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Koblenz, bei Kölscher
(1821)
Diese Dichtung hat uns beim ersten unbefangenen Durchlesen so freundlich ergötzt und gemütlich angesprochen, daß es uns wahrlich schwer ankommt, sie mit der notwendigen Kälte nach den Vorschriften und Anforderungen der dramatischen Kunst kritisch zu beurteilen, ihren inneren Wert mit Unterdrückung individueller Anregungen gewissenhaft genau zu bestimmen und ihre Mängel und Gebrechen mit strenger Hand aufzudecken. – Ehrlich gestanden, will es uns freilich bedünken, als ob wir bei diesem Geschäft nicht ganz unähnlich sind jenem unzufriedenen Grämlinge, der in der Mittagsschwüle unter einem laubigen Apfelbaume ein kühlendes Obdach fand, den lechzenden Gaumen mit den Früchten desselben labte, sich weidlich ergötzte an dem Gezwitscher der Vöglein, die von Zweig zu Zweig flatterten, aber endlich gegen Abend sich verdrießlich auf die Beine macht, und über den Baum räsonniert und in sich murmelt: »Das war ein erbärmliches Lager, das waren ja herbe Holzäpfel, das war ein unausstehliches Spatzengepiepse usw.« Indessen, das Rezensieren hat doch auch sein Gutes. Es gibt heuer so viele wunderliche Bäume auf dem Parnaß, daß es not tut, wie in botanischen Gärten Gebrauch ist, bei jedem ein weißes Täfelchen zu stellen, worauf der Wanderer lesen kann: »Unter diesem Baume läßt sich's angenehm ruhen, auf diesem wachsen trefflich Früchte, in diesem singen Nachtigallen«; – so wie auch: »Auf diesem Baume wachsen unreife, unerquickliche und giftige Früchte, unter diesem Baume duftet sinnebetäubender Weihrauch, unter diesem spuken des Nachts alte Rittergeister, in diesem pfeift ein sauberer Vogel, unter diesem Baume kann man gut – einschlafen.«
Wir haben oben bemerkt, daß wir vorliegende Tragödie nach den Kunstvorschriften der Dramaturgie beurteilen wollen. Doch, da in betreff derselben auch unsere größten Ästhetiker nicht mit einander übereinstimmen, da es Anmaßung wäre, wenn wir unsere eigene Meinung als die allein richtige annehmen wollten, und da wir nicht durch subjektive Ansicht das Verdienst des Dichters unbewußt beeinträchtigen möchten, so wollen wir nie unbedingt ein Urteil über die Leistungen desselben fällen, ohne erst mit wenigen Worten angedeutet zu haben, von welchen ästhetischen Grundsätzen wir ausgehn. Wir werden demnach vorliegende Tragödie aus drei Gesichtspunkten beurteilen: aus dem dramatischen, aus dem poetischen und aus dem ethischen Gesichtspunkte.
Lyrik ist die erste und älteste Poesie. Sowohl bei ganzen Völkern, als bei einzelnen Menschen, sind die ersten poetischen Ausbrüche lyrischer Art. Die gebräuchlichen Konvenienzmetaphern scheinen hier dem Dichter zu abgedroschen und kalt, und er greift nach ungewöhnlichen, imposanteren Bildern und Vergleichen, um sowohl seine subjektiven Gefühle als auch die Eindrücke, welche äußere Gegenstände auf seine Subjektivität ausüben, lebendig darzustellen. Es gibt Individuen und ganze Völker, die es in der Poesie nie weiter als bis zu dieser Dichtart gebracht werden. Bei beiden deutet solches auf einen Zustand der Geisteskindheit oder der flachen Einseitigkeit. Sobald aber beim Dichter eine gewisse Verstandesreife eingetreten ist, sobald sein geistiges Auge das innere Getreibe der äußern Gegenstände und Begebenheiten besser durchschaut, und sein Geist die Gesamtanschauung dieser Außenwelt in sich aufnimmt, so wird es auch ein neues Bestreben des Dichters sein, diese äußern Gegenstände in ihrer objektiven Klarheit, ohne Beimischung von subjektiven Gefühlen und Ansichten, poetisch schön darzustellen. So entsteht die epische und die dramatische Dichtung.
Gewisse Talente, wie man sieht, werden von der einen dieser Dichtungsarten ebensogut wie von der andern erfordert, nämlich: allgemeine Naturanschauung, Heraustreten aus der Subjektivität, treue, lebendige Schilderung von Begebenheiten, Situationen, Leidenschaften, Charakteren usw. Doch machen wir die vielbestätigte Bemerkung: daß Dichter, die in der einen dieser Dichtungsarten Meister sind, oft in der andern nichts Erträgliches zustande bringen können. Diese Beobachtung führt uns zur Untersuchung, ob jenes Mißlingen nicht dadurch entsteht, weil etwa bei der einen Dichtungsart die oben angedeuteten Talente in minderm Grade erforderlich sind als bei der andern, und weil vielleicht das Wesen beider Dichtungsarten so erstaunlich voneinander verschieden ist?
