Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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Die Flucht der Amazonen

Dieses Stück ist der erste Stern, der an den Himmel unserer Galerie sich gezogen. Der Kurfürst, welcher dieselbe stiftete, ein Herr, der des Enthusiasmus fähig war, und Kraft hatte darin zu beharren, erhielt es von ohngefähr, und wurde nach und nach beim öftern Beschauen so entzückt davon, daß er auf einmal Liebhaber wurde, und mit der Zeit die große Sammlung veranstaltete; welche unter besserer Anleitung noch auserwählter würde geworden sein.

Ein Rubens, Die Amazonenschlacht erschrecklicher Kampf zwischen den zwei Geschlechtern, wovon man nicht eher völligen Genuß haben kann, als bis man in die entfernteste Natur hinunter gestiegen.

Ein malerisches Schlachtgetümmel, wo der Sieg endlich sich entschieden hat. Die armen Heldinnen müssen der Obermacht unterliegen, werden geschlagen, sind auf der Flucht, und die Feinde setzen ihnen über eine Brücke nach. Die Verspäteten, und wohl die Tapfersten, werden zum Teil gefangen genommen, und zum Teil in der Wut ermordet, und fackeln zum Teil auch nicht, und ermorden wieder. Das beste vom Kriege für ein Heldenherz, die Lust nach Schweiß und Gefahr; und noch dazu mit Mädchen, die mit dem Schwert Männer anzugreifen sich erkühnt, wilde, grausame und doch reizende Empörerinnen wider die Rechte der Natur. Ein furchtbar schönes Schauspiel, dergleichen es wenig gegeben.

Der Anfang, linker Hand des Gemäldes, macht ein schon fernes Getümmel der Flucht von Weibern und Pferden. Darauf setzen ein Paar braune Streitrosse, ihrer Reuter entledigt, von der Brücke. Das vorderste ist so scheu und wild, daß es die fliegenden Mähnen noch in die Höhe sträubt, die Zähne fletscht, und Dampf aus der Nase schnaubt: und das andere schlägt hinten aus, noch vom Gefecht entflammt. Dann kommt eine Amazone mit eines Heerführers Kopf in beiden Händen, den sie auf der Brücke noch abgehauen, wo der Rumpf vom Stummel ins Wasser blutet; und dabei in der rechten das blutige Beil. Sie sitzt auf ihrem Rosse, gleich jenem Römer, der die Feinde abhielt, bis die Brücke abgebrochen war, noch den Verfolgern entgegen, und ein Krieger greift ihr nach der Beute, die sie nicht lassen will. Neben ihr kämpften noch zwo (wovon unten die Erschlagenen zeugen, und die ausziehenden Pferde) die eben in den Fluß mit ihren Wunden samt den Rossen stürzen.

Dies ist die schönste Gruppe im Ganzen, und wohl mit dem Strome die erste Idee dazu; und vielleicht das kühnste, was je gemalt worden.

Die erste ist im Sturz von der Brücke, den Kopf schon unterwärts, wo von einem Hieb aus der Stirne Blut fließt: ohne Bewußtsein, das Mordgewehr noch in der Faust, und die Knie im Sattel. Aus dem Köcher fallen die Pfeile. Ihr nach das Pferd, dem ein Wurfpfeil im Halse steckt, die Vorderfüße voran, den Bauch oben, und die Hinterfüße von sich streckend. Unter ihr platscht die andre, gleichfalls mit dem Kopf voran, nur noch völlig lebendig und im Ritt, mit dem Rücken und ihres Schimmels Rücken in den Strom, in dessen weitem Wellenschlag man den ungeheuren Fall sieht. Ein Gesicht noch voll Mordgier und Kampf, und Ergebung in alles, was ihr dabei zu Leide geschieht. Weiter hin im Wasser zur Rechten suchen ihrer zwo sich mit Schwimmen zu retten; und die stürzende Letzte schlägt mit ihrem Pferd vor denselben nieder, und die andre, wornach die eine voll Angst sich wegwendend sieht, kömmt von oben. Und zur Linken steigt seitwärts der Kopf einer vom Sturz in die Tiefe Geschlagenen in Entsetzen wie ertrunken hervor, und über ihr stürzt im Dunkeln vom neuen ein Roß, dessen Reuter an der Mauer erschlagen liegt. Gleich vorn auf der Brücke wird einer die Standarte abgenommen, die sie aber nicht lassen will, und wogegen sie sich aus aller Macht wehrt. Schon ist sie an derselben zurückgerissen von ihrem sich in die Höhe bäumenden Rosse, womit sie aber doch noch eins ist mit den Schenkeln, gleich einem Centaur. Einer und noch einer arbeiten an ihr. Beide halten die Fahne am Wimpel fest, der eine zu Fuß und der andre zu Pferd, welcher letztere nach ihr, gelb und blaß vor Wut und Mordgier, mit dem Schwert in der Rechten aus Leibeskräften ausholt. Weiter hin rechter Hand wird zuerst wahrscheinlich die Königin gefangen. Sie hält das Schlachtbeil in ihrer geübten Faust, straff und stark; vermag aber nichts vor der Menge, und wird überall gehalten. In ihrem Gesicht ist Grimm über die eitlen Tyrannen und das Schicksal; Grimm und Verachtung in Augen und Lippen, und doch auch Bitterkeit des nahen Todes. Der eine hält sie bei dem Arm, und der andre bei der Schulter am Halse, und holt aus, sie zu erstechen; und einer hinter ihr richtet einen Wurfpfeil auf sie. Am Ende rechter Hand nebenan der Brücke kömmt eine gesprengt, wie ein zuletzt flüchtiger Alcibiades unter ihnen, in vollem Gehalt Amazonischer Freiheit und Eigenmacht, wovon sie alle aussehen; und das Roß ist im Begriff, weit ausgeholt in die Flut zu setzen, als ein Reuter, der sie da erreicht, ihr hinter drein einen Kopfspalter ziehen will. Schon hat er ausgeholt, und sie, sich umgewandt, sticht ihm, mit der größten Gegenwart des Geistes, bis zu Tränen vor Scham und Zorn brennend, daß sie fliehen muß, mit dem scharfen zweischneidigen Schwert unter den aufgehobenen Arm ins Haarwachs, daß die Sehnen springen und bluten. Über ihr wird eine samt dem Pferd in den Strom von einem jungen Reuter gespießt; und längs dem Ufer unter ihr zieht ein Hungerleider ein Paar im Treffen Gebliebene aus, um Beute zu machen: hat von der einen den Leichnam schon abgefertigt hingeworfen, und zerrt der andern das Gewand noch unter dem Hintern weg, um sie zugleich damit ins Wasser zu schütteln. Unter der Brücke selbst ist das fürchterlichste vom Schauspiel zu sehen. Sie hat nur einen, aber einen hohen, weiten und breiten Bogen, der von einem Michel Angelo gebaut zu sein scheint; welcher einen Schlagschatten von der größten Wirkung wirft, und das Licht aus der Ferne darunter her erhebt und belebt. Im Strom und denselben hinauf ist lauter Herabstürzen, Schwimmen, Retten, Durchschwimmen, Kämpfen und Ersaufen, ist Freund und Feind unter einander: weiter oben stehen am Ufer in der Ferne Kriegsheere, und anbei eine Stadt in loher Flamme. Der Fluß wälzt da und dort Toten auf.

