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4. Die Lancha

San Antonio glühte. Der ganze Ort schien zu dampfen unter der prallen Sonne. Aber immer noch trabten Reiter über die Plaza, stets umringt von nackten Kindern. Ihnen folgten zerlumpte Leparos (Bettler), trotz der Hitze in zerfetzte Frazades (Wolldecken) gehüllt. Es mochten Bettler von Beruf sein. Von der Mildtätigkeit der Besitzenden zu leben, ist in südlichen Ländern ja nun einmal ein Erwerbszweig wie jeder andere, und besonders das Fest hatte die berufsmäßigen Almosenempfänger auf die Beine gebracht. Träges Elend hockte vor der Kirchentür, die mit scharlachroten Tüchern umhangen war.

Die Caballeros, die aus der Umgebung gekommen waren, wurden mit Gejohle von ihren Bekannten begrüßt, wenn sie ihre Maultiere mit den silberbeschlagenen Sätteln und dem über die Ohren der Tiere gestülpten Strohhut vor der Posada zum Stehen brachten. Keiner von ihnen ließ es sich nehmen, die Plaza im Caracho, im wilden Galopp, zu nehmen, um mit seinen Reitkünsten zu prunken.

Ein barfuß laufender, vom Fluß kommender Polizist gab Kenyon Auskunft, wie er zum Dampfschiffbüro und wie er zum Pfarrer zu gehen habe. Kenyon wählte erst den Weg zum Flusse, da er wissen wollte, wann sich die nächste Reisegelegenheit nach Nauta bot. Er war darauf gefaßt, die fast vierhundert Kilometer betragende Strecke bis dahin nur auf verschiedenen Dampfern und in einzelnen Abschnitten zurücklegen zu können, und bis vor kurzem war das auch ganz in seinem Sinne gewesen, denn er hatte ja an jeder Station genaue Nachforschungen über den Verbleib seines Bruders anstellen wollen. Der Brief, der kostbare Brief Mister Dabnys, hatte aber den ganzen Plan umgeworfen. Langwieriges Nachforschen erübrigte sich. Nur ein Ziel, nur einen Weg gab es fortan: so schnell wie möglich Loreto zu erreichen. Dort, im Grenzgebiet des peruanischen Departements Loreto und des brasilianischen Staates Amazonas, wo der Strom bei Tabatinga sein Heimatland Peru verläßt, lag der Angelpunkt, von dem aus alle weiteren Ermittlungen anzusetzen waren.

Mit einer regelrechten Dampferverbindung war nicht zu rechnen. Die Amazonas-Dampfschiffahrt, soweit sie Großschiffahrt genannt werden darf, endet bei Iquitos. Bis dahin kamen die englischen Seedampfer der Boothlinie, früher auch die der Hamburg-Amerikalinie, herauf. Es kam für die Reise nach Nauta nur ein kleinerer Dampfer oder ein Segelschiff in Frage. Für beide, das zeigte ein Blick auf den durch einige große Hütten kenntlichen Anlegeplatz, den der Polizist stolz » nuestro puerto« – unser Hafen – genannt hatte, bot der Amazonenstrom nichts Beschwerliches. Für Dampfboote besaß er bis zur Braue der Kordilleren, bis zur Engschlucht und Stromschnelle von Manseriche, genügende Fahrtiefe; ja selbst in seinen Nebenflüssen, einschließlich dem Huallaga und Ucayali, die dem Maranhão nach ihrer Vereinigung mit ihm erst den Namen Rio de las Amazonas geben, war er weithin für große Schiffe fahrbar. Nicht umsonst hatten die Grenzstaaten Brasiliens, Peru, Ecuador, Kolumbien und weiter im Osten Venezuela, damit begonnen, ihre Verkehrslinien mit dem gewaltigsten Stromgebiet der Erde in dauernde Verbindung zu setzen. Im ganzen hatte die neueste Statistik die der Dampfschiffahrt zugänglichen Strecken des Amazonas und Tocantins allein auf die beträchtliche Zahl von 43 250 Kilometer errechnet.

Harald Kenyon hatte den staubigen Uferpfad erreicht. Zu seinen Füßen lag ein Heckraddampfer mit langem, dünnem Schornstein, aber leider zeigte ein genauer Blick, daß er einen invaliden, für Zeit oder Ewigkeit in den Ruhestand versetzten Kasten vor sich hatte. In den Seitenplanken waren Löcher, aus denen ganze Büschel von Entenmuscheln heraushingen, und der Kupferbeschlag über Wasser bestand nur aus Fetzen. Verrostet und verrottet lag das alte Schiff in der trüben, gelben Flut.

Daneben aber herrschte munteres Leben. Eine Piroge mit rechteckigen roten Segeln kreuzte vor einer Anzahl waschender brauner Mädchen und Frauen. Ein glattgeschälter Riesenbaumstamm diente den Knienden als Waschbank. Sie schrien und lachten, und ihr Lärmen war nicht grundlos. Oft genug nähert sich ein Kaiman den am Ufer beschäftigten Frauen, nur starker Lärm pflegt die verhaßten Untiere zu verscheuchen.

Vor einer flachgedeckten Hütte, die Kenyon der Beschreibung nach als Quartier des Hafenmeisters erkannte, lag ein großes Bongo, eines der gebräuchlichen Lastboote, wie sie von kleinen Dampfern ins Schlepptau genommen zu werden pflegen. Auch das Bongo hielten Taue an einem Urwaldstamm fest, den vielleicht der Zufall ans Ufer getrieben hatte. In diesem »Puerto« fehlte »der Schiffe mastenreicher Wald«. Nur winzige Pirogen – Curiaras – jene altindianischen Kanus, Einbäume aus sehr leichtem Holz, lagen am Ufer vertäut. Es waren schmale, an beiden Enden abgerundete Nachen, die dem Wasser einen äußerst geringen Widerstand entgegensetzen, aber natürlich außer der Person, die sie mit den Schaufelrudern bewegt und steuert, nur wenige Insassen aufzunehmen vermögen.

Der Hafenmeister war schwarz gebrannt wie ein Neger, zudem ganz in Tabaksqualm gehüllt, und wurde von dem eintretenden Kenyon in seiner in der Hängematte verbrachten Siesta aufgestört. Er entpuppte sich als Portugiese und war nicht ungehalten, als er in Kenyon einen Weißen erkannte. »Ja, mein Herr, was treibt Sie hierher? Hier ist nichts zu suchen,« war das erste, was er, auf den Boden geklettert, herausbrachte. Ein häßlicher Hund mit etwas schadhaftem Schwanz hob sich träge aus der Ecke und beschnupperte den Eindringling. Dann entgegnete der Hafenmeister auf Kenyons Frage: »Nichts mit einem Dampfer. Gestern hat der ›Manaos‹ uns verlassen; der hätte Sie bis San Pedro mitnehmen können. Nun müssen Sie schon warten, bis der zurückkommt. Eine schlechte Aussicht.«

»Nun, das kann doch nicht ewig währen.«

»Ewig nicht – nehmen Sie Platz, Herr, – aber ungewiß. Der ›Manaos‹ lädt Kaffee. Sie wissen, wie das hier zugeht.«

»Nein, das weiß ich nicht.«

»Jämmerlich – wie alles hier, wo man bei lebendigem Leibe verdorrt. Ich will Ihnen etwas sagen, Herr: Dieses Indianerkaff ist ein einzigartiges Instrument, einen Menschen geistig zu töten. Verstehen Sie? Hier wird man zum Vieh, wie es die Indianer sind, ... nicht ganz so, aber Vieh trotzdem.«

»Es mag hier öde sein ...«

»Es ist die Hölle!« Der Hafenmeister war an einen kleinen Bretterschrank an der Wand getreten und kam mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück. »Der Aguardiente (Feuerwasser) ist gut, aber immer kann man nicht trinken.«

»Sicherlich nicht,« sagte Kenyon.

