigung und dem Unrecht, das euch zugefügt wird; ich habe es weder befohlen noch beabsichtigt, noch hatte mich bisher eine Kunde davon erreicht, daß ich irgend etwas davon wußte; und ich hoffe, daß es hierfür eine Vergebung geben wird, insofern ich niemand die Erlaubnis erteilt habe gegen irgend jemand Gewalt zu üben, denn ich werde für jeden, dem Unrecht geschehen ist, zur 111 Rechenschaft gezogen werden. Wenn irgend einer meiner Beamten von dem Rechten abweicht, was nicht in der Schrift oder Sunna steht, so habt ihr ihm nicht zu gehorchen, so daß er zum Rechten zurückkehrt.«

Ebenso sagte er – Gott hab' ihn selig! –: »Ich wünsche nicht des Todes enthoben zu werden, da der Tod das letzte ist, wofür der Gläubige belohnt wird.«

Eine der Autoritäten sagt: »Ich kam einmal zu Omar, dem Sohne des Abd el-Asîs, als er Chalife war, und sah vor ihm zwölf Dirhem liegen, welche er in das Schatzhaus zu bringen befahl. Da sagte ich zu ihm: »O Fürst der Gläubigen, du hast deine Kinder arm gemacht, so daß sie eine mittellose Familie sind; warum hast du ihnen und allen andern Armen unter deinen Hausgenossen nichts vermacht?« Da sagte er: »Tritt näher.« Wie ich nun näher getreten war, sagte er zu mir: »Was dein Wort anlangt: Du machst deine Kinder arm, vermache ihnen doch etwas, oder den Armen unter deinen Hausgenossen, so ist dasselbe unangemessen, weil Gott mein Stellvertreter bei meinen Kindern ist und der Beschützer der Armen unter meinen Hausgenossen. Sie sind gleich allen Menschen. Wer Gott fürchtet, dem gewährt Gott einen guten Ausgang, wer aber in der Sünde beharrt, den will ich nicht noch in der Sünde wider Gott stärken.« Hierauf schickte er nach ihnen, und sagte zu ihnen, da sie vor ihm standen, zwölf Söhne, und er sie anschaute, während ihm die Augen in Thränen standen: »Euer Vater steht zwischen zwei Dingen: Entweder werdet ihr reich, und euer Vater kommt ins Feuer, oder ihr bleibt arm und euer Vater gelangt ins Paradies. Euerm Vater aber ist es lieber, daß er ins Paradies kommt, als daß ihr reich werdet; gehet fort und wisset, daß ich eure Sache Gott anheim gebe.«

Châlid, der Sohn des Safwân, erzählt: »Mich begleitete einmal Jûsuf, der Sohn des Omar, zu Hischâm,Zehnter Omajjadenchalife. dem 112 Sohn des Abd el-Melik. Als ich zu ihm kam, traf ich ihn an, wie er gerade mit seiner Sippe und seiner Dienerschaft ausgezogen war. Nachdem er abgestiegen war, und man die Zelte aufgeschlagen hatte, ging ich, als die Leute ihre Plätze eingenommen hatten, auf den Teppich, auf dem er saß, zu, sah ihn an, bis mein Auge in seinem ruhte, und sagte dann: »Gott vollende seine Güte an dir, o Fürst der Gläubigen; er führe die Sache zum Rechten, die dich hier in Anspruch genommen hat, und lasse deine Freude ungetrübt! Ich weiß keinen besseren Rat für dich als ein Ereignis, welches unter einem deiner Vorgänger unter den Königen stattfand.« Da setzte er sich aufrecht aus seiner liegenden Haltung und sagte: »Her mit dem, was du zu sagen hast, Sohn des Safwân.« Nun sprach ich: »O Fürst der Gläubigen, es zog einmal ein König vor dir in einem Jahre vor diesem in dieses Land aus und sagte zu seiner Umgebung: »Habt ihr wohl jemand gesehen, der gleiche Macht als ich besaß, und dem ähnliches wie mir verliehen ward?« Es befand sich aber bei ihm ein Mann, von denen, die am Leben bleiben, um Zeugnis abzulegen, die das Recht hüten und auf seiner Hochstraße einherziehen. Derselbige sprach zu ihm: »O König, du hast nach einer großen Sache gefragt; gestattest du mir Antwort darauf zu erteilen?« Der König antwortete: »Gewiß.« Da fragte er: »Glaubst du, daß deine Macht besteht oder vergeht?« Der König erwiderte: »Sie ist vergänglich.« Darauf entgegnete er: »Wie kommt es dann, daß du über eine Sache frohlockst, die dir nur kurze Zeit gehört, für welche du für lange Zeit Rede und Antwort stehen mußt, und bei deren Abrechnung du als Pfand einzustehen hast?« Da rief er: »Wohin soll ich fliehen und wonach soll ich trachten?« Châlid antwortete: »Daß du in deinem Königtume bleibst und dich bestrebst Gott zu gehorchen; wenn nicht, so lege Lumpen an und diene deinem Herrn, bis deine Stunde kommt. Morgen in der Frühe aber will ich wieder zu dir kommen.« Als nun Châlid, der 113 Sohn des Safwân, in der Morgenfrühe an seine Thür pochte, sah er, daß Hischâm, der Sohn des Abd el-Melik, infolge seiner ernsten Ermahnung die Krone abgelegt hatte und sich als Betbruder durchs Land zu fahren rüstete; er weinte dabei so heftig, daß sein Bart ganz durchnäßt war, befahl ihn seines Prunks zu entkleiden und zog sich tief in sein Schloß zurück. Da kamen die Fürsten und Diener zu Châlid, dem Sohn des Safwân, und sagten zu ihm: »Gehst du also mit dem Fürsten der Gläubigen um? Du hast ihm die Lust verdorben und das Leben verbittert.«

Hierauf sagte Nushet es-Samân zu Scharrkân: »Wieviele Ermahnungen giebt es noch außerdem in diesem Kapitel! Ich bin nicht imstande in einer Sitzung dir alles, was zu diesem Kapitel gehört, zu berichten; in vielen Tagen jedoch, o König der Zeit, wird es gut gehen.«

Siebenundsechzigste Nacht.

Die Kadis aber sagten nun: »O König, dieses Mädchen ist das Wunder der Zeit und die Perle des Jahrhunderts; ein Mädchen wie dieses haben wir nimmer zuvor gesehen und gehört.« Dann wünschten sie ihm Segen aufs Haupt und gingen heim; der König Scharrkân aber wendete sich zu seinen Eunuchen und sagte zu ihnen: »Macht euch daran die Hochzeit zuzurüsten und bereitet Speisen allerlei Art.« Indem dieselben nun unverzüglich den Befehl des Königs vollzogen und die gesamten Speisen in Bereitschaft setzten, befahl er den Frauen der Wesire, Emire und Großen des Reiches nicht eher fortzugehen, bis sie der Entschleierung der Braut beigewohnt hätten.

Kaum war die Zeit des Nachmittagsgebets gekommen, als auch schon die Tische mit allem, was das Herz erfreut und das Auge ergötzt, aufgetragen wurden, und alle Leute aßen, bis sie genug hatten. Dann gab der König Scharrkân Befehl alle Sängerinnen in Damaskus zu holen, und nicht nur diese kamen, sondern auch alle Sklavinnen des Königs, 114 welche zu singen verstanden, und begaben sich insgesamt hinauf ins Schloß.

Als es Abend geworden war, und es dunkelte, zündete man die Lichter von dem Thore der Burg bis zum Schloßthor zur Rechten und Linken an, und die Wesire, die Emire und Großen schritten vor dem König Scharrkân einher; die Putzweiber aber nahmen das Mädchen in Empfang, um es zu schmücken und zu kleiden, und sahen, daß es keines Schmuckes bedurfte.

Inzwischen war der König Scharrkân ins Bad gegangen; als er wieder zurückkehrte, nahm er den Prunksitz ein, und nun wurde die Braut vor ihm entschleiert; dann zogen sie ihr wieder ihre Kleider aus und gaben ihr die Ratschläge, die man den Mädchen in der Hochzeitsnacht zu erteilen pflegt.

Hierauf besuchte sie der König Scharrkân, und sie ward noch in jener Nacht von ihm schwanger. Wie sie ihm dasselbe mitteilte, freute er sich mächtig und befahl den Weisen das Datum ihrer Schwangerschaft zu verzeichnen. Am nächsten Morgen setzte er sich auf den Thron, und die Großen des Reiches kamen zu ihm und beglückwünschten ihn. Dann ließ er seinen Geheimschreiber kommen und befahl ihm einen Brief an seinen Vater Omar en-Noomân des Inhalts zu schreiben, daß er eine kenntnisreiche und feingebildete Sklavin gekauft hätte, die alle Wissenschaften beherrschte, und daß er sie unbedingt nach Bagdad schicken müßte, daß sie seinen Bruder Dau el-Makân und seine Schwester Nushet es-Samân besuchte, ferner, daß er sie freigelassen und ihr den Ehekontrakt ausgestellt hätte, daß er ihr beigewohnt hätte, und sie von ihm schwanger geworden wäre. Hierauf siegelte er den Brief und schickte ihn per Eilboten seinem Vater. Nach Abwesenheit eines vollen Monats kam der Kurier mit der Antwort zurück und überreichte sie ihm. Scharrkân nahm sie und las sie und siehe, da stand nach dem Bismillāh: Dieses Schreiben ergeht von dem Niedergeschlagenen, dem Bekümmerten, dem Verwaisten an Kindern und Heimat, 115 von dem König Omar en-Noomân an seinen Sohn Scharrkân. Wisse, daß, seitdem du von mir fortzogest, der Ort mir eng geworden ist, so daß ich es nicht mehr ertragen und das Geheimnis nicht mehr bei mir behalten kann. Der Grund hiervon ist der, daß Dau el-Makân von mir verlangte nach El-Hidschâs zu ziehen, ich es ihm aber, da ich vor den Wechselfällen der Zeit um seinetwillen besorgt war, verwehrte und ihn auf das nächste oder übernächste Jahr vertröstete.

Achtundsechzigste Nacht.

Als ich hierauf auf die Jagd auszog und einen Monat lang fortblieb, fand ich bei meiner Heimkehr, daß dein Bruder und deine Schwester etwas Geld genommen hatten und heimlich mit den Mekkapilgern fortgezogen waren. Als ich dieses erfuhr, wurde mir die weite Welt eng, doch wartete ich auf die Heimkehr der Pilger, in der Hoffnung, daß sie mit ihnen zurückkehren würden. Als die Pilger heimkamen, fragte ich sie nach ihnen aus, doch konnte mir keiner von ihnen Kunde geben. Da legte ich für sie Trauerkleidung an, und bin nun wie einer, dem sein Herz gepfändet ist, ohne Schlaf, und untergesunken in den Thränen meines Auges.« Dann schrieb er die beiden Verse:

Ihr Bildnis schwebt vor meinem Aug' und giebt mir immerdar Geleit,
Hab' ich ihm doch im Herzen tief den höchsten Ehrenplatz geweiht.
Erhofft' ich nicht ein Wiedersehn, ich lebte keine Stunde mehr,
Und nimmer legt' ich mich zur Ruh, verscheuchten Träume nicht mein Leid.

Im weitern Verlaufe des Schreibens fuhr er fort nach dem Salâm an ihn und seine Umgebung: »Ich thue dir zu wissen, daß du keine Mühe scheuen sollst Nachforschungen anzustellen, denn dieser Vorfall ist eine Schande für uns.«

Als Scharrkân dieses Schreiben gelesen hatte, bekümmerte er sich über seinen Vater, wiewohl er sich zugleich über das Verschwinden seines Bruders und seiner Schwester freute; 116 dann nahm er den Brief und begab sich damit zu seiner Gattin Nushet es-Samân, ohne zu wissen, daß sie seine Schwester war, und ohne daß sie in ihm ihren Bruder ahnte, wiewohl er sie bei Nacht und Tag besuchte, bis daß ihre Monate vollendet waren und sie sich auf den Wehenstuhl setzte. Gott aber machte ihr die Entbindung leicht, und sie gebar eine Tochter. Da ließ sie den König Scharrkân zu sich rufen, und, da sie ihn sah, sagte sie zu ihm: »Dies ist deine Tochter, gieb ihr nun nach deinem Belieben einen Namen.« Scharrkân antwortete: »Die Leute pflegen ihren Kindern erst am siebenten Tage nach der Geburt einen Namen zu geben.« Wie er sich nun über seine Tochter neigte und sie küßte, fand er einen von den drei Edelsteinen, welche die Königin Abrîse aus dem Lande Rûm gebracht hatte, an ihrem Halse hängen. Als er denselben an dem Halse seiner Tochter hängen sah, ward er vor Zorn von Sinnen; er starrte den Edelstein an, bis kein Zweifel mehr möglich war, und sagte dann zu Nushet es-Samân, sie anblickend: »Sklavin, wie bist du zu diesem Edelstein gekommen?« Als sie diese Worte von Scharrkân vernahm, sagte sie zu ihm: »Ich bin deine Herrin und die Herrin aller, die in deinem Schlosse sind; schämst du dich nicht Sklavin zu mir zu sagen? Ich bin eine Königin, eines Königs Tochter; jetzt hat das Verheimlichen ein Ende, und es soll kund werden und verlauten, daß ich Nushet es-Samân bin, die Tochter des Königs Omar en-Noomân.«

Neunundsechzigste Nacht.