Ich mag nicht mehr beschreiben.

Es ist ein Stück voll heroischer Stärke aus dem Zeitalter des Theseus: nichts überladen, und alle Täuschung da, die mit Farben möglich zu machen ist. Gewalt in Männerschultern und Armen und Fäusten mit dem Mordgewehr, und Brust und Knie: und in den Bäumen, dem immer andern Satz und Strang und Wurf der Streitrosse. Feuerblick und Glut des Verfolgens, Wut und verzweifelte Rache des Entrinnenmüssens in höchstem Weibermute: Hauen und Stechen und Herunterreißen, Sturz in mancherlei Fall und Lage samt den Rossen in den Strom, Blut und Wunden, Schwimmen und Sterben, Blöße und zerhauenes Gewand und herrliche Rüstung; wahrstes Kolorit von Stärke, Wut, und Angst, und Tod in Mann und Weib: höchstes Leben in vollem Schlachtgetümmel unter furchtbarer Leuchte zerrissenen Morgenhimmels. –

Die Amazonen haben kein träges Fleisch an sich, sondern sind abgehärtet, edel, voll Gewalt und Feuer, und, nach ihrem Cirkassischem Klima und den Antiken, leicht mit einem Untergewand und kleinem roten Mantel darüber von der linken Schulter herunter bekleidet, der ihnen beym Herabsturz ins Wasser meist abfällt, nachdem ihnen entweder das Band reißt, oder durchgehauen worden, so daß die Bewegung der schönen Glieder überall lebendig zu sehen ist. Sie reiten auf bloßem Hintern mit beiden Schenkeln auf einem dünnen Sattel, nur die Beine vom Fuß zur Wade umwunden. Ihre rechte Brust hat Rubens immer so auf die Seite gebracht, oder in ein solches Licht, oder unter das Gewand, daß man wenig davon gewahr wird: vermutlich, um dem Vorurteil auszuweichen, als hätten die Amazonen den Namen daher, daß sie sich die rechte Brust weggebrannt. Jedennoch kann man sehen, daß sie da ist.

Diese Heroinnen, welche gewißlich einmal ein mächtiges Reich ausgemacht, wenn man nicht aller Geschichte und allen Volksdenkmalen, der Bedenklichkeit eines alten Geographisten darüber zu Gefallen, den Glauben versagen will, für dessen Weiber schon das Ding freilich zu hoch sein mochte, hatten ihren Namen sonder Zweifel nicht daher, daß ihnen ihre Mütter auf eine alberne Weise die rechte Brust weggebrannt, sondern daß sie nicht wie andre Weiber waren. Sie hatten das gewöhnliche Weibliche abgelegt, den Gehorsam gegen die Männer und so weiter: deswegen führten sie den Namen Amazonen, Brüstelose; weil die Brüste die Weiber am ersten von den Männern unterscheiden. Überdies ist brustlose, wie mans gewöhnlich nimmt, zu allgemein für so sinnliche Naturmenschen, als die Alten waren; und sie müßten entweder die Rechtebrustlosen, oder die Einbrüstigen heißen, wenn der verzweifelte Einfall einiger Grammatiker statt finden sollte. Auch haben, zum Überfluß, die Amazonen unter den Antiken durchaus eine Brust so groß, als die andre.


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