»Hier trinkt mancher, um nicht über die Hoffnungslosigkeit seines Daseins Nachdenken zu müssen. Ich hocke hier seit sechs Jahren drei Monaten, Herr. Wissen Sie, was das sagen will? Ich heiße Miquelino Coelho und war beim Hafenamt in Rio (Rio de Janeiro). Man warf mich auf die Straße, aus irgend einem Grunde, der nicht hierher gehört, unschuldig auf die Straße. Damals kroch ich hier unter. Sie trinken nichts, Herr?«

»Danke. Bescheid will ich Ihnen geben. Aber hoffnungslos braucht man, meine ich, nicht zu sein, wenn man einen Zweck erfüllt. Sie versehen hier – wie ich zugeben will, am Rande der Kultur – Ihr Amt, und als intelligenter Mensch werden Sie auf dem Posten sein, auch wenn er Ihnen nicht behagt.«

»Das will ich meinen!« rief Don Miquelino geschmeichelt. »Aber es ist hier herzlich wenig zu tun, und die Bezahlung ist miserabel. Doch Sie sind nicht zu mir gekommen, um meine Jeremiaden anzuhören. Sie wünschen zu reisen, und ich bedaure, Ihnen keinen Dampfer aus dem Ärmel schütteln zu können. Der ›Manaos‹ ist, wie ich Ihnen sagte, hinunter nach San Pedro, hundert Seemeilen hinter dem Rio Huallaga, um Kaffee zu laden, oder richtiger, um Kaffee einzutreiben. Kein leichtes Geschäft, denn die Ernte ist meist schon verpfändet und muß den Besitzern förmlich abgetrieben werden.«

»Wie ist das möglich? Das sind ja unselige Zustände,« bemerkte Kenyon.

»Sind es auch. Hier hat die Borgwirtschaft Bürgerrecht. Die Geschäfte sind Tauschgeschäfte und überdies auf lange Kredite begründet. Große wie kleine Fazendeiros bezahlen die Firmen fast ausschließlich mit Früchten, unter denen der Kaffee die gangbarste ist. Schwierigkeiten macht es nur immer, den Kaffee auch zu bekommen. Die Kunden sind faul, die Gläubiger aber lassen sich, um überhaupt Waren abzusetzen, durch schlimme Erfahrungen nicht abschrecken. Immer wieder liefern sie auf Vorschuß, selbst an die wilden Rothäute. Die Schlingel bekommen ihre Stoffe auf das bloße Versprechen hin verabfolgt, dafür in einer gewissen Zeit eine bestimmte Anzahl Chinchorros zu liefern.«

»Und das tun sie auch?«

»Sie sind nicht die Unehrlichsten. Es treibt sich schlimmeres Gesindel in der Gegend herum, Weiße, Europäer, von denen die Indianer bestimmt noch nichts Gutes gelernt haben. Vor ein paar Wochen kam einer hier durch, einer der durchtriebensten Schmuggler; der Bursche scheint sich jetzt einen ganzen Stamm Rothäute für seine Schmuggeleien angelernt zu haben. Der steckt alle in den Sack. Leider ist er uns entwischt, ich hatte ihn zu spät erkannt. Wie frech der Mann ist, das können Sie daraus sehen, daß er sich hier überhaupt wieder blicken läßt, obwohl er einmal von unserem Strompolizisten Bento Araúyo einen Säbelhieb bezogen hat, daß ihm gleich zwei Finger von der Hand flogen. In so 'nem Einbaum ist er damals mit einem Marubomann stromab geflohen. Na, lassen wir das! Sie haben Eile, seh's Ihnen an. Kann Ihnen niemand verdenken.«

»Das ist richtig, Don Miquelino,« sagte Kenyon, »aber gleichwohl, was Sie mir da eben erzählen, fesselt mich. Können Sie den Mann, der sich in Gesellschaft eines Marubos zeigte, etwas näher beschreiben?«

»Beschreiben? Hm – bin, taxier' ich, kein großer Meister drin. Dafür kenn' ich ihn unter Hunderten heraus. Das genügt. Nun, und dann hat ihn ja Bento Araúyo, unser Polizist, so schön gezeichnet. Zwei Finger von ihm haben wir den Kaimans zugeworfen, die sind schwerlich nachgewachsen. Ja, und von Blatternarben ist sein Gesicht auch zerfressen. Sagten Sie etwas, Señor?«

Kenyon stieß einen Ruf des Erstaunens aus. »Ihren Strauchritter sollte ich kennen!«

»Beglückwünschen Sie sich nicht zu der Bekanntschaft! Reden Sie im Ernst?«

»Es kann kein anderer gewesen sein. Ein Strolch, der in der Gegend der Posada ›Los Pajaritos‹ unter dem Namen Duponne bekannt ist – einer, der einen Totschlag auf dem Gewissen hat und uns letzte Nacht die Maultiere ausspannen wollte, der uns genau so beschrieben wurde, wie Sie ihn eben beschreiben, ist mit einem Marubo namens Leoncito bis zwei Leguas vor San Antonio vor uns hergelaufen. Bei einer Furt hat er sich seitwärts in die Büsche geschlagen. Der Mann will nach Nauta; er will sich unterwegs einschiffen.«

Der Hafenmeister war plötzlich merkwürdig erregt. »Duponne?« fragte er. »Duponne? – Herr! Wenn das stimmt, dann hat Sie geradezu der Himmel zu mir geführt! Sind Sie gewiß, daß dem Mann zwei Finger an der linken Hand fehlten und daß er pockennarbig war? Und Sie wissen, daß er Duponne heißt? Das ist ein französischer Name, nicht wahr?«

»Daran ist nicht zu zweifeln. Ob das mit der Verschiffung nach Nauta seine Richtigkeit hat, muß sich erst herausstellen.« Kenyon berichtete, was ihm der Mozo erzählt hatte. Miquelino Coehlo hörte aufmerksam zu.

