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Achtes Kapitel,

in dem Herr Collin der feinsten Hochzeit seines Lebens beiwohnt

Die Kajütentür wurde mit einem Ruck aufgerissen, und jemand stürmte über die Schwelle herein, jemand, der ohne einen Augenblick zu zögern, ohne sich nach rechts oder links umzusehen, geradeswegs auf den langen Offizier losstürzte, die Arme um ihn schlang, ihn küßte, und in Sturzwellen von liebkosendem Russisch auf ihn einzureden begann. Es war die angebliche Madame Pelotard, wunderbar nach ihrer Fiebererkrankung wiederhergestellt; hinter ihr kam der untersetzte Offizier, der ausgeschickt worden war, um sie zu holen. Er schloß die Tür und stellte sich als stummer Betrachter der Szene daneben auf.

Es ist schwer zu sagen, welches Gesicht in der kleinen Kajüte für den Augenblick das größte Maß von Staunen, Mißtrauen und Bestürzung ausdrückte; eines ist sicher – nicht das Herrn Collins. Philipp stand noch in seiner früheren Stellung, mit einem leichten Lächeln um seinen schwarzen Schnurrbart und einem kleinen Funkeln im Augenwinkel. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er in diesem Augenblick in seinem Herzen frohlockte, daß er sich als ein neuer listiger Ulysses fühlte oder als der wahrhafte Sendbote der Vorsehung auf den balearischen Inseln. Diese und er hatten alles dahingebracht, wo es sich jetzt befand, zu der Aussicht auf eine gute und glückliche Lösung, befriedigend für alle Teile – außer für Herrn Semjon Marcovitz! Er ließ seine Blicke von dem einen der Anwesenden zum anderen schweifen, und seine Befriedigung steigerte sich. Da stand Semjon Marcovitz, das fettgedunsene Gesicht bleich wie Kalk, seine Blicke irrten von der Großfürstin zu den Papieren, die vor dem langen Offizier auf dem Tisch lagen, da stand der erwähnte lange Offizier, die Augenbrauen hoch zum Haaransatz emporgezogen, bald an seinem Riesenschnurrbart zerrend, bald ungelenk die angebliche Madame Pelotard streichelnd, und da stand schließlich Don Ramon XX., Großherzog von Minorca, Graf von Bethlehem, eben erst davor errettet, von seinem getreuen Volk gehängt zu werden, und nun von dem langen Offizier mit derselben Prozedur bedroht. Seine Blicke verschlangen den Mann, der sich eben bereit erklärt hatte, sein Henker zu werden, und die Frau, die er in seinen Armen hielt, oder die, genauer gesagt, ihn in ihren Armen hielt. Die Miene des armen Großherzogs sagte nur ein einziges Wort: unbegreiflich! Und schließlich konnte Philipp seine Lachlust nicht länger bezähmen. Don Ramon, der sein unterdrücktes Kichern hörte, warf ihm rasch einen empörten Blick zu; ohne ihn zu erwidern, beugte sich Philipp zu ihm vor:

»Ist es möglich, daß Eure Hoheit nicht wissen, wer der lange Offizier ist, der von meiner verflossenen Gattin so freundlich behandelt wird?«

Don Ramon schüttelte den Kopf, ohne daß der Ausdruck seiner Augen milder wurde.

»In diesem Falle will ich es Eurer Hoheit nicht länger verhehlen, daß alle eifersüchtigen Blicke auf ihn ganz überflüssig sind. Sein Name ist Michael Nikolajewitsch, Großfürst von Rußland, und die Dame, die ihn augenblicklich umarmt, ist seine Schwester!«

»Seine Schwester! Ihr Bruder! Und das wissen Sie!« rief der Großherzog in einem und demselben Atemzuge. Aber bevor er noch eine einzige Frage stellen konnte, kam ihm ein donnerndes »stopp« des langen Offiziers zuvor.

»Keinen Meinungsaustausch, bis diese Sache aufgeklärt ist,« schrie er. »Es hat sich gezeigt, daß dieser Herr (auf Philipp weisend) die Wahrheit gesprochen hat. Wir werden seinen Fall später behandeln. Zuerst haben wir den Fall des Großherzogs von Minorca – ob er oder Herr Marcovitz gehängt werden soll.«

Bei den Worten des Offiziers lösten sich zum ersten Male seit einer halben Stunde die Zungenbande Herrn Semjon Marcovitz'.