Als Scharrkân diese Worte von ihr vernahm, und erfuhr, daß sie seine Schwester von demselben Vater war, erbebte sein Herz; seine Farbe wurde gelb, Zittern überfiel ihn, er senkte das Haupt zur Erde und verlor die Besinnung. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, verwunderte er sich, doch entdeckte er sich ihr nicht, sondern fragte sie: »Meine Herrin, bist du wirklich die Tochter des Königs 117 Omar en-Noomân?« »Gewiß,« versetzte sie. Nun fragte er sie: »Und wie kam es, daß du deinen Vater verließest und verkauft wurdest?« Da erzählte sie ihm alle ihre Erlebnisse von Anfang bis zu Ende und berichtete ihm, daß sie ihren Bruder in Jerusalem krank zurückgelassen hätte, und wie sie der Beduine geraubt und dem Kaufmanne verkauft hätte.

Als Scharrkân ihre Erzählung vernommen hatte und nun als sicher erkannte, daß sie seine Schwester von demselben Vater war, sprach er bei sich: »Wie kann meine Schwester mein Weib sein! Ich will sie an einen der Kämmerlinge verheiraten; wenn die Sache ans Tageslicht kommen sollte, so erkläre ich, daß ich mich von ihr noch vor der Beiwohnung getrennt und sie mit dem Großkämmerling verheiratet habe.« Hierauf erhob er sein Haupt und sprach bekümmert: »Nushet es-Samân, du bist in Wahrheit meine Schwester, und ich flehe Gott um Vergebung an für diese Sünde, in die wir geraten sind; denn, siehe, ich bin Scharrkân, der Sohn des Königs Omar en-Noomân.« Da blickte sie ihn scharf an und erkannte ihn, und, da sie ihn erkannte, wurde sie wie wahnsinnig, weinte, schlug sich ins Antlitz und klagte: »Wir haben eine Todsünde verbrochen; was soll nun geschehen, und was werde ich meinem Vater und meiner Mutter sagen, wenn sie mich fragen: »Woher kamst du zu dieser Tochter?« Scharrkân antwortete: »Mein Rat ist der: Ich vermähle dich mit dem Kämmerling und lasse dich meine Tochter in seinem Hause erziehen, so daß niemand es erfährt, daß du meine Schwester bist. Gott hat dieses über uns nach seiner Absicht verhängt, und nichts kann uns schützen als deine Vermählung mit jenem Kämmerling, bevor jemand etwas zu Ohren kommt.« Hierauf sprach er ihr Trost zu, küßte ihr Haupt und sagte, als sie ihn nun fragte, wie die Tochter heißen sollte: »Kudia-fakânEs ward beschlossen und es geschah. soll ihr Name sein.« Hierauf vermählte er sie mit dem Großkämmerling und ließ 118 sie mit ihrer Tochter in sein Haus schaffen, welche hier auf den Schultern der Sklavinnen erzogen und mit Flüssigkeiten und allerlei Pulvern genährt wurde.

Alles dieses aber trug sich zu, während ihr Bruder Dau el-Makân mit dem Heizer in Damaskus weilte. – Da fügte es sich, daß eines Tages ein Kurier von dem König Omar en-Noomân bei dem König Scharrkân mit einem Schreiben eintraf. Scharrkân nahm es in Empfang, las es und fand nach dem Bismillāh darin geschrieben: »Wisse, teuerer König, ich bin in tiefer Kümmernis über die Trennung von meinen Kindern, finde keinen Schlaf und bin stets ohne Schlummer. Ich sende dir aber dieses Schreiben, daß du, sobald es dir zu Händen gelangt, uns den Tribut schickst und zugleich mit ihm die Sklavin, welche du gekauft und geheiratet hast. Ich wünsche sie zu sehen und ihre Rede zu hören, weil eine alte Frau von den Frommen aus dem Lande Rûm zu uns gekommen ist und fünf Mädchen mit schwellenden Busen mitgebracht hat, welche mit allem, was den Menschen an Wissen, feiner Bildung und an Kenntnissen in den verschiedenen Disciplinen der Philosophie ansteht, geschmückt sind, so daß die Zunge nicht imstande ist diese Alte mit ihren Mädchen zu beschreiben. Sobald als ich sie sah, gewann ich sie lieb und begehrte sie in meinem Schlosse und im Besitz meiner Hand zu haben, da man ihresgleichen bei keinem andern Könige findet. Als ich deshalb die alte Frau nach ihrem Preise fragte, sagte sie zu mir: »Ich verkaufe sie dir nur für den Tribut von Damaskus.« Ich aber, bei Gott, halte den Tribut von Damaskus als ihren Kaufpreis noch für gering, da jede einzige von ihnen mehr als diesen Betrag wert ist. So willigte ich denn ein, worauf sie die Mädchen in mein Schloß brachte, wo sie nunmehr in meinem Besitz sind. Beeile dich also mit der Absendung des Tributs, daß die Alte in ihr Land zurückreisen kann, und sende das Mädchen zu uns, daß sie mit ihnen vor den Gelehrten disputiert. 119

Siebzigste Nacht.

Übertrifft sie dieselben, so schicke ich sie dir wieder zurück und mit ihr den Tribut von Bagdad.«

Als Scharrkân hiervon Kenntnis genommen hatte, begab er sich zu seinem Schwager und sagte zu ihm: »Bring' mir das Mädchen, mit welchem ich dich verheiratete.« Als dann Nushet es-Samân erschien, machte er sie mit dem Inhalt des Schreibens bekannt und fragte sie: »Meine Schwester, was ist deine Ansicht in betreff der Antwort?« Nushet es-Samân erwiderte: »Du hast zu bestimmen.« Dann sagte sie in ihrem Verlangen nach den Verwandten und der Heimat: »Schicke mich mit meinem Gatten, dem Kämmerling, nach Bagdad, daß ich meinem Vater meine Geschichte erzählen kann, und ich ihm berichte, was mir mit dem Beduinen zugestoßen ist, der mich dem Kaufmann verkaufte, wie mich dann der Kaufmann an dich verkaufte, und wie du mich nach meiner Freilassung mit dem Kämmerling vermähltest.« Scharrkân antwortete ihr hierauf: »So soll's geschehen.« Dann nahm er seine Tochter Kudia-fakân, übergab sie den Ammen und Eunuchen und machte sich daran den Tribut in Bereitschaft zu setzen. Dem Kämmerling aber befahl er den Tribut zu führen und mit dem Mädchen nach Bagdad zu ziehen, und der Kämmerling sprach: »Ich höre und gehorche.« Nachdem er ihn dann noch geheißen hatte, zwei Sänften, eine für sich und eine für das Mädchen, mitzunehmen, schrieb er einen Brief, übergab ihn dem Kämmerling und nahm von Nushet es-Samân Abschied, doch nahm er zuvor ihren Edelstein und hing ihn an einer Kette von lauterm Gold seiner Tochter um den Hals; der Kämmerling aber reiste noch in derselbigen Nacht ab.

Nun hatte es sich gerade getroffen, daß Dau el-Makân mit dem Heizer in derselben Nacht der Zerstreuung halber ausgegangen war. Als sich Dau el-Makân beim Anblick der Kamele, der Saumtiere, Fackeln und brennenden Laternen 120 nach den Lasten und ihrem Herrn erkundigte, und man ihm antwortete: »Dieses ist der Tribut von Damaskus, welcher an den König Omar en-Noomân, den Herrn der Stadt Bagdad, abgeht,« und er nun weiter fragte, wer der Führer dieser Karawane wäre, und man ihm zur Antwort gab: »Das ist der Großkämmerling, der das Mädchen, das die Wissenschaften und die Philosophie studiert hat, geheiratet hat,« weinte er heftig, indem er seiner Eltern, seiner Schwester und seiner Heimat gedachte, und sagte zu dem Heizer: »Ich halte es hier nicht länger aus; ich will mich dieser Karawane anschließen und Strecke für Strecke marschieren, bis ich in meiner Stadt anlange.« Der Heizer entgegnete ihm: »Ich war um deinetwillen besorgt von Jerusalem bis Damaskus und wie sollte ich dich nun ruhig von Damaskus nach Bagdad ziehen lassen? Ich werde mit dir ziehen, bis du dein Ziel erreicht hast.« Dau el-Makân antwortete: »Freut mich und ehrt mich.« Der Heizer aber machte sich sogleich daran, ihn reisefertig zu machen, sattelte dann den Esel, legte den Reisesack auf, steckte etwas Wegzehrung hinein, gürtete sich selber und schaffte unablässig an den Vorkehrungen zur Abreise, bis die Ladungen vorüberzogen, und der Kämmerling umgeben von Fußleuten auf einem Dromedar dahergeritten kam. Da bestieg Dau el-Makân den Esel des Heizers und sagte zu ihm: »Sitz' mit mir auf.« Der Heizer antwortete jedoch: »Ich reite nicht, ich will dich bedienen.« Darauf sagte Dau el-Makân: »Du mußt eine Weile reiten.« Der Heizer entgegnete: »Wenn ich müde geworden bin, will ich eine Weile reiten.« Da sagte Dau el-Makân zu ihm: »Mein Bruder, du sollst sehen, was ich an dir thun werde, wenn ich bei meinen Angehörigen angelangt bin.«

Nun reisten sie in einem fort, bis die Sonne aufging. Als ihnen dann die Hitze drückend geworden war, befahl der Kämmerling Halt zu machen, worauf sie sich lagerten, sich ausruhten, ihre Kamele tränkten, und dann wieder zum 121 Aufbruch Befehl erhielten. Nach fünf Tagen hatten sie die Stadt Hemath erreicht, woselbst sie Halt machten und drei Tage verweilten.

Einundsiebzigste Nacht.

Nach dreitägigem Aufenthalt daselbst brachen sie wieder auf und zogen ohne Unterbrechung weiter, bis sie nach einer andern Stadt gelangten, woselbst sie wiederum drei Tage rasteten. Dann zogen sie weiter bis sie nach Dijâr-Bekr gelangten, wo ihnen die lauen Lüfte von Bagdad entgegenwehten, und Dau el-Makân wieder seiner Schwester Nushet es-Samân, seiner Eltern und seiner Heimat gedachte, und wie er nun ohne seine Schwester zu seinem Vater heimkehrte; da weinte, stöhnte und klagte er, sein Kummer wuchs, und er sprach folgende Verse:

»Mein Trautgesell, wie lang' schon harrt ich dein!
Umsonst, und auch kein Bote stellt sich ein.
Kurz war das Glück der Liebe Aug' in Aug',
Ach, wär' so kurz der langen Trennung Pein!
Reich' mir die Hand und schau voll Mitgefühl,
Ob ich auch schwieg, mein leidverzehrt Gebein.
Bei Gott, spräch' man: Such' andrer Liebe Trost!
Ich spräche bis zum jüngsten Tage: Nein!«

Da sagte der Heizer zu ihm: »Laß doch dieses Weinen und Stöhnen, wir sind nahe am Zelt des Kämmerlings.« Dau el-Makân erwiderte jedoch: »Ich muß einige Verse sprechen, daß das Feuer in meinem Herzen erlischt.« Nun bat ihn der Heizer: »Um Gott, ich beschwöre dich, laß das Trauern, bis du in dein Land gekommen bist; dann kannst du thun, was dir beliebt, und ich bleibe bei dir, wo es auch immer sein mag.« Dau el-Makân erklärte jedoch: »Bei Gott, ich laß es nicht sein.« Dann wendete er sich mit seinem Gesicht gen Bagdad, während der Mond hellen Schein verbreitete.