»Die Geschichte klingt verdammt wahrscheinlich. Meinen letzten Zweifel nimmt das Ausweichen über den Fluß. Der Bursche hat alle Ursache, um San Antonio einen großen Bogen zu schlagen. Er weiß, daß ich ihn neulich sehr scharf ins Auge genommen habe, und daß wir wie die Ratten auf ihn spannen. Hier gilt es, sofort zu handeln.«

»Was gedenken Sie zu tun?«

»Etwas, was auch Ihnen zustatten kommen wird: ich werde mich selbst auf den Weg machen, den lange gesuchten Galgenvogel einzufangen. Stromauf, nach Barranca zu, liegen ein paar gute Lanchas (große Flußsegelboote, aber auch kleine Dampfboote) unter Segel. Das ist doch endlich einmal ein glücklicher Vorwand für mich, um aus diesem Einerlei herauszukommen. Der Alkalde wird mir seine Zustimmung nicht versagen, und wenn alles klappt, könnte schon morgen in aller Frühe die Talfahrt beginnen. Werden Sie bis dahin marschfertig sein?«

»Gewiß! Nur noch eine Frage! Kennen Sie das Gebiet zwischen Loreto und Calderon? Wir suchen dort eine Kartause, die › Semana santa‹ genannt wird und etliche Tagereisen weit ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Orten liegen soll.«

»Ah, im unregulierten Gebiet also? In der Strecke neutralen Gebiets, das stromab von Loreto liegt? Das werden die wenigsten kennen. Zwischen Loreto und Tabatinga, dem ersten brasilianischen Dorfe, liegt, wie Sie wohl wissen, eine viele Leguas lange Strecke herrenloses Land. Es wird nicht so bald besiedelt werden, da es bei Hochwasser vom Fluß überschwemmt wird. Vom Stillen bis zum Atlantischen Ozean, im ganzen Flußgebiet des Amazonas, beginnen bei Tabatinga die unwirtlichsten und am wenigsten zugänglichen Gegenden. Das ganze Land am Solimões, wie der Maranhão, wie Sie gleichfalls wissen werden, bei den Brasilianern bis zur Einmündung des Rio Negro heißt, ist von Tabatinga an bis Nogueira eine ununterbrochene Wildnis, wo der zivilisierte Mensch noch kaum festen Fuß gefaßt hat. Wenn dort ein altes Kloster liegen soll, dann muß es schon gehörig weit im Walde stecken; denn, wie ich Ihnen sage, das Wasser hebt sich dort jährlich zur Zeit der Hochfluten um sechzehn Meter, und Sie sehen, wie breit der Fluß hier ist.«

Kenyon nickte. Er kannte aus den Schilderungen seines eigenen Bruders die Unwegsamkeit jener weiten Gebiete, in denen sich der Strom noch mit stolzem Gange durch die Waldeinsamkeit dahinwälzt, hier die Ufer samt den Urwaldriesen abreißend, dort wieder Inseln und Dämme aus ihnen aufbauend. Er wußte aber auch, daß nach Abschluß der Regenzeit das Wasser in jenem Walde der Kanäle und Lagunen, dem Igapó, schnell zurücktritt und der Boden bald abtrocknet. »Es bleibt trotzdem mein Ziel, Don Miquelino. Ich muß mir Gewißheit holen. Und jetzt lassen Sie mich Ihnen im voraus danken!«

»Ich habe Ihnen zu danken!« sagte der Portugiese. »Sie reißen mich aus diesem geisttötenden Einerlei heraus. Nur der rechte Vorwand fehlte mir. Zudem bin ich bei dieser Sache mit ganzer Seele dabei.« Sie schüttelten sich die Hände. Der Mann gefiel Kenyon; der verlorene Posten, auf den er, ob durch eigenes Verschulden oder nicht, verschlagen worden war, hatte ihn doch nicht ganz zugrunde richten und abstumpfen können. Daß er einst bessere Tage gesehen hatte, merkte man ihm an.

Kenyon sah noch, wie Miquelino Coelho eine Piroge heranwinkte. Es schien ihm Ernst, sofort eine Lancha herbeizuschaffen. Ob es ihm glücken würde, das blieb abzuwarten. Der Cura wohnte am Ende des Dorfes. Vor dem kleinen Anwesen, vor dessen Tür in Gitterkästen gezogene Orchideen blühten, arbeitete ein Peon im Garten. Von ihm erfuhr Kenyon, daß der Pfarrer vor einer Viertelstunde »in die Stadt« gegangen sei. Als er den Vorsaal betrat, wo ihm Huallatingo den Schlafsack hingebreitet hatte, kam der Herr Cura gerade aus der Prunkstube. Hinter ihm, dem ein Lächeln auf dem Gesicht stand, tauchte Mister Dabnys Gesicht auf. »Alle Ihre Freunde, ganz Südamerika können Sie hier schlafen lassen, Herr Pfarrer, – nur mich nicht! Ich räume den Salon freiwillig!« rief ihm Dick Dabny nach.

Kenyon erfuhr schnell, was sich hier abgespielt hatte. Der Cura hatte die Posada aufgesucht, um zwei Amtsbrüder willkommen zu heißen, die sich aus der Umgegend von Barranca zu dem Fest der Santa Rosa, das morgen in San Antonio gefeiert werden sollte, angesagt hatten. Der Moleques hatte ihn die Stiege hinaufgeschickt, und in der Prunkstube hatte er einen der vermeintlichen Kollegen im Schlummer liegend gefunden, der sich die Decke über Gesicht und Ohren gezogen hatte. Liebevoll grüßend hatte ihm der Cura die Hand auf die Schulter gelegt: »Willkommen in San Antonio!« Dick Dabny war mit einem Wutgeschrei aus der Decke gefahren. »Eine Stunde habe ich gebraucht, um einzuschlafen,« hatte er gerufen, »und nun wecken Sie furchtbarer Mensch mich!«

Der Cura hatte seinen Irrtum schnell erkannt. Das war keiner seiner Gäste, war nicht der Mann, der morgen die Festpredigt halten wollte. Nun blieb nur die Frage, wie dieser Fremde in das vorher bestellte Zimmer gekommen war. Auch das war schnell aufgeklärt. Dick Dabny hatte, völlig wach geworden, erkannt, wer vor ihm stand. »Nichts für ungut, Herr Cura,« hatte er gesagt. »Legen Sie getrost Ihr müdes Haupt in diese Kissen! Mir soll das nicht ein zweites Mal geschehen. Ich bin bereits am ganzen Leibe – ringsherum – jämmerlich zerstochen. Dieses üppige Bett wimmelt von Blutsaugern. Dazu unten in der Gaststube der Höllenradau, dann die Stechmücken, die infernalische Gluthitze – nein, danke! Ablösung vor! Ergreifen Sie ruhig von dem wonnigen Lager Besitz, das Ihnen Ihr hiesiger Amtsbruder bestellt hat!«

»Der hiesige Cura bin ich selbst,« hatte der Pfarrer gesagt. »Das Zimmer war für meine Freunde ausersehen.«

In diesem Augenblick war Kenyon die Stiege heraufgekommen, und nun war der Cura ebenso rasch versöhnt wie über den Irrtum belustigt. Er erklärte, unter diesen Verhältnissen müsse er Mister Dabny sogar dankbar sein, weil er das prächtige Quartier erst ausgeprobt habe; er werde seine Freunde vor den Blutsaugern warnen, und dafür, daß er die Nachmittagsruhe des Señors gestört habe, bitte er um Entschuldigung. Er erfuhr, daß Kenyon ihn hatte aufsuchen wollen, und war gern zu jeder Auskunft bereit. Eine Kartause des Namens » Semana santa« war freilich auch ihm unbekannt, er hatte nie von einer solchen gehört. Dazu war die Entfernung zu groß. »Aber in Nuestra Señora di Loreto wird Ihnen,« sagte er, »der Cura gewiß Rede und Antwort stehen können. Sie finden dort auch Laienbrüder der Mission. Die Mission ist im Jahre 1770 gegründet worden, und in alten Büchern und auf Karten, die mir leider nur in beschränktem Maß zur Verfügung stehen, werden Ihnen sicherlich alle heiligen alten Stätten gezeigt werden können, die Sie suchen. Mein Bescheid darf Sie also nicht entmutigen. Wie lange gedenken Sie hier zu bleiben?«