»Gehängt! Ich!« schrie der kleine Mann. »Ich bin ein ehrlicher Mann – ein ehrlicher Mann. Er betrügt uns alle, er, er! Er soll gehängt werden, Hoheit, nicht ich! Er soll ge...«

»Marcovitz, schweigen Sie, sonst geschieht hier ein Unglück,« rief der Großfürst, auf den Boden stampfend. »Hier soll Gerechtigkeit gesprochen werden, nichts anderes. Haben Sie recht, so wird Ihnen Recht. Haben Sie gelogen, dann ...«

Unterdessen hatte sich eine eigentümliche Szene abgespielt. Zum erstenmal seit ihrem Eintritte schien die Großfürstin Don Ramon erblickt zu haben. Die blauen Augen vor Staunen weit aufgerissen, starrte sie von ihm auf Marcovitz und von diesem auf Philipp und ihren Bruder. Offenbar hatte die Botschaft, die der andere Offizier ihr überbracht hatte, sie für den Augenblick die übrigen Ereignisse der Nacht vergessen lassen; jetzt war die Erinnerung daran wieder erwacht. Was hatte diese Szene zu bedeuten? Wer war der kleine dicke Mann? Warum sprach ihr Bruder in dieser Weise zu Don Ramon und dem Professor? Diese Fragen und noch andere mehr drückten ihre Augen so deutlich aus, als ob sie sie laut gerufen hätte. Aber bevor sie noch etwas sagen konnte, kam ihr ihr Bruder zuvor, der, nachdem er dem untersetzten Offizier eine Order auf russisch gegeben hatte, vermutlich die, auf Philipp und Don Ramon achtzugeben, rasch in dieser Sprache zu ihr zu sprechen begann. Obgleich weder Philipp noch der Großherzog ein Wort von dem verstanden, was er sagte, auch nicht die kurzen Ausrufe, mit denen sie ihn unaufhörlich unterbrach, konnten sie doch das Ganze so deutlich verfolgen, als ob die beiden Geschwister ihre eigene Muttersprache gesprochen hätten. Zuerst sagte der Großfürst einige Worte, mit einer Geste auf Semjon Marcovitz deutend; dann senkte er die Stimme, während sein Blick die Briefe auf dem Tische suchte und das Gesicht der Großfürstin von einer tiefen Röte übergossen war; dann wurde sein Tonfall lebhafter, und er deutete bald auf Marcovitz, bald auf Don Ramon, während ihre Augen immer größer wurden und mit einem gefährlichen Glanze zu leuchten begannen. Plötzlich, während er noch auf sie einredete, unterbrach sie ihn und rief auf französisch:

»Genug! Ich will nicht mehr hören! Was ist das für eine abscheuliche Geschichte? Wie kannst du – wie kannst du dem da glauben!«

Sie brauchte ihren Tonfall nicht durch eine Geste zu verdeutlichen, um Herrn Marcovitz erzittern zu lassen.

Der Großfürst zuckte die Achseln.

»Ich konnte nicht ... nicht umhin, seine Erzählung zu prüfen,« sagte er. Aber seine Stimme klang unwillkürlich etwas befangen. »Willst du so gut sein, mir zu sagen, welcher von diesen Briefen der echte ist, dann werden wir diese Geschichte sofort aus der Welt schaffen – nebst dem Schuldigen.«

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, einen Blick, der beinahe verachtungsvoll war; dann nahm sie die beiden Briefe vom Tisch: es wurde für einige Sekunden totenstill in der Kajüte, und aller Augen bis auf die Don Ramons hingen an ihr. Aber die Spannung dauerte nicht lange.

»Welcher der echte ist!« rief sie mit derselben Verachtung in der Stimme. »Braucht es erst mein Wort, um das zu sagen? Ist das hier etwas anderes als eine plumpe Fälschung? Und kann es von jemandem anderen herrühren als von diesem Kerl?«

Sie schleuderte Herrn Marcovitz einen Blick voll olympischer Verachtung zu, warf seinen Brief weit von sich und lächelte, den anderen Brief an ihr Herz gedrückt, Don Ramon strahlend zu. Armer Don Ramon! So gewiß sie glaubte, daß dies für ihn ein Augenblick des höchsten Triumphes war, so gewiß litt er in diesem Augenblick alle Qualen der Hölle, und sein Versuch, seine Rolle bis zu Ende zu spielen, wäre auf ein Haar gescheitert. Vielleicht wäre er wirklich gescheitert, wenn nicht eine letzte unerwartete Episode dazwischengekommen wäre.