Es traf sich aber, daß Nushet es-Samân in jener Nacht keinen Schlaf finden konnte, da sie ihres Bruders Dau el-Makân122 gedachte und dadurch gequält wurde und weinte. Da hörte sie plötzlich mitten in ihrem Weinen ihren Bruder Dau el-Makân weinend ein Lied vortragen, das mit den Versen begann:

El-Jemens Blitz fuhr hell ins Land,
Und lodernd ist mein Leid entbrannt;
Mein Trautgesell, wie säumst du lang?
Der Becher harrt des Schenken Hand . . .

Sobald er sein Lied beendet hatte, sank er mit einem Aufschrei in Ohnmacht. In Nushet es-Samâns Herz aber war bei dem Klang seiner Stimme Frieden eingezogen. Nun erhob sie sich, räusperte sich und rief den Großeunuchen. Auf seine Frage: »Wonach verlangst du?« befahl sie ihm: »Mach dich auf und bring' mir den, der die Verse vorgetragen hat.«

Zweiundsiebzigste Nacht.

Der Eunuch antwortete ihr: »Ich habe ihn nicht gehört und weiß nicht, wer es ist: auch schlafen jetzt alle Leute.« Sie entgegnete jedoch: »Findest du irgend einen wach, so hat derselbe die Verse gesprochen.« Da sah er sich um, fand jedoch, da Dau el-Makân noch in seiner Ohnmacht dalag, nur den Heizer wach, welcher erschrak, als er den Eunuchen vor sich stehen sah. Der Eunuch fragte ihn nun: »Hast du das Lied vorgetragen? Unsere Herrin hat deine Stimme gehört.« Da glaubte der Heizer, die Herrin wäre über den Vortrag erzürnt und log aus Furcht: »Bei Gott, ich war es nicht.« Der Eunuch fragte ihn darauf: »Wer war es denn, der das Lied vorgetragen hat? Führ' mich zu ihm, du mußt ihn kennen, da du wach bist.« Der Heizer, der für Dau el-Makân fürchtete, indem er bei sich sprach: »Vielleicht will der Eunuch ihm etwas übles zufügen,« antwortete ihm: »Ich kenne ihn nicht.« Da sagte der Eunuch: »Bei Gott, du lügst; du allein sitzest hier und mußt ihn kennen.« Der Heizer blieb jedoch dabei: »Ich sage dir die Wahrheit; sicherlich hat irgend ein vorübergehender Wandersmann die 123 Verse gesprochen und meine Ruhe gestört: Gott zahl's ihm heim!«

Nun sagte der Eunuch zu ihm: »Wenn du erfährst, wer es ist, so führe mich zu ihm, daß ich ihn festnehmen und zur Thür der Sänfte führen kann, in welcher unsere Herrin ist, und du selber halte ihn.« Der Heizer antwortete: »Geh nur, ich werde ihn dir schon bringen.« Da verließ ihn der Eunuch, begab sich zu seiner Herrin und sagte zu ihr: »Es kennt ihn keiner, da es ein vorüberziehender Wandersmann gewesen ist.« Nushet es-Samân schwieg darauf.

Als nun Dau el-Makân aus seiner Ohnmacht wieder erwachte, und den Mond in der Mitte seines Laufes stehen sah, während der linde Hauch der Morgendämmerung ihn anwehte, wurde sein Herz von Schmerz und Kummer bewegt, daß er sich räusperte, um wieder Verse vorzutragen. Auf die Frage des Heizers: »Was willst du thun?« antwortete er: »Ich will einige Verse vortragen, um damit das Feuer in meinem Herzen zu löschen.« Der Heizer entgegnete jedoch: »Du weißt nicht, was mir widerfahren ist, und daß ich nur dem Tod dadurch entrann, daß ich den Eunuchen belog.« Dau el-Makân fragte: »Was ist denn vorgefallen? Erzähl' mir, was es gegeben hat.« Da sagte der Heizer: »Während du in Ohnmacht lagst, kam der Eunuch mit einem langen Knittel aus Mandelholz zu mir her, indem er allen ins Gesicht schaute und fragte, wer die Verse vorgetragen hätte. Da er mich allein wach fand und mich danach fragte, sagte ich zu ihm: »Es ist ein vorüberziehender Wandersmann gewesen.« Hierauf ging er wieder fort und Gott rettete mich auf diese Weise, sonst hätte er mich totgeschlagen. Er sagte zu mir: »Wenn du ihn ein zweites Mal hörst, so bring' ihn zu uns.«

Als Dau el-Makân dieses vernahm, weinte er und sagte: »Wer will mich hindern Verse vorzutragen! Ich will Verse vortragen, mag mit mir geschehen, was da will. Ich bin meiner Heimat nahe und kehre mich an keinen.« Der Heizer 124 antwortete ihm: »Du willst weiter nichts als dich ins Verderben stürzen.« Dau el-Makân entgegnete: »Ich muß Verse vortragen.« Da versetzte der Heizer: »Dann müssen wir uns hier trennen; es war meine Absicht mich nicht eher von dir zu trennen, als bis du in deine Stadt gelangt wärest und dich wieder mit deinen Eltern vereinigt hättest. Ein und ein halbes Jahr sind wir zusammengewesen, und niemals ist dir von mir irgend etwas übles widerfahren, was treibt dich gerade jetzt dazu, wo wir von dem Marsch und dem Wachsein völlig erschöpft sind, und wo alle Leute längst sich schlafen gelegt haben, um sich von der Anstrengung zu erholen, und des Schlafes bedürfen, Verse vorzutragen?« Dau el-Makân blieb jedoch dabei: »Ich lasse mich nicht von meinem Willen abbringen,« und klagte, von Kummer überwältigt und unbekümmert um alle Folgen, von neuem in Versen sein Leid. Sobald er sein Lied beendet hatte, stieß er dreimal hintereinander einen Schrei aus und sank wieder in Ohnmacht, worauf der Heizer aufstand und ihn zudeckte. Nushet es-Samân aber weinte, da sie die Verse vernahm, welche ihren Namen und den Namen ihres Bruders und ihre Vereinigung erwähnten. Dann rief sie den Eunuchen und sagte zu ihm: »Weh' dir, der, welcher das erste Mal die Verse vorgetragen hat, hat es wiederum gethan, und ich habe ihn nahe bei mir gehört. Bei Gott, bringst du mir ihn nicht, so wecke ich den Kämmerling, daß er dich durchprügelt und fortjagt. Nimm aber jetzt diese hundert Dinare, gieb sie ihm und bring' ihn mir in Güte her. Weigert er sich, so gieb ihm diesen Beutel mit tausend Dinaren; weigert er sich auch dann noch, so laß ihn, gieb mir aber an, wo er ist, welches Handwerk er treibt und von welchem Lande er stammt. Komm schnell zurück und säume nicht.«

Dreiundsiebzigste Nacht.

Da ging der Eunuch wieder fort, sah alle Leute genau an und streifte zwischen ihnen umher, doch schliefen alle, und 125 er fand keinen wach als den Heizer, den er barhaupt dasitzen sah. An ihn herantretend, packte er ihn bei der Hand und sagte zu ihm: »Du bist's, der das Lied vorgetragen hat.« Der Heizer antwortete jedoch, für sein Leben fürchtend: »Nein, bei Gott, o Fürst des Volkes, ich bin es nicht gewesen.«

Da sagte der Eunuch zu ihm: »Ich lasse dich nicht eher los, als bis du mich zu dem, der das Lied vorgetragen hat, geführt hast; ich darf ohne denselben zu meiner Herrin nicht zurückkehren.« Als der Heizer dies von dem Eunuchen vernahm, fürchtete er für Dau el-Makân, weinte laut und sagte zum Eunuchen: »Bei Gott, ich war es nicht, ich habe nur einen vorüberziehenden Wandersmann die Verse vortragen hören. Versündige dich nicht an mir, denn ich bin ein Fremdling und komme aus Jerusalem; Gottes Freund sei mit euch!«

Nun sagte der Eunuch zu dem Heizer: »So komm mit mir zu meiner Herrin und sage es ihr mit deinem eigenen Munde, denn außer dir fand ich sonst niemand wach.« Der Heizer entgegnete ihm jedoch: »Bist du nicht gekommen, und hast den Platz gesehen, auf dem ich sitze, und kennst auch meine Station? Außerdem kann sich niemand von der Stelle rühren, da ihn sonst die Wächter ergreifen würden. Geh' an deinen Ort zurück, du sollst, sobald du wieder jemand zu dieser Stunde Verse vortragen hörst, sei es fern oder nahe, von keinem andern als mir näheres darüber hören.«

Hierauf küßte er dem Eunuchen das Haupt und begütigte ihn, bis er fortging. In seiner Furcht unverrichteter Sache zu seiner Herrin zurückzukehren, machte er jedoch noch eine Runde und versteckte sich dann an einer Stelle in der Nähe des Heizers. Der Heizer aber trat an Dau el-Makân heran, weckte ihn und sagte zu ihm: »Steh' auf und setz' dich, daß ich dir erzählen kann, was mir zugestoßen ist.« Dann erzählte er ihm das Vorgefallene. Dau el-Makân entgegnete jedoch: »Laß mich, ich kehre mich an niemand, denn ich bin meinem Lande nahe.« Der Heizer sagte darauf: »Weshalb 126 willst du deinem Triebe und deiner Leidenschaft folgen? Du fürchtest dich vor niemand, ich aber fürchte für mein Leben und das deine. Um Gott, ich beschwöre dich, laß nichts mehr von irgend welchen Versen verlauten, bis du in deine Stadt gekommen bist. Ich glaubte wirklich nicht, daß du so unfügsam wärest; weißt du nicht, daß dich die Frau des Kämmerlings dafür züchtigen lassen will, daß du ihre Ruhe gestört hast? Sicherlich ist sie krank oder von der Reise ermüdet, daß sie so oft den Eunuchen ausgeschickt hat nach dir zu suchen.«

Dau el-Makân hörte jedoch nicht auf die Worte des Heizers, sondern erhob seine Stimme laut zum drittenmal. Ehe er aber noch seine Verse beendet hatte, stand der Eunuch neben ihm, der ihn von seinem Versteck aus gehört hatte. Sobald ihn der Heizer erblickte, lief er fort und blieb von fern stehen, um zu schauen, was sich zwischen beiden ereignen würde. Der Eunuch aber sprach zu ihm: »Frieden komme über dich, mein Herr!« Dau el-Makân antwortete: »Und über euch komme der Frieden, die Barmherzigkeit und die Segnungen Gottes.« Dann hob der Eunuch an: »Mein Herr –

Vierundsiebzigste Nacht.