»Wenn eine Lancha mit Beschlag belegt werden kann, wozu mir der Hafenbeamte Coelho Hoffnung machte, wollen wir morgen mit Tagesbeginn aufbrechen.«

»Dem Himmel sei Dank!« rief Dick Dabny, und gleichsam zur Entschuldigung setzte er hinzu: »Wir haben es nämlich sehr eilig, hochwürdiger Herr. Es soll damit kein abfälliges Urteil über Ihren Sprengel gefällt werden. Er nahm sich, als wir die ersten weißen Dächer sichteten, wirklich vorzüglich aus. Man kann hier leben.«

Der Cura lächelte. »Nicht jeder! Aber meine Indianer sind ein heiteres Völkchen, obwohl sie nur wenig Erholungen haben. Man gewöhnt sich an die ewige Gleichförmigkeit. Als junger Mann habe ich mich manchmal fortgewünscht auf eine der großen Hauptstraßen des Lebens, aber jetzt würde ich mich fremd fühlen fern von dieser stillen Landschaft.«

Kenyon dachte an des Curas sauberes Häuschen mit den Orchideen in den Gitterkasten. Diesem Manne war die Einsamkeit nicht Verlassenheit.

Der Cura verabschiedete sich, nachdem er eine glückliche Reise gewünscht hatte; er hatte noch viel zu tun. Er sprach den Wunsch aus, daß die etwas gemischte Gesellschaft, die unten in der Posada lärme, die Nachtruhe nicht stören möge.

Dick Dabny hatte sich zu Kenyon auf den Flur umquartiert. »Dann haben wir ja noch alle Hände voll zu tun, wie?« sagte er. »Was soll mit meinem Esel geschehen?«

»An Käufern wird es nicht fehlen; wir haben noch eine Stunde Zeit, bis es dunkel ist. Ich werde Huallatingo rufen.«

Doch da stand der Cholo schon vor ihnen. »Ich wollte mit Euch sprechen, Herr.«

»Du kommst, dir deinen wohlverdienten Lohn abzuholen. Du kannst mit uns kommen, wir wollen Mister Dabnys Mula verkaufen. Morgen kannst du dich mit deinem Maultier auf den Rückweg machen. So hatten wir das ausgemacht, nicht wahr?«

Der Arriero nickte lebhaft. »Ich werde mit Euch kommen, und wenn Ihr Señor Dabnys Mula verkauft, so verkauft mein Maultier mit! Ich werde Euch ein genau so guter Begleiter sein wie der Gaucho Don Prieto.«

»Wie? Du wolltest wirklich mit uns mitten hinein in den Wald? Das läßt sich hören! Was aber sagt deine Sorge wegen des großen Curupira dazu?«

»Ich habe gesehen, daß er Euch nichts anhaben kann ...«

»Sage besser, daß wir uns nicht von ihm ins Bockshorn jagen lassen. Oder sage ruhig, daß du selbst nicht mehr an die indianischen Gruselgeschichten glaubst und daß selbst im Urwald keine bösen Zauberer wohnen, wenn ihn auch die Phantasie mit tausend unbekannten Geistern ausschmücken möchte. Du fühlst dich ja sonst erhaben über die wilden Söhne Amazoniens. Dein Angebot aber soll uns genau so willkommen sein wie das Prietos. Nur seekrank darfst du nicht werden. Wir werden jetzt an die vierhundert Kilometer mit dem Schiff reisen – das ist genau so weit wie von Balsapuerto bis zur Küste. Wenn dir deine Familienverhältnisse einen derart großen Ausflug erlauben, sollst du über nichts zu klagen haben.«

Es zeigte sich, daß Huallatingo keine näheren Verwandten besaß und niemand ihn daheim erwartete; er war Herr seiner Zeit. Er sagte sich wahrscheinlich, daß er nicht so bald wieder ein schönes Stück Erde sehen werde. Die Hünenfigur Prietos hatte offenbar keinen geringeren Eindruck auf ihn gemacht als die Sprachkünste Kenyons und die Vorliebe Mister Dabnys, selbst auf einer Urwaldreise nicht auf eine gute Küche zu verzichten. Vor allem aber hatte er gesehen, daß unter den drei Männern keiner war, der sich Angst einjagen ließ. Kenyon und Dick Dabny waren es zufrieden, ihre gewohnte Begleitung zu behalten.

Über dem Ort brütete noch immer die feuchte Hitze. Dick Dabny meinte, er fange an, die Indianerkinder zu beneiden, die so herumzögen, wie sie der liebe Gott erschaffen habe. Wenn das so weitergehe, werde er sich einen Anzug aus Seidenpapier kleben lassen.

Kenyon lachte, er bezweifelte, daß sich solch Kostüm als die große Sommermode am Amazonas einbürgern würde. Zu den Lackschuhen Mister Dabnys aber müsse sich eine solche Uniform gewiß sehr schön ausnehmen.

»Wenn es Ihnen Spaß macht, kann ich mir ja auch noch Sandalen aus Löschpapier zulegen,« knurrte Dick Dabny.

Am Stand der Maultiertreiber angelangt, wo an die Reisenden Miettiere verliehen zu werden pflegten, fand Huallatingo rasch ein paar Liebhaber für die Tiere. Unermüdlich pries er ihre Vorzüge an. »Sie sind jung, sie sind noch keine Stunde krank gewesen, Freunde! Nie haben sie Sporen gebraucht und sie tänzelten wie Bachstelzen über die schmälsten Stämme, die über den Quebradas lagen. Keine Carga (Last) vermag sie zu ermüden.«

Ein Indio mit viel schwarzem Blut erwarb beide Maultiere nach kurzem Handeln, wobei ihm Huallatingo mehr als einmal sagte, daß die wundervollen Tiere für diesen Preis so gut wie verschenkt seien. Hinterher lachte er sich ins Fäustchen. »Man bezahlt gut in San Antonio, Señores. Nicht die Hälfte hatte ich herauszuschlagen gehofft.«

Kenyon hatte, während die Abendmahlzeit eingenommen wurde, Dick Dabny in sein Gespräch mit dem Hafenmeister eingeweiht. Dabny erklärte: »Dieser Duponne scheint vollkommen die gleiche Reise zu unternehmen wie wir. Nachts kommt er, tagsüber läuft er vor uns über die Furten; nun hat er wieder hier herumgeirrlichtert und verhilft uns ungewollt zu einer Fahrgelegenheit. Wenn man abergläubisch wäre, könnte man vermuten, dieser Irrwisch sei dazu ausersehen, uns ins Dickicht zu locken, wo es am schwersten zu durchdringen ist.«

»Das ist ja unser Ziel von Anbeginn gewesen, noch ehe dieser geheimnisvolle Mensch unsern Weg kreuzte. Alle Beschreibungen stimmen darin überein, daß unser in dem Stromdreieck, an dessen westlichem Schenkel Loreto und an dessen östlichem Calderon und Santa Cruz liegen, der unwegsamste Urwald wartet. Daß er nicht undurchdringlich ist, das bezeugt uns Ihr Brief. Wohin unsre Brüder ihren Fuß setzen konnten, muß es auch uns gelingen, vorzudringen.«