Herr Semjon Marcovitz war nach den Worten der Großfürstin eine gute Viertelminute starr wie eine Statue dagestanden, seine Augen glühten förmlich in dem kreisförmigen Krater von Runzeln und Falten, die sie umgaben, und seine Hände schlossen und öffneten sich mechanisch. Plötzlich brach ein heiseres Röcheln der Raserei aus seiner Kehle, und in der nächsten Sekunde stürzte er mit einem Satz wie ein toller Hund auf die Großfürstin zu. Ein Messer blinkte in seiner rechten Hand; sie hob sich, und ein dreifacher Angstschrei entrang sich dem Großfürsten, Don Ramon und dem untersetzten Offizier. Das Messer wurde gezückt ... aber senkte sich nie in den Busen, den es erreichen wollte. Denn bevor noch der Angstschrei der anderen verklungen war, bevor sie sich aus ihrer Lähmung aufgerafft hatten, knallte ein Schuß; Herrn Semjon Marcovitz' Gesicht wurde von einem Grinsen verzerrt, das alle seine Zähne entblößte, und schwer aufplumpsend, fiel sein Körper an der Großfürstin vorbei vor den Füßen ihres Bruders zu Boden. Das Messer, das nicht einmal im Tode seine Hand verlassen hatte, ritzte die Diele einen Zentimeter weit von dem Großfürsten.

»Mein letzter Schuß!« sagte Philipp Collin ruhig. »Ein Glück, daß ich ihn noch übrig hatte.«

Eine gute Minute blieb es still, während aller Augen, vor Gemütsbewegung noch weit aufgerissen, an ihm hingen. Dann sagte der Großfürst langsam:

»Es war ein Glück, daß Sie ihn übrig hatten. Sie haben meiner Schwester das Leben gerettet.«

Philipp verbeugte sich.

»Niemand ist darüber glücklicher als ich,« sagte er. »Nur eines könnte mein Glück noch größer machen.«

»Was denn?«

»Noch einmal das ihres Bruders retten zu können.«

Der Großfürst starrte ihn an. Endlich sagte er:

»Noch einmal? Was meinen Sie? Sie haben mir das Leben gerettet? Sie kennen mich?«

»Ach, Hoheit, mißverstehen Sie mich nicht! Ich bin königlich belohnt worden für das, was ich getan habe. Aber da mir nun die Worte schon einmal entschlüpft sind – ich schwöre, es war gegen meinen Willen – ja, ich kenne Eure Hoheit.«

»Seit wann? Und wann wollen Sie mir das Leben gerettet haben?« Die Augenbrauen des Großfürsten zogen sich nicht allzu freundlich zusammen.

»Vor einem Jahr und zwei Monaten, Hoheit. Erinnern sich Hoheit nicht vielleicht an eine Januarnacht in Hamburg, wo ein Herr Woerz und ein Herr Pelotard die Bierhalle eines gewissen Herrn Schiemann besuchten ...«

Philipp verstummte, ohne seinen Satz zu Ende zu sprechen. Das Gesicht des Großfürsten erhellte sich wie der Himmel nach einem Gewitter, und zur Verwunderung der anderen brach er in ein schallendes Gelächter aus.

»Sie – ach, Sie! Sie! Sie haben eine eigentümliche Gabe aufzutauchen, wenn man Sie nicht ahnt! Was zum Teufel haben Sie denn alles getrieben, seit ich Sie zuletzt in Hamburg sah?«

»Ach, allerlei,« sagte Philipp höflich. »Ich habe so meine kleinen Abenteuer gehabt wie gewöhnlich. Aber Hoheit haben mich nicht in Hamburg zum letztenmal gesehen.«

»So? Wo denn zum Kuckuck?«

»In der Gare de Lyon in Paris vor fünf Tagen. Hoheit standen an der Tür zum Wartesaal und beobachteten den Abendzug nach Marseille. Hoheit erkannten mich nicht, und ich fand keine Gelegenheit, Hoheits Aufmerksamkeit auf mich zu lenken ... Ich war gerade damit beschäftigt, Hoheits Schwester zu entführen.«

Herr Collin kam nicht weiter. Ein Brüllen drang aus dem Halse des Großfürsten.