Wenn wir den epischen und den dramatischen Dichter, jeden in seiner Werkstätte belauschen und hier sein Verfahren beobachten, so ist uns nichts leichter als die Lösung dieser Frage. Der Epiker trägt freilich im Geiste die lebendigste Anschauung seines Stoffes, aber er erzählt einfach, natürlich; sein Erzählen ist zwar meistens ein Nacheinander, aber auch oft ein Nebeneinander, und nicht selten ein Voreinander (Voraussagen der Katastrophe). Er schildert ruhig die Gegend, die Zeit, das Kostüm seiner Helden, er läßt sie zwar sprechen, aber er erzählt ihre Mienen und Bewegungen, und zuweilen gar schießt ein Blitzstrahl aus seinem eigenen Gemüte, aus seiner Subjektivität, und beleuchtet mit schnellem Lichte das Lokal und die Helden seines Gedichtes. Dieses subjektive Aufblitzen, wovon unsere zwei besten epischen Gedichte, die Odyssee und die Nibelungen, nicht frei sind, und welches vielleicht zum Charakter des Epos gehört, zeigt schon, daß das Talent des gänzlichen Heraustretens aus der Subjektivität beim Epos nicht in so hohem Grade erforderlich ist als beim Drama. In dieser Dichtart muß jenes Talent vollkommen sein. Aber das ist noch lange nicht das Hauptsächlichste. Das Drama setzt eine Bühne voraus, wo sich nicht jemand hinstellt und das Gedicht vordeklamiert, sondern wo die Helden des Gedichts selbst lebendig auftreten, in ihrem Charakter mitsammen sprechen und handeln. Hierbei hat der Dichter nur notwendig aufzuzeichnen, was sie sprechen und wie sie handeln. Wehe dem Dichter aber, der es da vergißt, daß diese lebendigen Heldenvorsteller das Recht haben, nach eigener Willkür sich zu gruppieren und Grimassen zu schneiden, daß der Theaterschneider für hübsche Kleider, der Dekorationsmaler für hübsche Umgebungen, der Kapellmeister für dämmernde Gefühle, und der Lampenputzer für klare Beleuchtung Sorge trägt. Das will dem empirischen Dichter gar nicht in den Kopf, und wenn er sich im Drama versucht, verwickelt er sich in schöne Gegendbeschreibungen, Charakterschilderungen und zu feine Nuancierungen. Endlich leidet das Drama keinen Stillstand, kein Nebeneinander, noch viel weniger ein Voreinander wie das Epos. Der Hauptcharakter des Dramas ist also lebendiges und immer lebendigeres Fortschreiten und Ineinandergreifen des Dialogs und der Handlung.
Wir haben hier das Charakteristische im Wesen des Epos und des Dramas leicht hingezeichnet, und jedem ist es durchaus erklärbar, warum so viele Dichter mit Erfolg aus dem Gebiete der Lyrik in das Gebiet des Epischen übergehen, weil sie hier ihre Subjektivität nicht ganz und gar zu verleugnen brauchen, und durch etwaige Versuche in der Romanze, in der Elegie, im Roman und in dergleichen Dichtungsarten, welche aus einer Vermischung des Epischen und des Lyrischen bestehen, sich an jene Verleugnung der Subjektivität allmählich gewöhnen können, oder einen leichten Übergang zum Reinepischen finden, statt daß bei der dramatischen Dichtung keine solche Übergangsform vorhanden ist, und gleich die allerstrengste Unterdrückung der hervorquellenden Subjektivität verlangt wird. Zugleich ist es sichtbar, daß es die Gewohnheit, welche den erprobtesten epischen Dichter, der immer an Lokal- und Kostümschilderungen u. dgl. denkt, zum schlechten Dramatiker macht, und daß es daher gut ist, wenn der Dichter, der im Dramatischen sich hervortun will, aus dem Gebiete der Lyrik gleich in das Gebiet des Dramas übergeht.
Mit Vergnügen bemerken wir, daß dieses letztere der Fall ist beim Verfasser der vorliegenden Tragödie, dessen lyrische Gedichte sowohl durch äußern Glanz als lebendige Innigkeit uns so oft entzückt haben. Indessen, wie schwer, wie äußerst schwer der Übergang vom Lyrischem zum Dramatischen ist, hat unser Herr Verfasser selbst erfahren, da ihm seine erste, dem »Tasso« vorangehende Tragödie gänzlich mißlungen ist. Doch das ehrliche Geständnis, womit der Verfasser in der Vorrede zum »Tasso« über dieses Mißlingen sich äußert sowie auch der überraschende Eindruck, den letztere Tragödie auf denjenigen macht, der das Unglück gehabt hat, die frühere zu lesen, das alles berechtigt uns, viele Mängel des »Tasso« zu übersehen, das rüstige Fortschreiten des Verfassers zu bewundern, sein schon errungenes Talent anzuerkennen und ihm in einiger Ferne den Kranz zu zeigen, der ihm auf solchem Wege und bei solchem Streben nimmermehr vorenthalten werden kann.
Die bescheidene Erklärung in der Vorrede zum »Tasso« macht es uns gleichsam zur Pflicht, jeder Vergleichung desselben mit dem Goethe'schen Drama desselben Namens gehörig auszuweichen. Doch können wir nicht umhin, zu bemerken, daß die Begebenheit, welche letzterm zur Katastrophe dient, auch von unserm Verfasser benutzt worden ist, nämlich: der in Liebesverzückung taumelnde Tasso umarmt Leonore von Este. Als historisch müssen wir diese Begebenheit leugnen. Tasso's Hauptbiographen, sowohl Serassi als auch (wenn wir nicht irren) Manso, verwerfen sie. Nur Muratori erzählt uns ein solches Märchen. Wir zweifeln sogar, ob je eine Liebe zwischen der zehn Jahr' älteren Prinzessin Leonore und Tasso existiert habe. Überhaupt, wir können auch nicht unbedingt annehmen die allgemein verbreitete Meinung, als habe Herzog Alfons aus bloßem Egoismus, aus Furcht, seinen eignen Ruhm geschmälert zu sehn, den armen Dichter ins Narrenhospital einsperren lassen. Ist es denn so etwas ganz Unerhörtes und Unbegreifliches, daß ein Poet verrückt geworden sei? Warum wollen wir uns dieses Verrücktwerden nicht vernünftig erklären? Warum nicht wenigstens annehmen, daß die Ursache jener Einsperrung sowohl im Hirne des Dichters als im Herzen des Fürsten gelegen habe? Doch wir wollen von allem historischen Vergleichen lieber gleich abgehen, setzen die Fabel des Stücks, wie sie allgemein gang und gebe ist, als bekannt voraus, und sehen zu, wie unser Verfasser seinen Stoff behandelt hat.
Das erste, was wir hier erblicken, ist, daß der Verfasser eine von Manso erwähnte und von Serassi durchaus geleugnete Leonore ins Spiel zieht. Durch diesen glücklichen Griff gewinnt das Stück an interessanter, intrigenartiger, dramatischer Verwickelung. Diese Leonore Nr. 3, genannt Leonore von Gisello, ist Gesellschafterin der Gräfin Leonore von Sanvitale. Mit dem Zweigespräch dieser beiden im Schloßpark zu Ferrara beginnt das Stück.
