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Einzelne Fälle

I.

Man schreibt aus Buenos Aires zu Anfang des Jahres 1896 nach der Schweiz; »Es ist nicht möglich, sich in Europa einen Begriff zu machen von der Verschlagenheit und meist straflosen Frechheit, mit welcher hier der Handel mit weißen Mädchen betrieben wird. Da die Polizeiagenten einen gewissen Prozentsatz für jedes der in den schlechten Häusern eingesperrten Opfer erhalten, haben diese Häuser nichts zu fürchten; denn das Gesetz verfolgt sie nicht. Es werden täglich Ungeheuerlichkeiten begangen. Die hier eingeführten jungen Mädchen gehen nach zwei oder drei Jahren im Hospital elend zu Grunde. Unter ihnen gibt es welche, die sehr gut erzogen wurden, die rein und unberührt angekommen sind, um hier ihr Brot zu finden und ihre zu Hause gelassenen Familien zu unterstützen. Es wurden ihrer in einem Monat 117 meist minderjährige gezählt, die gelandet und schlechten Häusern überliefert wurden. Die Schurken, die sie nach Buenos Aires und Montevideo gebracht, hatten ihnen vorgegeben, in jenen Städten gäbe es keine Konsuln und sie würden aus Mangel an Schriften ins Gefängnis gesteckt, wenn sie nicht den Rat befolgten, ihr Alter erhöht anzugeben (um nämlich in solchen Häusern Aufnahme zu finden in die man sie aber wider ihren Willen brachte).

Überhaupt ist die argentinische Bundeshauptstadt ein Hauptstapelplatz des schändlichen Mädchen-, in Wahrheit Sklavinnen-Handels. Es sind meist Juden, die diesen »großartig organisierten Geschäftszweig« betreiben, dem bedeutende Kapitalien zur Verfügung stehen. Da ihm gegenüber die dortige Polizei untätig ist, hat sich ein sog. Verein gebildet, der es sich zur Aufgabe macht, den Mädchenhandel zu bekämpfen. Es wäre jedoch sehr voreilig und irrtümlich, diesen Verein seines Zweckes wegen für einen durchaus menschenfreundlichen zu halten. Er besteht geradezu aus Kupplern, die aus Brotneid gegen eine andere Gattung solcher »dunkler Ehrenmänner« arbeiten. –

Dieser Verein dient nämlich der sog. »freien Prostitution« und sucht seinen Gegnern, die ihre armen Opfer in sog. »Freudenhäuser« einsperren und damit der drückendsten und entehrendsten Sklaverei überantworten, die es jemals gab, die Beute abzujagen, soviel es dem Verein möglich ist, auch wenn es ihm nicht gelingt, sie für seine Zwecke zu gewinnen und durch diese auszubeuten.

Dies gelingt allerdings nicht immer, und so kommt es, daß die »Ehrenmänner der Straße« auch schon, wider ihren eigentlichen Zweck, der Prostitution Opfer entrissen haben.

Das deutsch geschriebene (von Schweizern gegründete) Argentinische Wochenblatt erzählte am 30. September 1896 folgenden merkwürdigen Fall:

Durch Zufall erfuhren Mitglieder des erwähnten Vereins, daß mit dem französischen Dampfer »Pampa«, der am 20. Sept. in Montevideo eintraf, zwei deutsche Mädchen, Antonette Ries und Anna Maier, nach Buenos Aires reisten, von denen die eine als »Köchin«, die andere als »Kindermädchen« für das Haus Calle Junin 473 engagiert waren. Den Mädchen war in Deutschland die Photographie einer noch ziemlich jungen Dame, sowie die Adresse des besagten Hauses übergeben worden, mit der ausdrücklichen Weisung, sie Niemanden an Bord des Schiffes oder in Buenos Aires zu zeigen und sich nur derjenigen Dame anzuvertrauen, die mit dem Duplikat des Bildes sich in Buenos Aires oder Montevideo ihnen vorstellen würde. Die Mädchen konnten es jedoch nicht unterlassen, an Bord sich über ihre neue Herrschaft zu erkundigen, und da wurden ihnen von den Offizieren, wie auch von einem Passagier, die Augen über ihren künftigen Bestimmungsort geöffnet.

Ein Mitglied der oben genannten Vereinigung, das von der Sache in Kenntnis gesetzt worden war, begab sich nach Montevideo, um den Schutz des deutschen Konsulates daselbst in Anspruch zu nehmen. Der Konsul begab sich denn auch an Bord, bestätigte den beiden Mädchen das ihnen von den Schiffsoffizieren Mitgeteilte, und riet ihnen, sich nicht in Montevideo auszuschiffen, sondern bis Buenos Aires zu fahren, um sich daselbst unter den Schutz des deutschen Konsuls zu begeben. Die »Wirtin« des Hauses Junin 473 hatte sich mit dem bewußten Bilde ebenfalls an Bord eingefunden und suchte die Mädchen zu überreden, mit ihr den Flußdampfer nach Buenos Aires zu benutzen. Es gelang ihr jedoch nicht, da der Schiffskapitän es den Mädchen nicht gestattete, das Schiff vor ihrem Bestimmungsorte zu verlassen.

Nach dem Eintreffen der »Pampa« im hiesigen Hafen sandte die Hafenpolizei auf Veranlassung des Konsulates, das durch ein Vereinsmitglied benachrichtigt worden war, einen Beamten mit dem Ärzteboot an Bord und brachte die Mädchen nach der Polizeikommissarie. Der Sekretär des deutschen Konsulats begab sich darauf sofort dahin, und nach Rücksprache mit dem Kommissär wurden ihm die Mädchen ausgeliefert und unter sichere Obhut gebracht, nämlich ins deutsche Frauenheim.

Die beiden dem Laster entrissenen Opfer haben folgendes Dokument unterzeichnet:

»Die Mädchen Antoinette Ries aus Pforzheim, zwanzig Jahre alt, und Anna Maier aus Wildberg bei Nagold in Württemberg, fünfundzwanzig Jahre alt, erklären folgendes: Durch Vermittlung der in Illingen (Württemberg) wohnhaften Witwe Döbel sind wir nach Buenos Aires, Calle Junin 473, engagiert worden und zwar Frl. Ries als Kindermädchen und Frl. Maier als Köchin in demselben Hause, wo angeblich eine Tochter der Witwe Döbel in Dienst sein soll. Ein bestimmter Lohn ist nicht abgemacht, hingegen wurde gute Bezahlung in Aussicht gestellt. Auf Instruktion der Witwe Döbel sollten wir Niemandem sagen, wohin wir gehen würden und im Bestimmungshafen uns nur der Dame anvertrauen, die ein gleiches Porträt vorzeigen könne, wie das von der Witwe Döbel übergebene, welches die Tochter derselben darstellt.«

Es handelt sich hier wie gesagt um zwei Heere von größeren und kleineren Schurken, die sich das Feld streitig machen, und so kommt es, wie anderwärts, so auch hier vor, daß die Schlechtigkeit mitunter Gutes bewirken kann, wie Mephisto, der ein Teil ist jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft.

Dessen kann sich allerdings die nichtswürdige Bande der Mädchenhändler nicht rühmen, die schon Tausende von unschuldigen Mädchen ins Verderben gestürzt, der Verzweiflung der Schande, dem Hospital und dem Grabe überliefert hat. Einer der verworfensten dieser Bösewichte, der in Buenos Aires ein eigenes Haus mit Bordell besitzt und sich eines riesigen Vermögens erfreut, ist ein russischer Jude, Moschke Rufinowski, der unter verschiedenen Namen, wie Moritz Schöner, Markus Schoner, Moises Scheiner, Mirdche Zieris oder Marco Hublertorski mit österreichischen oder russischen Pässen zwischen Südamerika und Europa hin und her reist. Er hat zwar 1892 in einem Prozesse wegen Betrugs die Hälfte seines Blutgeldes verloren; aber es gelang den Behörden leider noch nicht, ihm das schnöde Handwerk zu legen.

Denn es ist noch immer nicht gelungen, die rechtlichen Leute, auch mit Hilfe einer ehrenwerten Presse, zu einer Tätigkeit zu verbinden, die derjenigen des Kupplervereins der »freien Prostitution« gegenüber den Galgenvögeln des Mädchenhandels gleich käme. Dieser Handel wird in Buenos Aires, wie auch anderwärts, mit einer Schamlosigkeit betrieben, die der Polizei offen Hohn spricht. Die Gefangenen der Bordelle werden auf die bereits angegebene Weise durch List oder Gewalt dahin gebracht und um Preise verhandelt, die in Argentinien für »mittlere« Ware auf 120 bis 150, für »bessere« aber auf 200 bis 250 Pfund Sterling steigen. Sie werden jeder Kontrolle entzogen, bei Nachforschungen in Schränken, Kisten und geheimen Gemächern versteckt oder über die Dächer zu Spießgesellen geschleppt, sogar in Fällen syphilitischer Erkrankung zum fortgesetzten Dienste der Venus gezwungen, bei Widerstand mit Schlägen, Hunger und Kerker bestraft bis es nicht mehr geht und sie schließlich der Krankheit und den Mißhandlungen erliegen! Nicht so schlimm, aber immer noch schlimm genug, steht es mit der »freien Prostitution«. Ihre Opfer werden zwar nur mit ihrer Einwilligung angeworben und können frei ein- und ausgehen, werden aber im Geldpunkte von ihren Padronas (Hausbesitzerinnen) derart ausgebeutet, daß sie in Wirklichkeit unfrei sind, arm bleiben und im Spital oder auf der Straße sterben!

Ist die betrügerische und diebische Schuld des Mädchens bei der Padrona durch »geleistete Dienste« endlich der Tilgung nahe, so kauft die Kupplerin, um ihre Sklavin zu behalten, ein neues Kleidungsstück und berechnet dafür enorme Preise, z. B. für ein Kleid 250, für ein Paar Pantoffeln 50 Pesos (zu etwa 4 Mark), so daß die Schuld niemals gedeckt wird. Es ist vorgekommen, daß ein mitleidiger Besucher, der solches von einem Mädchen erfuhr, bei der Polizei Anzeige machte. Diese schritt (eine Seltenheit) ein und befreite das Mädchen, das aber nun ohne Mittel und hilflos in der Welt allein stand, infolge seiner Vergangenheit keine Dienststelle finden konnte, und so gezwungen war, zur Schande, der sie hatte entfliehen wollen, zurückzukehren. Ein anderer Befreier (in Montevideo) war energischer und gab das Mädchen auf der Polizei als seine Braut aus, worauf es wirklich befreit wurde. Doch, das sind Ausnahmen. In der Regel steckt die Polizei mit den Kupplern unter einer Decke, d. h. überall, wo es Bordelle gibt. Solche neu oder wieder einführen wollen, heißt daher nichts anderes, als den Mädchenhandel und die Mädchensklaverei befördern und aufrecht erhalten.

Dem Redakteur des »Argentinischen Wochen- und Tagblattes« in Buenos Aires, Herrn Alemann, gelang die Rettung eines Mädchens auf merkwürdige Weise. Auf dem Dampfer zwischen Montevideo und Buenos Aires fiel ihm unter den zahlreichen Passagieren, unter denen die Spanier vorherrschten, ein junges, deutsches Mädchen auf, das sich in Begleitung einer beleibten Dame befand, deren ganzes Äußere ihm verdächtig erschien. Sofort kam ihm der Gedanke, daß diese »Dame« eine Mädchenhändlerin und das Mädchen ihr Opfer sei, und er faßte nun den Entschluß, wenigstens einen Versuch zu machen, um der Verbrecherin ihr Opfer zu entreißen. Er begab sich an die Seite des Mädchens und fragte es nach Herkunft und Zweck seiner Reise. Es antwortete, es stamme aus Ostpreußen, heiße Emilie Prophet und komme nach Amerika, um Verwandte zu besuchen. Auf die Frage, wo sich dieselben befänden, antwortete das bescheidene Mädchen ganz naiv: nicht weit von New-York! Ganz erstaunt fragte er, wie sie denn dazu gekommen sei, nach Buenos Aires zu reisen. Darauf sagte sie, die Frau, deren Bekanntschaft sie in Bremen gemacht, hätte sich ihrer in überaus liebenswürdiger Weise angenommen und ihr sogar die Reise bezahlt, mit der Versicherung, ihr in Buenos Aires eine viel lohnendere Anstellung zu verschaffen, als sie bei ihrer Familie jemals finden könnte. Auch habe sie es unterwegs an Aufmerksamkeiten nicht fehlen lassen, ihr Kleider geschenkt u. s. w. Nun war kein Zweifel mehr möglich, und A. suchte das Mädchen zu bereden, sich unter keinen Umständen mit jener Dame auszuschiffen, da sie sonst Gefahr laufe, in ein Prostitutionshaus zu geraten, sondern sich vielmehr unter seinen Schutz zu begeben. Er merkte, daß das junge, unerfahrene Wesen seinem Zureden mit Mißtrauen begegnete, allein nachdem er ihr nochmals ins Gemüt geredet, schien sie endlich entschlossen, seinem Rate zu folgen. Die Begleiterin wurde während dieser Unterredung nicht müde, ihm die giftigsten Blicke zuzuwerfen. Währenddessen fuhr man in den Hafen ein, und das Mädchen begab sich in den Zwischenraum, um ihre Sachen zu packen. Schon glaubte A., sie würde sich von ihrer Begleiterin aufs Neue überreden lassen, als sie zu seiner großen Freude und Genugtuung wieder erschien und sich seiner Familie zugesellte. Am nächsten Tage befand sich das junge, der furchtbaren Gefahr entronnene Mädchen wohlbehalten im »Heim« der Calle Alberdi, woselbst sie alsdann gleich Stellung fand. Später wurde sie zu ihrer Familie nach Nordamerika geschickt und langte dort ungeschädigt an.

Wie in Argentinien, so werden auch in Brasilien, wie das deutsche Blatt »Germania« in Sao-Paulo berichtet junge deutsche und andere Mädchen ungestört eingeführt, um lasterhaften Zwecken zu dienen. Auf das Verlangen europäischer Vertreter hat die brasilianische Regierung im Jahre 1897 ernste Weisungen erlassen, die sich auf Mädchenhändler beziehen, und die Behörden eingeladen, gegen sie streng einzuschreiten. Da aber die Lokal-Polizeibehörden in Brasilien käuflich sind, blieben diese Maßregeln ohne allen Erfolg, und zwar um so mehr als die Händler mit Menschenfleisch sich von der Seite hoher Beamten Gunstbezeugungen zu erkaufen verstehen.

II.

In der alten Welt vertritt die Stelle eines Mittelpunktes des Mädchenhandels die türkische Hauptstadt Konstantinopel. Wiederholt haben, jedoch leider umsonst, die deutsche und englische Presse gegen den dort üppig blühenden Schacher der genannten Art ihre Stimme erhoben. Vor einigen Jahren wurde in Lemberg gegen galizische Mädchenhändler ein Riesenprozeß geführt. Diese Subjekte suchten in Galizien Mädchen zusammen und verschafften sich auch solche aus Rußland, wo ihnen aber das Handwerk gelegt wurde. Sie brachten ihre Opfer nämlich über Odessa nach Konstantinopel, bis die russische Regierung die von jenem Hafen abgehenden Schiffe einer scharfen Kontrolle unterwarf. Aber auch das österreichische Konsulat in Stambul untersuchte auf erhaltene Anzeige manches über Varna ankommende Schiff und befreite einige Opfer jener Seelenverkäufer. Diese sind Besitzer sogenannter öffentlicher Häuser in Pera und Galata, haben ihre Agenten in den Städten Österreich-Ungarns und Rumäniens und diese wieder ihre Unteragenten auf dem Lande, die dort besonders gesunde und kräftige Mädchen aussuchen, sie durch allerlei Vorspiegelungen guter Stellen oder durch Geschenke verlocken, mit ihnen zu kommen, und wenn es durchaus nicht anders geht, sie zum Schein und auf Grund gefälschter Papiere heiraten! Dann telegraphieren sie ihren Hauptagenten fingierte Warensendungen, z. B. so: 5 Faß Ungarnwein langen dann und dann in Varna an (d. h. soviel als 5 sehr schöne Mädchen). Ein anderer Ausdruck ist: so und so viele Ballen feine Seide. Geringe »Ware« wird unter andern als so und so viele Säcke Kartoffeln bezeichnet. Reisegeld und Auslagen erhält der Agent von seinem »Vorgesetzten« bereitwillig vorgeschossen. Sind die Opfer am goldenen Horn angekommen, so wird in Spelunken, die als Schild nicht selten den österreichischen Doppeladler tragen, um sie gehandelt, und dann sehen sie sich, statt an die versprochene gute Stelle gebracht, in den Pfuhl der Schande gestürzt. Bringt man sie mit »Güte« nicht dazu, sich dieser zu ergeben, so versucht man es mit Alkohol-Betäubung und Mißhandlungen. Ein Hauptschacherer, Abraham Scharfmann mit Namen, in Bulgarien als Totschläger verurteilt, hatte in »besserer« Zeit, mit bedeutenden Geldmitteln versehen, und von Agenten in allen möglichen Ländern unterstützt, in seinen Häusern in Konstantinopel und in deren scheußlichen Käfigen etwa 40 meist christliche Mädchen in seiner Gewalt, hielt sie schlecht und ließ sie, wenn sie seinen Willen nicht erfüllten, mit der Knute züchtigen. Nach und nach werden in solchen Fällen die Unglücklichen so abgestumpft, daß sie ihr Los nicht mehr fühlen und mechanisch tun, was man von ihnen verlangt. Endlich wurde durch Scharfmanns auf sein »Glück« neidische Konkurrenten dem russischen Konsul mitgeteilt, daß sich in einem seiner »Lager« ein junges russisches Mädchen von 14 Jahren befinde. Der Konsul ließ das betreffende Haus durchsuchen, wodurch das erwähnte Mädchen und sieben andere befreit wurden. Scharfmann wurde verhaftet, wahrscheinlich aber später mit Hilfe von Trinkgeldern wieder freigelassen.