»Sie, Sie waren es! ... Und Sie wagen! ...«

»Hoheit,« sagte Philipp langsam. »Ich tat es, ohne zu wissen, was ich tat. Soviel will ich zugeben. Aber glauben Sie nicht, daß ich es bereue.«

»Ah, Sie bereuen es nicht?! Sie ... Ah! Warten Sie nur, mein Freund Pelotard, es wird nicht lange dauern ...«

»Ich werde es nur bedauern,« fuhr Philipp ruhiger denn je fort, »wenn Großfürstin Olga es selbst bereut – fragen Sie sie, Hoheit, ob das der Fall ist.«

Die Großfürstin, die nach Marcovitz' Attentat regungslos und stumm den kurzen Replikenwechsel zwischen Philipp und ihrem Bruder verfolgt hatte, richtete sich rasch auf. Alle Angst war aus ihrem Gesicht verschwunden, ihre Augen strahlten, und den Brief des Großherzogs an die Brust drückend, rief sie:

»Nein, ich bereue nichts.«

Ihr Blick begegnete dem ihres Bruders, fest und ohne Zögern, dann kehrte er rasch zu Don Ramon zurück, der noch stand, wie er gestanden hatte, vernichtet von den Ereignissen der letzten Stunde.

»Ich bereue nichts von allem, was ich getan habe,« wiederholte sie. »Denn ich habe zwei Männer gesehen und kennengelernt.«

Für einen Augenblick betrachtete sie Philipp, dann waren ihre Augen wieder bei Don Ramon.

Philipp lächelte. Der Großfürst stand wie aus den Wolken gefallen. Don Ramons Brust hob sich plötzlich mit einem schweren Seufzer, und er sagte mit unsicherer Stimme:

»Ach, Prinzessin, seien Sie nicht zu sehr davon überzeugt. Ich weiß, daß Sie einen Mann gesehen und kennengelernt haben (er sah rasch Philipp an), aber zwei ...« Er verstummte, und sein Blick suchte sie mit einem solchen Ausdruck der Mutlosigkeit, daß sie ihn erstaunt ansah. Bevor sie noch etwas sagen konnte, kam ihr jedoch ihr Bruder zuvor, der mit gerunzelten Augenbrauen sie und Don Ramon beobachtet hatte.

»Wie lange bist du mit diesem Herrn herumgereist?« sagte er kurz.

Nun war sie an der Reihe, befangen auszusehen.

»Fü ... fünf Tage,« murmelte sie. »Drei davon mit dem Großherzog.«

Der Großfürst schwieg und fixierte sie wieder. Dann wendete er sich unvermittelt dem untersetzten Offizier zu, der in orientalischer Passivität noch an der Tür lehnte.

»Barinsky,« sagte er auf französisch, »haben Sie die Güte und lassen Sie Vater Sergei wecken; lassen Sie die Kapelle in Ordnung bringen und eine Ehrenwache auf dem Weg hin aufstellen. Alle Lichter sollen angezündet sein, in einer Viertelstunde wird der kaiserliche Salut gegeben.«

Der untersetzte Offizier legte die Hand an die Kappe, ohne ein Wort zu sagen, und wollte eben verschwinden, als der Großfürst hinzufügte:

»Machen Sie Vater Sergei aufmerksam, daß es sich um eine Hochzeit handelt.«

Um eine Hochzeit. Philipp zuckte in dem überwältigendsten Gefühl von Staunen und Triumph zusammen, das er je erfahren. Eine Hochzeit! Eine Hochzeit! Wahrhaft, Großfürst Michael machte keine langen Umschweife, um die Vermählung zweier fürstlicher Kontrahenten anzuordnen. Er fragte sie nicht einmal um ihre Ansicht, um ihre Wünsche! Lassen Sie Vater Sergei wecken, es soll Salut gegeben werden – und keine Proteste! Das war der Vorteil, in einem autokratischen Lande zu leben ... Aber würde Don Ramon darauf eingehen? Es sah nicht danach aus.

Denn kaum waren die letzten Worte über die Lippen des Großfürsten gekommen, als er blaß vor Empörung aufsprang.

»Ist – ist das ein Scherz?« gelang es ihm hervorzustammeln. »Wollen Sie sofort Ihren Sendboten zurückrufen! Das ist – das ist unwürdig ...!«

Der Großfürst blieb ihm die Antwort nicht schuldig.