»Keine Frage! Je schneller, desto besser! Ich bin ganz damit einverstanden, daß wir nicht erst den Dampfer erwarten, sondern die Fahrt mit der Lancha, trotz aller Unbequemlichkeiten, die sie bringen mag, dem langen Warten vorziehen. Ob es wohl Ihrem Hafenmeister, der dem Getümmel des hiesigen Welthafens mit uns entfliehen will, auch wirklich gelingen wird, eine solche Lancha aufzutreiben? Hatte er nicht selbst Zweifel geäußert, ob alles klappen werde?«

»Ich bin überzeugt, daß er nichts unversucht läßt. Eine Lancha ist natürlich für verwöhnte Reisende nichts, aber das sind wir ja auch nicht. Wir werden dahingleiten wie auf einem altgriechischen Fahrzeug, wo auch der Patron des Ruderbootes am Seil das Steuer leitete und den Takt zum Rudern angab. Aber wir werden nicht auf die Ruder allein angewiesen sein. Coelho sprach von einem Segel, und das wird uns stromabwärts rasch vorwärtsbringen. Jedenfalls kann man auf einer Lancha ebenso bequem, aber ungleich schneller reisen wie auf den Flößen, die früher das übliche und beinahe einzige Fortbewegungsmittel waren und die schon die alten Inkas in ihren Dienst gestellt haben sollen.«

»Ja, das konnten sich die Inkas leisten, die Leutchen hatten Zeit. Eine Eilpost kann solch Floß doch nicht gut vorstellen.«

»Gewiß nicht; man überläßt es der Strömung und der Wachsamkeit der Posten, die eigentlich für nichts anderes zu sorgen haben als dafür, daß das Floß nicht an treibende Baumstämme stößt oder sich in schwimmenden Inseln verfitzt.«

»Oder dafür, daß nicht ein Kaiman an Deck spaziert kommt!«

»Das werden diese Scheusale bleiben lassen. Angriffslustig ist die gefräßige Gesellschaft eigentlich nur im Wasser. Wie mir Prieto unterwegs erzählte, greift das Krokodil selbst kleine Säuger, wie Wasserschweine oder Pekaris, niemals am Lande an, sondern schleudert sie zuvor mit dem Schwanze, in dem ihre gewaltige Kraft sitzt, in die Fluten, um das Opfer schwimmend zu erlegen. Daß die Alligatoren den Menschen im Wasser anfallen, ist gewiß. Prieto bestätigte mir auch die von vielen Reisenden verbuchte Behauptung, daß die Kaimans den Weißen vor dem Schwarzen bevorzugen.«

»Dann will ich das Baden im Amazonas ruhig den Indianern überlassen. Dem braven Prieto machen wir hoffentlich durch unsern verfrühten Aufbruch keinen Strich durch die Rechnung!«

»Unbesorgt! Wir lassen ihm, falls er nicht rechtzeitig hier eintreffen kann, die nötigen Mittel zurück, daß er uns nach Nauta folgt. Wir haben seine Verläßlichkeit erprobt und dürfen damit rechnen, daß er sich nach der ersten Gelegenheit umtut, um wieder zu uns zu stoßen. So, Mister Dabny, und jetzt dürfte es geraten sein, daß Sie Ihren unterbrochenen Nachmittagsschlummer nachholen. Der gute Cura scheint da drüben ein Machtwort eingelegt und das laute Völkchen zur Ruhe verwiesen zu haben. Das elektrische Klavier ist verstummt.«

»Unberufen!« Dick Dabny klopfte mit dem Knöchel auf die Tischplatte. Dann stiegen sie die Treppe hinauf.

Die Nacht verging bis auf ein längeres Poltern auf der Stiege ruhig. Kenyon sah, wie beim Schein einer Laterne zwei Herren in das Prunkzimmer geleitet wurden, aus dem Dick Dabny geflüchtet war. Offenbar waren es die erwarteten Amtsbrüder des Pfarrers, und sichtlich hakten sie sich durch keine Warnung des Curas abschrecken lassen, das von so grausamen Plagegeistern belebte Gemach zu beziehen. Vielleicht gehörten sie zu den Glücklichen, die gegen die Angriffe der lästigen Insekten unempfindlich sind, die im Bett und auf der Estera, der am Boden festgenagelten Strohmatte, ihrer Opfer harrten. Als es in dem Zimmer still blieb, schlief Kenyon mit dem Gedanken ein, daß die Blutsauger ihren Heißhunger schon an Mister Dabny gestillt hatten, und er erwachte erst gegen Morgen, als zwei Männer heraufkamen, von denen der eine sagte: »Hier sind sie. Sorgt dafür, daß sie sich beeilen!«

Da hatte sich aber Kenyon auch schon aufgerichtet. Der erste Lichtschein quoll durchs Fenster, und nun erkannte er in dem ersten Mann den barfüßigen Polizisten von gestern. Der zweite Mann, ein Bündel auf dem Rücken, war gut anderthalb Kopf größer.

»Prieto! Sie?«

»Ich bin es,« nickte der Hüne, »und ich bin, wie es scheint, gerade zu rechter Zeit gekommen. Dieser Mann sollte Sie wecken und aus das Fahrzeug holen, das der Hafenmeister flott gemacht hat.«

Kenyon rüttelte Dick Dabny wach. »Auf, Mister Dabny! Miquelino Coelho hat Wort gehalten. Auch dürfen wir uns freuen, – Prieto ist gekommen!«

»Schießen Sie ihm in die Augen!« rief Dick Dabny schlaftrunken. Er hatte, wie sich bald herausstellen sollte, gerade von einem Alligator geträumt. Er war ganz in Schweiß gebadet.

Auch Huallatingo stand schon angekleidet bereit. Die Sonne glomm über den Uferwald. Im Nu war die Carga auf die Schulter geladen. Auch der Polizist griff mit zu. »Er schifft sich mit ein,« sagte Prieto. »Er heißt Bento Araúyo ...«

»Wo hab' ich den Namen schon gehört?« fragte sich Kenyon. Da fiel ihm ein, daß der Hafenmeister von ihm gesprochen hatte. War das nicht jener Polizist, der den fliehenden Duponne so übel zugerichtet haben sollte?

Don Miquelino kam ihnen aufgeräumt entgegen, als sie den steilen, glatten Abhang vor seiner Hütte erreichten. »Eine Lancha, die sich sehen lassen kann, meine Herren!« rief er. »Der Alkalde war Feuer und Flamme für die Expedition. Er läßt mir freie Hand und hat mir außerdem den besten Ruderer Bento Araúyo mitgegeben, der damals dem Pockennarbigen zwei Finger abgeschlagen hat. Der Schmuggler soll sich gratulieren!«

Zehn Hände griffen zu, das Gepäck Kenyons und Dabnys an Bord der Lancha zu bringen. Das Schiffchen war breit und tief und etwa fünfzehn Meter lang. Eine fast zwanzig Meter hohe Rahe, die also in ihrer Länge den Rumpf übertraf, hielt das riesige Segel. In der Mitte des Einmasters befand sich eine mit Zeltleinwand überdachte, offene Hütte; dahinter war auf erhöhtem Sitz, wie Kenyon das vorhergesagt hatte, der Platz für den Hafenmeister zum Leiten des Steuers. Acht Indianer, mittelgroße, hellrotbraune Tucale, schlank und muskulös, waren zur Bedienung der Ruder ausersehen. Ihr schwarzes, glattes Haar fiel tief in die hohe, wohlgeformte Stirn. Alle waren sie bartlos bis auf einen kleinen Flaum über den vollen, aber nicht wulstigen Lippen, dabei lebhaft in Bewegungen und Gebärden. Es waren Stammesgenossen jener Erdarbeiter, denen Kenyon an der Braue der Kordilleren beim Wegebau begegnet war, und deren wilden Brüdern Huallatingo nachgesagt hatte, daß sie ernste Arbeit verschmähten und lieber die Ufer des Rio Morona unsicher machten. Ihre Kleidung erschöpfte sich in einem schmalen, kurzen Stück Tuch, das von einer um den Leib geschlungenen Leine herabhing und die Lenden freiließ.