Natürlich müßte ja die türkische Polizei keine »türkische« sein, wenn sie dabei etwas anderes täte, als für den beliebten Bakschisch die Augen zuzudrücken. Nur wenn diese Quelle nicht nach Wunsch fließt, tut sie so, als wolle sie aus sittlicher Entrüstung die Lasterhöhlen schließen, gibt aber sofort nach, wenn die hohle Hand gut gefüllt wird.

III.

Im Januar 1893 schrieb der »Philanthropist« in New-York: Unter den Reisenden zweiter Klasse, die neulich in unserm Hafen landeten, befanden sich ein Dutzend oder mehr junge italienische Mädchen oder Frauen, die aus ihrer Heimat weggeführt waren, um der Prostitution überliefert zu werden. Ein Bordellkuppler und ein Weib gleichen Schlages hatten sie begleitet und bewachten sie genau, wie sie auch ihr Gepäck in Händen behielten. Die Aufmerksamkeit der mit dem Empfange der Auswanderer beauftragten Beamten wurde durch das verdächtige Benehmen dieses Paares erregt. Unter den die Gruppe bildenden weiblichen Personen befand sich auch ein Kind, das der Gesellschaft für den Schutz verwahrloster Kinder (gegründet von Dr. Guerry) übergeben wurde, und die Auswanderungsbeamten richteten eine Klage an den Kommissar der Vereinigten Staaten. Mr. Shields, der sie dem Distriktsgerichte überwies, um die Frauen nach Italien zurückzusenden und das Kupplerpaar zur Strafe einzuleiten. Beides geschah sofort.

In der Mitte des Dezember 1892 ergingen sich in London auf dem Quai von Hull zwei junge Mädchen. An einer Stelle angekommen, wo ein deutscher Dampfer anlegte, der jede Woche die Überfahrt von Hamburg nach Hull macht, wurden sie von zwei Männern angeredet, deren einer der Zimmermann des Dampfers war. Die zwei Männer luden sie ein, das Schiff zu besichtigen, und als sie an Bord waren, boten sie ihnen zu trinken an, was sie annahmen, Wahrscheinlich war dem Getränke ein betäubendes Mittel beigemischt; denn die Mädchen erinnerten sich nicht mehr, was seitdem geschehen war. Als sie zu sich selbst kamen, fuhr das Schiff auf hoher See. Sie riefen den Kapitän an und erzählten ihm, was vorgefallen war; aber er weigerte sich, nach London zurückzukehren. In Hamburg angekommen, wurden die Mädchen von dem Zimmermann in ein Prostitutionshaus geführt. Dort konnten sie die Inhaberin bestimmen, eine Anzeige an den britischen Konsul zu schicken. Dieser benachrichtigte die Polizei, die sofort den Zimmermann und seinen Genossen verhaftete.

IV.

Im Mai 1896 fuhr ein junges Mädchen von etwa 22 Jahren in einem Abteil dritter Klasse auf der Bahnstrecke von Genf nach Bellegarde. Plötzlich öffnete sie die Wagentüre und versuchte, nahe bei der Station Meyrin, sich hinauszustürzen. Ihre Mitreisenden konnten sie noch rechtzeitig zurückhalten und durch das Mittel der Notleine den Zug zum Stehen bringen. Das junge Mädchen wurde der Gendarmerie in Meyrin übergeben, die es nach Genf zurückbrachte. Hier über die Beweggründe ihrer Handlungsweise befragt, erzählte sie, daß sie an demselben Tage aus einem Bordell Genfs entwichen war; die Polizei habe sie sofort zurückgestoßen (!) und sie sei vom Bordellwirte nach einem ähnlichen Hause in der französischen Nachbarschaft gewiesen worden; aber entschlossen, ihr trauriges Gewerbe nicht wieder zu beginnen, jedoch nicht wissend, wie sie dem Kuppler entgehen könnte, der in den gleichen Zug gestiegen war, um sicher zu sein, daß seine Ware ihren Bestimmungsort erreichte und der Preis dafür nicht verloren ginge, – wollte sie den raschen Tod unter den Rädern des Wagens dem langsamen Tod in der Galere, zu der man sie verurteilte, vorziehen. Unter dem Lärm der damals in Genf eröffneten Landesausstellung geriet der Vorfall in Vergessenheit; einen Artikel der Entrüstung darüber haben die Genfer! Zeitungen in »rührender Einstimmigkeit« aufzunehmen abgelehnt! – Denn in Genf erfreut sich die Kuppelei allerhöchster Gunst! –

Rosa W., die in Genf Bordellsklavin einer Frau Z. war, verließ ihr Gefängnis am Morgen des 9. August 1892 mit einem Koffer. Am gleichen Tage erhob das Weib Z. Klage auf Diebstahl und Vertrauensmißbrauch gegen die Ausgetretene, indem sie behauptete, Rosa hätte sich einen Betrag von 205 Fr. vorstrecken lassen, aus dem sie sich die mitgenommenen Kleidungsstücke angeschafft habe. Am nächsten Tage bewirkte die Megäre bei dem Polizeikommissar B., daß die Entflohene in Zürich verhaftet und nach Genf zurückgebracht wurde, wo man sie aber freiließ, nachdem der Untersuchungsrichter sie vernommen hatte. Das Untersuchungsgericht erließ am 1. Oktober zu Gunsten des Mädchens eine Verfügung, durch welche die Klage als nichtig erklärt wurde. Durch Urteil vom 14. Dezember erkannte das Gericht erster Instanz der Rosa W. eine Entschädigung von 500 Fr. zu, wogegen die Eheleute Z. Berufung einlegten. Der Mann Z. verwahrte sich dagegen, in die Sache verwickelt zu sein, während das Weib ihre vor erster Instanz vorgebrachten Aussagen als richtig darzustellen versuchte und die Eigenschaft der Rosa als öffentlicher Dirne geltend machte. Das höhere Gericht aber war anderer Ansicht und zeigte damit, daß wenigstens die Justiz in Genf nicht, wie die Polizei, willens ist, die Prostitution zu beschützen. Es setzte der Behauptung des Weibes entgegen, daß dieses weit unsittlicher sei als das Mädchen und durch dessen Verhaftung sich eine Verantwortung zugezogen habe, der sie sich nun zu entziehen suche. – Darauf gestützt, bestätigte das höhere Gericht am 25. Febr. 1893 das Urteil der ersten Instanz und stellte damit die Polizei in empfindlicher, aber verdienter Weise blos.

Im Jahre 1889 kam in Genf aus Anlaß von Zwistigkeiten in seiner Familie ein junges Mädchen aus Savoyen an. Es war 20 Jahre alt und wünschte eine Dienststelle. Bei seiner Ankunft begab es sich in eine Kaffeewirtschaft und ließ sich etwas zu essen geben. In dem Saale dieses Lokals saßen drei Männer an einem Tisch, spielten Karten und beobachteten das Mädchen. Endlich kam einer von ihnen, näherte sich ihr und fragte sie nach der Ursache ihrer Traurigkeit, die auf ihrem Gesichte deutlich zu lesen war. Sie zögerte nicht, ihm ihre ganze Lage zu schildern; da sie noch nie in Genf gewesen war, fürchtete sie, es würde für sie nicht leicht sein, eine Stelle zu finden. Der Mann sagte darauf, der Zufall hätte sich nicht besser fügen können; er sei gerade im Begriffe, ein Dienstmädchen zu suchen, und sie entspreche ganz seinen Wünschen; aber sie müsse sich am gleichen Tage noch entschließen, abzureisen; es sei übrigens eine wenig beschwerliche und gut bezahlte Stelle. Das erfreute junge Mädchen wünschte nichts anderes, als diese Gelegenheit zu benutzen, und erklärte sich bereit, ihm zu folgen. Er führte sie darauf mit dem ersten Zuge nach Macon in Frankreich, wo sie in ein hübsches Zimmer geführt, mit schönen Kleidern versehen wurde und man sie in die Stadt spazieren führte. Sie war erstaunt und verlangte ihren Dienst zu versehen. Aber das Benehmen der weiblichen Personen, die sie im Hause sah, öffnete ihr bald die Augen; sie begriff, daß sie sich an einem verdächtigen Orte befand, und wollte sich entfernen. Aber der Kuppler, der sie von Genf weggeführt hatte, setzte sich aufs hohe Roß; er verlangte den Ersatz der für sie aufgewandten Kosten (Reise, Nahrung, Kleider) und drohte ihr mit der Polizei, mit der er auf bestem Fuße stehe, wovon sie sich jeden Augenblick überzeugen könne, da deren Agenten in das Haus kämen, um zu essen und zu trinken. Es geschah, was in solchen Fällen immer geschieht; unter dem Eindruck des Schreckens, den der Kuppler ihr eingejagt hatte, sowie ihrer Verlassenheit und Hilflosigkeit, fügte sich die Unglückliche schließlich und wurde 14 Tage nach ihrem Eintritt in das Haus erst nach Bourg (Depart, des Ain) gebracht und hier »sittenpolizeilich« eingeschrieben. Indem sie sich scheinbar ihrem traurigen Lose unterwarf, wiegte sie sich in der Hoffnung, bei erster günstiger Gelegenheit heimlich entfliehen zu können. Aber sie bemerkte bald, daß die Sache nicht so leicht war, wie sie es sich gedacht hatte. Das Haus war von dem Kuppler und seiner Genossin streng bewacht; die »Kostgängerinnen« konnten niemals Luft schöpfen, ausgenommen in einem von Mauern umgebenen Garten und die entfaltete Wachsamkeit war derart, daß vier Jahre vergingen, ohne daß das arme Mädchen ihren Plan ausführen konnte. Das Haus wechselte seinen Besitzer, und seitdem war die Aufsicht weniger streng. Eines Tages nahm das Mädchen die Gelegenheit wahr, als alles am Tische saß, schützte Kopfweh vor und ging hinaus, um im Garten Luft zu schöpfen. Sie erstieg sofort die Mauer, wobei sie sich großer Steine darin bediente und ließ sich auf der andern Seite herabfallen, auf die Gefahr, sich die Knochen zu brechen. Mit bloßem Kopf und im Hauskleide umging sie die Stadt, wo sie ergriffen zu werden fürchtete, erreichte die nächste Haltestelle der Eisenbahn und gelangte in diesem Zustande nach Aix-les Bains in Savoyen. Da sie keine empfehlenswerte Erscheinung darbot, konnte sie weder hier noch in Genf eine Stelle finden, bis sie von dem Damenverein zur Unterstützung der Ankommenden aufgenommen wurde. Hierher gehört auch das Schicksal der Katharina Neidtt, deren Erlebnisse in Genf in ihrer im gleichen Verlage erschienenen Schrift »Verführt und entehrt. Die Presse im Dienste des Mädchenhandels?« dargestellt sind. (Preis M. 1.–, gebunden M. 1,35.)

V.

In dem »galanten« Frankreich sind immer die Frauen die Sündenböcke, und die »Herren der Schöpfung«, die im Grunde doch immer die Verführer sind, gehen frei aus. Dies zeigt u. a. der Fall in den Salons Lemardelay, über den folgende Mitteilungen gemacht worden sind: Danach haben (im September 1892) 15 Kaufleute, wohl infolge einer glücklichen Börsenspekulation, eine Wette gemacht, ob man in Paris 200 weibliche Personen durch Einladungen zusammenbringen könne. Die Einladungen ergingen, und die 15 Lebemänner sahen bei Lemardelay nicht weniger als 273 Weiber aus allen möglichen Schlupfwinkeln zusammenkommen. So konnte man sich ein wenig amüsieren. In einem Augenblicke der angehobenen Orgie wollten diese Herren etwas noch nicht dagewesenes ausführen. Einer von ihnen gab die Parole aus: wenn man das Schauspiel zum besten gäbe, daß eine Person ganz nackt im Saale herumspazieren würde? Die Bande klatschte wütend Beifall. Aber welche Überraschung! Keine der überall aufgelesenen Verworfenen wollte sich zu diesem Spektakel hergeben. Nun begann man, einen Preis für die Willfährigkeit auszusetzen. Man bot derjenigen, die sich dazu verstände, fünf, – zehn, – fünfzehn Louis (Napoleons zu 20 Fr.). Unterdessen floß der Champagner ohne Aufhören. Ein Mädchen oder richtiger eine Dirne ist da, die von einer Genossin hergeführt wurde. Seit langer Zeit hat ihr Verstand durch den Trunk gelitten. In ihrer Armut hat sie von soviel Geld noch nie sprechen gehört. Der Kopf wirbelt ihr. Endlich läßt sie merken, daß sie versucht ist, sich zu dem Spaße herzugeben. Das genügt. Bevor sie ein Wort gesagt, stürzen sich die 15 »Herren« auf sie, reißen ihr die Kleider ab, und Einer von ihnen ladet sie auf die Schulter und trägt sie unter allgemeinem Jubel im Saale herum. Endlich ist der Spaß vorbei. Die ganze Meute schickt sich an, alles zu zerbrechen, die Gedecke und das Tischzeug wegzunehmen. Man muß sie mit Gewalt hinaustreiben, wenn das Lokal nicht verwüstet werden soll. Da die 15 Herren sehen, daß die Sache schief geht, beeilen sie sich fortzukommen, und die Kellner fegen mit dem Besen all diesen Schmutz hinaus. Aber in einem Winkel blieb ein armes Geschöpf, das man nicht hatte hinausjagen können. Es war die Dirne Manach, das unzurechnungsfähige Werkzeug jener sauberen Herren. Ihre Kleider waren verschwunden, und sie blieb da, schluchzend und zerschlagen; denn die Ausschweifenden haben das Bedürfnis, leiden zu machen, und diese hatten nicht auf das Vergnügen verzichtet, ihr Opfer ein wenig zu mißhandeln. Die Arme war genötigt, ihren Namen und ihre Wohnung anzugeben, damit man sie in einem Wagen nach Hause bringen konnte.

Und was haben nun die Pariser Richter getan? Auf jeden Fall mußte man die Sache verfolgen! Der Skandal war ja großartig! Der Lärm der Orgie war auf die Straße gedrungen, hatte die Vorübergehenden aufgehalten, und die Menge hatte die fliehenden Lebemänner verhöhnt. Es war unmöglich, sich in jene Unkenntnis zu hüllen, die man im Justizpalast so gut vorzuschützen versteht. Was also tun? Ach, das war ja sehr einfach: das Opfer jener Taugenichtse aufgreifen und es für alles verantwortlich machen! Also wurde die Manach verhaftet. Es half nichts, daß sie die Tatsachen erzählte und feststellte, daß man sie betrunken gemacht und vergewaltigt hatte. Sie mußte bald begreifen, daß die Justiz eines Sündenbocks bedurfte. Wahnsinnig vor Verzweiflung, versuchte die Unglückliche zweimal einen Selbstmord, zuerst indem sie sich von einer Brücke in die Seine stürzen wollte, und dann, indem sie im Amtszimmer des Untersuchungsrichters sich eine Hutnadel in die Brust stieß. Sie erschien vor dem Gerichte weinend und schluchzend und – wurde zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt! – Die fünfzehn Schweine in Menschengestalt, die sich mit dieser Dirne belustigt hatten, wurden nicht einmal als Zeugen vor Gericht geladen. Man wußte wohl, daß sie, wenn erschienen, auf der Angeklagtenbank Platz nehmen mußten. Reiche Herren hatten doch das Recht, sich zu belustigen, und die Unglückliche, die sich unwissentlich und halb gezwungen hergab und sich noch dazu um die versprochenen 15 Louis geprellt sah, war ja nur ein Weib, nur eine Dirne, also rechtlos! Man weiß nicht, wer verächtlicher ist, solche Börsenjobber oder solche »Richter«. Eine solche Rechtspflege ist lediglich eine Posse!

VI.

In Österreich ist die Prostitution von Seiten des Staates reglementiert und sanktioniert. Die Frauen, die sich ihr hingeben, werden eingeschrieben und müssen sich zweimal wöchentlich (was kann inzwischen nicht alles geschehen?) zur ärztlichen Untersuchung begeben; andernfalls werden sie von der Polizei bestraft. Man unternimmt von Zeit zu Zeit Razzien in den Straßen der größeren Städte, um auf die Prostituierten, die nicht eingeschrieben sind, die Hand zu legen, und sie entweder einzuschreiben oder nach ihrer Heimat zu senden. Aus dieser Einrichtung folgt von selbst, daß ehrbare Frauen, die am Abend allein ausgehen (wie in Paris, s. Sittenpolizei S. 80 ff.), oft verhaftet werden. Gegen diese Schmach verhielten sich die österreichischen Frauen sehr gleichgültig, bis ein eigentümlicher Fall sie endlich aufrüttelte. Es wurde nämlich bekannt, daß in der kleinen mährischen Stadt Ungarisch-Hradisch die Schüler der zwei höheren Klassen des Gymnasiums häufig die schlechten Häuser besuchten. Die Lehrer beklagten sich darüber beim Unterrichtsministerium und verlangten die Ausstoßung der Schuldigen. Die Sache verursachte großen Lärm, wurde in allen Zeitungen Wiens besprochen und rief im Frühjahr 1898 eine ungeheure Aufregung unter der Bevölkerung hervor. Auf eine Anregung, die vom abolitionistischen (gegen die Reglementierung gerichteten) Bunde ( Fédération) ausging, beschloß der österreichische Frauenverein am 18. Mai, gegen diese Zustände Stellung zu nehmen, und arbeitete in diesem Sinn durch sein Organ »die Volksstimme«, – eine Bewegung, die sich seither wesentlich ausgedehnt hat und alle in dieses Gebiet fallenden Fragen behandelt.

