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Herausgegeben von Friedrich Raßmann
Hamm, bei Schmilz und Wundermann.
(1821)
»Was lange wird, wird gut« – »Eile mit Weile« – »Rom ist nicht in einem Tag gebaut« – »Kommst du heute nicht, kommst du morgen« und noch viele hundert ähnliche Sprichwörter führt der Deutsche beständig im Munde, dienen ihm als Krücken bei jeder Handlung und sollten mit Recht der ganzen deutschen Geschichte als Motto vorangesetzt werden. – Nur unsere Almanachs-Herausgeber haben sich von jenen ledigen Sprichwörtern losgesagt, und ihre poetischen Blumensträußchen, die dem Publikum in winterlicher Zeit ein Surrogat für wirkliche Sommerblumen sein sollen, pflegen schon im Frühherbste zu erscheinen. Es ist daher befremdend, daß vorliegender poetische Blumenstrauß so spät, nämlich im April 1821, zum Vorschein gekommen. Lag die Schuld an den Blumenlieferanten, den Einsendern? oder am Straußbinder, dem Herausgeber? oder an der Blumenhändlerin, der Verlagshandlung? Doch es ist ja kein gewöhnlicher Almanach, kein poetisches Taschenbuch oder ähnliches Duodezbüchlein, das als ein niedliches Neujahrsgeschenk in die Sammel-Ridiküls holder Damen geschmeidig hineingleiten soll, oder bestimmt ist, mit der feingeglätteten Vignettenkapsel und dem hervorblitzenden Goldschnitt auf duftender Toilette neben der Pomadenbüchse zu prangen; nein – Herr Raßmann gibt uns einen Musen-Almanach. In einem solchen darf nämlich gar keine Prosa (und, wenn es tunlichst ist, auch gar nichts Prosaisches) enthalten sein, aus dem einfachen Grunde; weil die Musen nie in Prosa sprechen. Dieser Satz, der durch historische Erinnerungen an die Musen-Almanache von Boß, Tieck, Schlegel usw. entstanden ist, hat des Referenten selige Großmutter einst veranlaßt, zu behaupten, daß es eigentlich gar keine Poesie gibt, wo keine Reime klingen oder Hexameter springen. Nach diesem Grundsatz kann man dreist behaupten, daß viele unserer berühmten, viele unserer sehr gelesenen Autoren, wie z. B. Jean Paul, Hoffmann, Clauren, Karoline Fouqué usw. nichts von der Poesie verstehen, weil sie nie oder höchst selten Verse machen. Doch viele Leute, worunter Referent so halb und halb auch gehört, wollen diesen Grundsatz bestreiten. Sollte Herr Raßmann nicht auch zu diesen Leuten gehören? Warum aber diese engbrüstige Laune, bei einer poetischen Kunstausstellung – was doch der Musen-Almanach eigentlich sein soll – gar keine Prosa einzulassen? – Indessen, abgesehen von allem Zufälligen und zur Form Gehörigen, muß Referent gestehen, daß ihn der Inhalt des Büchleins recht freundlich und innig angesprochen hat, daß ihm bei manchem Gedichte das Herz aufgegangen, und daß ihm bei der Lektüre des »Rheinisch-westfälischen Musen-Almanachs« so wohlig, heimisch und behaglich zumute war, als ob er sein Leibgericht äße, rohen westfälischen Schinken nebst einem Glase Rheinwein. Durchaus soll hier nicht angedeutet sein, als ob die im Almanach enthaltenen westfälischen Dichter mit westfälischem Schinken, hingegen die ebenfalls darin enthaltenen rheinischen Dichter mit Rheinwein zu vergleichen wären. Referent kennt zu genau den kreuzbraven, echtwackern Sinn des Kernwestfalen, um nicht zu wissen, daß er in keinem Zweige der Literatur seinen Nachbarn nachzustehen braucht, obzwar er noch nicht darauf eingeübt ist, mit den literarischen Kastagnetten sich durchzuklappern und ästhetische Maulhelden niederzuschwatzen.
Von den siebenunddreißig Dichtern, die der Musen-Almanach vorführt und worunter auch einige neue Namen hervorgrüßen, muß zuerst der Herausgeber erwähnt werden. Raßmann gehört der Form nach der neuern Schule zu; doch sein Herz gehört noch der alten Zeit an, jener guten alten Zeit, wo alle Dichter Deutschlands gleichsam nur ein Herz hatten. Schon bei dem flüchtigen Anblick der Gegenstände der literarischen Tätigkeit Raßmann's wird man innig gerührt durch seine Liebe für fremde Arbeiten und sein emsiges Hervorsuchen des fremden Verdienstes (lauter altfränkische Eigenschaften, die längst aus der Mode gekommen!). In den Gedichten Raßmann's, die der Musen-Almanach enthält, besonders in »Einzwängung des Frühlings«, »Der Töpfer nach der Heirat« und im »Armen Heinrich« finden sich ganz ausgesprochen jene grundehrliche Gesinnung, liebreiche Betriebsamkeit und fast Hans-Sachsische Ausmalerei. E. M. Arndt's Gedicht »Die Burg des echten Wächters« ist herzlich und jugendlich frisch. In W. v. Blomberg's »Elegie auf die Herzogin von Weimar« sind recht schöne und anmutige Stellen. Bueren's Nachtstück »Die Hexen« ist sehr anziehend; der Verfasser fühlt gar wohl, wieviel durch metrische Kunstgriffe erreicht werden kann, er fühlt gar wohl die Macht der Spondeen, besonders der spondeischen Reime; doch die höhere Feinheit, die Mäßigkeit, die im Gebrauche derselben beobachtet werden muß, ist ihm bis jetzt noch unbekannt. In J. B. Rousseau's Gedicht »Verlust« weht ein zarter und doch herzinnig glühender Hauch, liebliche Weichheit und heimlich süße Wehmut. Heilmann's Gedicht »Geist der Liebe« wäre sehr gut, wenn mehr Geist und weniger (das Wort) Liebe drin wäre. Der Stoff von Theobald's »Schelm von Bergen« ist wunderschön, fast unübertrefflich; doch der Verfasser ist auf falschem Wege, wenn er den Volkston durch holpernde Verse und Sprachplumpheit nachzuahmen sucht. Der gemütliche Gebauer gibt uns hier vier Gedichte, recht herzig, recht hübsch. Wilhelm Smets gibt ebenfalls eine Reihe schöner Dichtungen, wovon einige gewiß seelenerquickend genannt werden dürfen. Zu diesen gehören das Sonett »An Ernst von Lassaux« und das Gedicht »An Elisabeth's Namenstage.« Nikolaus Meyer's Gedichte sind recht wacker, einige ganz vortrefflich, am allerschönsten ist das Gedicht »Liebesweben«. »Der Klausner« von Freifrau Elise von Hohenhausen ist ein sinniges, heiteres, blühendes Gemälde, von dessen Anmut und Lieblichkeit das Gemüt des Lesers angenehm bewegt wird. Rühmliche Auszeichnung verdienen die Gedichte von Adelheid von Stolterfoth, von Sophie George und von v. Kurowski-Eichen. – Der Druck des Büchleins ist recht ansprechend, das Äußere desselben fast zu bescheiden und einfach. Doch der goldne Inhalt läßt bald den Mangel des Goldschnitts übersehen.