Leonore von Gisello gesteht, daß sie Tasso liebe, und erzählt, daß sie einen Beweis seiner Gegenliebe habe. Die Gräfin entgegnet ihr, daß dieser Beweis, der darin bestehe, daß so oft in Tasso's Liedern der Name Leonore gefeiert werde, sehr zweideutig sei, da noch zwei andere Damen des Hofes, sie selbst und die Prinzessin, denselben Namen führen. Es wäre sogar wahrscheinlich, daß die Prinzessin die Gefeierte sei. Die Gräfin erinnert an jenen Tag, wo Tasso dem Herzog sein vollendetes Gedicht, das befreite Jerusalem, überreichte, und die Prinzessin
– – mit schnell gewandten Händen griff
Zum Lorbeerkranz, der Virgil's Marmor schmückte,
Und ihn dem Sänger auf die Stirne drückte,
Der niederbog sein Knie, sein lockicht Haupt,
Das eine Fürstin liebend ihm umlaubt!
Da zittert' er; so tief er sich auch beugte,
Hob sich sein Auge doch zu ihr empor,
Ich sah's, wie es hinauf, heiß funkelnd, strebte;
Das war das Höchste, was ihm konnt' begegnen,
Und gegen tausendfachen Lorbeerkranz
Des Kapitols hätt' er nicht den vertauscht,
Den er seit jener Stund' mit Eitelkeit
Am Ruhbett aufhing über seine Scheitel.
Unwillig sieht Alfonso dieses Treiben,
Er sieht des Standes Majestät verletzt,
Und was zurück noch ist, wer sagt das gern?!
Die Prinzessin erscheint, sie neckt die Gräfin wegen des Vielgefeiertwerdens des Namens Leonore. In dem folgenden Monolog zeigt die Prinzessin ihre Liebe für Tasso. Letzerer tritt auf, spricht von seiner Liebe zu ihr.
Prinzessin
O schweiget, Tasso, schweigt, ich bitt' Euch drum.
Um meinetwegen schweigt, ich weiß das alles.
Tasso
Ihr könnt' nicht wissen, wie ich mich zerquäle,
Wie ich, um nicht verraten mich zu sehn,
Um Euch nicht zu verraten, hin und wieder
Als ein Verstellter um drei Wesen schmachte,
So einem, wie dem andern mich zu zeigen.
Er versinkt in Liebesschwärmerei und entfernt sich, wie der Herzog naht. Dieser macht bittere Anspielungen auf beider Liebe; die Prinzessin weint, Alfons entfernt sich, Tasso kehrt zurück. »Ihr weint, Eleonore?« Er lodert auf in stolzer Kraft, verwirrt sich in ein schmachtendes Sonett, und in Liebeswahnsinn umarmt er die Prinzessin. Der Herzog, in Begleitung des Grafen Tirabo und einiger Nobili, ist unterdessen im Hintergrunde erschienen und tritt schnell auf Tasso los. Ende des ersten Akts.
Die Prinzessin in Liebeswehmut versunken. Die Gräfin kommt und erzählt ihr:
Nach jenem Überfall im Parke ließ
Der Herzog unsern Dichter ruhig gehen,
Ihr wißt's, und konntet selbst Euch nicht die Miene
Erklären, die der Bruder angenommen.
Hierauf sei Graf Tirabo zu Tasso gekommen und habe ihn verhöhnt mit erkünsteltem Mitleid. Tasso schlägt ihn –
Doch er besann sich, fordert ihn zum Kampf
Und zieht den Degen im Palast Ferrara's.
– – – –
Der Graf schützt vor des Ortes Majestät,
Und harret sein auf dem Lenardo-Wall.
Dort wird Tasso von Tirabo's Brüdern, drei heimtückischen Buben, überfallen, doch er wehrt sich brav, wird aber endlich gefangengenommen. Man hört den Jubel des Volkes über Tasso's Sieg. Der Herzog erscheint, verwundet die Schwester durch neue Bitterkeiten und verweist sie auf ihre Zimmer. In folgendem Monolog zeigt er sich in seiner wahren Gestalt:
Sie geht – es sei! Verlier' ich ihre Gunst,
Soll der Verlust die andern mir gewinnen,
Ich bin der Herrscher hier, der Herr des Hofs,
Der Ehre Gaben spend' ich aus, versammle
Der Künste Kreis großmütig, Lust und Glanz
Vor ganz Italien meinem Haus zu geben;
Von fern her zieht der Fürst und Edelmann
Und will der Frauen Schönheit hier bewundern,
Wovon der Ruf in allen Ländern sprach;
Und ich allein, am eignen Hofe bin ich
Der Letzte, unbemerkt läßt man mich gehen,
Erwärmt sich an der Fürstenwürde Strahl,
In meiner Größe Schatten tut sich's gut,
Doch eines Irrlichts Glänzen schaut man nach,
Und einem Echo hört man seufzend zu.
Das ist der Dichter, den ich herbeirufen,
Der mäßig durch das rege Leben schlendert,
Der Jagdlust Mordlust nennt, und statt der Erde,
Worauf er wächst und lebt, den Mond besieht –
Er seh' sich vor, in meinem Herzogsmantel
Hüllt' ich ihn gnädig ein, er reißt sich los,
Zum Falle wird die Schleppe seinem Fuß!
Graf Tirabo erscheint und zeigt dem Herzog das Mittel, wie er wieder allein glänzen könne. Dies ist die Entfernung Tasso's. Man gebe ihn frei, bedeute ihm, daß die Prinzessin sich von ihm gewendet habe, und er wird sich von selbst entfernen. – Tasso ist befreit und ergeht sich im Garten. Er hört Gitarrentöne, und eine Stimme singt ein schmelzend üppiges Lied aus seinem »Aminta«. Es ist die Sängerin Justina, sie will den frommen Dichter mit süßen Klängen in die Netze der Sinnenlust verlocken. Tasso beschämt sich mit ernster Rede, spricht mit losbrechender Bitterkeit und Verachtung von den Großen des Hofs, vom Fürsten selbst. – Da erscheinen der Herzog und der Graf. Weil er den Fürsten gelästert habe und wahnsinnig scheine, wird Tasso nach St. Annen geschleppt. Ende des zweiten Akts.