Dies ist um so notwendiger, als gerade in Österreich und Ungarn der Mädchenhandel immer wieder auftaucht. So wurden damals die wohlbekannten Menschenfleischhändler Meier Leib Thorenstein und Russen Lechner aus Ungarn in Galizien verhaftet, weil sie eine gewisse Marie Kazink, ein schönes, junges Mädchen von 18 Jahren, das bei einem gewissen M. Katz im Dienste stand, betört hatten. Sie beabsichtigten, sie nach dem Orient zu bringen und hatten sie inzwischen bei einer Jüdin, Lea Kraft, versteckt, wo man sie in einem Schlupfwinkel entdeckte.

Im deutschen Reichstage machte am 6. Februar 1894 der Abgeordnete Bebel darauf aufmerksam, daß junge Mädchen, fast lauter Deutsche und Österreicherinnen, fortwährend scheinbar angestellt und von Hamburg aus zum Zwecke der Prostitution nach dem Auslande verschifft werden. »Was in diesem Handel besonders auffällt«, sagt hierüber die »Evangelische Kirchenzeitung« vom 16. Febr., »ist, daß die nach Rußland bestimmten jungen jüdischen Mädchen sich zuvor taufen lassen müssen, weil die Einwanderung von Juden in dieses Land verboten ist. Alle gegen die Urheber dieses schändlichen Schachers erhobenen Proteste sind bisher ohne Erfolg geblieben. Die Behörden von Hamburg haben sich stets geweigert, gegen diese skandalösen Vornahmen einzuschreiten. Die dortigen Bordelle sind nur dem Namen nach abgeschafft; aber es ist für niemanden ein Geheimnis, daß sie nicht aufgehört haben zu bestehen, wie auch in Bremen, Kiel, Lübeck und Königsberg. In Hamburg sollen hohe Staatsbeamte Besitzer solcher Häuser sein. Die Hamburger Polizei kennt diese Tatsachen und beaufsichtigt selbst diese Orte der Unzucht. Es ist dringend notwendig, diesem Skandal ein Ende zu machen.

Der Mädchenhandel ist schlimmer als der Negersklavenhandel, und es ist eine Schande für unser Volk, daß solche Dinge geschehen können und demütigend, daß der Führer der sozialdemokratischen Partei genötigt ist, mit der Hinweisung auf sie den Anfang zu machen.«

VII.

Ein neuer Skandal fiel in Paris im Winter 1893 auf 1894 vor. Frau L., eine ehrbare Händlerin in der Straße Ramey, begab sich weinend in das Amtszimmer des Polizeikommissärs Archer und erzählte ihm, daß ihre Tochter Antonia, 13½ Jahr alt, verschwunden sei. Sie war zum letzten Male am 3. Dezember 2 Uhr nachmittags auf dem Boulevard La Chapelle gesehen worden und man wußte nicht, was aus ihr geworden war. Die Polizei stellte eifrige Nachforschungen an, konnte aber das Kind nicht auffinden. Die trostlose Mutter glaubte in ihrer Verzweiflung, ihre Tochter sei vielleicht von Seiltänzern entführt oder gar ermordet worden. Sie schickte sich daher an, Trauer um sie zu tragen, als sie am 8. März 1894 heimkehrend, das Kind im Hinterzimmer des Ladens sitzend fand. Die arme Kleine war nicht mehr zu erkennen, und wenn sie sich nicht erhoben und schluchzend der Mutter um den Hals gefallen wäre, hätte diese sie nicht wieder erkannt. »Verzeihung, Mama, rief sie, verzeihe mir!« Antonia L. war in elendester Weise mit schmutzigen Lumpen angetan. Ihre Haare fielen unordentlich in fettigen Strähnen auf die Schultern herab. Das Gesicht war sehr blaß, die Augen matt, die Haut gelb und mit Reispuder bedeckt, die Gestalt mager, – kurz, ein trauriger Zustand. Beunruhigt und die Wahrheit ahnend, fragte die Mutter das Kind aus, und dieses berichtete mit von Schluchzen gebrochener Stimme folgendes: An einem Sonntag Nachmittag hatte eine ihrer Freundinnen das Mädchen zur Mühle La Galette geführt. Sie tanzte dort mit einem gewissen Henri G., der in Montmartre als Zuhälter bekannt war. Dieser, nachdem er sie hatte viel trinken lassen, lud sie zum Abendessen ein. Als sie zögerte, erklärte er, er werde sie zu ihrer Mutter zurückführen. Antonia nahm dieses Anerbieten an und folgte dem Elenden in eine Wirtschaft der Straße Lepic. Henri G. schlug ihr am Abend vor, ihre Eltern zu verlassen und mit ihm zu wohnen, indem er versprach, ihr alles zu geben, was sie wünschte. Sie würde nicht nötig haben zu arbeiten, könnte leben ohne etwas zu tun, würde schöne Kleider, hübschen Schmuck und eine reizend möblierte Wohnung haben.

Das Kind, von all diesem entzückt (!) und von einem Diner mit reichlichem Wein berauscht, nahm an (!); sie folgte dem Zuhälter, und während zweier Monate zeigte sich dieser gegen seine junge Maitresse voller Zuvorkommenheit. All dies aber war nur Komödie. Er wollte, indem er das Mädchen gut behandelte, über dieses eine unbeschränkte Gewalt ausüben. In den ersten Tagen des Februar wurde er grob und roh, und dann befahl er Antonia, sich der Prostitution zu ergeben. Dies wollte sie nicht, da schlug er sie heftig. Leider war das Kind bereits verdorben, sonst wäre es nicht in diese Falle geraten. Dies wußte der Bösewicht und benutzte es. So befahl er ihr denn, auf den Boulevard zu gehen und ihm Geld heimzubringen, wo nicht, so solle sie sich hüten! Er brachte zwei andere Mädchen zu ihr, die Schwestern I., die sie bereits kannte, 15½ und 12 Jahre alt, und diese nahmen ihr das letzte Bedenken, so daß sie nun tat, was er wollte. Als sie dann eines Abend weniger Geld brachte, als er hoffte, schlug er sie so, daß sie fliehen wollte, und versuchte ihr dann mit einem Rasiermesser die Kehle zu durchschneiden. Am andern Morgen war sie, ganz zerschlagen, endlich entschlossen, um jeden Preis heimzukehren, was sie dann auch tat, wie bereits berichtet ist. Die unglückliche Mutter erhob nun beim Polizeikommissar Klage gegen Henry G., der sofort verhaftet wurde. Er leugnete aber, Antonia verführt zu haben, die bereits, ehe sie ihn kannte, mit den Schwestern I., deren eigene Mutter sie der Prostitution preisgab, ein von einer Frau W. gehaltenes Haus, Straße Vernon, besucht hatte und dort von einem Advokaten um Geld mißbraucht worden war. Antonia konnte diese frühen Verirrungen nicht leugnen und gestand sie ein. Alle Beteiligten, die Kupplerin, der verbrecherische Advokat, die drei unglücklichen Mädchen und die unnatürliche Mutter der Schwestern I. wurden verhaftet; es scheint aber keine Strafe verhängt worden zu sein, weil keine Gewaltanwendung bei den eingeklagten Handlungen nachgewiesen war. Ja, der Redakteur des XIX. Siècle, Henry Fouquier, wagte es, die eigentümliche Neigung des Advokaten für Mädchen im Kindesalter, deren er mehrere hundert auf dem Gewissen hatte, in schönen Worten zu verteidigen!

In derselben Zeit, in der dieser Skandal spielte, verhafteten, berichtete der »Temps«, die Sicherheitsagenten auf den Boulevards ein zehnjähriges Mädchen in dem Augenblick, in dem es ältere Herren anredete. Zum Polizeikommissar geführt, erklärte es, ganz in Tränen, daß, wenn es jeden Abend sich diesem Benehmen hingab, dies geschehe, um seine unglückliche und wegen Alters zur Arbeit unfähige Mutter, eine gewesene Operettensängerin, zu ernähren. Vor einem Jahr hätte die Mutter einen sie erhaltenden Freund verloren und dem Kinde dann gesagt, um leben zu können, sei es notwendig, Herren auf den Straßen zu suchen und sich von ihnen umarmen zu lassen; dies sei, sagte die Mutter, weil notwendig nichts böses; sie ließ auch das Kind Morgens und Abends beten und zu Zeiten zur Beichte gehen. Als das Kind dies dem Beichtvater gestand, habe er es durchaus als schlecht erklärt und von der Fortsetzung abgemahnt. Es habe aber dessenungeachtet aus Not fortgefahren, weil es die Mutter so wollte. Ja, die Mutter habe es selbst auf die Boulevards geführt und Herren Zeichen gegeben. Von dem Besuche eines solchen in ihrer Wohnung gab die Kleine geradezu haarsträubende Einzelheiten an. Infolge dieser Angaben wurde die Mutter, mit Namen Eugenie Lautru, verhaftet, versicherte aber, sie sei nicht die Mutter des Kindes, sondern habe es aus Barmherzigkeit aufgenommen; die wahre Mutter, Maria Bourdon, habe es ihr am 12. Mai 1883 anvertraut. Es zeigte sich nun, daß Eugenie Lautru nichts anderes als eine gemeine Kupplerin war, die sich von unglücklichen Müttern deren kleine Töchter um Geld ausliefern ließ, die sie dann, wieder um Geld, Männern preisgab. Es wurden weitere Taten dieser Art gegen die gewesene Operettensängerin erhoben. Sie wurde zu fünf Jahren Gefängnis, 1000 Fr. Buße und 20 Jahren Entmündigung verurteilt. Ähnliche Strafen erhielten ihre Magd und Helferin und eine Frau Barbe, die ihr ebenfalls ihr Kind zur Prostitution, und zwar wissentlich ausgeliefert hatte. Die Kinder wurden Anstalten übergeben. Natürlich aber gingen die würdigen »älteren Herren«, die schlechter als Mörder sind, straflos aus!

VIII.

Auf Verlangen des Untersuchungsrichters L. Elen in Boulogne am Meer verhaftete die Polizei von Paris am 10. April 1894 die Eheleute B. und ihre Dienstmagd, Amélie V. an der Straße von Alesia. Diese Verhaftung verursachte großes Erstaunen im Quartier, wo jene Eheleute als ehrbar betrachtet waren und ihr Verhalten als bescheiden und ruhig galt, wodurch sie sich die Sympathien aller ihrer Nachbarn erworben hatten. Man wußte oberflächlich, daß der oft abwesende Gatte in Boulogne am Meer ein Bureau für Schifffahrt hielt. Dies war aber nur ein Deckmantel für sein wirkliches Geschäft. Frau B. und ihre Magd, diese 43 Jahre alt, wie ehrbare Frauen gekleidet, gingen täglich aus, nicht um spazieren zu gehen, wie man glaubte, sondern um sich nach den Bahnhöfen zu begeben, und zwar zu den Stunden der Ankunft von Zügen bei großen Bahnstrecken. Hier gingen sie auf die Suche nach jungen Mädchen aus, die in Paris ankamen, um Dienstplätze zu erhalten. Sie gaben sich als Vorstandsdamen einer wohltätigen Gesellschaft aus, deren Zweck war, junge Mädchen zu schützen, die sich in Paris allein und ohne Familie befanden. Diejenigen, die sich von den schönen Worten der Frau B. einnehmen ließen, wurden in die Straße von Alesia geführt und einige Tage später nach Boulogne am Meer spediert, wo sie von B. empfangen wurden, der sie einen Vertrag unterzeichnen ließ, worin er ihnen eine Stelle in einem Gasthof oder Pensionat des Auslandes versprach. Die jungen Mädchen unterzeichneten, und B. sandte sie nach London, Antwerpen, Brüssel, ja selbst nach New-York als Insassinnen öffentlicher Häuser. Überdies fälschte B. die Papiere der Mädchen und erhöhte das Alter der Minderjährigen. Ungeachtet der großen Zahl bei dem Gericht einlaufender Klagen hatte man die Eheleute B. niemals beargwöhnt. Aber einen Monat zuvor erregte der in Boulogne vorgefallene Selbstmord eines aus Castles stammenden jungen Mädchens, der zwanzigjährigen Blanche C., die Aufmerksamkeit des Gerichtes zu Boulogne. Eine Umfrage wurde eröffnet und brachte die eben genannten Tatsachen an den Tag.

Im Jahre 1894 wurde der Sicherheitsdienst in Paris von Seiten junger Arbeiterinnen und Dienstboten, meist minderjähriger, die auf der Suche nach Stellen von einem anscheinend ehrbaren Menschen in empörender Weise betrogen wurden, mit Beschwerden überhäuft. Dieser Mensch begab sich zu den Ausgängen der Bahnhöfe und auf öffentliche Plätze. Hier redete er die jungen Mädchen an, von denen er annahm, daß sie Stellen suchten, knüpfte ein Gespräch mit ihnen an, gab ihnen vor, daß er in Paris und in der Provinz ausgezeichnete Verbindungen habe und bot ihnen unter dem Anschein, ein gutes Werk zu tun, an, ihnen ein Obdach zu verschaffen. Am folgenden Tage aber wurden die Vertrauensseligen und Getäuschten, die, in der Eigenschaft von Erzieherinnen, Gesellschafterinnen oder Dienstboten zu einer älteren Person oder in eine Familie zu kommen hofften, in ein Bordell gebracht und wurden dort Pensionärinnen. Der angebliche Menschenfreund erhielt je nach der Schönheit oder Frische der armen Mädchen einen Preis vom Besitzer oder der Besitzerin. Der Polizeidirektor Cochefert beauftragte mehrere seiner Beamten, über die Orte, die ihm als von jenem Menschen besuchte bezeichnet worden, ein wachsames Auge walten zu lassen, und diese Beamten entdeckten ihn in dem Augenblick, als er einem jungen Mädchen von etwa 15 Jahren seine Dienste anbot. Nach der Unterhaltung mit seinem Opfer nahm er, von diesem gefolgt, den Omnibus und fuhr zum Bahnhof Saint-Lazare, wo er zwei Fahrkarten nach Versailles nahm. Die Beamten, die ihn nicht aus den Augen gelassen hatten, folgten ihm bis in ein Gäßchen der genannten Stadt und verhafteten ihn in dem Augenblicke, als er an der Tür eines Hauses mit sorgfältig geschlossenen Läden klopfte. Von den Beamten zur Polizeidirektion geführt, gab er im Verhör die ihm zur Last gelegten Tatsachen zu und gestand, daß er in drei Monaten etwa fünfzig Exemplare dieser Ware spediert hatte. Jede dieser Lieferungen trug ihm durchschnittlich 40 bis 60 Fr. ein. Es war ein gewisser Ballet, der aber die Angabe seiner Adresse verweigerte. Er gab an, Photograph von Beruf zu sein. Da er oft in solche Häuser gerufen wurde, die er später mit Pensionärinnen versah, hatten ihm die Inhaber dieser Häuser vorgeschlagen, sein Geschäft aufzugeben und das einträglichere eines Mädchenhändlers zu ergreifen.

Ebenfalls in Paris wurde, wie die dortige Presse am 5. Januar 1895 berichtet, eine 49 Jahre alte Frau Chambaud oder wenigstens eine unter diesen Namen gekannte, in der Straße Charlot auf Befehl des Untersuchungsrichters Guillot verhaftet. – Diese Elende warb junge Mädchen als Angestellte oder Dienstboten an und sandte sie nach Bordellen in der Provinz. Sie begab sich gewöhnlich, um ihr Personal zu ergänzen, in die Stellenvermittelungsgeschäfte. Da sie ein großes starkes Weib ist und sich eines Schnurrbartes erfreut, so liebte sie es, wenn dieser Schmuck nicht gerade rasiert war, sich als Mann zu verkleiden, was ihr gestattete, den Nachforschungen, deren Gegenstand sie infolge zahlreicher Klagen aus der Provinz seit geraumer Zeit bildete, zu entgehen. Endlich aber entdeckte der Inspektor Sentiniés ihre Adresse und verhaftete sie. Sie war gerade an diesem Tage frisch rasiert, und man fand bei ihr ein Verzeichnis ihrer Vornahmen und Geschäftsreisen.

Im Juni 1895 schlug in Florenz ein Mensch drei jungen Mädchen vor, sie in Toulon anzustellen, die eine als Köchin, die zwei anderen als Kindermädchen. Sie nahmen an, aber bei ihrer Ankunft wurden sie in ein Bordell geführt. Darüber nun zeigten sie sich so empört, daß die Inhaberin es für gut fand, ihnen die Türe wieder zu öffnen, worauf sie die Rücksendung in ihre Heimat verlangten. Man führte sie daher zum Bahnhof zurück, wo man ihnen drei Fahrkarten dritter Klasse übergab. Sie bemerkten aber, daß man sie neuerdings betrog; denn die Karten lauteten nur bis Ventimiglia, wo sie wahrscheinlich ein neuer Fallstrick erwartete. Sie verfielen daher auf den Gedanken, sich an den Polizeikommissär zu wenden, der sie auf Kosten des Bordellbesitzers nach Florenz beförderte, und von diesem überdies für die Mädchen eine Reiseentschädigung verlangte. Von Bestrafung war leider keine Rede. Erfreulich ist nur, daß die Polizei an manchen Orten von der Prostitution unabhängig ist.

Die Pariser Zeitungen vom 6. August 1895 berichten folgende Tatsache: Ein Weinhändler in Vincennes, Namens R., 33 Jahre alt, beschuldigt, Minderjährige zur Unzucht verleitet zu haben, tötete sich mit Kohlengas. Er verschaffte sich junge Mädchen von 14 bis 15 Jahren in Vermittelungsgeschäften und übergab sie dann seinen Kunden. Als ihm die Verhaftung drohte, entzog er sich ihr durch den genannten Schritt.

