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Es war bis in die letzte Zeit nicht allgemein bekannt, ist aber in unseren Tagen von der öffentlichen Presse vielfach besprochen worden, daß es in den Ländern und Städten des höchsten bisher erreichten Grades der Zivilisation, deren Bevölkerung sich über die bis vor kurzem in der neuen Welt herrschende Sklaverei der Neger entrüstete, noch heute einen Handel mit weißen Sklavinnen gibt. Freilich ist es kein öffentlich anerkannter und staatlich geduldeter wie bis vor vierzig Jahren in den Südstaaten Nordamerikas und noch länger in Brasilien und auf Cuba, sondern ein geheimer und verbrecherischer, der aber dessenungeachtet von amtlichen Organen zivilisierter Staaten geduldet oder wenigstens nicht gestört, ja teilweise sogar begünstigt wird. Es handelt sich ja um die Befriedigung der geschlechtlichen Gelüste reicher und vornehmer Herren, welche zu befördern oder wenigstens nicht zu hindern in gewissen Ländern die Behörden nicht unter ihrer Würde halten. Dies bezieht sich allerdings nur auf die Bordellstaaten, d. h. jene Länder, welche sich mit dem System gesetzlich gestatteter oder insgeheim geduldeter Unzuchthäuser beglückt haben. Wo diese Häuser, die man gewöhnlich aber fälschlich »öffentliche« nennt, unterdrückt oder verboten sind, hat auch der Mädchenhandel keine Nahrung; denn wenn es auch dort meistens eine sogenannte freie Prostitution gibt, so sind deren Teilnehmerinnen doch Niemands Eigentum und können daher auch nicht Gegenstand eines Handels sein. Die vollständige Verbannung der Bordelle und damit auch Ausschließung des Mädchenhandels ist leider nur im Deutschen Reiche (freilich mit manchen Ausnahmen und zum Teil nur dem Namen nach), in der Schweiz mit Ausnahme von Genf, in Schweden und Norwegen eingeführt. Da dies aber in allen übrigen Ländern der Erde nicht der Fall ist, so finden die Schurken, die den Mädchenhandel betreiben, leider auch überall Boden zur Ausübung ihres schändlichen Gewerbes, wenn auch streckenweise, d. h. wo der Import nicht statthaft ist, nur in der Form des Exports und Transits der unglücklichen menschlichen Ware.
Dank geheimer und stramm geordneter Organisation dieses Handels werden denn auch leider deutsche und schweizerische Mädchen und solche anderer Länder nach allen Gegenden der Erde verschachert. Wenn es daher in den Ländern, welche die Bordelle nicht dulden, unglücklicherweise Leute, und unter diesen sogar hochgebildete Ärzte gibt, die die Zulassung von Bordellen befürworten, angeblich um die ansteckenden Krankheiten zu vermindern und die ehrbaren Frauen und Jungfrauen zu schützen, so sind dies nichts anderes als Beförderer des Mädchenhandels, also Mitschuldige eines Verbrechens, das ursprünglich reine und unschuldige Töchter gewissenlos und schamlos der Schande, der Verzweiflung und dem frühen Untergange preisgibt. Die elende Sophistik dieser Herren fällt unerbittlich dahin durch die Tatsachen, daß die Bordelle noch niemals und nirgends die ansteckenden Krankheiten vermindert, oder die neben ihnen waltende »freie« Prostitution beschränkt haben, daß sie in ihrer Umgebung die ehrbaren Leute ärgern, die Jugend verderben, zu Verbrechen aller Art Anlaß geben, und schließlich ihre Insassinnen physisch, moralisch und intellektuell zu grunde richten. Ohne Mädchenhandel gibt es keine Bordelle, weil Niemand freiwillig in ein Gefängnis geht, und ohne Bordelle (gleichviel ob staatlich geduldete oder geheime) keinen Mädchenhandel, weil er ohne jene keine Abnehmer findet. Denn die Schlupfwinkel einzelner Kuppler und Kupplerinnen (besonders in London) sind nichts anderes als Bordelle im kleinen. Wer die eine dieser Schändlichkeiten, die Bordelle, verteidigt, macht sich daher auch der Mitwirkung an der anderen, dem Mädchenhandel, schuldig. Ja noch mehr, er befürwortet damit auch die Privilegierung schlechter Personen beider Geschlechter durch den Staat; denn es kann doch nicht zweifelhaft sein, daß ehrbare Männer oder anständige Frauen sich unmöglich zu Inhabern oder Leitern von Bordellen hergeben können.