Garten zu Ferrara. Zweigespräch des Herzogs und des Grafen. Letzterer bemerkt, man müsse Tasso streng hüten lassen. Der Herzog will ihn nur unschädlich wissen, nämlich wegen seiner Liebe zur Prinzessin. Diese erscheint und bittet ihren Bruder um Loslassung des Dichters. Der Herzog ist dazu geneigt, wenn sie sich nach Palanto entfernen wolle. Sie entschließt sich dazu, sie überträgt der Gräfin Sanvitale die Sorge für Tasso in ihrer Abwesenheit. Tiefer Liebesschmerz der Prinzessin. Ende des dritten Akts.
Garten des Hospitals zu St. Annen. Der Beichtvater des Hospitals und Leonore von Gisello; Letzere als Pilger gekleidet. Sie erbittet sich von ihm die Erlaubnis, den als wahnsinnig eingesperrten Tasso zu sprechen. Schwärmerisches Gespräch zwischen diesem und Leonore; sie sagt ihm, daß sie nach dem heiligen Lande pilgre, und gibt ihm einen Schlüssel, um sich durch die Pforte der Erkerstiege zu befreien. Tasso glaubt, er habe eine Engelserscheinung gehabt. – Graf Tirabo kommt zum Beichtvater und meldet ihm, daß Tasso freigelassen werden solle. – Nacht. Erker von Tasso's Gemach unweit der Brücke, die über den Fluß führt. Leonore von Gisello, im Begriff, ihre Wallfahrt anzutreten, sinkt hin auf eine Bank unter dem Erker. Die Prinzessin nebst ihrer Hofdame geht über die Brücke, um sich nach Palanto zu begeben. Tasso erscheint am Erkerfenster. Unendlich wehmütiges Liebesgespräch zwischen ihm und der Prinzessin. Sie wankt fort mit ihrer Hofdame. Leonore von Gisello erhebt sich von ihrem Sitze, fühlt sich durch das angehörte Gespräch gestärkt zur langen Wallfahrt, grüßt Tasso nochmals mit wildem Worte, und geht schnell ab. Tasso ruft verhallend: »O weile, weile, verklärter Geist!«
Die Ketten fallen, und Tasso ist frei!
Er streckt die Arme aus nach der Enteilenden – Ende des vierten Akts.
Sprechzimmer im Kloster St. Ambrogio zu Rom. Der Beichtvater und Manso, Tasso's Jugendfreund (?). Dieser ist eben in Rom angekommen, und er erfährt, daß Tasso den folgenden Tag auf dem Kapitol gekrönt werden solle. Er will zu ihm, der Beichtvater bemerkt ihm, daß Tasso im Nebenzimmer schlafe, aber sehr krank sei, und schon von ihm das Abendmahl und die letzte Ölung empfangen habe. Er erzählt ihm, daß Tasso eigenmächtig seiner Haft entsprungen sei, just an dem Tage, wo der Herzog ihm die Freiheit schenkte, daß ein Pilger ihm heimlich den notwendigen Schlüssel gegeben habe, daß dieser Pilger wahrscheinlich Leonore von Gisello gewesen sei, daß aber Tasso ihn noch immer für einen gottgesandten Boten halte. Er schildert den Zustand, wie er Tasso wiedergefunden:
Wie ich ihn sah im dürftigen Gewande
Hinwanken auf der Straße, ausgesetzt
Des frühen Lenzes wechselvollem Treiben.
Auf Hagelschlossen folgte milder Regen,
Drauf blickte wieder hell die Sonne durch,
Bis frost'ger Hauch die Wolken vor sich trieb. –
So wankt' er hin mit unbedecktem Haupte,
Wild flatterten die Haare durch die Luft,
Und tief in Stirn und Scheitel eingedrückt,
Trug er verdorrten Lorbeers heil'gen Schmuck,
Den ihm Prinzessin Leonore einst
Aufs Haar gesetzet für sein heilig Lied.
Tasso sollte noch heute nach St. Onuphrius gebracht werden, weil dieser Platz dem Kapitole näher liegt. – Tasso erscheint, den Lorbeerkranz der Prinzessin in der Hand. Er spricht wie ein schon Verklärter und empfängt liebevoll seinen Manso. Der Prior von Onuphrius und zwei Mönche kommen, Tasso abzuholen. Volk drängt sich hinzu; Jubel und Musik. Begeisterung ergreift Tasso, er spricht von einer überirdischen Krönung, er hebt den Lorbeer der Prinzessin in die Höhe:
Mit diesem ward ich hier auf Erden groß,
Dort wird der schöne Engel mich umzweigen,
Von meinem ird'schen Ruhm soll dieser zeugen!
Er legt den Lorbeer in die Hände des Beichtvaters. Matt und schwankend wird er in Triumph und unter rauschender Musik fortgeführt. –
Säulenhalle in der Akademie zu St. Onuphrius. In der Mitte die Bildsäule des Ariost. Im Hintergrunde Aussicht auf das Kapitol. Constanti und Kardinal Cinthio treten hervor. Ersterer erzählt den Tod der Prinzessin Leonore.
Da herrschte tiefe Trauer in Ferrara,
Und Tasso's Lieder tönen dort nicht mehr;
Er war verschwunden und die Fürstin tot.
Die Gräfin Sanvitale drang in mich,
Ferrara zu verlassen, und nach Rom
Mich zu begeben auf der Eile Schwingen,
Daß nicht die Nachricht von der Fürstin Tod
Voreilig Tasso's hohe Qualen steigre.
Tasso wird in Triumph hereingebracht. Da er vor Mattigkeit zusammensinken will, lassen ihn seine Führer auf eine der Stufen von Ariost's Bildsäule nieder. Jauchzen des hereindringenden Volks. Kardinäle, Prälaten, Nobili und Offiziere füllen die Halle. Musikwirbel. Tasso erhebt sich mit Anstrengung. Constantini zu seinen Füßen, und begrüßt so den verherrlichten Freund. Tasso blickt erschrocken auf ihn nieder:
Tasso
So ist es wahr, und nicht hat mir's geträumt,
Ich sah dich früher schon auf meinem Wege.