Auf dem Platze des Chatelet in Paris wurde ein gewisser Würth, 24 Jahre alt, verhaftet, der das schändliche Gewerbe trieb, arme Mädchen, die Stellen als Kellnerinnen in Kaffeehäusern zu erhalten glaubten, in Bordelle der Provinz zu senden. Würth hatte eine förmliche Agentur errichtet, hatte Angestellte und Helfershelfer und beträchtliche Einnahmen. Diese Verhaftung geschah infolge zahlreicher Klagen unglücklicher Mädchen, die zu verreisen glaubten, um ihr Brot ehrlich zu verdienen und sich plötzlich in schlechten Häusern, besonders in Toulon, eingesperrt fanden, aus denen man sie nicht herausgehen ließ, weil sie sogar schon vor der Ankunft dem Kuppler Geld schuldig waren. Würth war nämlich immer so vorsichtig, ihnen einen Vorschuß auf das, was er ihren künftigen Gehalt nannte, zu geben.

In einer kleinen Stadt des Gard-Departements hatte ein Mensch, der, wie alle Welt wußte, in jener Gegend für die Bordelle des Südens tätig war, an ein Mädchen von 17 Jahren, eine Waise geschrieben und ihm vorgeschlagen, sich zu verkaufen. In seiner Empörung darüber zerriß das junge Mädchen den Brief. Von dem Drängen jenes Elenden verfolgt, setzte sie ihren Vormund davon in Kenntnis. Es wurde Klage beim Gerichte erhoben; da aber der Brief zerrissen war, fehlte leider der Beweis!

Die Pariser »Patrie« vom 11. Dezember 1895 berichtete: Unter der Vorgabe, Vertreter eines Handelsgeschäftes zu sein, betrieben Felix Ricarini, 37 Jahre alt, Alfred Duriet, 35 Jahre alt und Antoinette de G., 23 Jahre alt, das Gewerbe von Lieferanten für ein geheimes Lasterhaus im Quartier de l'Etoile, wo die unglücklichen jungen Mädchen, die sich durch die Lockspeise eines hohen Gewinns hatten verlocken lassen, eine Station machten, bevor sie in Bordelle von Paris oder der Provinz gesandt wurden. Wenn das ahnungslose Opfer sich der fünfzigjährigen Besitzerin des Hauses, Frau R., die sich Baronin nennen ließ, und das vorteilhafteste Äußere zur Schau trug, vorstellte, begann man damit, es zum Frühstück einzuladen und berauschende Weine trinken zu lassen; dann gab man ihm nach und nach zu verstehen, daß sein Kostüm zu einfach wäre und daß es ein anderes, eleganteres, sehr dekolletiertes und leicht ausziehendes kaufen müßte. »Übrigens«, bemerkte die Baronin, »werde ich Ihnen selbst ein Kostüm vorstrecken, und Sie werden bald im Stande sein, es mir zurückzuzahlen; es wird heute Abend einer meiner Freunde kommen, ein reizender junger Mann, etwas ländlich. Sie müssen sich ihm nur zuvorkommend zeigen. Je liebenswürdiger Sie sein werden, desto weniger wird er zögern, Ihnen gefällig zu sein.« Das junge Mädchen, dem die Rolle, die es spielen sollte, noch nicht klar war, und dem man guten Lohn, schöne Kleider und Schmuck versprach, vom fleißig eingeschenkten Wein überdies etwas betäubt, wurde zu einem leicht zu handhabenden Werkzeug. Diese Ausbeutung dauerte bereits lange und brachte der Frau R. und ihren Spießgesellen schöne Einnahmen, als plötzlich ein Zwischenfall diesem Skandal ein Ende bereitete. Vor einigen Tagen hatte sich Fräulein Marguerite C., eine Näherin von 16½ Jahren, die bei ihren Eltern in der Straße Beautreillis wohnte und ohne Arbeit war, vor der Kirche St. Paul aufgehalten, wo täglich Angebote von Beschäftigung für Frauen angeschlagen sind. Während das junge Mädchen die kleinen handschriftlichen Anschläge las, näherte sich ihr eine elegant gekleidete junge Dame, Antoinette de G., und sagte zu ihr: »Sie suchen Arbeit, mein Kind?« – »Ja Madame.« – »Nun wohl, wenn Sie mit mir kommen wollen, ich kenne eine Person, die gerade Arbeiterinnen sucht, und ich bin sicher, daß Sie ihr passen werden; Sie sehen intelligent aus, Sie sind hübsch, und Sie werden gewiß viel Geld verdienen.« Fräulein C. antwortete, sie werde darüber mit ihrer Mutter sprechen und verabredete mit Frau de G. ein Stelldichein auf den nächsten Tag. Als aber dieser erschienen war, begab sich die Mutter selbst zum Stelldichein. Sie begriff sofort, um was es sich handelte und fiel in ihrer Empörung über Frau de G. her. Dieser Auftritt verursachte ein große Ansammlung von Menschen und Polizeiagenten, die eingeschritten waren, führten die kämpfenden Frauen zum Polizeikommissar Duranton. Der über den Fall aufgeklärte Beamte nahm ein Verhör mit der Angeschuldigten auf, die endlich ein volles Geständnis ablegte und ihre Genossen angab. Alle wurden verhaftet und ins Polizeigefängnis abgeführt.

Am 22. Juli 1896 hat in Paris der Polizeikommissär Garnot vom Quartier Grandes-Carriéres einen gewissen Eugène Jousse verhaftet und ins Depot geführt. Dieser Mensch ist 32 Jahre alt, wohnt Passage de Clichy Nr. 16 und überwachte die im Bahnhof Saint-Lazare ankommenden Züge, wobei er die stellenlosen Mägde ansprach und in übelberüchtigte Häuser der Provinz und des Auslandes wies. Eine Hausuntersuchung bei ihm brachte traurige Entdeckungen an den Tag. Eines der Opfer dieses Elenden, das sich beim Kommissariat der Straße Cauchois beklagte, hat seine Verhaftung bewirkt.

Die Pariser »Presse« vom 17. August 1896 berichtete: Seit etwa zwei Monaten suchten die Agenten der Sicherheitspolizei eifrig, aber ohne Erfolg nach einem Mann und einem Weibe, die neulich in Abwesenheit, jener zu fünf Jahren Gefängnis und zehn Jahren Ausweisung, dieses zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden sind. Alfred Laslier, genannt Royer, auch Leclerc, 37 Jahre alt, und seine Beihälterin Marie Poincignon, genannt Piètre, auch Raymonde, 34 Jahre alt, suchten in Paris junge Mädchen ohne Stellung auf und sandten sie ins Ausland, wo ein Spießgeselle sie dahin brachte, ein zuchtloses Leben zu führen. Die Schuldigen blieben unauffindbar, bis diesen Morgen der Inspektor Teiter vom Kommissariat der Straße Etienne Dolet, der ihre Personalbeschreibung besaß, den Alfred Laslier bemerkte, als er in ein geringes Gasthaus der Straße Menilmontant trat. Der Inspektor schritt mit Hilfe zweier Schutzleute sofort zur Verhaftung Lasliers und auch seiner Beihälterin, die sich in demselben Gasthaus befand. Die Schuldigen wurden in Sicherheit gebracht und dem Gerichte übergeben.

IX.

Welche übelduftende Blüten in Frankreich die Reglementierungswut und zugleich die Zurücksetzung des weiblichen Geschlechtes hinter das männliche treibt, zeigt ein Erlaß des Maires von Auxonne, einer kleinen Stadt im Departement Côte d'Or, der am 12. September 1895 dekretierte: Jede in Wirtschaften dienende weibliche Person müsse ein ärztliches Zeugnis beibringen, daß sie an keiner ansteckenden Krankheit leide. Hierdurch wird jede Wirtschaft des Städtchens tatsächlich zum Bordell, denn ehrbare und unschuldige Mädchen werden sich hüten, an einem Orte einzutreten, wo sie gezwungen sind, sich untersuchen zu lassen und damit ihre Schamhaftigkeit preiszugeben. Wie will denn jener Maire, der Ritter der Ehrenlegion ist, beweisen, daß alle Ansteckungen von weiblichen Dienstboten herrühren? Und wenn er so besorgt vor solchen ist, warum unterwirft er nicht auch die Kellner und die Gäste der Untersuchung? Einfach, weil in Frankreich das weibliche Geschlecht rechtlos ist – Dank dem Code Napoléon, der zu dessen Nachteile die Erkundigung nach der Vaterschaft untersagt! Dazu paßt es, daß in Saint-Aubin du Desert, Bezirk Mayenne, als ein getötetes Kind aufgefunden wurde, das Gericht auf die bloßen Aussagen boshafter Klatschbasen hin eine Anzahl junger Mädchen verhaften und untersuchen ließ. Dieses scheußliche Los traf ihrer zwölf, die sämtlich unschuldig befunden würden! Auf das Verlangen, die Verleumder zu verfolgen, trat das Gericht nicht ein! Solche Justiz ist geradezu schmählich!

Am 5. Juni 1894 tötete sich in Marseille eine junge Modistin von 19 Jahren durch Kohlengas, nachdem sie auf ihrem Nachttische einen Zettel zurückgelassen, auf dem stand: »Ich sterbe durch Schuld der Polizei«. Die Unglückliche war in den letzten Tagen unter dem Verdachte des Umherschweifens durch Schergen der Sittenpolizei verhaftet worden. Obschon unschuldig, hatte sie nicht weniger als 36 Stunden im Polizeigefängnis zubringen müssen. Die gehässige Verhaftung hatte sie so tief erregt, daß sie fürchtete, ihr Mißgeschick möchte zur Kenntnis ihrer Familie gelangen. Von Tag zu Tag wurde sie trauriger und endete mit Selbstmord. Und das nennt man » Sittenpolizei«!!!

Das korrektionelle Gericht von Toulon verurteilte im Jahre 1893 eine Person wegen Betrugs, die sich geweigert hatte, eine unmoralische Verpflichtung einzuhalten. Frau C. geb. M. war am 24. Februar von zwei Seelenverkäufern Jeannot und Castel, in ein Bordell jener Stadt gebracht worden, wo sie sich bereit erklärte zu bleiben und der Kuppler den beiden Schurken 200 Fr. bezahlte, die sie ihnen schuldig sein sollte. Am andern Tag aber ging die Frau aus dem Hause, indem sie sich weigerte, das zurückzugeben, was für sie bezahlt worden war. Der Kuppler klagte gegen sie auf Betrug, und das Gericht verurteilte sie zu 15 Tagen Gefängnis. In Frankreich scheinen solche »salomonische« Urteile zu Gunsten der Prostitution nicht selten zu sein (s. Sittenpolizei S. 163 f).

Wie bei solchen Zuständen den Männern gegenüber den Frauen der Kamm wächst, zeigt folgende traurige Geschichte. Im Quartier des Epinettes nahe den Befestigungen von Paris lebten die Eheleute Gavray, der Mann, Maurer, 32, die Frau, Näherin, 24 Jahre alt. Auf einmal fiel es dem Gatten ein, nicht mehr zu arbeiten. Er schlug seine Zeit mit Kneipenbesuch tot und faßte eine Leidenschaft für Pferderennen. Aller Verdienst der armen Frau floß seitdem in die Taschen der Bookmakers, und als schließlich der Mann denselben nicht mehr genügend fand, zwang er die Unglückliche, sich der Prostitution zu ergeben. Drohungen, Beschimpfungen und Mißhandlungen des stets Betrunkenen machten sie fügsam. Endlich aber begann sie, sich zu widersetzen, was fürchterliche Szenen zur Folge hatte. Nach einer solchen, um 2. August 1895, ging der Mann ruhig aus, und als die Hausgenossen, um das Schicksal der Frau besorgt, in die Wohnung eindrangen, fanden sie die Unglückliche blos im Hemd und Strümpfen, vor dem Bette ausgestreckt; der Kopf war von drei Kugeln und die Brust von einer vierten durchbohrt, der ganze Boden und alle Möbel mit Blut befleckt. Ein Revolver lag neben dem Leichnam. Der Mörder war entflohen und es ist nicht bekannt, ob er ergriffen werden konnte.

X.

Im September 1896 erließen die Regierungen der schweiz. Kantone Waat und Neuenburg Warnungen an die Eltern, die ihre Töchter an Stellen in Österreich schicken, bezüglich auf eine in diesem Lande organisierte Gesellschaft von Lieferanten gewisser Häuser, die ihre Zentralstellen in der Schweiz, besonders in Bern und Genf habe, was von Seite dieser Kantone allerdings bestritten wird. Was Genf betrifft, verdient diese Leugnung freilich wenig Glauben. Die jungen Mädchen werden, heißt es in diesen Aktenstücken, über Lindau und München nach Italien und von da in den äußersten Orient (Alexandria, Kairo, Kalkutta) oder über Wien in die Balkanländer (Belgrad, Bukarest, Konstantinopel) spediert. Ferner wurden in diesen Warnungen folgende Lieferanten schlechter Häuser namhaft gemacht: Alisch Klinger aus Kolomea, in Galata, Feibisch Singer aus Czernowitz, in Alexandria, Sulisch Singer und Leib Reisner ebenfalls aus Czernowitz, Sperling aus Lemberg, Josef Handl, Josef Falillmann, Leo Tabak, Josef Goldstaub, Salli Gottlieb, Hersch Hirsch und Jette Trost. Andere Lieferanten spedieren die jungen Mädchen nach Südamerika über Genua. Als solche werden genannt: David Sucher, Chaim Parllet, Enoch Kohn, Josef Wolberg und die angebliche Bertha Fostel, sehr bekannt als Versorgerin von Bordellen. Diese sauberen Leute bilden unter sich eine Verbindung, machen gemeinsame Sache und unterstützen einander gegenseitig. Sie spiegeln den jungen Mädchen eine gute Stelle im Auslande vor, bestimmen sie, ihr Vaterland zu verlassen und verkaufen sie buchstäblich wie Waren, teils an Bordelle, teils an die Harems des Morgenlandes. Diese Händler mit Menschenfleisch wissen immer mit einem wahrhaft seltenen Raffinement ihrem schändlichen Gewerbe neue Formen zu geben.

Ein Mädchen aus einer ehrbaren Familie in Zürich hatte 1897, ohne sich über die Leute, zu denen sie kommen sollte, zu erkundigen, eine Stelle als Bonne in einer Familie in Mailand angenommen, von deren Seite ihr ein hoher Gehalt versprochen worden war. Am Bestimmungsorte angekommen, bemerkte sie, obschon man sich gehütet hatte ihr Mißtrauen zu erwecken, daß sie in ein verdächtiges Haus geraten war. Glücklicherweise mit einem energischen Charakter und gesunden Verstand begabt, begann sie, sich in ihrem Zimmer, das nicht verschließbar war, zu verschanzen und am andern Morgen früh gelang es ihr, die über sie verhängte Bewachung zu täuschen, den Gang und darauf die Haustür zu gewinnen. Hier wollte sich der Pförtner ihrem Austritt widersetzen, aber indem sie ihm einen Taler gab, erklärte sie, daß sie um jeden Preis, selbst den des Skandals, das Haus verlassen werde. Im Angesichte dieser Haltung zog es der Pförtner vor, das Geld zu nehmen und das Mädchen ins Freie treten zu lassen, das sofort nach seiner Heimat abreiste.

Das Justiz- und Polizei-Departement des Kantons Thurgau erließ im dortigen Amtsblatte folgende Bekanntmachung: »Nach Mitteilungen aus amtlicher Quelle sucht ein gewisser Schöpfer, der sich Stellenvermittler nennt, in Wahrheit aber ein Mädchenhändler ist, durch Anzeigen in französischen und schweizerischen Blättern, unter dem Namen G. Gresty Agoston in Budapest (da er infolge erlittener Strafe seinen wahren Namen nicht führen darf), minderjährige Mädchen, unter der Vorspiegelung gut bezahlter Stellen als Erzieherinnen, Kammermädchen u. s. w. in vornehmen Familien anzulocken, während es in Wirklichkeit sein Zweck ist, sie buchstäblich entweder in Kasernen der Prostitution oder in orientalische Harems zu verkaufen.«

XI.

Ein Mädchenhandel in Oberschlesien wurde im Frühjahr 1896 von sogenannten sächsischen Werbern betrieben, indem die Agenten junge Mädchen an sich lockten, um ihnen »Lebensstellung in den ersten Häusern Sachsens und Berlins« zu verschaffen. Trotz allen Warnungen hat damals eine große Anzahl Mädchen des Industriebezirks ihr Heim verlassen und sich diesen Schwindlern angeschlossen. Fast täglich treffen jetzt, wie das »Oberschl. Tgbl.« meldet, die mit Geld und bepackten Körben Ausgewanderten mit leeren Taschen und in schlichter Kleidung auf den Bahnhöfen der Heimat wieder ein. In Zabrze sind allein am Sonnabend Nachmittag 24 dieser angeworbenen Mädchen angelangt. Nach ihrer Aussage sind aus Sachsen allein 110 bis 115 oberschlesische Mädchen in ihre Heimat zurückgekehrt, weil ihnen die Stellung nicht gegeben wurde, für welche sie angeworben worden sind. Die Hinfahrt erfolgte bis Berlin. Dort angekommen, wurden sie von verschiedenen Vermittlern empfangen und nach den »ersten Häusern« Brandenburgs, Posens und Sachsens scharenweise transportiert, wo sie dann bitter enttäuscht wurden.