»Mein bester Freund,« sagte er kalt, »hier liegt nichts Unwürdiges vor. Sie haben zwei Jahre lang einen Brief meiner Schwester herumgetragen, den Sie hätten zurückgeben müssen, als die Verlobungspläne sich zerschlugen.«

Der Großherzog erblaßte.

»Sie sind drei Tage mit ihr zusammen gereist, unter vermutlich höchst unzeremoniösen Umständen, nachdem sie von diesem Herrn entführt worden war ...«

»Ohne daß jemand von uns es wußte,« preßte Don Ramon mit Mühe hervor.

»Das tut nichts zur Sache. Schließlich kommen Sie mitten in der Nacht mit ihr in den Armen an Bord dieses russischen Fahrzeugs. Wenn Sie ein Gentleman sind, gibt es nur eine Art, wie alles wieder gutgemacht werden kann.«

»Es gibt zwei,« murmelte Don Ramon, bleich wie der Tod, »ich habe meinen Revolver.«

»Also ziehen Sie meiner Schwester den Tod vor?« ... Der Fürst konnte seinen Satz kaum abschließen, als seine Schwester aufsprang, ebenso totenbleich wie Don Ramon, und mit matter Stimme murmelte:

»Michael! ... Schweige! ... Nicht einmal du hast ein Recht, mich zu diesem Verhaßten zu zwingen ... er liebt mich nicht ... er will lieber sterben ...«

Ihre Stimme brach, sie schlug die Hände vors Gesicht, aber ihre Worte hatten eine Wirkung, wie sie nichts anderes hätte haben können. Mit einem Male, mit einem Ausruf, voll Sehnsucht, Liebe und trotz allem Schmerz, war Don Ramon an ihrer Seite, er fiel auf die Knie, und während seine Augen sich unsicher zu ihr erhoben, murmelte er:

»Prinzessin ... Olga ... Mißverstehen Sie mich nicht! Mißverstehen Sie mich nicht nach all den schönen Gedanken, die Sie von mir gedacht haben, bevor Sie mich noch gesehen ... ich liebe Sie ... ich bete Sie an ... ich wünsche nichts sehnlicher auf Erden, als daß Sie mein werden ... aber ...«

»Aber was?« Ihre Stimme zitterte vor Tränen.

»Aber diese Trauung, ohne Sie zu fragen ... Ich wußte doch nicht, ob Sie ... ob Sie mich lieben ...«

»Das wußten Sie nicht ...!!« Sie sah ihn mit blauen Augen, so voll süßer Vorwürfe an, daß all sein Widerstand mit einemmal besiegt war. Er sprang auf, und Philipp und der Großfürst wandten sich rasch ab, von einem gemeinsamen Impulse getrieben.

Aber trotz alledem konnte Philipp eine Frage nicht unterdrücken, die ihm auf der Zunge brannte.

»Hoheit,« murmelte er leise, um das Paar hinter ihnen nicht zu stören, »verzeihen Sie mir, aber was sagt der Zar dazu?«

Der Großfürst lächelte plötzlich wie ein Gassenjunge, und Philipp fiel wieder Herr Woerz aus Altona und die Abenteuer einer entschwundenen Januarnacht in Hamburg ein.

»Seine Majestät der Kaiser«, sagte der Großfürst, »hat mir nichts abzuschlagen, seitdem ich solide geworden bin. Sie sehen, ich bin nach dem Tode meines Vaters in die Marine eingetreten und ein neuer Mensch geworden. Und mein kleines Schwesterchen verdient es, glücklich zu werden. Glauben Sie nicht, daß sie es mit Ihrem Freunde, Don Ramon, sein wird?«

»Sicherlich,« sagte Philipp, »der Großherzog hat verschiedene Dinge durchgemacht, und er hat daraus gelernt. Sie wird sehr glücklich werden und ...«

»Und?«

»Und er wird unter dem Pantoffel stehen.«

Der Großfürst brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Sie sind ein verteufelter Kerl,« sagte er, »ich glaube, meiner Seel', Sie haben recht ... Machen Sie sich jetzt zurecht, um der Trauung beizuwohnen. Haben Sie schon eine so feine Trauung mitgemacht, Sie, der Sie alles erlebt haben?«

