Wilhelm Heinse
Düsseldorfer Gemäldebriefe
Wilhelm Heinse

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Heilige Familie
Von Michel Angelo Buonarotti

[wahrscheinlich von Marcello Venusti]

Ein Blick in das Hauswesen der Heiligen, zum Zeitvertreib hingeworfen von dem Großen und Starken, um den Pinsel wieder zu versuchen; oder statt eines Avemaria. Ein kleines Stück, nicht völlig zween Fuß hoch, und etwas über einen breit; und doch uns teuer (wenigstens meiner Wenigkeit, da es wegen seines mittelmäßigen Kolorits nicht in die Augen fällt, und die Idee darin ein wenig heimlich ist) wie ein Hymnus vom Homer, weil nur dies einzige von ihm da ist.

Maria Marcello Venusti (?), Madonna mit Kind sitzt in der Stube, in einem roten vorzeitigen Kleide, fast wie ein Weiberhemd mit langen Ärmeln gestaltet, (worunter doch aber ein weißes leinenes ist,) das unter der Brust über einen Gurt, der nicht zu sehen, ein wenig hinab sich senkt. Sie hat den rechten Schenkel übergeschlagen, und über dem Schoß eine hellblaue Decke. Darauf über diese hat der kleine Jesus, ganz nackend, sein Köpfchen mit hellbraunen jungen weichen Härchen, und über denselben herüber das rechte Ärmchen und Händchen gelegt, das linke am Beine dieses rechten Schenkels hinunter hängen lassend. Seine Beinchen ruhen, etwas tiefer, ein wenig von den Knien an in die Höhe gehend, auf einem Kissen, das über dem GestelleWie von einem Zimmermann fabrizierten; so wie die ganze Stube Meisterwerk von Zimmermannsarbeit ist. einer großen Sanduhr, die bald ausgelaufen ist, gerade neben der Maria liegt; und seine Hüften sinken dazwischen und dem Schoße der Mutter im Freien nieder, noch auf einem blauen Zipfel der Decke, die unter dem Kissen liegt, von ihrem Schoße her.

Eine Lage, die nicht reizender sein kann, und die die schönste ist, die ich je von einem schlafenden Kind gesehen!

Über seinem rechten Ohre hält diese die linke Hand zum Griffe bereit, in Besorgnis, sein Schläfchen zu unterbrechen, das er so im Spielen erhascht, und in zarter Mutterliebe, daß er fallen möchte, welches gar leicht geschehen könnte.

Eine entzückende Gefahr, so recht des großen Meisters würdig, die immer das Herz in einem kleinen Schauer, und die stille Scene lebendig erhält!

Aus ihrem schönen Gesichte leuchtet so viel UnschuldReines Gewissen von ehelicher Untreue; denn das ist der eigentliche Ausdruck darin. , Güte und Schönheit von innen, daß alles rein und klar ist, und nichts widriges und falsches kann entdeckt werden. In der Rechten hält sie ein Buch bei Seite, worin sie eben gelesen; und darüber oben steht der junge Johannes auf einem Fußgestelle, (dergleichen eines an jeder Wand des Zimmers, das in der Breite eben für viere Platz hat, mit einer Einfassung von Brettern in die Höhe geht; oder soll ichs eher Wandstuhl, Wandbank mit einer Einfassung nennen?) steht der junge Johannes in einer Tigerdecke, und schaut hinein, den linken Zeigfinger an den Lippen: und die Rechte lauschend, wie eine wunderbare Neuigkeit erfahrend, mit dem Zeigefinger in der Höhe etwas ausgebreitet aufgehoben. Seine offne Brust schwillt schon von junger Stärke, und sein Gesicht ist ründlich, schön und wild.

Joseph hat sich im Fußgestell oder Wandstuhl der linken Wand mit dem linken Arm auf die Einfassung gelegt, und mit dem rechten aufgestützt, in deren Hand das Kinn liegt, daß der Daumen und Zeigefinger zwischen den Lippen beide Backen an der Nase ein wenig eindrücken. Er hat einen rötlichen hier und da verschossnen Hausrock an, darüber ein gelber Mantel hängt, als ob er aus gewesen, und was bestellt hätte, und wiedergekommen wäre. Auf dem Kopfe hat er eine rote Kappe aufgesetzt, und betrachtet daraus mit einem ehrlichen trefflichen alten Zimmermannsgesichte den kleinen Schlafenden, als ob er dächte: »sonderbar; ja, sonderbar und unbegreiflich! und doch alles wahr und richtig, und kann nicht anders sein!« – Wahre Natur, wie sie ist.

Das schlafende Jesuskind ist das schönste des Stückes; ein Meisterstück an reizender Lage, vollkommner Zeichnung und wohlgegebnem Licht und Schatten; und die Einheit, die Seele des Ganzen, worauf sich alles andre bezieht und harmoniert, wie auf Herrscher und Monarch. Aus seinem Gesichte dämmert Majestät von Gottheit aus, und seinem Schläfchen sieht man's an, daß es nur eine kurze Rast ist vom Tragen der Welt Sünde.

Es ist zum Erstaunen, wenn man dies beinahe Unmögliche bloß in der Vorstellung, zwischen Vater, Mutter und Kind, durch die kleinscheinende Erfindung einer nachlässigen und gefährlichen Lage im Schlafe, nicht allein möglich, sondern auf das reizendste dargestellt sieht; und wie die gewöhnliche Stille der Menschen um ein schlafendes Kind so leise (und unbemerkt) mit Demut und Liebe vor Gott verpaart (und dahinein verwandelt) worden; und das große Geheimnis, wie hervorbrechende Knosp' im Tau des ersten Morgenrots, erscheint.


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