Im Laufe eines Monats (1894) erhielt die Polizei von Budapest zwölf Anzeigen, des Inhalts, daß aus der Schweiz oder aus Frankreich ankommende Mädchen, die in »guten Familien« Stellung als Erzieherinnen oder Dienstmädchen anzunehmen wünschten, an ihrem Bestimmungsorte nicht angekommen und spurlos verschwunden seien.

Die Polizei von Genua benachrichtigte im Mai 1896 diejenige von Budapest vom Erscheinen des berüchtigten türkischen Sklavenhändlers Lazarus Schwarz und seiner Agenten auf der Reise nach Ungarn, in der Absicht, wie er vorgebe, Dienstmädchen und Erzieherinnen anzustellen, die aber in Wirklichkeit an türkische und ägyptische Eunuchen verkauft werden sollen. Dieser Mensch spricht eine große Menge europäischer und orientalischer Sprachen und führt die verschiedensten Namen.

In Wien wurden Ende März oder Anfang April 1896 ein Jude, Maximilian Langer und seine Tochter Rosa verhaftet. Das edle Paar betrieb den Mädchenhandel in großem Stile. Ihre Agentur, die gewandte Reisende unterhielt und Filialen in ganz Europa besaß, versorgte die sog. Toleranzhäuser und andere übelberüchtigte Orte in Rumänien, Serbien und der Türkei, ja sogar in Amerika, wo eine andere Tochter Langers ein schlechtes Haus besaß und sein Sohn mit dem »Geschäfte« affociiert war. Die Agenten des »Hauses Langer« durchzogen die Landschaften und kleinen Städte, besonders in Galizien und Rußland. Entdeckten sie hübsche, arme oder stellesuchende Mädchen, so gesellten sie sich zu ihnen, versprachen ihnen Berge von Glück und expedierten sie nach Wien in die Zentralstelle. Dort nahmen Langer und seine Tochter sie in Empfang, behielten sie einige Tage bei sich, indem sie sie mit Gastfreundschaft und Zerstreuungen überhäuften, und schlugen ihnen dann eine Stelle in dieser oder jener Stadt vor. Am Bestimmungsorte angekommen, sahen sich die Unglücklichen in einem Bordell oder bei einer Kupplerin. Langer ließ sich für die Person, je nach ihrer Schönheit, bis auf 500 Gulden bezahlen. – Als man ihn zu verhaften kam, hatte der Händler mit Menschenfleisch sieben junge Mädchen auf Lager, beinahe lauter Fremde, und seine Tochter Rosa hatte soeben von ihrem »Korrespondenten« in Warschau folgende Depesche erhalten: »Waren in Warschau erhalten. Achtung! Verlange Unterstützung. Baumwolle.« Zwei Agenten Langers, Isidor Dickfaden und Jakob Friedberg, richtiger Rosenkranz, sind ebenfalls verhaftet worden.

Nach dem »Neuen Wiener Abendblatt« sollte zu derselben Zeit ein junges und hübsches Mädchen aus Basel, Fräulein G., das ein Advokat als Erzieherin für seine Kinder angestellt hatte, ankommen. Als der Advokat sie nicht erscheinen sah, machte er Anzeige bei der Polizei. Die sofort vorgenommenen Nachforschungen brachten folgende Tatsachen zutage: Fräulein G. war am 11. Juli 1896 im Ostbahnhofe angekommen und hatte ihr Gepäck einem Dienstmann übergeben, den sie nach der Adresse des Advokaten fragte. In diesem Augenblicke näherte sich ihr ein älterer Mann und sagte: »Ich bin der Vater der Person (!), die Sie angestellt hat und komme Sie zu suchen.« Dieser Mensch half ihr das Gepäck tragen und stieg mit ihr in einen Wagen. Seit diesem Tage war Fräulein G. verschwunden und konnte nicht wieder aufgefunden werden.

Aus Holland wurde im Mai 1896 berichtet: Infolge von in verschiedenen Blättern erschienenen Anzeigen wurde ein Mädchen, Marie mit Namen, eingeladen, sich in ein vornehmes Haus zu begeben. Ein Bedienter von gutem Aussehen führte sie in einen mit größtem Aufwände ausgestatteten Saal. Ein alter Herr von ehrwürdigem und ernstem Äußern und gewählter Ausdrucksweise erwartete sie. Die Finger seiner weißen Hand waren mit Ringen beladen, und eine schwere goldene Kette glänzte auf seiner Weste; kurz, alle Umstände ließen die arme Marie glauben, daß dieser würdige Greis mindestens Baron oder Graf wäre. Der ihr versprochene Gehalt sollte 80 Taler betragen. Von da wurde sie in ein Haus geführt, das wie eine Festung verwahrt war. Alle Ausgänge auf die Straße waren fest verschlossen und alle Verbindungen mit außen unmöglich gemacht. Eine wachsame Wärterin verließ die Unglückliche nicht mit den Augen. Alle Spalten, selbst die Doppelfenster, waren mit Watte verstopft, so daß kein Schrei, der den Armen durch ihre Qualen entrissen wurde, zu den Ohren der Vorübergehenden dringen konnte. Eines Tages indessen konnte Marie, eine augenblickliche Unachtsamkeit der Wärterin benutzend, mittels eines glücklichen Zufalls durch eine offene kleine Türe auf die Straße entwischen. Eine Bande unheimlicher Menschen verfolgte das junge Mädchen, das mehr flog als lief. Schon ergriffen rohe Hände ihre flatternden Kleider, als plötzlich ein Polizeiagent in die Straße einbog, dem sie zurufen konnte: »Rettet mich, rettet mich!« Der Agent begleitete sie zum Polizeibureau, wo der Polizeikommissär mit bewegter Stimme zu ihr sagte: »Danken Sie Gott und seien Sie beglückwünscht für Ihren Mut; denn niemals wären Sie lebend aus jenem Hause gekommen, in welchem zu viel junge Mädchen einen schmählichen Tod sterben.« Also die Polizei wußte alles und mißbilligte es, und dennoch nahm sie die Räuber- und Mörderhöhle nicht aus und steckte den »ehrwürdigen Greis« nebst seinem Hausdrachen und seiner Gaunerbande nicht dahin, wohin er gehörte! Warum? Einfach weil der Bordellstaat als solcher diese Höhlen oder Höllen wissentlich duldet! Weil die verruchte »Reglementierung« der Prostitution notwendig alle Verbrechen im Gefolge hat, Menschenraub und Menschenhandel gestattet und die weibliche Ehre und Unschuld als vogelfrei betrachtet! Amsterdam besaß 1896 neunzehn sog. Toleranzhäuser, in denen sich 110 Mädchen befanden, und darunter nur – 11 Holländerinnen und – 99 Ausländerinnen, also natürlich durch Sklavenhandel Eingeführte. Ebenso stark sollte das Verhältnis in den nicht polizeilich genehmigten Bordellen sein! Ja man zählte 139 Häuser, in denen die Prostitution unter irgend einer Form Betrieben wurde, und 228 Wohnräume mit wenigstens taufend Prostituierten. Eine vom Stadtrate ernannte Kommission, die alle Verhältnisse der Prostitution prüfte, kam einstimmig zu dem Beschlusse, die Aufhebung der anerkannten Bordelle zu beantragen, wie dies schon früher in 10 niederländischen Städten geschehen war.

In Hamburg hat (Ende 1897) ein Handwerksmeister eine merkwürdige Entdeckung gemacht. Er hatte bei einem Händler mit Altertümern einen alten Schreibtisch gekauft, den jener auf Versteigerung gebracht hatte. Als er dieses Möbel genauer betrachtete, entdeckte er ein geheimes Fach, das hunderte von Briefen aus allen Teilen der Erde enthielt; es waren Empfangsbescheinigungen für junge Mädchen, die der Briefschreiber nach den verschiedensten Gegenden verkauft hatte, und worin auch der Betrag der Preise angegeben war, die der Mädchenhändler für jede Sendung erhalten hatte. Die Briefe kamen aus England, Frankreich, Holland, Österreich-Ungarn, Deutschland, Spanien, Portugal, Rumänien, der Türkei und Amerika. Der Käufer des Möbels übergab diese Aktenstücke der Polizei, die, wie zu hoffen steht, den schändlichen Kuppler, wenn er noch lebt, aufgefunden haben wird.

Ein junges Kindermädchen aus Wien, Minna Drescher, von ungewöhnlicher Schönheit, das seine Stelle verloren hatte, erhielt aus Budapest im November 1897 ein Anerbieten, das sie in ein vornehmes Haus rief. Sie reiste ab und wurde am Bahnhof von einer sehr eleganten Dame empfangen, die das Mädchen für seine neue Herrin hielt. Eine Droschke führte beide in eine stille Straße; an der Türe des Hauses stand auf einer glänzenden Platte der Name »Rosa Benko«. Das Mädchen wurde in einen prächtigen Saal geführt, erhielt aber von den dort befindlichen Personen einen unangenehmen Eindruck. Bald sollten sich ihre Ahnungen erwahren. Sie wollte sogleich wieder fortgehen; aber man verweigerte ihr dies und stellte ihr nur die Wahl, entweder zu bleiben oder eine Stelle in Konstantinopel anzunehmen. Da sie wie eine Gefangene behandelt wurde, fand sie erst Mitte Dezember Gelegenheit, im Salon mit einem jungen Magnaten zu sprechen, der das Haus besuchte, und bat ihn, für ihre Befreiung Schritte zu tun. Der junge Mann wollte sich nicht an die Behörden wenden und zog eine Entführung vor. In der Nacht des 14. Dezember hielt der Wagen des jungen Grafen vor dem Hause und ein Pfiff benachrichtigte die Gefangene, die durch das Fenster auf die Straße sprang, obschon sie nur die im Hause getragene leichte Bekleidung anhatte. Die Entführung gelang, und nach einem Aufenthalt im Schlosse des Befreiers, kehrte Minna nach Wien zurück. Aber kaum in Sicherheit, wurde sie wegen Diebstahls verhaftet. Die Kupplerin hatte sie wegen der mitgenommenen Kleidung dieses Vergehens angeklagt. Und das Unglaubliche geschah! Das Gericht verurteilte die Befreite zu einem Monat Gefängnis und anerkannte damit die Gefangenhaltung in einem Bordell als rechtmäßig! Denn das Urteil heißt doch soviel als: das Mädchen hätte um jener Fetzen willen eine Gefangene bleiben sollen! Die Richter waren doch schwerlich so naiv, zu glauben, Minna hätte ihren Kerker mit freundlichem Abschied von dem Hausdrachen verlassen können! Hier handelte es sich um Notwehr, die doch sogar beim Totschlag anerkannt wird! –

Die Großrabbiner in Berlin, Hamburg, Frankfurt a. Main, Wien und Paris haben (Anfang 1898) ein Kreisschreiben in hebräischer Sprache an alle Rabbiner und Rabbinatsverweser in Galizien, Rußland und Rumänien erlassen, worin sie diese Geistlichen einladen, den Eltern zu empfehlen, daß sie ihre Töchter nicht Personen von zweifelhaftem Rufe, die ihnen Stellen in Afrika oder Amerika versprechen, anvertrauen sollen. Ferner wird darin die unerbittliche Ausschließung aus der Gemeinde gegen alle Leute verhängt, die sich dem Mädchenhandel ergeben und den Gläubigen verboten, mit solchen Elenden zu verkehren.

XII.

Folgende Geschichte spielte im Jahre 1895 in Belgien Kurz erwähnt Clarissa Seite XXXV f.. Ein junges Mädchen aus Antwerpen, etwa 17 Jahre alt, fiel im März jenes Jahres in die Hände von Kupplern, die es nach Riga spedierten. Die Polizei von Rotterdam machte darauf aufmerksam. Seit langem wußte sie, daß ein Weib von ungarischer Herkunft, das in Rotterdam ein Bordell hielt, sich mit dem Mädchenhandel abgab. Wiederholt hatte der Kommissär versucht, die Ungarin auf ihren schändlichen Handlungen zu betreten; aber es war ihm nie gelungen. Er hatte sogar von den russischen Behörden Aufklärung verlangt, aber keine Antwort erhalten. Drei oder vier Tage vor Mitte März erhielt er nun einen anonymen Brief aus Brüssel, der ihm mitteilte, daß die Ungarin einen neuen Streich vorbereite. Er zeigte dies dem Gerichte an. Es wurde eine Hausdurchsuchung bei der Kupplerin angeordnet; aber der Vogel war bereits ausgeflogen. Indessen machte man dabei einen wichtigen Fang, nämlich den der Bordellhalterin aus Riga, die die junge Antwerpenerin »gekauft« hatte. Die Polizei verfolgte die Sache weiter und erfuhr, die Ungarin sei mit ihrem Opfer nach Berlin verreist. Die Polizei von Berlin wurde telegraphisch benachrichtigt. Aber leider war es zu spät. Das Mädchen war einem Lieferanten aus Brüssel übergeben worden, der sofort mit ihm nach Riga verreist war. Dieser aber befand sich bereits über der russischen Grenze, als die Behörde in Berlin von der Sache Kenntnis erhielt. Die weitere Untersuchung stellte fest, daß das Mädchen zuerst von Antwerpen nach Brüssel gebracht und hier von der Ungarin an die russische Kupplerin verkauft worden war. Die letztere war bereits in den Händen der Gerechtigkeit. Ihre ungarische Genossin kam am 15. März von Berlin zurück und wurde sofort ins Gefängnis gesetzt. Auch der Händler von Brüssel hatte das gleiche Schicksal.

Die Ungarin, Anna Rabbuschin mit Namen, hatte sich aus ärmlichen Verhältnissen durch Kuppelei zum Wohlstand emporgeschwungen. Sie reiste mit einer ihr befreundeten Bordellhalterin, Anna Takkatz und einer »Pensionärin« der letzteren, Marie Oversaek, die als Dolmetscherin diente. Die drei kamen nach Brüssel und setzten sich mit dem »Stellenvermittler« Florent Caramin in Verbindung, der ihnen drei junge Mädchen verkaufte und eine vierte in Aussicht stellte. Die Rabbuschin spiegelte den dreien gute Stellungen in russischen Familien vor, nahm sie mit sich nach Berlin und schickte sie nach Riga an die Adresse ihrer Geschäftsfreundin in der Ziegelstraße, der sie zugleich telegraphierte: »Drei Colli auf der Reise.« Sie machte dann in Berlin weitere Geschäfte und fuhr nach Rotterdam, während die drei Mädchen ihre Reise fortsetzten. Sie trafen aber eine Dame aus Riga, der sie ihre Adresse mitteilten, worauf sie von ihr aufgeklärt wurden, daß es sich um ein schlechtes Haus handle. Statt in der Ziegelstraße stiegen sie in einem Hotel ab, weigerten sich, der Kupplerin, die sie dort aufsuchte, zu folgen, und wandten sich an den belgischen Konsul, der sie nach der Heimat beförderte, wo sie die Sache gerichtlich zur Anzeige brachten. Indessen hatte Caramin das vierte Mädchen expediert und, da die Kupplerin von Riga ihr Mißgeschick berichtet, die nötigen Maßregeln getroffen, daß das arme Kind direkt in das Bordell in der Ziegelstraße gebracht wurde, wo der Händler 600 Fr. für sie erhielt. Da sie aber entdeckte, wohin sie gebracht worden und es ihr gelang, den belgischen Konsul zu benachrichtigen, sorgte dieser für ihre Befreiung und Heimkehr und machte der Polizei in Antwerpen Anzeige. Die vier Schuldigen wurden am 29. Juni in Brüssel vor Gericht gestellt. Die Rabbuschin, die Takkatz und Caramin wurde zu je zehn Jahren Gefängnis und 500 Fr. Buße, die Oversaek zu fünf Jahren und 300 Fr. verurteilt.

XIII.

Zwei junge Mädchen von braven Eltern, die das Unglück gehabt hatten, durch lange Arbeitslosigkeit zu verarmen, Marie Rimet, 28 Jahre alt, und ihre Schwester Jeanne, 19 Jahre alt, beide sehr gut erzogen und genügend unterrichtet, verdienten ihr Brot mühsam mit der Nadel. Wie das »Petit Journal« von Paris am 5. Oktober 1895 berichtete, kam eines Tages zu Anfang des September eine ihrer Freundinnen, Lucie Leblet, voll Freude zu ihnen und teilte ihnen die »gute Nachricht« mit: eine Dame der Nachbarschaft sei von reichen russischen Familien beauftragt, Pariserinnen nach Warschau zu schicken, deren Aufgabe es wäre, die Kinder französisch zu lehren. Die Bedingungen waren verlockend und die drei Mädchen nahmen sie an, um künftig ihren Eltern behilflich zu sein. Die russischen Familien sollten sie in Warschau erwarten, um sie sofort mit sich zu nehmen. Aber in dieser Stadt angekommen, fanden die armen Mädchen zu ihrem Empfange nur die Inhaberin eines Vermittelungsgeschäftes vor, die sie einzeln, von einander getrennt, mehrere hundert Stunden weit spedieren wollte. Sie sollten, mit bloßen Empfehlungen versehen, zweideutige Bestimmungsorte erreichen. Durch diese Enttäuschung mit Mißtrauen erfüllt, erfuhren sie auch von anderen Französinnen, die als Erzieherinnen angekommen waren und buchstäblich vor Kummer und Elend hinsiechten. Sie weigerten sich daher, weiter zu reisen, was ihnen auch der französische Konsul riet. Die Megäre wollte sie aber auch nicht heimreisen lassen, ohne die Herreise vergütet zu erhalten, und so blieben die drei Mädchen im entsetzlichsten Elend in Warschau liegen. Sie schrieben die jammervollsten Briefe und Telegramme nach Hause, um die zur Befriedigung des Weibes erforderlichen 500 Fr. zu erhalten. Aber die Eltern vermochten dies nicht. Erst als die Mädchen erklärten, sich zu töten, gelang es der Mutter, das Geld zusammen zu bringen. So konnten sie endlich nach der Heimat zurückgelangen. Es ist erstaunlich, wie gleichgiltig man sich in Paris gegenüber dem elenden Lose junger Landsmänninnen in so weiter Ferne verhielt und wie pflichtvergessen der französische Konsul in Warschau handelte, der nicht das geringste für diese Verlassenen tat.