Was aber die Bordellfreunde noch besonders blosstellt, ist die Tatsache, daß die Zahl ihrer Lieblingshäuser, wo immer solche bestehen, von Jahr zu Jahr abnimmt. Sie haben ihre Zeit gehabt und sind bei den Wüstlingen nicht mehr beliebt. Sie da, wo sie nicht bestehen, neu einführen zu wollen, ist daher nicht nur das, was bereits erwähnt wurde, sondern überdies ein Zeichen von Unwissenheit und zugleich eine Rücksichtlosigkeit gegen die Bewohner der Gegenden, denen sie zugedacht sind, und eine Gewissenlosigkeit gegenüber deren Kindern. Ein Herr Dr. Schidlof brachte es fertig, den Mädchenhandel zu bekämpfen und zugleich die Einführung neuer Bordelle zu empfehlen! Vergl. darüber des Verf. Buch »Aus Loge und Welt«, Berlin, Fr. Wunder, 1906, Seite 229 ff.
Die Mädchenhändler oder Seelenverkäufer bilden mit den gleichwertigen Bordellhaltern zusammen eine Art von geheimer Gesellschaft oder auch mehrere solche, die miteinander in beständiger Verbindung stehen, ihre Geschäftsgeheimnisse, ihren eigenen Jargon, ihre Handwerkskniffe haben und vor allem von jeder Regung des Herzens und Gewissens gründlich frei sind. Die Art, wie sie ihre armen Opfer in ihre Gewalt bringen, ist stets die, daß ihre Agenten denselben gute Stellen, von der Gesellschafterin und Erzieherin bis herab zur Dienstmagd, versprechen, die Betörte mit auf die Reise nehmen, sie in das Haus, wo die angebliche Stellung ihrer warten soll, das aber nichts anderes als ein Bordell ist, bringen, und von dessen Inhaber oder Inhaberin das vereinbarte Blutgeld in Empfang nehmen. Ist die Unselige einmal hinter diesen Mauern, so ist sie eine Gefangene und Sklavin; sie sieht weder Himmel noch Grün, wenn sie nicht aus besonderer Gunst in Begleitung einer Aufseherin spazieren gefahren oder geführt wird. Sie wird durch unverschämte Anrechnung von Kost, Kleidung usw. in Schulden und damit in ihrem Kerker festgehalten, ja sogar durch Hunger oder Peitschenhiebe zur Preisgabe an Jeden gezwungen. In dieser Höhle lebt und stirbt sie, – letzteres geschieht allerdings meistens im Hospital.
Das Krebsübel in den geschlechtlich-unsittlichen Zuständen unserer Zeit ist die Reglementierung der Prostitution, d. h. deren ausdrückliche Gestattung durch die Behörden, nur mit gewissen Einschränkungen und unter einer gewissen Aufsicht. In den meisten Ländern geht die Reglementierung so weit, die Errichtung und den Bestand von Bordellen zu gestatten und anzuerkennen. Dies ist eigentlich nur konsequent; die weitere Konsequenz ist aber der Mädchenhandel, der ohne Bordelle nicht bestehen kann. Man muß also das Übel an der Wurzel angreifen und die Reglementierung verächtlich machen, mit welcher Bordelle und Mädchenhandel von selbst wegfallen, jeden Versuch zu beiden aber, sowie jedes sich Hervorwagen der Prostitution an die Öffentlichkeit unnachsichtlich unterdrücken. Diesem Zwecke dienen die folgenden Beispiele von Tatsachen.