»Mein Herr, ich kam heute Nacht dreimal zu dir, weil meine Herrin nach dir verlangt.« Dau el-Makân entgegnete: »Und von wannen ist diese Hündin, daß sie nach mir verlangt? Gottes Haß über sie samt ihrem Mann!« Dann begann er auf den Eunuchen loszuschimpfen, ohne daß dieser ihm eine Antwort zu geben vermochte, da ihm seine Herrin befohlen hatte ihn nur gutwillig zu ihr zu bringen oder andernfalls ihm die hundert Dinare zu schenken. Infolgedessen suchte ihn der Eunuch zu beschwichtigen und sagte zu ihm: »Mein Sohn, wir wollen uns nicht an dir vergehen und wollen dir kein Leid zufügen, wir beabsichtigen nur, daß du dich mit deinen geehrten Schritten zu unserer Herrin begiebst und dann wieder wohl und heil zurückkehrst; deiner wartet bei uns ein guter Lohn für den Weg.« 127

Als Dau el-Makân dies vernahm, stand er auf und schritt zwischen den Leuten hindurch, während der Heizer, ihn beobachtend, folgte und bei sich sprach: »O der Jammer um seine Jugend! Morgen werden sie ihn hängen.« Nicht eher blieb der Heizer stehen, als er nahe bei ihrer Station angelangt war. Hier sprach er: »Wie gemein wäre es von ihm, wenn er aussagte, ich hätte ihn zum Vortragen dieser Verse aufgefordert!«

Soviel, was den Heizer anlangt; was nun aber Dau el-Makân anbetrifft, so ging er in einem fort mit dem Eunuchen bis er zu der Station Nushet es-Samâns anlangte, wo der Eunuch zu ihr eintrat und ihr meldete: »Ich habe dir gebracht, was du verlangtest; es ist ein Jüngling von schönem Wuchs, an dem die Spuren des Wohlstandes noch zu erkennen sind.« Als sie dies vernahm, pochte ihr das Herz, und sie sagte zu ihm: »Befiehl ihm einige Verse vorzutragen, so daß ich ihn aus der Nähe hören und ihn hernach nach seinem Namen und seinem Lande fragen kann.« Da ging der Eunuch wieder zu ihm hinaus und sagte zu ihm: »Trag' uns einige Verse vor, daß meine Herrin es hört, denn sie ist nahe bei dir; nenne mir auch deinen Namen, dein Land und dein Geschäft.« Dau el-Makân antwortete: »Freut mich und ehrt mich, doch, da du mich nach meinem Namen fragst, derselbe ist ausgelöscht, meine Spur ist verschwunden und mein Leib verzehrt. Ich habe eine Geschichte erlebt, die man mit Nadeln in die Augenwinkel schreiben sollte. Ich bin wie einer, der zuviel des Weines genossen hat und trunken ward, auf den die Schmerzen niedergefahren sind, der seine Seele verloren hat, der nicht aus noch ein weiß und im Meere der Gedanken versunken ist.«

Als Nushet es-Samân diese Worte vernahm, weinte und seufzte sie heftiger wie zuvor. So sprach sie zum Eunuchen: »Frag' ihn: Hast du dich von einem deiner Lieben trennen müssen, von deiner Mutter oder deinem Vater?« Da fragte ihn der Eunuch, wie es ihm Nushet es-Samân 128 geboten hatte, und Dau el-Makân antwortete: »So ist's, von allen hab' ich mich trennen müssen, und das teuerste Wesen, von dem mich das Schicksal riß, war meine Schwester.« Als Nushet es-Samân diese Worte von ihm vernahm, rief sie: »Gott vereinige dich wieder mit deinen Lieben!«

Fünfundsiebzigste Nacht.

Dann befahl sie dem Eunuchen: »Sprich zu ihm: Laß uns doch einige Verse hören, so ein Klagelied über die Trennung.« Der Eunuch gehorchte dem Befehl seiner Herrin, und nun seufzte Dau el-Makâ tief und sprach die Verse:

»Gott sei's gelobt, wenn er endet mein Leid,
Wenn daheim ich finde die »Wonne der Zeit«,
Wie will ich mich freuen dann Tag für Tag
Mit zarten Jungfrauen beim Lautenschlag!
Dann woll'n wir uns betten in schattigem Hag
Und schlürfen den Becher in frohem Gelag;
Leis murmelt der Bach, und das Auge blinzt müd,
Und ich saug' an den Lippen, die bräunlich erblüht.«

Als er sein Lied beendet, und Nushet es-Samân es vernommen hatte, hob sie den Saum des Vorhangs ihrer Sänfte auf und betrachtete ihn; beim ersten Blick auf sein Antlitz erkannte sie ihn genau und schrie: »Ach, mein Bruder! Ach Dau el-Makân!« Da hob er ebenfalls seinen Blick zu ihr und schrie laut auf: »Ach, meine Schwester, ach Nushet es-Samân!« Darauf stürzten beide einander in die Arme und sanken in Ohnmacht. Als der Eunuch das sah, deckte er sie zu und wartete verwundert, bis sie sich wieder erholt hatten, und nun Nushet es-Samân in höchster Freude, der Sorgen und Kümmernisse ledig und überwältigt von Glück, die Verse sprach:

»Das Schicksal hatte geschworen mich immerdar zu betrüben;
Doch deinen Schwur hast du gebrochen, so sühne es nun!
Mein Glück ward vollkommen, und der Geliebte steht mir zur Seite,
Geh' drum den Freudenboten entgegen und tummle dich!
Die alten Märchen von Eden mocht' ich nicht glauben,
Bis ich des Kauthars Süße von seinen bräunlichen Lippen trank.« 129

Als Dau el-Makân diese Verse von seiner Schwester vernahm, preßte er sie an seine Brust und sprach, während ihm im Übermaße der Freude die Thränen von seinen Lidern perlten, die Verse:

»Lang schon beklagt' ich die bittere Trennung
Und Thränen der Reue entperlten den Lidern;
Ich gelobte, wenn wieder die Zeit uns vereinte,
Nie sollte das Wort der Trennung mehr über meine Lippen kommen.
Nun hat mich die Freude so plötzlich ergriffen,
Daß ich im Übermaß meines Glückes weinen muß.
Ach, mein Auge, so vertraut bist du mit den Thränen geworden,
Daß du vor Freude und Kummer zerfließest.«

Nachdem sie nun eine Weile an der Thür der Sänfte gesessen hatten, sagte sie: »Komm in die Sänfte und erzähle mir deine Abenteuer, dann will ich dir auch meine Schicksale erzählen.« Dau el-Makân sagte jedoch zu ihr: »Erzähle du mir deine Erlebnisse zuerst.« Da erzählte sie ihm alle ihre Schicksale von dem Zeitpunkt an, als sie ihn im Chan zurückgelassen hatte, ihr Abenteuer mit dem Beduinen und ihre Befreiung durch den Kaufmann, der sie gekauft und dann zu ihrem Bruder Scharrkân gebracht hatte; wie Scharrkân sie dann vom Kaufmann gekauft, sie zur selben Stunde freigelassen und den Ehekontrakt mit ihr eingegangen war; daß dann ihr Vater von ihr vernommen und sie von Scharrkân erbeten hatte.« Dann fügte sie hinzu: »Lob sei Gott, welcher dich mir geschenkt hat! Ebenso, wie wir einst von unserm Vater zusammen fortzogen, kehren wir wieder zusammen zu ihm zurück; mein Bruder Scharrkân aber,« so schloß sie ihre Erzählung, »hat mich mit diesem Kämmerling vermählt, daß er mich zu meinem Vater bringt. Das sind alle meine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende, und nun erzähle auch du mir deine Schicksale von der Stunde an, in welcher ich dich verließ.« Da erzählte er ihr ebenfalls seine ganzen Erlebnisse von Anfang bis zu Ende; wie Gott ihm den Heizer geschenkt hatte, wie er mit ihm gezogen war, daß er für ihn sein Geld ausgegeben und ihn Tag 130 und Nacht bedient hatte, »wofür ich ihm auch gedankt habe. Wirklich, meine Schwester, dieser Heizer hat mir mehr Güte als zwei Liebende einander oder ein Vater seinem Sohne erwiesen, so daß er um meinetwillen hungerte und mich reiten ließ, während er zu Fuß wanderte; ihm allein verdanke ich mein Leben.«

Nushet es-Samân entgegnete darauf: »So Gott will, der Erhabene, wollen wir es ihm lohnen, so weit wir es können.« Dann rief sie nach dem Eunuchen, und sagte zu ihm, als er erschien und Dau el-Makân die Hand küßte: »Nimm dein Botengeschenk, Glücksgesicht, durch deine Hand bin ich mit meinem Bruder wieder vereint; der Beutel, den du hast, samt seinem Inhalt sei dein. Jetzt aber mach dich fort und hol' deinen Herrn geschwind her.«

Erfreut ging der Eunuch fort zum Kämmerling, trat bei ihm ein und rief seinen Herrn zu seiner Gebieterin. Als er dann mit ihm wieder zurückgekommen war, und nun der Kämmerling bei Nushet es-Samân eintrat und angesichts ihres Bruders sich nach ihm erkundigte, erzählte sie ihm ihre und ihres Bruders Erlebnisse von Anfang bis zu Ende und schloß ihre Erzählung mit den Worten: »Wisse, Kämmerling, du hast keine Sklavin genommen, sondern die Tochter des Königs Omar en-Noomân geheiratet, denn ich bin Nushet es-Samân, und dieses hier ist mein Bruder Dau el-Makân.«

Als der Kämmerling ihre Geschichte vernommen hatte und er sich von der Wahrheit derselben überzeugt hielt und es ihm klar war, daß sie die lautere Wahrheit gesprochen hatte, und er dessen gewiß war, daß er der Schwiegersohn des Königs Omar en-Noomân war, sprach er bei sich: »Das Resultat für mich wird sein, daß ich das Vicekönigtum einer der Provinzen bekleiden werde.« Dann wendete er sich zu Dau el-Makân, beglückwünschte ihn zu seiner Errettung und seiner Wiedervereinigung mit seiner Schwester und befahl unverzüglich seinen Dienern Dau el-Makân ein Zelt 131 aufzuschlagen und ihm ein Reittier aus seinen edelsten Pferden zur Verfügung zu stellen. Nushet es-Samân aber sagte zu ihm: »Wir sind unserer Heimat nunmehr nahe, und ich möchte mit meinem Bruder allein bleiben, daß wir uns miteinander erholen und aneinander sättigen, bevor wir in unser Land gelangen, denn wir waren lange Zeit voneinander getrennt.« Der Kämmerling antwortete ihr: »Es geschehe nach eurem Wunsch.«

Nachdem er ihnen dann Kerzen und allerlei Süßigkeiten hatte bringen lassen, ging er von ihnen fort und schickte für Dau el-Makân drei der kostbarsten Anzüge. Hierauf kam er wieder zur Sänfte, und Nushet es-Samân sagte zu ihm: »Schicke zum Eunuchen und gieb ihm Befehl den Heizer zu holen, ihm ein Reitpferd bereit zu stellen und ihm zum Morgen und Abend eine Mahlzeit zu bereiten; auch soll er sich nicht mehr von uns trennen.« Infolgedessen schickte der Kämmerling zum Eunuchen und befahl ihm alles auszurichten. Der Eunuch antwortete: »Ich höre und gehorche,« nahm seine Burschen und machte sich auf die Suche nach dem Heizer, bis daß er ihn am Ende der Karawane fand, wie er gerade im Begriff stand seinen Esel zu satteln und sich davon zu machen, wobei ihm aus Furcht für sein Leben und in seiner Betrübnis über die Trennung von Dau el-Makân die Thränen über die Wangen liefen, und er sprach: »Ich riet ihm zum Guten um Gottes willen, doch wollte er nicht auf mich hören. Ach, wie wird's ihm nun ergehen!« Kaum hatte er seine Worte beendet, da stand plötzlich der Eunuch ihm zu Häupten und die Burschen desselben rings um ihn. Als er den Eunuchen vor sich sah und seine Burschen ringsum erblickte, wurde seine Farbe gelb.

Sechsundsiebzigste Nacht.

Erschrocken und mit zitternden Muskeln erhob er seine Stimme und rief laut: »Wahrlich, er weiß nicht die Güte zu schätzen, die ich ihm erwiesen habe. Ich glaube, er hat 132 den Eunuchen und diese Burschen auf mich losgelassen und mich zum Genossen seiner Schuld gemacht.« Da schrie ihn auch schon der Eunuch an: »Wer war's, der die Verse vorgetragen hat? Du Erzlügner, wie konntest du zu mir sagen, du habest die Verse nicht vorgetragen und wüßtest nicht, wer es gewesen ist, da es doch dein Freund war? Ich werde jetzt nicht eher hier von deiner Seite gehen als bis wir nach Bagdad gelangt sind, und das Los deines Freundes wird auch das deinige sein.« Als der Heizer seine Worte vernahm, sprach er bei sich: »Was ich befürchtete, ist über mich gekommen,« und citierte den Vers:

»Was ich besorgte, kam heran zu Hauf;
Geduld! Zu Gott zurück führt unser Lauf.«

Hierauf rief der Eunuch den Burschen zu: »Reißt ihn vom Esel herunter.« Nachdem sie diesen Befehl vollzogen hatten, brachten sie ihm ein Reitpferd, auf welches er sich setzte und nun, geleitet von dem Trupp und rings von den Burschen umgeben, einherzog. Der Eunuch aber sagte zu den Burschen: »Für jedes Haar, das ihm verloren geht, büßt einer von euch mit dem Leben; behandelt ihn ehrenvoll und beleidigt ihn nicht.« Der Heizer hielt sich jedoch verloren, als er sich von den Burschen umringt sah, und sagte zu dem Eunuchen: »Kommandant, ich habe weder Brüder noch Verwandte, und dieser junge Mann steht weder mir noch ich ihm nahe; ich bin nur ein Heizer in einem Warmbade und fand ihn krank auf dem Düngerhaufen liegen.« Dann hob er an zu weinen und sich tausend Gedanken zu machen, während der Eunuch ihm zur Seite einherschritt und ihm nichts mitteilte, sondern nur zu ihm sagte: »Du und dieser Knabe, ihr habt mit euern Versen unsere Gebieterin belästigt; für dein Leben hast du jedoch nichts zu besorgen.« Dabei machte er sich innerlich über ihn lustig. Als sie dann Halt machten und das Essen kam, aß er mit dem Heizer aus denselben Schüsseln und befahl den Burschen nach der Mahlzeit einen Krug Scherbett zu holen, 133 worauf er aus demselben trank und ihn dem Heizer überreichte, welcher ebenfalls trank, obwohl die Thränen in seinen Augen aus Furcht um sein Leben und aus Kummer über die Trennung von Dau el-Makân, über all ihre Schicksale und ihre Fremdlingschaft nicht trockneten.