Ist auch in diesem Berichte der Name der Prostitution nicht enthalten, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß es sich in Wahrheit um den Verkauf jener Mädchen in russische Bordelle handelte. Die Megäre, die sie in Empfang nahm, trägt unverkennbar den Typus einer Kupplerin und Mädchenhändlerin und keineswegs denjenigen einer Stellenvermittlerin für Erzieherinnen in vornehmen Häusern, und ihre ganze Handlungsweise bestätigt diese Annahme. Sie kam nur nicht zum Ziele, weil es ihrer drei waren, die zusammenhielten und eine energische Haltung bewiesen.

Daß der Mädchenhandel in Warschau eine Hauptstelle hat, geht schon aus der Tatsache hervor, daß Mitte April 1897 dort und in anderen polnischen Städten auf einen Streich 35 Mädchenhändler infolge entdeckter Briefwechsel verhaftet wurden, die ihre Opfer nach Brasilien und Argentinien spediert hatten. Diese Verhaftungen riefen in Warschau die Gründung eines internationalen Vereins gegen den Mädchenhandel in allen Ländern hervor. Dieser Verein, dem die angesehensten Personen aller Stände angehören, will in allen bedeutenderen Hafenplätzen Europas, Afrikas und Amerikas Vertrauensmänner suchen, die beauftragt werden sollen, die Schuldigen zu überwachen und zu ergreifen. Auch sollen Maßregeln ergriffen werden, um diesen schmählichen Handel in Rußland zu untergraben.

Im großen Zarenreiche werden aber nicht nur von auswärts unglückliche Mädchen zu schlechten Zwecken eingeführt, sondern auch die armen Landeskinder systematisch korrumpiert. Wie Mrs. Butler, die edle Vorkämpferin gegen die Reglementierung der Prostitution und alle Folgen dieser Einrichtung berichtet, werden an der großen jährlichen Messe in Nischnji-Nowgorod jedesmal, wenn sie eröffnet wird, ganze Truppes junger Bauernmädchen aus den Dörfern der Umgegend, teilweise aus weiter Entfernung, zur Ausübung der Prostitution herbeigeführt, die dann etwas Geld heimbringen, um ihren Familien zu helfen, ihre elende Armut während; des Winters zu ertragen. Aber wie kommen sie nach Hause? Elender als vorher, physisch und moralisch zugrunde gerichtet!

Die russische Regierung hat ihre Hand auf diesen Handel gelegt, nicht etwa um ihn zu unterdrücken, sondern um ihn nach beliebter Manier zu »regeln«. Sie stellte zwei Medizinalbeamte auf, deren einer eine Ärztin, Mad. Eltzina ist, um sicher zu sein, daß die elenden Opfer zu ihrem »Geschäfte« tauglich seien! Mad. Eltzina, wie es scheint, eine wissenschaftliche Fanatikerin, hat schon 1894 dem ärztlichen Kongresse in Rom eine Denkschrift vorgelegt, in der sie eine Methode entwickelt, durch die sie, wie sie behauptet, eine große Anzahl verborgener Krankheiten und Untauglichkeiten für den Markt des Lasters entdeckt hat. Sie gelangt zur Beseitigung dieser Hindernisse der Prostitution ihrer armen Landsmänninnen durch eine komplizierte Operation, die, wie Mrs. Butler sagt, zu entsetzlich sei, um beschrieben zu werden. Aber alle ihre angebliche Wissenschaft und Geschicklichkeit können nicht verhindern, daß die unglücklichen Mädchen in ihr elendes Heim das physische und moralische Gift mitbringen, das ihnen von jenem schauerlichen Markte eingeflößt worden ist! So beglückt Väterchen Zar sein Volk!

Zu dieser Beglückung gehört auch folgende scheußliche Tatsache: In New-York hielt im Januar 1905 Frau Breschkowskaja, eine adelige Russin, die, weil sie es gewagt hatte, russische Bauern zu unterrichten, nach Sibirien geschleppt und sogar zur Arbeit in den Bergwerken verurteilt worden war, einen Vortrag, in dem sie als Augenzeugin erzählte: Um die Insel Sachalin im äußersten Osten Sibiriens zu bevölkern, sendet die russische Regierung junge Weiber in Menge dahin. Weil aber die Reise eine lange ist, werden die Unglücklichen in gewissen Sektionen zum Vergnügen der Offiziere und Soldaten verwendet, zu diesem Zwecke für die Nacht verführerisch geschmückt, am Morgen aber, nachdem sie ungeachtet ihrer Tränen und ihres Geschreis mißbraucht worden, in Lumpen gekleidet weiter transportiert!!!

Indessen hat sich, wie auch auf anderen Gebieten, infolge der russischen Niederlagen gegen Japan, auch im Punkte der Prostitution in Rußland die Stimme der Empörung gegen die dortigen Zustände erhoben. Im April 1905 wurde in Petersburg eine Gesellschaft gegründet, die den Zweck verfolgt: 1. jede Art von Reglementierung und die gewaltsame Untersuchung der Prostituierten abzuschaffen, 2. die Bordelle zu schließen, 3. allen Personen, die das Gewerbe der Prostitution aufgeben wollen, wirksam Hilfe zu leisten.

In Warschau fand am 24. bis 26. Mai 1905 ein Sturm gegen die Bordelle statt. Eine Anzahl bewaffneter Männer überfiel die Häuser von Zuhältern und Kupplern infolge einer durch das schamlose Verhalten dieser Leute verursachten Entrüstung, nicht ohne Widerstand und Blutvergießen. Die Diener des Lasters wurden in die Flucht geschlagen und ihre Wohnräume verwüstet. Die Flüchtigen wurden, wenn erreicht, durchgeprügelt und verwundet, worunter auch Unschuldige litten. So ging es allen Bordellen der Stadt, 73 an der Zahl. Aber wie es denn bei Gewalttätigkeiten geht, so auch hier. Am letzten Tage gesellten sich Strolche und Gauner den Entrüsteten bei und übertrafen noch ihre Ausschreitungen, bis die Polizei, bisher untätig, sich entschloß einzuschreiten und die Ordnung herstellte, was aber nicht weitere Jagd auf Kuppler verhinderte. Schließlich jedoch wetteiferten die Arbeiter, sich der befreiten Dirnen anzunehmen und sie auf bessere Wege zu leiten.

XIV.

Im Juni 1894 wurde in Algier ein Kriminalprozeß gegen den ehemaligen Maire von Aumale, Namens Sapor, verhandelt, dem Unterschlagungen, Fälschungen und willkürliche Verhaftungen zur Last lagen. Sapor war ein Findelkind, das aus Barmherzigkeit in einer armen Familie der Umgegend von Algier erzogen worden war. Nachdem er das Gewerbe eines Fleischers ergriffen, wurde er zum Gemeinderat, und obschon ohne alle Kenntnisse, zum Maire gewählt und übte in der Umgegend bald einen bedeutenden Einfluß aus, besonders in Wahlangelegenheiten, wodurch er eine Persönlichkeit wurde, mit der die Verwaltungsbehörden rechnen mußten. Er benützte diese Stellung, um sein Vermögen mit Außerachtlassung aller Skrupel zu vermehren. Seine Schlächtereien wurden durch den Eingeborenen geraubtes Vieh gefüllt. Wenn die Bestohlenen unbequem wurden, ließ er sie in das Gemeindegefängnis werfen und ging selbst soweit, sie eigenhändig mit Stockschlägen zu traktieren. Die Untersuchung brachte eine lange Reihe Unterschlagungen von Gemeindegeldern, von Zuschüssen des Gouvernements oder des Staates bei Anlaß von Gemeindebauten, von Unterstützungen infolge Verheerungen durch die Heuschrecken u. s. w. zu Tage. Das war aber nicht alles. Sapor beutete auch die »eingeschriebenen Frauen« aus und bedrohte sie mit Einschließung in die Krankenanstalt, wenn sie ihm nicht Geld gaben, und oft kerkerte er sie ein und ließ sie nicht frei, bis sie ihm 50, 150 bis 300 Fr. bezahlt hatten, was aufzubringen, sie oft ihren Schmuck versetzen mußten. Unter seiner Verwaltung erfreuten sich die Kuppler großer Vorrechte. Seine Wiederwahl 1888 erfüllte diese Kreise mit so großer Freude, daß die Inhaberin eines Bordells der Stadt ihre »Pensionärinnen« zu einer Subskription einlud, um ihrem herzlieben Maire eine Schärpe zu verehren. Jede Dirne mußte 5 Fr. beitragen, und die so erworbene Schärpe mit goldenen Eicheln wurde mit großem Pomp unter dem Beifall der Wähler auf das Stadthaus gebracht. Natürlich wurden diese letzten Erhebungen von der strafrechtlichen Verfolgung nicht berührt.

*

Ein anderes exotisches Bild!

Die bekanntlich im britischen Indien (s. Sittenpolizei S. 126 ff.) behördlich begünstigte Prostitution, besonders zum Vergnügen der Soldaten, hat eine so fast unglaubliche Ausdehnung angenommen, daß der Handel mit Frauen und selbst mit ganz jungen Mädchen mit Wissen und unter den Augen der Behörden vor sich geht, die dazu wohlwollend die Augen zudrücken. Die Zahl derjenigen, die sich mehr oder weniger freiwillig zur Prostitution hergeben, war für die »Bedürfnisse« der Armee zu gering, und anderseits wuchsen die Anforderungen der Männer, die von der ihnen bewilligten Nachsicht Vorteil zu ziehen wünschten, unmäßig an. So fanden sich natürlich Leute, die die Lockspeise des Gewinns antrieb, das zum Dienste der Unzucht bestimmte Personal aufzufrischen. Die Militärbehörden haben selbst zu diesem Handel Anstoß gegeben, indem sie für ihre Garnisonen junge, schöne und oft erneuerte Frauen verlangten. Gab man dies den Soldaten zu, so läßt sich denken, daß auch die Offiziere daran teilhaben wollten. So ist das Alter der dem Moloch der Ausschweifung dargebrachten Opfer nach und nach herabgesetzt worden, und der Verkauf von Kindern zur Prostitution hat eine großartige Ausdehnung angenommen. Auch betreiben die Mädchenhändler ihr schändliches Geschäft am hellen Tage. Warum auch sollten sie es verheimlichen? Sind sie ja der vollständigsten Straflosigkeit sicher! Haben sie ja die Behörden zu Mitschuldigen!

Daß Artikel 372 des indischen Strafgesetzbuches den Verkauf oder die Preisgabe von Minderjährigen zu Prostitutionszwecken oder die Mitwissenschaft bei solchen Vornahmen mit Gefängnis bis auf 10 Jahre bedroht, ist durchaus unwirksam. Die angebliche Notwendigkeit, um jeden Preis die geschlechtlichen Gelüste zu befriedigen, hebt das Gesetz auf. »Es gibt blasierte Menschen, die nur im Mißbrauch von Kindern Vergnügen finden; ihre Instinkte sind gebieterisch; also muß man ihnen Rechnung tragen! Infolgedessen darf man die diesen Instinkten die Mittel zur Befriedigung bietenden Zwischenträger nicht bestrafen.« Diesen abscheulichen Grundsätzen versuchte eine Vereinigung von Bewohnern Kalkuttas entgegenzutreten und die Verfolgung einer in dieser Stadt bestehenden Bande von Mädchenhändlern zu verlangen. Der Direktor des Seemannsheims in Bombay, M. Madden, kam 1895 nach Kalkutta, um die Bestrebungen jener Vereinigung zu unterstützen; aber er mußte bald einsehen, daß die Mädchenhändler die Vertreter des Gesetzes weder als Feinde betrachten, noch sie fürchten. Ja sie brüsteten sich mit der Freundschaft der Polizei und mit der Kundschaft von Mitgliedern der höchsten Behörden. Da M. Madden ohne Beweise nichts tun konnte, begab er sich mit einem Freunde verkleidet in die Wohnungen bekannter Mädchenhändler, die ihnen je nach Wunsch hinduische oder europäische Mädchen unter 12 und 13 Jahren anboten und erzählten, daß sie dies Geschäft seit 6 bis 25 Jahren betrieben und Lieferanten einer großen Zahl von Sahibs (Herren, d. h. Europäer) wären. So konnten mehrere dieser Händler vor Gericht gebracht werden. Aber die Richter, wahrscheinlich Mitschuldige, drehten und wendeten das Gesetz so, daß die angeklagten Schurken freigesprochen wurden. Es konnte ihnen ja nicht bewiesen werden, daß von ihren Angeboten Gebrauch gemacht worden sei! Aber in England und Indien wächst die Empörung über diese Zustände.

XV.

Am 19. August 1898 kam in Paris die verheiratete, 25 Jahre alte Frau Haring 4 Uhr Nachmittags von ihrem Arzte und machte noch einige Einkäufe, ehe sie sich nach Hause begab. In dem Augenblick, als sie in eine Weinhandlung eintreten wollte, ergriff sie ein Kerl mit einer Galgenphysiognomie in roher Weise am Arm und schrie laut: »Hoho, ein Fang!« Frau Haring konnte sich losreißen und floh in eine Kaffeehandlung; aber die Verkäuferin stieß sie mit den scheußlichsten Schimpfworten zur Türe hinaus. Sie konnte dann in eine Wäschehandlung eintreten und etwas aufatmen. Der Kerl, der sie ergriffen hatte, stand vor der Türe, begleitet von zwei anderen seines Gelichters und einem Stadtsergeanten mit Medaille. Die Vorübergehenden blieben in Haufen stehen, und da Frau Haring ihren Verfolger fragte, was er mit ihr wolle, höhnte er: »Nur vorwärts, nicht so viel Umstände! Wir haben dich in ein Passage-Gasthaus mit einem Alten, den du aufgelesen, eintreten sehen. Ich laure übrigens schon lange auf dich. Nun, zum Kommissär!« Frau Haring nannte dann der Volksmenge ihren Namen und ihre Adresse und bat, daß man ihre Hausmeisterin hole, die für sie zeugen werde. Ein junger Mann lief zu dieser und brachte sie, die gut versichern hatte, daß Frau H. verheiratet und vorwurfsfrei sei. Alles half nichts. »Verheiratet? Diese? Ja wohl von der Hand in den Mund. Wir kennen sie schon!« Und Frau H. wurde, von der Hausmeisterin begleitet, zum Kommissariat geführt. Hier behielt man sie eine und eine halbe Stunde. Man ließ auch die Inhaberin des Gasthauses, wo sie gewesen sein sollte, kommen, und diese erklärte, sie nicht zu kennen, soviel auch der Kerl, der sie verhaftet, Villers mit Namen, Geheimagent der »Sittenpolizei«, der Wirtin Zeichen machte, daß sie bejahen sollte. Endlich wurde sie entlassen. Sie wurde vor Aufregung krank. Die Klagen, die ihr Gatte gegen Villers und dessen Spießgesellen erhob, waren ohne Erfolg. Man verweigerte ihm sogar eine Unschuldserklärung und sagte, er solle zufrieden sein, daß seine Frau entlassen und damit der begangene Irrtum anerkannt wurde. Allerdings erhielt Villers eine Ordnungsstrafe und wurde an einen andern Ort versetzt, um dort neue Heldentaten zu begehen!

Am 6. Juni 1900 wurde in Paris eine gewesene Schauspielerin, Mad. de Sebastiani am hellen Tage von zwei Polizeisergeanten in Zivil verhaftet, als sie von ihrer Näherin kam und in die Straße Caumartin einbog. Sie ergriffen die Dame aus rohe Weise, beantworteten ihre Frage nach der Ursache nicht und schleppten sie zum Polizeiposten der Oper. Die zwei Kerle behaupteten hier, sie hätten sie aus einem zweideutigen Gasthause der Straße von Provence mit einem weißbärtigen Herrn kommen sehen, den sie angelockt habe. Sie protestierte gegen diese Anklage, gab ihren Namen und ihre Adresse und die Namen von Bekannten an und verlangte mit dem Wirte konfrontiert zu werden. Alles war umsonst. Sie wurde, unter der Vorgabe, man beobachte sie seit einem Monat, zum Kommissariat geführt. Der Kommissar war im Begriff, eine Abendgesellschaft zu besuchen, hatte es sehr eilig, und nahm einfach als Tatsache an, was seine Spürhunde behaupteten. Man schleppte sie zum Posten zurück, verweigerte ihr sogar ein Glas Wasser und sperrte sie mit einer öffentlichen Dirne zusammen. Nachts 2 Uhr wurde sie im Transportwagen zum Depot gebracht und sah sich mit etwa 300 am gleichen Abend verhafteten Dirnen zusammen gesperrt, bis eine barmherzige Schwester, die ihr die Unschuld ansah, ihr eine besondere Zelle verschaffte, die aber zwei Bettlerinnen in Lumpen mit ihr teilten und die voll von Ungeziefer war. Vor Ekel blieb sie stehen; die Schwester tröstete sie. Am Morgen ins Depot geführt, erklärte man ihr, sie könne nicht entlassen werden, ohne vorher ärztlich untersucht worden zu sein. Auch dieser Schmach mußte sie sich fügen und wurde endlich, nach fast 24 Stunden unschuldig erlittener Seelenfoltern entlassen; auch sie wurde krank.