Miquelino Coelho, den sein struppiger Hund Junco umsprang, zählte. »Alles da.« Er gab den Indianern schon ein paar Zeichen. »Da kommt auch Bento – ganz krumm unter der Last seiner Flinten und Patronengurte. Und sehen Sie nur, welch ein Gefolge ihn an Bord bringt!«

»Wie? Noch nicht genug Rothäute an Bord?« fragte leise Dick Dabny. »Wenn die etwa samt ihren Kollis alle noch hier verstaut werden sollen, dann wird dieses Boot vollgestopft sein wie eine Sardinenbüchse. Das steht doch gerade so aus, als wollte ganz San Antonio auswandern.«

Kenyon lächelte. »Sehen Sie nur genau hin, lieber Dabny! Es handelt sich nicht um Auswanderer, sondern um eine Abschiedsszene.«

In der Tat sah man eine Indianerin neben Bento Araúyo laut schluchzen, und jetzt warf sie ihm sogar die Arme um den Hals, während die mehr oder weniger braunen Begleiter, ungefähr ein Dutzend, sich als Kinder entpuppten, die teilweise die jammernde Frau umdrängten, teilweise in fröhlichem Grinsen ihre weißen Zähne zeigten. Jedes von ihnen schleppte irgend einen Gegenstand, ein größerer Junge in jeder Hand zwei Hühner, denen er die Kehle zugedrückt hielt. Vorsichtig ließ er sie, als er an Deck geklettert war, unter einer Ducht frei.

Der Hafenmeister erklärte: »Bentos Ältester. Es ist seine Familie. Er hat eine Indianerin geheiratet.«

»Aha, daher dieser rührende Abschied.«

Endlich war Araúyos gesamtes Gepäck an Bord; die Hühner liefen gackernd zwischen Mister Dabnys Beinen umher. Bento Araúyo hatte sich aus den Armen seines Weibes gerissen, doch sie bearbeitete ihr Gesicht mit den Fäusten, um ihren Trennungsschmerz anzudeuten.

» Adios!« winkte Bento und setzte seine Flinten ab. Am Hinterteil der Lancha grinste einer, hinter einen Ballen Lebensmittelvorräte versteckt, aber er hütete sich, herauszukriechen, ehe die Lancha, von kräftigen Ruderschlägen geführt, in die Strömung gelenkt hatte. Als er hier nach einer Viertelstunde endlich entdeckt wurde, war es zu spät, ihn wieder an Land zu jagen. Es war Bento Araúyos Ältester, der die günstige Gelegenheit, einmal von zu Hause fortzukommen, bei der Stirnlocke erfaßt hatte.

Der Vater schimpfte, aber es war ihm anzusehen, daß sein Zorn nicht tief saß. »Soll ich den Schlingel über Bord werfen? Was meinen Sie, Don Miquelino?«

»Natürlich nicht. Sie wissen, daß unsere Kaimane um die Stunde des ersten Frühstücks besonders munter sind. Aber verlangen Sie nicht, daß ich wegen eines blinden Passagiers noch einmal anlegen lasse! Ich gebe Ihnen den Rat, machen Sie gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich – seien wir ehrlich! – keinem Menschen kann es schaden, wenn er einmal die Nase aus San Antonio heraussteckt.«

»Ich bin aber kein Freund von Überrumpelungen,« knurrte Bento der Ältere, denn sein hoffnungsvoller Zwölfjähriger war gleichfalls auf den Namen Bento getauft.

»Dann ergänzen sich Vater und Sohn prächtig,« antwortete der Hafenmeister; »Ihr Sprößling beweist uns ja eben, daß er zu überrumpeln liebt. Aber im Ernste grollen Sie ja dem Durchbrenner auch gar nicht.«

»Lassen Sie ihn das nicht hören! – Aber Sie sollen recht haben. Wenn Sie ihm also ein Plätzchen gönnen ...«

»Mit Vergnügen; er wird uns nicht arm essen. Übrigens kann er sich gleich einmal nützlich machen und die Hennen wieder einfangen, die Mister Dabny zu stören scheinen.«

»Nicht nötig!« wehrte Dick Dabny ab. »Ich baue ihnen eben einen Stall unter meinem Sitz. Nur etwas Stroh könnte ich noch gebrauchen, damit die Eier, die hoffentlich von Zeit zu Zeit gelegt werden, keinen Knick bekommen.«

»Ich werde so sanft fahren lassen wie möglich. Sie haben hier weder Wirbel noch Stromschnellen zu befürchten.«

»Schon etwas!«

Das Segel war nach dem Winde gesetzt, und nun lag San Antonio schon weit hinter ihnen. Ein frischer Pampero wehte von Südwesten und brachte die ersehnte Brise, die nach der heißen Nacht doppelt wohl tat. Geschickt wichen die Ruderer den kleinen Inseln aus, die flach aus der Flut herausragten. Jede dieser Inseln und Inselchen war niedrig und sumpfig und zur Zeit der großen Regen überschwemmt; umso üppiger wetteiferten sie heute mit dem Grün der Ufer, fast auf allen reckten Assahy- und Miritypalmen ihre Zweige in die Luft, und oft bildete eine mehrere Meter hohe Arazeenart, der sogenannte Aninga, an ihrem Saum, vor dem sich angetriebene, noch grünbelaubte Baumstämme stauten, ein kleines Wäldchen, einen Aningal, oder es waren ihnen schmale Gürtel einer schilfartigen Pflanze, der Cannara, vorgelagert. Ein heiseres Krächzen kam aus dem Schilf.

»Cigana,« sagte Miquelino Coelho. Er deutete auf die Büsche zur Linken, die unter den blitzenden Strahlen der Morgensonne wie in Purpur glühten. Und nun zeigte sich, bald einzeln, bald in Scharen, ein bunt gefärbter Vogel auf den breiten Blättern der Aningas. Es waren die prächtig bunten Zigeunerhühner, die der Brasilianer Cigana nennt. Nichts weniger als scheu reckten sie beim Vorüberfahren der Lancha den Hals und breiteten ihre elegante Federkrone aus.