Während sie nun beide weiter zogen, begab sich der Kämmerling bald an die Thür der Sänfte, um Dau el-Makân, den Sohn des Königs Omar en-Noomân, und Nushet es-Samân zu bedienen, bald wieder warf er ein Auge auf den Heizer, Nushet es-Samân aber unterhielt sich mit ihrem Bruder, und beide klagten sich gegenseitig ihr Leid, bis sie schließlich der Stadt Bagdad nahe gekommen waren und nur noch eine Entfernung von drei Tagen zwischen ihnen und der Stadt lag. Gegen Abend machten sie Halt und rasteten die Nacht über bis zum Anbruch der Morgenröte; als sie dann aber erwachten und aufladen wollten, gewahrten sie plötzlich eine mächtige Staubwolke, welche den Himmel verdunkelte, bis es finstere Nacht geworden zu sein schien. Da rief der Kämmerling: »Haltet ein und ladet nicht auf!« Dann setzte er sich mit seinen Mamluken auf und ritt der Staubwolke entgegen, unter welcher sie, nachdem sie sich ihr genähert hatten ein starkes Heer gleich der brandenden Flut mit Bannern und Fähnlein, Trommeln, Reitern und Streitern erblickten. Der Kämmerling verwunderte sich darüber, doch hatte ihn kaum das Heer erblickt, als sich auch schon ein Trupp von fünfhundert Reitern vom Heere ablöste, auf den Kämmerling lossprengte und ihn mit seinem Gefolge umringte, so daß immer fünf Reiter auf einen der Mamluken des Kämmerlings kamen. Wie nun der Kämmerling fragte: »Was giebt's? Woher kommt dieses Heer, daß man in dieser Weise mit uns umgeht?« entgegneten sie: »Wer bist du? Von wannen kommst du und wohin des Weges?« Der Kämmerling erwiderte: »Ich bin der Kämmerling des Emirs von Damaskus, des Königs Scharrkân, des Sohnes des Königs Omar 134 en-Noomân, des Herrn von Bagdad und des Landes Chorasan. Ich bin von ihm mit dem Tribut und Geschenken an seinen Vater in Bagdad entsandt.«

Als sie dies von ihm vernahmen, ließen sie ihre Kopftücher übers Gesicht niederfallen, weinten und sagten: »König Omar en-Noomân ist tot, er starb an Gift. Zieh' weiter deines Weges und fürchte kein Leid, bis du mit seinem Großwesir, dem Wesir Dendân, zusammentriffst.« Als der Kämmerling diese Botschaft vernahm, weinte er laut und klagte: »Ach über diese traurige Reise!« Dann zog er weinend mit seinem Gefolge weiter, bis er auf das Heer stieß. Hier ließ er bei dem Wesir Dendân um Audienz nachsuchen, der sie ihm gewährte und seine Zelte aufzuschlagen befahl. Nachdem er sich dann mitten im Zelt auf einen Thron gesetzt hatte, befahl er dem Kämmerling Platz zu nehmen und fragte ihn, als derselbe Platz genommen hatte, was es gäbe. Der Kämmerling benachrichtigte ihn nun, daß er der Kämmerling des Emirs von Damaskus sei und mit den Geschenken und dem Tribut von Damaskus gekommen sei. Als der Wesir Dendân dies vernahm, weinte er bei der Erwähnung des Königs Omar en-Noomân und teilte ihm mit, daß der König Omar en-Noomân an Gift gestorben sei. »Aus Anlaß seines Todes ward dann das Volk uneins über seinen Nachfolger, daß sie drauf und dran waren einander totzuschlagen, wenn sie nicht die Großen, die Edelleute und die vier Kadis daran verhindert hätten. Schließlich einigte sich das Volk dahin dem Beschluß der vier Kadis sich ohne Widerspruch zu fügen, und wir kamen überein uns nach Damaskus zu seinem Sohne, dem König Scharrkân, aufzumachen, ihn einzuholen und zum Sultan an Stelle seines Vaters über das Königreich zu machen. Eine Anzahl wollte allerdings seinen zweiten Sohn zum König haben, indem sie sagten: »Er heißt Dau el-Makân und hat eine Schwester, Nushet es-Samân geheißen, doch sind sie vor fünf Jahren nach dem Lande El-Hidschâs gezogen, und hat seitdem niemand mehr etwas von ihnen gehört.« 135

Als der Kämmerling diesen Bericht vernahm, erkannte er, daß seine Gattin ihm die Wahrheit über ihre Schicksale mitgeteilt hatte; tief betrübt zwar über den Tod des Sultans, freute er sich doch mächtig, insbesondere über das Eintreffen Dau el-Makâns, der nun an seines Vaters Statt Sultan über Bagdad werden würde.

Siebenundsiebzigste Nacht.

Dann redete er den Wesir Dendân an und sagte zu ihm: »Wahrlich, eure Geschichte ist Wunder über Wunder; wisse, Großwesir, daß Gott euch eben hier, wo ihr mit mir zusammengetroffen seid, Ruhe von der Plage gegeben hat, und die Sache auf die leichteste Weise nach Wunsch sich erfüllt, da euch Gott Dau el-Makân und seine Schwester Nushet es-Samân wiedergegeben hat, und die Sache so auf das leichteste in Ordnung gebracht werden kann.«

Als der Wesir dies vernahm, freute er sich mächtig und sagte zu dem Kämmerling: »Kämmerling, erzähle mir doch ihre Geschichte, was ihnen widerfahren ist, und warum sie so lange verborgen blieben.« Da erzählte er ihm Nushet es-Samâns Geschichte, berichtete, daß sie seine Gattin geworden war, und teilte ihm auch Dau el-Makâns Erlebnisse von Anfang bis zu Ende mit. Als er dann seinen Bericht beendet hatte, schickte der Wesir Dendân zu den Emiren, Wesiren und Großen des Reiches und teilte ihnen die Sache mit, die sich hierüber mächtig freuten und über dieses glückliche Zusammentreffen staunten. Dann versammelten sich alle, begaben sich zum Kämmerling, stellten sich huldigend vor ihn und küßten die Erde vor ihm; ebenso begab sich der Wesir Dendân zur selbigen Stunde zum Kämmerling und stellte sich vor ihn. Hierauf hielt der Kämmerling noch an demselben Tage großen Diwan ab, wobei er und der Wesir Dendân auf dem Thron saßen, während alle Emire, Großen und Würdenträger nach ihrem Range vor ihnen standen. Nachdem sie dann Zucker in Rosenwasser gethan und 136 getrunken hatten, setzten sich die Emire zur Beratung nieder und gaben dem Rest des Heeres Erlaubnis miteinander aufzusteigen und langsam vorauszuziehen, bis sie die Beratung beendet und sie wieder eingeholt hätten. Hierauf küßten die Truppen die Erde vor dem Kämmerling und stiegen zu Pferd, die Kriegsbanner ihnen voran.

Als nun die Großen ihre Beratung beendet hatten und zu Pferd gestiegen waren und die Truppen wieder eingeholt hatten, ritt der Kämmerling zu dem Wesir Dendân und sagte zu ihm: »Mein Rat ist der, daß ich vorausreite und vor euch eintreffe, damit ich für den Sultan einen ihm angemessenen Platz herrichte, ihn von eurer Ankunft benachrichtige und ihm mitteile, daß ihr ihn an Stelle seines Bruders Scharrkân zu euerm Sultan erwählt habt.« Der Wesir Dendân antwortete ihm: »Der Vorschlag, den du da gemacht hast, ist ausgezeichnet.« Hierauf sprang der Kämmerling auf, und ebenso sprang der Wesir Dendân ehrerbietig vor ihm auf, brachte ihm Geschenke und beschwor ihn sie anzunehmen. In gleicher Weise brachten ihm auch die Emire, die Großen und Würdenträger Geschenke, erflehten ihm Segen und sagten zu ihm: »Vielleicht sprichst du mit dem Sultan Dau el-Makân über uns, daß er uns in unsern Ämtern beläßt,« und der Kämmerling willfahrte ihrer Bitte. Dann gab er seinen Burschen Befehl aufzubrechen, und der Wesir Dendân schickte die Zelte mit dem Kämmerling voraus und befahl den Zeltaufschlägern dieselben eine Tagesreise vor der Stadt aufzuschlagen. Während nun die Zeltaufschläger seinem Befehl nachkamen, ritt der Kämmerling in höchster Freude fort und sprach bei sich: »Wie gesegnet war doch diese Reise!« und seine Gattin und Dau el-Makân waren groß in seinen Augen. Schnellen Trabes legte er den Weg zurück bis er nur noch eine Tagesreise von der Stadt entfernt war. Hier befahl er Halt zu machen, um der Ruhe zu pflegen und dem Sultan Dau el-Makân, dem Sohne des Königs Omar en-Noomân, einen Sitzplatz aufzuschlagen. Dann 137 lagerte er sich mit seinen Mamluken abseits und befahl den Eunuchen bei ihrer Gebieterin um Audienz nachzusuchen. Nachdem die Eunuchen den Befehl vollzogen hatten, und sie ihm die Audienz gewährt hatte, trat er bei ihr und ihrem Bruder ein, teilte ihnen die Nachricht von dem Tode ihres Vaters und der Erwählung Dau el-Makâns zum Sultan durch die Hauptleute mit und beglückwünschte ihn zur Regierung. Beide weinten über den Verlust ihres Vaters und fragten ihn nach der Ursache seines Todes, worauf er ihnen zur Antwort gab: »Das Nähere hierüber bringt der Wesir Dendân, welcher morgen mit dem ganzen Heere hier eintreffen wird. Dir aber, o König, bleibt nichts anderes zu thun übrig als was sie beschlossen haben. Sie haben dich zum Sultan erwählt und werden, wenn du ihrem Beschluß nicht Folge leistest, einen andern zum Sultan erwählen, vor dem du dann deines Lebens nicht mehr sicher bist, sei es daß er dich umbringt oder daß zwischen euch beiden Fehde ausbricht, und das Reich euch beiden aus der Hand gleitet.«

Dau el-Makân ließ eine Weile seinen Kopf niederhängen, dann aber erklärte er: »Ich nehme die Wahl an,« weil er in der That es nicht mehr abschlagen konnte und einsah, daß der Kämmerling mit seinen Worten das richtige getroffen hatte. Hierauf sagte er zum Kämmerling: »Mein Oheim, wie aber soll ich es mit meinem Bruder Scharrkân halten?« Der Kämmerling antwortete: »Mein Sohn, dein Bruder wird als Sultan in Damaskus bleiben, und du wirst Sultan in Bagdad sein. Festige deinen Entschluß und mach' dich bereit.«

Dau el-Makân folgte seinem Rat, und der Kämmerling brachte ihm nun den königlichen Ornat, welchen der Wesir Dendân mit sich geführt hatte, und händigte ihm das Kurzschwert ein. Dann verließ er ihn und befahl den Zeltaufschlägern einen erhöhten Ort auszusuchen und dort ein großes und prächtiges Zelt für den Sultan zu errichten, damit er in demselben seinen Sitz einnehmen könne, wenn die Emire 138 vor ihm erschienen. Hierauf befahl er den Köchen auserlesene Gerichte zu bereiten und zur Stelle zu bringen und beauftragte die Wasserträger die Wasserbehälter aufzustellen. Nach einer Weile wirbelte eine Staubwolke auf und verhüllte den Horizont, bis sie sich wieder teilte, und unter ihr ein starkes Heer wie die brandende Flut sichtbar wurde.

Achtundsiebzigste Nacht.