Über diesen Fall zu Rede gestellt, wollten die Vorgesetzten der handelnden Beamten nicht einmal einen Irrtum zugeben und behaupteten, letztere hätten ihre Pflicht getan. Dennoch wurden die Polizeisergeanten degradiert und der Polizeikommissar in einen äußern Stadtteil versetzt. Damit gab man die Unrechtmäßigkeit der Verhaftung von Mad. de Sebastiani zu; aber wer ersetzte ihr die Verletzung ihrer Ehre und Scham und die erduldete Schmach?

Diese Streiche der sog. Sittenpolizei, die gerade das Gegenteil ihres Namens befördert, hörten aber bis heute nicht auf. Nach dem »Temps« vom 27. Mai 1902 wurde Frau Marcouyen, Gattin eines Professors der Musik, von Agenten der Sittenpolizei zweimal verhaftet und roh behandelt. Am 13. Mai Abends war sie auf dem Wege, ihrem Gatten, der Unterricht gab, entgegenzugehen, als sie plötzlich von Agenten in Zivil ergriffen und zum Posten der Straße Thorel geschleppt wurde, wo sie die Ankunft des Kommissärs erwarten sollte, der sich aus ihrer Wohnung Nachweise über ihre Person holen ließ. Nach einer Stunde traf sie die brutalen Menschen vor der Türe; die sie mit Schimpf überhäuften und duzten, und ihr drohten, sie schon wieder zu kriegen. Wirklich wurde sie nach 8 Tagen von den gleichen Kerlen bei gleichem Anlaß ergriffen und mißhandelt, und sie mußte die Nacht in einer Zelle ohne Speise und Trank zubringen; ja man wollte nicht einmal ihrem Mann Nachricht geben. Erst am Morgen schrieb man ihm aus einem offenen Zettel: seine Frau sei »wegen Prostitution« verhaftet worden. Ihr Mann kam zum Depot, wo sie noch nicht angelangt war. Erst um zwei Uhr kam sie im Zellenwagen an und mußte sich der ärztlichen Untersuchung bequemen, indem man ihr vorlog, ihr Gatte sei damit einverstanden und ihm, sie sei es selbst! Diesmal wurde ihr nicht einmal etwas zur Last gelegt, nicht einmal etwas erlogenes, und auch eine Entschuldigung wurde nicht gegeben. Ihr Gatte erhob eine gerichtliche Klage, deren Folgen uns nicht bekannt sind.

Ganz ähnliche Fälle werden im gleichen Jahre aus Lyon und Bordeaux und aus Paris und Marseille in späteren Jahren, und zwar bezüglich unverheirateter ehrbarer Damen berichtet, ohne daß Entschuldigungen der Polizei als notwendig erachtet wurden, so daß anzunehmen ist, sie seien in den französischen Städten etwas alltägliches. Durch willkürliche Verhaftungen unschuldiger Frauen und Mädchen zeichnete sich im Jahre 1903 der Polizeipräsekt Lepine in Paris aus. Ein fortwährender Beweis, daß in Frankreich die Frauen vogelfrei sind.

Frankreich rühmt sich, an der Spitze der Zivilisation zu stehen und die älteste Kultur in Europa zu besitzen. Dennoch duldet es, daß dem Gesetze zuwider, das Verhaftungen nur auf Gerichtsbeschluß gestattet, die Jagdhunde der sog. »Sittenpolizei« fortwährend unter falschen Beschuldigungen, ja auch ohne solche, ehrbare Frauen willkürlich aufgreifen, ihnen Scham und Ehre besudeln und ihre Seelen tief verwunden und verletzen.

Daß solche empörende Dinge in Genf vorkommen, wo alles, was Paris tut, seinen Widerhall findet, versteht sich von selbst. Auch kann der Umstand, daß dergleichen Fälle in Warschau und Czernowitz geschehen, woher sie 1900 und 1901 berichtet werden, nicht so sehr in Verwunderung setzen, als daß man in Wien die Zustände von Paris nachzuahmen versucht. Zu Anfang des Jahres 1901 suchte eine bestens empfohlene junge Französin in Wien eine Wohnung. Ohne mit den Verhältnissen der Stadt näher bekannt zu sein, wollte sie eine besichtigte, aber ihr nicht gefallende Wohnung verlassen, als der Polizeiagent Neuhofer eindrang, sie ergriff, beschimpfte, mißhandelte und durch die gaffende und johlende Menge auf die Polizei schleppte. Hier von neuem mißhandelt, erfuhr sie endlich, daß man sie für eine Dirne hielt. Ungeachtet aller Proteste wurde sie in ein schmutziges Gefängnis zu Dirnen geworfen, dann gewaltsam untersucht und als der Arzt murmelte, es müsse ein Mißverständnis sein, wieder über die belebtesten Straßen nach Hause gebracht, wo sich der Kerl ihre Papiere vorweisen ließ und dann ohne Entschuldigung brummend verschwand. Die Sache erregte ungeheures Aufsehen in Wien; die französische Gesandtschaft bewirkte, daß der Polizeidirektor sich bei der ohne Grund Verfolgten entschuldigte; im Reichsrat fanden fünf Interpellationen statt, und eine große Versammlung im Saale Ronacher, von Damen und Herren besucht, drückte ihre Entrüstung über den Fall aus. Im Reichsrate versuchte der Ministerpräsident eine Entschuldigung, die sehr schwach ausfiel.

Wenn solche Schandtaten überhand nehmen sollten, welche Damen und Mädchen wären dann noch sicher, brutaler Polizeigewalt ohne alle Ursache zum Opfer zu fallen? Die Polizei ist doch gewiß nur dazu da, um gegen wirkliche Vergehen einzuschreiten, und nicht, um einzugreifen, wenn bloß nach ihrem beschränkten Untertanenverstand irgend etwas, was sie sich einbildet, der Fall sein könnte. Sie soll die Sicherheit der Personen schützen und nicht gefährden. Wer ersetzt einem grundlos beschimpften weiblichen Wesen die ausgestandene Schmach und Herzensangst?

Das Pariser System macht immer mehr Schule. Im Jahre 1902 wurden in Hamburg und Kiel Damen unschuldig unter dem Verdachte der Prostitution von Beamten der Sittenpolizei verhaftet, zum Teil auch roh behandelt, aber endlich unter Entschuldigungen und Mißbilligung von Seite der höheren Behörden entlassen. Am 8. September fand deshalb in Hamburg eine Versammlung von Personen aller Stände, Parteien und Bekenntnisse und beider Geschlechter statt, die kräftig gegen solche Vorgänge protestierte.

XVI.

In den zehn letzten Jahren häuften sich die Berichte über Einsperrung in Bordelle und Mädchenhandel in verschiedenen Ländern so sehr an, daß wir mit ausführlicher Darlegung der einzelnen Fälle die Leser ermüden könnten und schon gesagtes, wenn auch mit Bezug auf andere Orte und Personen wiederholen müßten. Es ist stets die alte Geschichte und bleibt ewig neu. Das verhindert aber die Bordellfreunde nicht, zu behaupten, daß der Eintritt in diese ihre Lieblingsanstalten freiwillig erfolge und der Austritt den Insassinnen freistehe! Dies beides kommt allerdings hie und da vor, aber nur selten, und die hinlänglich nachgewiesene Regel ist vielmehr der Eintritt durch List oder Gewalt und der Austritt im Krankenwagen oder im Sarge! Welche Flut von Unglück, gebrochener Ehre, getäuschtem Vertrauen, Elternschmerz und entsetzlichen Leiden haben diese Bestien von Mädchenhändlern gestiftet! Die meisten Fälle liefert auch in dieser Zeit wieder Frankreich.

In Tarbes (Hochpyrenäen) verhandelte eine Kupplerin, die die Fromme spielte, einen Rosenkranz und ein Skapulier trug und ein Gebet zum heil. Antonius von Padua vorzeigte, zwei junge Mädchen unter den bekannten Vorspiegelungen im Februar 899 nach Marseille, von wo sie von einer Bordellwirtin unter Vorwänden nach Palermo geführt und in einem schlechten Hause eingesperrt wurden, wo sie der Schande unterlagen. Eine von ihnen konnte nach Hause berichten, wo man bewirkte, daß die beiderseitigen Gesandten für die Mädchen einschritten. Das weitere ist nicht bekannt.

Aus St. Quentin wurde im März 1899 die 23 Jahre alte Blanche C. nach Chartres gelockt und dort in ein Bordell eingesperrt, dann, da sie sich nicht fügte, dem Händler zurückgegeben und nach Paris gebracht und von hier durch einen anderen Händler nach St. Etienne, wo er sie zur Einschreibung, angeblich als Pensionärin, in Wahrheit als Prostituierte, beredete und zugleich bestahl. Sie hatte aber dort eine Schwester, mit der sie zur Polizei ging und klagte. Der Kuppler verlor hier seine Frechheit und fügte sich (doch wohl der Freigabe des Mädchens).

Besonders traurig ist folgender Fall: Im Februar 1901 sind in den Pariser Vororten Charenton, Vincennes u. a. fünf schöne Mädchen von 14-15 Jahren, die eines Abends ausgegangen waren, um Hausgeschäfte zu besorgen, spurlos verschwunden; man hatte sie noch mit unbekannten Männern (offenbar Mädchenhändlern) zusammen gesehen. Eines derselben war von einem Wagen umgeworfen worden, ohne verletzt zu sein, worauf ein Mann herbeikam, sich für den Onkel des Mädchens ausgab, mit ihm in einen Fiaker stieg und davon fuhr. Man hörte nichts mehr von ihnen.

Zur Charakteristik eines Schurken der mehrfach geschilderten Art diene noch folgendes Beispiel: Im Mai 1901 wurde in Paris ein Kuppler aus Amsterdam, Namens Rigal, verhaftet, der sich jährlich mehrere Male dahin begab, um unter den arbeitslosen Arbeiterinnen, stellenlosen Bonnen usw. Mädchen auszusuchen, denen er vorteilhafte Stellungen versprach; in seinem Solde hatte er mehrere Agenten, die ihn mit »Ware« versahen. Waren sie minderjährig, so verschaffte man ihnen falsche Papiere mehrjähriger Personen. In Amsterdam angekommen, wurden sie in Rigals Haus eingesperrt und von bereits dort einheimischen Dirnen in die Geheimnisse der Venus vulgivaga eingeweiht. Enttäuscht und entrüstet, protestierten sie. Endlich wurde die Sache ruchbar, und das Schicksal erreichte den Schuldigen. Eines seiner Opfer, 20 Jahre alt, war im Dezember vorigen Jahres für 200 Fr. nach Rotterdam verkauft worden, nachdem es vorher für 60 bis 75 Fr. durch verschiedene Hände von Paris über Brüssel nach Amsterdam gegangen war. In Brüssel hatte ihm ein Kuppler für den Aufenthalt von einer Woche 300 Fr. abgezwackt; denn diese Raubtiere sorgen stets dafür, daß ihre Opfer in ihrer Schuld bleiben, indem sie ihnen für Essen, Trinken und Kleidung enorme Preise anrechnen und sie bis zur Bezahlung, d. h. bis zu einem Einschreiten von außen her, meist aber bis zu ihrem frühen Tode gefangen halten. Das zuletzt erwähnte Mädchen wurde schließlich glücklicher Weise durch das Einschreiten einer diese Verhältnisse kennenden Dame befreit. –

Ganz ähnliche Fälle werden in demselben Zeitraume aus Belgien berichtet, von wo aus Mädchen nach England und von hier aus, wenn man den Händlern auf der Spur ist, nach Südamerika verkauft werden, alles unter den bekannten falschen Vorgaben. Nur selten gelingt durch besondere Umstände eine Befreiung. Die meisten Verhandelten bleiben die Opfer des Molochs der Prostitution und werden nie mehr gesehen.

Mit den Vorfällen in Belgien steht gewöhnlich Holland in Verbindung. Von hier wird Ende April 1901 berichtet: Die Polizei in Haag verhaftete soeben die Mitglieder einer weiblichen Bande, an deren Spitze eine Amerikanerin stand, die durch Inserate junge Mädchen anwarb. Die Unglücklichen wurden in einem einsamen Hause im Haag eingesperrt, um hier den Dampfer, der sie über See, oder den Bahnzug, der sie über Land in die Fremde führen sollte, zu erwarten. Die Verhaftung gelang im Augenblick, als die erste Sendung abgehen sollte. Die Schuldigen wurden im Haag ins Gefängnis gesteckt. Hierher gehört auch der erwähnte Fall Rigal.

Auch in Deutschland sind in letzter Zeit mehrere Fälle frechen Mädchenhandels bekannt geworden, die auch mit der Schweiz in Verbindung stehen. Ende Februar 1901 machte die Polizei des Kantons Bern bekannt, daß ein Mensch in beiden Ländern herumreise und durch verführerische Anerbietungen junge Mädchen in unglückliche Lagen bringe. Sein Name war nicht bekannt, wohl aber seine Personalbeschreibung. Als Bestimmungsort, hieß es, bezeichne er seinen Opfern Potsdam, Hamburg und die Vereinigten Staaten.

Die »Frauenblätter« in Berlin vom 1. Mai 1901 erfahren aus guter Quelle, daß eine von der Polizei beobachtete Händlerin in München vier junge Berlinerinnen nach Verviers (Belgien) als Kellnerinnen spediert habe. Dort aber wurden sie von den Leuten, an die sie gewiesen waren, unter dem Vorwand, ihre Pässe visieren zu lassen, der »Sittenpolizei« unterworfen. Dagegen protestierten sie, und da sie keinen Schutz fanden, ja nur verhöhnt wurden, reisten sie nach München zurück und klagten beim Gerichte über die Vermittlerin, die hoffentlich ihren Lohn fand.

Am 4. Juli 1901 wurde vor die Strafkammer des Landgerichts Beuthen in Schlesien der berüchtigte Mädchenhändler Israel Meyerowitz gebracht. Nach der »Deutschen Warte« hatte schon längst das preußische Ministerium des Innern vor diesem Menschen gewarnt, der seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Buenos Aires haben soll, aber auch in Rio Janeiro und Russisch-Polen wohl bekannt ist. Er war schon früher in Breslau verhaftet worden, als er eben zwei junge polnische Mädchen nach Amerika führen wollte, und wurde vom Amtsgerichte Kreuzburg zu 2½ Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Verbringung dieser Strafe war er aus dem Reiche verwiesen worden und hatte sich nach Paris, dann nach Buenos Aires begeben. Er war aber zurückgekehrt und hatte die deutsch-russische Grenze unsicher gemacht und eine große Anzahl junger Mädchen nach Amerika befördert. Endlich wurde er im Jahre 1900 wieder verhaftet. Er leugnete sowohl diese Taten, als seine Identität mit Israel M. und nannte sich John. Er wurde aber durch Zeugen überwiesen und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Bei diesen Gelegenheit erfuhr man, daß der Mädchenhandel in Rußland straflos ist und verhaftete Mädchenhändler stets freigelassen werden, und daß von dort aus in einem einzigen Jahre acht- bis zehntausend junge Mädchen nach Südamerika befördert und dort die Person zu 750 bis 12500 Fr. verkauft worden sind.

Ein gewisser Bumann hatte im Rheinland eine Anzahl Mädchen, unter der Vorgabe, als Witwer einer Haushälterin zu bedürfen, mit den lockendsten Versprechungen angeworben, auf ein Schiff gebracht und nach Südamerika geführt, wo er selbst seinen Wohnsitz hatte. Im Juli 1901 war man seiner noch nicht habhaft, aber das Gericht in Saarbrücken sammelte Zeugnisse gegen ihn.

In der Schweiz taucht auch immer wieder der Mädchenhandel auf. Im Jahre 1901 wurde ein junges Mädchen aus Luzern durch eine Anzeige angelockt, mittels welcher ein alter Arzt im Großherzogtum Baden eine Haushälterin suchte, der großer Lohn versprochen war. Auf ihre Anmeldung erhielt sie einen Zeitungsausschnitt mit Abbildung eines Mieders und am Rande die Bitte, ihre Körpermaße anzugeben. Dies erweckte ihren und ihrer Eltern Verdacht; sie zogen Erkundigungen ein und erfuhren, daß der angebliche Arzt ein mehrbestrafter Mädchenhändler sei.

In Genf wurde im Jahre 1899 erhoben, daß in den dortigen Bordellen seit drei Jahren acht Mordattentate auf Inhaberinnen, Gendarmen und Gäste, darunter drei mit tötlichem Ausgange, stattgefunden hatten.

Auch über Italien geht ein lebhafter Mädchenschacher aus den ehemals polnischen Landesteilen nach Amerika. Von Berlin aus wurden 1899 die italienischen Behörden benachrichtigt, daß ein gewisser Moschek, der in Deutschland verhaftet worden, Mädchen über Genua auf englischen Schiffen nach Buenos-Aires ausführe. Moschek war das Haupt einer Bande, die gewerbsmäßig Mädchen unter den bekannten Lockmitteln an sich zog und in Buenos-Aires um hohe Preise verkaufte. Nach seinen Büchern hatte Moschek durch diesen Handel etwa elftausend Rubel eingenommen. Da aus Rußland niemand ohne Paß herauskommt, hatte die Bande den Mädchen falsche Papiere verschafft und damit die russischen Grenzposten getäuscht.

In Wien wurde 1902 ein gewisser S. Apter wegen Entführung junger Mädchen zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Dieser Mensch, der bereits 8 Monate wegen Diebstahls gesessen hatte, wurde verhaftet, als er eine junge Köchin, Namens Marie Hollesch überredet hatte, nach Amerika zu reisen, wo sie 60 Dollars Lohn, freie Kost und Wohnung haben, viele Geschenke und Reiseentschädigung erhalten würde. Das Mädchen fand sich mit einem andern, das dem gleichen Ziele zustrebte, auf dem Bahnhof ein, und Apter schärfte den Beiden ein, bis nach Triest mit Niemanden zu sprechen, nirgends auszusteigen und ihren Führer nicht zu beachten. Zufällig schöpfte ein in demselben Wagen reisender geheimer Polizeiagent Verdacht und benachrichtigte die Polizei in Graz, welche von den Reisenden Ausweise verlangte. Da kam es heraus, daß Apter bereits wegen Mädchenhandels vor Gericht gestanden hatte, was er auch zugab. Doch behauptete er, seine Gefährtinnen wüßten sehr gut, was ihre Bestimmung sei, wogegen die Mädchen heftig protestierten und die Wahrheit beteuerten.