Mit schwarzem Flore ward dein Kleid umsäumt,
Mein Ohr vernahm der Glocken Trauerschläge,
Und geisterähnlich sprach dein Mund dies Wort:
»Torquato findet Leonoren – dort!«
Tasso stirbt sichtbar ab, spricht verzückt von Gott und Geisterliebe, sinkt hin und sitzt als Leiche auf dem Piedestal der Bildsäule seines großen Nebenbuhlers Ariosto. Der Beichtvater nimmt den ihm überlieferten Lorbeerkranz, setzt ihn auf das heilige Haupt des Erblichenen. Verhallende Musik. Der Vorhang fällt.
Nach unseren vorangeschickten Erklärungen müssen wir jetzt gestehen, daß der Verfasser in der Behandlung seines Stoffs nur sehr unbedeutendes dramatisches Verdienst gezeigt hat. Die meisten seiner Personen sprechen im selben Tone, fast wie in einem Marionettentheater, wo ein einzelner den verschiedenen Puppen seine Stimme leiht. Fast alle führen dieselbe lyrische Sprache. Da nun der Verfasser ein Lyriker ist, so können wir behaupten, daß es ihm nicht gelungen ist, aus seiner Subjektivität gänzlich herauszutreten. Nur hie und da, besonders wenn der Herzog spricht, bemerkt man ein Bestreben darnach. Das ist ein Fehler, dem fast kein lyrischer Dichter in seinen dramatischen Erstlingen entging. Hingegen das lebendige Ineinandergreifen des Dialogs ist dem Verfasser recht oft gelungen. Nur hie und da treffen wir Stellen, wo alles festgefroren scheint, und wo oft Frage und Antwort an den Haaren herbeigerissen sind. Die erste Expositionszene ist ganz nach der leidigen französischen Art, nämlich Unterredung der Vertrauten. Wie anders ist das bei unserm großen Muster, bei Shakespeare, wo die Exposition schon eine hinreichend motivierte Handlung ist. Ein beständiges Fortschreiten der Handlung fehlt ganz. Nur bis zu gewissen Punkten sieht man ein solches Fortschreiten. Dergleichen Punkte sind das Ende des ersten und des vierten Akts; jedesmal nimmt alsdann der Verfasser gleichsam einen neuen Anlauf.
Wir gehen über zur Untersuchung des poetischen Wertes des »Tasso«.
Es wird manchen wunder nehmen, daß wir unter dieser Rubrik den theatralischen Effekt erwähnen. In unserer letzten Zeit, wo meistens junge Dichter auf Kosten des Dramatischen nach dem theatralischen Effekt streben, ist beider Unterschied genugsam zur Sprache gekommen und erörtert worden. Dies sündhafte Streben lag in der Natur der Sache. Der Dichter will Eindruck auf sein Publikum machen, und dieser Eindruck wird leichter durch das Theatralische als durch das Dramatische eines Stückes hervorgebracht. Goethe's Tasso geht still und klanglos über die Bühne; und oft das jämmerlichste Machwerk, worin Dialog und Handlung hölzern, und zwar vom schlechtesten Holze sind, worin aber recht viele theatralische Knallerbsen zur rechten Zeit losplatzen, wird von der Galerie applaudiert, vom Parterre bewundert und von den Logen huldreichst aufgenommen. – Wir können nicht laut genug und nicht oft genug den jungen Dichtern ins Ohr sagen, daß, je mehr in einem Drama das Streben nach solchem Knalleffekt sichtbar wird, desto miserabler ist es. Doch bekennen wir: wo natürlich und notwendig der theatralische Effekt angebracht ist, da gehört er zu den poetischen Schönheiten eines Dramas. Dies ist der Fall in vorliegender Tragödie. Nur sparsam sind theatralische Effekte darin eingewebt, doch wo sie sind, besonders am Ende des Stücks, sind sie von höchst poetischer Wirkung.
Noch mehr wird es befremden, daß wir die Beobachtung der drei dramatischen Einheiten zu den poetischen Schönheiten eines Stücks rechnen. Einheit der Handlung nennen wir zwar durchaus notwendig zum Wesen der Tragödie. Doch, wie wir unten sehen werden, gibt es eine dramatische Gattung, wo Mangel an Einheit der Handlung entschuldigt werden kann. Was aber die Einheit des Ortes und der Zeit betrifft, so werden wir zwar die Beobachtung dieser beiden Einheiten dringend empfehlen, jedoch nicht, als ob sie zum Wesen eines Drama's durchaus notwendig wären, sondern weil sie letzterm einen herrlichen Schmuck verleihen und gleichsam das Siegel der höchsten Vollendung auf die Stirne drücken. Wo aber dieser Schmuck auf Kosten größerer poetischer Schönheiten erkauft werden soll, da möchten wir ihn weit lieber entbehren. Nichts ist daher lächerlicher als einseitige strenge Beobachtung dieser zwei Einheiten und einseitiges strenges Verwerfen derselben. – Unser Herr Verfasser hat keine einzige von allen drei Einheiten beobachtet. – Nach obiger Ansicht können wir ihn nur wegen Mangel an Einheit der Handlung zur Verantwortung ziehen. Doch auch hier glauben wir eine Entschuldigung für ihn zu finden.