Dieses Heer war aber das Heer von Bagdad und Chorasan unter der Führung des Wesirs Dendân, das dem Sultan Dau el-Makân zujubelte, welcher angethan war mit dem Königsornat und umgürtet mit dem Prunkschwert. Nun führte ihm der Kämmerling das Roß vor, und Dau el-Makân sprang in den Sattel und ritt, umgeben von den Mamluken und von allem Volk im Lager zu Fuß geleitet, zum großen Pavillon, wo er sich niederließ und das Kurzschwert über seine Schenkel legte. Kaum hatte sich der Kämmerling zu seiner Dienstleistung vor ihn gestellt, und die Mamluken sich in der Vorhalle mit dem blanken Schwert in der Hand aufgepflanzt, da zogen auch schon die Regimenter und Schwadronen aus und baten um Audienz. Der Kämmerling trat ein, bat den Sultan Dau el-Makân um Audienz für sie, und der Sultan befahl, daß sie immer zu zehn und zehn eintreten sollten. Der Kämmerling benachrichtigte sie hiervon, sie antworteten: »Wir hören und gehorchen,« stellten sich insgesamt vor der Vorhalle auf, und zehn von ihnen traten ein. Der Kämmerling geleitete sie durch die Vorhalle, führte sie bei dem Sultan ein, und sie schauten voll Ehrfurcht auf seine Majestät; er aber empfing sie auf das huldvollste und versprach ihnen alles gute. Dann wünschten sie ihm Glück zu seiner wohlbehaltenen Ankunft, erflehten ihm Segen, legten den Treuschwur ab ihm stets gehorsam zu sein, küßten die Erde vor ihm und kehrten um. Hierauf traten neue zehn Mann vor, mit denen er ganz gleich den ersten verfuhr, und so traten eine zehn Mann 139 nach den andern vor, bis nur noch der Wesir Dendân übrig blieb. Dann trat dieser bei ihm ein und küßte die Erde vor ihm; Dau el-Makân aber erhob sich vor ihm, ging ihm entgegen und sprach: »Willkommen Wesir und großer Vater, vieledler Berater, in gütiger, kundiger Hand ruht die Regierung.« Nun ging der Kämmerling hinaus und befahl die Tische vorzutragen und alle Truppen zu versammeln. Als dieselben erschienen waren und aßen und tranken, sagte der König Dau el-Makân zum Wesir Dendân: »Gieb dem Heere Befehl zehn Tage lang Halt zu machen, daß ich mich mit dir zurückziehen kann, und du mir berichtest, wie es kam, daß mein Vater getötet wurde.« Der Wesir gehorchte dem Befehl des Sultans und sagte: »Das muß geschehen.« Dann trat er mitten in die Zelte hinaus, befahl den Truppen zehn Tage lang zu rasten und gab ihnen Erlaubnis sich zu vergnügen, indem er zugleich den diensthabenden Großen den Zutritt bei dem Könige für drei Tage untersagte. Ergeben gehorchte alles Volk und wünschte Dau el-Makân ewigen Ruhm, der Wesir aber begab sich nun wieder zum Sultan und teilte ihm das Vorgefallene mit. Dau el-Makân wartete, bis es Nacht geworden war, dann ging er zu seiner Schwester Nushet es-Samân und fragte sie: »Weißt du, wie es kam, daß unser Vater getötet wurde, oder weißt du nicht, wie es geschah?« Sie antwortete: »Ich kenne nicht die Ursache seines Todes.« Darauf ließ sie einen seidenen Vorhang vor sich nieder, und Dau el-Makân nahm vor demselben Platz und befahl den Wesir Dendân zu rufen. Als derselbe vor ihm erschien, sagte er zu ihm: »Ich wünsche, daß du mir einen genauen Bericht über die Ursache von dem Tode meines Vaters, des Königs Omar en-Noomân, giebst.« Darauf berichtete der Wesir Dendân: »Wisse, o König, nachdem der König Omar en-Noomân von seinem Jagdausflug in die Stadt zurückgekehrt war, fragte er nach euch; da er euch jedoch nicht fand, wußte er, daß ihr zur Pilgerfahrt fortgezogen waret. Er wurde darüber sehr bekümmert, sein 140 Zorn wuchs, und die Brust ward ihm beklommen. Ein halbes Jahr lang hatte er bereits zugebracht, während welcher Zeit er nach euch bei allen Ein- Ausgehenden Erkundigungen eingezogen hatte, ohne daß ihm irgend jemand von euch hätte Nachricht geben können, als eines Tages, nachdem bereits ein volles Jahr seit dem Tage, da er euch vermißte, verstrichen war, und wir vor ihm seiner Befehle gewärtig standen, plötzlich eine alte Dame, dem Anschein nach eine Fromme, zu uns kam, in Begleitung von fünf Mädchen, Jungfrauen mit schwellendem Busen und schön wie Monde, die so schön und anmutig waren, daß sie die Zunge nicht beschreiben kann. Außer ihrer vollendeten Schönheit aber konnten sie auch den Koran lesen, hatten Philosophie studiert und kannten die Geschichte der Früheren. Wie nun diese Alte den König um Audienz gebeten, und er sie ihr gewährt hatte, trat sie ein und küßte die Erde vor ihm, während ich an der Seite des Königs saß. Als der König an ihr die Zeichen der Askese und Frömmigkeit erblickte ließ er sie näher treten. Sie aber redete ihn an, nachdem sie Platz genommen hatte, und sagte: »Wisse, o König, ich habe fünf Mädchen bei mir, wie kein König ihresgleichen besitzt, da sie nicht nur reichen Verstand haben und anmutig, schön und ohne Fehl sind, sondern auch den Koran samt den Traditionen lesen und in den Wissenschaften und der Geschichte der vergangenen Völker wohlbewandert sind. Sie stehen zu deinen Diensten vor dir, o König der Zeit, und nur die Probe erhärtet den Wert oder Unwert der Person.«

Hierauf besichtigte dein zu Gottes Barmherzigkeit eingekehrter Vater die Mädchen und sagte zu ihnen, da er von ihrem Anblick entzückt war: »Jede von euch soll mir etwas von ihren Kenntnissen in der Geschichte der Männer und Völker der Vergangenheit und Vorzeit hören lassen.« 141

Neunundsiebzigste Nacht.

Infolgedessen trat eine von ihnen vor, küßte die Erde vor ihm und hub an: »Wisse, o König, einem Wohlerzogenen steht es also an, daß er Zudringlichkeit meidet und sich mit Tugenden schmückt, daß er die heiligen Vorschriften beobachtet und sich vor Verbrechen hütet; und soll er hierbei so großen Eifer anwenden wie einer, der ins Verderben stürzt, sobald er davon abweicht; denn der Wohlerzogenheit Fundament sind edle Sitten. So wisse denn auch, daß Wesen und Sinn des ganzen irdischen Lebens das Streben nach dem ewigen Leben ist; der rechte Weg aber zum ewigen Leben ist Gottesdienst. Darum steht es dir an, daß du mit dem Volke gütig verfährst und von dieser Vorschrift nicht abweichst, denn je höher die Menschen stehen, desto mehr bedürfen sie der Einsicht, und die Könige bedürfen ihrer mehr als die Masse, denn die Masse stürzt sich in die Geschäfte, ohne an den Ausgang zu denken. So gieb dein Leben und dein Gut auch hin in der Sache Gottes und wisse, daß du den Feind, wenn er mit dir streitet, mit Gründen besiegen und du dich vor ihm in acht nehmen kannst; zwischen dir und deinem Freunde aber kann kein anderer Richter entscheiden als rechtes Benehmen. Erwähle daher deinen Freund für dich, nachdem du ihn erprobt hast; gehört er zu den Brüdern des Jenseits, so sei er sorgsam in Befolgung des göttlichen Gesetzes nach außen hin und vertraut mit dem tiefern Sinn, soweit es in seinen Kräften steht. Gehört er aber zu den Brüdern der Zeitlichkeit, so sei er edelgeboren, wahrhaftig, kein Thor und kein Lump. Denn der Thor verdient, daß selbst seine Eltern vor ihm fliehen, und der Lügner kann kein aufrichtiger Freund sein. Ist doch das Wort Sadîk – Freund – abgeleitet von Sidk – Wahrhaftigkeit – welche entsteht im innersten Herzensgrund; wie aber kann dies mit ihm der Fall sein, wenn er die Lüge auf der Zunge trägt?

Wisse auch, daß die Befolgung des göttlichen Gesetzes 142 dem nützt, der es in Ehren hält; so liebe deinen Bruder, wenn er also beschaffen ist, und verwirf ihn nicht, wenn du auch etwas, das dich abstößt, an ihm findest. Denn ein Freund ist nicht wie ein Weib, von dem man sich scheiden lassen, und das man dann wieder freien kann. Sondern sein Herz ist wie Glas – einmal zersprungen, läßt es sich nicht mehr ganz machen.«

Dann schloß das Mädchen ihren Vortrag, indem sie uns auf die Aussprüche der Weisen hinwies: »Der beste der Brüder ist der, welcher den besten Rat erteilt, die beste Handlung ist die, welche den schönsten Ausgang hat, und das beste Lob kommt nicht aus der Männer Mund.«

Ferner heißt es: »Es steht einem Diener Gottes nicht an des Dankes an Gott sich zu entschlagen, besonders des Dankes für zwei Gnaden, für Gesundheit und Verstand.«

Ferner heißt es: »Wer sich selbst hoch hält, dem wird seine Begierde verächtlich, und, wer aus seinen kleinen Leiden viel Wesens macht, den schlägt Gott mit seinen großen.

Wer seinen Trieben folgt, vergißt seine Pflichten, wer auf den Ohrenbläser hört, verliert seinen Freund.

Wer von dir gutes denkt, dessen Gutgedanken von dir mach' wahr.

Wer im Streit kein Maß hält, der sündigt, und wer vor Ungerechtigkeit nicht auf der Hut ist, der sehe zu, daß das Schwert nicht sein Blut frißt.«

Hör' nun auch etwas von dem, was der Kadis Pflicht sein soll. Wisse, o König, ein Urteil frommt nur der Sache, wenn es erhärtet ist, und dem Richter steht es an, alles Volk vor dem Rechte gleich zu halten, daß der Hochstehende nicht nach Gewaltthat giert, und der Geringe nicht an der Gerechtigkeit verzweifelt. Ebenso steht es ihm an vom Kläger den Beweis zu erbringen und dem Leugner den Eid zuzuschieben, und Einigung ist zwischen Moslems erlaubt, sofern sie nicht Verwehrtes erlauben und Erlaubtes verwehren will. Hast du heute etwas gethan, das dir Skrupel macht, 143 obgleich dein Verstand in ihm nur das Vernünftige finden kann, so kehre zurück zum rechten, denn das Recht ist göttliche Satzung, und Rückkehr zum rechten ist besser als Verharren im Irrtum, studiere die Präcedenzien und die diesbezüglichen Rechtsbestimmungen und erwäge mit gleichem Scharfsinn die Sache des Klägers und des Beklagten, immer aber sei dein Augenmerk auf die Wahrheit gerichtet, und stelle deine Sache anheim Gott, dem Mächtigen und Herrlichen. Laß den Kläger den Beweis erbringen; hat er den Beweis erbracht, so mag er den gebührenden Lohn dafür haben, andernfalls aber schieb' dem Beklagten den Eid zu; denn also ist Gottes Spruch.

Nimm die Aussage moslemischer Zeugen an, eines wider den andern, denn Gott, der Erhabene, hat den Richtern befohlen nach dem Äußern Recht zu sprechen, während er selber die verborgenen Gedanken richtet.

Ebenso soll der Richter das Gericht unterlassen, wenn er große Schmerzen oder Hunger leidet, und soll er in seinen Entscheidungen zwischen den Leuten das Angesicht Gottes, des Erhabenen, suchen, denn der, dessen Absicht rein ist, und der mit sich selbst in Frieden lebt, dem wird Gott für alle Sachen zwischen ihm und dem Volk genügen.