Mister Dabny sagte: »Hühner? Mit der Hand könnte man sie greifen. Da verstehe ich nicht, warum wir zahme Hennen an Bord gebracht haben.«

»Die Ciganas würden Ihnen nicht schmecken,« wurde er belehrt. »Gleich ihrer Stimme ist auch ihr Geruch nichts weniger als angenehm, oder vielmehr so lästig, daß selbst der hungrigste Indianer ihr Fleisch verschmäht. Keiner jagt sie.«

»Also dürfen sie sich glücklich preisen, daß sie eine solche unangenehme Eigenschaft besitzen?«

Coelho nickte. »Ohne ihren schlechten Geruch wären sie vielleicht schon längst ausgerottet, denn sie lassen sich wirklich bequem greifen. Sie sitzen immer so flach, wie Sie es da sehen, oder besser gesagt, sie liegen auf den Blättern und Blattstengeln der Aningas, und wenn sie einmal schwerfällig auffliegen, lassen sie sich sofort wieder auf eine benachbarte Staude nieder.«

»Es ist gut, daß man sie nicht jagt,« meinte Kenyon, »man würde dieser Flußlandschaft eines ihrer schönsten Schmuckstücke nehmen. Allerdings blieben noch die Eisvögel. Welch wunderschöne Art davon haben Sie hier! Alle silbergrau, und purpurrot oder braunrot die Brust. Da, sehen Sie, fliegt eben ein ganzer Schwarm auf! Wie geschwind sie über dem Wasserspiegel dahinschießen!«

»Ah, da brauchen Sie nicht den Kopf zu wenden,« sagte Miquelino Coelho. »Sie meinen die Ariramba? Ich wüßte keinen Vogel, der hier häufiger wäre.«

»Richtig! Sie nennen ja wohl alle Eisvögel Ariramba.«

»Fünfzehn – sechzehn – nein fünfzehn – jetzt werde ich schon irre,« ließ sich Dick Dabny hören.

»Was haben Sie denn? Ich hörte Sie schon vorhin zählen,« fragte Kenyon.

»Tu' ich auch. Ich numeriere die Inseln, Sandbänke und so weiter. Die Landkarte enthält nicht die Hälfte.«

»Leicht möglich, lieber Dabny. Sie haben sicher die eine oder andere Pflanzeninsel mitgezählt, eine der schwimmenden Schilfinseln, die hier Mururé heißen. Die kommen und gehen, reißen sich vom Ufer los und treiben ins freie Wasser, um eines Tages talab gespült oder auseinandergerissen zu werden. Da kann natürlich kein Kartograph mitkommen. Ebensogut könnte er jeden jener prächtigen Teppiche einzeichnen, die aus Wasserhyazinthen oder Salvinien bestehen. Wie diese verfilzten Schwimmpflanzen, um die unsere Bootsleute, wie Sie beobachtet haben werden, so vorsichtig herumrudern, kann natürlich jede der Mururés schon morgen weggeschwemmt sein. Lassen Sie es sich an den Namen genügen, die Ihre Karte angibt!«

»Schöne Namen! Die soll sich einer merken! Jeder Name ist natürlich indianisch.«

»Die meisten allerdings,« antwortete Kenyon, sich über die Karte beugend, »sind dem alten Tupi-Idiom entnommen. Es sind Guaraniworte, wie diesen Riesenstrom eines bezeichnet.«

»Den Amazonas? Na, ich denke, der ist von den ersten Spaniern so genannt worden, die an einem der zahllosen Nebenflüsse mit kriegerischen Frauen, sogenannten Amazonen, die Klinge gekreuzt haben.«

»Die Deutung hört man, lieber Dabny, aber neuere Forscher lassen sie nicht gelten, sondern nehmen an, daß der Name von dem Guaraniwort › amaçunú‹ herstammt, was mit ›Wasserwolkenlärm‹ übersetzt wird und auf die Pororoca anspielt, von der Sie natürlich gehört haben.«

»Pororoca? Warten Sie 'mal! Ist das nicht so 'n wütendes Etwas, das sich vor der Mündung des Amazonas 'rumtreibt? So eine Art wandelnde Mauer?«

»Kein übler Vergleich!« Kenyon nickte. »Es ist die Flutwelle, die sich zur Zeit des Neu- und Vollmonds in die Trichtermündung hineinwälzt. In der Hudsonbai nennt man eine ähnliche Erscheinung › rat d'eau‹ – Wasserratte, in der Fundybai › bore‹, im Tsien-tang › eagers‹. Die Erscheinung besteht darin, daß das Wasser der Mündung, statt allmählich mit der Flut zu steigen, sich plötzlich in einer gewaltigen Woge erhebt, die mit rasender Schnelligkeit den Fluß hinaufläuft ...«

»Und alles in sich hineinfrißt, was ihr entgegenkommt.«

»Oft nimmt diese verheerende Pororoca allerdings die ganze Breite des Stromes ein, aber nicht immer. Da, wo sie auf Untiefen stößt, bäumt sie sich vier bis fünf Meter empor, an tiefen Stellen dagegen senkt sie sich und verschwindet fast gänzlich, um später an andern Orten wieder aufzutauchen. Solche tiefen Stellen nennen die Flußschiffer › esperas‹ – Wartestellen –, weil hier selbst kleinere Fahrzeuge vor der Wut der Pororoca sicher liegen. Hinter sich läßt die wandelnde Mauer – wie Sie sagen –, deren Getöse stets anderthalb Meilen weit hörbar ist, die Gewässer in demselben Zustand der Ebbe und vollkommenen Ruhe zurück, in dem sich diese vor ihrem plötzlichen Auftauchen befanden. Doch, wohin bin ich da abgeschweift! Das Tupi-Guarani-Wort › amaçunú‹ ist, wie gesagt, der einheimische Name der Pororoca, und so fanden die Männer, die diesen Strom zuerst wissenschaftlich befuhren und eine vollständige Stromaufnahme ausführten, überall einheimische Namen vor, die zum mindesten sehr poetisch anmuten, wenngleich man der indianischen Sprache Armut an Ausdrücken, besonders für abstrakte Begriffe, geringe Biegsamkeit und Härte der Aussprache, sowie Eintönigkeit infolge der vielen ch-Laute nachsagt.«

»Na also, das sage ich ja! Wir Amerikaner verfuhren praktischer mit unsern Inseln im Mississippi, indem wir sie einfach numerierten.«

»Genau so, wie wir die Avenues und Seitengassen unserer Großstädte numerieren. Das ist der Rausch der Zahlen, die wir so gern hören. Man fühlt förmlich den Rekord, den Wetteifer, heraus, indem jede Stadt mit der höchsten Nummer glänzen möchte. Ich bin kein Freund eines solchen Zahlensystems und Numerierens.«

»Jetzt haben Sie mich glücklich ganz aus dem Zählen gebracht. Ich glaube, wir sind während Ihres Dauervortrags mindestens an einem halben Dutzend Inseln vorübergekommen.«

»Wir bekommen noch genug zu sehen, und eine ist schöner als die andere, ob wir sie nun beim Namen kennen oder nicht. Und so oft unsere Lancha an einer vorübergleitet, kommen wir unserm Ziel näher.«

»Es kommt mir vor, als kämen wir immer weiter vom Ufer ab. Ist das Absicht?«

Miquelino Coelho hatte die Frage gehört. Er war bis dahin vollauf mit den Anweisungen an seine Leute beschäftigt gewesen, die genau in Diensttuende und Ablösungen eingeteilt werden mußten. Auch Prieto und Huallatingo hatten ihren Posten bekommen; ihnen war die Bedienung des Scheinwerfergeräts anvertraut, das Coelho für die besondere Mission des Bootes mitzunehmen nicht vergessen hatte, und der Knabe Bento war zum Schiffskoch befördert worden. Er hatte bereits alle Hände voll zu tun mit den Vorbereitungen für eine Mazamorra, eine dicke, namentlich aus Mais bestehende Suppe, die das Nationalgericht der indianischen Ruderer bildete.