Wir teilen die Tragödien ein in solche, wo der Hauptzweck des Dichters ist, daß eine merkwürdige Begebenheit sich vor unsern Augen entfalte; in solche, wo er das Spiel bestimmter Leidenschaften uns durchschauen lassen will, und in solche, wo er strebt, gewisse Charaktere uns lebendig zu schildern. Es war ihnen meistens darum zu tun, Handlungen und Leidenschaften zu entwickeln. Der Charakterzeichnungen konnten sie füglich entbehren, da ihre Helden meistens bekannte Heroen, Götter und dergleichen stehende Charaktere waren. Dies ging hervor aus der Entstehung ihres Theaters. Priester und Epiker hatten lange schon voraus die Konturen der Heldencharaktere dem Dramatiker vorgezeichnet. Anders ist es bei unserem modernen Theater. Charakterschilderung ist da eine Hauptsache. Ob nicht auch die Ursache davon in der Entstehungsart unseres Theaters liegt, wenn wir annehmen, daß dasselbe hauptsächlich entstanden ist durch Fastnachtspossen? Es war da der Hauptzweck, bestimmte Charaktere lebendig, oft grell hervortreten zu lassen, nicht eine Handlung, noch viel weniger eine Leidenschaft zu entwickeln. Beim großen William Shakespeare finden wir zuerst obige drei Zwecke vereinigt. Er kann daher als Gründer des modernen Theaters angesehen werden, und bleibt unser großes, freilich unerreichbares Muster. Johann Gotthold Ephraim Lessing, der Mann mit dem klarsten Kopfe und mit dem schönsten Herzen, war in Deutschland der erste, welcher die Schilderungen von Handlungen, Leidenschaften und Charakteren am schönsten und am gleichmäßigsten in seinen Dramen verwebte, und zu einem Ganzen zusammenschmelzte. So blieb es bis auf die neueste Zeit, wo mehrere Dichter anfingen, jene drei Gegenstände der dramatischen Schilderung nicht mehr zusammen, sondern einzeln zum Hauptzweck ihrer Tragödien zu machen. Goethe war der erste, der das Signal zu bloßen Charakterschilderungen gab. Er gab sogar auch das Signal zu Charakterschilderung einer bestimmten Klasse Menschen, nämlich der Künstler. Auf seinem Tasso folgte Oehlenschläger's »Corregio«, und diesem wieder eine Anzahl ähnlicher Tragödien. Auch der »Tasso« unseres Verfassers gehört zu dieser Gattung. Wir können daher bei dieser Tragödie Mangel an Einheit der Handlung füglich entschuldigen, und wollen sehen, ob die Charakter- und nebenbei die Leidenschafts-Schilderungen treu und wahr sind.
Den Charakter des Haupthelden finden wir trefflich und treu gehalten. Hier scheint dem Verfasser ein glücklicher Umstand zustatten gekommen zu sein. Nämlich, Tasso ist ein Dichter, oft ein lyrischer und immer ein religiös schwärmerischer Dichter. Hier konnte unser Verfasser, der alles dieses ebenfalls ist, mit seiner ganzen Individualität hervortreten, und dem Charakter seines Helden eine überraschende Wahrheit geben. Dieses ist das Schönste, das Beste in der ganzen Tragödie. Etwas minder treffend gezeichnet ist der Charakter der Prinzessin; er ist zu weich, zu wächsern, zu zerfließend, es fehlt ihm an Gehalt. Die Gräfin Sanvitale ist vom Verfasser gleichgültig behandelt; nur ganz schwach läßt er ihr Wohlwollen für Tasso hervorschimmern. Der Herzog ist in mehreren Szenen sehr wahr gezeichnet, doch widerspricht er sich oft. Z. B. am Ende des zweiten Akts läßt er Tasso einsperren, damit er seinen Namen nicht mehr verlästre, und in der ersten Szene des dritten Akts sagt er, es sei geschehen aus Besorgnis, daß nicht aus Tasso's Liebeshandel mit seiner Schwester Schlimmes entstehe. Graf Tirabo ist nicht allein ein jämmerlicher Mensch, sondern auch, was der Verfasser nicht wollte, ein inkonsequenter Mensch. Leonore von Gisello ist ein hübsches Vesperglöckchen, das in diesem Gewirre heimlich und lieblich klinget und leiser und immer leiser verhallet.
Schön und herrlich ist die Diktion des Verfassers. Wie trefflich, ergreifend und hinreißend ist z. B. das Nachtgespräch zwischen der Prinzessin und Tasso. Diese wehmütig weichen, schmelzend süßen Klänge ziehen uns unwiderstehlich hinab in die Traumwelt der Poesie, das Herz blutet uns aus tief geheimen Wunden – aber dieses Verbluten ist eine unendliche Wollust, und aus den roten Tropfen sprossen leuchtende Rosen.
Tasso
Mit tausend Augen schaut auf mich die Nacht,
Und mich erfassen Zweifel: will sie leuchten,
Vielleicht auch lauschen? Hat mit solcher Pracht
Sie sich geschmückt, und fällt des Taues Feuchten,
Daß sich dem Schlafe meine Glieder senken?
Prinzessin
Hört' ich nicht Töne, die hinab sich neigten,
Als wollten sie zu meinem Herzen lenken?
Hofdame
Fürwahr, Prinzessin, bleich verworrener Miene,
Als wollt mit Schierlingstau die Nacht ihn tränken
Täuscht mich's, wenn so nicht Tasso dort erschiene.
Tasso
Welch Bild erglänzet auf der Brücke Bogen?
Mit Majestät, als ob's der Hohen diene,
Kommt nebenher ein anderes gezogen.
Schneeweiß umfließt, wie Silbernebels Schleier,
Ein Strahlenkleid die Glieder, hell umflogen
Das Haupt vom Sternenchor, wie Demantfeuer.
Prinzessin
Doch Tränentau sinkt von dem Mond hernieder,
Und trübet meiner Sterne helle Feier.
Tasso
Dem Tau entblühen neue Blumen wieder,
Und neue Kränze wird die Nacht uns winden.