Es-Suhrī sagt: »Ein Richter soll abgesetzt werden, wenn dreierlei in ihm gefunden wird: Wenn er die Gemeinen ehrt, wenn er Lobsprüche gern hat, wenn er Entlassung aus dem Amte befürchtet.« Omar, der Sohn des Abd el-Asîs, hatte einmal einen Kadi abgesetzt. Als ihn dieser darauf fragte: »Warum hast du mich abgesetzt?« antwortete ihm Omar: »Es kam mir zu Ohren, daß du für deinen Rang zuviel redest.«

El-Iskender soll zu seinem Kadi gesagt haben: »Ich habe dich in diese Würde eingesetzt und dir mit derselben mein Leben, meine Ehre und meine Menschlichkeit anvertraut, hüte also dieses Amt mit deiner Seele und deinem Verstande.« Zu seinem Koch sagte er: »Du bist der Sultan meines 144 Körpers, so behandle ihn gütig wie dein eigenes Selbst.« Zu seinem Schreiber sagte er: »Du bist der Gouverneur meiner Vernunft; hüte mich also in allem, was ich dich zu schreiben heiße.«

Hierauf trat das erste Mädchen zurück und die zweite trat vor.

Achtzigste Nacht.

Nachdem sie vor dem Könige, deinem Vater, siebenmal die Erde geküßt hatte, hub sie an: »LokmânLokmân der Weise, der Äsop der Araber. sagte zu seinem Sohne: Es giebt drei Arten von Menschen, die nur in drei Umständen erkannt werden. Der Sanftmütige wird nur im Zorn erkannt, der Tapfere nur in der Schlacht und dein Bruder nur in deiner Not.

Es heißt: Der Gewaltthätige soll zu Schanden kommen, auch wenn das Volk ihn rühmt, und der Vergewaltigte soll unversehrt bleiben, auch wenn das Volk ihn verdammt.

Gott, der Erhabene, sagtSure 2, 185.: Glaube nicht, daß die, welche sich ihrer Thaten freuen und gelobt zu werden wünschen über das, was sie nicht gethan, glaube nicht, daß sie der Strafe entgehen. Eine schmerzliche Strafe harrt ihrer.

Er – über dem Segen sei und Heil! – sagt: Die Werke entsprechen den Absichten, und jedermann erhält nach seiner Absicht seinen Lohn.

Wisse, o König, das wunderbarste im Menschen ist das Herz, dieweil des Menschen Herz das Leitseil seiner Handlungen ist. Tobt das Verlangen in ihm, verdirbt ihn die Begierde, beherrscht es der Kummer, so tötet ihn die Traurigkeit, wird es von Zorn entflammt, so trifft ihn das Verderben, ist es mit Zufriedenheit beglückt, so ist er sicher vor Unzufriedenheit, wird es von Furcht ergriffen, so wird er von Trauer gequält, wird es von Unglück betroffen, so überkommt ihn das Leid. Erwirbt er Vermögen, so vergißt 145 es leicht seinen Herrn, erstickt ihn die Not, so wird es von Sorge geplagt, wird es von Kummer gequält, so bringt ihn die Schwäche zu Fall. So frommt ihm in jedem Fall nichts anderes, als daß er an Gott denkt, daß er sich bemüht sein täglich Brot zu erarbeiten und sich seinen Platz im Jenseits zu bereiten.

Einer der Weisen wurde einmal gefragt: »Welcher Mensch ist in der schlimmsten Lage?« Der Weise antwortete: »Der, dessen Mannheit von seiner Begierde unterjocht ist, dessen Geist aber hochaufstrebt, so daß sich sein Wissen immer mehr erweitert und seine Entschuldigung immer weniger Berechtigung hat.«

Hierauf fuhr sie fort: »Um nun auf die Anekdoten zu kommen, die von der Frömmigkeit handeln, so sagte Hischâm, der Sohn des Baschar: »Ich fragte einmal Omar, den Sohn des Ubeid: »Was ist wahre Frömmigkeit?« Darauf antwortete er mir: »Der Gesandte Gottes – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – hat es bereits in den Worten klargelegt: Ein Frommer ist der, welcher weder das Grab, noch sein Unglück vergißt, welcher das Bleibende dem Vergänglichen vorzieht und den morgenden Tag nicht zu seinem Leben rechnet, vielmehr sich selber unter die Verstorbenen zählt.«

Man erzählt, daß Abū Zarr zu sagen pflegte: »Armut ist mir lieber als Reichtum, Krankheit lieber als Gesundheit.« Da sagte einer der Zuhörer: »Gott hab' Abū Zarr selig, doch spreche ich meinerseits: Wer darauf vertraut, daß ihn Gott, der Erhabene, recht erwählt hat, der sei zufrieden mit dem Zustande, in welchem ihn Gott erwählt hat.«

Einer der Frommen sagte: »Einmal betete Ibn Abū Aufā mit uns das Frühgebet und sprach dabei die Worte: »O du Verhüllter,« bis er zu der Stelle kam »und wenn in die Posaune gestoßen wirdDie 74. Sure, welche vielfach als erste Offenbarung Mohammeds angesehen wird., da stürzte er tot zu Boden. 146

Es wird berichtet, daß Thâbit el-Banânī weinte, bis er fast das Augenlicht verlor. Als man ihm nun einen Arzt brachte, und dieser zu ihm sagte: »Ich will dich unter der Bedingung heilen, daß du mir gehorchst,« fragte Thâbit: »Was ist's?« Der Arzt antwortete: »Daß du nicht mehr weinst.« Da sagte Thâbit: »Wozu nützen denn meine Augen, wenn sie nicht mehr weinen sollen?«

Einmal sagte ein Mann zu Mohammed, dem Sohn des Abdallāh: »Gieb mir einen Rat.«

Einundachtzigste Nacht.

Mohammed, der Sohn des Abdallāh, antwortete: »Ich gebe dir den Rat, daß du in Bezug auf diese Welt ein entsagungsreicher Herr bist und in Bezug auf die kommende ein habgieriger Sklave.« Darauf fragte der Mann: »Wie meinst du das?« Er antwortete: »Wer der irdischen Welt entsagt, erwirbt die kommende Welt.«

Ghauth, der Sohn des Abdallāh erzählt: »Unter den Kindern Israel waren einmal zwei Brüder, von denen der eine den andern fragte: »Welche Sünde ist die schlimmste, die du begangen hast?« Der andere antwortete: »Ich ging einmal bei einem Nest mit jungen Vögeln vorüber; da nahm ich ein Junges heraus und warf es dann wieder hinein. Die andern Jungen aber stießen es nun von sich. Das ist die größte Sünde, die ich begangen habe. Welches aber ist deine schlimmste Sünde?« Der andere antwortete: »Meine schlimmste Sünde ist die, daß ich, wenn ich mich zum Gebet erhebe, fürchte, ich möchte dieses nur um des Lohnes willen thun.« Ihr Vater aber, welcher ihr Gespräch gehört hatte, rief: »O Gott, wenn sie die Wahrheit gesprochen haben, so nimm sie zu dir.« Darauf sagte einer der Verständigen: »Wahrlich, das waren vorzügliche Kinder.«

Saîd, der Sohn des Dschubeir erzählt: »Ich war einmal in Gesellschaft des Fudâle, des Sohnes des Ubeid, und sagte zu ihm: »Gieb mir einen Rat.« Darauf sagte er: 147 »Bewahre dich vor zweierlei: Verehre den alleinigen Gott ohne NebengötterWie es Christen und Heiden thun. und füge keiner der Kreaturen Gottes ein Leid zu.«

Hierauf trat sie zurück und das dritte Mädchen trat vor und sprach: »Das Kapitel der Frömmigkeit ist sehr lang, doch will ich dir etwas, was sich mir gerade von den Frommen alter Zeit darbietet, vortragen.

Ein Heiliger sagte: »Ich freue mich um des Todes willen, obschon ich nicht sicher weiß, ob er Ruhe bringt, nur daß ich weiß, daß der Tod zwischen den Menschen und sein Thun tritt; und so hoffe ich, daß er die guten Werke verdoppeln und die bösen Werke abschneiden wird.«

So oft Itāa es-Salamī eine Ermahnung beendet hatte, fing er an zu zittern und beben und bitterlich zu weinen. Als man ihn nun fragte: »Warum thust du das?« antwortete er: »Ich will jetzt an eine große Sache treten, ich will mich vor Gott, den Erhabenen, stellen, um nach der Ermahnung zu handeln.«

In gleicher Weise zitterte Alī Zein el-Abidîn, der Sohn des El-Huseîn, wenn er sich zum Gebet erhob. Nach der Ursache hiervon befragt, antwortete er: »Wisset ihr nicht, vor wem ich mich erhebe und zu wem ich sprechen will?«

Man erzählt, daß einmal neben Sofjân eth-Thaurī ein blinder Mann wohnte, welcher im Monat Ramadân ins Freie ging, um mit den Leuten zu beten; doch blieb er zurück und schwieg. Da sagte Sofjân: »Am Tag der Auferstehung wird er mit dem Volke des Korans kommen, und sie werden durch höhere Ehren vor ihresgleichen ausgezeichnet werden.«

Sofjân sagte: »Wohnte die Seele im Herzen, wie es sein sollte, so würde es vor Freude und Sehnsucht nach dem Paradiese und vor Trauer und Furcht vor dem höllischen Feuer von dannen fliegen.« 148

Ebenso soll Sosjân eth-Thaurī gesagt haben: »Wer das Antlitz eines Tyrannen anschaut, versündigt sich.«

Hierauf trat das dritte Mädchen zurück, und die vierte trat vor und sprach: »Hier stehe ich, um etwas, was sich mir gerade von Anekdoten über die Frommen darbietet, vorzutragen.

Es wird berichtet, daß Bischr el-Hâfī gesagt hat: »Ich hörte Châlid einmal sagen: »Hütet euch vor Kryptopolytheismus!« Als ich ihn fragte: »Was ist Kryptopolytheismus?« sagte er: »Daß einer von euch beim Gebet zu lange Verbeugungen und Prostrationen macht, so daß er sich durch eine Notdurft verunreinigt.«

Einer der Weisen sagt: »Wer Gutes thut, sühnt Böses.« Ein anderer erzählt: »Ich drängte einmal Bischr el-Hâfī, mich mit einigen der Mysterien der Wahrheit bekannt zu machen.« Bischr el-Hâfī antwortete mir jedoch: »Mein Söhnchen, diese Wissenschaft ziemt sich nicht für jedermann, nur fünf vom Hundert sind dazu auserlesen, ganz so, wie es mit dem Geldalmosen steht.«

Ibrāhîm, der Sohn des Adham, sagte: »Mir schienen seine Worte gut zu sein, und ich billigte sie. Während ich nun betete, siehe, da betete Bischr ebenfalls, und ich stand hinter ihm und machte meine Verbeugungen bis der Muezzin den Azân verkündete. Da erhob sich ein Mann in zerschlissenem Kleid und rief: »Ihr Leute, hütet euch vor der Wahrheit, wenn sie Schaden bringt; eine Lüge, die nützt, hat nichts auf sich; Not kennt kein Gebot, und wo keine guten Eigenschaften vorhanden sind, nützt ein Wort ebensowenig als Schweigen schadet, wenn sie da sind.«

Weiter sagte Ibrāhîm: »Ich sah einmal, wie Bischr einen DânikEin Sechsteldirhem. fallen ließ. Da trat ich herzu und gab ihm einen Dirhem dafür. Er aber sprach: »Ich nehme ihn nicht an.« Wie ich nun zu ihm sagte: »Es ist doch erlaubt,« entgegnete 149 er: »Ich kann nicht die Güter dieser Welt für die Güter der kommenden eintauschen.«

Es wird berichtet, das Bischr el-Hâfīs Schwester einmal Ahmed, den Sohn des Hambal,Stifter der vierten orthodoxen Schule des Islams. aufsuchte –

Zweiundachtzigste Nacht.

und zu ihm sagte: »ImâmVorsteher, Vorbeter, dann auch Vorbild. Die vier Imâme des Glaubens sind die Stifter der vier orthodoxen Schulen des Islams, der Hanafiten, Schafiiten, Malikiten und Hambaliten. des Glaubens, wir sind Leute, welche des Nachts spinnen und am Tage für unser Brot arbeiten. Manchmal kommen nun die Fackeln der Behörden Bagdads an uns vorüber, während wir auf dem Dache bei ihrem Lichte spinnen. Ist uns dies etwa verwehrt?« Darauf fragte er sie: »Wer bist du?« Sie antwortete: »Ich bin Bischr el-Hâfīs Schwester.« Da sagte er: »Familie Bischr, ich werde nie aufhören die Frömmigkeit euerer Herzen mit vollen Zügen einzuatmen.«

Einer der Weisen sagte: »So Gott einem seiner Diener wohl will, so öffnet er ihm das Thor zum Wirken.«