»Nie,« sagte Philipp und sah auf seine Uhr. »Und die Wahrheit zu sagen, auch noch keine so späte.«

 

Eine halbe Stunde später, als die kirchlichen Zeremonien glücklich erledigt waren, stand Herr Philipp Collin mitten in einem lärmenden Kreise von russischen Marineoffizieren, deren einziger Wunsch zu sein schien, ihn in möglichst kurzer Zeit mit Champagner zu berauschen. Die Geschichte von den Ereignissen der Nacht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Großfürst Michael hatte eine kurze Order erlassen:

»Heute abend darf geklatscht werden, aber wird morgen noch geklatscht, dann kann man am höchsten Mast baumeln.«

Infolgedessen wurde in der großen Messe eifrig geplaudert, während die Champagnerpfropfen im Takt zu dem kaiserlichen Salut draußen knallten, nur öfter, und während Herr Philipp Collin, der von den Helden der Nacht der einzige Erreichbare war, unaufhörlich dieselben Dinge wieder und wieder erzählen mußte, nur mit den nötigen Unterbrechungen für den Champagner. Es wurde geplaudert, es summte auf russisch und französisch, es wurde angestoßen und Hurra gerufen. Plötzlich wurde der Kreis rings um Philipp von einem reckenhaften Herrn gespalten, in nicht allzu soignierten Kleidern und mit verbundenem Ohr, der sich hinkend zu Herrn Collin drängte, eine blauäugige junge Dame am Arm. Man beachtete ihn in der allgemeinen Erregung kaum, aber als man ihn endlich bemerkte, legte sich der Lärm rasch und man machte ehrfurchtsvoll Platz.

Der Großherzog und seine neugebackene Gemahlin blieben vor Herrn Collin stehen. Ihre Augen leuchteten. Der Großherzog stieß sein Glas an das Philipps und sagte:

»Sehen Sie, Professor, was habe ich gesagt! Sie müssen Minorca ohne Ihre Fr ... allein verlassen!«

Die junge Großherzogin von Minorca errötete zum allgemeinen Staunen wie eine Rose, und Philipp beeilte sich zu sagen:

»Hoheit beschleunigen die Dinge gar zu sehr. Ich gedenke Minorca noch gar nicht zu verlassen. Hier ist auch noch für morgen Arbeit!«

Der Großherzog nickte ihm zu und winkte einem Steward, die Gläser zu füllen. Dann wendete er sich an die Offiziere und sagte:

»Meine Herren, ich spreche nicht Ihre Sprache, und Sie kennen mich nicht. Aber Sie kennen meine Gattin, und Sie haben einen Teil unserer Abenteuer gehört. Dem Mann, den Sie hier vor sich sehen, ist es zu danken, daß sie so endeten, wie sie geendet haben ... Ich bezeuge es aus vollstem Herzen. Er hat uns beiden das Leben gerettet – nicht einmal, sondern mehrere Male. Ich bitte Sie, ein Hoch auf den unerschrockensten Freund auszubringen, den ich je gehabt habe – Professor Pelotard aus Schweden!«

Das Gemurmel, das bei seiner Rede aufgehört hatte, wuchs plötzlich zum Sturm an; Hurrarufe donnerten, und als Herr Collin, halb erstickt von Champagner, wieder Atem schöpfen konnte, war es gerade zur rechten Zeit, um zu verhindern, daß man ihn im Triumph auf die Schultern hob.

Eine halbe Stunde später brachen der Großherzog und Großherzogin Olga auf, aber ehe sie die Messe verließen, kamen sie noch einmal auf Philipp zu.

Der Großherzog betrachtete ihn einen Augenblick gedankenvoll und sagte dann:

»Sie wußten, wer ich bin. Sie wußten, wer die Großfürstin war, wer ihr Bruder war – Sie hatten ihm sogar in Hamburg das Leben gerettet. Sie scheinen derjenige gewesen zu sein, der die Fäden all unserer Abenteuer in der Hand hatte. Sagen Sie mir, Sie Mann der wunderbaren Schicksale, wissen Sie vielleicht auch, wer derjenige war, der den Coup in Minorcas Staatspapieren gemacht hat? Die Großherzogin und ich haben gerade darüber gesprochen.«

Herr Collin lächelte artig und sagte mit seiner besten Stimme:

»Aber bitte, Hoheit, natürlich kann ich es sagen. Ich war es selbst!«


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