Ebenfalls wunderschön sind die Verse S. 77 sowie auch die Stanzen S. 82, wo Tasso zur Gisella, die ihn als Pilger besucht, sagt:
Wie sich die Blume wendet zu der Sonne,
Und wie der Tau sich wiegt im Morgenschein,
Wie Engel flehn zur himmlischen Madonne,
Und Schar an Schar sich um die Hohe reihn:
So still und feierlich, voll sel'ger Wonne,
Schließt mich das Zauberland der Liebe ein;
Klar seh' ich die Verklärte vor mir schweben,
Frei und in Banden ihr allein zu leben. – –
Ob aber überhaupt der Reim in der Tragödie zweckmäßig ist? Wir sind ganz dagegen, würden ihn nur bei rein lyrischen Ergüssen tolerieren, und wollen ihn in vorliegender Tragödie nur da entschuldigen, wo Tasso selbst spricht. Im Munde des Dichters, der so viel in seinem Leben gereimt hat, klingt der Reim wenigstens nicht ganz unnatürlich. Dem schlechten Poeten wird der Reim in der Tragödie immer eine hilfreiche Krücke sein, dem guten Dichter wird er zur lästigen Fessel. Auf keinen Fall findet derselbe Ersatz dafür, daß er sich in diese Fessel schmiegt. Denn unsre Schauspieler, besonders Schauspielerinnen, haben noch immer den leidigen Grundsatz, daß die Reime für das Auge seien, und daß man sich ja hüten müsse, sie hörbar klingen zu lassen. Wofür hat sich nun der arme Dichter abgeplagt? – So wohlklingend auch die Verse unseres Verfassers sind, so fehlt es denselben doch an Rhythmus. Es fehlt ihm die Kunst des Enjambements, die beim fünffüßigem Jambus von so unendlicher Wirkung ist, und wodurch so viele metrische Mannigfaltigkeit hervorgebracht wird. Manchmal hat sich der Verfasser einen Sechsfüßer entschlüpfen lassen. Schon S. 1.
Die deine Schönheit rühmen nach verliebter Art.
Ob vorsätzlich? – Unbegreiflich ist uns, wie sich der Verfasser die Skansion »Virgil« S. 7 und 22 erlauben konnte. Sie wie auch S. 4 »Und vielleicht darum, weil sie's nöt'ger haben.« – S. 14.
Der Daktylus »Hörenden« am Ende des Verses füllt das Ohr nicht. Obschon unsere besten alten Dichter sich solche Fehler zuschulden kommen lassen, sollten doch die Jüngern sie zu vermeiden suchen.
Wir gehen jetzt über zur Frage: welchen Wert hat vorliegende Tragödie in ethischer Hinsicht?
Ethisch? Ethisch? hören wir fragen. Um Gottes Willen, gelehrte Herren, halten Sie sich nicht an der Schuldefinition. Ethisch soll hier nur ein Rubrikname sein, und wir wollen entwickelnd erklären, was wir unter dieser Rubrik befaßt haben wollen. Hören Sie, ist es Ihnen noch nie begegnet, daß Sie innerlich mißvergnügt, verstimmt und ärgerlich des Abends aus dem Theater kamen, obschon das Stück, das Sie eben sahen, recht dramatisch, theatralisch, kurz voller Poesie war? Was nur nun der Fehler? Antwort: Das Stück hatte keine Einheit des Gefühls hervorgebracht. Das ist es. Warum mußte der Tugendhafte untergehen durch List der Schelme? Warum mußte die gute Absicht verderblich wirken? Warum mußte die Unschuld leiden? Das sind die Fragen, die uns marternd die Brust beklemmen, wenn wir nach der Vorstellung von manchem Stücke aus dem Theater kommen. Die Griechen fühlten wohl die Notwendigkeit, dieses qualvolle Warum in der Tragödie zu erdrücken, und sie ersannen das Fatum. Wo nun aus der beklommenen Brust ein schweres Warum hervorstieg, kam gleich der ernste Chorus, zeigte mit dem Finger nach oben, nach einer höheren Weltordnung, nach einem Urratschluß der Notwendigkeit, dem sich sogar die Götter beugen. So war die geistige Ergänzungssucht des Menschen befriedigt, und es gab jetzt noch eine unsichtbare Einheit: – Einheit des Gefühls. Viele Dichter unserer Zeit haben dasselbe gefühlt, das Fatum nachgebildet, und so entstanden unsere heutigen Schicksalstragödien. Ob diese Nachbildung glücklich war, ob sie überhaupt Ähnlichkeit mit dem griechischen Urbild hatte, lassen wir dahingestellt. Genug, so löblich auch das Streben nach Hervorbringung der Gefühlseinheit war, so war doch jene Schicksalsidee eine sehr traurige Aushilfe, ein unerquickliches, schädliches Surrogat. Ganz widersprechend ist jene Schicksalsidee mit dem Geist und der Moral unserer Zeit, welche beide durch das Christentum ausgebildet worden. Dieses grause, blinde, unerbittliche Schicksalswalten verträgt sich nicht mit der Idee eines himmlischen Vaters, der voller Milde und Liebe ist, der die Unschuld sorgsam schützet, und ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt. Schöner und wirksamer handelten jene neuere Dichter, die alle Begebenheiten aus ihren natürlichen Ursachen entwickeln, aus der moralischen Freiheit des Menschen selbst, aus seinen Neigungen und Leidenschaften, und die in ihren tragischen Darstellungen, sobald jenes furchtbare letzte Warum auf den Lippen schwebt, mit leiser Hand den dunkeln Himmelsvorhang lüften, und uns hineinlauschen lassen in das Reich des Überirdischen, wo wir im Anschaun so vieler leuchtenden Herrlichkeit und dämmernden Seligkeit mitten unter Qualen aufjauchzen, diese Qualen vergessen oder in Freuden verwandelt fühlen. Das ist die Ursache, warum oft die traurigsten Dramen dem gefühlvollsten Herzen einen unendlichen Genuß verschaffen. – Nach letzterer löblicher Art hat sich auch unser Verfasser bestrebt, die Gefühleinheit hervorzubringen. Er hat ebenfalls die Begebenheiten aus ihren natürlichen Gründen entwickelt. In den Worten der Prinzessin:
Ihr Dichter wollt euch nicht zu Menschen schicken,
Verstehet anders, was die andern sagen,
Und was ihr selbst sagt, habt ihr nicht bedacht;
Das ist der schwarze Faden, den ihr selbst
Euch in das heitre Dichterleben spinnet –
In diesen Worten erkennen wir das Fatum, das den unglücklichen Tasso verfolgte. Auch unser Verfasser wußte mit vieler Geschicklichkeit den Himmelsvorhang vor unseren Augen leise aufzuheben und uns zu zeigen, wie Tasso's Seele schon schwelget im Reiche der Liebe. Alle unsere Qualen des Mitleids lösen sich auf in stille Seelenfreude, wenn wir im fünften Akt den bleichen Tasso langsam hereintreten sehen mit den Worten:
Vom heil'gen Öle triefen meine Glieder,
Und meine Lippen, die manch eitles Lied
Von schnöden Wesen dieser Welt gesungen,
Unwürdig haben sie berührt den Leib des Herrn. –
Freilich, wir müssen hier von einem historischen Standpunkt die Gefühle betrachten, die in unserem religiösen Schwärmer aufgeregt werden durch jene heiligen Gebräuche der römisch-katholischen Kirche, welche von Männern ersonnen worden sind, die das menschliche Herz, seine Wunden und den heilsamen beseligenden Eindruck passender Symbole genau kannten. Wir sehn hier unsern Tasso schon in den Vorhallen des Himmels. Seine geliebte Eleonore mußte ihm schon vorangegangen sein, und heilige Ahnung mußte ihm die Zusicherung gegeben haben, daß er sie bereits findet. Dieser Blick hinter die Himmelsdecke versüßt uns den unendlichen Schmerz, wenn wir das Kapitol schon in der Ferne erblicken, und der Langgeprüfte in dem Augenblick, als er den höchsten Preis erhalten soll, tot niedersinkt bei der Bildsäule seines großen Nebenbuhlers. Der Priester greift den Schlußakkord, indem er den Lorbeerkranz Eleonorens der Leiche aufs Haupt setzt. – Wer fühlt hier nicht die tiefe Bedeutung dieses Lorbeers, der Torquato's Leid und Freud' ist, in Leid und Freud' ihn nicht verläßt, oft wie glühende Kohlen seine Stirn versengt, oft die arme brennende Stirn wie Balsam kühlet, und endlich, ein mühsam errungenes Siegeszeichen, sein Haupt auf ewig verherrlicht.