»Sie fragen, warum wir uns in der Mitte des Flusses halten?«

»Allerdings,« sagte Dick Dabny. »Taxiere, daß wir eine Seemeile vom Ufer abgetrieben sind. Erstens hätten wir es dort schattig, da die Bäume wundervoll ihre Wipfel und Zweige übers Wasser neigen, und zweitens müßte doch gerade Ihnen daran liegen, das Ufer so genau wie möglich mit den Blicken abtasten zu können.«

Miquelino Coelho lächelte. »Sie würden wenig damit zufrieden sein, wenn ich Sie unter den Bäumen des Ufers spazieren führe, denn Sie würden das bißchen Schatten teuer erkaufen. Ich kenne diese Ufer, sie sind von wolkenähnlichen Moskitoschwärmen bedeckt. Auch Sandflöhe gibt es dort in Hülle und Fülle, und wem das noch nicht genügt, dem rückt ein winziger roter Acarus, eine Zecke, zu Leibe, die bei ihrer ungeheuren Menge so sehr zur unerträglichen Qual wird, daß kein Indianer an jener Uferstrecke wohnt.«

»Danke!« sagte Dick Dabny. »Die Aufzählung dieser Genüsse genügt vollkommen, Ihre Maßnahmen gutzuheißen.«

»Ich könnte Ihnen noch vom Pesthauch der Sümpfe und Cochas (Lagunen) erzählen und der Mühseligkeit, die es uns kosten würde, uns durch die Schilfränder da drüben durchzuarbeiten. An jenem Ufer haben wir auch kaum den Mann zu suchen, hinter dem wir her sind. Ich kenne einigermaßen die Richtung der Wege, die südlich von San Antonio eingeschlagen werden, um wieder zum Amazonas zu stoßen. Die vielen Uferseen verbieten andere Versuche, um in die Gegend zu kommen, wo der Pockennarbige eine Fahrgelegenheit nach Nauta fände.«

»Und wo beginnt diese Gegend?«

»Vielleicht liegt sie gegenüber der Einmündung des Rio Pastaza. Jedenfalls können Duponne und sein Begleiter heute ein Indianerdorf in jener Nähe erreichen, vor dem gewöhnlich mehrere Flöße liegen. Ich habe mit Don Prieto die verschiedensten Möglichkeiten erwogen, und wir sind zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Die Furt, die von den beiden im Cahuapanas benutzt wurde, führt auf einen alten Missionspfad nach einem Indianerdorf, in das die Indianer von weither kommen, um Salz auszutauschen, das von Pilluana zu ihnen gebracht wird. Dort dürften die beiden die letzte Nacht verbracht haben. Das nächste Unterkunftsziel dürfte das kleine Dorf sein, von dem ich sprach. Es liegt nicht am Flusse selbst, sondern, wie fast alle Ortschaften längs dieser Ufer, auf einer kleinen Erhöhung. Wir werden es von hier nicht sehen. Aber wir werden bei den Flößen Leute finden, die uns Auskunft geben können.«

»Und wenn uns Master Duponne, oder wie der Galgenstrick heißt, den Gefallen nicht tut, das ihm von Ihnen in Gedanken zugewiesene Indianerhotel zu beziehen, – was dann?«

»Dann brauchen wir uns auch keine grauen Haare wachsen zu lassen, da wir auf alle Fälle einen Vorsprung haben und in Nauta der Dinge warten werden, die da kommen sollen.«

»Schön. Hoffentlich fließt bis dahin nicht noch gar zu viel von diesem gelben Wasser den Amazonas abwärts. Langsam werde ich ungeduldig, den Mann einmal ordentlich ins Gebet zu nehmen. Mister Kenyon wird Ihnen gesagt haben, wie viel uns an der Ergreifung gerade dieses Burschen liegt.«

Miquelino Coelho nickte. »Er hat mir Andeutungen gemacht. Sie suchen eine Ruinenstätte, und der Pockennarbige soll gedroht haben, ein Nest, das › Santa semana‹ heißt, auszuräuchern.«

»Stimmt! Ich sehe, Sie wissen bereits alles, und was Sie noch nicht wissen, werden Sie zu berufener Stunde erfahren. Die Haare werden Ihnen zu Berge stehen.«

Coelho lächelte ein wenig. »Wir wollen erst einmal den Burschen fangen. Wenn Sie dann aus ihm herausbekommen, wo die › Semana santa‹ liegt, umso besser! Wenn sich unter diesem heiligen Namen etwa ein Schmugglernest verbirgt, bin ich der erste, der Ihnen beim Ausheben der Räuberhöhle behilflich sein wird. Aber soweit sind wir noch nicht.«

»Wo sind wir denn überhaupt? Ist es noch weit bis zur Einmündung des Pastaza?«

»Wir können noch heute am gegenüberliegenden Strand sein.«

»Und wo landen wir, um das Mittagessen einzunehmen? Auf einer dieser Sandbänke?«

»Da dürfte es zu heiß sein,« antwortete Kenyon. »Wir spüren das nicht während der Fahrt. Selbst an den Ufern kommt nie eine so fürchterliche Hitze vor, wie sie zum Beispiel in Neuyork und Neuorleans um diese Jahreszeit herrscht. Die Wärme am Amazonas schwankt zwischen 19 und 35 Grad Celsius im Schatten, nur auf den Strominseln und auf den Sandbänken ist die Glut manchmal kaum zu ertragen.«

»Wir müßten auch erst ein paar Kaimans aufjagen, die um diese Stunde dort mit Vorliebe Siesta halten,« setzte Coelho hinzu.

»Na, dann ist ja die Frage entschieden,« sagte Dick Dabny. »Bei der Siesta soll man niemand stören. Ich freue mich, daß wir wieder einmal eines Sinnes sind. Essen wir also, seitwärts von dem Ungeziefer, an Bord!«

Kenyon lachte ihm zu, während jener seine »Giftapotheke« näher zu sich heranzog. Er wußte, daß Dabny kein Feigling war – die kaltblütige Ruhe, die er bewahrt hatte, als er über der Schlucht hing, machte ihm nicht so leicht einer nach – aber Ungeziefer konnte er nun einmal für den Tod nicht ausstehen, und zum Ungeziefer, hatte er erklärt, rechne er am Amazonas keineswegs nur die Insekten, sondern alles, was bei Nacht oder Tag das Behagen eines Reisenden zu stören drohte – chinesische Kulis und peruanische Ameisen, Brüllaffen und Schlangen, Moskitos und Alligatoren. Er setzte jetzt hinzu, die Liste erhebe natürlich noch lange nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Jede Stunde bringe Neues. Man dürfe sich dadurch den Appetit nicht verderben lassen. Damit ließ er sich das schmackhaft zubereitete Mahl, das auf der Lancha eingenommen wurde, vortrefflich munden und bemerkte nur leise zu Kenyon, er würde dieser Art Bordküche noch mehr Geschmack abgewinnen, wenn Bento junior die Speise mit weniger Fliegen, Käfern und Moskitos gewürzt hätte.


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