Nach Lemberg kam 1902 ein gewisser Henry H. unter dem Vorwande eines Besuchs bei Verwandten und gab sich als Agent einer Goldminengesellschaft aus. Der elegante junge Mann lernte die Tochter eines jüdischen Beamten kennen und bat um ihre Hand. Nach der Trauung begaben sich die Neuvermählten auf die Hochzeitreise. Aber statt nach Wien, wie verabredet war, führte Henry H. seine junge Frau nach Buenos-Aires, von wo er seinen Schwiegereltern schrieb, um die Veränderung des Reisezieles zu rechtfertigen. Aber sofort nach der Ankunft hatte er seine Frau in ein Bordell verkauft! Die Unglückliche hatte soviel Kraft, allen Drohungen und der Gewalt zu widerstehen. Zufällig erfuhr der russische Konsul von der Sache, und durch seine Dazwischenkunft wurde das Opfer seinen Peinigern entrissen und gelangte nach Hamburg. Umsonst hatte Henry H. die Stirne, seine Frau zurückzuverlangen.

Im Januar 1902 verhaftete die Polizei in Warschau zwei Juden, die sich anschickten, 25 junge Mädchen von 14 bis 19 Jahren nach Amerika zu senden, denen sie glänzende Stellungen vorgespiegelt hatten.

Am Ende des Jahres 1901 wurde in Bregenz auf Verlangen schweiz. Behörden bei Ankunft des Zuges von St. Margrethen ein eleganter Herr verhaftet, der 6 junge Mädchen von 18 bis 24 Jahren begleitete. Es war einer der internationalen Agenten des Mädchenhandels.

Am 16. Januar 1902 wurde in Havre von Sicherheitsagenten an Bord des Schiffes l'Aquitaine eine Frau, Adele C., verhaftet, die ein junges Mädchen von 16 Jahren, Esther Z., verleitet hatte, sie nach London zu begleiten, wo sie ihr ein glänzendes Engagement als Tänzerin in Aussicht stellte. Die Reise ging aber nach Amerika, wo das Mädchen in Chicago einem Bordell verfallen sollte. Bei der Ankunft in New-York faßte die auf jenes Weib aufmerksam gewordene amerikanische Polizei die beiden Personen ins Auge und ließ sie mit demselben Schiffe nach Frankreich zurückbringen. Die Kupplerin wurde dem Staatsanwalt, ihr Opfer aber der Assistance publique übergeben, bis es von seinen Eltern verlangt wurde. –

Die Anhänger der Bordelle lieben es zu behaupten, die in diesen Höhlen befindlichen Mädchen hätten die Freiheit auszutreten wenn sie wollten, während sie in Wahrheit von dem Kupplergesindel durch sogenannte Schulden für immer festgehalten werden. In Gray (Frankreich) floh im Juni 1902 ein Mädchen aus der »Anstalt« der Frau Tellier in der Richtung nach dem Bahnhofe. Der Diener dieser »Anstalt« verfolgte und erreichte die Unselige und verlangte ihre Rückkehr in das Haus. Als sie sich dessen weigerte, mißhandelte sie der Kerl wütend, schleppte sie an den Haaren fort und stürzte sie in die Seine, aus der sie ein Arbeiter, der ihr nachsprang, rettete. Die Volksmenge richtete den Diener mit Schlägen und Tritten übel zu und verfolgte ihn bis zum Hause. Das Mädchen wurde von der Polizei in Empfang genommen. Und weiter???

XVII.

Wie die »Patrie« (Paris) vom 14. Okt. 1900 berichtet, hat der New-York-Herald entdeckt, daß in dieser Stadt zwei fest organisierte Gesellschaften bestehen, die beinahe ausschließlich von Franzosen unzweifelhafter Immoralität gebildet sind. Ihr Zweck ist die Erleichterung des Handels mit jungen Europäerinnen nach der Neuen Welt. Wenn die unschuldigen Opfer in New-York ankommen, werden sie bei der Landung von Agenten jener Gesellschaften empfangen, die sie in die schlechten Häuser führen. Beide Banden haben ihre Quartiere und ihre Häupter; Präsident, Vizepräsident u. s. w. Werden Mitglieder ergriffen, so helfen ihnen die Mitbrüder durch die in Amerika üblichen Mittel heraus.

In Buenos-Aires dauern die schon (S. 11 ff.) erwähnten Zustände fort. Am 6. Sept. 1900 wurden dort zwei Individuen verhaftet, die mit acht jungen Mädchen aus Europa angekommen waren, und zwar schon bei ihrer Ausschiffung. Die Behörden waren seit mehreren Tagen vor ihrer Ankunft mit dem britischen Dampfer »Orissa« unterrichtet. Es hatte ihnen nichts geholfen, daß sie vorsichtiger Weise sich scheinbar, jeder mit der Hälfte der Herde, auf verschiedene Flußdampfer begeben hatten. Sie wurden eingekerkert und die Mädchen ihren Konsuln übergeben.

Aus Spanien wird berichtet, daß (im Jahre 1901) die Tochter einer armen Witwe aus Madrid plötzlich verschwunden war. Die Nachforschungen der Mutter blieben drei Tage lang ohne Erfolg. Dann wurde ihr mitgeteilt, das Mädchen befinde sich in einem »öffentlichen Hause« jener Stadt, wohin sie durch zwei Männer, Geronimo Huelvez und Pablo Gonzalez gebracht worden sei, nachdem sie sie vergewaltigt hatten! Sie verkauften sie der Inhaberin um 25 Duros (etwa 100 Mark). Das Mädchen wehrte sich, schrie, klagte und wollte wieder fort. Da die Kupplerin Schwierigkeiten fürchtete, benachrichtigte sie die Familie. Die Behörden schritten ein und entdeckten die beiden Kerle. Es ergab sich, daß 18 bis 20 Mädchen die Opfer dieser Elenden geworden waren. Die Schuldigen wanderten ins Gefängnis.

Wie der »Gil Blas« vom 7. März 1901 berichtet, gibt es in Konstantinopel zwei Bureaus für Mädchenhandel, die sich nicht auf Europäerinnen beschränken, sondern auch Tscherkessinnen verschachern. Sie arbeiten im tiefsten Geheimnis. Der Kauflustige muß von einer dem Händler bekannten Person begleitet sein, – ohne dies wurde man nicht empfangen. Auch gestattet man den Zutritt zum Bureau keinem Türken und keinem, der als solcher gilt.

Auf Madagaskar wurde nach der französischen Besitznahme natürlich auch die Reglementierung der Prostitution eingeführt. Es geschah im Geheimen; aber später ging sie wacker ihren Gang. In der Hauptstadt Tananarivo gab es auf etwa 45 000 Einwohner über tausend Dirnen mit Karten (d. h. eingeschriebene). Alle die schönen Beigaben der »Sittenpolizei« gehörten bereits zum täglichen Brot. Die Dirnen wurden wöchentlich zweimal untersucht, aber nur die Minderheit kam freiwillig, – die Mehrheit wurde von der Polizei aufgebracht. Trotzdem waren drei Viertel der Bevölkerung syphilitisch angesteckt! Die madagassischen Frauen sind ohnehin der männlichen Willkür preisgegeben (wie Vieh, sagt ein Berichterstatter des »Bulletin« vom 22. Jan. 1902), umsomehr in dieser Beziehung.

Glücklicher Weise können wir berichten, daß die Verhältnisse der großen Insel unter ihrem neuen Statthalter, Dr. Augagneur sich gebessert haben, indem dieser Wackere die Reglementierung abgeschafft hat, ohne daß diese Maßregel ungünstige Folgen für die Sittlichkeit gehabt hätte.

Auch im europäischen Teile von Shanghai in China hat sich die Reglementierung eingenistet. Der aus Mitgliedern aller dort vertretenen europäischen Nationen und der amerikanischen Kolonie gebildete Gemeinderat erhebt 2 Fr. 50 C. für jede Lampe in den Opiumhöhlen und für jede Dirne in den Lasterherbergen, die ausdrücklich der behördlichen Genehmigung unterliegen. Im ganzen übrigen »Reich der Mitte« sind die Schandhäuser nicht ermächtigt, und wer sie besucht, läuft Gefahr, wegen unbefugten Eindringens in eine fremde Wohnung bestraft zu werden. Wie aber werden diese reglementierten Lasterhöhlen bevölkert? Natürlich wie überall, durch Mädchenhandel. Die Lieferanten dieses Geschäftes sieht man allerorten im östlichen China am Werke, hübsche junge Mädchen von wenigstens fünf (!) Jahren aufzustöbern. Viele werden gestohlen, besonders an Festtagen, wenn eine Volksmenge die Straßen der Städte bedeckt. Da dies aber gefährlich ist, wird eine größere Anzahl gekauft. Die Lieferanten des Ungeheuers der Prostitution durchziehen die durch Unglück betroffenen Gegenden und kaufen um geringen Preis alle hübschen kleinen Mädchen, die dem Hunger oder der Pest entronnen sind. Die Mädchenhändlerin schlägt dem durch Viehverlust gebeugten Bauer vor, seinen Stall wieder zu bevölkern, wenn er ihr »diese kleine Mitesserin« abtrete. Nach einigem Bedenken wird angenommen, und die Kupplerin fährt fort: »Es ist zum Heile des Kindes, es wird in Shanghai Seidenkleider tragen, und seine Schönheit wird einen Mandarin anziehen, der sie heiraten wird.« Und sie führt das Kind fort auf Nimmerwiedersehen. Ist es eine Waise, die den Pflegeeltern eine Last ist, so erleichtert dies das »Geschäft«. Ein anderer Vater ist durch das Opium so heruntergekommen, daß er die Tränen der Mutter nicht achtet und das Kind verkauft. In Shanghai wird das Mädchen zu seinem scheußlichen Gewerbe abgerichtet und durch die mit Volk dicht gefüllten Straßen getragen, bis es den vorübergehenden Liebhaber findet. Unter allen Umständen wird es eine Sklavin.

Die hübschen Töchter des Landes der aufgehenden Sonne, Japans, werden von Indien weg bis nach Kalifornien gesucht, verkauft und verbraucht. Aber im Gegensatze hierzu werden in Japan Europäerinnen dem nämlichen Schicksal überliefert. Die »Ostdeutsche Rundschau« in Wien vom 26. Febr. 1902 teilt den Brief eines in Nagasaki bei der Polizei dienenden russisch-polnischen Juden mit, der beobachten konnte, wie groß die Zahl der russischen, österreichischen und rumänischen Mädchen ist, die zum Zwecke der Prostitution nach Japan gebracht werden, ebenso hunderte junger Mädchen aus Amerika. In Nagasaki gab es damals hunderte junger Jüdinnen aus Russisch-Polen. Alle diese Mädchen leben in der entsetzlichsten Sklaverei und werden von ihren nichtstuenden Besitzern mißhandelt, wenn sie nicht genug einbringen! Überall die gleiche Leidensgeschichte!

XVIII.

Das Echo de Paris vom 9. Mai 1900 erzählt folgende tragische Geschichte: Ein gewisser Delance, geboren in Paris 1872, zeigte, obschon von ehrbaren Eltern stammend, von Jugend auf ein verdorbenes und rohes Wesen. Als Soldat mußte er in eine Strafkompagnie versetzt werden und wurde vom Kriegsgericht in Tunis zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Ins bürgerliche Leben getreten, konnte er sich in keiner Stellung halten, arbeitete nichts, beteiligte sich aber als Aufhetzer an Streikunruhen und wurde wegen Diebstahls zu vierzehn Tagen Gefängnis verurteilt. Endlich wurde er Zuhälter. Im August 1897 lernte er an einem öffentlichen Ball das 20 Jahre alte Mädchen Georgina Coheleach kennen, das bereits gleich ihm der Unzucht und Faulheit ergeben war. Als mutterlose Waise den Mißhandlungen einer bösen Stiefmutter preisgegeben, floh sie vom Hause, diente als Magd und sank von Stufe zu Stufe, bis sie in einem Bordell zu Clermont-Ferrand landete. Dann kam sie nach Paris und knüpfte eine Verbindung mit Delance an, der sie scheußlich tyrannisierte, ihr keine freie Bewegung gestattete und sie zwang, zu seinen Gunsten sich zu prostituieren. Im Juli 1899, müde der erduldeten Mißhandlung und Ausbeutung, entfloh sie ihm und verbarg sich in einem Bordell zu Peronne. Delance aber erfuhr ihren Aufenthalt durch eine Frau, der sie unvorsichtiger Weise geschrieben hatte, ging aus Mangel an Mitteln zu Fuß nach Peronne, fand die Entflohene auf und zwang sie zu dem Versprechen, sich wieder mit ihm zu vereinigen, sobald sie sich aus ihrem Aufenthalte frei gemacht haben würde. Es kam aber anders. Georginas Vater war inzwischen gestorben, nachdem er einem Sohn seiner zweiten Frau aus früherer Ehe (oder Verbindung), Lucien Goût, aufgetragen hatte, seine Stiefschwester und Jugendgespielin Georgina aufzusuchen und ihrem Lasterleben zu entreißen. Lucien Goût reiste nach Peronne, wo er ankam, als Delance eben wieder fort war; aber obschon er verheiratet war, wurde er sofort nach seinem Eintreffen Georginas Geliebter! Sie folgte ihm nach Paris, wo er sie in einem Logis der Straße Abukir unterbrachte und sie etwa zwei Wochen zusammenlebten und einander gegenseitig – die Ehe versprachen. Aber das Wiedererscheinen Delances unterbrach ihre vorausgenommenen »Flitterwochen« in unliebsamer Weise. Von dem wilden Kerl eingeschüchtert, verließ Georgina den neuen Geliebten und zog wieder zu dem älteren; sie hatte aber nicht endgültig mit Goût gebrochen und fuhr vielmehr fort, mit ihm Beziehungen zu unterhalten und ihm Briefe zu schreiben, die eine aufrichtige und heftige Leidenschaft verrieten. Sie wartete darauf, daß Goût seine Ehe scheiden ließe und frei würde, um sie zu ehelichen, ernährte aber stets fort Delance durch ihre Preisgebung. Goût kam zu ihr, um sie wieder zu gewinnen, und seine Bitten bestimmten sie, ihrer Hölle zu entfliehen. Da aber Goûts Scheidung noch nicht ausgesprochen war, und sie nicht wußte, wie sie den Mißhandlungen Delances entgehen könnte, entschloß sie sich abermals Zuflucht in einem Bordell, diesmal in Reims, zu suchen. Wütend darüber und eifersüchtig auf Goût, wandte sich Delance, um Georginas Aufenthalt zu erfahren, geradezu an seinen Nebenbuhler, der dann so dumm war, sein Geheimnis zu verraten, und nach einigen Tagen war Delance, der seinen Eltern einen Schein von 100 Fr. gestohlen hatte, auf dem Wege nach Reims. Georgina empfing ihn wie andere Kunden des Hauses und versprach ihm, mit ihm nach Paris zurückzukehren und ihn nie wieder zu verlassen. Nachdem er in Paris seinen Raub vollständig aufgebraucht, ging er wieder nach Reims, um Georgina zur Erfüllung ihres Versprechens zu drängen. Diese war aber reuig geworden und bat die Bordellwirtin, den Gefürchteten nicht zu ihr herein zu lassen. Zuerst wirklich nicht eingelassen, bewog er die Wirtin, durch die Aussicht auf eine gute Belohnung ihm die Türe zu öffnen, worauf sie ihn mit Georgina in einen Salon einschloß. Es entspann sich ein furchtbarer Auftritt, die Stimmen der Beiden durchdrangen alle Wände, eine Magd stürzte nach dem Zimmer und kam eben recht, um in ihren Armen die von einem Messerstich ins Herz getroffene Georgina aufzufangen. Der Tod trat sofort ein. Delance versuchte, auch sich selbst zu durchbohren, streifte sich aber nur leicht die Brust. Er wurde verhaftet und vor die Geschworenen gestellt, die mildernde Umstände (die Unwürdigkeit des Opfers) annahmen und ihn zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit verurteilten. Ein Gegenstück zu dieser Geschichte bildet der »Roman einer Verlorenen« von Louis Davyl, der im gleichen Verlage wie dieses Buch erschienen ist. (Preis Mk. 2,– brosch., Mk, 3,– gebunden).

*

Mit dieser entsetzlichen Katastrophe schließen wir unsere Mitteilungen. Welchem Leser steht das Herz nicht still bei der Kenntnisnahme von dieser »Sündflut« von Schauer und Gräßlichkeit? Wer möchte nach diesen Geschichten, die nur einen kleinen Teil der Menge von ihresgleichen bilden, noch mit einer Anzahl Menschen, die diese Tatsache nicht kennen oder nicht kennen wollen, glauben, daß die Anstalten der Unzucht notwendig oder gar nützlich wären, diese Anstalten, die den einzigen Anlaß zu dem scheußlichen Mädchenhandel bilden und ohne diesen nicht existieren können, diese verbrecherischen Anstalten, die Raub und Mord und furchtbare Krankheiten nähren, diese Anstalten, über deren Türen unsichtbar Dantes unsterbliche Worte stehen:

Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate!

(Laßt alle Hoffnung fahren, die ihr eingeht!)


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