Sollte nicht vielleicht unser Verfasser eben wegen jener Gefühlseinheit die Einheit der Handlung verworfen haben? Sollte ihm nicht etwas Ähnliches vorgeschwebt haben, was bei den Alten die Trilogien hervorbrachte? Fast möchten wir dieses glauben, und wir können nicht umhin, den Verfasser zu bitten, die fünf Akte seiner Tragödie in drei zusammenzuschmelzen, deren jeder einzelne alsdann das Glied einer Trilogie sein würde. Der erste und zweite Akt wäre zusammengeschmolzen, und hieße: »Tasso's Hofleben«; der dritte und vierte Akt wäre ebenfalls vereinigt und hieße: »Tasso's Gefangenschaft«; und der fünfte Akt, womit sich die Trilogie schlösse, hieße: »Tasso's Tod.«
Wir haben oben gezeigt, daß Einheit des Gefühls zum Ethischen einer Tragödie gehört, und daß unser Verfasser dieselbe vollkommen und musterhaft beobachtet hat. Er hat aber auch noch einer zweiten ethischen Anforderung Genüge geleistet. Nämlich, seine Tragödie trägt den Charakter der Milde und Versöhnung.
Unter dieser Versöhnung verstehen wir nicht allein die Aristotelische Leidenschaftsreinigung, sondern auch die weise Beobachtung der Grenzen des Reinmenschlichen. Keiner kann furchtbarere Leidenschaften und Handlungen auf die Bühne bringen als Shakespeare, und doch geschieht es nie, daß unser Inneres, unser Gemüt durch ihn gänzlich empört würde. Wie ganz anders ist das bei vielen unseren neuern Tragödien, bei deren Darstellung uns die Brust gleichsam in spanische Schnürstiefeln eingeklemmt wird, der Atem uns in der Kehle stocken bleibt, und gleichsam ein unerträglicher Katzenjammer der Gefühle unser ganzes Wesen ergreift. Das eigene Gemüt soll dem Dichter ein sicherer Maßstab sein, wie weit er den Schrecken und das Entsetzliche auf die Bühne bringen kann. Nicht der kalte Verstand soll emsig alles Gräßliche ergrübeln, mosaikähnlich zusammenwürfeln und in der Tragödie aufstapeln. Zwar wissen wir recht wohl, alle Schrecken Melpomenens sind erschöpft. Pandora's Büchse ist leer, und der Boden derselben, wo noch ein Übel kleben konnte, von den Poeten kahl abgeschabt, und der gefallsüchtige Dichter muß im Schweiße seines Angesichts neue Schreckensfiguren und neue Übel herausbrüten. So ist es dahin gekommen, daß unser heutiges Theaterpublikum schon ziemlich vertraut ist mit Brudermord, Vatermord, Inzest usw. Daß am Ende der Held bei ziemlich gesundem Verstande einen Selbstmord begeht, cela se fait sans dire. Das ist ein Kreuz, das ist ein Jammer. In der Tat, wenn das so fortgeht, werden die Poeten des zwanzigsten Jahrhunderts ihre dramatischen Stoffe aus der japanischen Geschichte nehmen müssen, und alle dortigen Exekutionsarten und Selbstmorde: Spießen; Pfählen, Bauchaufschlitzen usw. zur allgemeinen Erbauung auf die Bühne bringen. Wirklich, es ist empörend, wenn man sieht, wie in unseren neuern Tragödien statt des wahrhaft Tragischen, ein Abschlachten, ein Niedermetzeln, ein Zerreißen der Gefühle aufgekommen ist, wie zitternd und zähneklappernd das Publikum auf seinem Armensünderbänkchen sitzt, wie es moralisch gerädert wird, und zwar von unten herauf. Haben denn unsere Dichter ganz und gar vergessen, welchen ungeheuren Einfluß das Theater auf die Volkssitten ausübt? Haben sie vergessen, daß sie diese Sitten milder, und nicht wilder machen sollen? Haben sie vergessen, daß das Drama mit der Poesie überhaupt denselben Zweck hat, und die Leidenschaften versöhnen, nicht aufwiegeln, menschlicher machen und nicht entmenschlichen soll? Haben unsere Poeten ganz und gar vergessen, daß die Poesie in sich selbst genug Hilfsmittel hat, um auch das allerabgestumpfteste Publikum zu erregen und zu befriedigen, ohne Vatermord und ohne Inzest?
Es ist doch jammerschade, daß unser großes Publikum so wenig versteht von der Poesie, fast ebenso wenig wie unsere Poeten.