Mâlik, der Sohn des Dinâr, pflegte zu sagen, wenn er durch den Bazar ging und etwas sah, das ihm Verlangen erregte: »O Seele, gedulde dich, denn ich will dir nicht zu deinem Begehren verhelfen.« Ebenso sagte er – Gott hab' ihn selig! –: »Das Heil der Seele liegt darin, daß man ihr Verlangen bekämpft und ihr Verderben darin, daß man ihr folgt.«

Mansûr, der Sohn des Ammâr, sagt: »Ich machte einmal eine Pilgerfahrt gen Mekka über Kufa, und die Nacht war finster; da hörte ich eine Stimme aus dem schwärzesten Dunkel rufen und sprechen: »O Gott, bei deiner Macht und Herrlichkeit, ich hatte nicht die Absicht mich dir zu widersetzen und deinem Willen zuwiderzuhandeln, denn ich kenne dich sehr gut; meine Sünde war von dir über mich seit 150 Uranbeginn verhängt. Vergieb mir meine Übertretung, denn nur aus Unkenntnis habe ich mich gegen dich versündigt.« Als die Stimme ihr Gebet beendet hatte, hörte ich sie die Verse der Schrift vortragen: »O ihr Gläubigen, rettet euch und eure Familien vor dem höllischen Feuer, dessen Nahrung Menschen und SteineD. h. Götzen aus Stein. Vgl. Sure 66, 6. sind!« Darauf hörte ich einen Fall, ohne seine Ursache zu erkennen, und ging fort. Als wir nun am andern Tage unsers Weges zogen, kam mit einem Mal ein Leichenzug an, welchem eine alte kraftlose Frau folgte. Auf meine Frage nach dem Toten sagte sie: »Dies ist der Leichenzug eines Mannes, welcher gestern bei uns vorüberkam, als mein Sohn gerade beim Gebet stand und dabei einen Vers aus der Schrift Gottes, des Erhabenen, sprach; da platzte die Gallenblase des Mannes, und er fiel tot zu Boden.«

Hierauf trat das vierte Mädchen zurück, und die fünfte trat vor und sagte: »Hier stehe ich, um dir ebenfalls etwas, was sich mir gerade von Anekdoten Frommer aus alter Zeit darbietet, vorzutragen.

Maslame, der Sohn des Dinâr, sagte: »Wenn die innersten Gedanken gesund sind, werden die großen und kleinen Sünden gesühnt, und ist ein Diener Gottes entschlossen die Sünden zu lassen, so kommt der Sieg zu ihm.«

Ebenso sagt er: »Alles irdische Glück, das nicht näher zu Gott führt, ist ein Unglück, denn ein Wenig von den Freuden der irdischen Welt führt um ein Großes von der kommenden ab, und viel von der irdischen Welt läßt dich auch das Wenige von der kommenden vergessen.«

Abū Hâsim wurde einst gefragt: »Wer ist der Glücklichste?« Er antwortete: »Jener, der sein Leben in Gottesfurcht verbringt.« Weiter wurde er gefragt: »Und wer ist der Thörichtste?« Er antwortete: »Jener, welcher sein künftiges Leben für die irdischen Güter eines andern verkauft.« 151

Es wird berichtet, daß Moses – Frieden sei auf ihm! – ausrief, als er zum Wasser Midians kam: »Herr, ich bin des Guten, das du auf mich herabsendest, bedürftig.« So bat Moses seinen Herrn und nicht die Menschen. Da kamen die zwei Mädchen zu ihm und er tränkte ihr Vieh und ließ die Hirten nicht herzukommen. Als sie dann heimgekehrt waren, berichteten sie dies ihrem Vater Schueib,Der Jethro der Bibel. welcher darauf sagte: »Vielleicht ist er hungrig,« und einer von den beiden gebot: »Geh' zurück zu ihm und lad' ihn ein.« Wie sie nun zu ihm kam, verhüllte sie ihr Gesicht und sagte zu ihm: »Mein Vater ladet dich zu sich ein, daß er dich dafür, daß du unser Vieh getränkt hast, lohnen kann.« Moses hatte jedoch keine Lust hierzu und wollte ihr nicht folgen. Sie hatte aber ein dickes Gesäß, und der Wind hob ihr Gewand, so daß Moses ihr Gesäß sah. Da schlug er seinen Blick zu Boden und sagte zu ihr: »Geh' hinter mir.« So ging sie hinter ihm, bis er zu Schueib kam, als gerade das Abendessen zugerichtet war.

Dreiundachtzigste Nacht.

Als nun Moses bei Schueib eintrat, sagte dieser zu ihm: »Moses, ich will dir dafür, daß du ihnen zu Wasser verhalfst, Lohn geben.« Moses entgegnete jedoch: »Ich gehöre zu einem Hause, welches keins von den Geschäften der kommenden Welt für irdisches Gold oder Silber verkauft.« Da sagte Schueib zu ihm: »Jüngling, dann bist du doch mein Gast, und Gäste durch ein Mahl zu ehren ist mein und meiner Väter Brauch.« So setzte sich denn Moses und aß, worauf ihn Schueib für acht Pilgerfahrten, d. h. acht Jahre, in Dienst nahm und ihm hierfür als Lohn eine seiner Töchter zum Weibe bestimmte, wohingegen Moses' Dienst ihre Brautgabe sein sollte, wie Gott, der Erhabene, in der Schrift sagt: »Ich will dir eine von diesen meinen Töchtern zur Frau geben, unter der Bedingung, daß du dich auf acht 152 Pilgerfahrten bei mir verdingst; willst du aber auf zehn, so steht das bei dir, denn ich will dir keine Schwierigkeiten machen.Vgl. zu dieser ganzen Geschichte von Moses und Schueib die 28. Sure. Mohammed verwechselt hier Moses mit Jakob und Schueib-Jethro mit Laban, wie seine Kenntnis des Alten Testaments überhaupt eine sehr verworrene ist.

Es sagte einmal ein Mann zu einem seiner Freunde, den er lange Zeit nicht gesehen hatte: »Du hast mich einsam gemacht, insofern, daß ich dich so lange Zeit nicht gesehen habe.« Der andere entgegnete: »Ich wurde durch Ibn Schihâb von dir abgehalten.« Da fragte ihn der andere: »Kennst du ihn?« »Gewiß,« erwiderte der erste, »er ist seit dreißig Jahren mein Nachbar, obwohl ich noch nie mit ihm gesprochen habe.« »Weißt du nicht,« versetzte der andere, »daß du Gott vergissest, wenn du deinen Nachbar vergissest. Liebtest du Gott, so würdest du auch deinen Nachbar lieben. Weißt du nicht, daß der Nachbar auf seinen Nachbar ein Anrecht hat wie ein Verwandter auf den andern?«

Huzeife erzählt: »Wir betraten einst mit Ibrāhîm, dem Sohn des Adham Mekka, als Schakîk el-Balchī in jenem Jahre ebenfalls eine Pilgerfahrt angetreten hatte. Bei der Prozession um die Kaaba trafen wir uns, und Ibrāhîm fragte Schakîk: »Wie treibt ihr's in eurem Lande?« Schakîk antwortete: »Haben wir zu essen, so essen wir und müssen wir hungern, so gedulden wir uns.« Da sagte Ibrāhîm: »So thun es auch die Hunde von Balch; wir hingegen geben Gott die Ehre, wenn wir mit Brot gesegnet sind, und danken Gott, wenn wir hungern.« Hierauf setzte sich Schakîk vor Ibrāhîm und sagte: »Du bist mein Meister.«

Mohammed, der Sohn des Imrân, erzählt: »Einmal fragte ein Mann Hâtim den Tauben: »Was giebt dir dein Gottvertrauen?« »Zwei Sachen,« antwortete Hâtim; »ich weiß, daß kein anderer als ich mein täglich Brot essen wird, und so ist meine Seele voll Ruhe darüber; zweitens weiß ich auch, daß ich nicht ohne Gottes Wissen geschaffen bin, und so erröte ich vor ihm.« 153

Hierauf trat das fünfte Mädchen zurück, und nun trat die Alte vor, küßte neunmal die Erde vor deinem Vater und sprach: »Du hast nunmehr vernommen, o König, was alle über das Kapitel der Frömmigkeit vorgetragen haben. Ich will ihrem Beispiel folgen und dir ein wenig von dem vortragen, was mir über berühmte Männer aus vergangener Zeit zu Ohren gekommen ist. Es wird berichtet, daß der Imâm El-Schâfiī die Nacht in drei Teile teilte, von denen er das erste Drittel der Wissenschaft, das zweite dem Schlaf und das dritte dem Gebet widmete. Der Imâm Abū Hanîfe pflegte ebenfalls die halbe Nacht zu durchwachen. Einmal wies ein Mann beim Vorübergehen auf ihn, worauf sein Begleiter sagte: »Dieser Mann da wacht die ganze Nacht über und betet.« Als Abū Hanîfe dies vernahm, rief er: »Ich werde vor Gott beschämt, daß man etwas von mir behauptet, was ich nicht thue,« und verbrachte von da an die ganze Nacht wach.

Er-Rabīa berichtet, daß Esch-Schâfiī den Koran im Monat Ramadân siebzigmal vorzutragen pflegte, und zwar alles dies während des Gebetes.

Esch-Schâfiī – Gott hab' ihn selig! – sagte: »Zehn Jahre lang aß ich mich nicht an meinem Gerstenbrot satt, weil ein satter Magen das Herz verhärtet, die Intelligenz raubt, Schlaf im Gefolge hat und seinen Herrn zum Aufstehen zum Gebet zu schwach macht.«

Abdallāh, der Sohn des Mohammed es-Sakrā, soll erzählt haben: »Als ich mich einmal mit Omar unterhielt, sagte er zu mir: »Nie sah ich einen gewissenhafteren und beredteren Mann als Mohammed bin Idrîs esch-Schâfiī. Es traf sich einmal, daß ich mit El-Harth, dem Sohn des Labîb es-Saffâr, einem Schüler des El-Musanī, ausging, welcher eine schöne Stimme hatte und gerade das Wort des Erhabenen vortrug: »Das wird sein ein Tag, an welchem sie nicht sprechen werden und sich nicht entschuldigen dürfen.Sure 77, 35. 36. 154 Da sah ich, wie der Imâm Esch-Schâfiī die Farbe wechselte und, von kaltem Schauder und heftiger Erregung ergriffen, ohnmächtig zu Boden stürzte. Nachdem er dann wieder zu ich gekommen war, rief er: »Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor der Stätte der Lügner und dem Haufen der Thoren. O Gott, vor dem sich die Herzen der Weisen demütigen, schenke mir in deiner Güte Vergebung meiner Sünden, schmücke mich mit deinem Schutz und vergieb mir meine Fehle in der Großmut deines Wesens.« Hierauf stand ich auf und ging fort.

Einer der Frommen erzählt: »Als ich einmal nach Bagdad kam, während Esch-Schâfiī dort wohnte, setzte ich mich an das Ufer des Tigris um die Gebetswaschung zu verrichten, als jemand bei mir vorüberging und mir zurief: »Jüngling, verrichte deine Waschung gut, daß Gott es dir hienieden und im Jenseits wohlergehen läßt.« Mich umwendend, gewahrte ich einen Mann, dem ein Haufen Volks folgte. Ich beeilte mich nun mit meiner Waschung und folgte ihm nach. Da wendete er sich zu mir um und fragte mich: »Hast du ein Anliegen?« Ich antwortete: »Ja; lehre mich etwas von dem, was Gott dich gelehrt hat.« Darauf sagte er: »Wisse, daß der, welcher an Gott glaubt, gerettet wird, wer an seinem Glauben hängt, dem Verderben entrinnt, und wer Weltentsagung übt, dessen Augen sollen morgen getröstet werden. Soll ich dich noch etwas lehren?« Ich antwortete: »Gewiß.« Da sagte er: »Üb' Entsagung in der irdischen Welt und trachte nach der künftigen! Sei wahr in allen deinen Geschäften, und du wirst mit den Erretteten gerettet werden.« Hierauf ging er fort, und man sagte mir, als ich fragte, wer er wäre: »Das ist der Imâm Esch-Schâfiī.«

Der Imâm Esch-Schâfiī pflegte zu sagen: »Ich sehe es gern, wenn die Leute aus meinen Kenntnissen Nutzen ziehen, jedoch nur unter der Bedingung, daß mir davon nichts zugeschrieben wird.« 155


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